zu 03.445 Parlamentarische Initiative Öffentliches Beschaffungswesen Ausbildung von Lehrlingen als Kriterium Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 14. Mai 2013 Stellungnahme des Bundesrates vom 3. Juli 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 14. Mai 2013 zur parlamentarischen Initiative 03.445 «Öffentliches Beschaffungswesen. Ausbildung von Lehrlingen als Kriterium» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. Juli 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2013-1448

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 20. Juni 2003 hat Nationalrat Ruedi Lustenberger eine parlamentarische Initiative (03.445) eingereicht. Diese fordert eine Anpassung des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 19941 über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB), damit die Ausbildung von Lehrlingen in der beruflichen Grundbildung durch einen Anbieter oder eine Anbieterin bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen positiv gewichtet wird.

Im Mai 2004 beantragte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) mit 15 zu 5 Stimmen bei zwei Enthaltungen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Der Nationalrat folgte diesem Antrag im März 2005 mit 126 zu 49 Stimmen, gemäss dem Verfahren nach dem alten Geschäftsverkehrsgesetz, das aufgrund einer Übergangsbestimmung im neuen Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 20022 für solche hängigen parlamentarischen Initiativen weiterhin zur Anwendung kam. Im April 2005 beschloss die WAK-N mit 12 zu 12 Stimmen bei Stichentscheid des Präsidenten, mit der Ausarbeitung einer Vorlage abzuwarten, bis der Bundesrat eine Botschaft über eine Revision des BöB vorlegt. Da die Revision des BöB noch hängig war, verlängerte der Nationalrat in den Jahren 2007 und 2009 und letztmals in der Frühjahrssession 2011 die Frist zur Ausarbeitung einer Vorlage um jeweils zwei Jahre.

An ihren Sitzungen vom 17. Januar und vom 5. Juli 2011 liess sich die WAK-N von der Verwaltung unter anderem darüber informieren, dass das Projekt einer Totalrevision des BöB nach der durchgeführten Vernehmlassung erst nach der Revision des WTO-Übereinkommens vom 15. April 19943 über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA) weiterverfolgt werde und dass das Anliegen der parlamentarischen Initiative 03.445 inzwischen auf Verordnungsstufe umgesetzt worden sei, soweit die aktuelle Gesetzesgrundlage dies erlaube. Die WAK-N begrüsste die Ergänzung der Verordnung vom 11. Dezember 19954 über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB) um einen neuen Artikel 27 Absatz 35.

Dieser sieht vor, dass bei gleichwertigen Angeboten schweizerischer Anbieter oder Anbieterinnen berücksichtigt wird, inwieweit diese Ausbildungsplätze anbieten.

Eine Kommissionsmehrheit betrachtete diese neue Bestimmung aber lediglich als Etappenziel. Mit 19 zu 4 Stimmen wurde entschieden, die Arbeiten weiterzuführen und eine
Gesetzesänderung auszuarbeiten, die das Ziel der Initiative vollkommen umsetzt. Sie beauftragte die Verwaltung, einen Vorentwurf mit erläuterndem Bericht auszuarbeiten.

An ihrer Sitzung vom 12. und 13. November 2012 hat die WAK-N einen entsprechenden Vorentwurf geprüft und genehmigt. Da zudem die Eröffnung eines Vernehmlassungsverfahrens beschlossen wurde, beantragte die Kommission eine abermalige Verlängerung der Frist zur Erarbeitung eines Entwurfs; der Nationalrat hat diese in der Wintersession 2012 genehmigt.

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SR 172.056.1 SR 171.10; AS 2002 3543, Art. 173 Ziff. 3 SR 0.632.231.422 SR 172.056.11 AS 2009 6149

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Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 11. Dezember 2012 bis zum 18. März 2013. Insgesamt gingen 63 Stellungnahmen ein. Summarisch stehen 17 Kantone der Vorlage positiv gegenüber, während sie von dreien abgelehnt wird. Zwei Kantone nehmen keine eindeutige Haltung ein. Bei den Parteien können vier als Befürworter und eine (FDP) als Gegnerin bezeichnet werden, wobei sich eine Partei (SVP) nicht klar zuordnen lässt. Schliesslich positionieren sich von den teilnehmenden Verbänden und weiteren interessierten Organisationen 19 für und 14 gegen die Vorlage.

Die WAK-N hat den Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens an ihrer Sitzung vom 13. und 14. Mai 2013 zur Kenntnis genommen und zur Publikation freigegeben. Ebenso hat sie sich über den positiven Mitbericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) informieren lassen. Schliesslich hat die Kommission den Gesetzesvorentwurf ein letztes Mal beraten und in der Gesamtabstimmung mit 19 zu 6 Stimmen angenommen.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2013 wurde der Erlassentwurf dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreitet. Der Nationalrat wird die Vorlage voraussichtlich in der Herbstsession 2013 behandeln.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat bekennt sich ausdrücklich zum dualen Berufsbildungssystem der Schweiz. Zugleich ist er sich aber auch der in verschiedenen übergeordneten Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen eingegangenen Verpflichtungen der Schweiz bewusst, welche die Diskriminierung ausländischer Anbieterinnen und Anbieter verbieten.

Daher beantragt der Bundesrat, den Antrag der Kommissionsmehrheit abzuändern: Anstelle der Aufnahme der Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung in den Katalog der Zuschlagskriterien nach Artikel 21 Absatz 1 BöB ist ein neuer Artikel 21 Absatz 1bis BöB aufzunehmen (der bisherige Absatz 1bis wird zu Absatz 1ter), mit folgendem Wortlaut: Der Bundesrat regelt das zusätzliche Zuschlagskriterium der Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung für alle öffentlichen Beschaffungen; davon ausgenommen sind Beschaffungen, zu denen völkerrechtliche Verträge ausländischen Anbietern einen nichtdiskriminierenden Zugang gewährleisten.

1bis

1ter

(neu) Bisheriger Absatz 1bis

Seinen Antrag stützt der Bundesrat auf die nachfolgend genannten Gründe: Das BöB dient der Umsetzung der Verpflichtungen der Schweiz aus dem GPA, aus dem Abkommen vom 21. Juni 19996 zwischen der Schweiz und der EU über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens sowie aus den EFTA-Freihandelsabkommen in nationales Recht. Die Grundsätze der Nicht-Diskriminierung, der Transparenz der Vergabeverfahren und der wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Gelder sind das Rückgrat der geltenden internationalen Regeln und in der nationalen Rechtsetzung uneingeschränkt abzubilden.

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SR 0.172.052.68

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Nach Ansicht des Bundesrates hat das Zuschlagskriterium der «Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung» keinen direkten Bezug zur nachgefragten Leistung, weshalb dieses Kriterium im internationalen Kontext ­ d. h. bei Beschaffungen, die den internationalen Abkommen unterstehen ­ gegenüber Staaten, die kein duales Ausbildungssystem kennen, als diskriminierend zu betrachten ist.

Entsprechend argumentiert auch die Kommission für das Beschaffungswesen BundKantone (KBBK), die in einer Empfehlung zum Schluss gekommen ist, dass eine Kodifizierung des Kriteriums mit den staatsvertraglichen Verpflichtungen der Schweiz nicht vereinbar ist und im Staatsvertragsbereich nicht zur Anwendung kommen kann.

Zentral ist der Grundsatz der Nichtdiskriminierung für den Bundesrat nicht zuletzt wegen der Bedeutung des gleichberechtigten Zugangs zu öffentlichen Beschaffungen im Ausland für die Schweizer Exportwirtschaft. Sollte die Diskriminierung ausländischer Anbieter in der Schweiz gesetzlich verankert werden, würde die schweizerische Regierung ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie bei Marktzugangsproblemen von Schweizer Anbietern im Ausland intervenieren muss. Dazu kommt, dass die Vertragspartner der Schweiz ihrerseits den Zugang zu ihren Beschaffungsmärkten einschränken oder gar nicht gewähren könnten. Da diese Beschaffungsmärkte viel umfangreicher als der schweizerische Markt sind, würde dies Arbeits- und auch Ausbildungsplätze für Lernende in der Schweiz gefährden.

Die Praxis verschiedener Kantone geht dahin, Zuschlagskriterien, die jenem der «Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung» entsprechen, nur für Beschaffungen anzuwenden, welche nicht den internationalen Abkommen unterstehen. Andere Kantone sehen die Berücksichtigung des Lehrlingskriteriums nur bei gleichwertigen Angeboten vor.

Wie in der Wachstumspolitik 2012­2015 des Bundesrates anvisiert, erfolgt gegenwärtig eine parallele Revision des Beschaffungsrechts des Bundes und der Kantone aufgrund der GPA-Revision 2012. Ziel der parallelen Revision ist es, das revidierte GPA inhaltlich zwischen dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht so weit als möglich harmonisiert in nationales Recht umzusetzen. Darüber hinaus sollen die Beschaffungsordnungen des Bundes und der Kantone so weit als möglich inhaltlich aneinander angeglichen
werden. Die Erarbeitung der entsprechenden Revisionstexte erfolgt durch eine paritätisch aus Vertreterinnen und Vertretern der Kantone und des Bundes zusammengesetzten Arbeitsgruppe. Auch nach deren Ansicht ist die Anwendbarkeit des Kriteriums der «Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung» nur für Beschaffungen ausserhalb der internationalen Abkommen vertretbar.

Vor diesem Hintergrund beantragt der Bundesrat die erwähnte Regelung im BöB.

Mit diesem Vorschlag wird das von der Kommissionsmehrheit der WAK-N gewünschte Bekenntnis zum dualen Bildungssystem auf Gesetzesstufe bekräftigt. Im Weiteren entspricht der Vorschlag dem Anliegen der Kommissionsmehrheit, das Kriterium der «Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung» als Zuschlagskriterium aufzunehmen. Zugleich wird aber durch die Ausklammerung der öffentlichen Beschaffungen, die internationalen Abkommen unterliegen, die Verletzung internationaler Bestimmungen vermieden. Der Umstand, dass selbst die Kommissionsmehrheit argumentiert, der überwiegende Anteil der öffentlichen Aufträge betreffe den Staatsvertragsbereich nicht, spricht nach Auffassung des Bundesrates 5460

für die von ihm vorgeschlagene Lösung. Im Weiteren könnte mit einer derartigen Regelung die Harmonisierung des Beschaffungsrechts in der Schweiz unterstützt werden, würde sie doch der beschaffungsrechtlichen Praxis in den Kantonen gerecht werden.

Unter Beachtung aller Gesichtspunkte erachtet der Bundesrat die beantragte Regelung als ausgewogen.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt: 1. Streichung des Zuschlagskriteriums der Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung in Artikel 21 Absatz 1 BöB.

2. Folgende Änderung des BöB: 1bis Der Bundesrat regelt das zusätzliche Zuschlagskriterium der Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung für alle öffentlichen Beschaffungen; davon ausgenommen sind Beschaffungen, zu denen völkerrechtliche Verträge ausländischen Anbietern einen nichtdiskriminierenden Zugang gewährleisten.

1ter (neu) Bisheriger Absatz 1bis

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