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Bundesratsb eschluss über

die Beschwerde des Samuel Bill in Biel, betreffend Verletzung von Art. 53, Alinea 2, der Bundesverfassung.

(Vom

24. August 1897.)

Der schweizerische

Bundesrat,

nach Einsicht der Beschwerde des Samuel Bill in Biel, betreffend Verletzung von Art. 53, Alinea 2, der Bundesverfassung ; eines Berichtes des Justiz- und Polizeidepartements,

A.

In thatsächlicher Beziehung: 1. Unterm 16. November 1896 erhob Samuel Bill, Optiker in Biel, beim Bundesrat Beschwerde über eine Verletzung von Art. 53, Alinea 2, der Bundesverfassung, welche bei Anlaß der Beerdigung seines am 26./27. Oktober 1896 in Billens, Kantons Freiburg, verstorbenen Vaters begangen worden sei.

In der Beschwerde führte der Beschwerdeführer folgendes an : Vater Bill, der während beinahe vierzig Jahren in Billens wohnhaft gewesen war, gehörte der reformierten Kirche an. Sofort nach dessen Ableben stellte der Sohn, Samuel Bill, beim Gemeindepräsidenten François Demierre das Begehren, daß sein Vater auf dem Gemeindekirchhofe begraben werde und daß am Begräbnistage , der auf den 29. Oktober nachmittags angesetzt war, in üblicher Weise die Kirchenglocken geläutet würden. Der Gemeindepräsident erteilte die Ermächtigung zur Beisetzung auf dem Kirchhofe, schlug es indessen ab, die Glocken läuten zu lassen.

99 Am 29. früh morgens setzte Samuel Bill den Regierungsstatthalter des Bezirks Glane in Romont, d. h. dessen Stellvertreter, von dieser "Weigerung in Kenntnis. Nach Einholung der Weisungen der Freiburger Regierung erließ der Sekretär der Rcgierungsstatthalterei an die Gemeindebehörde von Billens seinerseits die schriftliche Weisung, das übliche Gloekengeläute anzuordnen. Dieselbe ging dem Gemeindepräsidenten noch am 29. morgens zu. Trotzdem fand die Beerdigung Bills ohne Glockengeläute statt.

Der Gemeindepräsident Demierre soll sogar persönlich in die meisten Häuser gegangen sein und die Bewohner, namentlich die Kinder, ermahnt haben, der Beerdigung nicht beizuwohnen.

In Billens, wie im ganzen Kanton Freiburg, wird eine Beerdigung ohne Glockengeläute nicht als schicklich betrachtet.

Der Rekurrent stellt deshalb beim Bundesrat das Begehren, zuständigen Orts dafür zu sorgen, daß solche Fälle in der Gemeinde Billens nicht mehr vorkommen, und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit für den ihm und seiner Familie gegenüber begangenen Akt der Intoleranz in angemessener Weise Genugthuung erteilt werde.

2. Der Bundesrat übermittelte den Rekurs an die Freiburger Regierung zur Vernehmlassung, mit der Einladung, falls die Ausführungen des Rekurrenten den Thatsachen entsprächen, von Amtes wegen die nötigen Schritte zu thun, um diesem Genugthuung zu verschaffen.

3. Laut Vernehmlassung der Regierung von Freiburg vom 9. Mai 1897 hat Gemeindepräsident Demierre folgende Aufklärung über den Fall gegeben : Bei seiner Weigerung, die Glocken läuten zu lassen, hatte Demierre keineswegs die Absicht, die Familie des Samuel Bill zu verletzen. Er ist vielmehr der Familie sehr freundlich entgegen gekommen, was sich schon daraus ergiebt, daß er, entgegen der gesetzlichen Vorschrift, wonach alle Beerdigungen in fortlaufender Reihenfolge stattfinden sollen, die Aufwerfung des Grabes neben demjenigen eines ändern, vor wenigen Jahren verstorbenen Sohnes Bill gestattete.

Der Gemeindepräsident stellt des entschiedensten in Abrede, daß er, direkt oder indirekt, einen seiner Gemeindeangehörigen davon abgehalten habe, dem Samuel Bill die letzte Ehre zu erweisen.

Wenn er den Schulkindern verbot, als neugierige Zuschauer in der Umgebung des Kirchhofes herumzustehen und ihnen befahl zu Hause zu bleiben, so geschah dies ausschließlich in der Absicht, einer Störung der Cérémonie durch diese Kinder, welche Ferien

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hatten und infolge Vakanz des Lehrerpostens zu jenem Zeitpunkt außer Aufsicht standen, vorzubeugen. · Was die Verweigerung des Glockengeläutes betrifft, so sind schon mehrere Mitglieder der Familie Bill auf dem Kirchhof von Billens begraben worden, ohne daß das Geläute verlangt worden wäre ; im vorliegenden Falle erachtete sich übrigens der Gemeindepräsident Demierre nicht einmal als berechtigt, dasselbe anzuordnen.

Die Glocken sind durch die katholische Pfarrgemeinde des Ortes angeschafft und bezahlt worden und haben, wie die Kirche selbst, stets nur für den katholischen Kultus gedient. Es besteht keine Gesetzesbestimmung, die den Eigentümer verpflichten würde, von denselben einen ihrer Zweckbestimmung widersprechenden Gebrauch zu machen. Der von der Bundesbehörde genehmigte Staatsratsbeschluß über die Kirchhofpolizci enthält keine Erwähnung des Glockengeläutes.

Der Staatsrat ist der Ansicht, daß die Erklärungen des Gemeindepräsidenten von dessen aufrichtiger Gesinnung Zeugnis ablegen und gleichzeitig als Genugthuung für die Familie Bill gelten dürfen, deren religiöse Überzeugungen von der Bevölkerung von Billens stets respektiert worden seien.

4. In seiner Replik vom 12. April 1897 erklärt Samuel Bill, durch den von Gemeindepräsident Demierre und der Freiburger Regierung erteilten Aufschluß nicht befriedigt zu sein. Er bestreitet die Richtigkeit der vom Gemeindepräsidenten gemachten Angaben in folgenden Punkten : Die Familie Bill hat kein Gesuch gestellt, daß der Verstorbene neben den übrigen Gliedern der Familien Bill und Perchet beigesetzt werde ; wenn sie sich damit einverstanden erklärte, so geschah dies nur deshalb, weil der Ortspfarror, Dekan Raboud, die Ermächtigung, ein Grab in der laufenden Reihe zu erstellen, nicht erteilt hatte.

Rekurrent erklärt es als notorische Thatsache, daß der Gemeindepräsident Demierre mehrere seiner Gemeindcangehörigen davon abzuhalten gesucht habe, dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Was das Glockengeläute betrifft, so hat die Familie Bill in den früheren Fällen kein bezügliches Begehren gestellt, weil sie glaubte, hierzu nicht berechtigt zu sein, und weil, Irrtum vorbehalten, unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung noch kein Todesfall in der Familie vorgekommen sei. Die Thatsache, daß der Bundesrat das Reglement des Staatsrates vom 25. Januar 1895 über die Kirchhofpolizei genehmigt habe, sei ohne Belang, da das Reglement keine Bestimmung über die Verwendung der öffentlichen

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Glocken bei Beerdigungen enthalte. In Murten und den übrigen protestantischen Gegenden des Kantons werde der Gebrauch der Glocken bei Anlaß von Beerdigungen den Katholiken regelmäßig gestattet ; wenn die Glocken auch den protestantischen Pfarrgemeinden gehörten, so ruhe auf ihnen doch eine öffentlich-rechtliche Servitut zu gunsten der dissidenton Minderheit.

Auch nach Kenntnisnahme von den Erklärungen des Staatsrates von Freiburg hält somit Samuel Bill die in seiner Beschwerde vom 16. November 1896 aufgestellten Klagepunkte aufrecht.

5. Mit Duplik vom 21. Juli 1897 überreicht der Staatsrat des Kantons Freibuig einen zweiten Bericht des Gemeindepräsidenten Demierre, worin dieser neuerdings seine wohlmeinende Absicht hervorhebt und die vom Rekurrenten angeführten Thatsachen bestreitet. Aus dem Civilstandsregister gehe im besonderen hervor, daß zwei Brüder des Samuel Bill nach Inkrafttreten der gegenwärtigen Bundesverfassung auf dem Kirchhofe von Billens beigesetzt worden seien, und daß bei diesen Anlässen das Läuten der Glocken von der Familie Bill nicht gefordert worden sei. Art. 53 der Bundesverfassung spreche übrigens einzig und allein von den Bogräbnisplätzen und der Schicklichkeit der Beerdigung, und lasso den verschiedenen Konfessionen volle Freiheit in der Anwendung ihrer Gebräuche und Ceremonien; er regle den Gebrauch dos Kirchhofes als eines öffentlichen Eigentums, lasse aber das Privateigentum unberührt. Die Kirchenglocken von Billens seien aber nur Privateigentum der dortigen Pfarrgemeinde.

Die Regierung von Freiburg'schließt sich-diesen Ausführungen an und fügt noch bei, die Pfarrgemeinde bilde eine regelrechte, von der politischen Gemeinde getrennte juristische Person und dus freiburgische Gesetz enthalte keinerlei Bestimmung, welche der Gemeinde irgend ein Eigentums- oder Gebrauchsrecht an don Glocken der Pfarrgemeinde übertrüge. Die Glocken in Billens seien demnach ausschließlich für den katholischen Kultus bestimmte Objekte; die Thatsache, daß sie bei Beerdigungen anderer Konfessionen nicht geläutet werden, schließe also nichts Verletzendes für die Andersgläubigen in sich. In den protestantischen Kantonsteilen werde von den Diaspora - Katholiken das Glockcngeläute der protestantischen Kirchen ihres Wohnortes auch nicht in Anspruch genommen.

In Murten bestehe die Übung, mittags
und acht oder neun Uhr abends die Glocken zu läuten ; für die Beerdigungen, welche in der Regel mittags stattfinden, existiere nur dieses Geläute, das rein civilen Charakters sei ; bei Beerdigungen zu ändern Tageszeiten

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werde überhaupt nicht geläutet. Im Kanton Neuenburg werde das Glockengeläute den Anhängern der verschiedenen Konfessionen nur dann bewilligt, wenn es einen ausschließlich civilcn Charakter trage ; in den an den Kanton Freiburg angrenzenden Teilen des Kantons Waadt endlich finde bei Beerdigungen gar kein Glockengeläute statt.

B.

In rechtlicher Beziehung: 1. Der Rekurrent beschwert sich nicht darüber, daß sein Vater außer der Eeihe beerdigt worden sei; er beschränkt sich darauf, in seiner Replik die vom Gemeindepräsidenten Demierre über diesen Punkt gemachten Angaben als unrichtig zu bestreiten.

Die Bundesbehörde bat um so weniger Anlaß, auf diese Frage einzutreten, als der Rekurrent anerkennt, seine Zustimmung dazu erteilt zu haben, daß das Grab neben denjenigen der übrigen Glieder der Familie Bill aufgeworfen werde.

2. Was den gegen den Gemeindepräsidenten Demierre erhobenen Vorwurf anbelangt, er habe verschiedene Personen davon zurückgehalten, dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen, so stehen sich hier zwei widersprechende Behauptungen der Parteien gegenüber. Der Bundesrat ist zur Zeit nicht in der Lage, die Thatsachen festzustellen ; im übrigen ist kein Grund für ihn vorhanden, daran zu. zweifeln, daß der Gemeindepräsident in wohlmeinender Absicht gehandelt habe, als er den Schulkindern verbot, beim Kirchhof herumzustehen.

3. Ob das Glockengeläute bei Anlaß einer Beerdigung Erfordernis einer schicklichen Beerdigung im Sinne der Vorschrift des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung ist, hängt, wie sich aus der konstanten Praxis des Bundesrates ergiebt (vgl. Salis II, Nr. 734, 737, 741), von lokalen oder kantonalen Sitten und Gebräuchen ab. Aus den Erklärungen der Freiburger Regierung und des Gemeindepräsidenten von Billens geht nun unzweifelhaft hervor, daß ein solches Glockengeläute in Billens ortsüblich und gebräuchlich ist, und daß es daher in dieser Gemeinde, wie übrigens in vielen ändern Gemeinden des Kantons Freiburg und der übrigen Schweiz, ohne Verletzung der Vorschrift der Bundesverfassung nicht unterbleiben darf. Wenn aber bisanhin das Glockengeläute in der Regel nur bei Todesfällen in den wenig zahlreichen reformierten Familien der Gemeinde Billens unterblieb, so ergiebt sich aus dieser Thatsache nicht, daß dasselbe eine Kultushandlung für die katholischen, nicht da-

103 gegen für die reformierten Einwohner Billens ist, sondern daß das Unterlassen desselben bei Todesfällen in reformierten Familien die Beerdigung zu einer unschicklichen macht. Denn da das Glockengeläute bei Beerdigungen keineswegs als eine specifisch katholische Kultushandlung angesehen werden kann, so liegt in dem Unterlassen ·desselben bei Protestanten eine Sonderbehandlung der konfessionellen Minderheit, die eine Schlechterstellung gegenüber der katholischen Mehrheit ist, und in der zum Ausdruck kommt, daß den Personen reformierten Glaubensbekenntnisses bei ihrem Tode nicht diejenige Ehrung zu teil werden soll, die ortsüblich und demnach schicklich ist. Es haben daher die Reformierten wie die Katholiken Anspruch auf das Beerdigungsgeläute.

Daß die Kirchenglocken von Billens Privateigentum der katholischen Pfarrgemeinde sind, kann für die geistlichen Behörden keinen Grund bilden, deren Benützung bei der Beerdigung protestantischer Personen zu verweigern, und die bürgerliche Behörde des Rechts nicht berauben, das Glockengeläute zu fordern.

Unterm 9. Juli 1886 hat der Bundesrat auf die gleiche, in einem analogen Falle vom Regierungsrate des Kantons Zug erhobene Einwendung die Antwort erteilt, daß diejenigen Behörden, welche über die Glocken im privatrechtlichen Sinne zu disponieren haben, aus öffentlichrechtlichen Gründen verhalten werden müssen, den Gebrauch derselben bei Beerdigungen zu gestatten. (Salis II,Nr. 737.)

Es hat daher der Gemeindepräsident Demierre mit Unrecht den Gebrauch der Glocken bei Anlaß der Beerdigung des verstorbenen Samuel Bill verweigert.

beschließt: 1. Die Regierung von Freiburg wird eingeladen, dafür zu sorgen, daß Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung in ihrem Kanton Nachachtung finde.

2. Mitteilung dieses Beschlusses an den Staatsrat des Kantons Freiburg und an den Beschwerdeführer.

Bern, den 24. August 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Rutfj.

Der I. Vizekanzler : Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Samuel Bill in Biel, betreffend Verletzung von Art. 53, Alinea 2, der Bundesverfassung. (Vom 24. August 1897.)

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01.09.1897

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