07.081 Botschaft zur Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts (Verlängerung des Bundesbeschlusses) vom 28. September 2007

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Änderung des Bundesbeschlusses über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. September 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2007-0928

7533

Übersicht Der Bundesbeschluss vom 21. Dezember 1995 über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts bildet die rechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit der Schweiz mit den internationalen Ad-hoc-Gerichten, welche die in Ex-Jugoslawien und Ruanda begangenen Kriegsverbrechen verfolgen und die in Sierra Leone verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts ahnden müssen. Die drei Gerichte gehen auf Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (827/1993, 955/1994, 1315/2000) zurück und wurden errichtet, um in den ehemaligen Kriegsgebieten den Frieden wieder herzustellen und das humanitäre Völkerrecht durchzusetzen.

Der Sicherheitsrat sieht vor, dass die beiden Ad-hoc-Gerichte für Ex-Jugoslawien und Ruanda die Arbeiten Ende 2010 einstellen. Ob sich dieser Plan fristgerecht umsetzen lässt, ist allerdings zweifelhaft, zumal wichtige Angeschuldigte noch flüchtig sind. Beim Spezialgerichtshof für Sierra Leone sollen alle Verfahren bis Ende 2009 abgeschlossen sein. Auch hier sind aber Verzögerungen nicht ausgeschlossen.

Der Bundesbeschluss war ursprünglich bis Ende 2003 befristet und wurde vom Parlament auf den 31. Dezember 2008 verlängert. Danach besteht keine gesetzliche Grundlage für die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten mehr.

Als Mitglied der internationalen Gemeinschaft muss die Schweiz die notwendigen Voraussetzungen schaffen, dass die schweren Verbrechen, welche die internationalen Gerichte beurteilen müssen, restlos geahndet und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden können. Diese Verpflichtung gegenüber der Staatengemeinschaft bedingt, dass die Schweiz auch nach 2008 eine Zusammenarbeit mit diesen Gerichten sicherstellen kann. Es drängt sich daher eine Verlängerung der Geltungsdauer des Bundesbeschlusses um fünf Jahre bis zum 31. Dezember 2013 auf.

Zugleich soll die Gelegenheit der Änderung des Bundesbeschlusses dazu benützt werden, entsprechend den Erlassformen der Bundesverfassung von 1999 den Bundesbeschluss in ein Bundesgesetz umzuwandeln sowie zwei kleinere redaktionelle Änderungen am Erlasstext vorzunehmen.

7534

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschloss mit den Resolutionen 827 und 955 (vom 25. Mai 1993 bzw. 8. Nov. 1994) die Schaffung von zwei internationalen Ad-hoc-Gerichten, welche die in den 1990er-Jahren in Ex-Jugoslawien und in Ruanda begangenen schweren Kriegsverbrechen zu verfolgen haben. Mit den beiden Resolutionen wollte der Sicherheitsrat zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Friedens in diesen beiden Regionen beitragen und die wirksame Durchsetzung des humanitären Völkerrechts fördern.

Der Bundesrat entschied, das Statut der Ad-hoc-Gerichte und die beiden Resolutionen gestützt auf Artikel 102 Ziffer 8 der alten Bundesverfassung selbstständig anzuwenden.1 Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten wurden beauftragt, einen dringlichen Bundesbeschluss zur Durchsetzung der Resolutionen auszuarbeiten.

Die Resolutionen auferlegen den Staaten eine Reihe von Pflichten, welche insbesondere die Zusammenarbeit bei der Personenfahndung, die Verhaftung und Übergabe von verdächtigen und angeschuldigten Personen, den Vollzug von Rechtshilfeersuchen sowie die Vollstreckung von Urteilen der beiden internationalen Gerichte betreffen.

Der Bundesrat verabschiedete am 18. Oktober 1995 die Botschaft zum Bundesbeschluss, der die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts regelt.2 Das Parlament genehmigte den Bundesbeschluss am 21. Dezember 1995 und befristete die Geltungsdauer auf Ende 2003.3 Im Rahmen der Schlussbestimmungen im Bundesgesetz vom 22. Juni 2001 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (SR 351.6) verlängerte das Parlament die Geltungsdauer des Bundesbeschlusses bis zum 31. Dezember 2008.4 Der Bundesbeschluss ist auch auf die Zusammenarbeit mit dem Spezialgerichtshof für Sierra Leone anwendbar.5 Der Gerichtshof verfügt über ein ähnliches Statut und vergleichbare Kompetenzen wie die beiden anderen Ad-hoc-Gerichte und wurde geschaffen, um die in Sierra Leone seit November 1996 begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu ahnden. Er geht auf die Resolution 1315 des Sicherheitsrats

1 2 3 4 5

Bundesratsentscheide vom 2. Febr. 1994 und 20. März 1995 BBl 1995 IV 1101 SR 351.20 (Art. 34 Abs. 3) Art. 34 Abs. 4 des Bundesbeschlusses (SR 351.20) Verordnung vom 12. Febr. 2003 über die Ausdehnung des Geltungsbereichs des Bundesbeschlusses über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts auf den Spezialgerichtshof für Sierra Leone, in Kraft seit 1. März 2003 (SR 351.201.11)

7535

(vom 14. Aug. 2000) und auf ein Abkommen zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung von Sierra Leone zurück.6

1.2

Beantragte Änderung

In seiner Resolution 1503 (vom 28. Aug. 2003) forderte der Sicherheitsrat die beiden Gerichte für Ex-Jugoslawien und Ruanda auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um bis 2010 sämtliche Verfahren abgeschlossen zu haben. Die jüngsten Berichte der Gerichte an den Sicherheitsrat7 lassen jedoch erkennen, dass es schwierig sein wird, diesen Plan fristgerecht umzusetzen. Offen ist zudem nach wie vor, wann wichtige Hauptbeschuldigte (insbesondere Radovan Karadzic und Ratko Mladic sowie Félicien Kabuga) gefasst und vor den Gerichten erscheinen werden.

Es ist deshalb damit zu rechnen, dass die Gerichte auch über das Jahr 2010 hinaus tätig sein werden.

Für den Spezialgerichtshof für Sierra Leone ist keine zeitliche Befristung vorgesehen. Der Gerichtshof wird durch Kündigung des Abkommens zwischen den Vereinten Nationen und Sierra Leone aufgehoben, wenn er seine Tätigkeit beendet hat.8 Zurzeit wird ein Abschluss auf Ende 2009 angestrebt. Vor allem hinsichtlich des Verfahrens gegen Charles Taylor, das aus Sicherheitsgründen in Den Haag geführt werden muss, bestehen jedoch einige Unsicherheiten. Weitere Verzögerungen sind nicht ausgeschlossen.

Der Bundesbeschluss, der die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten festlegt, gilt bis Ende 2008. Damit die Schweiz ihre Zusammenarbeit mit den Gerichten für Ex-Jugoslawien und Ruanda und mit dem Spezialgerichtshof für Sierra Leone auch nach 2008 aufrechterhalten kann, rechtfertigt es sich, den Bundesbeschluss um weitere fünf Jahre bis zum 31. Dezember 2013 zu verlängern.

Angenommen, der Bundesbeschluss wird nicht verlängert und tritt Ende 2008 ausser Kraft, hätte die Schweiz keine gesetzliche Grundlage mehr, um die Ad-hoc-Gerichte im Rahmen der internationalen Rechtshilfe zu unterstützen. Weder das Rechtshilfegesetz vom 20. März 19819 noch das Bundesgesetz vom 22. Juni 200110 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof lassen sich ohne Weiteres auf die Zusammenarbeit mit den Ad-hoc-Gerichten anwenden. Der Anwendungsbereich des Rechtshilfegesetzes ist auf die Zusammenarbeit mit Staaten ausgerichtet.

Das Bundesgesetz von 2001 ist auf den Strafgerichtshof zugeschnitten, der eine ständige Einrichtung ist und an die Zusammenarbeit andere Anforderungen stellt als die Ad-hoc-Gerichte.11

6

7

8 9 10 11

Das Übereinkommen über die Errichtung des unabhängigen Spezialgerichtshofs für Sierra Leone wurde am 16. Jan. 2002 unterzeichnet und am 28. März 2002 vom Sicherheitsrat gutgeheissen (Resolution 1400).

Berichte des Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs für Ex-Jugoslawien an den Sicherheitsrat vom 15. Nov. 2006 (S/2006/898) sowie des Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs für Ruanda an den Sicherheitsrat vom 30. Nov. 2006 (S/2006/951) Art. 23 des Abkommens vom 16. Jan. 2002 zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung von Sierra Leone SR 351.1 SR 351.6 Siehe dazu: BBl 2001 391 Ziff. 3.3.1

7536

1.3

Begründung der vorgeschlagenen Änderung

Als Mitglied der internationalen Gemeinschaft muss die Schweiz die notwendigen Voraussetzungen schaffen, dass die schweren Verbrechen, welche die internationalen Gerichte beurteilen müssen, restlos geahndet und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden können. Diese Verpflichtung gegenüber der Staatengemeinschaft bedingt, dass der Bundesbeschluss, der die Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit mit diesen Gerichten bildet, nach 2008 weitergelten kann. Eine Verlängerung der Geltungsdauer von fünf Jahren scheint angemessen.

1.4

Verzicht auf eine Vernehmlassung

Der Bundesbeschluss war seinerzeit in der Vernehmlassung.12 Für die beantragte Änderung wurde auf eine Vernehmlassung im Sinne von Artikel 2 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200513 verzichtet. Es handelt sich um eine geringfügige Änderung, die keine Auswirkungen auf den Inhalt des Bundesbeschlusses hat. Die Vorlage liegt zudem auf der Linie der bundesrätlichen Sicherheitspolitik. Die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten dient der Verbrechensbekämpfung und der Durchsetzung des humanitären Völkerrechts.

2

Erläuterung der geänderten Bestimmungen

2.1

Artikel 34 Absatz 5

Der Bundesbeschluss war ursprünglich bis Ende 2003 befristet. Er wurde vom Parlament auf Ende 2008 verlängert.14 Es zeichnet sich ab, dass die Verfahren vor den Ad-hoc-Gerichten noch einige Jahre dauern werden. Um auch nach 2008 eine Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zu gewährleisten, rechtfertigt es sich, den Bundesbeschluss nochmals um fünf Jahre zu verlängern.

2.2

Redaktionelle Anpassungen in zwei weiteren Artikeln

Der Bundesbeschluss enthält in den Artikeln 18 Absatz 3 und 31 Absatz 1 Verweise auf Bestimmungen im Strafgesetzbuch (StGB)15, die nicht mehr mit dem geltenden Recht übereinstimmen. Die aufgeführten Bestimmungen entsprechen heute Artikel 342 bzw. 356­359 StGB.16 Dies bedingt eine redaktionelle Anpassung des Bundesbeschlusses.

12 13 14 15 16

BBl 1995 IV 1101, Ziff. 16 SR 172.061 Art. 59 Ziff. 2 des BG vom 22. Juni 2001 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, in Kraft seit 1. Juli 2002 (SR 351.6) SR 311.0 Fassung gemäss Ziff. III des BG vom 13. Dez. 2002, in Kraft seit 1. Jan. 2007 (AS 2006 3459 3535; BBl 1999 1979)

7537

2.3

Umwandlung in ein Bundesgesetz

Die Erlassform des Bundesbeschlusses ­ ein allgemeinverbindlicher Bundesbeschluss ­ geht auf das frühere Recht zurück und existiert nicht mehr. Die Änderung des Bundesbeschlusses wird zum Anlass genommen, um diesen an eine der heutigen Erlassformen anzupassen. Da es sich beim allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss um einen rechtsetzenden Erlass handelt, der dem Referendum unterstellt war, wird er gestützt auf Artikel 164 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)17 in ein befristetes Bundesgesetz umgewandelt (vgl. Ziff. 5.2).

Die neue Erlassform hat gesetzestechnische Anpassungen beim bisherigen Titel und bei den Schlussbestimmungen (Art. 34 Abs. 1) zur Folge.

3

Auswirkungen

Aufgrund der heutigen Einschätzung dürfte die Vorlage zu keinen finanziellen oder personellen Mehraufwendungen führen. Die mit der Umsetzung des Bundesbeschlusses (neu: Bundesgesetzes) befasste Zentralstelle im Bundesamt für Justiz wird die Ersuchen der internationalen Gerichte um Zusammenarbeit im Rahmen der bestehenden Ressourcen erledigen.

Bei den Kantonen ist aufgrund der bisherigen Erfahrung kaum mit einer Mehrbelastung der Rechtshilfebehörden zu rechnen. Die eingegangenen Ersuchen der internationalen Gerichte wurden bis jetzt weitgehend von den Bundesbehörden erledigt.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003-200718 nicht vorgesehen. Die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts in Kriegsgebieten sind Eckpfeiler der schweizerischen Politik, welche die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten umfasst. Mit der Verlängerung des Bundesbeschlusses leistet die Schweiz einen aktiven Beitrag zur Wahrung und Förderung von Sicherheit und Frieden in den ehemaligen Kriegsgebieten.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 54 Absatz 1 BV ist der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig. Die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung schwerwiegender Verstösse gegen das Völkerrecht ist ein Bestandteil der schweizerischen Aussenpolitik. Der Bundesbeschluss (neu: Bundesgesetz) überführt die wesentlichen Grundsätze dieser Zusammenarbeit in die nationale Rechtsordnung.

17 18

SR 101 BBl 2004 1149

7538

5.2

Erlassform

Die Erlassform des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses ist in der Bundesverfassung nicht mehr vorgesehen. Artikel 163 BV zählt die neuen Erlassformen abschliessend auf. Rechtsetzende Erlasse der Bundesversammlung müssen in der Form eines Bundesgesetzes oder einer Verordnung ergehen. Für die Änderung des Bundesbeschlusses kommt einzig die Form des Bundesgesetzes in Betracht (Art. 164 Abs. 1). Der Erlass enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, indem er eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten begründet, die sich auf die Rechte und Pflichten von Einzelpersonen auswirkt.

Der beantragte Änderungserlass ist nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV dem fakultativen Referendum unterstellt.

7539

7540