Ablauf der Referendumsfrist: 12. Juli 2007

Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG) vom 23. März 2007

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 123 und 124 der Bundesverfassung1, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 9. November 20052, beschliesst:

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen Art. 1

Grundsätze

Jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Opfer), hat Anspruch auf Unterstützung nach diesem Gesetz (Opferhilfe).

1

Anspruch auf Opferhilfe haben auch der Ehegatte oder die Ehegattin des Opfers, seine Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahestehen (Angehörige).

2

3

Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Täter oder die Täterin: a.

ermittelt worden ist;

b.

sich schuldhaft verhalten hat;

c.

vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.

Art. 2

Formen der Opferhilfe

Die Opferhilfe umfasst:

1 2

a.

Beratung und Soforthilfe;

b.

längerfristige Hilfe der Beratungsstellen;

c.

Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter;

d.

Entschädigung;

e.

Genugtuung;

SR 101 BBl 2005 7165

2004-1159

2299

Opferhilfegesetz

f.

Befreiung von Verfahrenskosten;

g.

besonderen Schutz und besondere Rechte im Strafverfahren.

Art. 3 1

Örtlicher Geltungsbereich

Opferhilfe wird gewährt, wenn die Straftat in der Schweiz begangen worden ist.

Ist die Straftat im Ausland begangen worden, so werden die Leistungen der Beratungsstellen unter den in diesem Gesetz genannten besonderen Bedingungen gewährt (Art. 17); Entschädigungen und Genugtuungen werden keine gewährt.

2

Art. 4

Subsidiarität der Opferhilfe

Leistungen der Opferhilfe werden nur endgültig gewährt, wenn der Täter oder die Täterin oder eine andere verpflichtete Person oder Institution keine oder keine genügende Leistung erbringt.

1

Wer Kostenbeiträge für die längerfristige Hilfe Dritter, eine Entschädigung oder eine Genugtuung beansprucht, muss glaubhaft machen, dass die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt sind, es sei denn, es sei ihm oder ihr angesichts der besonderen Umstände nicht zumutbar, sich um Leistungen Dritter zu bemühen.

2

Art. 5

Unentgeltliche Leistungen

Die Beratung, die Soforthilfe und die von den Beratungsstellen erbrachte längerfristige Hilfe sind für das Opfer und seine Angehörigen unentgeltlich.

Art. 63

Berücksichtigung der Einnahmen bei den übrigen Leistungen

Anspruch auf Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter und auf Entschädigung besteht nur, wenn die anrechenbaren Einnahmen des Opfers oder seiner Angehörigen das Vierfache des Höchstbetrags für den allgemeinen Lebensbedarf nach Artikel 3b Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 19. März 19654 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) nicht übersteigen.

1

Die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person berechnen sich nach Artikel 3c ELG; massgeblich sind die voraussichtlichen Einnahmen nach der Straftat.

2

Die Genugtuung wird unabhängig von den Einnahmen der anspruchsberechtigten Person ausgerichtet.

3

Art. 7

Übergang von Ansprüchen auf den Kanton

Hat ein Kanton gestützt auf dieses Gesetz Opferhilfe geleistet, so gehen die Ansprüche für Leistungen gleicher Art, die dem Opfer oder dessen Angehörigen auf

1

3 4

s. Art. 49 (Koordination mit dem ELG) SR 831.30 (BBl 2006 8389)

2300

Opferhilfegesetz

Grund der Straftat zustehen, im Umfang der kantonalen Leistungen von der anspruchsberechtigten Person auf den Kanton über.

Diese Ansprüche haben Vorrang vor den verbleibenden Ansprüchen der anspruchsberechtigten Person sowie der Rückgriffsansprüche Dritter.

2

Der Kanton verzichtet darauf, seinen Anspruch gegenüber dem Täter oder der Täterin geltend zu machen, wenn dadurch schützenswerte Interessen des Opfers oder seiner Angehörigen oder die Wiedereingliederung des Täters oder der Täterin gefährdet würden.

3

Art. 8 1

Information über die Opferhilfe und Meldung

Die Polizei informiert das Opfer bei dessen erster Einvernahme über: a.

die Adressen und die Aufgaben der Beratungsstellen;

b.

die Möglichkeit, verschiedene Opferhilfeleistungen zu beanspruchen;

c.

die Frist für die Einreichung von Gesuchen um Entschädigung und Genugtuung.

Sie meldet Name und Adresse des Opfers einer Beratungsstelle, sofern dieses damit einverstanden ist.

2

Eine in der Schweiz wohnhafte Person, die im Ausland Opfer einer Straftat geworden ist, kann sich an eine schweizerische Vertretung oder an die mit dem schweizerischen konsularischen Schutz betraute Stelle wenden. Diese Stellen informieren das Opfer im Sinne von Absatz 1 und melden Name und Adresse des Opfers einer Beratungsstelle, sofern dieses damit einverstanden ist.

3

4

Die Absätze 1­3 finden auf Angehörige des Opfers sinngemäss Anwendung.

2. Kapitel: Leistungen der Beratungsstellen 1. Abschnitt: Beratungsstellen Art. 9

Angebot

Die Kantone sorgen dafür, dass fachlich selbstständige öffentliche oder private Beratungsstellen zur Verfügung stehen. Dabei tragen sie den besonderen Bedürfnissen verschiedener Opferkategorien Rechnung.

1

2

Sie können gemeinsame Beratungsstellen betreiben.

Art. 10

Akteneinsicht

Die Beratungsstellen können Einsicht nehmen in Akten von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten aus Verfahren, an denen das Opfer oder seine Angehörigen teilnehmen, sofern diese ihre Zustimmung erteilt haben.

1

2301

Opferhilfegesetz

Das Akteneinsichtsrecht darf den Beratungsstellen nur so weit verweigert werden, als dies gemäss massgebendem Prozessrecht auch gegenüber der geschädigten Person zulässig wäre.

2

Art. 11

Schweigepflicht

Personen, die für eine Beratungsstelle arbeiten, haben über ihre Wahrnehmungen gegenüber Behörden und Privaten zu schweigen. Die Schweigepflicht gilt auch nach Beendigung dieser Mitarbeit.

1

Die Schweigepflicht ist aufgehoben, wenn die beratene Person damit einverstanden ist.

2

Ist die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität eines minderjährigen Opfers oder einer anderen unmündigen Person ernsthaft gefährdet, so kann die Beratungsstelle die Vormundschaftsbehörde informieren oder bei der Strafverfolgungsbehörde Anzeige erstatten.

3

Wer die Schweigepflicht verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

4

2. Abschnitt: Hilfe der Beratungsstellen und Kostenbeiträge Art. 12

Beratung

Die Beratungsstellen beraten das Opfer und seine Angehörigen und unterstützen sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte.

1

Erhalten die Beratungsstellen eine Meldung nach Artikel 8 Absatz 2 oder 3, so nehmen sie mit dem Opfer oder seinen Angehörigen Kontakt auf.

2

Art. 13

Soforthilfe und längerfristige Hilfe

Die Beratungsstellen leisten dem Opfer und seinen Angehörigen sofort Hilfe für die dringendsten Bedürfnisse, die als Folge der Straftat entstehen (Soforthilfe).

1

Sie leisten dem Opfer und dessen Angehörigen soweit nötig zusätzliche Hilfe, bis sich der gesundheitliche Zustand der betroffenen Person stabilisiert hat und bis die übrigen Folgen der Straftat möglichst beseitigt oder ausgeglichen sind (längerfristige Hilfe).

2

Die Beratungsstellen können die Soforthilfe und die längerfristige Hilfe durch Dritte erbringen lassen.

3

Art. 14

Umfang der Leistungen

Die Leistungen umfassen die angemessene medizinische, psychologische, soziale, materielle und juristische Hilfe in der Schweiz, die als Folge der Straftat notwendig geworden ist. Die Beratungsstellen besorgen dem Opfer oder seinen Angehörigen bei Bedarf eine Notunterkunft.

1

2302

Opferhilfegesetz

Eine Person mit Wohnsitz im Ausland, die in der Schweiz Opfer einer Straftat wurde, hat zudem Anspruch auf Kostenbeiträge an die Heilungskosten am Wohnsitz.

2

Art. 15

Zugang zu den Beratungsstellen

Die Kantone sorgen dafür, dass das Opfer und seine Angehörigen innert angemessener Frist Soforthilfe erhalten können.

1

Die Leistungen der Beratungsstellen können unabhängig vom Zeitpunkt der Begehung der Straftat in Anspruch genommen werden.

2

Das Opfer und seine Angehörigen können sich an eine Beratungsstelle ihrer Wahl wenden.

3

Art. 165

Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter

Die Kosten für längerfristige Hilfe Dritter werden wie folgt gedeckt: a.

ganz, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person den doppelten Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nicht übersteigen;

b.

anteilsmässig, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person zwischen dem doppelten und dem vierfachen Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf liegen.

3. Abschnitt: Straftat im Ausland Art. 17 1

Bei einer Straftat im Ausland haben Anspruch auf Hilfe nach diesem Kapitel: a.

das Opfer, wenn es im Zeitpunkt der Straftat und im Zeitpunkt der Gesuchstellung Wohnsitz in der Schweiz hatte;

b.

die Angehörigen des Opfers, wenn sowohl sie als auch das Opfer im Zeitpunkt der Straftat und im Zeitpunkt der Gesuchstellung Wohnsitz in der Schweiz hatten.

Hilfe wird nur geleistet, wenn der Staat, in dem die Straftat begangen wurde, keine oder keine genügenden Leistungen erbringt.

2

5

s. Art. 49 (Koordination mit dem ELG)

2303

Opferhilfegesetz

4. Abschnitt: Kostenverteilung zwischen den Kantonen Art. 18 Ein Kanton, der Leistungen nach diesem Kapitel zu Gunsten von Personen mit Wohnsitz in einem anderen Kanton erbringt, erhält von diesem eine Abgeltung.

1

Sofern diese Abgeltungen nicht im Rahmen einer interkantonalen Regelung erfolgen, gelten folgende Grundsätze: Der Wohnsitzkanton leistet Pauschalbeiträge an den leistungserbringenden Kanton. Berechnungsbasis ist der gesamte Aufwand der Kantone für die Leistungen nach diesem Kapitel im Verhältnis zur Zahl der Personen, die diese Opferhilfeleistungen erhalten haben.

2

3. Kapitel: Entschädigung und Genugtuung durch den Kanton 1. Abschnitt: Entschädigung Art. 19

Anspruch

Das Opfer und seine Angehörigen haben Anspruch auf eine Entschädigung für den erlittenen Schaden infolge Beeinträchtigung oder Tod des Opfers.

1

Der Schaden wird nach den Artikeln 45 (Schadenersatz bei Tötung) und 46 (Schadenersatz bei Körperverletzung) des Obligationenrechts6 festgelegt. Vorbehalten bleiben die Absätze 3 und 4.

2

Nicht berücksichtigt werden Sachschaden sowie Schaden, welcher Leistungen der Soforthilfe oder der längerfristigen Hilfe nach Artikel 13 auslösen kann.

3

Haushaltschaden und Betreuungsschaden werden nur berücksichtigt, wenn sie zu zusätzlichen Kosten oder zur Reduktion der Erwerbstätigkeit führen.

4

Art. 207

Festsetzung

Leistungen, welche die gesuchstellende Person von Dritten als Schadenersatz erhalten hat, werden für die Berechnung der Entschädigung auf den Schaden angerechnet.

1

2

6 7

Die Entschädigung deckt den Schaden: a.

ganz, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person den Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nicht übersteigen;

b.

anteilsmässig, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person zwischen dem einfachen und dem vierfachen Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf liegen.

SR 220 s. Art. 49 (Koordination mit dem ELG)

2304

Opferhilfegesetz

Die Entschädigung beträgt höchstens 120 000 Franken; keine Entschädigung wird ausgerichtet, wenn sie weniger als 500 Franken betragen würde.

3

4

Die Entschädigung kann in mehreren Teilzahlungen ausgerichtet werden.

Art. 21

Vorschuss

Die zuständige kantonale Behörde gewährt einen Vorschuss, wenn: a.

die anspruchsberechtigte Person sofortige finanzielle Hilfe benötigt; und

b.

die Folgen der Straftat kurzfristig nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen sind.

2. Abschnitt: Genugtuung Art. 22

Anspruch

Das Opfer und seine Angehörigen haben Anspruch auf eine Genugtuung, wenn die Schwere der Beeinträchtigung es rechtfertigt; die Artikel 47 und 49 des Obligationenrechts8 sind sinngemäss anwendbar.

1

2

Der Anspruch auf Genugtuung ist nicht vererblich.

Art. 23

Festsetzung

1

Die Genugtuung wird nach der Schwere der Beeinträchtigung bemessen.

2

Sie beträgt höchstens:

3

a.

70 000 Franken für das Opfer;

b.

35 000 Franken für Angehörige.

Genugtuungsleistungen Dritter werden abgezogen.

3. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmungen Art. 24

Gesuch

Wer Anspruch auf eine Entschädigung oder Genugtuung geltend machen oder einen Vorschuss auf Entschädigung erhalten will, muss bei der zuständigen kantonalen Behörde ein Gesuch stellen.

Art. 25

Fristen

Das Opfer und seine Angehörigen müssen das Gesuch um Entschädigung und Genugtuung innert fünf Jahren nach der Straftat oder nach Kenntnis der Straftat einreichen; andernfalls verwirken die Ansprüche.

1

8

SR 220

2305

Opferhilfegesetz

2

Das Opfer kann bis zum vollendeten 25. Lebensjahr ein Gesuch stellen: a.

bei Straftaten nach Artikel 97 Absatz 2 des Strafgesetzbuches9 und Artikel 55 Absatz 2 des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 192710;

b.

bei versuchtem Mord an einem Kind unter 16 Jahren.

Haben das Opfer oder seine Angehörigen in einem Strafverfahren vor Ablauf der Fristen nach Absatz 1 oder 2 Zivilansprüche geltend gemacht, so können sie innert einem Jahr ab endgültigem Entscheid über die Zivilansprüche oder die Einstellung des Strafverfahrens ein Gesuch um Entschädigung und Genugtuung stellen.

3

Art. 26 1

Zuständiger Kanton

Zuständig ist der Kanton, in welchem die Straftat begangen worden ist.

Ist die Straftat an mehreren Orten ausgeführt worden oder ist der Erfolg an mehreren Orten eingetreten, so ist zuständig:

2

a.

der Kanton, in dem die Strafuntersuchung zuerst angehoben wurde;

b.

falls keine Strafuntersuchung angehoben wurde: der Wohnsitzkanton der anspruchsberechtigten Person;

c.

falls keine Strafuntersuchung angehoben wurde und die anspruchsberechtigte Person über keinen Wohnsitz in der Schweiz verfügt: der Kanton, in dem das erste Gesuch um Entschädigung oder Genugtuung gestellt wurde.

Art. 27

Herabsetzung oder Ausschluss der Entschädigung und der Genugtuung

Die Entschädigung und die Genugtuung des Opfers können herabgesetzt oder ausgeschlossen werden, wenn das Opfer zur Entstehung oder zur Verschlimmerung der Beeinträchtigung beigetragen hat.

1

Die Entschädigung und die Genugtuung von Angehörigen des Opfers können herabgesetzt oder ausgeschlossen werden, wenn diese oder das Opfer zur Entstehung oder zur Verschlimmerung der Beeinträchtigung beigetragen haben.

2

Die Genugtuung kann herabgesetzt werden, wenn die anspruchsberechtigte Person Wohnsitz im Ausland hat und die Höhe der Genugtuung auf Grund der Lebenshaltungskosten am Wohnsitz unverhältnismässig wäre.

3

Art. 28

Zinsen

Für die Entschädigung und die Genugtuung werden keine Zinsen geschuldet.

Art. 29

Verfahren

Die Kantone sehen ein einfaches und rasches Verfahren vor. Ein Gesuch um Vorschuss auf Entschädigung wird auf Grund einer summarischen Prüfung des Entschädigungsgesuchs beurteilt.

1

9 10

SR 311.0 SR 321.0

2306

Opferhilfegesetz

2

Die zuständige kantonale Behörde stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest.

Die Kantone bestimmen eine einzige, von der Verwaltung unabhängige Beschwerdeinstanz; diese hat freie Überprüfungsbefugnis.

3

4. Kapitel: Befreiung von Verfahrenskosten Art. 30 Für ihre Verfahren betreffend die Gewährung von Beratung, Soforthilfe, längerfristiger Hilfe, Entschädigung sowie Genugtuung, erheben die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden vom Opfer und seinen Angehörigen keine Kosten.

1

2

Vorbehalten bleibt die Kostenauflage bei mutwilliger Prozessführung.

Das Opfer und seine Angehörigen müssen die Kosten für einen unentgeltlichen Rechtsbeistand nicht zurückerstatten.

3

5. Kapitel: Finanzielle Leistungen und Aufgaben des Bundes Art. 31

Ausbildung

Der Bund gewährt Finanzhilfen zur Förderung der Fachausbildung des Personals der Beratungsstellen und der mit der Opferhilfe Betrauten.

1

Er trägt den besonderen Bedürfnissen bestimmter Opferkategorien Rechnung, insbesondere den Bedürfnissen minderjähriger Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität.

2

Art. 32

Ausserordentliche Ereignisse

Erwachsen einem Kanton infolge ausserordentlicher Ereignisse besonders hohe Aufwendungen, so kann der Bund ihm Abgeltungen gewähren.

1

Im Falle ausserordentlicher Ereignisse koordiniert der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen soweit nötig die Tätigkeit der Beratungsstellen und der zuständigen kantonalen Behörden.

2

Art. 33

Evaluation

Der Bundesrat sorgt dafür, dass Zweckmässigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Massnahmen nach diesem Gesetz periodisch überprüft werden.

2307

Opferhilfegesetz

6. Kapitel: Besonderer Schutz und besondere Rechte im Strafverfahren 1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 34

Persönlichkeitsschutz des Opfers

Die Behörden wahren die Persönlichkeitsrechte des Opfers in allen Abschnitten des Strafverfahrens.

1

Behörden und Private dürfen ausserhalb eines öffentlichen Gerichtsverfahrens die Identität des Opfers nur bekannt geben, wenn dies im Interesse der Strafverfolgung notwendig ist oder das Opfer zustimmt.

2

Das Gericht schliesst die Öffentlichkeit von den Verhandlungen aus, wenn überwiegende Interessen des Opfers dies erfordern.

3

Die Behörden vermeiden eine Begegnung des Opfers mit der beschuldigten Person, wenn das Opfer dies verlangt. In diesem Fall tragen sie dem Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör in anderer Weise Rechnung. Eine Gegenüberstellung kann angeordnet werden, wenn der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann oder wenn ein überwiegendes Interesse der Strafverfolgung sie zwingend erfordert.

4

Art. 35

Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität

Das Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität kann verlangen, dass: a.

es in allen Verfahrensstadien von Angehörigen seines Geschlechts einvernommen wird;

b.

dem urteilenden Gericht wenigstens eine Person seines Geschlechts angehört;

c.

eine allfällige Übersetzung der Befragung durch eine Person des gleichen Geschlechts erfolgt, wenn dies ohne ungebührliche Verzögerung des Verfahrens möglich ist;

d.

eine Gegenüberstellung gegen seinen Willen nur angeordnet wird, wenn der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann;

e.

das Gericht die Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausschliesst.

Art. 36

Beistand und Aussageverweigerung

Wird das Opfer als Zeuge, Zeugin oder Auskunftsperson befragt, so kann es sich durch eine Vertrauensperson begleiten lassen.

1

2

Es kann die Aussage zu Fragen verweigern, die seine Intimsphäre betreffen.

2308

Opferhilfegesetz

Art. 37 1

Verfahrensrechte

Das Opfer kann sich am Strafverfahren beteiligen. Es kann insbesondere: a.

seine Zivilansprüche geltend machen;

b.

den Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wird;

c.

den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie die beschuldigte Person, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann.

Die Behörden informieren das Opfer in allen Verfahrensabschnitten über seine Rechte. Sie teilen ihm Entscheide und Urteile auf Verlangen unentgeltlich mit.

2

Art. 38

Zivilansprüche

Solange die beschuldigte Person nicht freigesprochen oder das Verfahren nicht eingestellt ist, entscheidet das Strafgericht auch über die Zivilansprüche des Opfers.

1

Das Gericht kann vorerst nur im Strafpunkt urteilen und die Zivilansprüche später behandeln.

2

Würde die vollständige Beurteilung der Zivilansprüche einen unverhältnismässigen Aufwand erfordern, so kann das Strafgericht die Ansprüche nur dem Grundsatz nach entscheiden und das Opfer im Übrigen an das Zivilgericht verweisen. Ansprüche von geringer Höhe beurteilt es jedoch nach Möglichkeit vollständig.

3

Die Kantone können für Zivilansprüche im Strafmandatsverfahren sowie im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche abweichende Bestimmungen erlassen.

4

Art. 39

Ansprüche der Angehörigen

Für die Angehörigen des Opfers, denen zivilrechtliche Ansprüche gegenüber dem Täter oder der Täterin zustehen, gelten die Artikel 34­38 sinngemäss.

Art. 40

Militärstrafprozess

Für Verfahren nach dem Militärstrafprozess vom 23. März 197911 finden dessen Bestimmungen über den besonderen Schutz und die besonderen Rechte der Opfer und ihrer Angehörigen Anwendung.

11

SR 322.1

2309

Opferhilfegesetz

2. Abschnitt: Besondere Bestimmungen zum Schutz von Kindern Art. 41

Kind

Kind im Sinne dieses Abschnittes ist das Opfer, das im Zeitpunkt der Eröffnung des Strafverfahrens weniger als 18 Jahre alt ist.

Art. 42

Gegenüberstellung von Kind und beschuldigter Person

Bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität eines Kindes dürfen die Behörden das Opfer der beschuldigten Person nicht gegenüberstellen.

1

Bei anderen Straftaten ist eine Gegenüberstellung ausgeschlossen, wenn diese für das Kind zu einer schweren psychischen Belastung führen könnte.

2

Vorbehalten bleibt die Gegenüberstellung, wenn der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann.

3

Art. 43

Einvernahme des Kindes

Das Kind darf während des ganzen Verfahrens in der Regel nicht mehr als zweimal einvernommen werden.

1

2

Die erste Einvernahme hat so rasch als möglich stattzufinden.

Eine zweite Einvernahme findet statt, wenn die Parteien bei der ersten Einvernahme ihre Rechte nicht ausüben konnten oder wenn eine solche im Interesse der Ermittlungen oder des Kindes unumgänglich ist. Soweit möglich erfolgt die Befragung durch die Person, welche die erste Einvernahme durchgeführt hat.

3

Die Einvernahme wird von einer zu diesem Zweck ausgebildeten Ermittlerin oder einem entsprechenden Ermittler durchgeführt, im Beisein einer Spezialistin oder eines Spezialisten. Die Parteien üben ihre Rechte durch die befragende Person aus.

4

Die Einvernahme erfolgt in einem geeigneten Raum. Sie wird auf Video aufgenommen. Die befragende Person und die Spezialistin oder der Spezialist halten ihre besonderen Beobachtungen in einem Bericht fest.

5

Die Behörde kann die Vertrauensperson im Sinne von Artikel 36 Absatz 1 vom Verfahren ausschliessen, wenn diese einen bestimmenden Einfluss auf das Kind ausüben könnte.

6

Art. 44 1

Einstellung des Strafverfahrens

Die zuständige Behörde kann ausnahmsweise das Strafverfahren einstellen, wenn: a.

das Interesse des Kindes es zwingend verlangt und dieses das Interesse des Staates an der Strafverfolgung offensichtlich überwiegt; und

b.

das Kind oder bei Urteilsunfähigkeit seine gesetzliche Vertretung der Einstellung zustimmt.

Die zuständige Behörde sorgt bei einer Einstellung des Verfahrens dafür, dass nötigenfalls Kinderschutzmassnahmen angeordnet werden.

2

2310

Opferhilfegesetz

Gegen den Entscheid der letzten kantonalen Instanz über die Einstellung kann Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht geführt werden. Zur Beschwerde legitimiert sind das Kind oder dessen gesetzliche Vertretung, die beschuldigte Person und die Staatsanwaltschaft.

3

7. Kapitel: Schlussbestimmungen Art. 45

Rechtsetzungsbefugnisse des Bundesrates

Der Bundesrat passt die Höchst- und Mindestbeträge nach Artikel 20 Absatz 3 periodisch der Teuerung an; er kann die Höchstbeträge nach Artikel 23 Absatz 2 der Teuerung anpassen.

1

Er erlässt Vorschriften für die Berechnung der kantonalen Pauschalbeiträge nach Artikel 18 Absatz 2 und über die dazu nötigen statistischen Erhebungen.

2

Er kann Vorschriften zur Ausgestaltung der Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter, der Entschädigung und der Genugtuung erlassen und insbesondere Pauschalen oder Tarife für die Genugtuung festsetzen. Er kann dabei von der Regelung im ELG12 abweichen, um der besonderen Situation des Opfers und seiner Angehörigen Rechnung zu tragen.

3

Art. 46

Aufhebung bisherigen Rechts

Das Opferhilfegesetz vom 4. Oktober 199113 wird aufgehoben.

Art. 47

Änderung bisherigen Rechts

Die Änderung bisherigen Rechts wird im Anhang geregelt.

Art. 48

Übergangsbestimmungen

Das bisherige Recht gilt für:

12 13

a.

Ansprüche auf Entschädigung oder Genugtuung für Straftaten, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes verübt worden sind; für Ansprüche aus Straftaten, die weniger als zwei Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verübt worden sind, gelten die Fristen nach Artikel 25;

b.

hängige Gesuche um Kostenbeiträge, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereicht wurden.

SR 831.30; (BBl 2006 8389) AS 1992 2465, 1997 2952, 2002 2997

2311

Opferhilfegesetz

Art. 49

Koordination des vorliegenden Gesetzes (neues OHG) mit dem Bundesgesetz vom 6. Oktober 200614 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (neues ELG)

Unabhängig davon, ob das neue ELG oder das neue OHG zuerst in Kraft tritt, lauten die nachstehenden Bestimmungen des neuen OHG mit Inkrafttreten des später in Kraft tretenden Gesetzes sowie bei gleichzeitigem Inkrafttreten wie folgt: Art. 6 Abs. 1 und 2 Anspruch auf Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter und auf Entschädigung besteht nur, wenn die anrechenbaren Einnahmen des Opfers oder seiner Angehörigen das Vierfache des massgebenden Betrags für den allgemeinen Lebensbedarf nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200615 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) nicht übersteigen.

1

Die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person berechnen sich nach Artikel 11 ELG; massgeblich sind die voraussichtlichen Einnahmen nach der Straftat.

2

Art. 16

Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter

Die Kosten für längerfristige Hilfe Dritter werden wie folgt gedeckt: a.

ganz, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person den doppelten massgebenden Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf nicht übersteigen;

b.

anteilsmässig, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person zwischen dem doppelten und dem vierfachen massgebenden Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf liegen.

Art. 20 Abs. 2 2

Die Entschädigung deckt den Schaden:

14

15

a.

ganz, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person den massgebenden Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf nicht übersteigen;

b.

anteilsmässig, wenn im Sinne von Artikel 6 Absätze 1 und 2 die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person zwischen dem einfachen und dem vierfachen massgebenden Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf liegen.

SR 831.30; (BBl 2006 8341 8389); Anhang 3 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2006 über die Schaffung und die Änderung von Erlassen zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen.

SR 831.30 (BBl 2006 8341 8389)

2312

Opferhilfegesetz

Art. 50

Referendum und Inkrafttreten

1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

Nationalrat, 23. März 2007

Ständerat, 23. März 2007

Die Präsidentin: Christine Egerszegi-Obrist Der Protokollführer: Ueli Anliker

Der Präsident: Peter Bieri Der Sekretär: Christoph Lanz

Datum der Veröffentlichung: 3. April 200716 Ablauf der Referendumsfrist: 12. Juli 2007

16

BBl 2007 2299

2313

Opferhilfegesetz

Anhang (Art. 47)

Änderung bisherigen Rechts Die nachstehenden Erlasse werden wie folgt geändert:

1. Bundesgesetz vom 15. Juni 193417 über die Bundesstrafrechtspflege Art. 88bis Für den Schutz und die Rechte des Opfers und seiner Angehörigen gelten die Bestimmungen der Artikel 8 Absätze 2 und 3, 34, 35 Buchstaben a und d, 36 und 37 Absatz 2 des Opferhilfegesetzes vom 23. März 200718.

Art. 106 Abs. 1bis, erster Satz 1bis Ebenso benachrichtigt er den Geschädigten und die anspruchsberechtigten Personen nach Artikel 1 des Opferhilfegesetzes vom 23. März 200719. ...

Art. 120 Abs. 3 Ziff. 3 3

Sie ist mitzuteilen: 3.

den anspruchsberechtigten Personen im Sinne von Artikel 1 des Opferhilfegesetzes vom 23. März 200720;

2. Militärstrafprozess vom 23. März 197921 Art. 48 Abs. 2 Das Gericht kann die Öffentlichkeit ausschliessen, soweit eine Gefährdung der Landesverteidigung, der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu befürchten ist oder das Interesse eines Beteiligten es erfordert. Es schliesst die Öffentlichkeit von den Verhandlungen aus, wenn überwiegende Interessen des Opfers dies erfordern. Das Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Integrität kann verlangen, dass das Gericht die Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausschliesst.

2

17 18 19 20 21

SR 312.0 SR ...; AS ... (BBl 2007 2299) SR ...; AS ... (BBl 2007 2299) SR ...; AS ... (BBl 2007 2299) SR 322.1

2314

Opferhilfegesetz

Gliederungstitel vor Art. 74

Elfter Abschnitt: Zeugen und Auskunftspersonen Gliederungstitel vor Art. 84a

Elfter Abschnittbis: Opfer und Angehörige Art. 84a

1. Grundsatz

Die Hilfe an Opfer von Straftaten, auch von solchen, die nach dem Militärstrafgesetz vom 13. Juni 192722 zu beurteilen sind, richtet sich nach dem Opferhilfegesetz vom 23. März 2007 (OHG)23, soweit nicht die besonderen Verfahrensbestimmungen dieses Gesetzes zur Anwendung kommen.

1

Dieser Abschnitt findet auf Angehörige des Opfers im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 des OHG, denen zivilrechtliche Ansprüche gegenüber dem Täter oder der Täterin zustehen, sinngemäss Anwendung.

2

Art. 84b 1

2. Information über die Opferhilfe und Meldung

Die Behörde informiert das Opfer bei der ersten Gelegenheit über: a.

die Adressen und die Aufgaben der Beratungsstellen;

b.

die Möglichkeit, verschiedene Opferhilfeleistungen zu beanspruchen;

c.

die Frist für die Einreichung von Gesuchen um Entschädigung und Genugtuung.

Sie meldet Name und Adresse des Opfers einer Beratungsstelle, sofern dieses damit einverstanden ist.

2

Eine in der Schweiz wohnhafte Person, die im Ausland Opfer einer Straftat geworden ist, kann sich an eine schweizerische Vertretung oder an die mit dem schweizerischen konsularischen Schutz betraute Stelle wenden. Diese Stellen informieren das Opfer im Sinne von Absatz 1 und melden Name und Adresse des Opfers einer Beratungsstelle, sofern dieses damit einverstanden ist.

3

Art. 84c

3. Persönlichkeitsschutz des Opfers

Die Behörden wahren die Persönlichkeitsrechte des Opfers in allen Abschnitten des Strafverfahrens.

1

Behörden und Private dürfen ausserhalb eines öffentlichen Gerichtsverfahrens die Identität des Opfers nur bekannt geben, wenn dies im Interesse der Strafverfolgung notwendig ist oder das Opfer zustimmt.

2

Die Behörden vermeiden eine Begegnung des Opfers mit der beschuldigten Person, wenn das Opfer dies verlangt. In diesem Fall tragen sie dem Anspruch der

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SR 321.0 SR ...; AS ... (BBl 2007 2299)

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Opferhilfegesetz

beschuldigten Person auf rechtliches Gehör in anderer Weise Rechnung. Eine Gegenüberstellung kann angeordnet werden, wenn der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann oder wenn ein überwiegendes Interesse der Strafverfolgung sie zwingend erfordert.

Art. 84d

4. Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität

Das Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität kann verlangen, dass: a.

es in allen Verfahrensstadien von Angehörigen seines Geschlechts einvernommen wird;

b.

dem urteilenden Gericht wenigstens eine Person seines Geschlechts angehört;

c.

eine allfällige Übersetzung der Befragung durch eine Person des gleichen Geschlechts erfolgt, wenn dies ohne ungebührliche Verzögerung des Verfahrens möglich ist;

d.

eine Gegenüberstellung gegen seinen Willen nur angeordnet wird, wenn der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann.

Art. 84e

5. Beistand und Aussageverweigerung

Wird das Opfer als Zeuge, Zeugin oder Auskunftsperson befragt, so kann es sich durch eine Vertrauensperson begleiten lassen.

1

Das Opfer kann sich zusätzlich auch durch einen Rechtsbeistand begleiten lassen.

Soweit es für die Wahrung der Rechte des Opfers notwendig ist, bezeichnet der Gerichtspräsident einen unentgeltlichen Rechtsbeistand.

2

3

Es kann die Aussage zu Fragen verweigern, die seine Intimsphäre betreffen.

Art. 84f 1

6. Verfahrensrechte

Das Opfer kann sich am Strafverfahren beteiligen. Es kann insbesondere: a.

seine Zivilansprüche nach Artikel 84g geltend machen;

b.

den Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wird;

c.

den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie die beschuldigte Person, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann.

Die Behörden informieren das Opfer in allen Verfahrensabschnitten über seine Rechte. Sie teilen ihm Entscheide und Urteile auf Verlangen unentgeltlich mit.

2

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Opferhilfegesetz

Art. 84g

7. Zivilansprüche

Soweit der Bund für erlittenen Schaden gestützt auf Artikel 135 des Militärgesetzes vom 3. Februar 199524 nicht haftet, kann das Opfer zivilrechtliche Ansprüche nach Artikel 163 vor den Militärgerichten geltend machen. Es übt in diesem Umfang Parteirechte aus.

1

Ist das Opfer nicht legitimiert, zivilrechtliche Ansprüche nach Absatz 1 vor den Militärgerichten geltend zu machen oder verzichtet es darauf, solche Ansprüche geltend zu machen, so ist es auf seinen Antrag zur Hauptverhandlung einzuladen.

Das Erscheinen ist ihm freigestellt, soweit es nicht als Zeuge oder Auskunftsperson beteiligt ist. Das Opfer übt in einem solchen Fall lediglich Informationsrechte aus.

2

Art. 84h

8. Besondere Bestimmungen zum Schutz von Kindern: Kind

Kind im Sinne der Artikel 84i­84k ist das Opfer, das im Zeitpunkt der Eröffnung des Militärstrafverfahrens weniger als 18 Jahre alt ist.

Art. 84i

Gegenüberstellung von Kind und beschuldigter Person

Bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität eines Kindes dürfen die Behörden das Opfer der beschuldigten Person nicht gegenüberstellen.

1

Bei anderen Straftaten ist eine Gegenüberstellung ausgeschlossen, wenn diese für das Kind zu einer schweren psychischen Belastung führen könnte.

2

Vorbehalten bleibt die Gegenüberstellung, wenn der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann.

3

Art. 84j

Einvernahme des Kindes

Das Kind darf während des ganzen Verfahrens in der Regel nicht mehr als zweimal einvernommen werden.

1

2

Die erste Einvernahme hat so rasch als möglich stattzufinden.

Eine zweite Einvernahme findet statt, wenn die Parteien bei der ersten Einvernahme ihre Rechte nicht ausüben konnten oder wenn eine solche im Interesse der Ermittlungen oder des Kindes unumgänglich ist. Soweit möglich erfolgt die Befragung durch die Person, welche die erste Einvernahme durchgeführt hat.

3

Die Einvernahme wird von einer zu diesem Zweck ausgebildeten Ermittlerin oder einem entsprechenden Ermittler durchgeführt, im Beisein einer Spezialistin oder eines Spezialisten. Die Parteien üben ihre Rechte durch die befragende Person aus.

4

Die Einvernahme erfolgt in einem geeigneten Raum. Sie wird auf Video aufgenommen. Die befragende Person und die Spezialistin oder der Spezialist halten ihre besonderen Beobachtungen in einem Bericht fest.

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SR 510.10

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Opferhilfegesetz

Die Behörde kann die Vertrauensperson und den Rechtsbeistand im Sinne von Artikel 84e vom Verfahren ausschliessen, wenn diese einen bestimmenden Einfluss auf das Kind ausüben könnten.

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Art. 84k

Einstellung des Strafverfahrens

Die zuständige Behörde oder der Richter können ausnahmsweise das Strafverfahren einstellen, wenn:

1

a.

das Interesse des Kindes es zwingend verlangt und dieses das Interesse des Staates an der Strafverfolgung offensichtlich überwiegt; und

b.

das Kind oder bei Urteilsunfähigkeit seine gesetzliche Vertretung der Einstellung zustimmt.

Die zuständige Behörde oder der Richter sorgen bei einer Einstellung des Verfahrens dafür, dass nötigenfalls Kinderschutzmassnahmen angeordnet werden.

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Art. 104 Abs. 3 Dem Opfer im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 des OHG25 ist vor dem Abschluss der vorläufigen Beweisaufnahme Gelegenheit zu geben, die gerichtliche Beurteilung zu verlangen. Verlangt das Opfer die gerichtliche Beurteilung, so beantragt der Untersuchungsrichter die Anordnung der Voruntersuchung. Wird sein Antrag abgelehnt, so unterbreitet er die Akten dem Oberauditor zum Entscheid gemäss Artikel 101 Absatz 2.

3

Art. 118 Abs. 2 Ebenso können das Opfer und seine Angehörigen im Sinne von Artikel 1 Absätze 1 und 2 des OHG26 gegen die Einstellung des Verfahrens Rekurs erheben, soweit sie eigene Zivilansprüche gegenüber dem Täter oder der Täterin geltend machen.

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SR ...; AS ... (BBl 2007 2299) SR ...; AS ... (BBl 2007 2299)

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