06.479 Parlamentarische Initiative Abschreibung nicht behandelter Vorstösse Bericht des Büros des Nationalrates vom 16. Februar 2007

Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Parlamentsgesetzes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das Büro beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

16. Februar 2007

Im Namen des Büros Die Präsidentin: Christine Egerszegi-Obrist

2007-0638

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Mit Beginn der 47. Legislaturperiode, am 1. Dezember 2003, sind das neue Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG, SR 171.10) und die sich darauf abstützenden totalrevidierten Geschäftsreglemente des National- und des Ständerates in Kraft getreten. Im Rahmen dieser Revisionen wurde unter anderem die automatische Abschreibung von Motionen und Postulaten, wenn sie der Rat nicht innert zwei Jahren seit der Einreichung behandelt hat, abgeschafft.

Bis 2003 fand diese Regelung im Nationalrat breite Anwendung: Im letzten Jahr der Legislaturperiode 1999­2003 wurden 116 Motionen, 28 Postulate und 89 Interpellationen auf diese Weise abgeschrieben. Diese Abschreibungen ergaben sich vor allem bei folgendem Verfahrensablauf: Falls der Antrag des Bundesrates zu einer Motion oder einem Postulat von der Urheberin oder dem Urheber oder von einem anderen Ratsmitglied bestritten wurde, so wurde die am letzten Sessionstag traktandierte Behandlung regelmässig verschoben. Dasselbe geschah, wenn ein Ratsmitglied Diskussion zur Antwort des Bundesrates auf seine Interpellation verlangte. In der Regel fand der Rat in den folgenden zwei Jahren keine Zeit zur Behandlung des Vorstosses, mit dem Ergebnis, dass der Vorstoss nach Ablauf dieser Frist abgeschrieben wurde.

Die zunehmende Verärgerung der Ratsmitglieder über dieses Verfahren führte bei der Beratung des Parlamentsgesetzes zum Erfolg eines Minderheitsantrags aus der SPK. Danach muss der Rat auf begründeten Antrag des Büros beschliessen, ob bei seit zwei Jahren hängigen Motionen und Postulaten die Behandlungsfrist verlängert oder der Vorstoss abgeschrieben wird (Art. 119 Abs. 4 ParlG). Das neue Verfahren musste seit der Wintersession 2005 angewendet werden (gemäss der Übergangsregelung in Art. 173 Ziff. 3 ParlG). In den vier ordentlichen Sessionen bis zur Herbstsession 2006 musste das Büro am Sessionsende zur Frage der Fristverlängerung oder Abschreibung von 113 Motionen und 64 Postulaten begründeten Antrag stellen. Die Begründung hätte wohl insbesondere angeben sollen, ob ein Vorstoss in sachlicher und politischer Hinsicht noch aktuell ist oder nicht. Diese Analyse würde eine materielle Behandlung jedes einzelnen Vorstosses verlangen. Angesichts der grossen Zahl von Vorstössen war das Büro dazu nicht in der Lage. In der Praxis fragte deshalb
das Büro die Fraktionen, ob die jeweils aus ihren Reihen stammenden Vorstösse aufrechterhalten oder abgeschrieben werden sollen. Gestützt auf die Angaben der Fraktionen beantragte das Büro 91 Aufrechterhaltungen und 86 Abschreibungen. Nur 5 Abschreibungsanträge des Büros wurden von der Urheberin oder dem Urheber des Vorstosses bestritten. In vier Fällen setzte sich das Büro im Rat durch, ohne dass die Urheber ihre Gründe vor der Abstimmung dargelegt hatten.

In einem einzigen Fall argumentierte ein Ratsmitglied mündlich gegen den Antrag des Büros und war damit in der Abstimmung erfolgreich. Am 16. Dezember 2005 beschwerte sich im Rat ein Ratsmitglied über die fehlenden Begründungen. Sein Antrag, wegen der fehlenden Begründung alle Fristverlängerungen abzulehnen, wurde knapp abgelehnt. Am 20. Dezember 2006 wurde im Nationalrat ein Ordnungsantrag angenommen und die Debatte über die Abschreibung bzw. Fristverlängerung verschoben.

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Das neue Verfahren hat keinen Beitrag dazu geleistet, dass Motionen und Postulate beförderlicher behandelt werden. Die Selektion derjenigen Vorstösse, die aufrechterhalten werden, erfolgt recht willkürlich und kaum nach rational nachvollziehbaren sachlichen oder politischen Kriterien. Der nicht geringe Aufwand für dieses Verfahren steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu seinen Resultaten.

Daher hat das Büro des Nationalrates an seiner Sitzung vom 31. August 2006 beschlossen, eine Änderung des ParlG auszuarbeiten, wonach Vorstösse wieder automatisch abgeschrieben werden sollen, sofern sie innert zwei Jahren von ihrem Rat nicht behandelt werden konnten. Das Büro des Ständerates hat an seiner Sitzung vom 4. Dezember 2006 diesem Beschluss zugestimmt. In der Praxis betrifft die Änderung nur den Nationalrat.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 119 Abs. 4­6 Die Regelung sieht vor, dass auch Motionen und Postulate, welche zwei Jahre nach ihrer Einreichung in ihrem Rat noch nicht abschliessend behandelt wurden, ohne Ratsbeschluss abgeschrieben werden können. Im geltenden Recht gilt dieses Verfahren nur für die Interpellationen (vgl. Art. 119 Abs. 6 ParlG). Abschliessend behandelt bedeutet, dass der Rat, in dem der Vorstoss eingereicht wurde, noch nie über die Annahme oder Ablehnung Beschluss gefasst hat. Nicht erfasst werden Motionen, welche im Zweitrat hängig sind oder sich im Differenzenbereinigungsverfahren befinden.

Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass es den Rat und das Büro überhaupt nicht belastet. Die Rechte des einzelnen Ratsmitglieds werden mit diesem Verfahren nicht geschmälert: Erachtet das Ratsmitglied seinen Vorstoss nach wie vor als aktuell und wichtig, so kann es ihn unmittelbar nach der Abschreibung ohne weiteres erneut einreichen. Diese Möglichkeit wurde unter altem und neuem Recht genutzt ­ allerdings selten, was zeigt, dass die Ratsmitglieder häufig das Interesse an ihrem eigenen Vorstoss nach zwei Jahren verloren haben.

Natürlich bleibt es unbefriedigend, dass die Vorstösse einzelner Ratsmitglieder im Nationalrat häufig derart lange unbehandelt bleiben. Dieses Problem kann aber offensichtlich nicht dadurch gelöst werden, dass die Vorstösse auch länger als zwei Jahren unbehandelt bleiben dürfen.

Es sei darauf hingewiesen, dass einem Ratsmitglied, welchem der konkrete Erfolg seines Auftrages an den Bundesrat wichtiger ist als die Artikulation seines Anliegens unter seinem Namen, mit dem Parlamentsgesetz ein neuer Weg geöffnet wurde: Es kann in einer Kommission den Antrag auf Einreichung einer Kommissionsmotion stellen, auch wenn es in der Kommission nicht Einsitz hat (Art. 76 Abs. 1 ParlG).

Falls dieser Antrag von der Kommission angenommen wird, so stehen die Lichter auf «Grün»: Eine Kommissionsmotion muss gemäss Artikel 121 Absatz 2 ParlG vor allen anderen Vorstössen behandelt werden. Anders als die anderen Vorstösse darf eine Kommissionsmotion gemäss Artikel 35 Absatz 2 GRN in der Tagesordnung nicht in einer Sammelliste «verschwinden», sondern muss explizit aufgeführt werden. Das Verfahren der Kommissionsmotion ermöglicht, dass innert nützlicher Frist mehrheitsfähige Aufträge an den Bundesrat erteilt werden können.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Diese Änderung des Parlamentsgesetzes hat keine unmittelbaren finanziellen oder personellen Auswirkungen.

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Rechtliche Grundlagen

Das Parlamentsgesetz und dessen hier vorgeschlagene Änderung stützen sich auf Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe g der Bundesverfassung (SR 101).

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