07.045 Botschaft zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie vom 8. Juni 2007

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen die Botschaft zu einem Bundesbeschluss, mit dem internationale Übereinkommen auf dem Gebiet der Kernenergiehaftpflicht genehmigt werden und mit dem das Kernenergiehaftpflichtgesetz (KHG) geändert wird.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

8. Juni 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2006-2539

5397

Übersicht Die Vorlage betrifft einerseits die Genehmigung der Revisionsprotokolle zum Pariser Übereinkommen und zum Brüsseler Zusatzübereinkommen über die Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie sowie das dazugehörige Gemeinsame Protokoll, andererseits die damit zusammenhängende Totalrevision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes.

Ausgangslage Das geltende Kernenergiehaftpflichtgesetz (KHG) vom 18. März 1983 (SR 732.44) beruht auf folgenden Grundsätzen: ­

Kanalisierung der Haftung auf den Inhaber der Kernanlage;

­

Kausalhaftung des Inhabers der Kernanlage;

­

summenmässig unbeschränkte Haftung;

­

private Versicherungsdeckung bzw. Bundesdeckung bis 1 Milliarde Franken.

Die schon damals bestehenden internationalen Kernenergiehaftpflichtübereinkommen von Paris und Brüssel sahen eine summenmässig beschränkte Haftung vor mit einer Deckungssumme von rund 520 Millionen Franken, weshalb Bundesrat und Parlament seinerzeit bewusst auf eine Ratifikation dieser Übereinkommen verzichteten.

Revision der Kernenergiehaftpflichtübereinkommen von Paris und Brüssel Zwischen 1998 und 2004 wurden die Übereinkommen von Paris und Brüssel revidiert. Dabei wurde der Grundsatz der betragsmässigen Haftungsbegrenzung aufgegeben und stattdessen ein Mindesthaftungsbetrag festgelegt, der von den Vertragsstaaten nicht unterschritten, aber sehr wohl überschritten werden darf. Das Entschädigungssystem der Übereinkommen von Paris und Brüssel sieht folgende 3 Tranchen vor: ­

1. Tranche: 700 Millionen Euro (etwa 1050 Mio. Fr.) aus Mitteln des Inhabers der Kernanlage bzw. dessen Versicherung;

­

2. Tranche: 500 Millionen Euro (etwa 750 Mio. Fr.) aus Mitteln des Staates, in dem die Anlage des haftpflichtigen Inhabers gelegen ist, oder des haftpflichtigen Inhabers;

­

3. Tranche: 300 Millionen Euro (etwa 450 Mio. Fr.), die von allen Vertragsstaaten nach einem bestimmten Schlüssel gemeinsam aufgebracht werden.

Die Schweiz hat am 12. Februar 2004 die Revisionsprotokolle zum Pariser Übereinkommen und zum Brüsseler Zusatzübereinkommen vorbehältlich der Ratifikation unterzeichnet.

5398

Totalrevision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes Die wichtigsten Elemente des vorliegenden Entwurfs zu einem revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetz sind folgende: ­

Übernahme der internationalen Kernenergiehaftpflichtübereinkommen von Paris und Brüssel in das schweizerische Recht (neu);

­

Kanalisierung der Haftung ausschliesslich auf den Inhaber der Kernanlage (wie bisher);

­

summenmässig unbeschränkte Haftung des Inhabers der Kernanlage (wie bisher);

­

obligatorische Versicherungsdeckung im Betrage von 1,8 Milliarden Franken plus 10 % dieses Betrages für Zinsen und Verfahrenskosten (neu, bisher 1 Mia. Fr. plus 10 % für Zinsen und Verfahrenskosten);

­

zusätzlich 450 Millionen Franken aus der 3. Tranche der Übereinkommen von Paris und Brüssel, die von allen Vertragsstaaten gemeinsam aufgebracht werden (neu);

­

Verjährungsfrist von 3 Jahren ab dem Tag, ab dem der Geschädigte vom Schaden und vom verantwortlichen Inhaber Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen; Verwirkungsfrist von 30 Jahren nach dem Schadenereignis (wie bisher);

­

Befreiung des Haftpflichtigen von seiner Haftung gegenüber dem Geschädigten, wenn dieser den Schaden absichtlich oder grobfahrlässig verursacht hat (wie bisher);

­

Haftpflicht für nukleare Schäden, die unmittelbar auf einen bewaffneten Konflikt, Feindseligkeiten auf einen Bürgerkrieg oder einen Aufstand zurückzuführen sind; dazu gehören auch terroristische Gewaltakte (wie bisher);

­

Als nuklearer Schaden gelten Tötung, Körperverletzung und Schaden an Vermögenswerten (wie bisher); ferner fallen darunter auch die Kosten von Massnahmen zur Wiederherstellung geschädigter Umwelt sowie der Einkommensverlust aus einem unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse an der Nutzung der Umwelt (neu);

­

Zuständigkeit eines einzigen Gerichts für alle Geschädigten ohne Rücksicht auf Wohnort und Nationalität bei einem Unfall in einem Vertragsstaat (neu);

­

Garantie für eine gleichwertige Entschädigung ohne Diskriminierung gegenüber den Geschädigten aller Vertragsstaaten bei einem Unfall in einem Mitgliedsstaat (neu).

5399

Inhaltsverzeichnis Übersicht

5398

1 Allgemeiner Teil 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Haftungsrechtliche Besonderheiten des nuklearen Risikos 1.1.2 Die gesetzgeberische Entwicklung in der Schweiz 1.1.2.1 Das Atomgesetz vom 23. Dezember 1959 1.1.2.2 Das Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 1.1.3 Internationale Haftungsharmonisierung 1.1.3.1 Die Bestrebungen der OECD 1.1.3.2 Die Bestrebungen der IAEO 1.1.3.3 Gemeinsame Bestrebungen von OECD und IAEO 1.1.3.4 Die Stellung der Schweiz 1.2 Hauptelemente der internationalen Atomhaftungsübereinkommen 1.2.1 Pariser Übereinkommen von 1960 mit den Änderungen von 1964 und 1982 1.2.2 Brüsseler Zusatzübereinkommen von 1963 mit den Änderungen von 1964 und 1982 1.2.3 Wiener Übereinkommen von 1963 1.2.4 Gemeinsames Protokoll von 1988 1.3 Atomhaftungsregelungen im benachbarten Ausland 1.3.1 Allgemeines 1.3.2 Deutschland 1.3.3 Frankreich 1.3.4 Italien 1.3.5 Österreich 1.4 Die Pariser und Brüsseler Revisionsprotokolle vom 12. Februar 2004 1.4.1 Vorbemerkung 1.4.2 Revisionsprotokoll 2004 zum Pariser Übereinkommen 1.4.3 Revisionsprotokoll 2004 zum Brüsseler Zusatzübereinkommen 1.4.4 Ratifikation der Übereinkommen von Paris und Brüssel und des Gemeinsamen Protokolls 1.5 Die Übernahme der internationalen Übereinkommen in das schweizerische Recht 1.5.1 Übernahme im KHG 1.5.2 Schweizerische Vorbehalte zu den internationalen Übereinkommen 1.6 Erhöhung der Deckungssumme 1.7 Die hauptsächlichen Regelungen im Entwurf zum revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetz 1.8 Vorarbeiten 1.8.1 Erarbeiten des Vorentwurfs 1.8.2 Ergebnisse der Vernehmlassung 1.8.3 Überarbeiten des Vernehmlassungsentwurfs

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1.8.4 Empfehlung Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA)

5422

2 Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen 2.1 Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie 2.2 Kernenergiehaftpflichtgesetz 2.3 Änderung bisherigen Rechts (Anhang) 2.3.1 Gerichtsstandsgesetz 2.3.2 Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht 2.3.3 Strahlenschutzgesetz

5423 5423 5424 5445 5445 5446 5448

3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.1.1 Finanzielle Auswirkungen 3.1.2 Personelle Auswirkungen 3.2 Auswirkungen auf die Wirtschaft 3.3 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 3.4 Auswirkungen auf die Informatik

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4 Legislaturplanung

5449

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.2.1 Verpflichtungen gegenüber der EU 5.2.2 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie 5.3 Erlassform 5.4 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 5.5 Ausgabenbremse

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Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie (Entwurf)

5453

Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964, des Protokolls vom 16. November 1982 und des Protokolls vom 12. Februar 2004

5471

Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964, des Protokolls vom 16. November 1982 und des Protokolls vom 12. Februar 2004

5491

Gemeinsames Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens

5507 5401

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Haftungsrechtliche Besonderheiten des nuklearen Risikos

Die friedliche Nutzung der Kernenergie und die Verwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen schaffen Risiken besonderer Art. Die Katastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 hat gezeigt, dass ein Kernenergieunfall zu Schäden von ungewöhnlicher Grösse und Ausdehnung führen kann. Die schädlichen Auswirkungen machen nicht an Staatsgrenzen halt, sondern können sich auch weit entfernt in die Hoheitsgebiete anderer Staaten erstrecken und zu Personenschäden sowie Schäden an Sachen und Umwelt führen.

Die Schädigung von lebenden, insbesondere menschlichen Zellen durch ionisierende Strahlen ist nicht notwendigerweise sofort erkennbar, sondern kann über längere Zeiträume lediglich latent vorhanden sein. Absorbierte Strahlendosen haben eine kumulierende Wirkung, indem sie andere Schäden verstärken können. Schliesslich haben Strahlenschäden auch nicht immer typische Folgen, sondern können zu Erkrankungen führen, die auch andere Ursachen haben können.

Diese Besonderheiten erfordern deshalb spezifische Regelungen im Bereich des zivilen Schadensersatzrechtes, die diesem besonderen Risiko angemessen Rechnung tragen.

1.1.2

Die gesetzgeberische Entwicklung in der Schweiz

1.1.2.1

Das Atomgesetz vom 23. Dezember 1959

Der schweizerische Gesetzgeber hat die Besonderheiten des nuklearen Risikos bereits frühzeitig erkannt und als einer der ersten in der Welt (nach den USA und zeitgleich mit Deutschland und Grossbritannien) ein spezielles Atomhaftungsregime entwickelt und im «Bundesgesetz vom 23. Dezember 19591 über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Strahlenschutz« (Atomgesetz) in Kraft gesetzt. Der ­ in der Zwischenzeit aufgehobene ­ vierte Abschnitt dieses Gesetzes «Haftpflicht und Versicherung» enthielt Elemente, die heute noch Bestandteil nationalen und internationalen Atomhaftungsrechts sind. Zu nennen sind insbesondere der Grundsatz der Haftung ohne Verschulden des Inhabers einer Kernanlage (Gefährdungshaftung oder Kausalhaftung) und die sog. Kanalisierung der Haftung, d.h. für Schäden durch den Betrieb einer Kernanlage haftet ausschliesslich der Inhaber der Anlage. Die Haftung des Inhabers einer Kernanlage war im Atomgesetz betragsmässig auf 40 Millionen Franken begrenzt. In dieser Höhe hatte der Inhaber der Kernanlage auch eine finanzielle Deckung nachzuweisen. Der Betrag von

1

AS 1960 541, 1983 1886 Art. 36 Ziff. 2, 1987 544, 1993 901 Anhang Ziff. 9, 1994 1933 Art. 48 Ziff. 1, 1995 4954, 2002 3673 Art. 17 Ziff. 3, 2004 3503 Anhang Ziff. 4

5402

40 Millionen Franken wurde im Jahr 1977 für Kernkraftwerke auf 200 Millionen Franken angehoben2.

1.1.2.2

Das Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983

Die haftungsrechtlichen Bestimmungen des Atomgesetzes wurden durch das «Kernenergiehaftpflichtgesetz (KHG)» vom 18. März 19833 ersetzt. Dieses Gesetz trat am 1. Januar 1984 in Kraft. Auf den gleichen Zeitpunkt wurde auch die Kernenergiehaftpflichtverordnung (KHV)4 vom 5. Dezember 1983 erlassen.

Die bedeutsamste Neuerung des KHG war die Aufhebung der betragsmässigen Begrenzung der Haftung des Inhabers einer Kernanlage. Der Inhaber einer Kernanlage und ebenso der Inhaber einer Transportbewilligung für den Transit von Kernmaterialien durch die Schweiz haften seither unbegrenzt. Unverändert blieb, dass der Inhaber einer strengen Kausalhaftung untersteht. Aufrechterhalten wurde ferner der Grundsatz der rechtlichen Kanalisierung der Haftung auf den Inhaber der Kernanlage.

Der haftpflichtige Inhaber ist nach dem KHG verpflichtet, eine obligatorische Versicherung in der Höhe von 1 Milliarde Franken zuzüglich 100 Millionen Franken für Zinsen und Verfahrenskosten abzuschliessen und aufrechtzuerhalten. Soweit diese Deckungssumme die Möglichkeiten des privaten Versicherers übersteigt und soweit dieser vertraglich Schäden von seiner Versicherungsdeckung ausschliessen darf, tritt der Bund bis zu 1 Milliarde Franken (zuzüglich 100 Mio. für Zinsen und Verfahrenskosten) als Versicherer auf. Von der privaten Deckung ausgenommen sind insbesondere Schäden, die durch kriegerische Ereignisse oder ausserordentliche Naturvorgänge verursacht werden und ­ zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Franken ­ Schäden, die durch terroristische Gewaltakte verursacht werden, gegen die mit zumutbarem Aufwand ein Schutz nicht möglich ist.

Der Haftpflichtige kann von seiner Haftung gegenüber dem Geschädigten nur befreit werden, wenn dieser den Schaden absichtlich oder grob fahrlässig verursacht hat.

Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab dem Tag, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und der Person des Haftpflichtigen erlangt hat; die Verwirkungsfrist beträgt dreissig Jahre ab dem Schadensereignis.

Der Bund erhebt als Gegenleistung für die von ihm gewährte Versicherungsdeckung vom Haftpflichtigen Beiträge; diese Beiträge werden dem Nuklearschadenfonds gutgeschrieben (Fondsvermögen per Ende 2006: 360 Mio. Fr.). Falls bei Grossschäden die Mittel des privaten Versicherers, des Bundes und des haftpflichtigen Inhabers der
Kernanlage zur Befriedigung aller Ansprüche nicht ausreichen, sieht das Gesetz vor, dass die Bundesversammlung eine besondere Entschädigungsordnung aufstellt (Grossschadenregelung).

Treten Schäden im Ausland auf, für die der Haftpflichtige in der Schweiz verantwortlich ist, dann sind Entschädigungen für diese ausländischen Schäden nur insoweit geschuldet, als der betreffende ausländische Staat der Schweiz gegenüber eine mindestens gleichwertige Regelung vorsieht (Gegenrecht).

2 3 4

Verordnung vom 6. Juli 1977 über die Deckung der Haftpflicht aus dem Betrieb von Kernkraftwerken (AS 1977 1424).

SR 732.44 SR 732.441

5403

1.1.3

Internationale Haftungsharmonisierung

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurde der friedlichen Nutzung der Kernenergie ein grosser Stellenwert eingeräumt. Dabei waren sich die betroffenen Staaten bewusst, dass das Ausmass nuklearer Schäden mit grenzüberschreitenden Auswirkungen internationale Regelungen erfordert. Es musste sichergestellt werden, dass Geschädigte Schadenersatzansprüche ohne grössere Schwierigkeiten geltend machen können, auch wenn der Schadensverursacher seinen Sitz ausserhalb der eigenen Staatsgrenzen hat.

1.1.3.1

Die Bestrebungen der OECD

Im Rahmen der damaligen OEEC (heute OECD) hat eine Reihe von europäischen Staaten ein internationales Übereinkommen ausgearbeitet, das die Grundzüge der zivilrechtlichen Nuklearhaftung international vereinheitlicht. Die Schweiz hat an diesen Beratungen teilgenommen. Das Ergebnis ist das «Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie» (PÜ), das durch das Zusatzprotokoll vom 28. Januar 1964, das Protokoll vom 16. November 1982 und das Protokoll vom 12. Februar 2004 revidiert wurde.

Das Pariser Übereinkommen ist international im Jahre 1968 in Kraft getreten. Ihm gehören zur Zeit 15 Staaten an, nämlich: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, Türkei, Vereinigtes Königreich.

In Ergänzung des Pariser Übereinkommens wurde das «Brüsseler Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie» (BZÜ) abgeschlossen. Dieses Übereinkommen wurde ­ wie das Pariser Übereinkommen ­ durch das Zusatzprotokoll vom 28. Januar 1964, das Protokoll vom 16. November 1982 und das Protokoll vom 12. Februar 2004 revidiert. Durch das Brüsseler Zusatzübereinkommen werden über das Pariser Übereinkommen hinaus weitere Schadenersatzmittel zur Verfügung gestellt: in einer zweiten Tranche durch Mittel des Staates, in welchem die Anlage des Haftpflichtigen Inhabers liegt, und in einer dritten Tranche durch Mittel, die nach einem bestimmten Schlüssel von allen Vertragsstaaten gemeinsam aufgebracht werden.

Das Brüsseler Zusatzübereinkommen ist international im Jahre 1974 in Kraft getreten. Ihm gehören zur Zeit 12 Staaten an, nämlich: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Schweden, Slowenien, Spanien, Vereinigtes Königreich.

Das Pariser Übereinkommen ist offen für Mitgliedsstaaten der OECD und für andere Staaten, jedoch nur dann, wenn sämtliche Vertragsstaaten dem Beitritt zustimmen.

Das Brüsseler Zusatzübereinkommen kann lediglich von Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens angenommen werden.

5404

1.1.3.2

Die Bestrebungen der IAEO

Im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) wurde am 21. Mai 1963 das «Wiener Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für nukleare Schäden» angenommen. Dieses Übereinkommen schafft ein zivilrechtliches System zur Entschädigung nuklearer Schäden, das mit dem Pariser Übereinkommen nahezu identisch ist. Das Wiener Übereinkommen steht jedoch allen Staaten der Welt offen. Es ist international im Jahre 1977 in Kraft getreten. Ihm gehören zur Zeit 33 Staaten an, nämlich: Ägypten, Argentinien, Armenien, Bolivien, Bosnien und Herzegowina, Brasilien, Bulgarien, Chile, Estland, Jugoslawien, Kamerun, Kroatien, Kuba, Lettland, Libanon, Litauen, Mazedonien, Mexiko, Moldawien, Niger, Peru, Philippinen, Polen, Rumänien, Russland, Sankt Vinzent und Grenadinen, Slowakei, Trinidad und Tobago, Tschechische Republik, Ukraine, Ungarn, Uruguay, Weissrussland.

Das Wiener Übereinkommen wurde durch das Protokoll vom 12. September 1997 revidiert. Dieses Änderungsprotokoll wurde von 15 Staaten unterzeichnet und bisher von 6 Staaten angenommen. Es ist am 5. Oktober 2003 in Kraft getreten.

1.1.3.3

Gemeinsame Bestrebungen von OECD und IAEO

Das Pariser Übereinkommen und das Wiener Übereinkommen sind grundsätzlich unabhängig voneinander. Um insbesondere Deckungslücken zu vermeiden, wurde am 21. September 1988 ein «Gemeinsames Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens» angenommen. Zweck dieses Gemeinsamen Protokolls ist es, die haftungsrechtlichen Vorteile des einen Übereinkommens auf die Mitgliedsstaaten des jeweils anderen Übereinkommens zu erstrecken. Auf diese Weise wird zwischen Pariser Übereinkommen und Wiener Übereinkommen eine Verbindung geschaffen und der Kreis der geschützten Bevölkerung grundlegend erweitert.

Das Gemeinsame Protokoll ist international im Jahre 1992 in Kraft getreten. Ihm gehören zur Zeit 24 Staaten an, nämlich: Ägypten, Bulgarien, Chile, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Griechenland, Italien, Kamerun, Kroatien, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, Sankt Vinzent und Grenadinen, Slowakei, Slowenien, Schweden, Tschechische Republik, Ukraine, Ungarn.

1.1.3.4

Die Stellung der Schweiz

Die Schweiz ist sowohl Mitglied der OECD als auch der IAEO. Sie gehört jedoch bisher keinem internationalen Atomhaftungsübereinkommen an. Sie hat zwar das Pariser Übereinkommen und das Brüsseler Zusatzübereinkommen unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. An den Verhandlungen der letzten Revisionsprotokolle hat sie als Beobachter mitgewirkt und diese am 12. Februar 2004 unterzeichnet.

5405

1.2

Hauptelemente der internationalen Atomhaftungsübereinkommen

1.2.1

Pariser Übereinkommen von 1960 mit den Änderungen von 1964 und 1982

Das Pariser Übereinkommen und das schweizerische Atomhaftpflichtrecht sind etwa zeitgleich geschaffen worden und in ihren Grundelementen ähnlich.

Zentrale Elemente des Pariser Übereinkommens sind die Begriffe «nukleares Ereignis», «Kernanlage» und «Inhaber einer Kernanlage» (Art. 1 PÜ). Das Pariser Übereinkommen findet Anwendung, wenn in einer Kernanlage oder im Zusammenhang mit Kernmaterialien, die aus einer Kernanlage stammen bzw. von oder zu einer Kernanlage befördert werden, ein nukleares Ereignis eintritt (Art. 4 PÜ). Für dieses nukleare Ereignis haftet der Inhaber der Kernanlage nach folgenden Grundsätzen: Der Inhaber ist haftpflichtig nach den Grundsätzen einer Haftung ohne Verschulden (Gefährdungshaftung oder Kausalhaftung) (Art. 3 PÜ).

Der Inhaber ist für nukleare Schäden ausschliesslich und allein haftpflichtig. Niemand ausser ihm kann für nukleare Schäden haftpflichtig gemacht werden. Der Inhaber haftet auch nur auf Grund des Pariser Übereinkommens, d.h. sonstige Haftungsgründe, etwa auf Grund allgemeinen Schadenersatzrechts, sind nicht anwendbar. Dies ist die so genannte rechtliche Kanalisierung der Haftung auf den Inhaber der Kernanlage (Art. 6 PÜ).

Die Haftung des Inhabers ist betragsmässig begrenzt (Art. 7 Abs. a PÜ). Der so genannte «Referenzbetrag» betrug zu Beginn 15 Millionen Sonderziehungsrechte (SZR) des Internationalen Währungsfonds (etwa 27 Mio. Fr.) (Art. 7 Abs. b PÜ).

Das Übereinkommen erlaubt es allerdings den Vertragsstaaten, bei geringerem Risiko diesen Betrag herabzusetzen auf einen Betrag, der nicht niedriger ist als 5 Millionen SZR (etwa 9 Mio. Fr.) (Art. 7 Abs. b Ziff. (i) und (ii) PÜ). Der Betrag kann aber auch erhöht werden, sofern für den erhöhten Betrag finanzielle Deckung vorhanden ist. Der Direktionsausschuss der Kernenergieagentur der OECD hat am 20. April 1990 die Empfehlung ausgesprochen, den Referenzbetrag des Übereinkommens auf 150 Millionen SZR (etwa 270 Mio. Fr.) anzuheben.5 Die Mehrzahl der Vertragsstaaten des Übereinkommens ist dieser Empfehlung gefolgt.

Der Inhaber der Kernanlage ist verpflichtet, den von der Gesetzgebung festgelegten Haftungshöchstbetrag in voller Höhe durch Versicherung oder andere finanzielle Sicherheit zu decken (Art. 10 Abs. a PÜ).

Die Verwirkungsfrist beträgt zehn Jahre ab dem Tag des nuklearen Ereignisses. Die nationale
Gesetzgebung kann aber bestimmen, dass Ansprüche zwei Jahre ab dem Tag verjähren, an dem der Geschädigte vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen (Art. 8 PÜ).

Der Inhaber ist von der Haftung befreit, wenn der durch ein nukleares Ereignis verursachte Schaden unmittelbar auf einen bewaffneten Konflikt, Feindseligkeiten, einen Bürgerkrieg, einen Aufstand oder, soweit die Gesetzgebung des betreffenden Vertragsstaates nichts anderes vorsieht, auf eine schwere Naturkatastrophe aussergewöhnlicher Art zurückzuführen ist (Art. 9 PÜ).

5

OECD Doc NE/M (90)1.

5406

Der Inhaber der Kernanlage hat ein Rückgriffsrecht lediglich in zwei Fällen (Art. 6 Abs. f PÜ): ­

wenn der Schaden durch eine mit Schädigungsabsicht begangene Handlung oder Unterlassung verursacht wurde, und zwar gegen die natürliche Person, die die Handlung oder Unterlassung begangen hat;

­

bei einer ausdrücklichen vertraglichen Rückgriffsvereinbarung.

Die nationale Gesetzgebung kann vorsehen, dass die Geschädigten ein direktes Klagerecht gegen den Versicherer des Inhabers oder gegen jeden sonstigen Deckungsgeber haben (Art. 6 Abs. a PÜ).

Das Übereinkommen sieht eine verbindliche Gerichtsstandsregelung vor: Zuständig sind die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet das nukleare Ereignis eingetreten ist (Art. 13 Abs. a PÜ). Tritt der Schaden ausserhalb des Hoheitsgebiets einer Vertragspartei auf oder lässt sich der Ort des nuklearen Ereignisses nicht mit Sicherheit bestimmen, so sind die Gerichte des Landes zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Kernanlage des haftpflichtigen Inhabers gelegen ist (Art. 13 Abs. b PÜ).

Urteile des nach dem Pariser Übereinkommen zuständigen Gerichts sind in allen Vertragsstaaten vollstreckbar (Art. 13 Abs. d PÜ).

Die Haftungsregeln des Pariser Übereinkommens sind anzuwenden ohne Diskriminierung aufgrund von Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Aufenthalt (Art. 14 Abs. a PÜ).

Das Pariser Übereinkommen sieht vor, dass das innerstaatliche Recht auf alle materiell- und verfahrensrechtlichen Fragen anzuwenden ist, die durch das Übereinkommen nicht besonders geregelt werden (Art. 14 Abs. b PÜ).

Das Pariser Übereinkommen findet keine Anwendung auf nukleare Ereignisse, die im Hoheitsgebiet von Nichtvertragsstaaten eingetreten sind oder dort Schaden verursacht haben, sofern nicht die Gesetzgebung einer Vertragspartei etwas anderes bestimmt (Art. 2 PÜ).

1.2.2

Brüsseler Zusatzübereinkommen von 1963 mit den Änderungen von 1964 und 1982

Das Brüsseler Zusatzübereinkommen ist akzessorisch zum Pariser Übereinkommen.

Das bedeutet, dass nur Vertragsstaaten dieses Übereinkommens dem Brüsseler Zusatzübereinkommen angehören können (Art. 1 BZÜ). Das Brüsseler Zusatzübereinkommen ist anwendbar auf Schäden, für die der Inhaber einer Kernanlage in einem Vertragsstaat des Pariser Übereinkommens haftpflichtig ist und die innerhalb der Hoheitsgebiete der Vertragsstaaten erlitten werden (Art. 2 BZÜ).

Das Brüsseler Zusatzübereinkommen sieht zusätzliche Entschädigungen vor, wenn die für den Schadensersatz nach dem Pariser Übereinkommen zur Verfügung stehenden Mittel des haftpflichtigen Inhabers der Kernanlage erschöpft sind. Diese Entschädigungen werden in drei Tranchen geleistet: ­

bis zum Betrag, der von der Gesetzgebung des jeweiligen Vertragsstaats festgelegt wurde, aus den Mitteln des haftpflichtigen Inhabers (Art. 3 Abs. b Ziff. (i) BZÜ);

5407

­

zwischen diesem Betrag und 175 Millionen SZR (etwa 315 Mio. Fr.) aus öffentlichen Mitteln des Vertragsstaates, in dessen Hoheitsgebiet sich die Kernanlage des haftpflichtigen Inhabers befindet (Art. 3 Abs. b Ziff. (ii) BZÜ);

­

zwischen 175 Millionen SZR (etwa 315 Mio. Fr.) und 300 Millionen SZR (etwa 540 Mio. Fr.) aus öffentlichen Mitteln, die von der Gesamtheit der Vertragsstaaten aufgebracht werden (Art. 3 Abs. b Ziff. (iii) BZÜ). Der Anteil eines jeden Staates wird nach einem Verteilschlüssel festgelegt, der zu 50 Prozent auf dem Bruttosozialprodukt und zu 50 Prozent auf der im Hoheitsgebiet des betreffenden Vertragsstaats installierten nuklearen Leistung basiert (Art. 12 BZÜ).

Das Paris-Brüssel-System garantiert somit insgesamt eine auf 300 Millionen SZR (etwa 540 Mio. Fr.) begrenzte finanzielle Deckung. Soweit das Brüsseler Zusatzübereinkommen Entschädigungsleistungen aus öffentlichen Mitteln vorsieht, bedeutet das nicht, dass die Vertragsstaaten für die Bereitstellung dieser Mittel nicht Beiträge von den Inhabern der Kernanlagen verlangen können.

1.2.3

Wiener Übereinkommen von 1963

Das Wiener Atomhaftungsübereinkommen ist inhaltlich in seinen wesentlichen Elementen identisch mit dem Pariser Übereinkommen. Dennoch bestehen einige Unterschiede: Die Haftung des Inhabers der Kernanlage ist nicht grundsätzlich betragsmässig begrenzt, sondern das Übereinkommen sieht vor, dass die Haftung des Inhabers durch den nationalen Gesetzgeber begrenzt werden kann auf einen Betrag, der nicht geringer ist als 5 Millionen US-Gold-Dollar nach dem Stand des Goldpreises vom 29. April 1963. Sofern der nationale Gesetzgeber eine Begrenzung der Haftung nicht festlegt, haftet der Inhaber der Kernanlage nach dem Wiener Übereinkommen betragsmässig unbegrenzt.

Im Unterschied zum Pariser Übereinkommen können die Vertragsstaaten des Wiener Übereinkommens den Geltungsbereich dieses Übereinkommens nicht durch innerstaatliches Recht auf Nichtvertragsstaaten ausdehnen.

Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab dem Tag, an dem der Geschädigte vom Schaden und vom verantwortlichen Inhaber Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen.

1.2.4

Gemeinsames Protokoll von 1988

Das Gemeinsame Protokoll verbindet das Wiener Übereinkommen und das Pariser Übereinkommen in folgender Weise: Der Inhaber einer im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei des Pariser Übereinkommens gelegenen Kernanlage haftet nach diesem Übereinkommen für nukleare Schäden, die im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei sowohl des Pariser Übereinkommens als auch des Wiener Übereinkommens entstanden sind. Das gleiche gilt im Falle der Haftpflicht des Inhabers einer im Hoheitsgebiet des Wiener Übereinkommens gelegenen Kernanlage.

5408

Auf ein nukleares Ereignis findet entweder das Wiener Übereinkommen oder das Pariser Übereinkommen unter Ausschluss des jeweils anderen Übereinkommens Anwendung. Es ist jenes Übereinkommen anwendbar, dessen Vertragspartei der Staat ist, in dessen Hoheitsgebiet die Kernanlage, in der das Ereignis eingetreten ist, gelegen ist. Tritt ausserhalb einer Kernanlage im Verlauf eines Transports von Kernmaterialien ein nukleares Ereignis ein, so ist das Übereinkommen anwendbar, dessen Vertragspartei der Staat ist, in dessen Hoheitsgebiet die Kernanlage des haftpflichtigen Inhabers gelegen ist.

Die Artikel 1­14 des Pariser Übereinkommens finden auf die Vertragsparteien des Protokolls, die Vertragsparteien des Wiener Übereinkommens sind, in gleicher Weise Anwendung wie zwischen den Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens. Entsprechend gelten die Artikel I­XV des Wiener Übereinkommens für Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens.

Mit diesen Regelungen wird sichergestellt, dass Geschädigte in den Hoheitsgebieten des Pariser Übereinkommens und des Wiener Übereinkommens ohne Diskriminierung jeweils so entschädigt werden, als wenn sie dem Übereinkommen angehören, dem der haftpflichtige Inhaber der Kernanlage unterworfen ist.

1.3

Atomhaftungsregelungen im benachbarten Ausland

1.3.1

Allgemeines

Die unmittelbar an die Schweiz angrenzenden Staaten Italien, Frankreich und Deutschland gehören dem Pariser Übereinkommen und dem Brüsseler Zusatzübereinkommen an. Italien und Deutschland sind ferner Vertragsstaaten des Gemeinsamen Protokolls; in Frankreich ist die gleichzeitige Ratifizierung des Gemeinsamen Protokolls und der Revisionsprotokolle vom 12. Februar 2004 zum Pariser und zum Brüsseler Übereinkommen geplant. Österreich und das Fürstentum Liechtenstein gehören keinem der internationalen Atomhaftungsübereinkommen an.

1.3.2

Deutschland

In Deutschland befinden sich zur Zeit 17 Kernkraftwerke in Betrieb. Durch das Gesetz vom 22. April 2002 ist der Ausstieg aus der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität festgelegt worden; nach dem gesetzlichen Zeitplan soll das letzte deutsche Kernkraftwerk im Jahre 2021 abgeschaltet werden.

Das deutsche Atomgesetz von 1959 in der Fassung der letzten Änderung von 2002 regelt die Atomhaftung in den §§ 25 ff. Danach gelten für die Haftung des Inhabers einer Kernanlage die Bestimmungen des Pariser Übereinkommens und ergänzend die Bestimmungen des Atomgesetzes. Das Pariser Übereinkommen ist somit unmittelbar anwendbar. Das deutsche Atomgesetz sieht jedoch einige Änderungen vor, die gegenüber dem Pariser Übereinkommen zu einer Verschärfung der Haftung des Inhabers der Kernanlage führen: Die Haftung ist betragsmässig unbegrenzt; im Verhältnis zu Schäden im Ausland gilt eine Gegenrechtsregelung.

5409

Er haftet auch für Schäden infolge bewaffneter Konflikte, Feindseligkeiten, eines Bürgerkriegs, eines Aufstands oder einer schweren Naturkatastrophe aussergewöhnlicher Art. In diesen Fällen ist die Haftung allerdings auf den Höchstbetrag von 2,5 Milliarden Euro (etwa 3,75 Mia. Fr.) begrenzt.

Zur Deckung seiner Haftpflicht hat er eine Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro (etwa 3,75 Mia. Fr.) nachzuweisen.

Schadenersatzansprüche verjähren in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, an welchem der Ersatzberechtigte vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, in jedem Fall aber in dreissig Jahren von dem schädigenden Ereignis an.

Er haftet unabhängig vom Ort des Schadenseintritts. Deutschland hat damit von der in Artikel 2 des Pariser Übereinkommens vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Geltungsbereich des Abkommens räumlich auszudehnen.

Soweit Ersatzansprüche gegen den Inhaber einer Kernanlage von der Deckungsvorsorge nicht gedeckt sind oder aus ihr nicht erfüllt werden können, tritt der Staat bis zum Höchstbetrag von 2,5 Milliarden Euro (etwa 3,75 Mia. Fr.) ein (Freistellungsverpflichtung).

Die Schweiz hat am 22. Oktober 1986 mit Deutschland ein Abkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie abgeschlossen, das im Verhältnis zwischen beiden Staaten vorsieht, dass bei einem nuklearen Unfall Angehörige des Nachbarstaates sowie Personen, die dort ihren Sitz, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, gleich behandelt werden wie diejenigen des Ereignisstaates (Gegenrechtsabkommen, SR 0.732.441.36).

1.3.3

Frankreich

In Frankreich befinden sich 59 Kernkraftwerke in Betrieb. Wie Deutschland wendet auch Frankreich die materiellen Haftpflichtbestimmungen des Pariser Übereinkommens unmittelbar an. Massgebliche Vorschrift ist die Loi no. 68-943 du 30 octobre 1968 rélative à la responsabilité civile dans le domaine de l'énergie nucléaire in der Fassung des Gesetzes no. 90-488 du 16 juin 1990. Dieses nationale Umsetzungsgesetz ergänzt das Pariser Übereinkommen in folgender Weise: Die Haftung des Inhabers der Kernanlage ist begrenzt auf 91,5 Millionen Euro (etwa 150 Mio. Fr.). Bei Anlagen mit einem geringen Risiko, die sich auf dem gleichen Gelände wie eine Hauptanlage befinden, ist die Haftung auf 22,8 Millionen Euro (etwa 38 Mio. Fr.) begrenzt. 22,8 Millionen Euro sind auch der Höchstbetrag für Schäden durch den Transport von Kernmaterial.

Übersteigen Schäden diesen Höchstbetrag, so leistet der Staat im Rahmen und unter den Bedingungen des Brüsseler Zusatzübereinkommens bis zu 300 Millionen SZR (etwa 540 Mio. Fr.) Entschädigung.

Für militärische Kernanlagen, die grundsätzlich vom Pariser Übereinkommen ausgenommen sind, wird Entschädigung in gleicher Weise wie nach dem Pariser Übereinkommen und dem Brüsseler Zusatzübereinkommen geleistet.

5410

Es gilt der räumliche Geltungsbereich nach Artikel 2 des Pariser Übereinkommens mit der Folge, dass der Inhaber einer französischen Kernanlage für Schäden in Nichtvertragsstaaten des Pariser Übereinkommens nicht haftpflichtig ist.

Einziges zuständiges Gericht für Schadensersatzklagen ist das Tribunal de Grande Instance in Paris.

Ansprüche auf Schadensersatz verjähren drei Jahre von dem Zeitpunkt an, an dem der Ersatzpflichtige Kenntnis vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen erlangt hat oder hätte erlangen müssen; unabhängig davon erlöschen sie zehn Jahre nach dem nuklearen Ereignis. Der französische Staat leistet während weiteren fünf Jahren Schadenersatz, wenn Schäden erst in dieser Zeit sichtbar werden, im französischen Hoheitsgebiet erlitten wurden und ein französisches Gericht für entsprechende Klagen zuständig ist.

1.3.4

Italien

Italien hat alle Kernkraftwerke stillgelegt. Der italienische Gesetzgeber hat das Pariser Übereinkommen und das Brüsseler Zusatzübereinkommen mit dem Gesetz vom 31. Dezember 1962, n. 1860, sull'impiego pacifico dell'energia nucleare (geändert insbesondere durch Präsidialdekret vom 10. März 1975, n. 519) umgesetzt.

Die Haftungshöchstsumme des Inhabers einer Kernanlage ist begrenzt auf 7500 Millionen italienische Lire (etwa 6 Mio. Fr.); für darüber hinausgehende Schäden wird Entschädigung auf der Grundlage des Brüsseler Zusatzübereinkommens bis zum Höchstbetrag vom 300 Millionen SZR (etwa 540 Mio. Fr.) geleistet.

Ersatzansprüche werden ausgeschlossen nach drei Jahren vom Zeitpunkt des Kennens oder Kennenmüssens des Ersatzpflichtigen und des Schadens, in jedem Fall aber nach zehn Jahren ab dem nuklearen Ereignis.

Wie Frankreich hält sich auch Italien an den räumlichen Geltungsbereich nach Artikel 2 des Pariser Übereinkommens, d.h. kein Ersatz für Schäden in Nichtvertragsstaaten des Pariser Übereinkommens.

1.3.5

Österreich

In Österreich gibt es keine Kernkraftwerke, sondern nur kleine Forschungsreaktoren.

Österreich gehört keinem der internationalen Atomhaftungsübereinkommen an. Es hat im Jahre 1999 das bis dahin geltende Atomhaftungsgesetz von 1964 ersetzt durch das «Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Radioaktivität (Atomhaftungsgesetz 1999)». Dieses Gesetz begründet eine Gefährdungshaftung des Inhabers einer Kernanlage ohne eine betragsmässige Beschränkung der Haftung. Es sieht keine rechtliche Kanalisierung der Haftung vor, so dass ausser dem Inhaber der Kernanlage auch andere Personen, die zum Schaden beigetragen haben, ersatzpflichtig gemacht werden können. Insbesondere durch diese Regelung weicht die österreichische Regelung wesentlich vom internationalen Standard des Atomhaftungsrechts ab. Das hat zur Folge, dass die internationalen Kernenergiehaftungsübereinkommen und damit auch das Kernenergiehaftpflichtgesetz im Falle eines nuklearen Schadens in Österreich keine Anwendung finden (vgl. Ziff. 1.4.2).

5411

1.4

Die Pariser und Brüsseler Revisionsprotokolle vom 12. Februar 2004

1.4.1

Vorbemerkung

Die Vertragsstaaten des Wiener Übereinkommens haben in den Jahren 1989 bis 1997 das Wiener Übereinkommen einer umfassenden Revision unterzogen. Mit dieser Revision konnte nach der Katastrophe von Tschernobyl der Schutz möglicher Opfer von nuklearen Ereignissen deutlich verbessert werden. Wesentliche Elemente dieser Revision waren einerseits eine Ausweitung des Schadensbegriffes, insbesondere bezüglich gewisser Umweltschäden, und andererseits die Erhöhung der Mindesthaftungssumme von bisher 5 Millionen US-Gold-Dollar auf 300 Millionen SZR (etwa 540 Mio. Fr.).

Die Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens und des Brüsseler Zusatzübereinkommens haben im Jahre 1998 Revisionsverhandlungen aufgenommen. Dabei war es eines der Hauptziele, die durch die Revision des Wiener Übereinkommens verlorene Kompatibilität mit dem Pariser Übereinkommen wiederherzustellen. Insbesondere wegen des Gemeinsamen Protokolls war im Interesse eines gleichwertigen grenzüberschreitenden Opferschutzes eine rasche Anpassung des Pariser Übereinkommens an die Neuerungen des Wiener Übereinkommens unerlässlich.

1.4.2

Revisionsprotokoll 2004 zum Pariser Übereinkommen

Das Revisionsprotokoll zum Pariser Übereinkommen belässt die Grundstrukturen und insbesondere die Haftungsgrundsätze des Übereinkommens mit einer Ausnahme: Der Grundsatz der betragsmässigen Haftungsbegrenzung wird aufgegeben.

Stattdessen enthält das Protokoll nur noch einen Mindesthaftungsbetrag, der von den Vertragsparteien nicht unterschritten, aber sehr wohl überschritten werden darf. Eine betragsmässig unbegrenzte Haftung ist daher auch nach dem Pariser Übereinkommen in der Fassung von 2004 zulässig (Art. 7 Abs. a PÜ 04).

Die wichtigsten Änderungen im Einzelnen: Schadensbegriff (Art. 1 Abs. a Ziff. (vii) bis (x) PÜ 04): Der bisher lediglich Personen- und Sachschäden umfassende Schadensbegriff wird erweitert. Er umfasst neu insbesondere auch die Kosten von Massnahmen zur Wiederherstellung der Umwelt, sofern die Schädigung nicht unbeträchtlich ist. Dazu gehört auch der Einkommensverlust aus einer unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzung der Umwelt (z.B. Landwirtschaft, Fischerei). Der ersatzpflichtige Schaden umfasst ferner Kosten für angemessene Massnahmen, die jemand nach einem nuklearen Ereignis oder einem Ereignis, das zu einer ernsten und unmittelbaren Gefahr eines nuklearen Schadens führt, ergriffen hat, um einen Schaden zu verhindern oder zu beschränken (Vorsorgemassnahmen). Sowohl Wiederherstellungs- als auch Vorsorgemassnahmen sind nur zu entschädigen, wenn sie von der im Recht des jeweiligen Staates bezeichneten Behörde genehmigt wurden.

Räumlicher Geltungsbereich (Art. 2 PÜ 04): Die Anwendung des Übereinkommens ist nicht mehr auf die Vertragsstaaten begrenzt, sondern Ersatz ist auch zu leisten für Schäden, die in einem Nichtvertragsstaat entstanden sind, der zum Zeitpunkt des 5412

nuklearen Ereignisses entweder Vertragspartei des Wiener Übereinkommens und des Gemeinsamen Protokolls ist oder in seinem Hoheitsgebiet oder in seinen nach dem Völkerrecht festgelegten Meereszonen keine Kernanlage besitzt oder über eine Gesetzgebung verfügt, die entsprechende Leistungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bietet und auf Grundsätzen beruht, die mit dem Pariser Übereinkommen identisch sind.

Den Vertragsstaaten ist freigestellt, in ihrer Gesetzgebung einen grösseren Geltungsbereich des Übereinkommens vorzusehen, z.B. diesen generell auf Nichtvertragsstaaten auszudehnen.

Mindesthaftungsbetrag (Art. 7 Abs. a PÜ 04): Die Haftung des Inhabers einer Kernanlage muss mindestens 700 Millionen Euro (etwa 1050 Mio. Fr.) betragen. Höhere Beträge und eine gänzliche Aufhebung der betragsmässigen Begrenzung sind zulässig. Die Gesetzgebung der Vertragsparteien kann für Anlagen mit geringem Risiko den Betrag auf mindestens 70 Millionen Euro (etwa 105 Mio. Fr.) herabsetzen (Art. 7 Abs. b Ziff. (i) PÜ 04). Für den Transport von Kernmaterialien kann, wenn es die Art der Kernmaterialien und das mit dem Transport verbundene Risiko erlauben, der Betrag auf mindestens 80 Millionen Euro (etwa 120 Mio. Fr.) herabgesetzt werden (Art. 7 Abs. b Ziff. (ii) PÜ 04).

Deckung (Art. 10 Abs. a PÜ 04): Der Inhaber der Kernanlage hat den von der nationalen Gesetzgebung festgesetzten Mindesthaftungsbetrag durch eine gleich hohe Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit zu decken. Wenn der Inhaber ohne betragsmässige Begrenzung haftet, muss die Deckungssumme mindestens 700 Millionen Euro (etwa 1050 Mio. Fr.) betragen (Art. 10 Abs. b PÜ 04). Für Anlagen bzw. Transporte mit geringerem Risiko betragen die Deckungssummen mindestens 70 bzw. 80 Millionen Euro (etwa 105 bzw. 120 Mio. Fr.). Sofern die Schadensersatzansprüche aus der Versicherung oder der sonstigen finanziellen Sicherheit des Inhabers nicht erfüllt werden können, muss der Vertragsstaat bis zu den genannten Beträgen eintreten (Art. 10 Abs. c PÜ 04).

Die Verwirkungsfrist beträgt bei Ersatzansprüchen wegen Personenschäden dreissig Jahre, bei allen anderen Schäden zehn Jahre ab dem nuklearen Ereignis. Die Vertragsstaaten können jedoch längere Fristen festsetzen, wenn die Deckung auch für diese längere Frist gewährleistet ist. Die innerstaatliche Gesetzgebung
kann ferner für das Erlöschen oder die Verjährung von Ansprüchen eine Frist von mindestens drei Jahren ab dem Zeitpunkt des Kennens oder Kennenmüssens des Schadens und des Haftpflichtigen festlegen (Art. 8 Abs. a­d PÜ 04).

Der Haftungsausschluss für kriegerische Ereignisse bleibt bestehen; jedoch wurde der Haftungsausschluss als Folge schwerer Naturkatastrophen gestrichen (bisher können die Vertragsstaaten wählen, ob sie diesen Haftungsausschluss zulassen wollten oder nicht) (Art. 9 PÜ 04).

Das zuständige Gericht kann den haftpflichtigen Inhaber ganz oder teilweise von der Schadenersatzpflicht befreien, wenn der Geschädigte den Schaden ganz oder teilweise aus grober Fahrlässigkeit oder mit Schädigungsabsicht verursacht hat (Art. 6 Abs. c Ziff. (i) 1 PÜ 04).

5413

1.4.3

Revisionsprotokoll 2004 zum Brüsseler Zusatzübereinkommen

Das Brüsseler Zusatzübereinkommen ist in seiner Grundstruktur mit den drei Entschädigungstranchen unverändert geblieben. Die Änderungen des Pariser Übereinkommens haben jedoch zu einigen bedeutenden Änderungen des Brüsseler Zusatzübereinkommens geführt: Die drei Entschädigungstranchen enthalten nunmehr folgende Summen: 1. Tranche: Die Entschädigung aus den Mitteln (Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit) des haftpflichtigen Inhabers der Kernanlage muss neu mindestens 700 Millionen Euro (etwa 1050 Mio. Fr.) betragen (entspricht der Mindestsumme des Pariser Übereinkommens) (Art. 3 Abs. b Ziff. (i) BZÜ 04).

2. Tranche: Zwischen der ersten Tranche und einem Betrag von 1200 Millionen Euro (etwa 1800 Mio. Fr.) muss der Staat, in dem die Anlage des haftpflichtigen Inhabers gelegen ist, die Entschädigung sicherstellen. Sofern die vom Inhaber bereitzustellenden finanziellen Mittel höher als 700 Millionen Euro sind, kann auch die zweite Tranche ganz oder teilweise aus den Mitteln des Inhabers gespeist werden (Art. 3 Abs. b Ziff. (ii) BZÜ 04).

3. Tranche: Zwischen dem Betrag von 1200 Millionen und 1500 Millionen Euro (etwa 2250 Mio. Fr.) ist Entschädigung von der Gesamtheit der Vertragsstaaten zu leisten (Art. 3 Abs. b Ziff. (iii) BZÜ 04).

Die in der dritten Tranche von den Vertragsstaaten gemeinsam aufzubringenden Mittel in Höhe von 300 Millionen Euro (etwa 450 Mio. Fr.) werden nach einem gegenüber der ursprünglichen Fassung des Übereinkommens geänderten Schlüssel aufgebracht: zu 35 Prozent nach dem Bruttoinlandprodukt und zu 65 Prozent nach der im Hoheitsgebiet des betreffenden Vertragsstaates installierten nuklearen Leistung (früher: 50 % zu 50 %) (Art. 12 Abs. a BZÜ 04).

Die dritte Tranche wird ausbezahlt, wenn Schadensersatzleistungen zu erbringen sind, die den Betrag von 1200 Millionen Euro überschreiten, unabhängig davon, ob dieser Betrag aus privaten Mitteln des Inhabers oder aus öffentlichen Mitteln stammt oder ob noch weitere private Mittel verfügbar sind. Wenn also beispielsweise ein Staat vom Inhaber eine höhere private Deckung als 1200 Millionen Euro verlangt, dann entsteht gleichwohl der Anspruch auf die dritte Tranche, wenn die Schadenersatzansprüche 1200 Millionen Euro übersteigen. Nachdem die dritte Tranche verbraucht ist, können die weiteren Mittel des Inhabers zur Entschädigung
herangezogen werden (Art. 9 Abs. c BZÜ 04).

Der geographische Geltungsbereich des revidierten Brüsseler Übereinkommens entspricht dem erweiterten Geltungsbereich des Pariser Übereinkommens; jedoch sind Schäden in Nichtvertragsstaaten weiterhin von den Entschädigungsmitteln der 2. und 3.

Tranche des Brüsseler Zusatzübereinkommens ausgeschlossen (Art. 2 Abs. a BZÜ 04).

Im Falle des Beitritts weiterer Staaten zum Übereinkommen erhöht sich die dritte Tranche jeweils um einen bestimmten Betrag. Für die Ermittlung dieser Erhöhung wird zu 35 Prozent auf das Bruttoinlandprodukt und zu 65 Prozent auf die installierte thermische Leistung des beitretenden Staates als auch auf die entsprechenden Werte der Vertragsstaaten abgestellt. Die dritte Tranche des Brüsseler Zusatzübereinkommens ist somit nicht mehr eine fixe Tranche, sondern abhängig von der Anzahl der Mitgliedsstaaten (Art. 12bis Abs. a BZÜ 04).

5414

1.4.4

Ratifikation der Übereinkommen von Paris und Brüssel und des Gemeinsamen Protokolls

Verzicht auf Ratifizierung im Jahre 1979 Der Bundesrat kam in der Botschaft vom 10. Dezember 1979 (BBl 1980 I 164) über das Kernenergiehaftpflichtgesetz zum Schluss, es sei aus den nachstehenden politischen und juristischen Gründen auf die Ratifizierung der Pariser und Brüsseler Übereinkommen zu verzichten: ­

Wortlaut und Geist der Pariser und Brüsseler Übereinkommen verbieten den Vertragsstaaten nicht nur, eine unbegrenzte zivilrechtliche Haftung vorzusehen, sondern auch, eine Haftungsgrenze festzulegen, die die vom Brüsseler Übereinkommen bestimmte Höchstgrenze überschreitet; der Bundesrat schrieb damals: «Wir sind deshalb der Auffassung, dass zumindest solange auf die Ratifikation der beiden Übereinkommen verzichtet werden sollte, als sie der Einführung einer unbeschränkten Haftung für Inhaber von schweizerischen Kernanlagen entgegensteht.»

­

Der Bundesrat befürchtete zudem, dass die den Opfern durch das ParisBrüssel-System zur Verfügung gestellten Garantiebeträge ungenügend seien.

Die damalige Botschaft präzisierte: «Die Ratifikation der Übereinkommen von Paris und Brüssel allein führt somit unser Erachtens nicht zu einem ausreichenden finanziellen Schutz der Geschädigten. Die Schweiz muss in jedem Fall eine weitergehende Entschädigungsregelung im Gesetz vorsehen.

Aus dieser Sicht drängt sich deshalb eine Ratifikation keineswegs auf.»

Geänderte Lage nach der Revision der Pariser und Brüsseler Übereinkommen Die damalige Begründung hat heute keine Grundlage mehr. Die revidierten Pariser und Brüsseler Übereinkommen anerkennen ausdrücklich auch eine nationale Haftungsgesetzgebung mit betragsmässig unbegrenzter Haftung des Inhabers. Artikel 7 des revidierten Pariser Übereinkommens enthält keinen Haftungshöchstbetrag mehr, sondern setzt einen Mindestbetrag der Haftungssumme des Inhabers einer Kernanlage fest. In Artikel 10 des revidierten Pariser Übereinkommens findet sich zudem eine ausdrückliche Vorschrift über die zu erbringende Deckungssumme bei betragsmässig unbegrenzter Haftung (Art. 10 Abs. b).

Ein Beitritt der Schweiz zu den Übereinkommen hätte folgende Vorteile: Die Schweiz ist mehrheitlich von Nuklearstaaten umgeben, die Vertragsstaaten des Pariser und Brüsseler Übereinkommens sind (vgl. Ziff. 1.3). Bei einer Ratifizierung der Übereinkommen durch die Schweiz hätten die schweizerischen Opfer eines im Ausland stattgefundenen nuklearen Ereignisses die Garantie, auf der Grundlage der Gleichbehandlung im Rahmen der Haftungsgrundsätze der internationalen Übereinkommen entschädigt zu werden. Dies ist nach der derzeitigen Rechtslage nicht garantiert.

Eine Beteiligung am Brüsseler Zusatzübereinkommen liesse die Schweiz von den Mitteln profitieren, welche die Vertragsstaaten unter dem Titel der internationalen Solidarität bereitstellen, falls nukleare Schäden in der Schweiz eintreten würden (3. Tranche = 450 Mio. Fr.). Dieser nicht zu vernachlässigende Betrag käme zu der im revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetz festgesetzten Deckungssumme hinzu.

5415

Geschädigte in der Schweiz könnten ihre Schadenersatzansprüche unter Berufung auf gemeinsame materielle und formelle Regeln geltend machen, die unabhängig von nationalen Grenzen auf alle Vertragsstaaten anwendbar sind, weil das Pariser Übereinkommen ein einziges zuständiges Gericht vorsieht. Die Entscheidung dieses Gerichts ist in jedem Vertragsstaat vollstreckbar.

Der Beitritt zum Gemeinsamen Protokoll stellt sicher, dass die aufgezeigten Vorteile von vertraglichen Beziehungen der Schweiz mit anderen Staaten auch dann zur Anwendung kommen, wenn in der Schweiz ein Schaden erlitten wird, der von einer Anlage in einem Vertragsstaat des Wiener Übereinkommens verursacht wurde.

Der Vergleich der Übereinkommen von Paris und Brüssel mit dem schweizerischen Recht zeigt, dass die beiden Regelungen bezüglich der Haftungsprinzipien und im Hinblick auf den Opferschutz weitgehend gleich sind.

Die Nichtzugehörigkeit der Schweiz zum internationalen Atomhaftungsregime ist für die Opfer eines möglichen Nuklearunfalls ein wesentlicher Nachteil. Ohne staatsvertragliche Beziehungen wird die Geltendmachung von Entschädigungsforderungen erheblich komplizierter, da die Geschädigten keine andere Wahl haben, als den ordentlichen ausländischen Zivilrechtsweg zu beschreiten. Sie haben dabei keine Garantie, dass sie die gleiche Behandlung wie Geschädigte im Unfallstaat erfahren; sie haben nicht einmal eine Garantie, dass sie überhaupt eine Entschädigung erhalten. Für den haftpflichtigen Inhaber einer schweizerischen Kernanlage birgt die derzeitige Rechtslage ebenfalls Risiken, da er bei Auslandsschäden nicht voraussehen kann, welche rechtliche Regelung zur Anwendung kommt.

Die Einbindung in ein internationales Atomhaftungssystem kann dazu führen, dass die zur Deckung von Nuklearschäden zur Verfügung stehenden Mittel unter einem grösseren Kreis von Geschädigten zu verteilen sind, als wenn die Mittel allein national verwendet werden könnten. Dies ist ein Nachteil, der jedoch im Hinblick auf die geschilderten Vorteile in Kauf zu nehmen ist. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die vorgeschlagene Deckungssumme und die weiter zur Verfügung stehenden Mittel nach dem Brüsseler Zusatzübereinkommen zwar hoch sind, dass bei weitergehenden Schäden ohnehin die Grenzen zivilrechtlicher Leistungsfähigkeit erreicht sind. Man muss in einer solchen Situation von einer Katastrophe sprechen, die in jedem Fall zusätzliche staatliche Mittel erfordert.

1.5

Die Übernahme der internationalen Übereinkommen in das schweizerische Recht

1.5.1

Übernahme im KHG

Die operativen Teile des Pariser Übereinkommens (Artikel 1­15) sind so formuliert, dass sie innerstaatlich unmittelbar angewendet werden können. Es ist nicht erforderlich, dass der nationale Gesetzgeber diesen völkerrechtlichen Vertrag in ein nationales Gesetz umsetzt, um seine Anwendung zu ermöglichen. Von den Nachbarstaaten der Schweiz haben Deutschland und Frankreich ebenfalls das Verfahren der direkten Anwendung gewählt. Mit der direkten Anwendung («self-executing») wird überdies sichergestellt, dass mögliche Fehlinterpretationen des Vertragstextes bei der Umformung in ein nationales Gesetz vermieden werden.

5416

Dies gilt nicht für das Brüsseler Zusatzübereinkommen. Dieses Übereinkommen schafft Rechte und Pflichten lediglich zwischen den Vertragsparteien und richtet sich nicht an Individuen. Das Brüsseler Zusatzübereinkommen bedarf daher der innerstaatlichen Umsetzung.

Das Gemeinsame Protokoll ist ebenfalls so formuliert, dass nach seiner Ratifizierung dessen Bestimmungen unmittelbar geltendes Recht sind.

Die Ratifizierung der beiden Übereinkommen und des Gemeinsamen Protokolls hat daher direkte Auswirkungen auf Form und Inhalt des revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetzes. Die direkt anwendbaren Bestimmungen des Pariser Übereinkommens und des Gemeinsamen Protokolls werden zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten nicht in den KHG-Entwurf übernommen. Soweit möglich soll das Gesetz auf diese völkerrechtlichen Verträge verweisen und nur solche Bestimmungen der Übereinkommen konkretisieren, die nicht unmittelbar anwendbar sind. Zu regeln sind zudem diejenigen Bereiche, die von den Übereinkommen nicht behandelt werden oder in der Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers verbleiben. Das revidierte Kernenergiehaftpflichtgesetz enthält somit lediglich das Pariser Übereinkommen und das Gemeinsame Protokoll ergänzende Bestimmungen.

1.5.2

Schweizerische Vorbehalte zu den internationalen Übereinkommen

Am 12. Februar 2004 hat die Schweiz die Revisionsprotokolle 2004 zum Pariser Übereinkommen und zum Brüsseler Zusatzübereinkommen vorbehältlich der Ratifikation unterzeichnet. Sie hat dabei zwei Vorbehalte (s. Art. 1 Abs. 1 Bst. a des Entwurfs Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie) angemeldet: Nach Artikel 8 Absatz f des Pariser Übereinkommens kann derjenige, der innert Frist eine Schadenersatzklage eingereicht hat, zusätzliche Ansprüche wegen einer allfälligen Vergrösserung des nuklearen Schadens nach Ablauf dieser Frist geltend machen, solange das zuständige Gericht noch kein endgültiges Urteil gefällt hat.

Diese Bestimmung ermöglicht die Geltendmachung zusätzlicher Ansprüche nach Ablauf der dreissigjährigen Frist nur insoweit, als das zuständige Gericht noch kein rechtskräftiges Urteil gefällt hat. Die Revision eines rechtskräftigen Urteils wäre in diesem Fall nicht mehr möglich. Die Revision von rechtskräftigen Urteilen entspricht jedoch der schweizerischen Rechtstradition (siehe dazu z.B. Art. 137 Bundesrechtspflegegesetz; SR 173.110). Deshalb sieht sowohl das geltende Kernenergiehaftpflichtgesetz (Art. 10 Abs. 3 KHG) als auch der Entwurf (Art. 5 Abs. 5) vor, dass eine Revision eines rechtskräftigen Urteils verlangt werden kann, wenn der Gesundheitszustand des Geschädigten sich verschlimmert oder wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden.

Der zweite Vorbehalt betrifft Artikel 9 des revidierten Pariser Übereinkommens.

Danach ist die Haftpflicht des Inhabers einer Kernanlage ausgeschlossen, wenn das nukleare Ereignis unmittelbar auf Handlungen eines bewaffneten Konflikts, von Feindseligkeiten, eines Bürgerkriegs oder eines Aufstandes zurückzuführen ist.

Nach dem geltenden Kernenergiehaftpflichtgesetz haftet der Inhaber einer Kernanlage jedoch auch für kriegerische Ereignisse und terroristische Gewaltakte. Diese

5417

Haftung soll auch im revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetz im Interesse des Opferschutzes weitergeführt werden.

Nach Artikel 18 des revidierten Pariser Übereinkommens können die Vertragsstaaten Vorbehalte bis zum Zeitpunkt der Ratifikation des Übereinkommens anbringen.

Die Schweiz wird dannzumal im Zusammenhang mit der Reziprozitätsregelung gegenüber Vertragsstaaten des Wiener Übereinkommens, die zugleich Vertragsstaaten des gemeinsamen Protokolls sind, einen dritten Vorbehalt (s. Art. 1 Abs. 1 Bst. c des Entwurfs Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie) anmelden.. Es gibt Vertragsstaaten der genannten Übereinkommen, die in ihren nationalen Gesetzgebungen tiefere minimale Deckungssummen vorschreiben, als in Artikel 7 Absatz a des Pariser Übereinkommens vorgesehen ist (700 Mio. Euro). Gegenüber solchen Staaten muss sich die Schweiz in Analogie zu Artikel 7 Absatz g des revidierten Pariser Übereinkommens vorbehalten können, Entschädigung nur bis zu jenem Betrag leisten zu müssen, den der andere Staat im Zeitpunkt des nuklearen Ereignisses im Verhältnis zur Schweiz vorsieht. Siehe dazu Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe c des Entwurfs zum KHG. Die Rechtsgültigkeit des dritten Vorbehalts wurde durch den Depositar bestätigt.

1.6

Erhöhung der Deckungssumme

Ein Hauptziel der Revision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes ist die Erhöhung der Deckungssumme, die gegenwärtig eine Milliarde Franken beträgt (zuzüglich 100 Mio. für Zinsen und Verfahrenskosten). Diese Summe ist im internationalen Vergleich zwar hoch, in Anbetracht des grossen Schadenpotentials eines nuklearen Unfalls jedoch eher gering. Bereits im Rahmen der parlamentarischen Beratung des Kernenergiegesetzes wurden daher Anträge zur Erhöhung der Deckungssumme gestellt, aber im Hinblick auf die bevorstehende Totalrevision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes wieder zurückgezogen bzw. abgelehnt.

Im Auftrag des Bundesamts für Energie haben Prof. Peter Zweifel und Roland D. Umbricht vom Sozialökonomischen Institut der Universität Zürich geprüft, zu welchen Bedingungen die Deckung des Nuklearrisikos verbessert werden könnte.

Sie kommen in ihrem Bericht vom Mai 2002 zum Schluss, dass es gute Gründe für einen Ausbau der obligatorischen Kernenergiehaftpflichtversicherung gibt.

Angesichts der möglichen Schäden bei einem schweren Unfall mit Austritt von Radioaktivität plädieren die Autoren des Berichtes für eine Erhöhung der Deckungssumme. Sie beurteilen die Kosten einer Erhöhung als tragbar. Die bei einer Erhöhung auf zwei (oder vier) Milliarden Franken verbundenen Mehrkosten für den Strom aus Kernkraftwerken hätten praktisch keine negativen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Kernenergie.

Weiter untersuchten die Autoren die Frage, wie viel die schweizerischen Stimmbürger für eine erhöhte finanzielle Sicherheit bei einem schweren nuklearen Unfall zusätzlich zu zahlen bereit sind. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die Kosten einer Erhöhung der Versicherungsdeckung auf vier Milliarden Franken von einer Mehrheit der Stimmbürger akzeptiert würden.

5418

Die Koreferenten Prof. Silvio Borner, Universität Basel, und Dr. Stefan Hirschberg, Paul Scherrer Institut, äussern sich allerdings kritisch zu den in den beiden Untersuchungen angewendeten Methoden und Annahmen. Unter anderem machen sie geltend, dass die gewählte Schadensdichtefunktion für die Festlegung der Versicherungsprämien ungeeignet ist, die Risiken mittels Haftpflichtprämien kaum beeinflusst werden können und die externen Kosten der anderen Stromproduktionsarten nicht berücksichtigt werden.

Die Unsicherheit der Ergebnisse u.a. aufgrund der wissenschaftlichen Novität der Untersuchungen sowie die Koreferate zeigen, dass verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der Deckung des Nuklearrisikos nach wie vor offen sind. Die Höhe der Deckungssumme für Nuklearrisiken wird daher eine primär durch die Politik zu beantwortende Frage bleiben.

Im vorliegenden Gesetzesentwurf wird eine Erhöhung der Deckungssumme auf 1,8 Milliarden Franken vorgeschlagen, damit der Betrag der ersten beiden Tranchen erreicht wird, welcher vom Pariser Übereinkommen und dem Brüsseler Zusatzübereinkommen vorgesehen sind (1,2 Mia. Euro oder etwa 1,8 Mia. Fr.). Dieser Betrag stellt das Minimum dar, um beide Übereinkommen ratifizieren zu können. Aufgrund der Ergebnisse der Vernehmlassung wurde festgestellt, dass eine höhere Deckungssumme auf der politischen Ebene kaum eine Chance hätte, angenommen zu werden.

Die Gründe für eine Erhöhung der Deckungssumme sind folgende: Wesentliches Ziel der Kernenergiehaftpflichtgesetzgebung ist der Schutz der Geschädigten. Angesichts der möglicherweise katastrophalen Auswirkungen eines nuklearen Unfalles und der damit verbundenen Schäden ist es Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass die Geschädigten wenigstens in finanzieller Hinsicht so gut als möglich abgesichert sind.

Aus diesen Überlegungen heraus hat der Gesetzgeber 1983 im KHG die Deckungssumme auf 1 Milliarden Franken festgelegt im Bewusstsein darum, dass die Privatassekuranz damals nur 300 Millionen Franken decken konnte.

In der Zwischenzeit wurden im Ausland die Deckungssummen teilweise massiv erhöht, zum Beispiel im Rahmen der Übereinkommen von Paris und Brüssel von rund 540 Millionen Franken auf rund 2,25 Milliarden Franken (ca. 1,5 Mia. Euro, was den drei Tranchen entspricht, die im Brüsseler Zusatzübereinkommen vorgesehen sind)
und in Deutschland von 1 Milliarde DM auf rund 3,75 Milliarden Franken (ca. 2,5 Mia. Euro).

Die Privatassekuranz kann nach eigenen Angaben in nächster Zeit kaum eine höhere Deckung als 1 Milliarde Franken zur Verfügung stellen. Bei Schäden, die diesen Betrag übersteigen, muss somit die öffentliche Hand finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Wenn sie dieses Risiko tragen muss, soll sie dafür wie bisher von den Verursachern Beiträge erheben dürfen.

1.7

Die hauptsächlichen Regelungen im Entwurf zum revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetz

Das geltende KHG gewährt den Geschädigten eines Kernenergieunfalls einen hohen Schutz. Die revidierten Übereinkommen von Paris und Brüssel erlauben nicht bloss die Aufrechterhaltung des bisherigen Niveaus im nationalen Recht, sondern ermöglichen einen zusätzlichen Schutz für den Fall eines Kernenergieunfalls im Ausland, 5419

welcher schädliche Auswirkungen in der Schweiz hat. Der Entwurf verbessert zudem auf gewissen Gebieten den Schutz der Geschädigten. Im Gegenzug schafft die Ratifikation der revidierten Übereinkommen neue Verpflichtungen für die Schweiz. Nachfolgend sind die wichtigsten Elemente des Vorentwurfs sowie die Vorteile, die eine Ratifikation hätte, aufgelistet: Kanalisierung der Haftung ausschliesslich auf den Inhaber der Kernanlage, welcher unbeschränkt haftet. Dies entspricht dem geltenden Recht; Obligatorische Versicherungsdeckung (oder andere finanzielle Garantien) im Betrag von 1,8 Milliarden Franken plus 10 Prozent dieses Betrages für Zinsen und Verfahrenskosten. Diese Regelung verbessert den finanziellen Schutz der Geschädigten deutlich, da die Deckung gegenwärtig eine Milliarde Franken beträgt, plus 10 Prozent dieses Betrages für Zinsen und Verfahrenskosten; Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Tag, an dem der Geschädigte vom Schaden und vom verantwortlichen Inhaber Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen; Verwirkungsfrist von dreissig Jahren nach dem Schadenereignis. Diese Fristen entsprechen dem geltenden Recht; Der Haftpflichtige kann von seiner Haftung gegenüber dem Geschädigten nur befreit werden, wenn dieser den Schaden absichtlich oder grobfahrlässig verursacht hat.

Diese Regelung entspricht ebenfalls dem geltenden Recht; Haftpflicht für nukleare Schäden, die unmittelbar auf einen bewaffneten Konflikt, auf Feindseligkeiten, auf einen Bürgerkrieg oder einen Aufstand zurückzuführen sind. Dazu gehören auch terroristische Gewaltakte. Diese Elemente entsprechen dem geltenden Recht; Im Falle des Beitritts der Schweiz zu den Übereinkommen von Paris und Brüssel hätten die schweizerischen Opfer eines Kernenergieunfalls im Ausland, welcher schädliche Auswirkungen auf schweizerisches Gebiet hätte, gegenüber heute folgende Vorteile: Zuständigkeit eines einzigen Gerichts für alle Geschädigten ohne Rücksicht auf Wohnort und Nationalität. Gegenwärtig können die schweizerischen Opfer eines Unfalls im Ausland ihr Recht nur über den ordentlichen ausländischen Zivilrechtsweg geltend machen. Dabei haben sie keine Garantie, dass sie gleich behandelt werden wie die Geschädigten eines Vertragsstaates; Garantie für eine gleichwertige Entschädigung ohne Diskriminierung gegenüber den Geschädigten anderer
Vertragsstaaten bei einem Unfall in einem Mitgliedstaat; Entschädigungssumme von total 1500 Millionen Euro für beide Übereinkommen (2,25 Mia. Fr.); Von den Vertragsstaaten werden 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt für denjenigen Vertragsstaat, auf dessen Gebiet sich der Kernenergieunfall ereignet (dritte Tranche des revidierten Brüsseler Übereinkommens). Im Falle eines Unglücks auf ihrem Gebiet würde die Schweiz damit für die Entschädigung von Opfern über einen zusätzlichen Betrag von 450 Millionen Franken verfügen; Als hauptsächlichste Verpflichtung, die der Schweiz aus der Ratifikation der Übereinkommen erwachsen würde, ist die Mitfinanzierung der dritten Tranche des revidierten Brüsseler Zusatzübereinkommens zu nennen. Sie beläuft sich für die Schweiz im gegenwärtigen Zeitpunkt (siehe Ziff. 1.4.3) auf 7,47 Millionen Euro

5420

(rund 11 Mio. Fr.) im Falle eines nuklearen Ereignisses in einem Vertragsstaat des Brüsseler Zusatzübereinkommens.

1.8

Vorarbeiten

1.8.1

Erarbeiten des Vorentwurfs

Am 14. Juni 2002 hat der Bundesrat das UVEK beauftragt, einen Vorentwurf zu einem Kernenergiehaftpflichtgesetz vorzubereiten, der das revidierte Pariser Übereinkommen und das revidierte Brüsseler Zusatzübereinkommen einbezieht.

Für die Vorbereitung des Vorentwurfs wurde eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des BFE ins Leben gerufen. Sie umfasste je einen Vertreter der KKW-Betreiber, des Schweizer Pools für die Versicherung von Nuklearrisiken, der Eidgenössischen Finanzverwaltung, des Bundesamtes für Justiz und der Direktion für Völkerrecht.

Die Arbeitsgruppe wurde von einem deutschen Experten im Bereich der internationalen Nuklearhaftpflicht beraten.

Am 29. Juni 2005 hat der Bundesrat vom Vorentwurf für den Bundesbeschluss für die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie Kenntnis genommen und das UVEK beauftragt, den Entwurf den Kantonen, politischen Parteien sowie den betroffenen Verbänden und Organisationen mit einer Antwortfrist bis 31. Oktober 2005 zur Vernehmlassung zuzustellen.

1.8.2

Ergebnisse der Vernehmlassung

Von den 68 zur Vernehmlassung eingeladenen Adressaten haben 50 geantwortet.

Dazu kommen 25 weitere Organisationen, die sich spontan geäussert haben.

Die von den Vernehmlassungsteilnehmenden hauptsächlich vorgebrachten Themen sind die Ratifikation der internationalen Übereinkommen im Bereich der Kernenergiehaftpflicht, die Erhöhung der Deckungssumme für nukleare Schadenereignisse und die Haftung des Inhabers für Schäden aus einem bewaffneten Konflikt, einem Bürgerkrieg, einem Aufstand oder einem terroristischen Gewaltakt.

Die Ratifikation der internationalen Übereinkommen wird grundsätzlich begrüsst, mit Ausnahme einer kleinen Minderheit der Teilnehmenden (Kanton Tessin, SPS, GPS, SES und Greenpeace), welche sich angesichts des zu tiefen Deckungsbetrags dagegen ausspricht.

Was die Erhöhung der Deckungssumme von 1 auf 2,25 Milliarden Franken betrifft, gehen die Ansichten weit auseinander. Die meisten Kantone beurteilen den Betrag von 2,25 Milliarden Franken als gerechtfertigt, mit Ausnahme von BS, JU, TI und GE, die ihn als zu tief erachten. Politische Parteien (CVP, FDP und SVP) und Organisationen, welche die Interessen der Wirtschaft und der Elektrizitätsindustrie vertreten, betrachten die Deckungssumme als zu hoch und fordern eine Senkung auf 1,8 Milliarden Franken, was den Übereinkommen von Paris und Brüssel entsprechen würde. Für andere Parteien (CSP, EVP, GPS, PdA und SP) und Organisationen (Travail.Suisse, SATW, Sortir du Nucléaire und Greenpeace) ist der Betrag dagegen zu tief und sollte erhöht werden.

5421

Nach Meinung der Elektrizitätsindustrie, der Kantone GL, AR, ZG und AG sowie der SVP soll nur die erste Tranche (1 Milliarde Franken) von den Inhabern finanziert werden. Die zweite Tranche sollte, wie es die Übereinkommen von Paris und Brüssel ermöglichen, von der Öffentlichkeit bezahlt werden. Dagegen wollen EVP, GPS, SPS, SES und Greenpeace, dass die Inhaber das gesamte Risiko allein tragen und die Öffentlichkeit mögliche Schäden demnach nicht zu decken hätte.

Was schliesslich die Haftung der Inhaber für Schäden aus einem bewaffneten Konflikt, aus Feindseligkeiten, aus einem Bürgerkrieg oder einem Aufstand betrifft, beantragen die einen die Streichung dieser Bestimmungen aus dem KHG, da die internationalen Übereinkommen die Haftung dafür ausschliessen. Andere wiederum wollen die Liste ergänzen und terroristische Gewaltakte einschliessen.

1.8.3

Überarbeiten des Vernehmlassungsentwurfs

Aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen wurde der Vorentwurf wie folgt überarbeitet: ­

Der Deckungsbetrag wird neu auf 1,8 (statt 2,25) Milliarden Franken festgelegt (Art. 8 Abs. 2). Der Gesetzesentwurf beschränkt sich damit auf jene Deckungssumme, die erforderlich ist, um die internationalen Atomhaftungsübereinkommen ratifizieren zu können. Die dritte Tranche des Brüsseler Zusatzübereinkommens (450 Mio. Fr.) wird durch alle Vertragsparteien des Übereinkommens finanziert und muss deshalb nicht von den Inhabern durch eine Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit abgedeckt werden;

­

Neu weist der Gesetzesentwurf explizit darauf hin, dass der Inhaber einer Kernanlage auch für nukleare Schäden haftet, die auf einen terroristischen Gewaltakt zurückzuführen sind (Art. 3 Abs. 2);

­

An der Finanzierung der zweiten Tranche durch die Inhaber der Kernanlagen (und nicht durch die öffentliche Hand, wie das einzelne Vernehmlasser vorgeschlagen haben) wird festgehalten. Der Betrieb einer Kernanlage ist keine hoheitliche Tätigkeit und die Inhaber einer solchen Anlage haben nach dem Verursacherprinzip für die finanziellen Mittel zur Abdeckung der mit dieser Tätigkeit verbundenen Risiken aufzukommen.

1.8.4

Empfehlung Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA)

Die Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA) hat in ihrem Bericht vom Oktober 2002 zur Entsorgungsstrategie für die radioaktiven Abfälle in der Schweiz u.a. folgende Empfehlung abgegeben: Bei der Revision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes ist für den Fall einer Rückholung der Abfälle aus Sicherheitsgründen eine Versicherungslösung zu prüfen.

Nach dem Entwurf zum Kernenergiehaftpflichtgesetz haftet bis zum Verschluss eines Endlagers für radioaktive Abfälle (Entlassung aus der Kernenergiegesetzgebung) dessen Inhaber für einen nuklearen Schaden (Art. 3 Abs. 1 E-KHG). Nach dem Verschluss des Endlagers haftet der Bund (Art. 2 Bst. b E-KHG).

5422

Die Finanzierung der Stilllegung und des Abbruchs von ausgedienten Kernanlagen und der Entsorgung der dabei entstehenden Abfälle sowie der Entsorgung der radioaktiven Betriebsabfälle und abgebrannten Brennelemente nach Ausserbetriebnahme der Kernanlagen stellen der Stilllegungs- und Entsorgungsfonds sicher (Art. 77 ff.

Kernenergiegesetz). Die Bereitstellung von Mitteln zur Finanzierung von Kosten einer allfälligen Rückholung von Abfällen aus Tiefenlagern müsste im Rahmen des Entsorgungsfonds geregelt werden.

2

Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen

2.1

Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie

Mit dem vorgelegten Entwurf für einen Bundesbeschluss wird die Genehmigung der völkerrechtlichen Verträge zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie rechtlich verknüpft mit der Annahme des revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetzes. Diese Regelung stützt sich auf Artikel 141a Absatz 2 der Bundesverfassung und setzt voraus, dass der Genehmigungsbeschluss eines völkerrechtlichen Vertrages dem fakultativen Referendum (siehe Art. 3 Abs. 1 Bundesbeschluss) unterliegt. Artikel 141a Absatz 2 der Bundesverfassung hat zum Ziel zu verhindern, dass die Schweiz völkerrechtliche Verpflichtungen eingeht, diese aber anschliessend nicht erfüllen kann, wenn das Bundesgesetz zur Umsetzung der Verpflichtung in der Referendumsabstimmung scheitert. Die Verknüpfung der Genehmigung der völkerrechtlichen Verträge mit der Annahme des Bundesgesetzes zur Umsetzung der Verträge verunmöglicht dies: Wird gegen die Genehmigung der völkerrechtlichen Verträge das Staatsvertragsreferendum nicht ergriffen, so kann gegen das Kernenergiehaftpflichtgesetz zur Umsetzung dieser Verträge nicht mehr separat das Referendum ergriffen werden.

Die nach Artikel 1 des Bundesbeschlusses zu genehmigenden internationalen Übereinkommen (Pariser Übereinkommen, Brüsseler Zusatzübereinkommen, gemeinsames Protokoll) enthalten wichtige rechtssetzende Bestimmungen (siehe Ziff. 1.2 und 1.4 des Allgemeinen Teils). Obwohl die operativen Teile des Pariser Übereinkommens (Art. 1­15) so formuliert sind, dass sie innerstaatlich unmittelbar angewendet werden können («self-executing»), bedarf die Umsetzung dieses Übereinkommens und insbesondere des Brüsseler Zusatzübereinkommens, welches nicht direkt anwendbar ist, den Erlass von Bundesrecht (vorliegend das KHG). Völkerrechtliche Verträge, die wichtige rechtssetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, unterliegen nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung dem fakultativen Referendum (siehe dazu Art. 3 des Bundesbeschlusses). Zu den Vorbehalten vergleiche die Ausführungen unter Ziffer 1.5.2.

Artikel 2 des Bundesbeschlusses regelt die Annahme des revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetzes. Siehe dazu die nachfolgenden Erläuterungen unter Ziffer 2.2.

Artikel 3 des Bundesbeschlusses regelt neben dem fakultativen Staatsvertragsreferendum
(Abs. 1) auch das Inkrafttreten des Kernenergiehaftpflichtgesetzes (Abs. 2).

Dieses kann erst in Kraft gesetzt werden, wenn die Revisionsprotokolle des PÜ und des BZÜ in Kraft getreten sind. Beim PÜ muss die Mehrheit der Vertragsstaaten 5423

zustimmen; beim BZÜ braucht es gar Einstimmigkeit. Die Einstimmigkeit ist eine sehr hohe Hürde und braucht entsprechend Zeit. Das heisst, dass es heute noch völlig offen ist, wann das neue Kernenergiehaftpflichtgesetz in Kraft gesetzt werden kann.

2.2 Art. 1

Kernenergiehaftpflichtgesetz Gegenstand

Gemäss Absatz 1 regelt das Gesetz die zivilrechtliche Haftung für nukleare Schäden, die durch Kernanlagen oder beim Transport von Kernmaterialien verursacht werden, sowie deren Deckung. Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten nur in Ergänzung der im Ingress genannten Übereinkommen. Das bedeutet, dass der operative Teil des Pariser Übereinkommens (Art. 1­15) in der Schweiz unmittelbar und für jedermann geltendes Recht ist. Schadenersatzansprüche wegen eines nuklearen Schadens sind somit nach dem Pariser Übereinkommen zu beurteilen; dieses wird durch das vorliegende Gesetz dort ergänzt, wo das Übereinkommen Freiräume für den nationalen Gesetzgeber einräumt.

Absatz 2 bestimmt, dass die direkt anwendbaren Bestimmungen des Pariser Übereinkommens (Art. 1­15) innerstaatlich unabhängig von dessen völkerrechtlichen Rechtsgültigkeit zur Anwendung kommen. Mit dieser Vorschrift wird sichergestellt, dass in der Schweiz auch dann ein System der zivilrechtlichen Haftung und Deckung für nukleare Schäden vorhanden ist, wenn das Pariser Übereinkommen, aus welchen Gründen auch immer, völkerrechtlich ausser Kraft treten oder suspendiert werden sollte. Das Brüsseler Zusatzübereinkommen muss in Absatz 2 nicht erwähnt werden, da dieses Übereinkommen nicht die Grundlagen der Haftung betrifft, sondern in erster Linie völkerrechtliche Verpflichtungen zwischen seinen Vertragsstaaten schafft, die zusätzliche Entschädigungsleistungen durch die Vertragsstaaten vorsehen. Entfällt die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Brüsseler Zusatzübereinkommens, so ist kein Raum mehr für die Fortgeltung seiner Bestimmungen im innerstaatlichen Bereich.

Absatz 3 erklärt die Vorschriften des schweizerischen Obligationenrechts insoweit für anwendbar, als dieses Gesetz und die im Ingress genannten Übereinkommen keine abweichenden Bestimmungen enthalten.

Art. 2

Begriffe

Aus der unmittelbaren Anwendbarkeit des Pariser Übereinkommens folgt, dass auch seine in Artikel 1 Absatz a enthaltenen Begriffsbestimmungen unmittelbar in der Schweiz gelten. Das heisst, dass insbesondere die zentralen Begriffe des Pariser Übereinkommens, nämlich die Begriffe «nukleares Ereignis», «nuklearer Schaden», «Kernanlage» und «Inhaber einer Kernanlage» unmittelbar dem Übereinkommen zu entnehmen sind. Das gilt auch für die weiteren in Artikel 1 Absatz a des Pariser Übereinkommens aufgezählten Begriffe.

Als «nuklearer Schaden» gilt nach Artikel 1 Absatz (a) Ziffer (vii) des Pariser Übereinkommens die Tötung oder Verletzung eines Menschen sowie der Verlust oder Schaden an Vermögenswerten. Neu fallen darunter nach dem Revisionsprotokoll auch die Kosten von Massnahmen zur Wiederherstellung geschädigter Umwelt 5424

sowie der Einkommensverlust aus einem unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse an der Nutzung oder dem Genuss der Umwelt, der infolge einer beträchtlichen Umweltschädigung eingetreten ist. Gemäss dem Schweizer Pool für die Versicherung von Nuklearrisiken kann jedoch keine generelle Versicherungsdeckung gewährt werden für einen solchen Einkommensverlust. Einzig in Bezug auf die Nutzung der Umwelt ist eine private Versicherungsdeckung dann möglich, wenn das Nutzungsrecht offiziell geschützt ist (z.B. staatliche Bewilligung, an einem bestimmten Ort zu fischen oder Holz zu fällen). Ist keine private Versicherungsdeckung möglich, muss der Bund für diese Schäden in Anwendung von Artikel 9 Absatz 4 Kernenergiehaftpflichtgesetz die Versicherungsdeckung übernehmen.

Buchstabe a sieht in Übereinstimmung mit der Ermächtigung in Artikel 1 Absatz (a) Ziffer (ii) des Pariser Übereinkommens vor, dass zwei oder mehr Kernanlagen eines einzigen Inhabers, die sich auf demselben Gelände befinden, zusammen mit anderen Anlagen auf diesem Gelände, in denen sich Kernbrennstoffe, radioaktive Erzeugnisse oder Abfälle befinden, als eine einzige Kernanlage behandelt werden. Die praktische Folge dieser Vorschrift ist insbesondere, dass insoweit auch nur eine Deckung nach Artikel 8 ff. des Entwurfs zu erbringen ist. Dies entspricht der geltenden Gesetzgebung (vgl. vor allem Art. 5 Abs. 1 Bst. a KHV für den Fall von Beznau I und II).

Buchstabe b bestimmt, dass Inhaber einer Kernanlage derjenige ist, der in der Betriebs- oder Transportbewilligung ausdrücklich als solcher bezeichnet ist. Damit wird eine Verpflichtung aus Artikel 1 Absatz (a) Ziffer (vi) des Pariser Übereinkommens umgesetzt. Eine explizite Definition des Begriffs «Inhaber einer Kernanlage» in Analogie zum geltenden Artikel 2 Absatz 7 KHG ist daher nicht mehr möglich. Der Inhaber der Kernanlage muss nicht notwendig auch ihr Eigentümer sein. Haftungsrechtlich relevant ist allein die Bezeichnung als «Inhaber» durch den nationalen Gesetzgeber, bzw. die Bewilligungsbehörde. Diese Bezeichnung muss ausdrücklich erfolgen. Mit dieser Vorschrift wird insbesondere für die Geschädigten Rechtssicherheit geschaffen. Bei geologischen Tiefenlagern, die nicht mehr der Kernenergiegesetzgebung unterstehen, gilt der Bund als Inhaber. Diese Regelung wurde mit dem Kernenergiegesetz
vom 21. März 2003 in das geltende KHG (Art. 16 Abs. 1 Bst. c) eingefügt.

Das Pariser Übereinkommen ermächtigt in seinem Artikel 1 Absatz (a) Ziffern (ii), (iii) und Absatz (b) den Direktionsausschuss für Kernenergie der OECD, die Definitionen «Kernanlage» und «Kernbrennstoffe» zu erweitern oder einzuengen oder Kernanlagen, Kernbrennstoffe und Kernmaterial von der Anwendung des Pariser Übereinkommens auszuschliessen, wenn dies wegen des geringen Ausmasses der damit verbundenen Gefahren gerechtfertigt ist. In Übereinstimmung mit Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Publikationsgesetzes vom 18. Juni 2004 (SR 170.512) werden solche künftigen Beschlüsse in der AS veröffentlicht. Erst mit dieser Veröffentlichung entstehen Rechtspflichten daraus (Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes).

Art. 3

Grundsatz der Haftpflicht

Wie im geltenden KHG werden in Absatz 1 die zentralen Grundsätze des Kernenergiehaftpflichtrechtes festgelegt: ­

Unbeschränkte Haftpflicht des Inhabers einer Kernanlage;

­

Ausschliessliche Haftung des Inhabers einer Kernanlage (Kanalisierung);

­

Haftung ohne Verschulden (Kausalhaftung).

5425

Wie im geltenden KHG ist der Inhaber der Kernanlage auch haftpflichtig für einen Schaden, der durch ein nukleares Ereignis ausserhalb der Anlage verursacht worden und auf Kernmaterialien zurückzuführen ist, die entweder von der Anlage weg oder zur Anlage hin befördert werden. Diese Regelung entspricht dem Grundsatz der Kanalisierung der Haftung auf den Inhaber der Anlage: Für Schäden im Verlaufe des Transports von Kernmaterialien ist entweder der absendende oder der empfangende Inhaber einer Kernanlage haftpflichtig. Unter welchen Voraussetzungen die Haftung von einem Inhaber auf einen anderen übergeht, ist in Artikel 4 des Pariser Übereinkommens im Einzelnen geregelt. Danach kann der Zeitpunkt des Haftungsübergangs auch schriftlich vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung ist jedoch nur zulässig, wenn der die Haftung übernehmende Inhaber einer Kernanlage ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an den zu befördernden Kernmaterialien hat.

Das Pariser Übereinkommen sieht in Artikel 7 Absatz a vor, dass die Vertragsparteien die Haftung des Inhabers einer Kernanlage für einen durch ein nukleares Ereignis verursachten Schaden auf mindestens 700 Millionen Euro festsetzen müssen. Der vorliegende Entwurf verzichtet darauf, eine Mindesthaftungssumme festzulegen, sondern nutzt die im Übereinkommen enthaltene Möglichkeit, die Haftung des Inhabers ohne betragsmässige Begrenzung festzulegen.

Nach Artikel 9 des Pariser Übereinkommens haftet der Inhaber einer Kernanlage nicht für Schäden, die unmittelbar auf einen bewaffneten Konflikt, auf Feindseligkeiten, auf einen Bürgerkrieg oder auf einen Aufstand zurückzuführen sind. Das geltende KHG sieht jedoch eine solche Ausschlussmöglichkeit nicht vor. Um den Schutz der Opfer gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht zu verschlechtern, hat die Schweiz bei der Unterzeichnung des Protokolls vom 12. Februar 2004 zum Pariser Übereinkommen einen Vorbehalt angebracht, Artikel 9 nicht anzuwenden.

Unter Ausnutzung dieses Vorbehalts erklärt deshalb Absatz 2 den Inhaber auch in solchen Fällen für haftpflichtig. Um jegliche Auslegungsschwierigkeit zu vermeiden, fügt Absatz 2 die terroristischen Gewaltakte hinzu. Die Inhaber von Kernanlagen sind demnach auch für Schäden verantwortlich, die auf solche Risiken zurückzuführen sind (Art. 1 Abs. 1 Bst. a Entwurf Bundesbeschluss
über die Genehmigung und die Umsetzung von Übereinkommen zur Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie, Ziff. 1.5.2 Botschaft).

In Absatz 3 wird der Bundesrat ermächtigt, in bestimmten Fällen Sonderregelungen für den Transit von Kernmaterialien festzusetzen. Wenn nämlich die Haftpflicht des für den Transit von Kernmaterial haftpflichtigen ausländischen Inhabers einer Kernanlage betragsmässig begrenzt ist, kann dieser nach ausländischem Recht geltende Haftungsbetrag angehoben werden, wenn nach schweizerischer Ansicht dieser Betrag dem Risiko des Transports nicht angemessen ist. Damit wird eine in Artikel 7 Absatz e des Pariser Übereinkommens den Vertragsparteien ausdrücklich zuerkannte Möglichkeit genutzt, um den Schutz insbesondere schweizerischer Opfer von nuklearen Ereignissen während des Transits zu verbessern. Diese Bestimmung des Pariser Übereinkommens sieht allerdings vor, dass der derart angehobene Höchstbetrag die maximale Haftungssumme der Inhaber von Kernanlagen in der Schweiz nicht übersteigen darf.

Der erweiterte Schadensbegriff nach dem revidierten Pariser Übereinkommen sieht auch den Ersatz der Kosten von Vorsorgemassnahmen vor (Art. 1 Abs. a Ziff. (vii) Nr. 6 Pariser Übereinkommen). Der Begriff «Vorsorgemassnahmen» ist in Artikel 1 Absatz (a) Ziffer (ix) des Pariser Übereinkommens definiert. Die Definition erlaubt es dem nationalen Gesetzgeber, die Ersatzpflicht davon abhängig zu machen, dass 5426

die Vorsorgemassnahmen von den zuständigen Behörden angeordnet oder nachträglich genehmigt worden sind. Von dieser Möglichkeit wird in Absatz 4 Gebrauch gemacht (vgl. auch Erläuterungen zu Art. 32 Abs. 2). Da es durchaus vorstellbar ist, dass die zuständige Behörde bei der Anordnung von Vorsorgemassnahmen die eine oder andere ausser Acht lassen könnte, erweist sich die nachträgliche Genehmigung als notwendig. Dabei stellt sich die Frage, ob damit die Rechtssicherheit gewährleistet ist. Da die Begriffe «Vorsorgemassnahmen» und «angemessene Massnahmen» in den Artikeln 1, Absatz (a) Ziffer (ix) und (x) des Pariser Übereinkommens genau definiert werden, ist der Auslegungsspielraum der zuständigen Behörde jedoch eng begrenzt.

Art. 4

Schadenersatz und Genugtuung

Der Umfang der Schadenersatzleistungen richtet sich zunächst nach der in Artikel 1 Absatz (a) Ziffer (vii) des Pariser Übereinkommens enthaltenen Definition des Begriffs «nuklearer Schaden». Darin ist festgelegt, welcher Schadensumfang ersatzpflichtig ist. Die Definition des nuklearen Schadens ist jedoch eher allgemein gefasst, so dass dem Richter im Einzelfall Auslegungsmöglichkeiten offen stehen.

Folgerichtig bestimmt deshalb Artikel 11 des Pariser Übereinkommens, dass sich Art, Form und Umfang des Schadenersatzes sowie dessen gerechte Verteilung nach dem innerstaatlichen Recht bestimmen. Im Entwurf wird dazu kein neues Recht geschaffen, sondern ­ wie schon im geltenden KHG ­ auf die Bestimmungen des Obligationenrechts über unerlaubte Handlungen verwiesen. Ebenfalls wie im geltenden Recht ist Artikel 44 Absatz 2 des Obligationenrechts nicht anwendbar (Reduktion des Schadenersatzes im Falle einer Notlage des Ersatzpflichtigen).

Das geltende Kernenergiehaftpflichtgesetz sieht in Artikel 7 Absatz 2 vor, dass der Richter die Entschädigung unter Würdigung aller Umstände angemessen herabsetzen kann, wenn der Getötete oder Verletzte ein ungewöhnlich hohes Einkommen hatte. Obwohl diese Bestimmung nicht in den vorliegenden Entwurf übernommen wird, bedeutet dies keine inhaltliche Änderung. Entsprechend der Praxis des Bundesgerichts und der Ansicht eines grossen Teils der Rechtslehre soll die wirtschaftliche und soziale Situation jeder Partei im Rahmen der Schadenersatzbemessung nach Artikel 43 des Obligationenrechts berücksichtigt werden können. Im Bereich der Kernenergiehaftpflicht besteht die besondere Situation, dass ein ungewöhnlich hohes Einkommen des Geschädigten trotz Bestehens einer Haftpflichtversicherung zur Reduktion des Schadenersatzes führen kann. Denn der Haftpflichtige muss erneut für eine volle Deckung sorgen, wenn die Versicherung Leistungen erbracht hat (siehe Art. 16 Entwurf bzw. Art. 18 KHG). Der Haftpflichtige wird also durch das Bestehen der Versicherung nur teilweise entlastet (Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/3, S. 274 § 29 N 439).

Absatz 2 ermächtigt den Richter, im Einklang mit Artikel 6 Absatz e des Pariser Übereinkommens den Inhaber einer Kernanlage ganz oder teilweise von der Schadenersatzpflicht gegenüber solchen Personen zu befreien, die den Schaden
durch grobe Fahrlässigkeit oder durch eine mit Schädigungsabsicht begangene Handlung oder Unterlassung verursacht haben. Dabei obliegt die Beweislast dem Inhaber der Kernanlage. Eine ähnliche Regelung besteht im geltenden KHG (Art. 5), der im Wesentlichen Artikel 44 Absatz 1 OR entspricht.

5427

Art. 5

Verjährung und Verwirkung

Das Pariser Übereinkommen bestimmt in seinem Artikel 8 Absatz a, dass der Anspruch auf Schadenersatz der Verjährung oder dem Erlöschen unterliegt, wenn eine Klage wegen Tötung oder Verletzung eines Menschen nicht binnen dreissig Jahren nach dem nuklearen Ereignis erhoben wird. Bei anderen nuklearen Schäden beträgt diese Frist 10 Jahre. Dies ist die Grundregel des Übereinkommens, von der die Absätze b bis f jedoch Abweichungen zulassen. So kann insbesondere die innerstaatliche Gesetzgebung eine längere als die in Absatz a des Artikels genannte Frist festsetzen, wenn die Vertragspartei dafür sorgt, dass für die ganze Dauer eine Deckung der Haftpflicht vorhanden ist. Artikel 8 Absatz d des Pariser Übereinkommens erlaubt es ausserdem der innerstaatlichen Gesetzgebung, für das Erlöschen oder die Verjährung eine Frist von mindestens drei Jahren von dem Zeitpunkt an festzusetzen, an dem der Geschädigte vom nuklearen Schaden und vom haftpflichtigen Inhaber Kenntnis hatte oder hätte haben müssen.

Absatz 1 macht den Fall des Artikels 8 Absatz d des Pariser Übereinkommens zum Regelfall der Verjährung: Ansprüche verjähren drei Jahre nach dem Tag, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und vom haftpflichtigen Inhaber einer Kernanlage erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Diese Präzisierung ist notwendig, denn nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtes betreffend Artikel 60 OR beginnt die Verjährungsfrist erst an dem Tag, an dem der Geschädigte tatsächlich Kenntnis vom Schaden erlangt hat, und nicht an dem Tag, an dem er mit durch die Umstände gebotener Aufmerksamkeit den Schaden hätte erkennen müssen (BGE 111 II 55).

Die Frist von drei Jahren entspricht dem heute gültigen Recht. Sie ist ebenfalls vergleichbar mit den Fristen, die in verschiedenen speziellen Gesetzgebungen vorgesehen sind (z.B. Produkthaftpflichtgesetz: 3 Jahre; Elektrizitätsgesetz: 2 Jahre.

Umweltschutzgesetz: 3 Jahre; Strahlenschutzgesetz: 3 Jahre). Schliesslich ist sie deutlich höher als die gewöhnliche Regelung gemäss Artikel 60 Absatz 1 OR.

Nach Absatz 1 Satz 2 beträgt die Verwirkungsfrist dreissig Jahre nach dem nuklearen Ereignis. Die Dreissig-Jahres-Frist gilt sowohl für die Tötung und Verletzung eines Menschen als auch für jeden anderen nuklearen Schaden. Bezüglich anderer nuklearer Schäden macht somit der Entwurf von der
Verlängerungsmöglichkeit gemäss Artikel 8 Absatz b des Pariser Übereinkommens Gebrauch.

Absatz 2 regelt die Verjährung von Rückgriffsrechten nach dem Pariser Übereinkommen und dem Brüsseler Zusatzübereinkommen. Beide Übereinkommen enthalten keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Beendigung solcher Rückgriffsansprüche. Artikel 11 des Pariser Übereinkommens erlaubt jedoch dem nationalen Gesetzgeber, diesbezüglich Regelungen zu treffen, da es sich in einem weiteren Sinne um Art, Umfang und Form des Schadenersatzes und dessen gerechte Verteilung handelt. Eine Verjährungsregelung bezüglich der Rückgriffsrechte ist auch sinnvoll. Da sich der haftpflichtige Inhaber auf die Verjährung berufen kann, kann man demjenigen, der einem Rückgriffsrecht ausgesetzt ist, nicht ein gleiches Recht versagen. Nach dieser Bestimmung verjähren somit die Rückgriffsrechte des Inhabers einer Kernanlage gemäss Artikel 6 Absatz f des Pariser Übereinkommens und, soweit derartige Rückgriffsrechte gemäss Artikel 5 des Brüsseler Zusatzübereinkommens auch den Vertragsstaaten dieses Übereinkommens zustehen, drei Jahre nach dem Tag, an dem die rückgriffsberechtigten Personen Kenntnis von ihrer Leistungspflicht erlangt haben.

5428

Artikel 8 Absatz c des Pariser Übereinkommens sieht vor, dass durch eine national festgelegte längere Verwirkungsfrist jene Schadenersatzansprüche nicht beeinträchtigt werden dürfen, die gegen den Inhaber einer Kernanlage innerhalb der ordentlichen Fristen von Artikel 8 Absatz a erhoben worden sind. Artikel 5 Absatz 1 des Entwurfs legt die Verwirkungsfrist für alle Schäden, also nicht nur für Personenschäden, auf dreissig Jahre fest. Deshalb wird in Artikel 5 Absatz 3 des Entwurfs die nach dem Pariser Übereinkommen erforderliche Vorrangregelung für Klagen geschaffen, die innerhalb von zehn Jahren nach dem nuklearen Ereignis wegen anderer Schäden als der Tötung oder Verletzung eines Menschen geltend gemacht worden sind. Wenn Schadenersatzansprüche wegen Nichtpersonenschäden nach Ablauf von zehn Jahren geltend gemacht werden, muss der Richter prüfen, ob es daneben Ansprüche gibt, die innerhalb der zehnjährigen Frist erhoben worden sind.

In diesem Fall haben die nach Ablauf der Zehn-Jahres-Frist geltend gemachten Ansprüche zurückzutreten vor denen, die vor dieser Zeit eingebracht worden sind, d.h. dass gegebenenfalls später geltend gemachte Ansprüche nicht befriedigt werden können, falls die Mittel durch früher erhobene Ansprüche aufgebraucht worden sind.

Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung dürfte nicht groß sein, da im Normalfall Nichtpersonenschäden innerhalb von zehn Jahren evident werden. Dies ist auch der Grund, warum das revidierte Pariser Übereinkommen für Nichtpersonenschäden eine kürzere Verjährungsfrist festgesetzt hat als bei Tod und Verletzung eines Menschen. Bei Personenschäden ist wegen der Besonderheiten der ionisierenden Strahlung mit Spätschäden zu rechnen, bei Nichtpersonenschäden dürfte es Spätschäden praktisch nicht geben.

Die Regelung über den Stillstand der Verjährung während der Dauer eines Prozesses (Art. 5 Abs. 4) ist nicht Ausfluss einer Verpflichtung aus dem Pariser Übereinkommen. Die Vorschrift soll insbesondere verhindern, dass durch langwierige Gerichtsverhandlungen Geschädigte wegen Ablauf der Verjährungsfrist Nachteile erleiden.

Dieser Stillstand der Verjährung stellt für den Geschädigten eine Erleichterung dar, weil dieser die Verjährungsfrist während eines Prozesses nicht regelmässig durch gerichtliche Handlungen unterbrechen muss und die Frist jeweils
wieder von neuem zu laufen beginnt (siehe Art. 138 OR). Artikel 11 des Übereinkommens erlaubt eine solche ergänzende Regelung im nationalen Recht. Die 30-jährige Verwirkungsfrist gilt jedoch in jedem Fall.

Werden neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt, so kann die von einem Urteil oder einem aussergerichtlichen Vertrag über eine Ersatzleistung begünstigte Person gemäss Absatz 5 innert drei Jahren seit dem Tag, an dem sie hiervon Kenntnis erlangt hat, eine Revision des Urteils oder eine Änderung des Vertrages verlangen.

Ein entsprechendes Gesuch muss jedoch innert 30 Jahren seit dem nuklearen Ereignis gestellt werden. Dieser Absatz ermöglicht eine Revision, wie sie beispielsweise in den Artikeln 136 ff des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; SR 173.110) vorgesehen ist. Die Schweiz verbessert mit dieser Regelung (welche schon im geltenden Recht enthalten ist [Art. 10 Abs. 3 KHG]) die rechtliche Stellung des Geschädigten erheblich. Sie trägt damit dem Umstand Rechnung, dass sich der gesundheitliche Zustand eines Geschädigten nach dem Eintritt der Rechtskraft eines Urteils verschlechtern kann. Das ist denn auch der Grund, weshalb die Schweiz bei der Unterzeichnung des Pariser Übereinkommens einen entsprechenden Vorbehalt angemeldet hat (siehe vorangehende Ziff. 1.5.2).

5429

Art. 6

Vereinbarungen

Absatz 1 entspricht Artikel 8 Absatz 1 KHG. Eine ähnliche Vorschrift ist auch in Artikel 87 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) enthalten. Diese Bestimmung bezweckt im Sinne des Opferschutzes, dass sich ein allfällig haftpflichtiger Inhaber nicht zum voraus über eine vertragliche Vereinbarung aus seiner haftpflichtrechtlichen Verantwortung vollständig oder auch nur teilweise befreien kann. In diesem Sinne ist Artikel 6 auch Ausfluss des Prinzips der unbeschränkten Haftung und der Kanalisierung der Haftung auf den Inhaber einer Kernanlage.

Absatz 2 entspricht weitgehend Artikel 8 Absatz 2 KHG. Die Anfechtungsfrist wurde jedoch auf ein Jahr verkürzt. Nach Artikel 21 des Obligationenrechts (OR; SR 220) kann ein Vertrag, der ein offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung begründet, unter bestimmten Voraussetzungen innerhalb eines Jahres angefochten werden. Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages zu laufen. Diese einjährige Frist des Obligationenrechts soll inskünftig auch für die vorliegend zur Diskussion stehenden Vereinbarungen gelten. Die im geltenden KHG vorgesehene dreijährige Frist schafft allzu lange Rechtsunsicherheit in einer Situation mit möglicherweise sehr vielen Schadenersatzklagen. Die Versicherungen wären zudem gezwungen, zusätzliche Rückstellungen zu machen. Die einjährige Frist ist ausreichend, um das Ausmass und die Höhe des Schadens zu überprüfen.

Ein genereller Verweis auf Artikel 21 des Obligationenrechts genügt allerdings nicht. Dieser Artikel setzt voraus, dass die Übervorteilung durch einen Vertrag begründet wird, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist.

Hier setzt Absatz 2 weniger strenge Anforderungen und erklärt Vereinbarungen, die offensichtlich unzulängliche Entschädigungen festsetzen, vorbehaltlos als anfechtbar. Das Erfordernis des Nachweises der Ausbeutung einer Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns erscheint im Kontext eines nuklearen Schadenereignisses nicht als sachgerecht.

Art. 7

Nicht obligatorische Versicherung

Diese Bestimmung entspricht Artikel 9 Absatz 2 KHG. Sie ermöglicht dem haftpflichtigen Inhaber, von der Schadenssumme diejenigen Leistungen abzuziehen, die der Geschädigte aus einer nicht obligatorischen Versicherung erhalten hat, deren Prämien ganz oder teilweise vom Inhaber der Kernanlage oder der Transportbewilligung bezahlt wurden. Hat der Inhaber der Kernanlage oder Transportbewilligung nur einen Teil der Versicherungsprämien bezahlt, sind die Leistungen dieser Versicherung im Verhältnis seines Prämienanteils auf seine Ersatzpflicht anzurechnen.

Diese Bestimmung gilt für alle nicht obligatorischen Versicherungsverträge. Das Pariser Übereinkommen regelt diesen Sachverhalt nicht.

Artikel 9 Absatz 1 KHG muss nicht in den Entwurf übernommen werden, da die Rückgriffsrechte der Sozialversicherer auf den Haftpflichtigen und die Direktansprüche der Geschädigten in Artikel 72 ff des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) abschliessend geregelt sind.

5430

Art. 8

Grundsätze der Deckungspflicht

Artikel 10 Absatz a des Pariser Übereinkommens schreibt vor, dass der Inhaber einer Kernanlage zur Deckung der in dem Übereinkommen vorgesehenen Haftung verpflichtet ist, eine Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit in der gemäss Artikel 7 Absatz a oder b oder Artikel 21 Absatz c festgesetzten Höhe einzugehen und aufrecht zu erhalten. Art und Bedingungen dieser finanziellen Sicherheit werden von der zuständigen nationalen Behörde bestimmt.

Kongruenz von Haftung und Deckung ist einer der tragenden Grundsätze des internationalen Atomhaftungsrechtes. Eine solche Kongruenz kann es dann nicht geben, wenn die Haftung betragsmässig nicht begrenzt ist. Eine betragsmässig unbegrenzte Deckung für Nuklearschäden ist nirgends auf der Welt erhältlich. Aus diesem Grund sieht Artikel 10 Absatz b des Pariser Übereinkommens vor, dass in denjenigen Fällen, in denen die Haftung des Inhabers betragsmässig nicht beschränkt ist, die vom Inhaber zu erbringende finanzielle Sicherheit mindestens 700 Millionen Euro betragen muss (Art. 7 Abs. a des Pariser Übereinkommens).

Artikel 8 Absatz 1 des Entwurfs statuiert den zentralen Grundsatz der Deckungspflicht. Der Inhaber einer Kernanlage muss seine Haftpflicht entweder durch eine Versicherung oder durch eine sonstige finanzielle Sicherheit decken. In den Fällen, in denen die Deckung nicht durch eine Versicherung (heute haben alle Kernkraftwerke in der Schweiz eine Versicherung abgeschlossen), sondern durch eine sonstige finanzielle Sicherheit erbracht wird (z.B. durch eine Bankgarantie), muss diese sonstige finanzielle Sicherheit in gleicher Weise wie eine Versicherung zur Verfügung stehen und für den Geschädigten eine gleichwertige Sicherheit bieten.

Artikel 8 Absatz 2 des Entwurfs entspricht der im Pariser Übereinkommen und Brüsseler Zusatzübereinkommen festgelegten Mindesthaftungssumme, da er eine Deckung von 1200 Millionen Euro oder rund 1,8 Milliarden Franken festlegt, zuzüglich 10 % dieses Betrages für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten je Kernanlage (vgl. Ziff. 1.6.2). Die Deckungssumme von total 1,8 Milliarden Franken muss vollumfänglich für Schadenkosten zur Verfügung stehen, d.h. für die Entschädigung von Nuklearschäden inklusive der Kosten für aussergerichtliche Expertisen, Vertretungskosten der Geschädigten und Rettungskosten nach Artikel 70
des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1). Unter Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten fallen insbesondere Vertretungskosten des Haftpflichtigen, Kosten für gerichtlich angeordnete Expertisen, Gerichts-, Schiedsgerichts- und Vermittlungskosten sowie Kosten für die Beweissicherung.

Der Bundesrat kann gemäss Artikel 8 Absatz 3 des Entwurfs die Beträge nach Absatz 2 herabsetzen, wenn die Art der Kernanlage oder der transportierten Kernmaterialien sowie die wahrscheinlichen Folgen eines von solchen Anlagen und Kernmaterialien ausgehenden nuklearen Ereignisses dies rechtfertigen. Gemäss Artikel 10 Absatz a in Verbindung mit Artikel 7 Absatz b des Pariser Übereinkommens kann die Deckung in diesen Fällen für Anlagen auf einen Mindestbetrag von 70 Millionen Euro und für Transporte auf einen Mindestbetrag von 80 Millionen Euro herabgesetzt werden. Absatz 3 des Entwurfs ist eine Kann-Vorschrift, d. h. es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Bundesrates, ob und wie er von dieser Herabsetzungsmöglichkeit Gebrauch machen will.

Konkret ist vorgesehen, auf Verordnungsebene von dieser Herabsetzungsmöglichkeit bei den Kernanlagen im PSI- bzw. ETH-Bereich (Bundeszwischenlager, Forschungsanlagen etc.) sowie auch bei andern Forschungsanlagen (z.B. Universitätsre5431

aktor Basel) Gebrauch zu machen. Von diesen Anlagen geht einerseits ein verhältnismässig kleines Unfallrisiko aus, und andererseits ist auch das Schadenspotenzial nicht vergleichbar mit jenem eines herkömmlichen Kernkraftwerkes (siehe zu den Kernanlagen im ETH-Bereich auch Art. 10).

Der Ersatz für nuklearen Schaden, der an Beförderungsmitteln entsteht, auf denen sich Kernmaterialien zur Zeit des nuklearen Ereignisses befinden, ist grundsätzlich in die Haftung des Inhabers eingeschlossen. Artikel 7 Absatz c des Pariser Übereinkommens schreibt jedoch vor, dass diese Haftung für Schäden am Beförderungsmittel nicht bewirken darf, dass die Haftung des Inhabers einer Kernanlage für andere nukleare Schäden auf einen Betrag vermindert wird, der entweder unter 80 Millionen Euro oder unter einem durch die Gesetzgebung einer Vertragspartei festgesetzten höheren Betrag liegt. Der Bestimmung liegt der Gedanke zugrunde, dass derjenige, der sein Beförderungsmittel für die Beförderung von Kernmaterialien zur Verfügung stellt, dies im Bewusstsein des möglichen Risikos tut und infolgedessen nicht in gleicher Weise schutzbedürftig ist wie sonstige Geschädigte. Absatz 4 des Entwurfs trägt der Bestimmung des Pariser Übereinkommens in der Weise Rechnung, dass festgelegt wird, dass durch die Ersatzleistung für Schäden an Transportmitteln der Deckungsbetrag für sonstige nukleare Schäden um nicht mehr als 5 % des Gesamtbetrags der Deckung gemindert werden darf.

Der Bund ist als Inhaber einer Kernanlage wie jeder andere Inhaber zur Deckung von nuklearen Schäden verpflichtet. Absatz 5 des Entwurfs entbindet den Bund in diesem Fall vom Nachweis der Deckungsvorsorge. Diese Regelung entspricht Artikel 17 Absatz 2 KHG und dem Grundsatz der Eigenversicherung, wonach der Bund das Risiko von Schäden an seinen Vermögenswerten und von Schadenersatzansprüchen grundsätzlich selber trägt und nur ausnahmsweise Versicherungsverträge abschliesst.

Art. 9

Private Deckung

Um die Versicherungsbranche nicht einseitig zu begünstigen, kann die private Deckung, wie in Artikel 17 Absatz 1 KHG, nicht auf die privaten Versicherer beschränkt werden, sondern schliesst eine «sonstige finanzielle Sicherheit» mit ein, wie sie in Artikel 10 Absatz a des Pariser Übereinkommens erwähnt wird. Das Übereinkommen überlässt es der zuständigen innerstaatlichen Behörde, die Art dieser «sonstigen finanziellen Sicherheit» und die von ihr zu erfüllenden Bedingungen festzusetzen.

Gemäss Absatz 1 des Entwurfs hat der Inhaber einer Kernanlage bei einem in der Schweiz zum Geschäftsbetrieb ermächtigten Versicherer oder einem sonstigen Deckungsgeber einen Vertrag abzuschliessen. Die Höhe der privaten Deckung muss mindestens eine Milliarde Franken zuzüglich 100 Millionen Franken für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten betragen. Diese Summen verstehen sich je Kernanlage.

Nach Absatz 2 hat der Bundesrat die Mindestbeträge nach Absatz 1 zu erhöhen, wenn es die wirtschaftlichen Bedingungen erlauben, höhere Beträge zu zumutbaren Bedingungen privat zu decken. Unter wirtschaftlichen Bedingungen ist zunächst einmal die Lage auf dem Versicherungsmarkt zu verstehen. Die im Wesentlichen von Artikel 11 Absatz 2 KHG übernommene Bestimmung gibt dem Bundesrat die Möglichkeit, die private Deckungssumme den Verhältnissen am Versicherungsmarkt anzupassen. Es obliegt dem zuständigen Bundesamt, die Situation auf dem 5432

Versicherungsmarkt zu verfolgen und dem Bundesrat eine allfällige Erhöhung der privaten Deckung zu beantragen. Dies entspricht dem Grundsatz des KHG, wonach die Deckungssumme soweit möglich durch die Privatassekuranz erbracht wird und der Bund nur dann versichert, wenn die Privatwirtschaft dazu nicht in der Lage ist.

Diese Erhöhung des privaten Anteils vermindert in gleichem Masse den Anteil des Bundes an der Deckung der nuklearen Schäden.

Die in Absatz 3 enthaltene Regelung bezüglich der Deckung der Schadenregulierungskosten ist neu gegenüber dem geltenden KHG. Die Schadenregulierung umfasst diejenigen innerbetrieblichen Abläufe beim privaten Deckungsgeber, welche nach Eingang einer Schadenmeldung ausgelöst werden. Die darauf entfallenden Kosten sind Betriebs- oder Verwaltungskosten, welche von den Schadenkosten sowie den Zinsen und den gerichtlich zuerkannten Kosten (siehe Art. 8) abzugrenzen sind. Bei nuklearen Schadenfällen ist mit einer Vielzahl von Opfern zu rechnen, weshalb die Schadenregulierungskosten sehr hoch ausfallen können. Die Privatassekuranz sieht sich nicht in der Lage, die Schadenregulierungskosten in unbeschränkter Höhe über die normalen Haftpflichtprämien abzudecken. Der Vorentwurf verpflichtet daher die privaten Deckungsgeber, die Schadenregulierungskosten bis zum Betrag von 100 Millionen Franken zu übernehmen. Darüber hinaus gehenden Kosten für die Schadenregulierung bis zum Betrage von 180 Millionen Franken gehen zu Lasten der Bundesversicherung (Art. 10 Abs. 2).

Absatz 4 entspricht dem geltenden Artikel 11 Absatz 3 KHG. Erbringer von finanziellen Sicherheiten, insbesondere die Versicherungsgesellschaften, sind nicht in der Lage, alle Risiken zu decken. Deshalb muss der Bundesrat in der Verordnung diejenigen Risiken bezeichnen, die der private Versicherer oder der Erbringer der finanziellen Sicherheit von der Deckung ausschliessen darf.

Zurzeit definiert Artikel 4 KHV diese Risiken wie folgt: ­

Nuklearschäden, die durch ausserordentliche Naturvorgänge oder kriegerische Ereignisse verursacht werden;

­

Nuklearschäden zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Franken, die durch terroristische Gewaltakte verursacht werden, gegen die mit zumutbarem Aufwand ein Schutz nicht möglich ist;

­

Ansprüche, für welche die Klage nicht innert zehn Jahren nach dem schädigenden Ereignis oder nach dem Aufhören einer andauernden Einwirkung erhoben wird;

­

Ansprüche, für welche die Klage nicht innert 20 Jahren nach dem Verlust, Diebstahl, Überbordwerfen oder nach der Besitzaufgabe von Kernmaterialien erhoben wird.

Diese Regelung entspricht der heutigen Situation auf dem Versicherungsmarkt. Sie muss jedoch bei der Vorbereitung der Ausführungsverordnung einer Überprüfung unterzogen werden. In dieser Hinsicht ist die Bemerkung angebracht, dass Artikel 1 Absatz (a) Ziffer (vii) Par. 5 den Einkommensverlust aus einem unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse an der Nutzung oder dem Genuss der Umwelt vorsieht, der infolge einer beträchtlichen Umweltschädigung eingetreten ist. Die privaten Versicherer können diese Risiken so nicht decken. Was den Genuss der Umwelt betrifft, kann keine private Versicherung angeboten werden. Private Versicherungsdeckung für Einkommensverluste aus einem unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse an der Nutzung der Umwelt infolge ihrer Schädigung ist nur dann verfügbar, 5433

wenn das Nutzungsrecht offiziell geschützt oder zugelassen ist (z.B. staatliche Bewilligung in bestimmten Gewässern zu fischen). Diese beiden Risiken müssen deshalb die Liste der vom Bundesrat zu bezeichnenden Risiken (Abs. 4) ergänzen.

Art. 10

Deckungspflicht

Nach Absatz 1 übernimmt der Bund die Deckung bis zu 1,8 Milliarden Franken, wenn die private Deckung nicht oder nicht zur Gänze verfügbar ist, wenn keinerlei Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit existiert oder wenn der private Deckungsgeber insolvent ist. Wie im geltenden KHG hat die vom Bund zur Verfügung gestellte Deckung Versicherungscharakter. Er erhebt dafür von den Inhabern von Kernanlagen Jahresprämien, die dem Nuklearschadenfonds gutgeschrieben werden (vgl. Art. 13). Die gegenüber dem geltenden KHG erhöhte Versicherungsleistung des Bundes wird sich auch in einer entsprechenden Erhöhung der Bundesprämien widerspiegeln.

Die vom Bund nach Absatz 1 zu erbringende Deckung beträgt maximal 0,8 Milliarden Franken zuzüglich 80 Millionen Franken für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten. Dies entspricht der Differenz der von der Privatassekuranz zu erbringenden Deckungssumme von mindestens 1 Milliarde (Art. 9 Abs. 1) und der gesetzlich vorgeschriebenen Deckungssumme von 1,8 Milliarden Franken (Art. 8 Abs. 2).

Für die von der privaten Versicherung ausgeschlossenen Risiken übernimmt der Bund die gesamte Deckung, d.h. 1,8 Milliarden Franken zuzüglich 180 Millionen für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten.

Nach Absatz 2 des Entwurfs trägt der Bund die Kosten für die Schadenregulierung bis zum Betrage von 180 Millionen Franken, soweit diese vom privaten Deckungsgeber nicht getragen werden. Diese Kosten sind zusätzlich zur Deckungssumme und zur Summe für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten zu tragen. Sie müssen mit einem Kostenzuschlag in die Kalkulation der Prämien für die Bundesversicherung miteinbezogen werden. Im Übrigen verweisen wir auf die Ausführungen zu Artikel 9 Absatz 3 des Entwurfs.

Nach Absatz 3 regelt der Bund mit Anstalten, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder eines Leistungsauftrages Kernanlagen betreiben, die finanzielle Abgeltung ihrer Aufwendungen für Versicherungsprämien sowie für Schadenersatzleistungen im Falle eines nuklearen Schadens. Diese Regelung muss im Rahmen der ordentlichen Steuerungs- und Finanzierungsinstrumente gemäss Spezialgesetz erfolgen.

Betroffen sind in erster Linie die Institutionen des ETH-Bereichs, die im Auftrag des Bundes Nuklearforschung betreiben, (konkret: ETH Lausanne und das PSI). Der Leistungsauftrag des ETH-Bereichs
ist zeitlich und inhaltlich auf den Zahlungsrahmen des Bundes abgestimmt (Art. 33 Abs. 3 des ETH-Gesetzes, SR 414.110).

Letzterer deckt den Finanzbedarf des ETH-Bereichs für Betrieb und Investitionen, d.h. der jährliche Finanzierungsbeitrag des Bundes an den ETH-Bereich umfasst ebenfalls die Versicherungsprämien und die Beiträge an den Nuklearschadenfonds.

Die betroffenen Institutionen des ETH-Bereichs müssen ­ wie alle anderen Inhaber von Kernanlagen ­ eine private Deckung ihrer Haftpflicht sicherstellen und zudem Beiträge an den Nuklearschadenfonds leisten. Im unwahrscheinlichen Fall, dass ein von den Versicherungen nicht gedeckter Restschaden verbleiben sollte, würde diesem im Rahmen von Artikel 19a Absatz 4 der Verordnung ETH-Bereich (SR 414.110.3) Rechnung getragen. In dieser Bestimmung hat der Bundesrat festge5434

legt, wie bei einem Grossschadenereignis bei den ETH oder bei den Forschungsanstalten vorzugehen ist, wenn dadurch die Erfüllung der in der Bundesgesetzgebung verankerten Aufgaben gefährdet ist: Der ETH-Rat beantragt beim zuständigen Departement zuhanden des Bundesrates entweder eine Anpassung des Leistungsauftrags oder eine Erhöhung des Finanzierungsbeitrags des Bundes und nötigenfalls des Zahlungsrahmens.

Im Rahmen der laufenden Teilrevision des ETH-Gesetzes wird geprüft, alle Liegenschaften des ETH-Bereichs, inklusive die Kernanlagen der ETH Lausanne und des PSI, ins Eigentum der verselbständigten ETH zu überführen. Unabhängig von einem allfälligen Eigentumsübergang hat das im KHG verankerte Prinzip der Kanalisierung der Haftung auf den Inhaber der Kernanlage zur Folge, dass bei einem nuklearen Unfall ausschliesslich die betroffene Anstalt haftet. Heute ist der Bund Eigentümer dieser Anlagen und nach geltendem Artikel 3 Absatz 4 KHG besteht eine Solidarhaftung zwischen der Betreiberin (ETH Lausanne bzw. PSI) und dem Eigentümer (Bund). Eine solche Solidarhaftung ist nach dem Pariser Übereinkommen nicht mehr zulässig.

Bei Kernanlagen mit geringem Gefährdungspotenzial, z.B. bei Forschungsreaktoren, besteht die Möglichkeit, die Deckungssumme nach Artikel 8 Absatz 3 herabzusetzen (vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen zu Art. 8).

Art. 11

Spätschäden

Diese Bestimmung entspricht dem geltenden Artikel 13 KHG. Sie bietet dem Geschädigten über die 30-jährige Verwirkungsfrist hinaus Schutz, um allfälligen späten Auswirkungen der krebserregenden Eigenschaften der radioaktiven Stoffe Rechnung zu tragen. Als Spätschäden gelten diejenigen Schäden, welche erst dann sichtbar werden und eingeklagt werden können, wenn die Klagemöglichkeit gegen den Inhaber wegen Fristenablauf erloschen ist. In diesen Fällen hat der Bund die Opfer zu entschädigen. Mit dieser Regelung sollen diejenigen Schäden erfasst werden, welche mehr als 30 Jahre nach dem Schadenereignis auftreten, sowie diejenigen, welche später als 27 Jahre nach dem schädigenden Ereignis sichtbar werden, für deren Deckung aber aus irgendeinem Grunde bis zum Ende des dreissigsten Jahres nicht Klage erhoben wurde. Die Frist von drei Jahren zur Geltendmachung der Ansprüche gilt auch im Falle von Spätschäden (bezüglich Verjährungs- und Verwirkungsfristen vgl. Art. 5).

Art. 12

Beiträge der Inhaber von Kernanlagen

Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 14 KHG.

Nach Absatz 1 erhebt der Bund zur Finanzierung seiner Pflichten zur Bereitstellung der Deckung nach Artikel 10 sowie zur Entschädigung von Spätschäden nach Artikel 11 von den Inhabern von Kernanlagen Beiträge (Prämien). Diese Beiträge werden dem Nuklearschadenfonds gutgeschrieben (Art. 13). Die einbezahlten Prämien sind zur Deckung des Betrags von 1,8 Milliarden Franken bestimmt, soweit diese Deckung nicht vom privaten Versicherer bzw. Deckungsgeber übernommen werden kann. Die Übereinkommen von Paris und Brüssel erlauben es den Mitgliedstaaten, dass für die Finanzierung der zweiten Tranche von 1 Milliarde bis 1,8 Milliarden Franken die Inhaber der Kernanlagen (und nicht die öffentliche Hand) aufzukommen haben (siehe Ziff. 1.4.3). In Anwendung des Verursacherprinzips ist es deshalb gerechtfertigt, die zweite Tranche mit Prämienzahlungen der Inhaber zu finanzieren 5435

(siehe dazu auch Ziff. 1.8.2 und 1.8.3). Der erläuternde Bericht zur Revision der Übereinkommen von Paris und Brüssel hält ausdrücklich fest, dass die Vertragsstaaten bezüglich der Finanzierung dieser zweiten Tranche einen gewissen Spielraum haben sollen (S. 92).

Nach Absatz 2 obliegt es dem Bundesrat, die Berechnungsmethode für die Bundesprämien festzulegen, wobei diese bestmöglich nach dem Kostendeckungsprinzip und dem von der betreffenden Kernanlage tatsächlich ausgehenden Risiko zu bemessen sind. Diese versicherungsmathematische Berechnungsmethode ist zusammen mit Fachleuten auszuarbeiten. Diesbezüglich ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich die versicherungsmathematische Berechnungsmethode grundsätzlich auf statistische Angaben stützt. Im Bereich Kernenergie gibt es jedoch keine statistischen Grundlagen über die Eintretenswahrscheinlichkeit von nuklearen Schäden, was die Festlegung einer Berechnungsmethode erschwert. Bei der Berechung der Bundesprämien im Rahmen des geltenden KHG wurden die privaten Versicherungsprämien entsprechend dem vom Bund abzudeckenden Risiko mit einem bestimmten Faktor multipliziert. Neu gilt es zu berücksichtigen, dass gemäss Pariser Übereinkommen künftig auch Umweltschäden unter die Versicherungsdeckung fallen.

Nach Absatz 3 veranlagt und erhebt das Bundesamt für Energie die Bundesprämien in Form einer Verfügung. Gegen diese Verfügung kann beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden. Gegen dessen Entscheide ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht möglich.

Art. 13

Nuklearschadenfonds

Diese Bestimmung entspricht weitgehend dem geltenden Artikel 15 KHG. Sie bildet die gesetzliche Grundlage für den Nuklearschadenfonds, dem die von den Inhabern der Kernanlagen zu bezahlenden jährlichen Bundesprämien sowie die Zinserträge gutgeschrieben werden. Der Zinssatz ist variabel und wird quartalsweise festgelegt.

Es handelt sich dabei um den von der Schweizerischen Nationalbank berechneten 10-Jahres Kassazinssatz für Obligationen des Bundes. Per 31. Dezember 2006 betrug das Fondsvermögen 360 Millionen Franken. Im 4. Quartal 2006 belief sich der Zinssatz auf 2,5 %.

Dieser Fonds besitzt keine Rechtspersönlichkeit. Er besteht aus einem bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung eröffneten Konto, welches in der Bilanz des Bundes erscheint. Er wird vom Bundesamt für Energie verwaltet (Erstellung und Veröffentlichung der Jahresrechnung, der Bilanz und des Vermögensausweises). Die Prüfung der Buchführung des Fonds oblag bis zum 31. Dezember 2003 der Eidgenössischen Finanzkontrolle, seit dem 1. Januar 2004 wird diese Aufgabe von einer vom UVEK beauftragten privaten Revisionsgesellschaft wahrgenommen. Der Fonds dient der Entschädigung von Opfern nuklearer Schäden gemäss Artikel 10 und 11 des Entwurfs sowie zur Aufnahme und Verwendung der Mittel, die unser Land aus der 3. Tranche nach dem Brüsseler Zusatzübereinkommen erhält. Die Einzelheiten der Organisation und Funktionsweise des Fonds werden vom Bundesrat wie bis anhin in der KHV geregelt.

Die bereits im Rahmen des geltenden KHG getroffene Lösung stellt sicher, dass die Beiträge der Versicherten sicher und jederzeit verfügbar angelegt werden und die Auszahlung von Entschädigungen jederzeit möglich ist. Dies wäre bei einer Anlage der Mittel auf dem Kapitalmarkt, wie sie beim Stilllegungsfonds erfolgt, nicht im gleichen Masse sichergestellt.

5436

Art. 14

Besondere Schadenfälle

Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 16 KHG. Die Fälle von Artikel 16 Absatz 1 Buchstaben b und c KHG werden neu in Artikel 10 des Entwurfs geregelt. Ebenso wie das bestehende KHG sorgt auch der vorliegende Entwurf dafür, dass kein Opfer eines Nuklearunfalls ohne Entschädigung bleibt. Es geht hier um die Fälle, in denen der nukleare Schaden in der Schweiz aufgetreten ist, unabhängig davon, wo sich der nukleare Unfall ereignet hat. Die Schäden werden vom Bund aus allgemeinen Mitteln bis zu dem in Artikel 8 Absatz1 des Entwurfs festgesetzten Betrag gedeckt.

Artikel 14 Absatz 1 des Entwurfs regelt zwei Situationen: Die erste (Bst. a) betrifft den Fall, dass der für den Nuklearunfall Haftpflichtige nicht ermittelt werden kann; es ist wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass der Ursprung des nuklearen Schadens und sein Urheber nicht festgestellt werden können. Angesprochen sind aber nur diejenigen Fälle, in denen nachgewiesen werden kann, dass es sich um einen nuklearen Schaden handelt, der durch eine Kernanlage oder beim Transport von Kernmaterialien verursacht wurde.

Die zweite Situation (Bst. b) betrifft den Fall, dass der nukleare Schaden in der Schweiz erlitten wird und sich der nukleare Unfall im Ausland ereignet hat, das Opfer jedoch keine dem KHG entsprechende Entschädigung erlangen kann. Diese Regelung hat im Streit zwischen den Schweizer Gemüsebauern und dem Bund nach der Katastrophe von Tschernobyl konkrete Anwendung gefunden. (Entscheid des Bundesgerichts vom 21. Juni 1990, BGE 116 II 480).

Absatz 2 entspricht den geltenden Regeln des Obligationenrechts (vgl. Art. 44 Abs. 1 OR).

Absatz 3 sieht ein Rückgriffsrecht des Bundes vor gegenüber dem Haftpflichtigen.

Diese Bestimmung käme insbesondere dann zur Anwendung, wenn der Bund Leistungen in Erfüllung von Absatz 1 Buchstabe b erbracht hat und der Staat, in dem sich die schadenverursachende Kernanlage befindet, keine oder nur eine ungenügende Deckung gewährt hat.

Art. 15

Internationale Deckung

Artikel 15 regelt das Verfahren, wenn die finanziellen Mittel der dritten Tranche nach dem Brüsseler Zusatzübereinkommen abgerufen werden können.

Artikel 9 Absatz c des Brüsseler Zusatzübereinkommens schreibt vor, dass jede Vertragspartei verpflichtet ist, die internationale Tranche nach Artikel 3 Absatz (b) Ziffer (iii) dann bereitzustellen, wenn die Entschädigungssumme nach diesem Übereinkommen die Gesamtsumme der in Artikel 3 Absatz (b) Ziffern (i) und (ii) genannten Beträge erreicht, unabhängig davon, ob die vom Inhaber bereitzustellenden Mittel darüber hinausgehen. Das bedeutet, dass in dem Augenblick, in dem der Schaden den Höchstbetrag der zweiten Tranche des Zusatzübereinkommens von 1,2 Milliarden Euro (rund 1,8 Mia. Fr.) erreicht, die übrigen Staaten verpflichtet sind, die Mittel nach der internationalen Tranche in der Höhe von zurzeit 300 Millionen Euro zu erbringen.

Nach Absatz 1 des Entwurfs unterrichtet der Bundesrat die übrigen Vertragsparteien des Zusatzübereinkommens, wenn der Schaden den Betrag nach Artikel 3 Absatz (b) Ziffer (ii) übersteigt, und bittet um Bereitstellung der Mittel nach der dritten Tranche. Absatz 2 stellt sicher, dass die internationalen Mittel ausschliesslich und voll5437

umfänglich zur Ersatzleistung für Schäden aus dem nuklearen Ereignis zu verwenden sind. Absatz 3 legt fest, dass die Rechte und Pflichten aus dem Zusatzübereinkommen vom zuständigen Departement (UVEK) ausgeübt werden (z.B. das Rückgriffsrecht nach Artikel 10 Absatz c des Zusatzübereinkommens). Absatz 4 bestimmt, dass der Bund Vorschüsse auf die Beträge nach der dritten Tranche des Zusatzübereinkommens leisten kann, wenn sich die Bereitstellung der Mittel der übrigen Vertragsparteien verzögert. Diese Vorschrift dient dem Schutz der Geschädigten, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die internationalen Mittel nicht schnell genug bereitgestellt werden; die Geschädigten sollen darunter nicht leiden.

Allfällige Vorschüsse des Bundes werden dem Nuklearschadenfonds gutgeschrieben.

Art. 16

Wiederherstellung der vollen Deckung

Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen Artikel 18 KHG. Dessen Absatz 3 wurde gestrichen, weil es selbstverständlich ist, dass ein für die Erledigung von alten Schäden reservierter, aber nicht beanspruchter Betrag, nicht für neue Schäden in Anspruch genommen werden darf.

Artikel 16 Absatz 1 des Entwurfs verpflichtet denjenigen, der Deckung gewährt, den Deckungsnehmer und das Bundesamt für Energie zu benachrichtigen, wenn sich die Deckungssumme durch die Erbringung von Leistungen oder durch Rückstellungen um einen Zehntel verringert hat. In diesen Fällen hat der Inhaber der Kernanlage gemäss Absatz 2 für ein künftiges Schadenereignis eine zusätzliche Deckung bis zur vollen ursprünglichen Deckungssumme zu beschaffen. Das bedeutet demnach für den Versicherungsnehmer, d.h. den Inhaber der Kernanlage, dass er von seinem oder einem anderen Versicherer eine zusätzliche Deckung beschaffen muss.

Diese im Interesse des Schutzes der Geschädigten liegende Vorschrift ist eine unmittelbare Folge der Verpflichtungen aus Artikel 10 Absätze a und b des Pariser Übereinkommens. Danach hat der haftpflichtige Inhaber der Kernanlage seine Haftpflicht bei betragsmässig begrenzter Haftung in voller Höhe und bei betragsmässig unbegrenzter Haftung bis zu dem von der nationalen Gesetzgebung festgesetzten Betrag sicherzustellen. Der Inhaber der Kernanlage muss somit stets den nach Artikel 8 des Entwurfs festgesetzten Betrag durch Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheiten abdecken.

Art. 17

Unmittelbarer Anspruch, Einreden

Diese Bestimmung entspricht Artikel 19 KHG. Sie begründet die Möglichkeit einer so genannten «action directe» gegen die Deckungsgeber. Geschädigte können also statt oder neben dem haftpflichtigen Inhaber der Kernanlage unmittelbar die Deckungsgeber in Anspruch nehmen. Dies soll der Vereinfachung der Verfahren dienen. Das Pariser Übereinkommen sieht eine solche Vorschrift nicht ausdrücklich vor, ihre Zulässigkeit ergibt sich aber aus Artikel 11 des Übereinkommens.

Absatz 2 des Entwurfs stellt sicher, dass Einreden, die sich aus dem Innenverhältnis zwischen haftpflichtigem Inhaber und Deckungsgeber ergeben, nicht dem Geschädigten entgegengehalten werden können. Insbesondere können Einreden aus dem Deckungsvertrag oder aus den jeweils anwendbaren Gesetzen, wie z.B. dem Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1), nicht dem Geschädigten entgegengehalten werden. Solche Bestimmungen haben keinen Einfluss auf 5438

die Entschädigungsleistung an den Geschädigten, sondern sind Gegenstand der internen Auseinandersetzung zwischen dem haftpflichtigen Inhaber und seinen Deckungsgebern.

Art. 18

Rückgriff der Deckungsgeber

Diese Bestimmung entspricht Artikel 20 KHG. Sie legt fest, dass die Deckungsgeber ein Rückgriffsrecht gegen den Inhaber der Kernanlage haben, wenn dieser den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Durch die Geltendmachung dieses Rechts dürfen jedoch die Geschädigten nicht benachteiligt werden.

Das Rückgriffsrecht des Bundes umfasst auch das Recht, Rückgriff auf den haftpflichtigen Inhaber bezüglich der nach Artikel 3 Absatz (b) Ziffer (iii) des Brüsseler Zusatzübereinkommens bereitgestellten internationalen Mittel zu nehmen. Unter Deckungsgeber sind die Versicherer und die Anbieter anderer finanzieller Garantien zu verstehen, die in der Schweiz zugelassen sind (im Sinne von Art. 9 Abs. 1 KHG) sowie der Bund.

Art. 19

Aussetzen und Ende der privaten Deckung

Diese Bestimmung entspricht Artikel 21 KHG. Nach Artikel 10 Absatz d des Pariser Übereinkommens darf kein Versicherer und kein anderer, der eine sonstige finanzielle Sicherheit erbringt, die vorgesehene Versicherung oder finanzielle Sicherheit aussetzen oder beenden, ohne dies der zuständigen Behörde mindestens zwei Monate vorher schriftlich anzuzeigen. In Fällen des Transports von Kernmaterial darf für die Dauer des Transportes die finanzielle Sicherheit weder ausgesetzt noch beendigt werden. Artikel 19 des Entwurfs setzt diese Vertragsverpflichtung um. Sie führt bezüglich der Frist ein strengeres Regime ein: Mitteilungen über die Aussetzung oder Beendigung der Deckung werden erst sechs Monate nach Eingang der Meldung bei dem zuständigen Bundesamt wirksam. Nach dem Pariser Übereinkommen ist die Aussetzung oder Beendigung der privaten Deckung während der Dauer der Beförderung von Kernmaterialien ausgeschlossen.

Art. 20

Beweissicherung

Artikel 22 des geltenden KHG beauftragt den Bundesrat, nach Eintritt eines grösseren nuklearen Ereignisses den Sachverhalt zu erheben und legt im Detail fest, wie dies zu erfolgen hat. Diese Bestimmung enthält Regelungen, die Verordnungscharakter haben. Aus diesem Grund enthält Artikel 20 des Entwurfs lediglich den Auftrag an den Bundesrat, unmittelbar nach Eintritt eines grösseren nuklearen Ereignisses eine Erhebung über den Sachverhalt anzuordnen. Die Details wird der Bundesrat im Rahmen seiner allgemeinen Vollzugskompetenz (Art. 32 des Entwurfs) regeln.

Der Begriff «grösseres nukleares Ereignis» darf nicht verwechselt werden mit «Grossschaden» in Artikel 26 Absatz 2 KHG. Ein grösseres nukleares Ereignis dürfte dann vorliegen, wenn mehrere Personen betroffen sind oder eine Mensch und Umwelt gefährdende Radioaktivität ausgetreten ist.

Die behördliche Erhebung des Sachverhalts kann den Beweis erleichtern, dass zwischen dem Ereignis und dem Schaden ein direkter Zusammenhang (Kausalität) besteht.

5439

Art. 21

Kantonale Instanz

Artikel 13 des Pariser Übereinkommens enthält zwingende Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit. Danach sind für Schadenersatzklagen die Gerichte derjenigen Vertragspartei zuständig, in deren Hoheitsgebiet das nukleare Ereignis eingetreten ist. Tritt ein nukleares Ereignis ausserhalb der Hoheitsgebiete der Vertragsparteien ein, oder kann der Ort des nuklearen Ereignisses nicht festgestellt werden, sind es die Gerichte derjenigen Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die Kernanlage des haftenden Inhabers gelegen ist (Art 13 Abs. c des Übereinkommens). Nach Artikel 13 Absatz h des Übereinkommens muss zudem die Vertragpartei, deren Gerichte gemäss diesem Übereinkommen zuständig sind, sicherstellen, dass nur eines ihrer Gerichte für Entscheidungen für den Ersatz von nuklearem Schaden zuständig ist.

Diese Regeln über den Gerichtsstand ermöglichen es den Opfern, rasch Klarheit über das zuständige Gericht zu erhalten, bei dem sie ihre Rechte geltend machen können, und stellen darüber hinaus sicher, dass alle Klagen wegen ein und desselben nuklearen Ereignisses gleich behandelt werden. Die Zuständigkeit eines einzigen Gerichts ist eines der Grundprinzipien des Pariser Übereinkommens.

Nach Artikel 21 des Entwurfs sind die Kantone verpflichtet, ein Gericht zu bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz über Schadenersatzklagen entscheidet, die wegen eines nuklearen Ereignisses erhoben werden. Die Entscheide dieser einzigen kantonalen Instanz können nach den Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) an das Bundesgericht weitergezogen werden. Artikel 21 reicht jedoch nicht aus, um die Bedingungen von Artikel 13 des Pariser Übereinkommens zu erfüllen, da er keinen Aufschluss über das örtlich zuständige Gericht gibt, sondern die Kantone nur verpflichtet, in ihrer Gesetzgebung eine einzige Instanz zu bezeichnen. Dazu ist eine Anpassung des Gerichtsstandsgesetzes (GestG; SR 272) und des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291) erforderlich, um im Falle eines nuklearen Ereignisses Klarheit über das örtlich zuständige Gericht zu haben (vgl. Erläuterungen zu Art. 32 des Entwurfs).

Art. 22­24

Verfahrensgrundsätze, Festsetzung der Gerichts- und Parteikosten, vorläufige Zahlung

Diese Artikel entsprechen Artikel 26­28 KHG. Nach Artikel 14 Absatz b in fine des Pariser Übereinkommens ist das innerstaatliche Recht oder die innerstaatliche Gesetzgebung auf alle materiell- und verfahrensrechtlichen Fragen anzuwenden, die durch das Übereinkommen nicht besonders geregelt werden. Die vorliegenden Bestimmungen stammen aus dem geltenden KHG. Sie sollen mit dem revidierten KHG weitergeführt und mit dem Inkrafttreten des neuen schweizerischen Zivilprozessrechtes (nicht vor 2010) abgelöst werden.

Artikel 22 des Entwurfs entspricht Artikel 26 KHG. Dieser enthält einige Grundsätze, die dazu bestimmt sind, das gerichtliche Verfahren zu vereinheitlichen und so eine gleiche Behandlung aller Schadenersatzklagen zu ermöglichen. Nach Absatz 1 stellt das zuständige Gericht von Amtes wegen die für den Entscheid erheblichen Tatsachen fest. Es erhebt die notwendigen Beweise und ist in der Beweiswürdigung frei. Es ist an die Begehren der Parteien nicht gebunden. Das hat für den Geschädigten den Vorteil, dass er eine höhere Entschädigung als die von ihm verlangte zugesprochen bekommen kann. Beabsichtigt das Gericht über das Klagebegehren hinauszugehen, so muss es jedoch den Parteien vorher Gelegenheit geben, sich hierzu zu äussern. Absatz 2 sieht vor, dass bei einer Klage, die gegen einen Haft5440

pflichtigen oder einen Deckungsgeber gerichtet ist, das Gericht auch den andern Parteien Gelegenheit gibt, ihre Interessen im Verfahren zu wahren.

Artikel 23 ermöglicht es dem Gericht, bei der Festsetzung der Gerichts- und Parteikosten auf die finanziellen Verhältnisse des Pflichtigen Rücksicht zu nehmen. Diese Bestimmung ist unverändert aus dem KHG (Art. 27) übernommen worden.

Artikel 24 erlaubt es dem Gericht, wenn das Begehren nicht aussichtslos erscheint, unpräjudizierlich für den endgültigen Entscheid vorläufige Zahlungen zuzusprechen, wenn eine Notlage des Geschädigten vorliegt. Unrechtmässig geleistete Zahlungen müssen zurückerstattet werden.

Art. 25 und 26

Grossschäden

Wenn die 1,8 Milliarden Franken zuzüglich der 300 Millionen Euro (450 Mio. Fr.)

aus der 3. Tranche nach dem Brüsseler Zusatzübereinkommen zur Deckung des Schadens nicht ausreichen, kommt die unbegrenzte Haftung des haftpflichtigen Inhabers zum Tragen, d.h. der Inhaber der Kernanlage muss zusätzlich die Gesamtheit seiner Mittel zur Schadensdeckung einsetzen. Diese Mittel setzen sich zusammen aus seinem ganzen Vermögen, einschliesslich seiner Rückstellungen und Forderungen, d.h. auch Forderungen aus andern Versicherungsverträgen (wie Sachversicherungen). Reichen auch diese Mittel zur Entschädigung der Opfer nicht aus, kann dies bedeuten, dass der Haftpflichtige in den Konkurs fällt.

Wenn die Mittel der Deckungsgeber, jene aus der dritten Tranche gemäss dem Brüsseler Zusatzübereinkommen und die Mittel des Haftpflichtigen nicht ausreichen, kommt es zur Grossschadenregelung. Nach Artikel 26 Absatz 1 des Entwurfs kann die Bundesversammlung in einer nicht dem Referendum unterstehenden Verordnung (Art. 163 Abs. 1 BV) eine Entschädigungsordnung aufstellen.

Neu gegenüber dem geltenden KHG wird in Absatz 2 vorgesehen, dass ein Grossschaden auch dann vorliegt, wenn wegen der grossen Zahl der Geschädigten das ordentliche Verfahren nicht durchgeführt werden kann. Eine derartige Regelung wird in der Rechtsliteratur6 und auch im Entwurf zu einem Stauanlagengesetz (BBl Nr. 27 vom 11. Juli 2006, S. 6037) vorgeschlagen. Unter «ordentlichem Verfahren» ist hier ganz allgemein das Verfahren nach der geltenden (kantonalen oder schweizerischen) Zivilprozessordnung oder nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG; SR 281.1) zu verstehen, auch wenn es sich um ein besonderes (z.B. beschleunigtes oder summarisches) Verfahren handelt. Wenn Tausende von Personen geschädigt sind, kann es notwendig sein, Bestimmungen zur Vereinfachung des Verfahrens zu erlassen, selbst wenn der Schaden voll gedeckt werden kann.

Die Absätze 3 und 4 umschreiben den Inhalt einer Entschädigungsordnung und die zulässigen Abweichungen von schadenersatzrechtlichen Bestimmungen dieses Gesetzes oder anderer Vorschriften. Denkbar sind gestützt auf Absatz 4 Buchstabe a beispielsweise Pauschalentschädigungen für bestimmte Arten von Schäden oder bestimmte Gruppen von Geschädigten, um das Verfahren zu vereinfachen. Wenn die Mittel zur Deckung aller Schäden nicht ausreichen, so kann auch der Deckung der 6

Nicolas Jeandin, Parties au procès: Mouvement et (r)évolution; Précis en vue du Code fédéral de procédure civile actuellement en préparation, Zürich 2003, 158 ff; Pierre Tercier, L'indemnisation des préjudices causés par des catastrophes en droit suisse, ZSR 109 (1990) II S. 73 ff. (249 ff.).

5441

dringendsten Bedürfnisse der Vorzug gegeben und beispielsweise Genugtuungsansprüche der Geschädigten oder Rückgriffsansprüche der Sozial- und Privatversicherer beschränkt werden7. In der Entschädigungsordnung können schliesslich Beweiserleichterungen vorgesehen werden, z.B. wenn Beweismittel durch das Schadenereignis zerstört worden sind.

Gemäss Buchstabe a müssen aber für die Verteilung der gemäss den internationalen Übereinkommen festgelegten Deckungssumme von 2,25 Milliarden Franken (1,5 Mia. Euro) die Grundsätze des Pariser Übereinkommens beachtet werden (z.B.

Art. 8 Brüsseler Zusatzübereinkommen). Für die den Betrag von 2,25 Milliarden Franken übersteigenden Leistungen kann die Entschädigungsordnung jedoch schweizerische Geschädigte gegenüber ausländischen unter Vorbehalt des Gegenrechts (Art. 28 des Entwurfs) besser stellen.

Nach Buchstabe b soll der Bund an den nicht gedeckten Schaden zusätzliche Beiträge leisten können. Insofern als diese zusätzlichen Leistungen den Betrag von 2,25 Milliarden Franken übersteigen, kann die Entschädigungsordnung von den Prinzipien des Pariser Übereinkommens und des Brüsseler Zusatzübereinkommens abweichen. So können z.B. schweizerische Geschädigte gegenüber ausländischen besser gestellt werden.

Nach Buchstabe c kann die Bundesversammlung das Verfahren regeln und eine besondere Instanz zum Vollzug der Entschädigungsordnung einsetzen. Angesichts der grossen Zahl der Geschädigten kann es notwendig sein, diese in einer Zwangsgemeinschaft zusammenzufassen8. Es soll möglich sein, das Beweisverfahren zu vereinfachen und die Rechtsmittel zu beschränken. Verwirkungsfristen für die Einreichung der Klage und besondere Kostenregelungen zugunsten der Geschädigten können gerechtfertigt sein9. Als besondere Instanz zur Durchführung der Entschädigungsordnung könnte ein Gericht, das mit Fachleuten zusammengesetzt ist, eingesetzt werden, allenfalls auch eine Verwaltungsbehörde, die durch Verfügung über die Ansprüche entscheidet. Ein Rechtsmittel ans Bundesgericht soll möglich sein.

Für den Fall eines Grossschadens ist es unerlässlich, dass der Bundesrat vorsorgliche Massnahmen bezüglich Erfassung der Schäden sowie Geltendmachung und Behandlung von Schadenersatzansprüchen trifft (Abs. 5). Das BFE hat dazu verschiedene Unterlagen vorbereitet.

Artikel 26 ermächtigt den
Bundesrat, auf dem Gebiet der Privatversicherung sowie auf dem Gebiet der Sozialversicherung und der öffentlichen Versicherung ausserordentliche Massnahmen zu treffen. Diese Ausnahmegesetzgebung erstreckt sich jedoch nicht auf die nach den Artikeln 8­10 und 16 abzuschliessenden Deckungsverträge (Haftpflichtversicherungen, finanzielle Sicherheiten). Die sehr weitreichenden Kompetenzen dieses Artikels sind im Zusammenhang mit einem Notstand zu sehen, in welchem sich im Falle eines Grossschadens ein Teil der Schweizer Bevölkerung befinden würde. Ohne eine explizite Regelung im vorliegenden Entwurf müsste eine solche Bestimmung im Falle eines Grossschadens im Rahmen von Dringlichkeitsrecht erlassen werden. Siehe für weitere Ausführungen BBl 1958 II 1563.

7 8 9

Vgl. Tercier, L'indemnisation, 259 ff., 262 ff.

Jeandin,165 f.; Tercier, L'indemnisation, 253 f.

Tercier, L'indemnisation, 249 f., 251, 253 f., 254 ff.

5442

Art. 27

Gegenrecht

Dieser Artikel legt den Grundsatz des Gegenrechts fest und definiert die Modalitäten für seine Anwendung, wobei zwischen den Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens und des Brüsseler Zusatzübereinkommens, den Staaten, die zusätzlich das gemeinsame Protokoll ratifiziert haben, sowie den anderen Staaten mit und ohne Kernanlagen in ihrem Hoheitsgebiet unterschieden wird. Das Gegenrecht ist bereits in Artikel 34 des geltenden KHG geregelt, unterteilt die Staaten jedoch nicht in derartige Kategorien.

Gemäss Absatz 1 des Entwurfs haftet der Inhaber einer in der Schweiz gelegenen Kernanlage auch für nukleare Schäden im Ausland: ­

ohne betragsmässige Begrenzung für Vertragsstaaten, die in ihrer nationalen Gesetzgebung im Verhältnis zur Schweiz ebenfalls eine betragsmässig unbegrenzte Haftung vorsehen, wenn diese Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens und gegebenenfalls des Brüsseler Zusatzübereinkommens oder des Wiener Übereinkommens und des gemeinsamen Protokolls sind.

Diese Regelung gilt namentlich gegenüber Deutschland (siehe Ziff. 1.3.2).

­

bis zu dem in Artikel 3 Absatz (b) Ziffer (iii) des Brüsseler Zusatzübereinkommens genannten Betrag von 1,2 Milliarden Euro (1,8 Mia. Fr.) oder bis zum höheren Betrag, den die nationale Gesetzgebung des betroffenen Staates im Zeitpunkt des nuklearen Ereignisses im Verhältnis zur Schweiz vorsieht, für Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens und des Brüsseler Zusatzübereinkommens, die eine betragsmässig begrenzte Haftung des Inhabers vorsehen. Zu diesem Betrag hinzuzuzählen ist die internationale Tranche von 300 Millionen Euro (ca. 450 Mio. Fr.) gemäss Artikel 3 Absatz (b) Ziffer (iii) des Brüsseler Zusatzübereinkommens. Für diese 300 Millionen Euro haftet aber nicht der Inhaber der Kernanlage, dieser Betrag muss von allen Vertragsparteien nach einem bestimmten Schlüssel bereitgestellt werden (Art. 12 BZÜ);

­

bis zum Betrag, den die nationale Gesetzgebung des betroffenen Staates im Zeitpunkt des nuklearen Ereignisses im Verhältnis zur Schweiz vorsieht, für Staaten, die eine betragsmässig begrenzte Haftung des Inhabers vorsehen, und die Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens nicht aber des Brüsseler Zusatzübereinkommens sind oder die Vertragsstaaten des Wiener Übereinkommens und des gemeinsamen Protokolls sind. (zur Anmeldung eines Vorbehalts betreffend dieser Reziprozitätsregelung vgl. Ziff. 1.5.2).

Absatz 2 regelt einerseits die Fälle, in denen der nukleare Schaden in anderen Staaten als den in Absatz 1 genannten eintritt und die keine Kernanlagen in ihrem Hoheitsgebiet oder in ihren nach dem Völkerrecht festgelegten Meereszonen besitzen. Für Schäden in diesen Staaten steht als maximale Entschädigung der in Artikel 7 des Pariser Übereinkommens genannte Betrag (700 Mio. Euro) zur Verfügung.

Eine Privilegierung der Nicht-Nuklearstaaten bezüglich der Höhe der ihnen angebotenen Deckungssumme ist gerechtfertigt. Betroffen ist insbesondere Österreich.

Andererseits regelt Absatz 2 die Lage der Staaten, welche in Absatz 1 nicht genannt sind und selber Kernanlagen besitzen. Für diese wird Entschädigung nur unter den in Artikel 2 Absatz (a) Ziffer (iv) und 7 Absatz (g) des Pariser Übereinkommens genannten Voraussetzungen geschuldet. Das heisst, dass die vom schweizerischen Haftpflichtigen zu leistende Entschädigung auf den Betrag begrenzt wird, den der 5443

andere Staat in seinem innerstaatlichen Recht im Verhältnis zur Schweiz vorsieht (Reziprozität); die maximale Höhe der Entschädigung beträgt aber in jedem Fall höchstens 700 Millionen Euro. Unter diese Regelung fallen insbesondere auch Staaten, die zwar das Pariser Übereinkommen (mit den Änderungen von 1964 und 1982) ratifiziert haben, nicht aber das Revisionsprotokoll von 2004.

Art. 28­30

Strafbestimmungen

Die Strafbestimmungen wurden an die am 1. Januar 2007 in Kraft getrenen Änderungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches angepasst. Artikel 28 erlaubt es der zuständigen Behörde, eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe aufzuerlegen, wenn der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Eine Freiheitsstrafe muss dabei immer auch mit einer Geldstrafe verbunden werden. Hat der Täter fahrlässig gehandelt, darf eine allfällige Freiheitsstrafe nicht mit einer Geldstrafe verbunden werden.

Bei Übertretungen (Art. 29 Abs. 1) wird mit Busse bis zu 100 000 Franken bestraft, wer vorsätzlich einer Bestimmung des Gesetzes zuwiderhandelt. Gegenüber dem geltenden Recht wird der Bussenbetrag um das fünffache erhöht.

Absatz 2 stellt Versuch und Gehilfenschaft neu ausdrücklich unter Strafe. Absatz 3 legt die mögliche Busse bei fahrlässigem Handeln mit 40 000 Franken fest (das geltende Recht sieht eine Busse von 20 000 Fr. vor).

Artikel 30 beauftragt das zuständige Bundesamt damit, Widerhandlungen nach dem Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (SR 313.0) zu verfolgen und darüber zu urteilen.

Art. 31

Vollzug

Absatz 1 beauftragt den Bundesrat mit dem Vollzug des vorliegenden Gesetzes.

Dies wird ihm die Befugnis verleihen, die notwendigen Ausführungsbestimmungen mit einer Verordnung zu erlassen. Auch kann der Bundesrat die Bereinigung zweitrangiger Fragen an das zuständige Departement (UVEK) übertragen.

Mit Absatz 2 erhält der Bundesrat die Kompetenz, diejenige Stelle zu bezeichnen, die befugt ist, Massnahmen zur Wiederherstellung nach Artikel 1 Absatz (a) Ziffer (viii) des Pariser Übereinkommens zu ergreifen oder zu genehmigen. In Analogie zu Artikel 3 Absatz 4 des Entwurfs dürfte dies ebenfalls das zuständige Bundesamt (BFE) sein.

Art. 32

Aufhebung und Änderung des bisherigen Rechts

Das Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 wird mit dem Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes aufgehoben.

5444

2.3

Änderung bisherigen Rechts (Anhang)

2.3.1

Gerichtsstandsgesetz

Art. 27a (neu)

Nuklearschäden

Artikel 13 des Pariser Übereinkommens bestimmt, welcher Staat für die Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten betreffend nukleare Ereignisse zuständig ist. Pro Ereignis darf innerstaatlich nur ein Gericht zuständig sein, wobei jeder Vertragsstaat das zuständige Gericht frei bestimmen kann (Art. 13 Absatz h des Übereinkommens).

Artikel 25 und 27 des Bundesgesetzes über den Gerichtsstand in Zivilsachen (GestG; SR 272) und Artikel 21 des Entwurfs kommen bei Rechtsstreitigkeiten zur Anwendung, bei denen kein internationaler Sachverhalt zu Grunde liegt und sehen verschiedene Gerichtsstände vor. Die Zuständigkeit eines einzigen Gerichts, wie es Artikel 13 des Pariser Übereinkommens verlangt, ist damit nicht gewährleistet. Es ist deshalb notwendig, das geltende Recht anzupassen. Es wird vorgeschlagen, im GestG einen Artikel 27a einzufügen, welcher die Zuständigkeit bei Nuklearschäden regelt. Die vorgesehenen Gerichtsstände gelten sowohl für Klagen, welche sich auf das Pariser Übereinkommen und das Brüsseler Zusatzübereinkommen abstützen, als auch für andere Klagen (Spätschäden; besondere Fälle, die vom Bund entschädigt werden).

Artikel 27a Absatz 1 sieht die Zuständigkeit des Gerichts in dem Kanton vor, in welchem das Ereignis eingetreten ist. Konkret ist das Gericht zuständig, welches vom kantonalen Recht des Ereignisorts als zuständig erklärt wird, entsprechend Artikel 21 des Entwurfs. Der Gerichtsstand ist zwingend. Entgegen Artikel 27 GestG gilt dieser Gerichtsstand für alle durch einen nuklearen Unfall verursachte Schäden, unabhängig davon, ob es sich um einen Massenschaden handelt oder nicht.

Für den Fall, dass der Ereignisort nicht mit Sicherheit bestimmt werden kann, sieht Absatz 2 zwingend den Gerichtsstand in dem Kanton vor, in dem die Kernanlage des haftpflichtigen Inhabers gelegen ist. Ein Nuklearschaden kann beispielsweise dadurch verursacht werden, dass nukleare Substanzen im Verlauf des Transports entweichen, ohne dass es gelingt, den Ort dieses Ereignisses zu lokalisieren. In einer solchen Situation müssen die entsprechenden Klagen beim Gericht eingereicht werden, welches durch das am Ort der betroffenen Anlage geltende kantonale Recht als zuständig bezeichnet wird.

Absatz 3 regelt die Situation, in welcher mehrere Kantone zuständig wären. So kann es beispielsweise sein, dass sich während
des Transports von nuklearen Substanzen ein Ereignis ereignet, ohne dass der Unfallort bestimmt werden kann, und dass diese Substanzen zwei Betreibern gehören. In dieser Konstellation sind gemäss Absatz 2 zwei Gerichtsstände gegeben, nämlich je einer an den Orten, wo die betroffenen Kernanlagen gelegen sind. Für solche Fälle bezeichnet Absatz 3 das Gericht des Ortes für zuständig, der am engsten mit dem Unfall verbunden und der durch seine Auswirkungen am meisten betroffen ist. Absatz 3 entspricht Artikel 13 Absatz (f) Ziffer (ii) des Pariser Übereinkommens.

5445

2.3.2

Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht

Art. 130 Im internationalen Verhältnis (z.B. bei ausländischen Betreibern oder Geschädigten) sind Artikel 130 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291) und Artikel 21 des Entwurfs anwendbar. Der aktuelle Artikel 130 IPRG regelt die internationale Zuständigkeit der Schweiz bei Nuklearereignissen. Diese Möglichkeit besteht mit dem Pariser Übereinkommen, welches die Frage in Artikel 13 selber regelt, nicht mehr. Das IPRG bedarf daher auch einer Änderung. Die zu treffende Lösung sollte dabei mit derjenigen im Gerichtstandsgesetz identisch sein, da gemäss Artikel 13 Absatz h Pariser Übereinkommen sämtliche Klagen aus einem Unfall bei ein und demselben Gericht zu erheben sind.

Absatz 1 verweist für die schweizerische Zuständigkeit auf das Pariser Übereinkommen. Absatz 2 bestimmt das schweizerische Gericht, bei welchem im Fall einer schweizerischen Zuständigkeit nach Artikel 13 des Pariser Übereinkommens die Klage einzureichen ist. Die Gerichtsstände sind identisch mit Artikel 27bis des Gerichtsstandsgesetzes, allerdings unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich hier um internationale Sachverhalte handelt. Der Gerichtsstand am Ort der betroffenen Anlage (derjenigen des haftpflichtigen Inhabers) ist folglich auch dann gegeben, wenn der Ereignisort zwar bestimmt ist, sich jedoch ausserhalb des Gebiets der Vertragsstaaten befindet.

Absatz 3 bezeichnet den Gerichtsstand für Klagen, die sich einzig auf das KHG (und nicht auf das Pariser Übereinkommen) abstützen. Er bestimmt sich nach denselben Kriterien wie in Absatz 2, stets in Verbindung mit Artikel 21 des Entwurfs. Es ist jedoch denkbar, dass sich weder der Ereignisort noch die Anlage in der Schweiz befinden. In diesen Fällen ist das Gericht am Ort des Schadenseintritts zuständig.

Sind mehrere Kantone zuständig, liegt die Zuständigkeit bei demjenigen Kanton, der am direktesten von den Folgen des Ereignisses betroffen ist. Die Regel, wonach nur ein einziger Gerichtsstand gegeben sein soll, ist hier zwar nicht zwingend, da das Pariser Übereinkommen nicht anwendbar ist. Sie wurde indes zur Vereinfachung des Verfahrens beibehalten.

Die Frage der Zuständigkeit ist auch im Luganer Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (SR 0.275.11) geregelt. Ein ausschliesslicher Gerichtsstand für nukleare Ereignisse ist dort nicht vorgesehen. Artikel 57 Absatz 1 des Luganer Übereinkommens enthält aber einen Vorbehalt zugunsten von Übereinkommen in besonderen Rechtsgebieten, denen die Vertragsstaaten angehören oder angehören werden.

Art. 130a Artikel 130a übernimmt den heutigen Absatz 3 von Artikel 130. Dieser Absatz regelt das Auskunftsrecht gegen den Inhaber von Datensammlungen, dies jedoch nicht nur im Zusammenhang mit nuklearen Ereignissen. Aus diesem Grund wird dieser Sachverhalt in einem separaten Artikel geregelt.

5446

Art. 138a (neu) Artikel 138a ist neu. Er regelt die Frage des anwendbaren Rechts im Fall von nuklearen Schäden. Das Pariser Übereinkommen enthält entsprechende Bestimmungen und schränkt daher die diesbezügliche Freiheit des innerstaatlichen Gesetzgebers ein. Artikel 14 Absatz b des Pariser Übereinkommens sieht grundsätzlich die Anwendung des am Gerichtsort geltenden materiellen Rechts vor. Das Pariser Übereinkommen enthält jedoch Sonderbestimmungen (Art. 2 Abs. b und Art. 7 Abs. d), die von der allgemeinen Regel abweichen und die Anwendung des Rechts am Ort der Anlage vorsehen. Das Ziel von Artikel 138a ist es daher, immer dann, wenn das Übereinkommen dies dem innerstaatlichen Recht überlässt, festzulegen, welches Recht anwendbar ist. Im Zusammenhang mit Klagen, die sich auf das Pariser Übereinkommen abstützen, ergänzt er die Regeln, die das Übereinkommen über das anwendbare Recht vorsieht. Er gilt auch für Klagen, die sich auf das KHG abstützen und für Situationen, in denen das Übereinkommen als innerstaatliches Recht angewendet wird (Art. 1 Abs. 2 des Entwurfs).

Absatz 1 sieht die Anwendung des schweizerischen Rechts vor, wenn laut Pariser Übereinkommen die schweizerischen Gerichte zuständig sind.

Absatz 2 sieht Ausnahmen von der Anwendung des am Gerichtsort geltenden Rechts vor. Er zielt nur auf Fälle ab, in denen die Kernanlage des haftpflichtigen Inhabers in einem anderen Vertragsstaat des Übereinkommens gelegen ist. Nach Buchstabe a bestimmt sich nach dem Recht dieses Vertragsstaates, ob der Anwendungsbereich des Pariser Übereinkommens gemäss Artikel 2 Absatz b des Übereinkommens ausgedehnt wird. Nach dem innerstaatlichen Recht des anderen Vertragsstaates bestimmt sich auch, ob und inwieweit ein nuklearer Schaden in den Fällen von Artikel 9 des Pariser Übereinkommens ersetzt wird. Diese Regelung stützt sich auf die Artikel 2 Absatz b und 7 Absatz d des Pariser Übereinkommens und gilt ohne Rücksicht darauf, ob der andere Staat der Schweiz gegenüber eine gleichwertige Regelung hat (keine Reziprozität).

Gemäss Absatz 3 sind die Bestimmungen von Absatz 2 sinngemäss anwendbar, wenn sich die Kernanlage des haftpflichtigen Inhabers im Hoheitsgebiet eines Staates befindet, der nicht Vertragsstaat des Pariser Übereinkommens ist, dessen Gesetzgebung in ihren Grundsätzen der schweizerischen Gesetzgebung
jedoch zumindest gleichwertig ist (Reziprozität).

Art. 149 Abs. 2 Bst. f Artikel 149 Absatz 2 gilt für Urteile in Streitfällen, auf die das Pariser Übereinkommen nicht anwendbar ist. Dieser Artikel ermöglicht, dass in der Schweiz Urteile anerkannt werden, die an dem in Artikel 130 Absatz 3 IPRG genannten Gerichtsstand des Orts der Anlage gefällt wurden. Der praktische Nutzen dieser Bestimmung liegt darin, dass sich in der Schweiz allfällige Vermögenswerte des Haftpflichtigen befinden können, für deren Beschlagnahmung die Anerkennung des ausländischen Urteils notwendig ist.

5447

2.3.3

Strahlenschutzgesetz

Die Änderungen in Artikel 39 Absatz 3 und Artikel 40 des Strahlenschutzgesetzes sind rein redaktioneller Natur. Bei beiden Artikeln wird beim Vorbehalt des Kernenergiehaftpflichtgesetzes neu auch das Pariser Übereinkommen erwähnt.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Der vorgeschlagene Bundesbeschluss hat für den Bund (neue) finanzielle Auswirkungen. Nach Artikel 10 ff. des Entwurfs zum KHG hat der Bund im Rahmen der Bundesversicherung verschiedene Risiken abzudecken: ­

Deckung des Schadens aus einem nuklearen Ereignis von 1 Milliarde bis 1,8 Milliarden Franken (kann die Privatassekuranz einen höheren Betrag als 1 Milliarde versichern, würde sich der Bundesanteil entsprechend verringern); neu gegenüber geltendem Recht;

­

Deckung der Risiken bis zu 1,8 Milliarden Franken, die der private Deckungsgeber von der Deckung ausschliessen darf (insbesondere kriegerische Ereignisse, ausserordentliche Naturvorgänge, terroristische Gewaltakte ab 500 Mio. Fr. sowie bei Umweltschäden gewisse Einkommensverluste); betreffend Umweltschäden neu gegenüber geltendem Recht;

­

Deckung der Kosten für die Schadenregulierung von 100 bis 180 Millionen Franken; neu gegenüber geltendem Recht;

­

Deckung der nuklearen Schäden, die wegen Ablaufs der 30-jährigen Frist nicht mehr geltend gemacht werden können; entspricht geltendem Recht;

­

Deckung von Schäden aus nuklearen Ereignissen, für die keine Versicherung oder sonstige finanzielle Sicherheit existiert oder wenn der private Deckungsgeber insolvent ist; entspricht geltendem Recht.

Zur Deckung all dieser Verpflichtungen erhebt der Bund von den Inhabern der Kernanlagen Beiträge («Versicherungsprämien»). In Anlehnung an versicherungstechnische Grundsätze und unter Berücksichtigung des jeweiligen Risikos wird der Bundesrat diese Beiträge auf Verordnungsstufe festlegen. Die Erhöhung der Versicherungsleistung des Bundes wird sich auch in einer entsprechenden Erhöhung der heutigen Prämien widerspiegeln.

Weitere finanzielle Verpflichtungen können dem Bund im Rahmen von Artikel 14 Absatz 1 des Entwurfs (kein Haftpflichtiger, keine Entschädigung im Ausland) sowie von Artikel 25 Absatz 4 Buchstabe b des Entwurfs (Grossschadenregelung) erwachsen. In diesen Fällen hat der Bund allfällige Leistungen aus allgemeinen Mitteln zu bestreiten.

Für die Schadenabwicklung nach einem nuklearen Unfall haben der Bund und die im Schweizer Pool für die Versicherung von Nuklearrisiken zusammengeschlossenen Versicherer mit Datum vom 21. Juni 1990 einen Vertrag über die Schadenbehandlung abgeschlossen. In diesem Vertrag wurde vereinbart, dass die Behandlung von Nuklearschäden, die bezüglich der Schadenabwicklung in den Zuständigkeits5448

bereich des Bundes fallen (insb. Anteil Bundesversicherung oder Grosschäden), von den privaten Versicherern auf Rechnung des Bundes durchgeführt wird. Die Kosten für die Schadenabwicklung werden vom Bund in Prozenten des geleisteten gesamten Schadenersatzes vergütet. Im Hinblick auf das Inkrafttreten des revidierten KHG ist dieser Vertrag über die Schadenbehandlung zu überprüfen und an die Neuregelungen anzupassen.

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Personelle Auswirkungen sind beim Bund solange nicht zu erwarten, als keine Nuklearschäden auftreten. Welche Auswirkungen der Eintritt eines Schadenfalles haben würde, kann zum heutigen Zeitpunkt nicht gesagt werden. Sollte sich ein Unfall ereignen, müsste im Bundesamt für Energie situativ das nötige Personal für die anfallenden Aufgaben freigestellt bzw. neu angestellt werden.

3.2

Auswirkungen auf die Wirtschaft

Die Erhöhung der Deckungssumme auf 1,8 Milliarden Franken hat für den Strom aus Kernkraftwerken minime Mehrkosten zur Folge. Wie die unter Ziffer 1.6.2 erwähnte Untersuchung der Universität Zürich gezeigt hat, sind diese Mehrkosten bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit des Stroms aus Kernkraftwerken praktisch vernachlässigbar. Dem gegenüber steht hingegen ein durch die internationale Einbindung stark verbesserter Opferschutz.

3.3

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Revision des KHG hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden.

3.4

Auswirkungen auf die Informatik

Die Revision des KHG hat keine Auswirkungen auf die Informatik.

4

Legislaturplanung

Die Botschaft ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 angekündigt.10

10

BBl 2004 1196

5449

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Gemäss Artikel 90 der Bundesverfassung (BV; SR 101) verfügt der Bund im Bereich der Kernenergie über eine umfassende Zuständigkeit. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und auf dem Gebiet des Strafrechts ist Sache des Bundes (Art. 122 und 123 BV). Diese Bestimmungen stellen die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Bundes dar, um im Bereich der Nuklearhaftpflicht umfassend und abschliessend zu legiferieren.

Die Zuständigkeit des Bundes im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten resultiert aus den Artikeln 54 und 184 BV. Die Bundesversammlung ist auf Grund von Artikel 166 Absatz 2 BV zuständig für die Genehmigung der Verträge.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterstehen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Die drei Staatsverträge können gekündigt werden und haben keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation zur Folge. Die Ratifikation dieser Staatsverträge erfordert aber den Erlass des vorliegenden Gesetzes. Daraus folgt, dass der Bundesbeschluss zur Genehmigung dieser Staatsverträge auf Grund von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem Staatsvertragsreferendum zu unterstellen ist.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

5.2.1

Verpflichtungen gegenüber der EU

Auf diesem Gebiet gibt es kein EU-Recht, weshalb es auch keine Unvereinbarkeiten mit dem schweizerischen Recht geben kann. Mit seiner Entscheidung vom 8. März 2004 (2004/294/EG) hat der Rat die Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens sind, ermächtigt, das Änderungsprotokoll 2004 zu diesem Übereinkommen im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren oder diesem beizutreten (Amtsblatt Nr. L 097 vom 08/03/2004 S. 0053­0054).

5.2.2

Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie

Zwischen der einstigen Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz wurde am 22. Oktober 1986 ein Abkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie abgeschlossen (SR 0.732.441.36). Dieses Abkommen trat am 21. September 1988 in Kraft. Es enthält in grossen Zügen in etwa dieselben Bestimmungen wie die Übereinkommen, deren Ratifikation mit der vorliegenden Botschaft vorgeschlagen wird. Tatsächlich regelt es vor allem die Fragen im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich (Art. 1), dem Gerichtsstand (Art. 3)

5450

und dem anwendbaren Recht (Art. 4). Überdies führt es das Prinzip der materiellen und verfahrensrechtlichen Gleichbehandlung ein (Art. 2).

Wie Deutschland hat auch die Eidgenossenschaft die Übereinkommen von Paris und Brüssel unterzeichnet. Deshalb stellt sich die Frage der weiteren Existenzberechtigung dieses Abkommens. Zwischen den beiden Staaten müssen deshalb Kontakte aufgenommen werden, um zu klären, ob dieses bilaterale Abkommen aufgehoben werden kann. Die Eidgenössischen Departemente für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sind beauftragt, die notwendigen diplomatischen Schritte in die Wege zu leiten.

5.3

Erlassform

Die vorliegende Botschaft enthält einen Erlassentwurf, der nicht nur die Revision des KHG, sondern auch die Ratifikation von internationalen Übereinkommen zum Gegenstand hat. Die Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, erfolgt nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 i.V.m.

Artikel 163 Absatz 2 BV in der Form eines Bundesbeschlusses, der dem fakultativen Referendum untersteht (Jean-François Aubert, Commentaire ad art. 85 de la Constitution fédérale de la Confédération suisse, no 209, p. 32). Zur rechtlichen Verknüpfung der Genehmigung der völkerrechtlichen Verträge mit der Annahme des revidierten Kernenergiehaftpflichtgesetzes vergleiche Ziffer 2.1.

5.4

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Rechtsetzungsbefugnisse können durch Bundesgesetz übertragen werden, soweit dies nicht durch die Bundesverfassung ausgeschlossen ist (Art. 164 Abs. 2 BV). Als allgemeine Beschränkung der Delegation gilt gemäss Verfassung insbesondere das Erfordernis, wonach wichtige, grundlegende Bestimmungen in der Form des Gesetzes zu erlassen sind (Art. 164 Abs. 1 BV). Der Bundesrat darf rechtsetzende Verordnungen erlassen, sofern die Übertragung dieser Befugnis in einem formellen Gesetz vorgesehen ist, einen bestimmten Regelungsgegenstand betrifft und bei schweren Eingriffen in die Rechte Einzelner die Grundzüge im formellen Gesetz selbst geregelt werden (vgl. Art. 182 Abs. 1 BV). Der vorliegende Entwurf enthält mehrere Delegationsnormen, die alle diesen Anforderungen gerecht werden (Art. 8 Abs. 3; 9 Abs. 4; 12 Abs. 2; 25 Abs. 5; 31 Abs. 2).

Artikel 31 Absatz 1 Satz 2 KHG sieht zudem die Möglichkeit einer Subdelegation vor: Der Bundesrat kann dem Departement die Befugnis übertragen, technische oder administrative Vorschriften zu erlassen.

5.5

Ausgabenbremse

Gemäss Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV bedürfen Bestimmungen über Subventionen, Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, der Zustimmung der Mehrheit der 5451

Mitglieder jedes der beiden Räte. Im vorliegenden Fall muss abgeklärt werden, ob der im Falle eines Kernenergieunfalls vom Bund zu bezahlende Betrag eine Subvention darstellt (Verpflichtungskredit oder Zahlungsrahmen kommen offensichtlich nicht in Frage). Nach Artikel 3 des Bundesgesetzes über Finanzhilfen und Abgeltungen (Subventionsgesetz, SuG; SR 616.1) sind Finanzhilfen geldwerte Vorteile, die Empfängern ausserhalb der Bundesverwaltung gewährt werden, um die Erfüllung einer vom Empfänger gewählten Aufgabe zu fördern oder zu erhalten. Geldwerte Vorteile sind insbesondere nichtrückzahlbare Geldleistungen, Vorzugsbedingungen bei Darlehen, Bürgschaften sowie unentgeltliche oder verbilligte Dienst- und Sachleistungen. Die im Falle eines Kernenergieunfalls vom Bund zu gewährende Deckung entspricht keiner der hier genannten Formen. Die Ausgabenbremse kommt daher nicht zur Anwendung.

5452