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Schweizerisches Bundesblatt.

49. Jahrgang. III.

Nr. 20.

19. Mai 1897.

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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs von Franz Josef Gut und Konsorten in Sursee, betreffend die Ersatzwahl in das Bezirksgericht Sursee vom 21. Juni 1896.

(Vom 25. März 1897.)

Der schweizerische Bundesrat hat über den Rekurs von Franz Josef G u t und Konsorten in Sursee, Kanton Luzern, betreffend die Ersatzwahl in das Bezirksgericht Sursee vom 21. Juni 1896, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I. Am 21. Juni vorigen Jahres fand im luzernischen Bezirke Sursee eine Ersatzwahl in das dortige Bezirksgericht statt, wobei Feuerwehrinspektor Bucher vom Regierungsrate des Kantons Luzern als mit 375 Stimmen, bei einem absoluten Mehr von 372, gewählt erklärt wurde.

II. Gegen dieses Wahlergebnis ergriffen Dr. Gut und August Hübscher in Sursee namens des dortigen liberalen Komitees mit Eingabe vom 25. Juni 1896 den Rekurs an den Regierungsrat, indem sie das Begehren stellten, es sei die Wahl zu kassieren.

Bundesblatt. 49. Jahrg. ßd. III.

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256 Zur Begründung dieses Begehrens führton sie eine Reihe von Unregelmäßigkeiten, die beim Wahlgange vorgekommen seien, an ; darunter die folgenden: 1. In der Gemeinde Sursee sei bei der Wahl noch das alte,, auf den 1. Januar 1895 angefertigte und während des Jahres 1895 bereinigte Stimmregister in Gebrauch gewesen, ein b e s o n d e r e s Stimmregister sei aus dem allgemeinen Stimmregister nicht ausgezogen worden.

2. In der Gemeinde Knutwil seien durch das Bureau am Wahltage selbst noch zwei Auftragungen vorgenommen worden..

3. In Mauensee, speciell in Kaltbach, sei die Wahl erst zwei Tage vor dem Wahltage angesagt worden.

4. In Sursee habe man die Urne am Abend vor dem eigentlichen Wahltage nicht aufgestellt.

5. In Oberkirch seien vier Stimmzettel in u n v e r s c h l o s s e n e n Couverts als ungültig erklärt worden, wogegen in Sursee gut drei Viertel aller Couverts nicht verschlossen gewesen und als gültig behandelt worden seien.

TTT. Die hier in Betracht kommenden Bestimmungen des luzernischen Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen vom 29. November 1892 lauten wie folgt: § 8. Im Monat Dezember eines jeden Jahres ist durch den.

Gemeinderat von Haus zu Haus ein Verzeichnis aller in der Gemeinde wohnhaften männlichen Personen anzufertigen, die das zwanzigste Altersjahr erfüllt haben oder im Laufe des nächsten Jahres erfüllen werden.

§ 9. Der Gemeinderat hat von Amtes wegen zu ermitteln,, ob die im vorgenannten Verzeichnis Aufgetragenen stimmfähig seien. Die Namen der Stimmfähigen werden eingetragen in die allgemeinen Stimmregister ; a. für die Einwohnergemeinde, b. für die Ortsbürgergemeinde, e. für die Korporationsgemeinde, d. für die Kirchgemeinde.

Das allgemeine Stimmregister für die Einwohnergemeinde wird vom Gemeinderat angefertigt.

§ 11. Die (vom Gemeinderat im Dezember jedes Jahres für das kommende Jahr anzufertigenden, ein Verzeichnis sämtlicher stimmfähigen Männer enthaltenden) allgemeinen Stimmregister dienen-als Grundlage der Stimmregisterbereinigung vor jeder im Laufe des Jahres eintretenden Wahl oder Abstimmung.

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§ 13. In der dritten Woche vor jeder Wahl oder Abstimmung wird aus dem allgemeinen Stimmregister das besondere Stirnrnregister für die betreffende Wahl oder Abstimmung ausgezogen.

§ 14, Am achten Tage vor dem Wahl- oder Abstimmungstag, abends 6 Uhr, muß das Stimmregister geschlossen und unter Angabe des Datums mit der Unterschrift der Gemeindebehörde versehen werden. Von diesem Zeitpunkte an darf weder jemand auf das Stimmregister aufgetragen, noch von demselben abgetragen werden, außer auf regierungsrätlichen Rekursentscheid.

Stlmrnrechtsontscheide durch das Bureau einer Wahlversammlung sind in allen Fällen unzulässig.

§ 17. Wahlen und Abstimmungen in kantonalen Sachen müssen unter Angabe des Verhandlungsgegenstandes entweder vierzehn Tage vor dem Wahl- und Abstimmungstage öffentlich ausgekündet und angeschlagen oder zehn Tage vorher den Stimmberechtigten angesagt werden.

§ 51. Die Wahl der Bezirksrichter, der Ersatzmänner des Bezirksgerichts und des Gerichtspräsidenten erfolgt mittelst der Urne.

§ 31, Absatz 6. Der Stimmzettel wird vorn Stimmberechtigten in das Couvert gelegt. Letzteres ist verschlossen unter Kontrolle dos Bureaus in die Urne einzulegen.

§ 39, Absatz 1. Um Bürgern, welche öffentlichen Verkehrsanstalten angehören oder sonstwie am Wahl- oder Abstimmungstage an der Ausübung ihres Stimmrechts verhindert werden, die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen zu erleichtern, ist die Urne am Tage vor dem Wahltage während zwei Stunden aufzustellen.

IV. Der Amtsgehülfe von Sursee wurde vom Regierungsrat beauftragt, eine Untersuchung über die angeführten Beschwerdepunkte anzustellen 5 diese Untersuchung hatte folgendes Ergebnis : 1. In der Gemeinde Sursee ist das Einwohnerregister auf Ende 1895 vorhanden ; ebenso das allgemeine Stimmregister für 1896. Als besonderes Stimmregister für die Bezirksrichterwahl hat ein Register gedient, das nicht für diese Wahl ,,neua im eigentlichen Sinne des Wortes angefertigt worden ist ; es hatte vielmehr schon am 13. Oktober 1895 für die Schulpflegewahl und am 29. Dezember 1895 für die Großratswahl gedient. Dieses Register wurde aber jeweilen revidiert, mit .den erforderlichen Strei-

258 ehungen und Auftragungen rechtzeitig versehen und als besondere» Stimmregister für die vorzunehmende Wahl neuerdings unterschriftlich abgeschlossen und gehörig zur Einsichtnahme aufgelegt. So geschah es auch bei der angefochtenen Bezirksrichterwahl. Das dieser Wahl zu Grunde gelegte Stimmregister enthält materiell keine Unrichtigkeiten.

2. Die Urnenaufstellung am Vorabend der Wahl wurde in Sursee unterlassen, weil dort eine Vorabstimmung bisher nicht üblich war ; die Aufstellung der Urne am Samstag ist nicht direkt verlangt worden; zu stimmen hat am Vorabend niemand begehrt, und thatsächlich ist keinem Angehörigen von Verkehrsanstalten die Stimmabgabe verunmüglicht worden.

3. In Sursee war es von jeher Praxis, alle Stimmzettel, die sich in verschlossenen oder unverschlossenen Couverts befanden, als gültig anzuerkennen und nur solche, die in kein Couvert gelegt waren, als ungültig zu behandeln. Beide politischen Parteien, resp. ihre Vertreter am Bureau, haben sich in diesem Sinne geeinigt.

Dagegen ist es richtig, daß in Oberkirch vier in unverschlossenem Couvert befindliche Stimmzettel als ungültig erklärt worden sind. Auch hier besteht aber eine durch Vereinbarung der Parteien zu stände gekommene dementsprechende Praxis, welche den Bürgern bekannt ist.

4. In Knutwil sind bei der Anfertigung des besondern Stimmregisters zwei stimmberechtigte Bürger nicht aufgetragen worden ; die Weglassung beruhte auf einem Versehen, und man ließ diese Bürger daher bei der Wahl stimmen.

5. In Kaltbach wurde die Wahl wirklich erst Freitag den 19. Juni durch den Bannwart von Haus zu Haus angesagt. Der Gemeinderat von Mauensec behauptet, es habe diese Ansage kurz vor dem Wahltage eher eine zahlreichere Beteiligung zur Folge gehabt, weil so die Wahl den Bürgern in Irischer Erinnerung war.

V. Der Regierungsrat des Kantons Luzern wies durch Entscheid vom 16. Oktober 1896 das Kassationsgesuoh der Beschwerdeführer ab, gestützt auf nachstehende Erwägungen: Die angehobene Untersuchung hat ergeben, daß in der That bei der Wahl vom 21. Juni 1896 eine Anzahl Formfehler vorgekommen sind ; aber nicht allo ,,Unförmlichkeiten", die bei einer Wahl vorkommen können, sind als wesentliche im Sinne des § 56 des Gesetzes vom 29. November 1892 zu betrachten und müssen als solche die Kassation der betreffenden Wahl zur Folge haben,

259 sondern nur diejenigen, welche das Wahlresultat beeinflußt haben.

Als wesentliche Mängel dieser Art stellt sich keine der angeführten Ferniwidrigkeiten dar.

Ein besonderes Stimmregister war in Sursee vorhanden; nur wurde dazu ein schon bestehendes, zu diesem Zwecke bereinigtes Stimmregister benutzt. Ob damit dem Sinne des Gesetzes vollkommen Genüge geleistet sei, mag noch eine offene Frage bleiben; jedenfalls war das Stimmregister materiell in Ordnung; ob man zu dessen Anfertigung bereits gebrauchtes oder ungebrauchtes Papier nahm, hat gewiß keinen Einfluß auf das Wahlresultat gehabt.

Eine Vorabstimmung hat nur Sinn, wenn jemand am Vorabend des Wahltages wirklich stimmen will; in Sursee war dies nicht der Fall, und es wird nicht behauptet und ist noch weniger bewiesen, daß jemand wegen Ausfall der Vorabstimmung um sein Stimmrecht gekommen sei.

§ 31 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen verlangt allerdings, daß das Couvert, in welches der Stimmzettel gelegt wird, verschlossen werde. Es wäre indessen eine zu strenge Uesetzesinterpretation, wenn man alle, nicht in verschlossenen Couverts abgegebenen Stimmzettel, und solche kommen sehr häufig vor, als ungültig erklären wollte. Nur dann mag dies angehen, wenn ein Wahlbureau hierüber einen definitiven Entschluß gefaßt und denselben den Bürgern zur Kenntnis gebracht hat, wie dies in Oberkirch thatsächlich geschehen ist.

Die Auftragung zweier Bürger von Knutwil auf das dortige Stimmregister am Wahltage verstößt ganz entschieden gegen § 14 des mohrerwähnten Gesetzes, und es müssen ihre Stimmen als ungültig taxiert werden; allein auch wenn man annehmen wollte, diese beiden Stimmen seien auf den Kandidaten Bucher gefallen, so würde letzterer nichtsdestoweniger die nötige Stimmenzahl erhalten haben.

Daß in Kaltbach die Bekanntmachung nur 2 und nicht 10 Tage vor der Wahl stattfand, verstößt allerdings gegen den § 17 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen. Allein, daß deswegen jemand an der Ausübung des Stimmrechts verhindert worden wäre, ist nicht anzunehmen.

Die gerügten Formfehler sind daher keineswegs wesentlicher Natur und können die Gültigkeit der Wahl nicht in Frage stellen.

VI. Gegen diesen Entscheid haben Franz Josef Gut und G e nossen den Rekurs an den Bundesrat ergriffen ; sie stellen das Ge-

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such, die Bezirksrichterwahl vom 21. Juni 1896 sei zu kassieren und der als gewählt Erklärte in seiner amtlichen Funktion sofort zu suspendieren.

Zu den einzelnen Punkten bemerken sie was folgt : 1. Das Gesetz verlangt, daß für jede Wahl ein neues Register angefertigt werde ; die Kontrolle wird äusserst erschwert, wenn auf einem schon gebrauchten Register jeweilen Streichungen und Nachtragungen vorgenommen werden.

2. Der Regierungsrat ist vom Genieinderat von Sursee wissentlich getäuscht worden ; frtdier, unter dem Präsidium des Herrn Attenhofer, wurde die Urne immer am Vorabend des Wahl- oder Abstimmungstages aufgestellt. Der amtendo Vizepräsident Beck wurde für die letzte Bezirksrichtcrwahl hierzu am Freitag und am Samstag zu wiederholten Malen aufgefordert, und verschiedene Bürger wollten Samstags stimmen ; ob infolgedessen weniger Stimmen abgegeben wurden, ist nicht kontrollierbar; allein der begangene Fehler ist so wesentlicher Natur, daß er allein zur Kassation der Wahl genügte, 3. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, daß die Couverts verschlossen sein sollen ; es kann nicht in Obcrkirch, eine halbe Stunde von Sui'see, Recht sein, was hier Unrecht ist. Man soll die in Oberkirch nichtig erklärten Stimmzettel ebenfalls mitzählen, und dann hat Herr Bucher das absolute Mehr nicht erreicht.

4. Ob infolge der verspäteten Anzeige der Wahl in Kaltbach einzelne Bürger nicht gestimmt haben, ist ebenfalls nicht kontrollierbar.

5. Auch die ungesetzlichen Auftragungen zweier Bürger auf das Stimmregister in Knutwil sollte allein die Kassation zur Folge haben.

Wenn ein einzelner Punkt zur Kassation nicht genügend sein sollte, so reichen doch alle fünf dazu aus.

VII. Zur Vernehmlassung aufgefordert, bestreitet der Regierungsrat in seiner Eingabe vom 4. Januar 1897, daß die bei der angefochtenen Wahl vorgekommenen Unregelmäßigkeiten das Wahlresultat beeinflußt haben ; sie müssen daher keineswegs zur Kassation der Wahl führen; das sei Gesetzesvorschrift und werde im Kanton Luzern stets so gehalten. Über die verschiedenen Vorbringen der Rekurrenten äußert er sich wie folgt : 1. Was das S t i m m r e g i s t e r in S u r s e e betrifft, so schreibt das Gesetz nicht vor, es müsse auf jede Wahl ein neues Stimmregister angefertigt werden; es genügt, daß das dortige Stimmregister materiell vollständig richtig war.

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2. Die A u f s t e l l u n g der U r n e am Samstag vor der W a h l hat nur daun zu geschehen, wenn ,,Bürger, welche öffentlichen Verkehrsanstalten angehören, oder sonstwie am Wahl- oder Abstimm nngstage an der Ausübung des Stimmrechts verhindert sind11, solches verlangen. Nur in ganz wenigen Gemeinden, namentlich in Luzern, findet jeweilen eine solche Vorabstimmung statt; in Sursee ist es seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes erst zweimal geschehen, zum Stimmen aber erschien niemand. Der Regierungsrat stellt in Abrede, daß Vizepräsident Beck aufgefordert worden sei, die Urne schon am Samstag aufzustellen ; es fand nur ein Zwiegespräch zwischen Fürsprecher Dr. Gut und Vizepräsident Beck statt, wobei erstorer den letzteren auf die Bestimmung des § 39 aufmerksam machte. Zu stimmen verlangte niemand am Vorabend der "Wahl, und es erfolgte hierfür keine Anmeldung.

3 und 4. Von den vier in Oberkirch in unverschlossenen Couverts abgegebenen Stimmkarten lauteten 3 auf Kruminenacher und l auf Bucher. Wenn diese 4 nun zu den 742 amtlich als gültig verzeichneten Stimmen hinzugerechnet, die Stimmen der 2 in Knutwil unberechtigt zur Stimmabgabe zugelassenen Bürger dagegen abgezogen werden, so ist die Summe aller gültigen Stimmen 744 und das absolute Mehr 373. Nach den amtlichen Verbalen hat Bucher 375 Stimmen erhalten. Hierzu wäre l Stimme in Oberkirch zu zählen und im schlimmsten Falle die 2 ungültigen Stimmen in Knutwil abzuziehen. Danach hätte Bucher 374 Stirninen erhalten, also immer noch eine über das absolute Mehr.

S. Die verspätete Wahlanzeige in Kaltbach hat keineswegs auf das Wahlresultat eingewirkt. Ein Beweis für die entgegenstehende Behauptung ist nicht versucht worden, und doch wären die Rekurrenten ohne Zweifel beweispflichtig: Der Regierungsrat beantragt daher Abweisung des Rekurses.

Eine Kassation aus formalistischen Gründen sei um so weniger angezeigt, als die Amtsperiode der Bezirksrichter nächsten Mai zu Ende gehe und darauf Neuwahlen stattfinden werden.

VIIL In ihrer Replik vom 19. Januar 1897 verlangen die Rekurrenten, daß einmal grundsätzlich festgestellt werde, was es zur Kassation einer Wahl bedarf; der Regierungsrat vermeide fortwährend, grundsätzliche Entscheidungen zu fällen.

In Bezug auf den zweiten Beschwerdepunkt halten die Rekurrenten ihre thatsächlichen Behauptungen des bestimmtesten aufrecht.

262 Das zum dritten Punkte aufgestellte Rechenexempel können die Rekurrenten auf seine Richtigkeit nicht prüfen, es vermag übrigens die vorgekommenen groben Unregelmäßigkeiten nicht zu decken.

Was die verspätete Anzeige der Wahl betrifft, so liegt es an der Wahlbehörde, welche einen Fehler begangen hat. zu beweisen, daß durch denselben niemandem Schaden erwachsen ist.

Im übrigen ist es für diesen Rekursentscheid, der prinzipielle Fragen regeln soll, ohne Bedeutung, ob Wiedererneuerungswahlen der Richter nahe bevorstehen oder nicht.

IX. In seiner Duplik vom 19. Februar 1897 hält der luzernische Regierungsrat an seinen thatsächlichen und rechtlichen Vorbringen fest.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Betreffend den Mangel eines für die Bezirksrichterwahl besonders angefertigten Stimmregisters (§ 13 des kantonalen Wahl- und Abstimmungsgesetzes).

Die Form, in der das besondere Stimmregister abgefaßt ist, wird in der Regel von geringer Bedeutung sein, wenn das Register selbst materiell richtig ist. Angenommen auch, das Gesete verlange nach richtiger Auslegung für jede Wahlverhandlung die Anfertigung eines eigenen, neuen Stimmregisters, so kann doch die Verletzung dieser Formvorschrift einen Kassationsgrund nur dann abgeben, wenn nachgewiesen oder wahrscheinlich gemacht ist, daß ' infolge unordentlicher Abfassung des gebrauchten Stimmregisters einzelne Bürger ihr Stimmrecht nicht haben ausüben können, oder daß Unberechtigte zur Stimmgebung zugelassen worden sind u. a. m.

Ähnliches wird indessen im gegenwärtigen Rekursfalle nicht behauptet und ist auch nicht anzunehmen. Die von den Rekurrenten behauptete Erschwerung der Kontrolle durch die Bürger reicht an sich nicht hin, um den ganzen Wahlgang zu kassieren, nachdem festgestellt ist, daß das Stimmregister materiell richtig war.

2. Betreffend

die Vorschrift der Verschliessung der Wahlcouverts.

Die Rekurrenten beschweren sich darüber, daß es unter der Herrschaft e i n e s kantonalen Gesetzes im gleichen Wahlkreise an einem Orte erlaubt sein soll, die Stimmzettel in unverschlossenen Couverts abzugeben, am ändern dagegen nicht.

263

Der Regierungsrat entgegnct, daß es zufolge einer zwischen, den Parteien, respektive ihren Vortretern, stattgefundenen Vereinbarung in Sursee Praxis sei, die in unverschlossenen Couverts abgegebenen Stimmzettel gelten zu lassen, während eine ähnliche Vereinbarung in Oberkirch die gegenteilige Praxis eingeführt habe.

Der oben citierte § 31, Absatz 6, des Gesetzes schreibt vor, daß das Couvert, welches den Stimmzettel enthält, v e r s c h l o s s e n in die Urne zu legen ist.

Es ist dies eine vom Gesetze in Befehlsform und vorbehaltlos im Interesse des Geheimnisses und der Sicherheit der Stimmgebung wie der Genauigkeit ihrer Ermittlung aufgestellte, öffentliche Vorschrift, deren Beobachtung und Anwendung nicht dem Belieben des einzelnen Bürgers und auch nicht der Vereinbarung der politischen Parteien oder ihrer Vertreter überlassen sein kann.

Der Regiorungsrat findet nun allerdings, es wäre eine rigorose Gesetzesinterpretation, wollte man alle die zahlreichen Stimmzettel, die in unverschlossenen Couverts abgegeben wurden, als ungültig erklären und meint, nur dann möchte dies angehen, wenn ein Wahlbureau hierüber einen definitiven Beschluß gefaßt und denselben den Bürgern zur Kenntnis gebracht hat, wie das in Oberkirch thatsächlich geschehen ist.

Dieser Anschauungsweise kann indessen nicht beigetreten werden. Die logische Folgerung aus derselben wäre, daß das als zu rigoros erscheinende Gesetz, um für die Bürger verbindlich zu sein, eines bestätigenden Beschlusses der Gemeinde-Wahlbureaux bedürfte. Angesichts des klaren Wortlautes des § 31, Absatz 6, des luzernischen Wahlgesetzes, wonach ,,das Couvert unter Kontrolle des Bureaus verschlossen in die Urne einzulegen ist"1, kann jedoch von einer verschiedenen Auslegung und Anwendung des Gesetzes nicht die Rede sein ; die Wahlbureaux haben einfach das Gesetz, so wie es lautet, anzuwenden und die Einlegung unverschlossener Couverts, soviel an ihnen liegt, zu verhindern.

Die einfache Gesetzesanwendung führt also dazu, die Vorschrift, daß die Stimmzettel in verschlossenen Couverts abgegeben werden sollen, als eine unabänderliche Formvorschrift zu betrachten, deren Inhalt, wie dargethan wurde, von wesentlicher Bedeutung für das Wahlverfahren ist, deren Nichtbefolgung daher die Ungültigkeit der Stimmgebung nach sich ziehen muß.

Die Ungültigkeit der gesetzwidrigen Stimmgebung ist die der Vorschrift des § 31, Absatz 6, einzig angemessene Sanktion.

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Es kann sich daher im Rekursfalle keineswegs darum handeln, auch die Stimmzettel, welche zu Oberkirch in unverschlossenen Couverts abgegeben wurden, als gültig zu erklären, um diesfalls ein einheitliches Vorfahren im ganzen Bezirke Sursee herzustellen ; diese Stimmzettel von Oberkirch sind ganz richtig vom dortigen Wahlbureau als ungültig erklärt worden ; freilich ermangeln sie der Gültigkeit nicht kraft der unter den Parteien in Oberkirch vereinbarten Praxis, aber kraft des Gesetzes. Und das gleiche gilt von den in unverschlossenen Stimmcouverts eingelegten Zetteln in Sursee.

Angesichts der unbestrittenen Thatsache, daß in Sursee eine sehr große Zahl (etwa 3/0 der Stimmzettel in unverschlossenen Couverts eingelegt wurde, und angesichts des Ergebnisses der Wahlverhandlung, wonach die Kandidaten der konkurrierenden Parteien sieh bis auf wenige Stimmen gleichkamen, und bei der Unmöglichkeit, jetzt noch festzustellen, welche Stimmzettel in unverschlossenen Couverts sich befanden, kann das Wahlresultat vom 21. Juni 1896 nicht aufrecht erhalten werden.

S. Betreffend

dte Anzeige der Wahl in EaltbacJi.

Zum gleichen Ergebnis führt die Untersuchung des Beschwerdepunktes betreffend die Anzeige der Wahl in Kaltbach. Diese ist nicht gemäß der Vorschrift des § 17, Absatz l, des Gesetzes erfolgt. Die Vorschrift aber, daß die Wahlen und Abstimmungen entweder vierzehn Tage vor dem Wahl- und Abstimmungstage öffentlich ausgekündet und angeschlagen, oder zehn Tage vorher den Stimmberechtigten angesagt werden soll, ist keineswegs eine bloße, an die Wahlbehörden gerichtete Ordnungsvorschrift, deren Verletzung etwa im Verwaltungswege '/AI rügen wäre, sondern sie erscheint als eine wesentliche Bedingung des Zustandekommens einer gültigen Wahl oder Abstimmung. Es ist ohne weiteres klar, daß die Unterlassung der rechtzeitigen Bekanntmachung einer Wahl oder Abstimmung von erheblichem Einfluß auf die Beteiligung der Bürger am Wahl- oder Abstimmungsakte sein kann. Trotz der gegenteiligen Behauptung der luzernischen Behörden ist sehr wohl möglich, daß der eine oder andere Bürger sein Stimmrecht nicht ausgeübt hat, weil er von der Wahl nicht schon vierzehn, bezw.

2ehn Tage voraus in Kenntnis gesetzt war. Der Beweis, daß dem -wirklich so sei, braucht keineswegs von den Rekurrenten geleistet .zu werden, es .genügt das Vorhandensein der Möglichkeit, daß der begangene Fehler auf das Wahlresultat eingewirkt habe. In der Beobachtung gewisser, vom Gesetze festgestellten Formen und

265 Fristen liegt eben die Gewähr dafür, daß der Wille der Wähler unverfälscht und vollständig zum Ausdruck komme. Die Verletzung solcher Formvorschriften ist daher an und für sich eia Grund zur Kassation einer Wahlverhandlung, sofern die Möglichkeit, daß der Fehler auf das Wahlresultat von Einfluß gewesen sei, nicht ganz und gar ausgeschlossen ist.

Bei dem geringen Mehr, das der als gewählt erklärte Kandidat bei der Wahl vom 21. Juni 1896 im Bezirk Sursee erhielt, trifft diese Wirkung der Gesetzwidrigkeit im Rekursfalle zu.

4. Betreffend

die Ermöglichung einer Abstimmung am Vorabend des Wahltages

kann es zweifelhaft sein, ob § 39, Absatz l, des Gesetzes die Wahlbehörde nicht verpflichtet, von s i c h aus die Urne am Vorabend aufzustellen, wenn sie Grund hat, anzunehmen, es seien Bürger durch ihre Dienstverrichtungen bei öffentlichen Verkehrsanstalten oder durch andere Abhaltungen an der Ausübung ihres Stimmrechts am Wahltage selbst verhindert. Sie hat es jedenfalls dann zu thun, wenn Bürger es verlangen. Die Akten geben nun aber keinen sichern Aufschluß, ob thatsächlich Bürger an der Ausübung ihres Stimmrechts am Wahltage verhindert gewesen und ob das Begehren der Vorabstimmung an den Vizepräsidenten des Gemeinderates wirklich gestellt worden ist.

5. Betreffend

die am Wahltage vorgenommene Auftragwng zweier Bürger auf das Stimmregister in Enutwil

steht fest, daß sie ungesetzlich war, diese beiden Stimmen sind daher ungültig, wie auch der Regierungsrat annimmt. Es ist zuzugeben, daß bei einer im übrigen regelmäßigen Wahlverhandlung das Resultat aufrecht erhalten werden kann, wenn der als gewählt erklärte Kandidat auch ohne die einzelnen in Abzug zu bringenden Stimmen das absolute Mehr erreicht hat. Diese Voraussetzung trifft jedoch bei der Surseer Wahlverhandlung vom 21. Juni 1896 nicht zu.

Demnach wird b e s c h l o s s e n : 1. Der Rekurs ist begründet.

2. Die im Bezirke Sursee am 21. Juni 1896 zur Besetzung einer Richterstelle im Bezirksgerichte Sursee vorgenommene Wahlverhandlung wird als ungültig erklärt.

266 3. Der Regierungsrat des Kantons Lüstern wird demzufolge eingeladen, die erforderlichen Anordnungen - zu einer neuen Wahlverhandlung zu troffen.

B e r n , den 25. März 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs von Franz Josef Gut und Konsorten in Sursee, betreffend die Ersatzwahl in das Bezirksgericht Sursee vom 21. Juni 1896. (Vom 25. März 1897.)

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1897

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20

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19.05.1897

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255-266

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