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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung (Vom 14. September 1962)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Wir beehren uns, Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Änderung des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung (Änderung von Art. 68, Abs. 3) vorzulegen.

1. Die gegenwärtige Regelung

a. In Artikel 68, Absatz l des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung (KUVG) wird der Bundesrat beauftragt, ein Verzeichnis der Stoffe aufzustellen, deren Erzeugung oder Verwendung bestimmte gefährliche Krankheiten verursacht. Ferner wird bestimmt, dass eine Erkrankung dann als Berufskrankheit gilt und einem Betriebsunfall gleichgestellt ist, wenn sie in einem die Versicherung bedingenden Betrieb ausschliesslich oder vorwiegend infolge Einwirkung eines in das genannte Verzeichnis aufgenommenen Stoffes entstanden und seit dem Tage der Aufnahme desselben in das Verzeichnis ausgebrochen ist. Das zur Zeit geltende Verzeichnis der Stoffe ist in Artikel l der Verordnung vom 6. April 1956 über Berufskrankheiten enthalten.

Anlässlich der Teilrevision des KUVG im Jahre 1947 war im Nationalrat der Antrag gestellt worden, es seien «alle Schädigungen des Körpers und der Organe, die nachweisbar mit der Berufsausübung in Zusammenhang stehen (Ekzeme, Schleimbeutelentzündungen, Staublungen usw.), den in Artikel 68, Absatz l umschriebenen eigentlichen Berufskrankheiten gleichzustellen». Dieser Antrag wurde jedoch als zu weit gehend abgelehnt. Hingegen wurde Artikel 68 KUVG durch folgenden dritten Absatz ergänzt: «Der Bundesrat ist befugt, auf dem Verordnungswege bestimmte akute Erkrankungen, die durch die Arbeit ohne die Einwirkung schädlicher Stoffe verursacht werden, unter näher zu bezeichnenden Voraussetzungen den Berufskrankheiten gleichzusetzen.» Von dieser Ermächtigung haben wir beim Erlass der Verordnung vom 6. April 1956 über Berufskrankheiten Gebrauch gemacht. In Artikel 3 dieser Bundesblatt. 114. Jahrg. Bd. II.

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658 Verordnung werden verschiedene Erkrankungen (z.B. akute Form der Druckluftkrankheit; Drucklähmung der Nerven; Hautblasen, -risse, -schrunden, -Schürfungen, -Schwielen) angeführt, die den Berufskrankheiten gleichgestellt sind, sofern sie ausschliesslich oder vorwiegend in einem die Versicherung bedingenden Betrieb durch bestimmte Arbeiten verursacht werden und innert verhältnismässig kurzer Zeit entstanden sind.

Trotz diesen fortschrittlichen Bestimmungen weist die gesetzliche Ordnung der Berufskrankheiten und der diesen gleichzustellenden Erkrankungen noch bedeutende Lücken auf. Es liegt dies in der engen Fassung von Artikel 68, Absatz 3 KUVG begründet, welcher sowohl die Entschädigung als auch die Brophylaxe einer Anzahl von typischen beruflichen Erkrankungen, nämlich jener mit langsamer Entstehung, ausschliesst. Als Beispiele solcher Erkrankungen sind u.a. die Lärmschwerhörigkeit, der Feuerstar und die chronischen Erkrankungen der Schleimbeutel über der Kniescheibe und am Ellbogen zu nennen.

b. Eine dieser heute besonders fühlbaren Lücken, die nach Auffassung der Schweizerischen Unfallversicherungsantalt (SUVA) möglichst ohne Verzug ausgefüllt werden sollte, liegt darin, dass nach dem geltenden Eecht die Lärmschwerhörigkeit nicht als eine den Berufskrankheiten gleichgestellte Erkrankung gemäss Artikel 68 KUVG anerkannt ist. Dabei liegen die unerwünschten Folgen dieser Nichtanerkennung nicht so sehr darin, dass keine gesetzlichen Versicherungsleistungen erbracht werden können, da bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gestützt auf einen Verwaltungsratsbeschluss der SUVA freiwillige Leistungen ausgerichtet werden. Was schwerer ins Gewicht fällt, ist der Umstand, dass es der SUVA verwehrt ist, prophylaktische Massnahmen (wie Schalldämpfung, Verwendung von Gehörschutzmitteln, Eintritts- und Kontrolluntersuchungen) in verbindlicher Weise anzuordnen, · weil dies gemäss Artikel 65 und 65bls KUVG ausser zur Verhütung von Unfällen nur zur Verhütung von Berufskrankheiten im Sinne von Artikel 68 KUVG möglich ist.

Die bisherige Zurückhaltung hinsichtlich des Einbezuges der Lärmschwerhörigkeit in den Kreis der den Berufskrankheiten gleichgestellten Erkrankungen gemäss Artikel 68, Absatz 3 KUVG ist hauptsächlich zwei Gründen zuzuschreiben. Einmal war die Gefährdung durch Lärmeinwirkung während langer
Zeit nicht besonders gross. Es war ihr nur ein kleiner Kreis von Versicherten (z.B. Kesselschmiede, Weber) ausgesetzt und eigentliche Schädigungen waren meist erst nach jahrzehntelanger Lärmeinwirkung festzustellen. Zufolge der sehr langsamen Entstehung der Schwerhörigkeit gewöhnten sich die Betroffenen erstaunlich gut an das Leiden und sie fühlten sich durch dasselbe meistens nicht allzu sehr beeinträchtigt, obwohl vielfach eine gewisse soziale Isolierung eintrat.

Der zweite Grund ist medizinischer Natur. Bis vor kurzem war es nämlich nicht möglich, Lärmschwerhörigkeit von Altersschwerhörigkeit und von den Folgen der Otosklerose (vererbbare fortschreitende Schwerhörigkeit) genügend sicher abzugrenzen. Die Beurteilung der beruflichen Kausalität der Schwerhörigkeit hätte deshalb nicht mit der wünschbaren Sicherheit erfolgen können.

659 In den letzten Jahren hat die Lärmeinwirkung nicht nur in Versicherungspflichtigen Betrieben, sondern ganz allgemein zugenommen. Es sei in diesem Zusammenhang an die unaufhaltsam fortschreitende Motorisierung des Verkehrs und an die vermehrte Mechanisierung von Arbeitsabläufen in Gewerbe, Industrie und Verwaltung erinnert, wodurch ständig neue, zum Teil äusserst intensive Lärmquellen (z.B. Pressluftgeräte im Baugewerbe, Prüfstände für Düsentriebwerke) geschaffen werden.

Im Hinblick auf die wachsende Bedeutung der Lärmerkrankungen und die Dringlichkeit ihrer Bekämpfung sind wir mit der SUVA der Auffassung, dass mit der Schaffung der gesetzlichen Grundlage zum Einbezug dieser Erkrankungen in den Eahmen der den Berufskrankheiten gleichgestellten Erkrankungen nicht mehr länger zugewartet werden sollte.

2. Die Neuregelung Damit die Lärmschwerhörigkeit durch Verordnung des Bundesrates in die Liste der den Berufskrankheiten gleich zu setzenden Erkrankungen aufgenommen werden kann, muss Artikel 68, Absatz 8 KUVG geändert werden. Diese Änderung besteht einzig darin, dass das Wort «akute» gestrichen wird, da, wie bereits erwähnt, die Lärmschwerhörigkeit keine akute Erkrankung darstellt.

Der auf diese Weise modifizierte Artikel 68, Absatz 3 KUVG erhält damit folgende Fassung : «Der Bundesrat ist befugt, auf dem Verordnungswege bestimmte Erkrankungen, die durch die Arbeit ohne die Einwirkung schädlicher Stoffe verursacht werden, unter näher zu bezeichnenden Voraussetzungen den Berufskrankheiten gleichzusetzen.» Durch eine derart erweiterte Generalklausel wird der Bundesrat allerdings nicht nur in die Lage versetzt, die berufsbedingte Schwerhörigkeit den Berufskrankheiten gleichzustellen, vielmehr könnte er diese Gleichstellung auch andern durch die Arbeit verursachten chronischen Erkrankungen zuerkennen. Wir werden uns wie bisher jedoch nur im Einvernehmen mit der SUVA und nur darin zu einer Erweiterung des Versicherungsschutzes entschliessen, wenn sich eine solche auf Grund der Erfahrungen als notwendig erweisen sollte. Die SUVA hält dafür, dass der Feuerstar und die chronischen unspezifischen Erkrankungen der Schleimbeutel über der Kniescheibe und am Ellbogen der Lärmschwerhörigkeit gleichgestellt werden sollten. Wir werden diese Frage anlässlich der Revision der Verordnung über die Berufskrankheiten
noch den Wirtschaftsverbänden unterbreiten.

3. Schlussbemerkungen und Antrag Wir nehmen in Aussicht, das Gesetz so rasch als möglich in Kraft zu setzen, weshalb der Bundesrat ermächtigt werden soll, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu beschliessen.

660 Die verfassungsrechtliche Grundlage der Vorlage bildet Artikel Mbis der Bundesverfassung.

Wir beehren uns, Ihnen im Einvernehmen mit der SUVA zu beantragen, den nachfolgenden Gesetzesentwurf zum Beschluss zu erheben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 14.September 1962.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : P. Chaudet Der Bundeskanzler : Ch. Oser (Entwurf)

Bundesgesetz betreffend

Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenund Unfallversicherung

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht in eine Botschaft des 'Bundesrates vom 14. September 1962.

beschliesst :

I In Artikel 68, Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung wird das Wort «akute» gestrichen.

II Der Bundesrat beschliesst den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung (Vom 14. September 1962)

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1962

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12.10.1962

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