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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Rudolf Burger-Gehrig in Suhr (Kanton Aargau), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Tom 9. August 1897.)

Der schweizerische Bundesrat hat über den Rekurs des Rudolf B u r g e r - G e h r i g in Suhr (Kanton Aargau), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: 1. Mit Eingabe vom 10. Mai 1897 stellte Rudolf B u r g e r G e h r i g , Landwirt in Suhr, beim Regierungsrate des Kantons Aargau das Gesuch um Erteilung eines Wirtschaftspatentes.

Ein früheres Gesuch war durch dieselbe Behörde am 9. April gleichen Jahres abgewiesen worden, weil das Wirtschaftslokal den geltenden Vorschriften über bauliche Einrichtung nicht entsprochen hatte und die Wirtschaft zu weit abgelegen wäre, um polizeilich genügend beaufsichtigt werden zu können.

Durch Schlußnahme vom 21. Mai 1897 wurde das neue Gesuch ebenfalls abgewiesen.

Der Regierungsrat bestreitet nicht, daß der Petent inzwischen die Lokalitäten den heutigen Anforderungen entsprechend habe herrichten lassen. Das Wirtschaftsgebäude liegt aber so weit vom Dorfe entfernt, daß die polizeiliche Überwachung bei Nacht unmöglich wäre. § 18 des Wirtschaftsgesetzes vom 14. Dezember 1853 bestimmt nun : ,,In abgelegene oder polizeilich nicht leicht zu beaufsichtigende Gegenden oder in Häuser, die nicht an einer öffentlichen Fahrstraße stehen, darf eine Wirtschaft ausnahmsweise nur dann erteilt werden, wenn hierfür ein unzweifelhaftes öffentliches Bedürfnis nachgewiesen wird." Da dieser Nachweis vom Gesuchsteller nicht geleistet werden kann, muß sein Gesuch abgewiesen werden.

2. Gegen diese Entscheidung hat R. Burger-Gehrig in Suhr den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen ; in seiner Rekursschrift vom 7. Juni 1897 wird im wesentlichen was folgt ausgeführt : Seitdem der Erlaß eines neuen aargauischen Wirtschaftsgesetzes in Aussicht steht, in welchem die Konzessionierung neuer Wirtschaften vom Vorhandensein eines Bedürfnisses abhängig gemacht werden soll, weist der aargauische Regierungsrat fast alle Wirtschaftsgesuche ab ; diese Praxis widerspricht sowohl dem jetzt geltenden aargauischen Rechte, nach welchem die Bedürfnisfrage nicht gestellt werden darf, als der Bundesverfassung.

Seit der Abweisung seines ersten Gesuches hat der Rekurrent allen Mängeln seiner Lokalitäten abgeholfen.

Das Haus des Rekurrenten ist im ,,Oberestera, einer Unterabteilung des Dorfes Suhr von etwa 12 Häusern, welche bisher keine Wirtschaft hatte, gelegen, an der alten Heerstraße BernZürich, nicht mehr als 1000 m. vom Dorfe entfernt und mit diesem telephonisch verbunden. Daß es polizeilich schwer zu überwachen wäre, läßt sich nicht behaupten ; es wäre auch, abgesehen von einer Wirtschaft, zu wünschen, wenn die Polizeibehörde diesem Häuserkomplex ,,mehr Aufmerksamkeit schenkte". Die entfernten Dorfteile dürfen der Bequemlichkeit der Polizei zuliebe nicht schlechter gestellt sein, als die anderen. Außer dem besonderen Umstände, daß die Wirtschaft des Rekurrenten dicht neben dem Hause des Bezirksamtmannes steht, giebt § 80 des Wirtschaftsgesetzes, welcher den Entzug des Wirtschaftspatentes wegen Gesetzesverletzung vorsieht, für den ordnungsgemäßen Wirtschaftsbetrieb genügende Gewähr.

3. In ihrer Vernehmlassung auf den Rekurs vom 6. Juli 1897 hebt die Regierung des Kantons Aargau neuerdings die isolierte Lage des Wirtschaftsgebäudes hervor; gemäß dem § 18 des Wirtschaftsgesetzes wurden von jeher Wirtschaften in abgelegenen Gegenden nur dann bewilligt, wenn sich der Bewerber über ein öffentliches Bedürfnis ausweisen konnte. Das Haus des Rekurrenten liegt ungefähr in der Mitte zwischen den 3 Kilometer voneinander entfernten Ortschaften Suhr und Oberentfelden.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I. Im Kanton Aargau kann gegenwärtig bei Gesuchen um Wirtschaftsbewilligungen die Bedürfnisfrage nicht gestellt werden.

Der durch Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1874 modifizierte § 18 des aargauischen Wirtschaftsgesetzes vom 14. Dezember 1853 ist seit der Verfassungsrevision vom Jahre 1885 nicht wieder auf gesetzlich vorgeschriebenem Wege hergestellt worden. Die Erteilung eines Wirtschaftspatentes darf daher nicht an die Bedingung geknüpft werden, daß ein genügendes Bedürfnis dafür vorhanden sei.

II. Indem die Regierung des Kantons Aargau das Gesuch des Rekurrenten aus dem Grunde abgewiesen hat, weil das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Gebäude in einer abgelegenen Gegend sich befinde und daher polizeilich nur schwer zu beaufsichtigen sei, setzte sie sich mit dem Grundsatze der Handels- und Gewerbef'reiheit in Widerspruch. Die Kantone können zwar verlangen, daß das Wirtschaftsgebäude, sowohl seiner Lage als seiner innern Einrichtung nach, leicht zugänglich sei ; die Forderung aber, daß es nicht über eine gewisse Entfernung hinaus vom Mittelpunkte der betreffenden Ortschaft entfernt sei, enthält eine zu weitgehende Beschränkung der Gewerbefreiheit. Wie sich der Gewerbetreibende bei der Wahl der Lage seines Geschäftes in erster Linie den Bedürfnissen des Publikums anpassen muß, so hat sich auch die Polizei bei der Erfüllung ihrer Aufgabe den bestehenden Verhältnissen anzupassen. Die Erschwerung der polizeilichen Aufsicht ist daher kein genügender Grund, ein Wirtschaftspatent zu versagen, wenn der Gesuchsteller, wie im vorliegenden Falle, im übrigen den polizeilichen Vorschriften nachkommt (vergi. Salis, II, Nr. 651, Ziffer 4, und Entscheidung des Bundesrates in Sachen Kuli, Bundesblatt 1891, II, Seite 352, und in Sachen J. H. Kopp am 4. Dezember 1896).

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Demnach wird beschlossen: 1. Der Rekurs ist begründet.

2. Die Regierung des Kantons Aargau wird eingeladen, dem Rekurrenten das nachgesuchte Wirtschaftspatent zu erteilen.

Dieser Beschluß ist sofort vollziehbar.

B e r n , den 9. August 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Rudolf Burger-Gehrig in Suhr (Kanton Aargau), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 9. August 1897.)

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18.08.1897

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