06.413 Parlamentarische Initiative Verbindliche Wirkung der Motion Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 12. Januar 2007

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Parlamentsgesetzes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

12. Januar 2007

Im Namen der Kommission Der Präsident: Andreas Gross

2007-0071

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Übersicht Die Kommission hat festgestellt, dass der Bundesrat in letzter Zeit den Auftrag einer Motion häufig nicht erfüllt, wenn ihm dieser nicht genehm ist. Dieses Verhalten des Bundesrates steht im Widerspruch zur verfassungsmässigen Zuständigkeitsordnung (vgl. Art. 171 und 182 Absatz 2 BV). Das Parlament hat zwar die Möglichkeit, auf dem Wege der parlamentarischen Initiative das gesetzte Ziel ohne Unterstützung des Bundesrates dennoch zu erreichen. Mit den hier präsentierten Vorschlägen soll aber versucht werden, auch dem Motionsrecht wieder mehr Nachachtung zu verschaffen, indem der Dialog zwischen Parlament und Regierung bei der Erfüllung parlamentarischer Aufträge verbessert wird. Das bedeutet konkret, dass die Berichterstattungs- und Begründungspflichten des Bundesrates verschärft werden, falls er angenommene Motionen ausnahmsweise nicht erfüllen will. In diesem Fall muss der Bundesrat künftig seinen Abschreibungsantrag mit einem besonderen Bericht begründen. Lehnen beide Räte den Abschreibungsantrag ab, so bleibt der Auftrag bestehen. Eine präzise Regelung des weiteren Verfahrens soll dafür sorgen, dass der Auftrag ohne weiteren Verzug erfüllt wird.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Mit seiner parlamentarischen Initiative vom 24. März 2006 verlangt Nationalrat Lustenberger (C, LU), «dass die Verbindlichkeit einer von beiden Räten überwiesenen Motion verstärkt werden soll. Falls der Bundesrat den Auftrag ausnahmsweise nicht oder nur teilweise erfüllen will, soll er den entsprechenden Abschreibungsantrag mit einem gesonderten Bericht an die Räte begründen. Wird der Abschreibungsantrag von beiden Räten abgelehnt, muss der Bundesrat den Auftrag umgehend erfüllen».

Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates hat dieser Initiative am 14. September 2006 mit 22 zu 0 Stimmen Folge gegeben. Die SPK des Ständerates hat diesem Beschluss am 30. Oktober 2006 einstimmig zugestimmt.

Die SPK des Nationalrates hat den vorliegenden Gesetzesentwurf am 12. Januar 2007 mit 13 zu 4 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen.

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Erläuterung der Neufassung von Artikel 122 ParlG

Absätze 1 (Berichterstattung über den Stand der Arbeiten bei noch nicht erfüllten Motionen) und 2 (Abschreibung erfüllter Motionen) Die Absätze 1 und 2 entsprechen dem geltenden Recht.

Absätze 3, 5 und 6: Verfahren der Abschreibung von nicht erfüllten Motionen Wird eine Motion von beiden Räten angenommen, so wird damit dem Bundesrat ein verbindlicher Auftrag erteilt, «einen Entwurf zu einem Erlass der Bundesversammlung vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen» (Art. 120 Abs. 1 ParlG). Im Normalfall sollte der Bundesrat den Auftrag erfüllen und die Abschreibung der Motion beantragen. Über die Art und Weise, wie dieser Abschreibungsantrag gestellt werden soll, bestehen keine Vorschriften. In der Praxis wird, falls der Auftrag mit einem Erlassentwurf erfüllt wird, zusammen mit der Botschaft die Abschreibung beantragt. Diese Form der Antragsstellung ist nicht möglich, wenn der Bundesrat den Auftrag in der Weise erfüllt, dass er eine in seiner eigenen Zuständigkeit liegende Massnahme trifft (gemäss Art. 120 Abs. 2 ParlG). In diesem Fall kann der Antrag in einem zweiten Teil des von Artikel 122 Absatz 1 verlangten jährlichen Berichts des Bundesrates über den Stand der Arbeiten zur Erfüllung der angenommenen Motionen und Postulate gestellt werden. Die Berichterstattung über die Erfüllung einer einzelnen Motion wird in diesem Fall in der Regel kurz ausfallen können.

In Ausnahmefällen muss es möglich sein, dass auch die Abschreibung beantragt werden kann, wenn eine Motion nicht erfüllt werden soll, dass also der Auftrag «zurückgegeben» wird. Die äusseren Umstände können sich nach der Auftragserteilung in einer Weise ändern, dass die Erfüllung des Auftrages keinen Sinn mehr macht oder nicht mehr ratsam erscheint. Es kann sich beim Versuch zur Erfüllung des Auftrages auch zeigen, dass bei der Auftragserteilung noch nicht alle Aspekte richtig analysiert worden sind.

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Heute stellt der Bundesrat auch derartige Anträge in der Regel im Rahmen des oben erwähnten Berichts. Dieser Sammelbericht ist so gestaltet, dass derartige problematische Fälle nur mit Mühe erkennbar sind. Die Begründung des Abschreibungsantrages ist jeweils äusserst knapp gehalten.

Kein legitimer Grund zur Nichterfüllung eines Auftrages ist eine andere politische Einschätzung durch den Bundesrat. Auch in diesem Fall muss die Regierung den von Parlament verlangten Erlassentwurf unterbreiten. Es steht ihr allerdings frei, zugleich dessen Ablehnung zu beantragen. In den Kantonen ist ein derartiges Vorgehen durchaus üblich. Im Bund herrscht seit längerer Zeit eine andere Praxis: Der Bundesrat erfüllt ihm erteilte Aufträge in der Regel nur noch dann, wenn sie ihm genehm sind.

Dieses Verhalten des Bundesrates steht im Widerspruch zur verfassungsmässigen Zuständigkeitsordnung. Artikel 171 BV lautet: «Die Bundesversammlung kann dem Bundesrat Aufträge erteilen». Gemäss Artikel 182 Absatz 2 BV sorgt der Bundesrat für den Vollzug der Beschlüsse der Bundesversammlung.

Die Ursachen für diese unbefriedigende Situation sind vielfältig. Nicht zuletzt sind sie auch beim Parlament selbst zu suchen, welches es während langer Zeit versäumt hat, das Verfahren und die Rechtswirkung der Motion einheitlich und sorgfältig zu regeln und an die im Laufe der Zeit veränderten Umstände anzupassen. Mit dem Parlamentsgesetz ist diese einheitliche und sorgfältige Regelung jetzt aber erfolgt; erwähnt seien insbesondere die klare Definition der Rechtswirkung der Motion und die Einführung der präzisen Abänderbarkeit einer Motion anstelle der früheren Möglichkeit der häufig zweideutigen Umwandlung in ein Postulat. Einige Fälle aus der jüngeren Vergangenheit vermitteln den Eindruck, dass Bundesrat und Verwaltung noch nicht realisiert haben, dass das Parlament das Instrument der Motion aufgewertet hat und dass die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen ernst zu nehmen sind.

Ein Beispiel der Missachtung des Willens des Parlamentes durch den Bundesrat liefert die Behandlung der Motion 04.3433 Presseförderung mittels Beteiligung an den Verteilungskosten. Die am 17. August 2004 von der SPK des Ständerates eingereichte Motion wurde entgegen dem Antrag des Bundesrates am 4. Oktober 2004 vom Ständerat und am 17. März 2005 vom Nationalrat
angenommen. Am 21. Dezember 2005 wurde in einer Medienmitteilung bekannt gegeben, dass der Bundesrat die Umsetzung dieser Motion ablehne. Bis zum heutigen Tag hat er aber der Bundesversammlung keinen Abschreibungsantrag gestellt und auch sonst keine offizielle Mitteilung übermittelt. Die Motion hatte die Ausarbeitung der nötigen gesetzlichen Grundlagen für die Weiterführung der Ende 2007 auslaufenden indirekten Presseförderung verlangt. Den SPK blieb nichts anderes übrig, als auf dem Wege der parlamentarischen Initiative diese gesetzliche Regelung unter grossem Zeitdruck selbst auszuarbeiten (Pa.Iv.

06.425). Ähnliche Fälle aus jüngster Vergangenheit: 03.3180 Mo. RK-SR. Sterbehilfe und Palliativmedizin; 05.3001 Mo. SiK-NR. Umfassende Gesetzesgrundlage für das System der Nachrichtendienste; 05.3790/05.3812 Mo. WBK-NR/SR. Artikel 7a und 7c des Tierschutzgesetzes. Inkraftsetzung [Problematik der Kampfhunde]; 05.3808 Mo.

Leuthard. Disparitätenzahlungen; 05.3900 Motion Amgwerd Madeleine. Schweizer Beitrag an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids,Tuberkulose und Malaria.

Was kann die Bundesversammlung gegen die Missachtung ihres Motionsrechts tun?

Der Respekt vor dem Motionsrecht lässt sich nicht erzwingen. Die Nichterfüllung einer angenommenen Motion kann keine unmittelbar wirksame Sanktion nach sich ziehen. Durchaus wirksam ist aber auch die bisher angewendete pragmatische Lösung, die darin besteht, dass die zuständige parlamentarische Kommission auf dem Wege der parlamentarischen Initiative den Erlassentwurf selbst ausarbeitet, 1460

welchen den Bundesrat nicht unterbreiten will. Falls dies der einzige Weg bleiben sollte, auf welchem das Parlament seinen politischen Willen gegen denjenigen des Bundesrates durchsetzen kann, so müsste man eigentlich konsequenter- und ehrlicherweise Artikel 171 BV aufheben und das Motionsrecht abschaffen. Es wäre aber bedauerlich und wohl auch politisch nicht realistisch, diese traditionelle schweizerische Form der Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung ganz aufzugeben. Es soll daher mit den hier präsentierten Vorschlägen versucht werden, dem Motionsrecht mehr Nachachtung zu verschaffen, indem der Dialog zwischen Parlament und Regierung bei der Erfüllung parlamentarischer Aufträge verbessert wird: ­

Absatz 3 Buchstabe a: Der Bundesrat darf die Abschreibung nicht erfüllter Motionen nicht mehr mit einem Sammelbericht beantragen. Erforderlich ist eine hinreichende Begründung, warum der Auftrag nicht erfüllt werden soll.

Diese Begründung wird in einem besonderen Bericht gegeben, welcher einen selbstständigen Beratungsgegenstand der Bundesversammlung darstellt. Damit erhalten derartige Abschreibungsanträge bei allen Betroffenen (Bundesversammlung, Bundesrat, Verwaltung) die nötige Aufmerksamkeit und das Parlament erhält eine seriöse Entscheidgrundlage für die Beurteilung der Frage, ob die Motion aufrechterhalten oder abgeschrieben werden soll. Besteht zwischen zwei oder mehreren zur Abschreibung beantragten Motionen ein sachlicher Zusammenhang, so kann zu ihnen ein einziger Bericht vorgelegt werden. Gemäss Artikel 159 ParlG nimmt die Vorsteherin oder der Vorsteher des zuständigen Departementes an den Ratsverhandlungen teil (anders als bei der in der Praxis der Bundeskanzlei übertragenen Vertretung von Abschreibungsanträgen, welche gemäss Absatz 2 im Rahmen des Sammelberichtes gestellt werden). Dieses Vorgehen ist übrigens nicht neu: Der Bundesrat hat früher gelegentlich seine Abschreibungsanträge in dieser Form gestellt (Beispiele: 95.077 Bericht des Bundesrates vom 25. Oktober 1995 zur Abschreibung der Motion Delalay 92.3249 Generelle Steueramnestie, BBl 1995 IV 1642; 03.064 Bericht des Bundesrates vom 25. Juni 2003 zur Abschreibung der Motionen Neirynck 00.3277 und Paupe 01.3334 Gleichbehandlung belgischer und schweizerischer Rentner).

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Absatz 3 Buchstabe b: Es ist auch denkbar, dass der Bundesrat zwar zum Thema der angenommenen Motion einen Erlassentwurf vorlegt, damit aber das Anliegen der Motion nicht oder nur teilweise erfüllt. In diesen Fällen wäre ein besonderer Bericht nicht sinnvoll; die Begründung des Abschreibungsantrages soll hier im Rahmen der Botschaft zum Erlassentwurf gegeben werden.

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Absatz 5: Falls beide Räte einen Abschreibungsantrag ablehnen, bleibt der Auftrag bestehen. Dieser Beschluss bedarf neu der Zustimmung beider Räte und nicht bloss nur eines Rates (vgl. die Erläuterungen zu Art. 122 Abs. 4).

In dieser Situation ist es angezeigt, den Druck auf den Bundesrat zu verstärken. Er hat den Auftrag innert eines Jahres zu erfüllen. Falls diese Frist nicht realistisch ist, können die Räte zusammen mit der Ablehnung der Abschreibung eine längere Frist ansetzen. Sind sie sich über die Verlängerung der Frist nicht einig, so gilt in sinngemässer Anwendung von Artikel 95 ParlG die normale Frist von einem Jahr.

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Absatz 6: Falls der Bundesrat die Frist nicht einhält, wird das Thema in der nächsten ordentlichen Session auf Antrag der zuständigen Kommissionen in 1461

beiden Räten erneut traktandiert. Bericht und Antrag der Kommissionen stellen einen selbstständigen Beratungsgegenstand der Bundesversammlung dar. Gemäss Artikel 159 ParlG nimmt die Vorsteherin oder der Vorsteher des zuständigen Departementes an den Ratsverhandlungen teil.

Falls der Auftrag weiterhin aufrechterhalten und erneut nicht erfüllt wird, wird das Verfahren in sinngemässer Anwendung der Absätze 5 und 6 solange fortgesetzt, bis die Motion abgeschrieben werden kann.

Absatz 4: Verfahren zwischen den Räten bei Abschreibungsanträgen In Artikel 122 Absatz 3 des geltenden Rechts wurde die frühere Regelung des Geschäftsverkehrsgesetzes und der Ratsreglemente übernommen, wonach die Abschreibung einer Motion der Zustimmung beider Räte bedarf. Im Widerspruch dazu wurde in Artikel 95 der allgemeine Grundsatz aufgestellt, dass die zweite Ablehnung durch einen Rat endgültig ist, wenn es um «die Aufrechterhaltung eines zur Abschreibung beantragten Beratungsgegenstandes» (Art. 95 Bst. j) geht. Mit anderen Worten: Stimmt ein Rat ein zweites Mal einer Abschreibung zu, so ist dieser Beschluss endgültig ­ trotz der Ablehnung des Abschreibungsantrages durch den anderen Rat. Die für die Behandlung von Motionen vorgesehene Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz ist nicht logisch und wirft in der Praxis Probleme auf. Konkretes Beispiel: Der Nationalrat hat wiederholt der Abschreibung der Motionen für eine «Gleichbehandlung belgischer und schweizerischer Rentner» (00.3277 und 01.3334) opponiert, obwohl der Ständerat dieser Abschreibung zugestimmt hat. Der Auftrag an den Bundesrat zur Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage bleibt damit bestehen. Dass der Bundesrat selbst diesen Auftrag nicht erfüllen möchte, ist zwar unerheblich (vgl. dazu die Erläuterungen zu Art. 122 Abs. 3, 5 und 6). Ausschlaggebend sollte aber sein, dass der Ständerat den Auftrag nicht aufrechterhalten will und folglich, wenn der Bundesrat den Auftrag tatsächlich erfüllen würde, auf den Erlassentwurf des Bundesrates konsequenterweise gar nicht eintreten dürfte. Die unlogische Ausnahmeregelung bei Uneinigkeit der Räte über die Abschreibung einer Motion sollte aufgehoben und die generelle Regelung gemäss Artikel 95 auch hier angewendet werden.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Diese Änderung des Parlamentsgesetzes hat keine unmittelbaren finanziellen oder personellen Auswirkungen.

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Rechtliche Grundlagen

Das Parlamentsgesetz und dessen hier vorgeschlagene Änderung stützen sich auf Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe g BV, wonach die grundlegenden Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden in einem Bundesgesetz erlassen werden müssen.

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