07.029 Botschaft zur Umsetzung der Übereinkommen über internationale Kindesentführung sowie zur Genehmigung und Umsetzung der Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und Erwachsenen vom 28. Februar 2007

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf des Bundesbeschlusses über die Umsetzung der Übereinkommen über internationale Kindesentführung sowie die Genehmigung und Umsetzung der Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und Erwachsenen mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2003

M

03.3214

Haager Übereinkommen über internationale Kindesentführungen, Schutz der Kinder (N 13.6.2005, Vermot-Mangold)

2003

M

03.3235

Kindeswohl und Haager Übereinkommen (N 3.10.2003, Leuthard; S 3.3.2004)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. Februar 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2006-2815

2595

Übersicht Der Schutz von Kindern und hilfsbedürftigen Erwachsenen ist ein zentrales Anliegen jeder Rechtsordnung. Mit der zunehmenden Mobilität kommt es zu immer mehr Familiengründungen von Personen aus unterschiedlichen Rechtssystemen mit vielfältigen kulturellen Traditionen und Religionen, die ihre Lebensweise und die Rechtsprechung prägen. Die Anordnung und der Vollzug von Schutzmassnahmen und Konfliktregelungen für Kinder aus solchen Familien werden immer komplexer; sie werden zusätzlich erschwert durch internationale Zuständigkeitskonflikte und sich widersprechende Entscheide. Demgegenüber stand das praktische Erfordernis für Schutzvorkehren für erwachsene Menschen bislang noch zurück. Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und Mobilität ist indes auch bei ihnen mit vermehrtem Bedarf an grenzüberschreitenden Betreuungsmassnahmen zu rechnen. Die Schweiz will den veränderten Gegebenheiten innerstaatlich mit der laufenden Revision des Vormundschaftsrechts Rechnung tragen. Auch andere europäische Staaten, zum Beispiel Spanien, Italien und Grossbritannien, haben insbesondere im Erwachsenenschutzbereich Reformen durchgeführt. Es ist daher zu begrüssen, wenn im Bereich des Personenschutzes die Regeln des internationalen Privatrechts vereinheitlicht, koordiniert und verbindlich festgelegt werden. In gleichem Masse gewinnt die internationale Zusammenarbeit von Staaten und ihren Behörden immer mehr an Bedeutung; ihre Notwendigkeit, aber auch ihre Machbarkeit aufgrund technologischer Entwicklungen wächst. Vor diesem Hintergrund sollen staatsvertragliche Regelungen mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit schaffen und dadurch den Schutz von hilfsbedürftigen Menschen jeglichen Alters und jeglicher Nationalität verbessern. Diese Ziele werden angestrebt mit dem Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern sowie mit dem Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen. Mit den beiden zur Ratifikation empfohlenen Übereinkommen verbindet sich nicht zuletzt der Vorteil, dass deren Geltungsbereich über Europa hinausreicht.

Für Kinder, die von einem Elternteil oder Drittpersonen aus oder in
die Schweiz entführt oder widerrechtlich zurückbehalten werden, kann aufgrund des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung sowie des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts die Rückführung beantragt werden. Beide Übereinkommen sind für die Schweiz seit dem 1. Januar 1984 in Kraft. Die Anwendung des Haager Übereinkommens in der Schweiz wird zunehmend kritisiert und genügt den Anforderungen an einen optimalen Schutz der betroffenen Kinder nicht mehr. Im vorgeschlagenen Entwurf für ein Bundesgesetz über internationale Kindesentführung ist deshalb unter anderem eine Beschleunigung der Rückführungsverfahren vorgesehen, indem der kantonale Instanzenzug verkürzt wird und vermehrt gütliche Regelungen zwischen den zerstrittenen Eltern gefördert werden. Zudem soll der Rückführungsbeschluss auch die Vollstreckungsmodalitäten regeln und in der ganzen Schweiz vollstreckbar sein.

2596

Inhaltsverzeichnis Übersicht

2596

1 Ausgangslage

2599

2 Der Vorentwurf 2.1 Entwurf der Expertenkommission 2.2 Vernehmlassungsvorlage 2.3 Vernehmlassungsverfahren 2.4 Überarbeitung des Vorentwurfs

2601 2601 2601 2601 2602

3 Verhältnis zum internationalen Recht und Rechtsvergleichung

2602

4 Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern (Haager Kindesschutzübereinkommen, HKsÜ) 4.1 Geltungsbereich 4.2 Zuständigkeit 4.3 Anwendbares Recht 4.4 Anerkennung und Vollstreckung 4.5 Internationale Zusammenarbeit und Zentrale Behörden 4.6 Allgemeine und Schlussbestimmungen 4.7 Vorbehalte und Erklärungen

2603 2603 2604 2605 2606 2607 2609 2610

5 Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (Haager Erwachsenenschutzübereinkommen, HEsÜ) 5.1 Geltungsbereich 5.2 Zuständigkeit 5.3 Anwendbares Recht 5.4 Anerkennung und Vollstreckung 5.5 Internationale Zusammenarbeit und Zentrale Behörden 5.6 Allgemeine und Schlussbestimmungen 5.7 Vorbehalte und Erklärungen

2611 2611 2613 2614 2615 2616 2617 2619

6 Das Bundesgesetz über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (BG-KKE) 6.1 Zentrale Behörden des Bundes und der Kantone (Art. 1­2) 6.2 Fachpersonen und Institutionen (Art. 3) 6.3 Vermittlungsverfahren oder Mediation (Art. 4) 6.4 Rückführung und Kindeswohl (Art. 5) 6.5 Schutzmassnahmen (Art. 6) 6.6 Zuständiges Gericht (Art. 7)

2619 2619 2620 2621 2621 2623 2624

2597

6.7 Gerichtsverfahren (Art. 8) 6.8 Anhörung und Vertretung des Kindes (Art. 9) 6.9 Internationale Zusammenarbeit (Art. 10) 6.10 Rückführungsentscheid (Art. 11) 6.11 Vollstreckung (Art. 12) 6.12 Änderung des Rückführungsentscheids (Art. 13) 6.13 Kosten (Art. 14) 6.14 Änderung bisherigen Rechts

2625 2625 2626 2627 2627 2627 2628 2629

7 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

2629

8 Finanzielle und personelle Auswirkungen 8.1 Auf den Bund 8.2 Auf Kantone und Gemeinden 8.3 Auf die Volkswirtschaft

2630 2630 2631 2631

9 Verhältnis zur Legislaturplanung

2632

10 Rechtliche Aspekte 10.1 Kompetenzen des Bundes 10.2 Fakultatives Staatsvertragsreferendum 10.3 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

2632 2632 2632 2633

Bundesbeschluss über die Umsetzung der Übereinkommen über internationale Kindesentführung sowie die Genehmigung und Umsetzung der Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und Erwachsenen (Entwurf)

2635

Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen

2643

Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern

2661

2598

Botschaft 1

Ausgangslage

Nach Artikel 85 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291) steht für die Schweiz seit 4. Februar 1969 das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA; SR 0.211.231.01) in Kraft1. Dieses Übereinkommen gilt aus schweizerischer Sicht sinngemäss auch für Volljährige oder für Personen, die nur nach schweizerischem Recht minderjährig sind, sowie für Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem der Vertragsstaaten haben (Art. 85 Abs. 2 IPRG). Das MSA erweist sich jedoch in verschiedenen Bereichen als unzulänglich: Die Zuständigkeit der Behörden am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes (Art. 1 MSA) konkurriert mit der vorrangigen, aber oft wenig sachdienlichen Zuständigkeit des Heimatstaates (Art. 4 MSA), es besteht keine Verpflichtung zur Vollstreckung ausländischer Kindesschutzmassnahmen und ausserdem funktioniert die internationale Zusammenarbeit nur beschränkt. Der Erlass von sich widersprechenden Sorgerechtsentscheidungen und Kindesschutzmassnahmen in verschiedenen Vertragsstaaten und die Beurteilung von Minderjährigen mit zwei und mehr Nationalitäten boten Anlass zu Kontroversen.

Die Schwächen des MSA veranlassten die Haager Konferenz für internationales Privatrecht, dieses Abkommen grundlegend zu überarbeiten mit dem Ziel, es zu ersetzen; ausserdem war auch für den Schutz von Erwachsenen eine Regelung im grenzüberschreitenden Verkehr zu suchen. Daraus ging am 19. Oktober 1996 das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern (HKsÜ)2 hervor. Ihm folgte am 13. Januar 2000 das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HEsÜ)3. Als Mitglied der Haager Konferenz war die Schweiz an der Vorbereitung beider Übereinkommen massgeblich beteiligt. Sie hat das HKsÜ am 1. April 2003 unterzeichnet4. Durch vereinheitlichte, detaillierte Regeln über die internationale Zuständigkeit soll das HKsÜ Konflikte zwischen den Behörden verschiedener Vertragsstaaten beim Treffen von Massnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes ausschliessen,
wobei die internationale Zusammenarbeit und gegenseitige Rechtshilfe entscheidend erweitert und gestärkt werden.

Das HKsÜ und das HEsÜ ergänzen verschiedene staatsvertragliche Abmachungen, denen sich die Schweiz bereits früher angeschlossen hat, so unter anderem das Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (HAÜ; SR 0.211.221.311). Sie reihen sich ein in die Bemühungen der Schweiz, ihr eigenes Kindes- und Erwachsenenschutzrecht zu reformieren. Erinnert sei namentlich an die 1 2 3 4

Das MSA wurde bislang erst von 13 Vertragsstaaten ratifiziert, siehe www.hcch.net (Konvention Nr. 10) Text des HKsÜ: siehe www.hcch.net (Konvention Nr. 34) Text des HEsÜ: siehe www.hcch.net (Konvention Nr. 35) 31 Staaten haben das HKsÜ bislang unterzeichnet, 13 davon haben es auch ratifiziert.

2599

Revision des Zivilgesetzbuches (Personenstand, Eheschliessung, Scheidung, Kindesrecht, Verwandtenunterstützungspflicht, Heimstätten, Vormundschaft, Ehevermittlung) vom 26. Juni 1998 (AS 1999 1118) und an die laufende Teilrevision des Vormundschaftsrechts5.

Soweit das HKsÜ und das HEsÜ Fragen der Zuständigkeit, des anwendbaren Rechts sowie der Anerkennung und Vollstreckung regeln, sind sie unmittelbar anwendbar («self-executing»). Es genügt eine Verweisung in Artikel 85 IPRG; eine Konkretisierung in einem Bundesgesetz erübrigt sich. Darüber hinaus sehen die beiden Übereinkommen jedoch die Einrichtung Zentraler Behörden und die internationale Zusammenarbeit von Behörden in Fragen des Kindes- und Erwachsenenschutzes vor, wozu es eines Erlasses zur Klärung der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen bedarf.

Bei internationalen Kindesentführungen und grenzüberschreitenden Besuchsrechtskonflikten gelangen in der Schweiz die Bestimmungen des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ, SR 0.211.230.02) sowie des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechtes (ESÜ, SR 0.211.230.01) zur Anwendung. Beide Übereinkommen sind für die Schweiz bereits seit 1. Januar 1984 in Kraft und wurden von bislang 76 bzw. 35 Staaten ratifiziert.

In der Schweiz führte die Anwendung des Haager Kindesentführungsübereinkommens zu diversen parlamentarischen Vorstössen6 und kritischen Berichterstattungen in den Medien. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) setzte am 10. März 2005 eine Expertenkommission ein, die unter anderem den Auftrag erhielt, gesetzgeberische und praktische Verbesserungsvorschläge bei der Behandlung von Fällen internationaler Kindesentführungen zu unterbreiten, wobei insbesondere Möglichkeiten für eine kindesgerechtere Anwendung der Bestimmungen des HKÜ zu beurteilen waren.

5

6

Der Bundesrat hat die Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht) am 28. Juni 2006 verabschiedet, BBl 2006 7001 7139.

P. Vermot-Mangold vom 17. Juni 2004 (04.3367; Wirksamer Schutz bei Kindesentführung durch einen Elternteil), angenommen vom Bundesrat am 24. Sept. 2004 und vom Nationalrat am 17. Dez. 2004; M Vermot-Mangold vom 7. Mai 2003 (03.3214; Haager Übereinkommen über internationale Kindesentführungen, Schutz der Kinder): Antrag des Bundesrates vom 19. Sept. 2003, die Motion in ein Postulat umzuwandeln; vom Nationalrat am 13. Juni 2005 als Postulat überwiesen; Ip Hubmann vom 7. Mai 2003 (03.3208; Schutz der Kinder), mit Antwort des Bundesrates vom 9. Sept. 2003, Diskussion im Nationalrat am 13. Juni 2005, Interpellation erledigt; Motion Leuthard vom 8. Mai 2003 (03.3235; Kindeswohl und Haager Übereinkommen), angenommen vom Nationalrat (3.10.2003) und vom Ständerat (3.3.2004).

2600

2

Der Vorentwurf

2.1

Entwurf der Expertenkommission

Die vom EJPD am 10. März 2005 bestellte interdisziplinäre Expertenkommission setzte sich zusammen aus Prof. Dr. Andreas Bucher (Prof. für internationales Privatrecht an der Universität Genf) als Präsident, Prof. Christoph Häfeli (Sekretär der Konferenz der kantonalen Vormundschaftsbehörden), Bundesrichter Niccolò Raselli (Präsident der II. Zivilabteilung des Bundesgerichts), Marianne Galli-Widmer (Rechtsanwältin und Familienmediatorin, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Dachverbands Mediation SDM-FSM), Dr. phil. Heinrich Nufer (Pädagoge und Kinderpsychologe) und Annegret Katzenstein-Meier (Präsidentin der Anklagekammer am Obergericht des Kantons Zürich). Am 22. Februar 2006 nahm der Bundesrat den Schlussbericht der Expertenkommission vom 6. Dezember 2005 mit einem Entwurf für ein Bundesgesetz über internationale Kindesentführungen zur Kenntnis und veröffentlichte ihn gleichentags7.

2.2

Vernehmlassungsvorlage

Gestützt auf diesen Expertenbericht wurde ein Vorentwurf für ein Bundesgesetz über internationale Kindesentführungen und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen ausgearbeitet. Dieser Vorentwurf sah eine beschleunigte und kindeswohlgerechtere Behandlung von Rückführungsgesuchen von in die Schweiz entführten Kindern vor. In Ergänzung zum Entwurf der Expertenkommission enthielt der Vorentwurf des Bundesrates die Ratifikation des HKsÜ und des HEsÜ. Im Zusammenhang mit dem Erlass des Bundesgesetzes zur Umsetzung aller vier Übereinkommen (HKÜ, ESÜ, HKsÜ, HEsÜ) musste schliesslich auch Artikel 85 IPRG angepasst werden8, da sich diese Bestimmung auf das alte Minderjährigenschutzabkommen (MSA) bezieht, das durch die neueren völkervertraglichen Instrumente des HKsÜ und des HEsÜ ersetzt wird.

2.3

Vernehmlassungsverfahren

Mit Beschluss des Bundesrates vom 5. Juli 2006 wurde zum Vorentwurf eine Vernehmlassung eröffnet (BBl 2006 6305), die bis 31. Oktober 2006 dauerte. Es gingen 50 offizielle Stellungnahmen ein.

Die Ratifikation der Haager Kindes- und Erwachsenenschutzübereinkommen und die Errichtung je einer Zentralen Behörde des Bundes sowie in den Kantonen zu deren Umsetzung stiessen in der Vernehmlassung auf breite Zustimmung. Die Zusammenfassung der Umsetzungsbestimmungen verschiedener Staatsverträge in einem einzigen Erlass wurde mit einer Ausnahme befürwortet.

Der verstärkte Kindesschutz bei internationalen Kindesentführungen wurde begrüsst, namentlich mit der Anhörung der Kinder, der Bestellung eines Kinderbeistandes, der Verkürzung der Verfahren vor einer einzigen kantonalen Instanz, der 7 8

Der Bericht ist publiziert auf der Homepage des Bundesamtes für Justiz: www.bj.admin.ch (Rubrik Gesetzgebung/Internationale Kindesentführungen) Siehe Ziff. 6.14

2601

Vollstreckbarkeit von Rückführungsentscheiden in der ganzen Schweiz und der Förderung einer gütlichen Konfliktbeilegung mit Fachpersonen und Institutionen sowie der Durchführung eines Vermittlungsverfahrens oder einer Mediation. Vereinzelt wurden allerdings Bedenken laut, dass daraus ein personeller und finanzieller Mehraufwand für die Kantone resultieren könnte. Auch zu den Verfahrenskosten wurden Vorbehalte geäussert, ebenso betreffend die Möglichkeit der Änderung eines Rückführungsentscheids. Dies, so wurde argumentiert, könnte dem Beschleunigungsgebot bei Kindesrückführungsverfahren zuwiderlaufen.

2.4

Überarbeitung des Vorentwurfs

Der Bundesrat nahm vom Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens am 28. Februar 2007 Kenntnis und verabschiedete gleichentags die vorliegende, vom EJPD vorbereitete Botschaft, die im Lichte der Vernehmlassungen ausgearbeitet wurde. Wesentliche materielle Änderungen an der Vernehmlassungsvorlage mussten nicht vorgenommen werden.

Der Bundesrat beantragt dem Parlament allerdings, die im vorliegenden BG-KKE vorgesehenen Verfahrensbestimmungen (Art. 7­12 BG-KKE) später in der eidgenössischen ZPO zu verankern, da dieser Erlass eine umfassende Kodifikation der massgebenden Bestimmungen für das kantonale Verfahren anstrebt. Dennoch drängt sich zum heutigen Zeitpunkt die Regelung im Spezialgesetz auf, da im Bereich der internationalen Kindesentführungen dringender Handlungsbedarf besteht und das vorgeschlagene BG-KKE möglichst rasch und deshalb vor der ZPO in Kraft treten sollte.

3

Verhältnis zum internationalen Recht und Rechtsvergleichung

Der vorliegende Gesetzesentwurf steht im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen, namentlich mit dem Übereinkommen vom 20. November 19899 über die Rechte des Kindes sowie der Konvention vom 4. November 195010 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Rechtsvergleichend ist festzuhalten, dass in jüngerer Zeit die Revisionen des Erwachsenenschutzrechts zugenommen haben (Österreich 1983, 1990, Dänemark 1995, Spanien 2003, Italien 2004, Vereinigtes Königreich 2005). Allgemeine Tendenz ist einerseits, die klassischen Schutzmassnahmen durch individuell angepasste Massnahmen zu ersetzen, um den Bedürfnissen der schutzbedürftigen Person im Einzelfall besser zu entsprechen. Andererseits wird das Selbstbestimmungsrecht höher gewichtet und einer Person die Möglichkeit eingeräumt, für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit vorweg Regelungen zu treffen.

9 10

SR 0.107, für die Schweiz am 26. März 1997 in Kraft getreten.

SR 0.101, für die Schweiz am 28. Nov. 1974 in Kraft getreten.

2602

4

Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern (Haager Kindesschutzübereinkommen, HKsÜ)

4.1

Geltungsbereich

Im HKsÜ11 finden sich Regeln über die zuständigen Gerichts- oder Verwaltungsbehörden (Art. 5­14 HKsÜ), Fragen des anwendbaren Rechts (Art. 15­22 HKsÜ) sowie der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile und Entscheidungen (Art. 23­28 HKsÜ), jedoch keine Sachnormen zum Kindschaftsrecht. In den Anwendungsbereich fallen Massnahmen zum Schutz der Person wie des Vermögens des Kindes, insbesondere bei Elternkonflikten in Sorge-, Obhuts- und Besuchsrechtsfragen, bei unbegleiteten Minderjährigen sowie bei grenzüberschreitenden Platzierungen von Kindern, beispielsweise bei einer Pflegefamilie, in einem Heim oder seine Betreuung durch Kafala12 (nicht abschliessende Aufzählung in Art. 3 HKsÜ). Das HKsÜ enthält ferner Bestimmungen über die Zusammenarbeit der für den Kindesschutz zuständigen Stellen (Art. 29­39 HKsÜ). Keine Anwendung findet das HKsÜ in einer abschliessenden Aufzählung bei der Feststellung und Anfechtung des Kindesverhältnisses, im Adoptionsbereich, im Alimentenwesen, auf Erbschaften, bei der sozialen Sicherheit, im Kinderstrafrecht und auf Entscheidungen über Asylrecht und Einwanderung (Art. 4 Bst. a, b, e, f, g, i und j HKsÜ). Bei der Ernennung eines (Rechts)Beistandes, der die Interessen eines Kindes in diesen ausgeschlossenen Bereichen beispielsweise als Alimentengläubiger, Erbe oder in einem Asylverfahren zu vertreten hat, ist das Übereinkommen hingegen anwendbar13. Das HKsÜ ersetzt das MSA (Art. 51 HKsÜ). Es bleibt aber anzumerken, dass das MSA auf diejenigen Vertragsstaaten anwendbar bleibt, die das HKsÜ nicht ratifiziert haben.

Als Kind gilt eine Person von ihrer Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs (Art. 2 HKsÜ), ungeachtet allfällig abweichender Mündigkeitsalter in einzelnen Vertragsstaaten14. Das ungeborene Kind wird vom HKsÜ nicht erfasst, es sei denn, es handle sich um Schutzmassnahmen betreffend sein Vermögen oder aber um Entscheidungen zur elterlichen Sorge und/oder zum persönlichen Verkehr, die unmittelbar nach seiner Geburt greifen sollen. Neu ist der weit gefasste Begriff der

11

12

13 14

Unter www.hcch.net (Konvention Nr. 34) ist ein ausführlicher Begleitbericht von Paul Lagarde zum HKsÜ in deutscher, französischer und englischer Sprache zu finden (nachfolgend zitiert: P. Lagarde, HKsÜ-Bericht), eine Spezialausgabe von «The Judges Newsletter», Vol. X/Autumn 2006, sowie eine aktuelle Bibliografie; Andreas Bucher, La Dix-huitième session de la Conférence de La Haye de droit international privé, SZIER 1997, S. 67 ff.; Kurt Siehr, Das neue Haager Übereinkommen von 1996 über den Schutz von Kindern (nachfolgend zitiert: K. Siehr, HKsÜ), RabelsZ Bd. 62 (1998), S. 464­501.

In Staaten mit islamischer Rechtsordnung ist das Institut der Adoption unbekannt. Rechtlich zugelassen ist lediglich ein Pflegschaftsverhältnis (La kafala en droit algérien, ZZW 2000, 160 ff.; Aldeeb Abu-Sahlieh, Le droit international privé suisse face aux systèmes de pays arabes et musulmans, in: SZIER 1992, 49 ff.).

A. Bucher (zit. FN 11), S. 76 f.

Nach Art. 12 MSA wurde die Minderjährigkeit nach dem innerstaatlichen Recht des Heimat- sowie des Aufenthaltsstaats bestimmt.

2603

«elterlichen Verantwortung»15, der den im MSA verwendeten Ausdruck «Gewaltverhältnis» ersetzt. Die elterliche Verantwortung umfasst das elterliche Sorgerecht und jedes andere entsprechende Sorgeverhältnis, das die Rechte, Befugnisse und Pflichten der Eltern, des Vormunds oder eines anderen gesetzlichen Vertreters (Person oder Behörde) in Bezug auf die Person oder das Vermögen des Kindes bestimmt (Art. 1 Abs. 2 HKsÜ).

4.2

Zuständigkeit

Das HKsÜ baut auf der Zuständigkeit der Gerichte und Behörden jenes Vertragsstaates auf, in dem das Kind seinen jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 5 HKsÜ). Bestimmt wird der Staat, nicht hingegen die innerstaatlichen Zuständigkeiten16. Kompetenzkonflikte unter den Behörden und einander widersprechende Entscheide in verschiedenen Vertragsstaaten sollen künftig verhindert werden, insbesondere dass ein Staat durch Nichttätigkeit die Zuständigkeit anderer Vertragsstaaten blockiert (Art. 13 HKsÜ). Auf eine Definition des Begriffes «gewöhnlicher Aufenthalt», insbesondere im Sinne einer Verweildauer, wurde wie schon in den früheren Haager Konventionen verzichtet. Der Begriff ist vielmehr anhand der konkreten, aktuellen Umstände zu ermitteln, wobei im Zweifelsfall der Schutzgedanke sowie die Dringlichkeit ausschlaggebend sein sollten, namentlich bei Flüchtlingskindern (Art. 6 und 11 HKsÜ)17. Dies ermöglicht es, auch Schutzmassnahmen für ein Kind zu treffen oder zu veranlassen, das eigentlich stärkere Bindungen zu einem anderen Staat aufweist, der jedoch das HKsÜ nicht ratifiziert hat.

Wird ein Kind widerrechtlich verbracht oder zurückbehalten, so bleiben die Behörden des Staates, in dem es unmittelbar zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, für Schutzmassnahmen grundsätzlich weiterhin zuständig (Art. 7 HKsÜ). Damit soll verhindert werden, dass sich Entführende (in der Regel der andere Elternteil) missbräuchlich Vorteile mit Bezug auf Schutzmassnahmen, das Obhuts- und Sorgerecht oder Rechte am Kindesvermögen erwirken (sog. «forum shopping»). Im Übrigen kennt auch das HKÜ ein begrenztes Sachentscheidungsverbot für die Behörden des Verbringungsstaates (Art. 16 HKÜ), das aber nur für Mitgliedstaaten des HKÜ verbindlich ist. Dieses Verbot schliesst die Anordnung gewisser Schutzmassnahmen im Bedarfsfall keineswegs aus, soweit damit kein (präjudizierender) Entscheid im Hinblick auf das Obhuts- und Sorgerecht gefällt wird18 (Art. 7 Abs. 2 HKÜ, Art. 7 Abs. 3 und Art. 11 HKsÜ). Möglich ist eine Zuständigkeitsübertragung an die Behörden des Verbringungsstaates im Rahmen der Artikel 8 und 9 HKsÜ.

15

16

17

18

Siehe dazu Art. 18 des Übereinkommens vom 20. Nov. 1989 über die Rechte des Kindes (SR 0.107) sowie Art. 26 Abs. 1 Bst. b des Übereinkommens vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoptionen (HAÜ; SR 0.211.221.311).

Die von den Kantonen bestimmten Vormundschaftsbehörden sind für die Durchführung der Massnahmen des Kindes- und Erwachsenenschutzes verantwortlich (Art. 146, 307 ff., 324 ff., 376 ff. ZGB, Art. 54 SchlT ZGB).

Zum Schutz von Flüchtlingskindern findet sich in Art. 12 und 16 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30) , eine entsprechende Regelung.

Siehe auch Ziff. 4.6

2604

Abweichungen vom Grundsatz der Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes sind zulässig bei Ehescheidung und -trennung (Art. 8 Abs. 2 Bst. c und Art. 10 HKsÜ), wenn für das Kind oder sein Vermögen Gefahr in Verzug ist (Art. 11 HKsÜ) oder wenn sich bloss vorläufige Massnahmen nur im Anordnungsstaat auswirken (Art. 12 HKsÜ). Für in seinem Hoheitsgebiet gelegenes Vermögen oder bestimmte Vermögensarten kann sich jeder Vertragsstaat die Zuständigkeit vorbehalten, ebenso die Nichtanerkennung der elterlichen Verantwortung oder einer Massnahme, die mit einer Massnahme der aufgrund des Vorbehalts tätig gewordenen Behörden unvereinbar ist (Art. 55 HKsÜ). Schliesslich sieht das HKsÜ Regeln für die einvernehmliche Übertragung eines Verfahrens von einem Staat auf einen andern vor, wenn letzterer besser in der Lage scheint, das Kindeswohl zu beurteilen (Art. 8 und 9 HKsÜ). So kann sich die Behördenzuständigkeit ausnahmsweise unter anderem nach der Heimatzugehörigkeit des Kindes richten, nach dem Staat, in dem sich sein Vermögen befindet oder zu dem es eine enge Verbindung hat (Art. 8 Abs. 2 Bst. a, b und d HKsÜ). Die normalerweise zuständige Behörde kann die geeignete Behörde um Übernahme der Zuständigkeit und um Ergreifen der erforderlichen Massnahmen ersuchen oder aber das Verfahren aussetzen und die Parteien einladen, bei dieser Behörde einen solchen Antrag zu stellen19. Umgekehrt kann auch die sich für geeigneter erachtende Behörde direkt um Übernahme der Zuständigkeit ersuchen. Jeder Vertragsstaat kann die Behörden bestimmen, an die solche Ersuchen nach den Artikeln 8 und 9 HKsÜ zu richten sind (Art. 44 und 45 Abs. 1 HKsÜ)20. Das Ersuchen betrifft konkrete Schutzmassnahmen, die der ersuchende Staat für erforderlich hält. Die ersuchte Behörde ist in ihrem Entscheid zwar nicht an die vorgeschlagenen Massnahmen gebunden, darf aber ihren Kompetenzbereich nicht über die Anträge oder allfällige Vereinbarungen hinaus erweitern und beispielsweise anstelle einer Besuchsrechtsregelung Anordnungen über das Kindesvermögen treffen21. Die von einer nach den Artikeln 5­10 HKsÜ zuständigen Behörde getroffenen Massnahmen, die aufgrund veränderter Umstände anschliessend ihre Zuständigkeit verliert, bleiben innerhalb ihrer Reichweite so lange in Kraft, bis die neu zuständige Behörde diese ändert, ersetzt oder aufhebt (Art. 14 HKsÜ).

4.3

Anwendbares Recht

Die nach dem HKsÜ zuständigen Gerichte und Behörden wenden ihr eigenes innerstaatliches Recht für den Erlass von Schutzmassnahmen, die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes und den Schutz Dritter an (Art. 15 ff. HKsÜ). Die elterliche Verantwortung bestimmt sich damit einheitlich «ex lege», unabhängig vom Eingreifen einer Behörde. Ein Abweichen vom Prinzip der «lex fori» ist ausnahmsweise zulässig, wenn der Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes die Anwendung eines anderen Rechts nahelegt (Art. 15 Abs. 2 HKsÜ). Die Anwendung ausländischen Rechts scheidet jedoch aus, wenn dies zulasten gutgläubiger Dritter geht (Art. 19 HKsÜ) oder wenn das ausländische Recht unter Berücksichtigung des Kindeswohls der inländischen öffentlichen Ordnung (Ordre public) offensichtlich widerspricht (Art. 22 HKsÜ). Das eigene Recht wird auch dann angewendet, wenn 19 20 21

P. Lagarde, HKsÜ-Bericht (zit. FN 11), S. 14 N. 54 Siehe Ziff. 4.7 A. Bucher (zit. FN 11), S. 83

2605

es um die Beschränkung und den Entzug der nach einer anderen Rechtsordnung eingeräumten elterlichen Verantwortung geht (Statutenwechsel, Art. 16­18 HKsÜ).

Mit dem Grundsatz der Nähe zum Kind und zum zu beurteilenden Sachverhalt soll die Tätigkeit der Behörden erleichtert werden, indem diese das ihnen vertraute Recht anwenden und im Wesentlichen auch vollziehen können. Der Begriff «Recht» umfasst das in einem Staat geltende Recht mit Ausnahme des Kollisionsrechts (Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung) sowie einer Sonderregelung für Nichtvertragsstaaten (Art. 21 HKsÜ).

Wechselt das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in einen anderen Vertragsstaat, so bleiben die bereits getroffenen Massnahmen wirksam (Art. 14 HKsÜ).

Damit soll die Kontinuität des Schutzes gewährleistet werden. Die neu zuständigen Behörden entscheiden nach ihrem innerstaatlichen Recht («lex fori») über die Anwendung der anerkannten Massnahmen bzw. deren allfällige Anpassung (Art. 15 Abs. 3 HKsÜ). Zieht das Kind hingegen in einen Nichtvertragsstaat, so ist dieser nicht an die Regeln des HKsÜ gebunden.

Aufgrund der Auslegungsschwierigkeiten betreffend Artikel 3 MSA sieht das HKsÜ nunmehr auch bei der elterlichen Verantwortung statt einer einfachen Anerkennungsregel eine Kollisionsnorm mit Verweis auf das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes vor. Vorbehalten bleibt das aktive Eingreifen einer Behörde, welche die elterliche Verantwortung entweder zuweist, entzieht oder die Bedingungen der Ausübung ändert (Art. 16­18 HKsÜ). Die elterliche Verantwortung besteht nach einem Wechsel des Kindes in einen anderen Vertragsstaat fort, deren Neuzuweisung und Ausübung richten sich jedoch nach dem Recht am neuen gewöhnlichen Aufenthaltsort (Art. 16 Abs. 3 und 4 sowie Art. 17 HKsÜ). Schliesslich regelt das HKsÜ auch den Schutz von gutgläubigen Drittpersonen, die sich beim Abschluss von Rechtsgeschäften über die Person oder die Befugnisse eines gesetzlichen Vertreters des Kindes täuschten (Art. 19 HKsÜ).

Die Regeln zum anwendbaren Recht gelten grundsätzlich auch für Nichtvertragsstaaten, sind also «erga omnes» anwendbar22 (Art. 20 HKsÜ, unter Vorbehalt von Art. 15 Abs. 3 HKsÜ).

4.4

Anerkennung und Vollstreckung

Das HKsÜ behebt einen Mangel des MSA, indem es neu alle Vertragsstaaten verpflichtet, die in einem anderen Vertragsstaat getroffenen Schutzmassnahmen kraft Gesetzes anzuerkennen, für vollstreckbar zu erklären oder zwecks Vollstreckung zu registrieren und zu vollstrecken (Art. 23 ff. HKsÜ).

Die Anerkennung kann nur in folgenden abschliessend umschriebenen Fällen versagt werden:

22

­

bei fehlender Zuständigkeit der ausländischen Behörden (einschliesslich des Vorbehalts der Vermögenszuständigkeit nach Art. 55 HKsÜ);

­

in nicht dringlichen Fällen bei mangelhafter Anhörung des Kindes oder einer Person, die ihre elterliche Verantwortung beeinträchtigt glaubt;

­

bei offensichtlicher Verletzung des Ordre public; Abweichend: K. Siehr, HKsÜ (zit. FN 11), S. 487

2606

­

bei Unvereinbarkeit mit einer späteren in einem Nichtvertragsstaat am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes getroffenen, anerkennbaren Massnahme; oder

­

bei fehlender zwischenstaatlicher Zusammenarbeit zur Unterbringung des Kindes in einen anderen Staat als dem Entscheidungsstaat (Art. 23 Abs. 2 HKsÜ).

Das Kind und jede betroffene Person können einen oder mehrere Verweigerungsgründe anrufen, die überdies von jeder Behörde nach Massgabe der Offizialmaxime erhoben werden können23. Die Behörde des Anerkennungsstaats ist dabei aber an die Tatsachenfeststellungen der entscheidenden ausländischen Behörde gebunden, auf welche diese ihre Zuständigkeit gestützt hat (Art. 5, 6 und 25 HKsÜ). Eine inhaltliche Überprüfung findet nicht statt (Art. 27 HKsÜ). Eine beschränkte Überprüfung ist nur im Hinblick auf eine Ordre-public-Widrigkeit zulässig, unter Berücksichtigung des Kindeswohls (Art. 23 Abs. 2 Bst. d HKsÜ). Jede betroffene Person erhält in jedem Vertragsstaat ein Antragsrecht auf (Nicht)Anerkennung einer Schutzmassnahme, die in einem anderen Vertragsstaat getroffen wurde (Art. 24 HKsÜ). Sie kann damit vorsorglich, noch vor einem Umzug des Kindes ins Ausland, die dortige Wirksamkeit einer Massnahme abklären. Der Anerkennungsentscheid ist bloss deklaratorischer Natur, da die Massnahmen bereits von Gesetzes wegen wirksam werden (Art. 23 Abs. 1 HKsÜ). Der ersuchte Staat bestimmt sein Verfahren selber, die Zuständigkeitsregeln der Artikel 5­14 HKsÜ sind nicht anwendbar. Ob die Regeln der Artikel 23­28 HKsÜ auch für Massnahmen von Nichtvertragsstaaten Geltung haben, richtet sich nach dem autonomen internationalen Zivilverfahrensrecht jedes Vertragsstaats24.

Die Vollstreckbarerklärung oder Registrierung zur Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats (Art. 26 Abs. 1 und 28 HKsÜ). Der Vollstreckungsstaat muss ein einfaches und schnelles Verfahren anwenden, zumal ja nur die Verweigerungsgründe von Artikel 23 Absatz 2 HKsÜ zu prüfen sind (Art. 26 Abs. 2 HKsÜ)25. Von einer Fristansetzung wurde jedoch abgesehen. Eine Nachprüfung in der Sache selbst ist grundsätzlich untersagt (Art. 27 HKsÜ). Hinsichtlich der eigentlichen Vollstreckung gilt der Grundsatz, dass die für vollstreckbar erklärten oder zur Vollstreckung registrierten Massnahmen im Anerkennungsstaat so zu vollziehen sind, als seien sie von den eigenen Behörden veranlasst worden (Art. 28 HKsÜ).

4.5

Internationale Zusammenarbeit und Zentrale Behörden

In der Praxis des grenzüberschreitenden Kindesschutzes stehen oft nicht Fragen der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts im Zentrum, sondern die Schwierigkeit, alle für einen Entscheid relevanten Informationen über das betroffene Kind und 23 24

25

Mit Ausnahme von Art. 23 Abs. 2 Bst. c HKsÜ (Person, die ihre elterliche Verantwortung beeinträchtigt glaubt), der nur auf Antrag geltend gemacht werden kann.

Gemäss dem revidierten Art. 85 Abs. 4 IPRG werden solche Massnahmen anerkannt, wenn sie im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes oder des Erwachsenen ergangen sind (s. Ziff. 6.14).

Der Entwurf zur eidgenössischen ZPO sieht dafür das summarische Verfahren vor (Art. 333 Abs. 3 E-ZPO i.V.m. Art. 337 Abs. 2 E-ZPO; BBl 2006 7413).

2607

seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erhalten und die erforderlichen Schutzmassnahmen in einem anderen Staat umzusetzen.

Das im MSA bloss ansatzweise vorgesehene grenzüberschreitende Zusammenwirken der Behörden (Art. 4, 5 Abs. 2 und 11 Abs. 1 MSA) funktioniert in der Praxis nicht zufriedenstellend. Das HKsÜ schafft neu eine klare Struktur zur Förderung und Erleichterung des internationalen Informations- und Meinungsaustauschs und der Zusammenarbeit unter den mit Kindesschutzmassnahmen befassten Behörden und Gerichten (Art. 29­38 HKsÜ). Die hierfür als vermittelndes und unterstützendes Netzwerk in jedem Vertragsstaat einzurichtenden Zentralen Behörden haben sich bereits in anderen Haager Abkommen (Adoptionen, Kindesentführungen) bewährt.

Den Zentralen Behörden obliegt die Aufgabe, mit den Zentralen Behörden der anderen Vertragsstaaten zusammenzuarbeiten, um die Ziele des HKsÜ zu verwirklichen (Art. 30 Abs. 1 HKsÜ). Sie müssen Auskünfte über das Recht ihrer Staaten sowie die in ihren Staaten für den Schutz von Kindern verfügbaren Dienste erteilen (Art. 30 Abs. 2 HKsÜ). Darüber hinaus haben sie unmittelbar oder mit Hilfe zuständiger Behörden oder sonstiger Stellen den Austausch von Mitteilungen zu erleichtern, den zuständigen Behörden bei der Übergabe eines Verfahrens nach den Artikeln 8 und 9 HKsÜ behilflich zu sein, gütliche Einigungen zu unterstützen und den Aufenthaltsort eines schutzbedürftigen Kindes zu ermitteln (Art. 31 HKsÜ). Nebst diesen allgemeinen Aufgaben können die Zentralen Behörden auch einen Bericht über die Lage eines Kindes erstatten oder veranlassen und die zuständigen Behörden des eigenen Staates um Prüfung ersuchen, ob Massnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes erforderlich sind (Art. 32 HKsÜ). Jede Zentrale Behörde hat die Kosten, die ihr bei Anwendung des HKsÜ entstehen, grundsätzlich selber zu tragen (Art. 38 HKsÜ).

Soll ein Kind im Ausland platziert werden, so ist die zuständige Behörde verpflichtet, die Zustimmung der zuständigen ausländischen Behörde einzuholen (Art. 33 HKsÜ). Die Durchführung eines solchen Abstimmungsverfahrens ist Pflicht, andernfalls kann die Anerkennung der Unterbringungsanordnung verweigert werden (Art. 23 Abs. 2 Bst. f HKsÜ). Jeder Vertragsstaat kann die zu ersuchenden Behörden bestimmen (Art. 44 HKsÜ)26. Ferner
muss die zuständige ausländische Behörde informiert werden, wenn ein schutzbedürftiges Kind in diesem Staat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nimmt (Art. 36 HKsÜ). Im Gegenzug kann die zuständige Behörde jede Behörde eines anderen Vertragsstaats um sachdienliche Informationen für den Schutz des Kindes angehen (Art. 34 Abs. 1 HKsÜ) oder sie ersuchen, ihr bei der Durchführung von Schutzmassnahmen nach dem HKsÜ behilflich zu sein (Art. 35 Abs. 1 HKsÜ). In diesem Zusammenhang können die zuständigen Behörden auch Auskünfte und Beweise betreffend die Eignung eines Elternteils an den Staat übermitteln, in dem über das Recht auf persönlichen Verkehr entschieden wird.

Die für den Entscheid zuständige Behörde hat diese Auskünfte, Beweise und Feststellungen zuzulassen und bei ihrer Entscheidfindung zu berücksichtigen (Art. 35 Abs. 2 HKsÜ)27. Von alleine versteht sich, dass weder um Informationen ersucht noch solche erteilt werden dürfen, wenn dadurch die Person oder das Vermögen des Kindes in Gefahr geraten könnte oder die Freiheit oder das Leben eines Familienangehörigen des Kindes ernsthaft bedroht würde (Art. 37 HKsÜ).

26 27

Siehe Ziff. 4.7 Art. 35 HKsÜ verstärkt und erweitert damit die Mechanismen behördlicher Zusammenarbeit bei internationalen Besuchsrechtskonflikten gegenüber Art. 21 HKÜ.

2608

Ebenso wie die Zentralen Behörden haben auch die Verwaltungsbehörden der Vertragsstaaten grundsätzlich die Kosten für ihre Aufgaben wie Vermittlung, Übermittlung, Auskunftserteilung, Auffinden eines Kindes, Durchführen von Massnahmen wie Fremdunterbringung oder Organisation einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung selber zu tragen, soweit sie untereinander keine andere Kostenaufteilung vereinbaren (Art. 38 HKsÜ). Sie dürfen aber angemessene Gebühren für erbrachte Dienstleistungen oder die Kostenbeteiligung an (Gerichts)verfahren und Rechtsverbeiständung verlangen28. Die Vertragsstaaten können untereinander Vereinbarungen treffen, um ihre gegenseitigen Beziehungen bzw. ihre Zusammenarbeit zu erleichtern (Art. 39 HKsÜ). Es bleibt ihnen unbenommen, noch günstigere Regeln zu vereinbaren oder solche einseitig anzuwenden.

Als Bundesstaat hat die Schweiz die Möglichkeit, mehrere Zentrale Behörden zu bestimmen, sie muss jedoch eine Zentrale Behörde benennen, an die Mitteilungen zur Übermittlung an nationale Stellen zu richten sind (Art. 29 Abs. 2 HKsÜ). Diese Zentralen Behörden sind dem Ständigen Büro der Haager Konferenz mitzuteilen (Art. 45 Abs. 1 HKsÜ). Eine solche dezentrale Struktur entspricht den föderalistischen Verhältnissen am besten und wird deshalb in den Artikeln 1 und 2 E-BG-KKE vorgeschlagen.

4.6

Allgemeine und Schlussbestimmungen

Die Behörden des Aufenthaltsstaates oder diejenigen, die eine Schutzmassnahme getroffen haben, können dem Träger der elterlichen Verantwortung auf Antrag eine Bescheinigung mit Beweiskraft über dessen Handlungsberechtigung und über die ihm übertragenen Befugnisse ausstellen (Art. 40 HKsÜ)29. Selbstverständlich sind sämtliche nach dem HKsÜ gesammelten und übermittelten personenbezogenen Daten und Auskünfte vertraulich zu behandeln und nur zum Zwecke des Kindesschutzes zu verwenden (Art. 41 und 42 HKsÜ). Die in Anwendung des HKsÜ ausgestellten oder übermittelten Dokumente sind von jeder Beglaubigungspflicht oder entsprechendem Formzwang befreit (Art. 43 HKsÜ). Die Artikel 46­49 HKsÜ enthalten die sogenannten Bundesstaatsklauseln für Vertragsstaaten, die nicht über ein vereinheitlichtes Rechtssystem verfügen.

Im Bereich der Kindesentführung und der Ausübung von grenzüberschreitenden Besuchsrechten behält das HKÜ Vorrang gegenüber dem HKsÜ (Art. 50). Nur ausnahmsweise und in beschränktem Umfang findet das HKsÜ Anwendung und kann dabei alternativ oder kumulativ angewendet werden. So sind die vom Rückführungsgericht angeordneten dringlichen Schutzmassnahmen (Art. 7 Abs. 3 HKsÜ) im Rückführungsstaat direkt vollstreckbar, bis die dortigen Behörden eigene Massnahmen ergreifen und verfügen (Art. 23 HKsÜ). Das HKsÜ ergänzt und unterstützt das HKÜ ferner in den Bereichen der elterlichen Verantwortung und des persönlichen Verkehrs (Art. 33­35 HKsÜ). Unter Umständen kann ein sorgeberechtigter Elternteil auf dem Weg der Anerkennung und Vollstreckung nach HKsÜ (unter Vorbehalt von Art. 23 Abs. 2 HKsÜ und nach Massgabe von Art. 28 HKsÜ) die Rückführung seines entführten Kindes sogar rascher erwirken als im Rahmen eines Rückfüh-

28 29

P. Lagarde, HKsÜ-Bericht (zit. FN 11), S. 35 N. 152 Siehe Ziff. 6.1

2609

rungsverfahrens nach dem HKÜ, bei dem insbesondere die Ablehnungsgründe der Artikel 12 und 13 HKÜ geprüft werden müssen.

Das HKsÜ ersetzt das MSA, wobei bereits nach dem MSA getroffene Massnahmen jedoch anerkannt werden (Art. 51 HKsÜ). Ferner soll es nicht mit anderen bestehenden oder künftigen internationalen Übereinkünften, namentlich unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, kollidieren (Art. 52 HKsÜ). Die Anwendung des HKsÜ auf Massnahmen und insbesondere seine Zuständigkeitsregeln setzen dessen Inkrafttreten voraus (Art. 53 Abs. 1 HKsÜ). Bereits hängige Verfahren sind nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts weiterzuführen. Die Anerkennung und Vollstreckung getroffener Massnahmen nach Massgabe des HKsÜ setzen das Inkrafttreten des Übereinkommens voraus (Art. 53 Abs. 2 HKsÜ). Die Regelung der Mitteilungssprachen entspricht Artikel 24 HKÜ und dürfte damit ein wesentliches Hemmnis bei der internationalen Zusammenarbeit mindern (Art. 54 HKsÜ). Ein Vertragsstaat kann sich die Zuständigkeit für das in seinem Hoheitsgebiet befindliche Kindesvermögen vorbehalten und muss Schutzmassnahmen eines anderen Vertragsstaates, die sich auf dieses Vermögen beziehen und mit den eigenen Massnahmen unvereinbar sind, nicht anerkennen (Art. 55 HKsÜ). Im Übrigen wird regelmässig eine Spezialkommission der Haager Konferenz für internationales Privatrecht einberufen werden, um die praktische Durchführung des HKsÜ zu prüfen (Art. 56 HKsÜ). Diese Treffen haben sich bereits bei anderen Übereinkommen wie dem HKÜ als sehr wertvoll erwiesen, um die Umsetzung der Bestimmungen zu optimieren.

Die Schlussbestimmungen der Artikel 57­63 HKsÜ enthalten Vorschriften betreffend Ratifikationen und mögliche Erklärungen dazu, Beitritt und Kündigung, Inkrafttreten sowie Pflichten des Depositars.

4.7

Vorbehalte und Erklärungen

Artikel 54 Absatz 2 HKsÜ in Verbindung mit Artikel 60 HKsÜ sieht die Möglichkeit eines Vorbehalts gegen die Verwendung des Französischen oder des Englischen als Korrespondenzsprache vor. Auf die Abgabe einer solchen Erklärung sollte verzichtet werden. Bereits bei der Ratifikation des HKÜ (Art. 24 Abs. 2 i.V.m Art. 42 HKÜ) wurde darauf verzichtet, um die internationale Zusammenarbeit insbesondere in dringlichen Fällen nicht unnötig zu erschweren.

Artikel 55 HKsÜ in Verbindung mit Artikel 60 HKsÜ sieht zwei weitere Vorbehaltsmöglichkeiten vor:30 Nach Artikel 55 Absatz 1 Buchstabe a HKsÜ können sich die Vertragsstaaten die Zuständigkeit ihrer Behörden für Massnahmen vorbehalten, die sich auf das inländische Vermögen des Kindes beziehen. Auf das Anbringen eines solchen Vorbehalts sollte verzichtet werden, da die Ausdehnung der schweizerischen Zuständigkeit zulasten der anderen Vertragsstaaten die Gefahr von Zuständigkeitskonflikten birgt, die das Abkommen gerade vermeiden will. Im Übrigen besteht eine reine Vermögenszuständigkeit in der schweizerischen Gesetzgebung bereits heute nicht und ist auch in Zukunft gegenüber Nichtvertragsstaaten nicht vorgesehen (vgl. E-Art. 85 Abs. 4 IPRG).

30

Die Möglichkeit dieses Vorbehalts wurde vorab auf britischen Wunsch aus sachenrechtlichen Erwägungen eingebracht: P. Lagarde, HKsÜ-Bericht (zit. FN 11), S.40­41 N. 181; K. Siehr, HKsÜ (zit. FN 11), S. 485.

2610

Ferner kann sich ein Vertragsstaat nach Artikel 55 Absatz 1 Buchstabe b HKsÜ das Recht vorbehalten, die elterliche Verantwortung oder eine Massnahme nicht anzuerkennen, die mit einer Massnahme betreffend das Kindesvermögen mit einer von seinen Behörden vorgängig getroffenen Massnahme unvereinbar ist. Dieser von verschiedenen anderen Staaten angebrachte Vorbehalt sollte auch von der Schweiz erklärt werden, da ausländische Gerichtsurteile, die einem schweizerischen Gerichtsurteil widersprechen, nicht vollstreckt werden können.

Zwar könnte die Anerkennung einer ausländischen Massnahme allenfalls auch unter Hinweis auf eine Ordre-public-Verletzung verweigert werden. Dies lässt sich aber schwieriger rechtfertigen, wenn die Konvention die Möglichkeit vorsieht, in derselben Frage einen Vorbehalt anzubringen. Das HKsÜ ermöglicht den direkten gegenseitigen Austausch von sachdienlichen Informationen für den Schutz des Kindes (Art. 34 HKsÜ). Die Vertragsstaaten können jedoch eine Erklärung anbringen, wonach solche Auskunftsersuchen nur über die Zentralen Behörden zu übermitteln sind. Eine solche Einschränkung könnte gerade bei dringlichen Fällen unnötige Verzögerungen bewirken31. Es erscheint daher auch wenig zweckmässig, Behörden zu bestimmen, an die Ersuchen nach den Artikeln 8, 9 und 33 HKsÜ zu richten sind (Art. 44 HKsÜ)32.

5

Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (Haager Erwachsenenschutzübereinkommen, HEsÜ)

5.1

Geltungsbereich

Das HEsÜ enthält Regeln zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht, zur Anerkennung und Vollstreckung sowie zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei Massnahmen zum Schutz hilfsbedürftiger Erwachsener. Das materielle Betreuungsrecht ist nicht Gegenstand des Übereinkommens.

Das HEsÜ33 ist bei internationalen Sachverhalten auf Personen anwendbar, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben und aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen. Dazu zählen das persönliche und gesundheitliche Wohl wie auch vermögensrechtliche Interessen. Es schliesst damit lückenlos an das HKsÜ an. Die schutzbedürftige Person muss weder mündig nach innerstaatlichem Recht noch urteilsunfähig oder gar entmündigt sein34. Der Anwendungsbereich erstreckt sich auch auf Massnahmen, die für eine inzwischen erwachsene Person noch vor Abschluss ihres 18. Lebensjahres getroffen wurden (Art. 2 Abs. 2 HEsÜ). Entscheidendes Anwendbarkeitskriterium ist somit, ob eine von einer staatlichen Behörde getroffene oder veranlasste Massnahme auf den Schutz eines aus persönlichen Gründen hilfsbedürftigen Erwachsenen ausgerichtet ist. Nicht dazu gehören beispielsweise Opfer von Gewalttaten, sofern die erlittenen physischen oder psychi31 32 33

34

P. Lagarde, HKsÜ-Bericht (zit. FN 12), S. 34 N. 145 P. Lagarde, HKsÜ-Bericht (zit. FN 12), S. 36­37 N. 159 Eine aktuelle Bibliografie sowie ein ausführlicher Begleitbericht von Paul Lagarde in deutscher, französischer und englischer Sprache zum HEsÜ finden sich auf www.hcch.net (Konvention Nr. 35), nachfolgend zitiert: P. Lagarde, HEsÜ-Bericht.

Kurt Siehr, Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz Erwachsener, (nachfolgend zitiert: K. Siehr, HEsÜ), RabelsZ Bd 64 (2000), S. 721

2611

schen Verletzungen nicht zeitweilige oder dauerhafte Schutzmassnahmen erforderlich machen.

Das HEsÜ begreift sich als zum HKsÜ komplementär, orientiert sich an seinem Aufbau und sieht in vielen Punkten die gleichen Lösungen vor. Insbesondere strebt es praktisch wörtlich die gleichen Ziele an. Da es jedoch um Massnahmen für und an erwachsenen Menschen geht, möglicherweise sogar gegen deren erklärten Willen, wird in der Präambel ausdrücklich bekräftigt, dass neben ihrem Wohl auch die Achtung ihrer Würde und Selbstbestimmung vorrangig zu berücksichtigen sind. Die Anwendbarkeit des HEsÜ endet grundsätzlich mit dem Tod des geschützten Erwachsenen.

Unterschiede zwischen HEsÜ und HKsÜ ergeben sich daraus, dass Kinder grundsätzlich schutzbedürftig sind, während die Schutzbedürftigkeit Erwachsener die Ausnahme bildet. Der Schutz eines Kindes obliegt vorab den Eltern, während ihnen der Schutz einer erwachsenen Person nur ausnahmsweise überlassen ist. Daraus resultiert im HEsÜ eine leicht andere Gewichtung des Staatsangehörigkeitsprinzips: Während das HKsÜ das Heimatprinzip konsequent zurückgedrängt hat, bleibt nach HEsÜ der Heimatstaat für den Fall zuständig, dass der Aufenthaltsstaat keinen formellen gegenteiligen Entscheid gefällt hat (Art. 7 Abs. 3 HEsÜ). Mit dieser konkurrierenden Zuständigkeit wurde auch berücksichtigt, dass eine ausschliessliche Zuständigkeit der Behörden am Aufenthaltsort die persönliche Freiheit des betroffenen Erwachsenen bedrohen könnte, vor allem dann, wenn er diesen gewöhnlichen Aufenthalt nicht selbst gewählt hat35.

In den Anwendungsbereich des HEsÜ fallen namentlich Entscheidungen über die Handlungsunfähigkeit und die Einrichtung einer Schutzordnung, die Errichtung einer Vormundschaft oder Beistandschaft mit Bestimmung der verantwortlichen Person oder Stelle und deren Aufgabenbereich, eine Fremdplatzierung sowie Massnahmen zum Schutz und Erhalt des Vermögens (lediglich beispielhafte Aufzählung in Art. 3 HEsÜ). Abschliessend aufgeführt sind hingegen diejenigen Bereiche, auf die das HEsÜ nicht anwendbar ist: Unterhaltspflichten36, Ehe und eheähnliche Beziehungen, Trusts und Erbschaften, die soziale Sicherheit, öffentliche Massnahmen allgemeiner Art in Angelegenheiten der Gesundheit sowie Entscheidungen über Asylrecht und Einwanderung (Art. 4 HEsÜ). Die Vertretungsmacht einer
Person oder Stelle, für hilfsbedürftige Erwachsene in diesen Bereichen zu handeln, fällt wiederum unter das HEsÜ. Hinsichtlich der Ehe und eheähnlicher Beziehungen bezieht sich der Ausschluss auf deren Eingehen, Ungültigerklären, Auflösen, Trennen sowie den Güterstand, nicht jedoch auf deren Wirkungen37. Ferner sind nur solche medizinischen und sicherheitspolitischen Massnahmen ausgeschlossen, die aus allgemeinen gesundheitspolitischen Erwägungen heraus beschlossen werden und nicht aus fürsorgerischen Gründen für individuelle Hilfsbedürftige38.

35 36

37 38

P. Lagarde, HEsÜ-Bericht (zit. FN 33) S. 9 N. 5 Zwecks Verhinderung von Widersprüchen, u.a. zum Haager Übereinkommen vom 2. Okt.

1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (SR 0.211.213.01) sowie zum Haager Übereinkommen vom 2. Okt. 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (SR 0.211.213.02).

Andreas Bucher, La Convention de La Haye sur la protection internationale des adultes, SZIER (nachfolgend zit.: A. Bucher, HEsÜ), Bd. 1/2000, S. 41 Gemeint sind beispielsweise Pflichtimpfungen und Sicherungsverwahrungen. Eine Heimplatzierung, insbesondere im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, oder ein medizinischer Eingriff fallen hingegen unter das HEsÜ. Siehe auch A. Bucher, HEsÜ (zit. FN 37), S. 42 ff. sowie K. Siehr, HEsÜ (zit. FN 35), S. 727­728.

2612

Die Vertragsstaaten bleiben grundsätzlich frei, ob und wie sie schutzbedürftigen Erwachsenen beistehen. Sie bestimmen zudem die innerstaatliche Zuständigkeit ihrer Gerichte oder Verwaltungsbehörden, die auch über die allfällige Aufhebung oder Abänderung früher ergangener Kindesschutzmassnahmen für eine inzwischen erwachsene Person zu entscheiden haben (Art. 2 Abs. 2 HEsÜ). Somit können im gleichen Staat verschiedene Behörden mit Massnahmen nach dem HKsÜ und hernach nach dem HEsÜ befasst sein. Dies richtet sich in der Schweiz nach kantonalem Recht.

5.2

Zuständigkeit

Das HEsÜ geht von der grundsätzlichen Hauptzuständigkeit der Behörden oder Gerichte am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erwachsenen aus, lässt jedoch eine konkurrierende subsidiäre Zuständigkeit nach dem Heimatprinzip, dem gelegenen Vermögen sowie Notzuständigkeiten zu (Art. 5 ff. HEsÜ). Mit «Behörden» sind nur staatliche Behörden gemeint, nicht Vereinigungen oder nichtstaatliche Organisationen. Auf eine Definition des Begriffs «gewöhnlicher Aufenthalt» wurde wie beim HKsÜ verzichtet. Gerade Erwachsene können mehrere gewöhnliche Aufenthaltsorte haben, indem sie beispielsweise die Winterzeit regelmässig in wärmeren Gefilden verbringen oder aus beruflichen Gründen «nomadisieren». Mit diesem Sachverhalt hat sich das Übereinkommen nicht befasst. Kann aufgrund der Verweildauer und Verbundenheit kein vorrangiger einzelner Aufenthaltsort ermittelt werden, so ist deshalb derjenige Ort für Schutzmassnahmen massgebend, an dem sich die erwachsene Person nach ihren Gepflogenheiten gerade aufhält und den sie als derzeitigen Lebensmittelpunkt empfindet.

Bei einem grenzüberschreitenden Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts, auch während eines laufenden Verfahrens39, werden die Behörden des neuen Vertragsstaates zuständig, sobald dort ein neuer Aufenthalt begründet wird (Art. 5 Abs. 2 HEsÜ). Bei Flüchtlingen oder Erwachsenen mit nicht feststellbarem Aufenthalt werden hingegen die Behörden desjenigen Vertragsstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die schutzbedürftige Person gerade anwesend ist (Notzuständigkeit nach Art. 6 HEsÜ). Vertreten die Behörden eines (von evtl. mehreren) Heimatstaates die Auffassung, dass sie geeigneter sind, das Wohl ihres Staatsangehörigen zu beurteilen, und handelt es sich hierbei nicht um einen Flüchtling nach Artikel 6 Absatz 1 HEsÜ, so müssen sie vorgängig die eigentlich zuständigen Behörden verständigen, bevor sie Massnahmen zum Schutz der Person oder ihres Vermögens ergreifen dürfen. Die Ausübung dieser stets subsidiären Heimatzuständigkeit kann indes von den bisher zuständigen Behörden in beschränktem Rahmen verhindert werden, insbesondere wenn ein Verfahren bereits anhängig ist, ungeachtet dessen, ob die von beiden Stellen angestrebten Massnahmen die gleiche Angelegenheit betreffen (Art. 7 Abs. 2 HEsÜ). Umgekehrt können die nach den Grundsatzregeln der Artikel 5 und 6 HEsÜ
befassten Behörden in gegenseitiger Absprache die Behörden in anderen Vertragsstaaten um umfassende oder spezifische Schutzmassnahmen ersuchen, wenn ihnen dies dem Wohl des Erwachsenen oder seines Vermögens dienlicher erscheint (Art. 8 HEsÜ). Die Sonderzuständigkeit am Ort des gelegenen Vermögens hat für Erwachsene im Gegensatz zu Kindern eine weitaus 39

K. Siehr, HEsÜ (zit. FN 34), S. 729

2613

grössere praktische Bedeutung (Art. 9 HEsÜ). Analog zum HKsÜ wurde des Weiteren eine konkurrierende, den gewöhnlichen Zuständigkeiten nachgeordnete Notzuständigkeit zur Schadensabwendung in dringenden Fällen vorgesehen, und zwar mit einer freiwilligen Unterrichtung der Behörden am gewöhnlichen Aufenthaltsort (Art. 10 HEsÜ). Der Begriff der Dringlichkeit ist eng auszulegen und gilt namentlich nicht im medizinischen Bereich, ausgenommen bei dringenden chirurgischen Eingriffen40. Schliesslich wurde auch noch eine ebenfalls restriktiv zu handhabende Ausnahmezuständigkeit für bloss einstweilige Anordnungen geschaffen, die sich allein im betreffenden Vertragsstaat auswirken, in dessen Hoheitsgebiet sich die erwachsene Person befindet; sie betrifft allein die Person, nicht deren Vermögen, und verlangt keine Dringlichkeit (Art. 11 HEsÜ). Zu denken ist hierbei an eine zeitweilige Hilfsbedürftigkeit als Folge eines Unfalls, einer Erkrankung oder wegen Drogenmissbrauchs. Alle von einer zuständigen Behörde auch nur vorläufig ergriffenen Massnahmen bleiben in Kraft, selbst wenn die Grundlagen, die deren Zuständigkeit begründeten, aufgrund veränderter Umstände entfallen sind, und zwar so lange, bis die neu zuständigen Stellen abweichende Massnahmen treffen (Art. 12 HEsÜ).

5.3

Anwendbares Recht

Es gilt der Grundsatz, dass die mit dem Schutz einer erwachsenen Person oder deren Vermögen befasste Behörde ihr eigenes, vertrautes Recht anwendet («lex fori»).

Vorbehalten bleibt die ausnahmsweise Berücksichtigung oder Anwendung des Rechts eines anderen Staates, zu dem der Sachverhalt eine enge Verbindung hat (Art. 13 HEsÜ). Ist die in einem Vertragsstaat getroffene Massnahme oder auferlegte Vertretungsaufgabe aber beispielsweise aufgrund eines Aufenthaltswechsels in einem anderen Staat durchzuführen, so bestimmt letzterer die Vollzugsbedingungen (Art. 14 HEsÜ). Der Begriff «Recht» bedeutet das in einem Staat geltende Recht mit Ausnahme des Kollisionsrechts (Art. 19 HEsÜ).

Eine Besonderheit stellt der Fall dar, dass ein Erwachsener einer Person seiner Wahl vorsorglich eine Vertretungsmacht41 einräumt; eine solche ist erst ab dem Zeitpunkt wirksam, da er seine Interessen nicht mehr eigenständig vertreten und schützen kann, mithin also seine Handlungsfähigkeit verliert (Art. 15 HEsÜ). Diese Vollmacht kann in einer Vereinbarung, durch Willenserklärung oder ein einseitiges Rechtsgeschäft erteilt werden und die Betreuung seiner Person und/oder seines Vermögens umfassen. Sofort wirksame Vollmachten fallen nicht in den Regelungsbereich des HEsÜ. Ohne (allerdings nur beschränkt zulässige) schriftliche Rechtswahl entscheidet das Recht des Aufenthaltsstaats im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung über das Bestehen, den Umfang, die Änderung und die Beendigung der eingeräumten Vertretungsmacht. Hinsichtlich der Ausübungsmodalitäten ist hingegen zwingend das Recht des Erfüllungsstaates massgebend, eine Rechtswahl scheidet hier aus. Der Vollmachtgeber kann die Aufgaben seines Vertreters aufteilen und je gesonderten Rechten unterstellen, beispielsweise wenn sich sein Vermögen in verschiedenen Staaten befindet. Nicht alle Staaten kennen diese Art von Vollmacht.

40 41

P. Lagarde, HEsÜ-Bericht (zit. FN 33), S. 46 N. 78 Beispiele: Vermögensverwaltung, Weiterführung bestimmter Rechtsgeschäfte, Verbot des Empfangs einer Blut- oder Organspende, Patientenverfügung, Einsichtsrechte in die Krankengeschichte.

2614

Es obliegt dem Vollmachtgeber sicherzustellen, dass seine Ermächtigung mit allfälliger Rechtswahl gültig erteilt ist, gegebenenfalls aktualisiert und damit später auch wirksam wird. Wird die Vertretungsmacht nicht in einer Weise ausgeübt, die den Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen ausreichend sicherstellt, so kann sie von der zuständigen Behörde geändert oder aufgehoben werden, wobei das hierfür massgebliche Recht so weit wie möglich zu berücksichtigen ist (Art. 16 HEsÜ). Analog zu Artikel 19 HKsÜ wird zur Gewährleistung der Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts auch im Erwachsenenschutzübereinkommen der Schutz gutgläubiger Dritter geregelt, die sich über die Vertretungsbefugnis irrten (Art. 17 HEsÜ).

Die Regeln des HEsÜ über das anwendbare Recht gelten insbesondere auch, wenn das darin bestimmte Recht dasjenige eines Nichtvertragsstaates ist (Art. 18 HEsÜ).

Vorbehalten bleiben ausschliessliche Bezugnahmen auf das Recht eines Vertragsstaates wie zum Beispiel in Artikel 14 HEsÜ. Es gilt der Grundsatz des Ausschlusses der Rück- und Weiterverweisung (Art. 19 HEsÜ). Generell vorbehalten werden zwingende Vorschriften in dem Staat, in dem der Schutz des Erwachsenen zu gewährleisten ist (Art. 20 HEsÜ), sowie offensichtliche Verstösse gegen den Ordre public (Art. 21 HEsÜ).

5.4

Anerkennung und Vollstreckung

Ebenso wie das HKsÜ unterscheidet auch das Erwachsenenschutzübereinkommen zwischen der Anerkennung, der Vollstreckbarerklärung oder Registrierung zwecks Vollstreckung sowie der eigentlichen Vollstreckung42. Die in einem Vertragsstaat getroffenen Massnahmen sind kraft Gesetzes in jedem anderen Vertragsstaat anzuerkennen (Art. 22 Abs. 1 HEsÜ). Formelle Anforderungen wie beispielsweise die Vorlage eines amtlichen Schriftstücks sind nicht vorgesehen. Keinesfalls darf hierbei das von der Herkunftsbehörde angewandte Recht bzw. die Massnahme in der Sache selbst nachgeprüft werden (Verbot der «révision au fond», Art. 26 HEsÜ).

In fünf abschliessend aufgeführten Fällen kann der ersuchte Staat die direkte Anerkennung ausländischer Massnahmen versagen (Art. 22 Abs. 2 HEsÜ), eine Verpflichtung dazu besteht allerdings nicht:

42

­

bei mangelnder Zuständigkeit der Massnahmebehörde (die ersuchte Behörde ist bei der Überprüfung jedoch an die Tatsachenfeststellung gebunden, auf welche die Entscheidungsbehörde ihre Zuständigkeit begründete; Art. 24 HEsÜ);

­

wenn die erwachsene Person in nichtdringlichen Fällen entgegen wesentlichen Verfahrensgrundsätzen nicht angehört wurde;

­

bei offensichtlichem Widerspruch zum Ordre public oder zu zwingendem Recht;

­

bei Unvereinbarkeit mit einer später in einem Nichtvertragsstaat getroffenen anerkennbaren Massnahme; und

­

wenn das obligatorische Konsultationsverfahren bei Unterbringung in einem anderen Vertragsstaat nicht eingehalten wurde.

Sehr zu empfehlen ist die einheitliche Verwendung der von der Haager Konferenz für internationales Privatrecht entworfenen Mustervorlagen (www.hcch.net).

2615

Jede betroffene Person kann einen Antrag auf eine gesonderte (Nicht-)Anerkennung von Massnahmen stellen, um beispielsweise vorsorglich deren Vollziehbarkeit klarzustellen (Art. 23 HEsÜ). Die Frage der Gültigkeit einer Vertretungsvollmacht im Fall einer späteren Handlungsunfähigkeit kann aber nicht auf diesem Weg geklärt werden43.

Macht die in einem Vertragsstaat getroffene Massnahme Vollstreckungshandlungen in einem anderen Vertragsstaat erforderlich, so muss diese Massnahme auf Antrag einer betroffenen Partei in einem einfachen und schnellen Verfahren für vollstreckbar erklärt oder zur Vollstreckung registriert werden (Art. 25 HEsÜ). Ausländische vollstreckbare Entscheidungen sind in allen Vertragsstaaten zu vollstrecken, sofern keine Ablehnungsgründe vorliegen. Diese entsprechen den oben aufgeführten Anerkennungshindernissen (Art. 22 Abs. 2 HEsÜ). Die schliesslich für vollstreckbar erklärten oder zur Vollstreckung registrierten Massnahmen sind von den hierfür zuständigen Behörden des ersuchten Vertragsstaates nach eigenem Recht so zu vollziehen, als seien sie von diesem Staat selber getroffen worden (Art. 27 HEsÜ).

Dabei sind die Grenzen des innerstaatlichen Rechts zu beachten und die im Inland eventuell unbekannten Massnahmen gegebenenfalls zu modifizieren, um deren Vollzug weitest möglich sicherzustellen.

5.5

Internationale Zusammenarbeit und Zentrale Behörden

Die Schweiz wendet das MSA bis anhin sinngemäss auch auf Mündige an (Art. 85 Abs. 2 IPRG). Über die bisherige unbefriedigende Praxis bei der grenzüberschreitenden Umsetzung von Schutzmassnahmen verweisen wir auf die Ausführungen zum HKsÜ (siehe Ziff. 4.5). Zur Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit verpflichtet deshalb auch das Erwachsenenschutzübereinkommen die Vertragsstaaten, eine oder mehrere Zentrale Behörden einzurichten, und auferlegt ihnen eine allgemeine Kooperations- und Informationspflicht im allen Bereichen des HEsÜ (Art. 28 HEsÜ). Ihre Aufgaben entsprechen praktisch wörtlich den Bestimmungen im HKsÜ (Art. 30­31 HKsÜ), allerdings mit dem Unterschied, dass keine Verpflichtung besteht, den Erwachsenenschutz durch Vermittlung, Schlichtung oder ähnliche Mittel zu erleichtern; Bemühungen um eine aussergerichtliche Konfliktbeilegung können und sollten aber weiterhin angeregt werden (Art. 31 HEsÜ). Eine verbindliche Anweisung wurde nicht zuletzt aus Kostenerwägungen fallen gelassen.

Hinsichtlich der Bestellung und der Aufgaben der Zentralen Behörden kann deshalb grundsätzlich auf die Ausführungen zum HKsÜ (siehe Ziff. 4.5) verwiesen werden.

Die Behörden der Vertragsstaaten können einander bei Bedarf um konkrete, sachdienliche Informationen und Hilfe mit Bezug auf eine bestimmte erwachsene Person ersuchen (Art. 32 HEsÜ). Die Mitwirkung bleibt allerdings fakultativ, nicht zuletzt aufgrund innerstaatlicher Schranken beim Datenschutz und bei der beruflichen Schweigepflicht. Die Vertragsstaaten können eine Erklärung abgeben, wonach solche Ersuchen nur über die Zentralen Behörden zu übermitteln sind. Um eine möglichst schnelle und direkte Zusammenarbeit gerade bei dringlichen Schutzmassnahmen zu gewährleisten, ist von einer solchen Erklärung abzusehen. Diese gegenseitige Hilfeleistung dürfte vorab bei einem Umzug eines Schutzbedürftigen oder bei 43

P. Lagarde, HEsÜ-Bericht (zit. FN 33), S. 76 N. 124

2616

der Prüfung seiner Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung in einem anderen Vertragsstaat von grosser praktischer Bedeutung sein. Im zweiten Fall ist sogar eine Vorkonsultation vorgeschrieben (Art. 33 HEsÜ). Wird dieses Verfahren nicht durchgeführt, so kann der ersuchte Staat die Anerkennung der Unterbringungsmassnahme verweigern (Art. 22 Abs. 2 Bst. e HEsÜ). Bemerkenswert ist die Abweichung gegenüber dem HKsÜ: Die Entscheidung über die Unterbringung setzt voraus, dass die Zentrale Behörde oder eine andere zuständige Behörde des Aufnahmestaats nicht innerhalb einer angemessenen Frist Widerspruch einlegt. Im HKSÜ wird stattdessen eine ausdrückliche Zustimmung verlangt (Art. 33 Abs. 2 HKsÜ).

Hat ein Vertragsstaat Massnahmen zum Schutz eines sich in schwerer Gefahr befindlichen Erwachsenen erwogen oder getroffen und zieht dieser in einen anderen Staat, so sind die Behörden verpflichtet, die zuständigen Stellen des anderen Staates über die Gefahr und über allfällige Massnahmen zu unterrichten. Die Mitteilungspflicht gilt auch, wenn sich der Erwachsene in einem Nichtvertragsstaat aufhält.

Selbstverständlich darf der Informationsaustausch unter den Behörden keinesfalls die Person oder das Vermögen der hilfsbedürftigen Person, beispielsweise eines Flüchtlings, gefährden (Art. 35 HEsÜ).

Die Zentralen Behörden und die anderen staatlichen Behörden haben die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben anfallenden Kosten selber zu tragen, dürfen jedoch für erbrachte Dienstleistungen eine angemessene Kostenvergütung verlangen (Art. 36 HEsÜ). Dazu gehören neben Infrastrukturkosten der Aufwand für die Übermittlung, Recherchen, Aufenthaltsortsermittlung, Bemühungen um eine gütliche Einigung und Massnahmevollzugskosten. Mit «staatlichen Behörden» sind die Verwaltungsbehörden der Vertragsstaaten gemeint und nicht die Gerichte. Damit fallen Prozess- und Anwaltskosten nicht unter diese Bestimmung44. Die Vertragsstaaten können untereinander Absprachen zur Erleichterung ihrer Zusammenarbeit treffen, insbesondere über die Kostenaufteilung (Art. 37 HEsÜ). Bei einer Kostenbeteiligung ist die Diskriminierung ausländischer Betroffener gegenüber inländischen Hilfsbedürftigen auszuschliessen.

5.6

Allgemeine und Schlussbestimmungen

Jeder, dem der Schutz der Person oder des Vermögens eines Erwachsenen anvertraut wurde, kann eine Bescheinigung seiner Handlungsberechtigung und seiner Befugnisse beantragen, damit er sich in allen anderen Vertragsstaaten wirkungsvoll legitimieren kann (Art. 38 HEsÜ)45. Die Ausstellung ist zwar fakultativ, aber in der Praxis zweifellos von Bedeutung. In diesem Dokument muss nicht unterschieden werden, ob die Vertretungsmacht vom Erwachsenen selber übertragen wurde oder ob es sich um eine behördliche Schutzmassnahme handelt. Die Befugnisse können auch negativ definiert werden, indem sie ausdrücklich beschränkt oder ausgeschlossen werden. Die Bescheinigung darf nur von Behörden des Vertragsstaates ausgestellt werden, in dem die Massnahme angeordnet bzw. eine Ermächtigung bestätigt wurde. Eine Zuständigkeit der Behörden am gewöhnlichen Aufenthalt wie beim Kindesschutzübereinkommen (Art. 40 HKsÜ) ist nicht vorgesehen. Der Grund liegt 44 45

P. Lagarde, HEsÜ-Bericht (zit. FN 33), S. 76 N. 142 Siehe Ziff. 6.1

2617

darin, dass der Zuständigkeit der Behörden am gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht derart vorrangige Bedeutung zukommt wie im HKsÜ und damit die Gefahr widersprüchlicher Bescheinigungen durch Behörden verschiedener Staaten vermindert wird. Die Bescheinigung hat zwar nur beschränkte Beweiswirkung, doch wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass vom Zeitpunkt der Bescheinigung an die darin aufgeführten Befugnisse bestehen (Art. 38 Abs. 2 HEsÜ). Haben sich indes die Vertretungsbefugnisse danach geändert oder wurden sie aufgehoben, so geniesst der gutgläubige Dritte bei Rechtsgeschäften mit Handlungsbevollmächtigten nur noch einen beschränkten Schutz mit Bezug auf das Ausstellungsdatum der Bescheinigung und nach Massgabe von Artikel 17 HEsÜ. Aufgrund des steten Risikos einer erfolgreichen Anfechtung obliegt es der Drittperson sicherzustellen, dass die bescheinigten Befugnisse auch weiterhin bestehen.

Sämtliche nach dem Erwachsenenschutzübereinkommen gesammelten und übermittelten Daten, insbesondere auch elektronisch gespeicherte, sind vertraulich zu behandeln (Art. 39 und 40 HEsÜ). Alle verwendeten Schriftstücke sind von der Beglaubigungspflicht befreit (Art. 41 HEsÜ). Dazu zählen insbesondere schriftliche Auskünfte, Gerichts- und Behördenentscheidungen sowie Bescheinigungen nach Artikel 38 HEsÜ.

Jeder Vertragsstaat kann die Behörden bestimmen, an welche die Entscheidungszuständigkeit im Falle einer Unterbringung (Art. 33 HEsÜ) oder aufgrund der besseren Eignung (Art. 8 HEsÜ) übertragen werden soll. Eine Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht. Des Weiteren wird geregelt, dass das HEsÜ nicht auf innerstaatlichen Kollisionen anwendbar ist und was gilt, wenn ein Vertragsstaat verschiedene Rechtssysteme46 kennt (Art. 44­47 HEsÜ). Das HEsÜ lässt andere internationale Übereinkünfte unberührt47 und belässt den Vertragsstaaten die Möglichkeit, untereinander weitere Vereinbarungen in diesem Bereich zu treffen (Art. 49 HEsÜ).

Gemäss den Übergangsbestimmungen des HEsÜ gilt das Übereinkommen nur für Schutzmassnahmen, die nach seinem Inkrafttreten im anordnenden Staat getroffen worden sind; sie brauchen in anderen Staaten nur anerkannt zu werden, wenn sie nach Inkrafttreten zwischen dem anordnenden und dem ersuchten Vertragsstaat angeordnet wurden (Art. 50 HEsÜ). Jede Mitteilung ist in der Originalsprache
des Herkunftsstaates zu übermitteln, begleitet von einer Übersetzung in die Amtssprache des Empfangsstaates mit einem möglichen Vorbehalt zugunsten einer englischen und/oder französischen Übersetzung (Art. 51 HEsÜ). Auch beim HEsÜ soll in regelmässigen Spezialkommissionen die praktische Durchführung des Übereinkommens überprüft und gegebenenfalls verbessert werden (Art. 52 HEsÜ).

Die Schlussbestimmungen betreffen die Ratifikationen, Beitritte, Vorbehaltserklärungen, das Inkrafttreten und die Kündigung des Übereinkommens sowie die Notifizierungspflichten des Depositars (Art. 53­59 HEsÜ).

46 47

Zum Beispiel Grossbritannien, Spanien und die USA Es ersetzt auch das Haager Übereinkommen vom 17. Juli 1905 über die Entmündigung und gleichartige Fürsorgemassregeln, das von der Schweiz nie unterzeichnet wurde (Art. 48 HEsÜ).

2618

5.7

Vorbehalte und Erklärungen

Artikel 51 Absatz 2 HEsÜ in Verbindung mit Artikel 56 HEsÜ sieht die Möglichkeit eines Vorbehaltes gegen die Verwendung des Französischen oder des Englischen als Korrespondenzsprache vor. Auf die Abgabe einer solchen Vorbehaltserklärung sollte wie beim HKsÜ (vgl. Ziff. 4.7) verzichtet werden. Es besteht kein Grund, beim HEsÜ anders zu entscheiden als beim HKsÜ.

6

Das Bundesgesetz über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (BG-KKE)

6.1

Zentrale Behörden des Bundes und der Kantone (Art. 1­2)

HKsÜ und HEsÜ sehen die Einrichtung Zentraler Behörden und die internationale Zusammenarbeit von Behörden in Fragen des Kindes- und Erwachsenenschutzes vor. Als Bundesstaat hat die Schweiz die Möglichkeit, mehrere Zentrale Behörden zu bestimmen; sie muss jedoch eine Zentrale Behörde benennen, an welche Mitteilungen zur Übermittlung an nationale Stellen zu richten sind (Art. 29 Abs. 2 HKsÜ).

Diese Zentralen Behörden sind dem Ständigen Büro der Haager Konferenz mitzuteilen (Art. 45 Abs. 1 HKsÜ).

Da in der Schweiz ausschliesslich kantonale und kommunale Behörden materiell mit dem Kindes- und Erwachsenenschutz befasst sind, sollen ­ wie in Artikel 2 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 2001 zum Haager Adoptionsübereinkommen und über Massnahmen zum Schutz des Kindes bei internationalen Adoptionen (BG-HAÜ, SR 211.221.31) ­ für das HKsÜ und das HEsÜ (nicht aber für das ESÜ und HKÜ) Zentrale Behörden in den Kantonen eingerichtet werden. Sie haben namentlich die grenzüberschreitende Übermittlung von Mitteilungen und Dokumenten an die im In- und Ausland direkt befassten Behörden und Gerichte sowie den gegenseitigen Meinungsaustausch zu sichern und gleichzeitig nach innen die Koordination der materiell mit dem Kindes- und Erwachsenenschutz befassten kantonalen und kommunalen Behörden zu fördern. Für die eigentlichen Kindesschutzbehörden und die Gerichte bietet das HKsÜ (ebenso wie das HEsÜ) zur Verfahrensbeschleunigung die Möglichkeit der direkten Kommunikation mit einem klar bezeichneten Ansprechpartner im Ausland, sei es um sich beispielsweise über die Zuständigkeit zu einigen, notwendige Informationen für die Beurteilung von Kindesschutzmassnahmen oder die Zuteilung der elterlichen Sorge einzuholen, einen Bericht über ein Kind im Ausland zu verlangen oder auch nur die Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit einer Massnahme zu prüfen. Ihnen verbleibt grundsätzlich auch die Zuständigkeit für die im Übereinkommen vorgesehenen Verfahren der (fakultativen) Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Schutzmassnahmen sowie der grenzüberschreitenden Unterbringung.

Der Zentralen Behörde des Bundes wird eine Koordinationsrolle und Drehscheibenfunktion zugedacht. Nicht nur beim MSA und HAÜ, sondern auch zur Behandlung internationaler Kindesentführungen und grenzüberschreitender Besuchsrechtskonflikte
im Rahmen des HKÜ und ESÜ agiert bereits eine Zentrale Behörde des Bundes im Bundesamt für Justiz (Dienst für internationalen Kindesschutz). Es erscheint 2619

daher sachgerecht, dieser Stelle zusätzlich die mit der Ratifikation des HKsÜ und EKsÜ anfallenden Informations- und Koordinationsaufgaben im internationalen Verkehr zu überbinden und diese Stelle auch mit der Vertretung der Schweiz namentlich bei internationalen Treffen zu beauftragen, wie dies bereits im Rahmen des HKÜ, des ESÜ sowie des HAÜ der Fall ist. Diese Stelle ist des Weiteren als Anlaufstelle für ausländische Zentrale Behörden und Amtsstellen vorzusehen, die um Weiterleitung von Mitteilungen oder um Auskünfte zum schweizerischen Recht und zu spezialisierten schweizerischen Behörden und Institutionen ersuchen. Ausserdem hat sie die Zentralen Behörden der Kantone im Rahmen einer Beratungsund Koordinationsfunktion zu unterstützen, wie es sich bereits im Zusammenhang mit der Umsetzung des HAÜ bewährt hat, und insbesondere für eine einheitliche Anwendung der neuen Übereinkommen besorgt zu sein. Mit konkreten Massnahmeverfahren ist die Zentrale Behörde des Bundes aber nur am Rande befasst; diese bleiben grundsätzlich Sache der zuständigen kantonalen Behörden.

Das HKsÜ (Art. 40 HKsÜ) wie auch das HEsÜ (Art. 38 HEsÜ) stellen es den Behörden der Vertragsstaaten frei, auf Antrag eine Bescheinigung über eine Handlungsberechtigung auszustellen. Ein solches Dokument48 dürfte angesichts der zunehmenden Mobilität unserer Gesellschaft, insbesondere auch beim grenzüberschreitenden Besitz von Vermögenswerten, praktische Bedeutung erlangen. Es erscheint deshalb zweckmässig, wenn die Kantone zur Erleichterung der Antragsstellung eine oder mehrere zuständige Behörden bestimmen.

6.2

Fachpersonen und Institutionen (Art. 3)

Die Zentrale Behörde des Bundes soll in Zusammenarbeit mit den Kantonen für Fachpersonen und qualifizierte Institutionen sorgen, die insbesondere in Kindesentführungsfällen zur Beratung, Vermittlung und Mediation (Art. 7 Abs. 2 Bst. c HKÜ, Art. 31 Bst. b HKsÜ) oder als Kinderrechtsvertreter beigezogen werden können. Es geht nicht darum, dass der Bund die Ausbildung des Personals von Beratungsstellen oder Mediatorinnen und Mediatoren finanziert, sondern eine Art Netzwerk aus bestehenden Institutionen und Fachpersonen aufbaut und unterhält sowie für einen Erfahrungsaustausch besorgt ist. Die Zentrale Behörde des Bundes kann diese Aufgabe auch einer geeigneten privaten Stelle übertragen (Abs. 2). Die geschätzten Kosten dafür dürften im Bereich von jährlich rund 30 000 Franken liegen und würden nebst dem Aufbau und Unterhalt von einer Art Netzwerk auch einige Vermittlungen in Einzelfällen, eventuell sogar bei Entführungen aus der Schweiz oder aus und in Nichtvertragsstaaten des HKÜ und des ESÜ einschliessen.

Im Einzelfall geht es darum, in einer ersten Phase die Kontakte mit allen kooperationsbereiten Beteiligten und den geeigneten Fachpersonen im In- und Ausland herzustellen und anschliessend eine gründliche Situations- und Konfliktsanalyse vorzunehmen, die es erlaubt, die im konkreten Fall aufgetretenen Kernprobleme zu identifizieren. Darauf kann in einer zweiten Phase die eigentliche Beratung, Vermittlung oder Mediation aufbauen, die auch die mit dem Konflikt befassten in- und ausländischen Behörden und Gerichte miteinbeziehen kann. Die Expertinnen und 48

Es empfiehlt sich die einheitliche Verwendung eines Formulars, zum Beispiel nach der von der Haager Konferenz für internationales Privatrecht entworfenen Zertifikatsvorlage (www.hcch.net).

2620

Experten des Netzwerks sollen auch nach Verfahrensabschluss bei nachträglich auftauchenden Unklarheiten und Zwistigkeiten zur Verfügung stehen und so die Nachhaltigkeit einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung ermöglichen.

6.3

Vermittlungsverfahren oder Mediation (Art. 4)

Auseinandersetzungen um Kindesrückführungen sind für alle Beteiligten sehr belastend und können langwierige, kostspielige Verfahren auslösen. Eine rasche, einvernehmliche und nachhaltige Konfliktbeilegung hat nicht zuletzt aus Kindeswohlerwägungen Priorität. Die Initiative kann von der Zentralen Behörde ausgehen. Sie wird allerdings in vielen Fällen dem Gericht obliegen, sobald dieses das Gesuch um Rückführung erhält (entweder über die Zentrale Behörde oder direkt von den Gesuchstellenden, Art. 8 Abs. 1).

Grosses Gewicht ist auf die aktive Teilnahme aller Beteiligten zu legen. Auch das Kind ist einzubeziehen. Schwierig dürfte es manchmal sein, auch die in einem allenfalls weit entfernt gelegenen Staat wohnende gesuchstellende Person zu bewegen, in die Schweiz zu kommen (z. B. hohe Reisekosten, Abwesenheit vom Arbeitsplatz). Neben hohen Reisekosten können für solche Personen auch Befürchtungen, in ein Strafverfahren verwickelt zu werden (Strafanzeige wegen unterlassener Alimentenzahlungen, Vorwurf der Misshandlung des Kindes usw.), hemmend wirken. Ihre Gegenwart würde jedoch die Regelung der Angelegenheit meist erleichtern, auch wenn heute gute Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen (z.B.

Videokonferenz). Soweit möglich sind solche Hindernisse zu klären (insbesondere Prüfung des freien Geleits durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden); in Ausnahmesituationen ist sogar eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, zumal eine gütliche Einigung eine wesentliche Einsparung namentlich von Gerichts- und Anwaltskosten zur Folge hat.

6.4

Rückführung und Kindeswohl (Art. 5)

Um eine kindesgerechtere Anwendung des HKÜ zu gewährleisten, erweist es sich als notwendig, dass der Gesetzgeber eine der Fallkategorien klarstellt, in denen es nicht mehr zur Rückführung des entführten Kindes kommen soll, da diese das Kind in eine offensichtlich unzumutbare Lage bringen würde. Die Regelung in Artikel 5 soll Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe b HKÜ nicht ersetzen. Mit dem Wort «insbesondere» wird darauf hingewiesen, dass es sich nur um einen, wenn auch wichtigen Anwendungsfall handelt, der im Übrigen die Berufung auf die staatsvertragliche Regel nicht hindert.

Die Klarstellung bezieht sich auf Fälle, in denen die Unterbringung bei dem den Antrag auf Rückführung stellenden Elternteil offensichtlich nicht dem Wohl des Kindes entspricht (Art. 5 Bst. a). Trifft das nicht zu, insbesondere dann, wenn es sich bei der gesuchstellenden Person um den allein für die elterliche Sorge verantwortlichen Elternteil handelt oder wenn diese für die Übertragung einer solchen Verantwortung in Frage kommt, so ist grundsätzlich nicht damit zu rechnen, dass das Kind bei der Rückkehr in eine unzumutbare Lage versetzt würde; dann besteht aber auch kein Grund, die Rückführung zu verweigern. Die Situation ist anders, wenn für das

2621

Gericht offensichtlich ist, dass die das Gesuch stellende Person nicht in der Lage ist, das Kind zu betreuen.

Stellt die Aufnahme des Kindes bei der gesuchstellenden Person offensichtlich keine Option dar, so stellt sich die Problematik einer allfälligen Rückkehr des Kindes in den Herkunftsstaat anders dar, je nachdem, ob die entführende bzw. das Kind zurückhaltende Person (sehr oft die Mutter) in der Lage ist, ebenfalls dorthin zurückzukehren oder nicht (Art. 5 Bst. b). Muss diese Frage verneint werden, weil der entführende Elternteil zum Beispiel in jenem Staat mit einer Gefängnisstrafe zu rechnen hat, die eine Trennung vom Kind nach sich zieht, oder weil eine sehr enge Familienbeziehung zur Schweiz besteht (z. B. als Folge einer Eheschliessung oder der Notlage eines hier lebenden andern Familienmitglieds), so kann sich die Lage für das psychische und physische Gleichgewicht des Kindes als gefährlich erweisen, müsste doch das Kind in einem solchen Fall bei der Rückkehr von beiden Eltern getrennt leben. Eine solche Trennung des Kindes von beiden Eltern kann nur in Extremfällen tragbar sein und stellt eine eigentliche ultima ratio dar.

Eine zweite Gruppe von Fällen, in denen die Rückführung des Kindes nur in Verbindung mit seiner Beziehung zum entführenden Elternteil beurteilt werden kann, betrifft Situationen, in denen es dem entführenden Elternteil unter Würdigung der gesamten Umstände offensichtlich nicht zugemutet werden kann, das Kind im Staat zu betreuen, in dem es unmittelbar vor der Entführung gelebt hat (Art. 5 Bst. b). Es reicht nicht aus, dass der entführende bzw. das Kind zurückbehaltende Elternteil lediglich erklärt, dass er sich weigere, dorthin zurückzukehren. Es muss sich um eine Notsituation handeln, in der vernünftigerweise von ihm nicht zu erwarten ist, dass er an seinen bisherigen Lebensort zurückgeht, um mit dem Kind dort die vom Gericht zu beschliessende definitive Regelung der elterlichen Sorge abzuwarten. Zum einen ist diesbezüglich an Fälle zu denken, in denen einer Mutter bei der Rückkehr keine sichere und finanziell tragbare Aufnahme ausserhalb der Wohnung des ehemaligen Lebenspartners gewährleistet werden kann. Zum andern sind hier aber auch die Fälle relevant, in denen es offensichtlich ist, dass die die Rückführung verlangende Person das Sorgerecht nicht übernehmen
noch gerichtlich zugesprochen erhalten wird, während es sich bei der entführenden Partei eindeutig um die für das Kind primär Sorge tragende Person handelt. In einem solchen Fall würde die Rückführung in der Regel darauf hinauslaufen, dass das Kind nur deshalb in den Herkunftsstaat zurückgeführt werden muss, um dort die definitive Zuteilung der elterlichen Sorge an den entführenden Elternteil abzuwarten und alsdann mit diesem wieder in die Schweiz zurückzukehren. Ein solches Hin und Her erfolgt einzig zum Zwecke einer überspitzten Unterwerfung unter die Zuständigkeit der Behörden des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts. Das Haager Übereinkommen deckt nach seinem Sinn und Zweck eine solche mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbarende Lösung nicht. Indessen muss die Situation für das in der Schweiz mit dem Rückführungsgesuch befasste Gericht offensichtlich sein. Ist der Sachverhalt nicht eindeutig, so ist die Rückkehr des entführenden Elternteils in den Herkunftsstaat als zumutbar zu beurteilen, mit der Folge, dass in dieser Hinsicht keine für das Kind unzumutbare Lage eintritt, die den Verweigerungsgrund nach Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe b HKÜ erfüllen würde.

Würde die Rückführung des Kindes eine Trennung von der entführenden bzw.

zurückhaltenden Partei mit sich bringen (weil die Rückkehr für diese nicht möglich oder nicht zumutbar ist), so liesse sie sich vernünftigerweise nur durchführen, wenn das Kind bei der Rückkehr neu von Drittpersonen zur Pflege aufgenommen werden 2622

kann. Eine solche Lösung soll aber nur angestrebt werden und damit zur Rückführungsanordnung durch das schweizerische Gericht führen, wenn sie nicht offensichtlich dem Wohl des Kindes widerspricht (Art. 5 Bst. c). Diese dritte Voraussetzung setzt voraus, dass die Trennung vom in der Schweiz verbleibenden Elternteil für das Kind tragbar ist, was etwa dann der Fall sein kann, wenn die Beziehung zu diesem Elternteil auch konfliktbeladen ist und wenn andererseits die zur Aufnahme bereite Pflegefamilie für den Schutz und die Entwicklung des Kindes beste Gewähr bietet.

Es bleibt aber dabei, dass eine solche Lösung nur als Ultima Ratio in Frage kommen darf.

Eine kindeswohlgerechte Rückführung und namentlich die in Artikel 13 HKÜ genannten Voraussetzungen setzen in verschiedener Hinsicht Kenntnisse über die Situation und die Rechtslage im Herkunftsstaat voraus. Für die Ermittlung des Sachverhalts trifft die Parteien und insbesondere die beiden Eltern eine Mitwirkungspflicht. Die gesetzlich vorgesehene persönliche Anhörung durch das Gericht (Art. 9 Abs. 1­2) ist hiefür von grosser Bedeutung. Die neuen Bestimmungen über das Verfahren und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden im Herkunftsstaat sind ebenfalls sehr wichtig. Das Gericht soll sich vergewissern, ob und wie die Rückführung des Kindes vollzogen werden kann (Art. 10 Abs. 2). Wenn ihm das nicht oder nur teilweise gelingt, so ergeben sich daraus mittelbar Auswirkungen auf die Einschätzung der Folgen einer allfälligen Rückführung für das Kind. Ähnlich kann es sich verhalten, wenn von den lokalen Behörden im Herkunftsstaat keine tragfähigen Zusicherungen betreffend die Aufnahme und den Schutz des Kindes zu erhalten sind, insbesondere wenn berechtigte Zweifel an der Fähigkeit der gesuchstellenden Person bestehen, selbst die Betreuung des Kindes zu übernehmen. Die entsprechende Vorschrift in Artikel 10 steht insofern in direktem Zusammenhang mit der praktischen Anwendung von Artikel 5.

6.5

Schutzmassnahmen (Art. 6)

Das Gericht regelt soweit erforderlich auch das Besuchsrecht des im Herkunftsstaat verbliebenen Elternteils für die Dauer des Rückführungsverfahrens. Dieser erste Kontakt dient auch der Vertrauensbildung gegenüber dem Gericht und kann die spätere Einleitung von Vermittlungsgesprächen erleichtern.

Ist ein widerrechtlich in die Schweiz verbrachtes oder in der Schweiz zurückbehaltenes Kind physisch und/oder psychisch gefährdet, riskiert es, versteckt bzw. in ein Drittland verschleppt zu werden, oder droht beispielsweise aufgrund der Zerstrittenheit der Parteien ein langwieriges, für das Kind unnötig belastendes Verfahren bis hin zu einer Zwangsrückführung, so sollten rasch alle erforderlichen Schutzvorkehren ergriffen oder veranlasst werden.

Das Gericht ist daher nebst der Regelung des persönlichen Verkehrs während der Dauer des Verfahrens und der Ernennung einer Kinderrechtsvertreterin oder eines Kinderrechtsvertreters generell für den Erlass von Schutzmassnahmen, insbesondere auch vorsorglicher Massnahmen zum Schutz des Kindes, zuständig (Art. 6 Abs. 1).

In gewissen Fällen kann es sich als sinnvoll erweisen, dass dem Kind ein Verfahrensbeistand bestellt wird (Art. 9 Abs. 3) oder andere Schutzmassnahmen getroffen werden, obwohl noch kein Gesuch um Rückführung beim in Entführungssachen zuständigen kantonalen Gericht eingereicht worden ist. Handelt es sich um einen 2623

Entführungsfall, der zur Kenntnis der Zentralen Behörde gelangt ist, so soll diese solche Massnahmen beim Gericht beantragen können, ebenso wie die betroffenen Parteien (Art. 6 Abs. 2). Das würde es vor allem erlauben, dass das Kind in einem Vermittlungsverfahren oder einer Mediation, die von der Zentralen Behörde veranlasst wird, über eine Vertretung verfügt, die seine Interessen wahren kann.

6.6

Zuständiges Gericht (Art. 7)

Die nach Kindesentführungen oft zu lange Dauer der meist über mehrere Instanzen geführten Gerichts- und Vollstreckungsverfahren widerspricht dem Beschleunigungsgebot (Art. 2 und 11 Abs. 2 HKÜ, Art. 14 ESÜ) und einem möglichst kindeswohlgerechten Vorgehen. In den Kantonen soll deshalb nur noch eine einzige Instanz zur Verfügung stehen (Art. 7 Abs. 1). Da Verfahren im Rahmen des HKÜ und des ESÜ an das Bundesgericht weitergezogen werden können, muss es sich um die kantonale Rechtsmittelinstanz (Obergericht, Kantonsgericht) handeln49.

Die Zuständigkeit dieser kantonalen Instanz umfasst alle Entscheide, die in Bezug auf ein widerrechtlich in die Schweiz verbrachtes oder hier zurückbehaltenes Kind zu treffen sind. Neben der Beurteilung des Rückführungsgesuchs gehören dazu auch alle notwendigen Schutzmassnahmen, einschliesslich der Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen Eltern und Kind während des Verfahrens und bis zum Abschluss eines allfälligen Vollstreckungsverfahrens, der Ernennung eines Kindesbeistands, sowie die Entscheide betreffend die Vollstreckung der Rückführung. Wird das kantonale Urteil an das Bundesgericht weitergezogen, so ist dieses für die Dauer des Beschwerdeverfahrens für Schutzmassnahmen zuständig (Art. 104 BGG). Die vom Bundesgericht gewünschte Abweichung vom Grundsatz der Einheit des Beschwerdeverfahrens ist nicht angezeigt, zumal dies eher zu einer Komplizierung und Verlängerung des in der Regel höchstens sechs Wochen dauernden Verfahrens führen könnte. Das kantonale Gericht ist für Anträge gestützt auf die Artikel 14 und 15 zuständig. Wurde der Antrag endgültig abgewiesen, so geht die Zuständigkeit für Kindesbelange auf die ordentlichen Gerichte über.

Die örtliche Zuständigkeit liegt im Kanton des Aufenthalts des Kindes (Art. 7 Abs. 1). Es gilt auch hier der Grundsatz, dass eine einmal erstellte Zuständigkeit durch die Verlegung des massgebenden Anknüpfungsfaktors nicht wegfällt («perpetuatio fori»). In gewissen Fällen kann sich das als wenig praktisch erweisen, vor allem wenn sich der neue Aufenthaltsort des Kindes in einem andern Landesteil befindet. Es soll dem zuständigen Gericht deshalb möglich sein, das am neuen Aufenthaltsort zuständige Gericht anzufragen, ob es bereit ist, den Fall zu übernehmen. Ist die Antwort positiv, und sind auch die Parteien mit einer Übertragung
an das Gericht des neuen Aufenthaltsorts einverstanden, so kann das Verfahren an dieses Gericht abgetreten werden (Art. 7 Abs. 2).

Die Möglichkeit, einen Fall mit dem Einverständnis der Parteien und des ersuchten Gerichts in einen andern Kanton zu verlegen, steht auch dann offen, wenn es sich um einen hochkomplexen Fall handelt, für den das zuständige Gericht nicht über das nötige Fachwissen verfügt. In solchen Fällen kann der Fall an das zuständige Gericht

49

Vgl. Art. 75 Abs. 2 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG), das am 1.1.2007 in Kraft getreten ist (SR 173.110).

2624

eines Nachbarkantons abgegeben werden, wenn dort mehr Fachwissen vorhanden ist und dieses Gericht und die Parteien der Verschiebung zustimmen (Art. 7 Abs. 2).

6.7

Gerichtsverfahren (Art. 8)

Das Gericht hat im Hinblick auf eine rasche und einvernehmliche Konfliktbeilegung ein Vermittlungsverfahren oder eine Mediation einzuleiten, sofern dies von der Zentralen Behörde des Bundes noch nicht veranlasst wurde (Art. 8 Abs. 1). In der Gestaltung des Vermittlungsverfahrens oder der Mediation haben sich die Betroffenen an die behördlichen Vorgaben und an die in der Praxis eingeübten Verhandlungsweisen zu halten. Dabei ist auf die Verletzlichkeit des Kindes und die emotionale Anspannung der Parteien, insbesondere der Eltern, besonders Rücksicht zu nehmen. Im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot des Haager Übereinkommens (nach Möglichkeit sollte das gesamte Verfahren innerhalb von 6 Wochen abgeschlossen sein, vgl. Art. 11 HKÜ) sind für diese Bemühungen vom Gericht Zeitvorgaben zu machen. Das Gericht wird über den Abschluss dieser Bemühungen informiert. Tatsächliche Erkenntnisse oder Meinungsäusserungen der Beteiligten dürfen dem Gericht nur weitergegeben werden, soweit die Beteiligten damit einverstanden sind.

Schlägt der Versuch der Vermittlung oder Mediation fehl, so beginnt das eigentliche gerichtliche Erkenntnisverfahren, das nach Massgabe des Beschleunigungsgebots (Art. 11 Abs. 2 HKÜ; Art. 14 ESÜ) in einem beschleunigten Verfahren abzuschliessen ist. Im Hinblick auf das Inkrafttreten der eidgenössischen ZPO ist dafür das summarische Verfahren vorgesehen (Art. 8 Abs. 2; vgl. auch Art. 297 Bst. a E-ZPO).

Gesuchstellende Personen können auch direkt an die Gerichte gelangen, ohne die Zentralen Behörden im In- und Ausland in Kenntnis zu setzen (Art. 29 HKÜ). Die Zentrale Behörde des Bundes kann ihre Funktion als Kontaktstelle für Beratung, Information und Vermittlung nur richtig ausüben, wenn sie auch über Hängigkeit und Ablauf von gerichtlichen Verfahren regelmässig informiert wird. Deshalb muss das Gericht ihr über die wesentlichen Verfahrensschritte Auskunft geben und ihr auch den Entscheid mitteilen (Art. 8 Abs. 3). Mit Bezug auf Verfahren nach dem HKÜ kann die Zentrale Behörde von sich aus oder auf Begehren der Zentralen Behörde des Herkunftsstaates nach einer Darstellung der Gründe verlangen, die es nicht erlaubt haben, den Fall innerhalb der Frist von sechs Wochen abzuschliessen (Art. 11 Abs. 2 HKÜ). Sie verfügt auch über das Recht, am kantonalen Verfahren insoweit teilzunehmen, als der Entscheid die ihren Aufgabenbereich betreffende Bundesgesetzgebung verletzen könnte (Art. 111 Abs. 2 BGG).

6.8

Anhörung und Vertretung des Kindes (Art. 9)

Das Gericht hört die Parteien so weit wie möglich persönlich an (Art. 9 Abs. 1).

Dem im Ausland lebenden gesuchstellenden Elternteil ist die Reise in die Schweiz zu erleichtern, allenfalls auch finanziell. Die Gegenwart beider Parteien kann für das Verständnis der Situation des Kindes entscheidend sein. Der weit entfernt im Ausland lebenden gesuchstellenden Person soll so weit wie möglich eine zweimalige Einreise in die Schweiz erspart bleiben. Das Verfahren ist deshalb so zu gestalten, 2625

dass im Falle eines negativen Abschlusses der Vermittlungsversuche das Erkenntnisverfahren unverzüglich mit der Anhörung der Parteien aufgenommen werden kann.

Das Kind ist von Amtes wegen anzuhören (Art. 9 Abs. 2), soweit nicht das Alter oder andere wichtige Gründe dagegen sprechen. Im Übrigen ist für die Durchführung der Anhörung und allfällige Ausnahmen von der Anhörung die Praxis zu beachten, die sich im Zusammenhang mit den Artikeln 144 Absatz 2 und 314 Ziffer 1 ZGB herausgebildet hat. Das Gericht kann erfahrene Fachpersonen (z. B. nach Art. 3) mit der Anhörung beauftragen.

Das Gericht hat dem Kind eine Vertretung zu ernennen (Art. 9 Abs. 3). Als Beiständin oder Beistand ist eine in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person zu bezeichnen, die auch Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen kann und das Kind im gesamten Verfahren bis zum Zeitpunkt der vollzogenen Rückführung vertritt. Die Beiständin oder der Beistand soll nicht nur über das juristische Fachwissen bei Kindesentführungen verfügen, sondern muss auch für die Beratung und Anhörung von Kindern geeignet sein sowie Verständnis für die kulturelle, soziale und familiäre Herkunft des Kindes haben. Die Gerichte müssen bei der Auswahl der Kinderrechtsvertreterin oder des Kinderrechtsvertreters zudem darauf achten, dass sie oder er kraft der Erfahrung fähig ist, die Interessen des Kindes unabhängig und ohne übertriebene Einflussnahme durch die Eltern wahrzunehmen. Die in Artikel 3 genannten Fachpersonen und Institutionen sollen den Zugang zu qualifizierten Kindesvertreterinnen und -vertretern erleichtern.

6.9

Internationale Zusammenarbeit (Art. 10)

Ein besonders hilfreicher Weg, um Auskünfte über die das Kind im Falle der Rückführung erwartende Situation zu erhalten, ist die meist von den Zentralen Behörden vermittelte Kontaktaufnahme mit den Behörden vor Ort. Insbesondere kann es in Rückführungsverfahren für das zuständige kantonale Gericht erforderlich sein, von neutraler Seite Informationen über die Aufnahmebedingungen des Kindes zu erfahren, sei es bei der gesuchstellenden Partei, sei es an einem andern Ort, wo das Kind nach seiner Rückführung leben soll, oder wo allenfalls eine Platzierung bei Drittpersonen in Frage kommen könnte. Sind diese Informationen im Hinblick auf das Kindeswohl nicht befriedigend, so sind die zuständigen Behörden im Herkunftsstaat anzufragen, ob sie bereit sind, Massnahmen anzuordnen oder zuzusichern, die für den Schutz des Kindes erforderlich sind. Der Entscheid über das Rückführungsgesuch verlangt nach einer möglichst umfassenden Kenntnis über die das Kind erwartende Auffangsituation.

Das Gericht hat in Erfahrung zu bringen, ob und auf welche Weise das Kind in den Staat, in dem es unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückbehalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zurückgeführt werden kann (Art. 10 Abs. 2). Die persönliche Anhörung der Beteiligten bringt dazu wichtige Aufschlüsse, doch müssen hierfür alle verfügbaren Kanäle genutzt werden. Dazu dient insbesondere der Kontakt über die Zentrale Behörde sowie mit den Fachpersonen, was das Einholen von Auskünften über die Situation im Herkunftsstaat erleichtern kann. Zu einer raschen und sicheren Rückkehr des Kindes gehören auch Abklärungen zur Reisebegleitung, künftigen Unterkunft und zum Unterhalt sowie die erforderlichen Schutzvorkehren.

2626

6.10

Rückführungsentscheid (Art. 11)

Entscheidet sich das Gericht zugunsten der gesuchstellenden Partei für die Rückführung des Kindes, so regelt es auch die Einzelheiten der Vollstreckung auf eine Weise, die kein neues Gerichtsverfahren betreffend die Vollstreckung verlangt (Art. 11 Abs. 1). Der Entscheid und die Vollstreckungsanordnung gelten für die ganze Schweiz (Art. 11 Abs. 2). Sie können etwa bei einem Wohnsitzwechsel in einem andern Kanton nicht mehr in Frage gestellt werden.

Die Vollstreckungsmassnahmen sind so anzuordnen, dass sie auch im Falle einer durch eine Beschwerde an das Bundesgericht eintretenden Verzögerung praktisch zu handhaben sind. Wenn dies nicht zutrifft, so erlässt das Bundesgericht die erforderlichen neuen Anordnungen. Bei der Festlegung der einzelnen Massnahmen ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Vollstreckung unter Berücksichtigung des Kindeswohls vorgenommen werden muss und dass dem Vollstreckungsorgan die Gelegenheit und die Zeit gegeben werden muss, um auf einen freiwilligen Vollzug hinzuwirken (Art. 12 Abs. 2). Es empfiehlt sich, die im betreffenden Kanton zuständige Vollstreckungsbehörde sowie die Zentrale Behörde zu konsultieren.

6.11

Vollstreckung (Art. 12)

Die lokalen Gemeinde- und Bezirksbehörden haben insbesondere mit der schwierigen Vollstreckung einer Kindesrückführung ins Ausland wenig oder gar keine Erfahrung. Deshalb sollen die Kantone eine einzige Behörde bezeichnen, die sich das notwendige Fachwissen und die Kapazität aneignen kann, um solche Massnahmen auszuführen (Art. 12 Abs. 1). Die gleiche Behörde soll auch für die die Vollstreckung von Schutzmassnahmen zuständig sein (Art. 6).

Wie die Rückführung als solche, so darf auch deren Vollstreckung nicht in einer Weise erfolgen, die für das Kind traumatische Auswirkungen hat und dieses damit einer psychischen oder physischen Gefährdung aussetzt. Insofern ist das Kindeswohl zu berücksichtigen (Art. 12 Abs. 2).

Der freiwillige Vollzug ist der beste Weg für die Umsetzung des Kindeswohls. Die Verfahrensparteien sind zu veranlassen, sich auf gütlichem Wege für die Rückführung einzusetzen und damit dem Kind den Vollzug durch Drittpersonen zu ersparen.

6.12

Änderung des Rückführungsentscheids (Art. 13)

Ähnlich wie bei Kindesschutzmassnahmen im Allgemeinen muss es auch in Bezug auf einen Entscheid, der die Rückführung anordnet, in engen Grenzen möglich sein, eine Neubeurteilung vorzunehmen. Es können neue Tatsachen auftreten, die den Sachverhalt so wesentlich ändern, dass sich eine Neubeurteilung aufdrängt (Art. 13 Abs. 1). Diese darf aber den durch das Übereinkommen gesetzten Rahmen nicht überschreiten; auch in diesem Stadium gelten die gleichen Gründe, die eine Rückführung verhindern können, wie in jedem andern Verfahren bei Kindesentführungen.

In der Regel tritt eine Situation, die zu einer Abänderung des Rückführungsentscheids führen könnte, nur dann auf, wenn zwischen diesem Entscheid und dem (fehlgeschlagenen oder nicht beantragten) Vollzug eine gewisse Zeit abgelaufen ist.

2627

Die neuen Tatsachen können sich dabei auf eine wesentliche Änderung in der familiären Situation des Kindes beziehen, in Bezug auf den einen oder den andern Elternteil oder gar beide, die es betreuende Bezugsperson oder Institution, oder sie betreffen eine wesentliche Verschlechterung der Verhältnisse im ausländischen Staat, in den das Kind zurückkehren sollte. In solchen Fällen ist zunächst die Vollstreckung des ursprünglichen Rückführungsentscheids einzustellen. Das neue Verfahren folgt den in den Übereinkommen und im Gesetz enthaltenen Bestimmungen.

Gelangt das Gericht zur Auffassung, dass die neu vorgebrachten Tatsachen nicht ausreichen, um eine Rückführung zu verweigern, so wird diese bestätigt und die Vollzugsmassnahmen werden entsprechend angepasst. Kommt es definitiv zur Verweigerung der Rückführung, so wird nicht nur der Vollzug eingestellt, sondern es wird auch der Rückführungsentscheid als solcher aufgehoben.

Treten unvorhersehbare ausserordentliche Umstände auf, so kann eine Situation eintreten, bei der die Vollstreckung ausgesetzt bzw. verschoben werden muss. Zu denken ist etwa an eine Krankheit des Kindes oder einer Person, die als dem Kind nahestehende Begleitperson vorgesehen ist. Dazu gehören aber auch unvorhergesehene Schwierigkeiten, die im Rückkehrstaat aufgetreten sind, wie Kriegswirren, Naturkatastrophen oder die Erkrankung von Personen, die für die Aufnahme des Kindes bezeichnet worden sind.

6.13

Kosten (Art. 14)

Diese Bestimmung bezieht sich auf Artikel 26 HKÜ sowie Artikel 5 Ziffer 3 ESÜ, welche festlegen, dass die Tätigkeit der Zentralbehörde und der Gerichte für die Beteiligten grundsätzlich kostenlos ist. Dazu ist zu ergänzen, dass die schweizerische Praxis bei HKÜ-Verfahren keine Kostenlosigkeit gewährt, wenn der ersuchende Vertragsstaat seinerseits einen Vorbehalt zu diesem Grundsatz angebracht hat (Art. 26 Abs. 2 i. V. m. Art. 42 HKÜ, sog. Reziprozitätsprinzip). Artikel 14 BG-KKE stellt in Abänderung der bisherigen Bundesgerichtspraxis klar, dass der Rechtsweg an das Bundesgericht zum Verfahren im Sinne von Artikel 26 Absatz 2 HKÜ gehört.50 Die vorgesehenen Verbesserungen am Verfahren können Mehrkosten verursachen, insbesondere betreffend die Organisation und den Einbezug von Fachpersonen (Art. 3), die Vermittlungs- und Mediationsversuche (Art. 4) sowie die finanziellen Beihilfen an die gesuchstellenden Parteien, um diesen das persönliche Erscheinen in der Schweiz zu ermöglichen. Diesen Kosten ist allerdings der Gewinn gegenüberzustellen, wenn es gelingt, unter den Beteiligten eine gütliche Einigung zu erzielen. Nicht nur wird damit dem Kind grosses Leid erspart, sondern es werden auch die staatlichen Organe und Sozialdienste sowie die Versicherungen von den Kosten entlastet, die eine zwangsmässige Rückführung nach sich ziehen kann und die sich auch noch nach vollzogener Rückkehr ergeben können, wenn das Kind psychische oder physische Schäden erleidet, die sich unweigerlich zulasten der öffentlichen Hand oder der Versicherungen auswirken.

50

Bis anhin war die staatsrechtliche Beschwerde als ausserordentliches Rechtsmittel vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen; BGE 131 III 334 ff., 344. Diese Praxis ist auf Kritik gestossen, vgl. Carla Schmid, Neuere Entwicklungen im Bereich der internationalen Kindesentführungen. Eine Analyse der schweizerischen Rechtsprechung zum Haager Kindesentführungsübereinkommen von 1998­2002, AJP 2002, S. 1325­1339 (1337); Bem. Andreas Bucher, SZIER 2002, S. 312 f., 2003, S. 419­421, 2005, S. 425, AJP 2002, S. 478 f., 2005, S. 115, 751.

2628

6.14

Änderung bisherigen Rechts

Artikel 85 Absatz 1 IPRG nimmt Bezug auf das MSA. Dieser Verweis soll durch denjenigen auf das HKsÜ ersetzt werden. Der geltende Artikel 85 Absatz 2 IPRG erklärt das MSA sinngemäss auch auf Fragen des Erwachsenenschutzes anwendbar.

Dieser Verweis ist in doppelter Hinsicht zu revidieren. Zum einen tritt, wie vorgängig erwähnt, das HKSÜ an die Stelle des MSA. Zum anderen ist heute der Schutz von Erwachsenen im HEsÜ eigens geregelt. Die Notwendigkeit einer bloss sinngemässen Anwendung der für den Schutz von Kindern aufgestellten Bestimmungen ist daher nicht mehr angebracht. Vielmehr ist für den Schutz Erwachsener direkt auf das HEsÜ zu verweisen. Das MSA bleibt weiterhin im Kindesschutzbereich im Verhältnis zu denjenigen Vertragsstaaten anwendbar, die das HKsÜ nicht ratifiziert haben (Art. 51 HKsÜ).

Nach Artikel 85 Absatz 3 IPRG sind schweizerische Gerichte oder Behörden ausserdem zuständig, wenn es für den Schutz einer Person oder deren Vermögen unerlässlich ist. Diese Regelung wird beibehalten. Damit wird es schweizerischen Behörden weiterhin möglich sein (dem heutigen Art. 4 MSA entsprechend), für im Ausland wohnhafte schutzbedürftige Kinder und Erwachsene Massnahmen zu ergreifen, sofern dies die Behörden am gewöhnlichen Aufenthalt unterlassen. Dabei stehen Personen im Vordergrund, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nichtvertragsstaat haben und die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzen.

Was die Zuständigkeit für Massnahmen sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Massnahmen und Entscheidungen betrifft, so beschränkt sich die Anwendung der beiden Übereinkommen im Wesentlichen auf deren Vertragsstaaten.

Dies führt im IPRG zu einer Lücke bei der Anerkennung ausländischer Massnahmen und Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten, die mit einem neuen Absatz 4 gefüllt wird.

7

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Der Schutz von Kindern und hilfsbedürftigen Erwachsenen ist ein zentrales Anliegen jeder Rechtsordnung. Angesichts zunehmender Mobilität ist die Schweiz daran interessiert, dass dieses Ziel auch im Bereich des internationalen Privatrechts nicht aus den Augen verloren wird. Es ist daher zu begrüssen, wenn Regeln des internationalen Privatrechts im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes mit dem HKsÜ, dem HEsÜ sowie der Umsetzungsgesetzgebung im Bereich der internationalen Kindesentführungen verbindlich festgelegt werden. Mit den Haager Konventionen verbindet sich nicht zuletzt der Vorteil, dass ihr Geltungsbereich sich nicht auf Europa beschränkt.

In ihren wesentlichen internationalprivatrechtlichen Wertungen entsprechen das HKsÜ und das HEsÜ geltendem schweizerischen Recht und auch der hiesigen Rechtsüberzeugung. Dies gilt insbesondere für die immer stärkere Zurückdrängung des Staatsangehörigkeitsprinzips in Fragen des Kindes- und des Erwachsenenschutzes. Es spielt im MSA (vgl. oben Ziff. 1) zwar eine noch wichtige, wenn auch zunehmend kritisierte Rolle. Im HKsÜ und im HEsÜ wird es von der Zuständigkeit und dem Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts weitgehend verdrängt. Das 2629

HKsÜ und das HEsÜ tragen damit der Tatsache Rechnung, dass die Gerichte und Behörden des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts in der Regel am besten geeignet ist, für den Schutz von Kindern und für die Hilfe gegenüber bedürftigen Erwachsenen zu sorgen.

Das Zurückdrängen des Staatsangehörigkeitsprinzips bringt es mit sich, dass traditionelle internationalprivatrechtliche Konflikte an Bedeutung verlieren51. Im Gegenzug gewinnt die Zusammenarbeit der in den verschiedenen Ländern in den Kindesund Erwachsenenschutz involvierten Behörden an Bedeutung.

Mit dem HEsÜ verpflichtet sich die Schweiz zur Anerkennung des «mandat d'inaptitude» (Art. 15 HEsÜ). Auch dies liegt ganz auf der Linie der geplanten Revision des Zivilgesetzbuchs (vgl. oben Ziff. 1), die sich explizit sowohl zum Vorsorgeauftrag als auch zur Patientenverfügung äussert (Art. 360­373 E-ZGB, BBl 2006 7139). Ein Konflikt zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen und dem Landesrecht würde ohnehin zugunsten des Landesrechts entschieden, nachdem das HEsÜ zwingendes Landesrecht explizit vorbehält (Art. 20).

Soweit das HKsÜ und das HEsÜ Fragen der Zuständigkeit, des anwendbaren Rechts sowie der Anerkennung und Vollstreckung regeln, sind sie unmittelbar anwendbar («self-executing »), d.h. deren Umsetzung und Konkretisierung in einem Bundesgesetz erübrigt sich. Wie bis anhin genügt eine Verweisung in Artikel 85 IPRG.

Anders sieht es mit Blick auf die Vorschriften des HKsÜ und des HEsÜ über die Einrichtung einer Zentralen Behörde und die internationale Zusammenarbeit von Behörden in Fragen des Schutzes von Kindern und Erwachsenen aus. Hier drängt sich der Erlass eines Bundesgesetzes zur Umsetzung der eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes auf.

Damit lassen sich die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sauber festschreiben und die diesbezüglich häufig sehr allgemein gehaltenen Verpflichtungen des HKsÜ und des HEsÜ konkretisieren. Eine entsprechende Regelung findet sich bereits im BG-HAÜ (insbesondere Art. 2 und 3 BG-HAÜ). Der Erlass eines Gesetzes zur Umsetzung von HKsÜ und HEsÜ bietet schliesslich die Chance einer optimalen Koordination mit dem Vollzug des HKÜ und des ESÜ.

8

Finanzielle und personelle Auswirkungen

8.1

Auf den Bund

Bei einer Genehmigung des Kindes- und Erwachsenenschutzübereinkommens übernimmt die Zentrale Behörde des Bundes Zusatzaufgaben, die zu einer moderaten Mehrbelastung der damit beauftragten Amtsstelle führen werden. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen der im Bundesamt für Justiz angesiedelten Zentralen Behörde auf dem Gebiet internationaler Kindesentführungen, Adoptionen sowie bei

51

Vorbehalten sind (ältere) Staatsverträge, welche die Schweiz zu einer weitergehenden Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit verpflichten, als dies im HKsÜ und im HEsÜ vorgesehen ist (Art. 52 Abs. 1 HKsÜ und Art. 49 Abs. 1 HEsÜ). Konkret zu denken ist beispielsweise an die personen- und familienrechtlichen Bestimmungen im Niederlassungsübereinkommen vom 25. April 1934 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Kaiserreich Persien (Art. 8 Abs. 3 und 4; SR 0.142.114.362; BGE 130 III 410 ff.).

2630

der Anwendung des MSA würde die Bewältigung der neuen Aufgaben einen zusätzlichen Personalbedarf im Umfang einer Vollzeitstelle auslösen.

Ferner könnte der Unterhalt eines Netzwerks von Fachleuten und Institutionen Kosten in der Höhe von schätzungsweise 30 000 Franken verursachen (vgl.

Ziff. 6.2).

8.2

Auf Kantone und Gemeinden

Die Kantone werden wie bislang bei der Anwendung des MSA die konkreten Kindes- und Erwachsenenschutzfälle mit internationalem Bezug direkt bearbeiten. In Kantonen mit bisher dezentralen Strukturen ist auf kantonaler Ebene eine Zentrale Behörde zu bezeichnen, bei der es sich wohl zumeist um eine bestehende Amtsstelle handeln wird, beispielsweise die bereits mit der Anwendung des HAÜ befasste Zentrale Behörde. Die nunmehr klaren Zuständigkeitsregeln und die intensivierte internationale Zusammenarbeit dürften den kantonalen Behörden die Erfüllung ihrer Aufgaben nach HKsÜ und HEsÜ sogar eher erleichtern. Ausserdem besteht die Möglichkeit, dass Kantone, die von solchen Problemfällen mit internationalem Bezug selten betroffen sind, mit anderen zusammenarbeiten und wie beim HAÜ in interkantonalen Arbeitsgruppen den Erfahrungsaustausch pflegen. Die Aufwendungen und Gebühren für Gerichtsverfahren und die Rechtsverbeiständung sind von der Kostenbefreiung nach Artikel 38 HKsÜ und Artikel 36 HEsÜ ausgenommen.

Obwohl die Kantone für die Gerichtsorganisation zuständig bleiben, werden sie zur Umsetzung des neuen Bundesgesetzes gewisse organisatorische Anpassungen vorzunehmen haben. Die Benennung der oberen kantonalen Gerichte als einzige Instanzen und damit der Verzicht auf einen innerkantonalen Instanzenzug werden jedoch personelle und finanzielle Entlastungen bringen. Mit der Stärkung der vorgerichtlichen Konfliktbeilegung in Vermittlungsverfahren und Mediation könnten Gerichtsund Vollstreckungsverfahren abgekürzt oder gänzlich vermieden und damit ebenfalls wesentliche Kosteneinsparungen erzielt werden. Kostenerhöhend wirkt sich demgegenüber der für die Kinder zu ernennende Verfahrensbeistand aus, der einer verbesserten Wahrung der Kindesinteressen dient.

8.3

Auf die Volkswirtschaft

Die Schaffung von Zentralen Behörden bei Bund und Kantonen im Rahmen des HKsÜ und des HEsÜ bringt den öffentlichen Haushalten zwar Mehrkosten. Die Förderung der internationalen Zusammenarbeit und die Erleichterung der gegenseitigen Rechtshilfe im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes stehen dem jedoch als nicht quantifizierbarer Nutzwert für die Hilfsbedürftigen sowie die Massnahmebehörden gegenüber.

Die neuen Verfahrensregeln bei Kindesentführungsfällen bewirken eine kindeswohlgerechtere und raschere Konfliktbeilegung und können dazu beitragen, einvernehmliche und nachhaltige Lösungen zu erzielen und den betroffenen Kindern wiederholte Entwurzelungen, die Entfremdung von einem Elternteil sowie belastende Zwangsvollzugsmassnahmen zu ersparen.

2631

9

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Gesetzesvorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 nicht angekündigt. Wie in den Ziffern 2.2­2.4 dargelegt, besteht im Bereich der Anwendung der Kindesentführungsübereinkommen dringender Handlungsbedarf. Aufgrund der sachlichen Nähe erfolgte der Entscheid, gleichzeitig das HKsÜ und das HEsÜ zu genehmigen.

10

Rechtliche Aspekte

10.1

Kompetenzen des Bundes

Der Genehmigungsbeschluss stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV52, der dem Bund die allgemeine Kompetenz für die auswärtigen Angelegenheiten zuweist und ihn damit zum Abschluss von Staatsverträgen mit dem Ausland ermächtigt. Die beiden Abkommen bedürfen der Genehmigung durch die Bundesversammlung nach Artikel 166 Absatz 2 BV.

Die Kompetenz des Bundes zum Erlass des vorgeschlagenen Gesetzes stützt sich auf Artikel 122 BV.

10.2

Fakultatives Staatsvertragsreferendum

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder zu ihrer Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordern. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200253 gilt eine Bestimmung dann als rechtsetzend, wenn sie in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt. Wichtig ist eine solche Norm dann, wenn ihr Regelungsgegenstand im Landesrecht entsprechend Artikel 164 Absatz 1 BV auf formell-gesetzlicher Stufe geregelt werden müsste. Die beiden Haager Übereinkommen sind jederzeit kündbar und sehen keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Ihre Umsetzung erfordert jedoch den Erlass von Regelungen auf Gesetzesstufe, wie beispielsweise die Bestimmung von zentralen Behörden (Art. 29­30 HKsÜ, Art. 28­29 HEsÜ). Die Abkommen unterliegen somit dem fakultativen Referendum.

Formal bildet das vorgeschlagene neue Bundesgesetz einen integrierenden Bestandteil des Bundesbeschlusses zur Genehmigung und Umsetzung der beiden Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (HKsÜ, HEsÜ). Dieses Vorgehen stützt sich auf Artikel 141a Absatz 2 BV. Es wäre allerdings auch denkbar gewesen, das Gesetz den Räten getrennt von den beiden Haager Übereinkommen zu unterbreiten, da es zur Hauptsache Bestimmungen zur Umsetzung des HKÜ und des ESÜ enthält, die beide bereits ratifiziert sind. Da der Gesetzesentwurf jedoch auch

52 53

SR 101 SR 171.10

2632

Bestimmungen zur Umsetzung der zu genehmigenden Abkommen enthält, wurde das Vorgehen nach Artikel 141a Absatz 2 BV gewählt.

10.3

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Im Themenbereich der Schutzmassnahmen für Kinder ist die Schweiz mit anderen Staaten lediglich über das Minderjährigenschutzübereinkommen (MSA) verbunden, das jedoch explizit durch das HKsÜ ersetzt werden wird (Art. 51 HKsÜ). Gegenüber Vertragsstaaten das MSA, die dem HKsÜ nicht beigetreten sind, ist das MSA weiterhin anwendbar.

Der E-BG-KKE trägt insbesondere den Verfahrensgarantien der Artikel 6 und 8 EMRK Rechnung. Auch die bisher im ZGB (vgl. Art. 144 ff. ZGB) geregelte Anhörung von Kindern und die Kindesvertretung werden entsprechend der UNOKinderrechtskonvention (vgl. insbesondere Art. 12) gegenüber dem geltenden Recht verstärkt.

Die Ratifikation des HKsÜ und des HEsÜ wie auch der vorliegende Bundesgesetzesentwurf sind auch mit dem europäischen Recht vereinbar. In der Europäischen Union ist seit 1. März 2005 die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (sog. Brüssel-IIa-Verordnung)54 in Kraft. Diese Verordnung konkurrenziert und ersetzt das HKsÜ jedoch nicht, da sie insbesondere die Anerkennung von Drittstaatenentscheidungen nicht regelt und keine Kollisionsnormen zur Ermittlung des anzuwendenden Rechts enthält.

54

ABl. L 338 vom 23.12.2003, S. 1

2633

2634