07.089 Botschaft zum Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Anpassung des Schengener Informationssystems (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) vom 14. November 2007

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Anpassung des Schengener Informationssystems (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands): ­

Beschluss 2005/211/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einführung neuer Funktionen für das Schengener Informationssystem, auch im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung;

­

Verordnung (EG) Nr. 1160/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen hinsichtlich des Zugangs der in den Mitgliedstaaten für die Ausstellung von Zulassungsbescheinigungen für Fahrzeuge zuständigen Stellen zum Schengener Informationssystem;

­

Beschluss 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II);

­

Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II);

­

Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zugang von für die Ausstellung von Kfz-Zulassungsbescheinigungen zuständigen Dienststellen der Mitgliedstaaten zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II).

2007-1803

8591

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. November 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

8592

Übersicht Der Schengen-Besitzstand wurde im Bereich des Schengener Informationssystems ­ das gemeinsame Fahndungssystem der Schengen-Staaten ­ weiterentwickelt.

Diese Weiterentwicklungen passen die Rechtsgrundlagen des SIS an. Es handelt sich einerseits um Verbesserungen des Systems der ersten Generation (SIS I+).

Andererseits gehören dazu die Rechtsgrundlagen des Systems der zweiten Generation (SIS II), welches das SIS I+ ablösen wird, sobald es technisch operationell ist.

Am 5. Juni 2005 hat das Schweizer Volk die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) über die Assoziierung an Schengen und an Dublin angenommen. Ein wichtiges Element des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA) bilden die Anbindung und der Zugriff der schweizerischen Strafverfolgungsbehörden auf das Schengener Informationssystem (SIS).

Das SIS wurde als Ausgleich zum Abbau der systematischen und verdachtsunabhängigen Personenkontrolle im Schengen Raum entwickelt. Die Kapazität des SIS I+ war ursprünglich auf 18 Schengen-Staaten ausgelegt. Um die neuen EU-Mitgliedstaaten und weitere Schengen-Staaten in das System integrieren zu können, beauftragte der EU-Rat im Dezember 2001 die EG-Kommission mit der technischen Entwicklung eines Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II).

Parallel zu den technischen Arbeiten wurden die Verhandlungen zu den Rechtsgrundlagen des SIS II im EU-Rat aufgenommen. Diese Verhandlungen sind abgeschlossen und wurden im Juni 2007 formell vom EU-Rat gutgeheissen.

Die Rechtsgrundlagen zum SIS II übernehmen weitgehend die derzeitigen Bestimmungen zum SIS I+ und werden diese im Zeitpunkt der operationellen Inkraftsetzung des SIS II ersetzen. Entsprechend regeln die Bestimmungen die Systemarchitektur, die Finanzierung, die Zuständigkeiten sowie die Datenverarbeitung und den Datenschutz. Gegenüber dem SIS I+ wurden einige Neuerungen eingefügt, die die Qualität des SIS, seine Nutzung und den Datenschutz verbessern.

Die technischen Arbeiten seitens der EU am SIS II weisen gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan jedoch Verspätungen auf. Um eine termingerechte Öffnung der Grenzen der neuen EU-Mitgliedstaaten auf Ende 2007 zu ermöglichen, präsentierte Portugal im Oktober 2006 die Übergangslösung SISone4ALL.

Die Schweiz ging bei der Unterzeichnung des SAA davon aus,
sich direkt an das SIS II anbinden zu können. Aufgrund der Verspätung in der technischen Umsetzung des SIS II beschloss der Bundesrat am 16. Mai 2007, sich ebenfalls an der Übergangslösung zu beteiligen.

Die Schweiz hat sich mit dem SAA grundsätzlich verpflichtet, die Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands zu übernehmen. Mit dem Entscheid des Bundesrates, sich an der Übergangslösung SISone4ALL mit späterer Migration auf das SIS II zu beteiligen, sind für die Schweiz sowohl die Weiterentwicklungen der Rechtsgrundlagen für das SIS I+ wie auch die Rechtsgrundlagen für das SIS II relevant.

8593

Inhaltsverzeichnis Übersicht

8593

1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.2 Das Schengener Informationssystem 1.2.1 SIS I+, SISone4all und künftiges SIS II 1.2.2 Anbindung der Schweiz an das SISone4ALL mit anschliessender Migration auf das SIS II 1.2.3 Umsetzungsgesetzgebung nationaler Teil des SIS (Art. 531decies StGB) 1.3 Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands 1.3.1 Übernahmeverfahren 1.4 Vernehmlassungsverfahren

8596 8596 8596 8596

2 Erläuterungen zur den Anpassungen der Rechtsgrundlagen des SIS I+ und Rechtsgrundlagen des SIS II 2.1 Anpassung der Rechtsgrundlagen des SIS I+ 2.1.1 Beschluss 2005/211/JI (Beschluss SIS I) 2.1.2 Verordnung (EG) Nr. 1160/2005 (Kfz-Verordnung SIS I) 2.2 Rechtsgrundlagen des SIS II 2.2.1 Beschluss 2007/533/JI (Beschluss SIS II) und Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (Verordnung SIS II) 2.2.2 Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 (Kfz-Verordnung SIS II)

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3 Auswirkungen

8605

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

8605

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Genehmigungsbeschluss

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Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Anpassung des Schengener Informationssystems (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) (Entwurf)

8609

Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme des Beschlusses 2005/211/JI über das Schengener Informationssystem

8611

Beschluss 2005/211/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einführung neuer Funktionen für das Schengener Informationssystem, auch im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung

8613

Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 1160/2005 über das Schengener Informationssystem

8619

8594

Verordnung (EG) Nr. 1160/2005 des europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen hinsichtlich des Zugangs der in den Mitgliedstaaten für die Ausstellung von Zulassungsbescheinigungen für Fahrzeuge zuständigen Stellen zum Schengener Informationssystem (Text von Bedeutung für den EWR)

8621

Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 über das Schengener Informationssystem der zweiten Generation

8625

Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II)

8627

Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 über das Schengener Informationssystem der zweiten Generation

8647

Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zugang von für die Ausstellung von Kfz-Zulassungsbescheinigungen zuständigen Dienststellen der Mitgliedstaaten zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II)

8649

Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme des Beschlusses 2007/533/JI über das Schengener Informationssystem der zweiten Generation

8653

Beschluss des 2007/533/JI Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II)

8655

8595

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben am 5. Juni 2005 die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) über die Assoziierung an Schengen und an Dublin angenommen. Ein wichtiges Element des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA)1 bilden die Anbindung und der Zugriff der schweizerischen Strafverfolgungsbehörden auf das Schengener Informationssystem (SIS).

Um den Abbau der systematischen und verdachtsunabhängigen Personenkontrollen an den Binnengrenzen zu kompensieren, sind Ausgleichsmassnahmen vorgesehen, die den Sicherheitsbedürfnissen der Staaten, die durch eines der Schengen-Assoziierungsabkommen gebunden sind (Schengen-Staaten), Rechnung tragen. Mit der Inkraftsetzung des SAA wird deshalb die Polizeizusammenarbeit zwischen der Schweiz und den Schengen-Staaten verstärkt. Kernelement ist hierbei das gemeinsame Fahndungssystem, das SIS.

Erst wenn das SIS in der Schweiz operationell ist, kann das SAA in Kraft gesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anpassungen der EU-Rechtsgrundlagen des SIS von der Schweiz auf diesen Zeitpunkt hin genehmigt sind.

Das SAA ist noch nicht in Kraft getreten, da die Ratifikation durch die EU noch aussteht. Die Schweiz hat die Verträge am 20. März 2006 ratifiziert.

1.2

Das Schengener Informationssystem

1.2.1

SIS I+, SISone4all und künftiges SIS II

Das SIS ist das gemeinsame Personen- und Sachfahndungssystem der SchengenStaaten. Dank eines automatischen Abfrageverfahrens können die zuständigen Behörden rasch und effizient Informationen zu gesuchten, vermissten oder unerwünschten Personen oder Sachen erhalten. Diese Informationen werden bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie bei Personenkontrollen an den Aussengrenzen oder im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten und bei der Erteilung von Visa und Aufenthaltstiteln herangezogen.

Die Kapazität des Schengener Informationssystems der ersten Generation (SIS I+) war ursprünglich auf 18 Schengen-Staaten beschränkt. Um die neuen EU-Mitgliedstaaten und weitere Schengen-Staaten in das System integrieren und die neusten Informationstechnologien nutzen zu können, beauftragte der EU-Rat im Dezember 2001 die EG-Kommission mit der technischen Entwicklung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II).

1

Abkommen vom 26. Okt. 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (SAA; BBl 2004 6447).

8596

Das Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II) bringt technisch gesehen die Fahndungszusammenarbeit auf einen modernen InformatikStandard. Damit kann den Anforderungen an neue Funktionen und neue Datenkategorien, wie z.B. der Austausch von erkennungsdienstlichen Daten oder Verknüpfungen zwischen den Ausschreibungen, entsprechend Rechnung getragen werden. Zudem werden Datenqualität und Identifizierungsmöglichkeiten verbessert.

Aufgrund der Verspätungen der EG-Kommission in der technischen Umsetzung des SIS II beschloss die EU die Einführung der von Portugal vorgeschlagenen Übergangslösung SISone4all. Das SISone4all ist eine technische Übergangslösung, die den neuen EU-Mitgliedstaaten die Anbindung und den Zugriff auf das SIS I+ ermöglicht. Das SIS I+ und somit auch das SISone4all werden durch das SIS II abgelöst werden, sobald dieses operationell ist.

1.2.2

Anbindung der Schweiz an das SISone4ALL mit anschliessender Migration auf das SIS II

Die Schweiz ging bei der Unterzeichnung des SAA davon aus, sich direkt an das SIS II anbinden zu können.

Aufgrund der Verspätung in der technischen Umsetzung des SIS II musste die Schweiz sich entscheiden, ob sie sich an der von der EU bereit gestellten Übergangslösung SISone4ALL mit anschliessender Migration auf das SIS II beteiligen will oder eine direkte Anbindung an das SIS II zu einem späteren Zeitpunkt vorzieht. Am 16. Mai 2007 entschied sich der Bundesrat für die erste Variante.

Durch den Entscheid des Bundesrates zu Gunsten der Übergangslösung SISone4ALL wird die Schweiz den Zugriff auf das SIS I+ erhalten. Bis zur Ablösung dieses Systems durch das SIS II sind die Rechtsgrundlagen des SIS I+ massgebend.

Das SIS I+ basiert auf dem Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 (SDÜ), das gemäss dem SAA zum Schengen-Besitzstand gehört und von der Schweiz umzusetzen ist2.

Auf der Basis der Übergangslösung SISone4ALL soll die Inkraftsetzung des SAA in der Schweiz so rasch wie möglich erfolgen. Parallel dazu werden die Aktivitäten zur Einführung des SIS II weitergeführt, so dass das SISone4ALL zu gegebener Zeit durch das technisch fortgeschrittene SIS II abgelöst werden kann.

Die Rechtsgrundlagen für das SIS II sind Bestandteil der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands und werden vom Zeitpunkt der Migration der schweizerischen Daten vom SISone4ALL zum SIS II anwendbar sein und die Bestimmungen für das SIS I+ ablösen.

2

ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.

8597

1.2.3

Umsetzungsgesetzgebung nationaler Teil des SIS (Art. 531decies StGB)

Die notwendige gesetzliche Grundlage zur Umsetzung des SDÜ wurde zusammen mit den Schengen-Assoziierungsabkommen genehmigt3. Die Regelung hinsichtlich des nationalen Teil des SIS (N-SIS) wurde mit Artikel 531decies (neuer Art. 355d)4 des Strafgesetzbuches (StGB)5 umgesetzt. Dieser Artikel ist noch nicht in Kraft gesetzt.

Inzwischen entschied der Bundesrat, die polizeilichen Informationssysteme in einem neuen, umfassenden Gesetz, dem Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI)6, zu vereinen. Das SIS als polizeiliches Informationssystem muss systematisch ebenfalls Teil dieses neuen Gesetzes sein. Artikel 355d StGB wird folglich durch Artikel 16 BPI übernommen werden. Das BPI wird zurzeit im Parlament beraten. Artikel 355d StGB wird mit Inkrafttreten des BPI aufgehoben.

Bei der Integration von Artikel 355d StGB im BPI wurde der Wortlaut des Artikels einerseits in formaler Hinsicht angepasst, damit er der Terminologie des Gesetzesentwurfes entspricht. Andererseits wurden diejenigen Anpassungen eingebracht, die sich aufgrund der Umsetzung der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes betreffend Rechtsgrundlagen zum SIS I+ sowie der Rechtsgrundlagen zum SIS II ins nationale Recht ergeben.

Sowohl die Weiterentwicklungen zum SIS I wie auch die Rechtsgrundlagen zum SIS II sehen den Zugriff der Strassenverkehrsämter auf das SIS vor. Deshalb soll Artikel 16 BPI neu den Zugriff der Strassenverkehrsämter der Kantone auf Daten im SIS zu Fahrzeugen, Fahrzeugausweisen oder Kennzeichenschilder vorsehen. Mit diesem Zugriff können diese Stellen prüfen, ob es sich bei den ihnen zum Zweck der Zulassung vorgeführten Fahrzeuge um gestohlene, unterschlagene oder sonst abhanden gekommene Fahrzeuge handelt. Dadurch wird die ordnungsgemässe Ausstellung der Fahrzeugausweise ermöglicht. Da das SIS II neu erkennungsdienstliche Daten, d.h. Fingerabdrücke und Fotos, enthalten sollte, wurde die Gesetzesgrundlage für den nationalen Teil des SIS auch in dieser Hinsicht angepasst.

Der revidierte und im BPI integrierte Artikel 355d StGB wird somit sowohl für das SISone4all als auch künftig für das SIS II die nationale Gesetzgrundlage bilden.

3

4 5 6

Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und Dublin (BBl 2004 7149).

Mit Inkrafttreten der Änderung des Allgemeinen Teils des StGB (Änderung vom 13. Dezember 2002) wurde Art. 351decies zum neuen Art. 355d StGB.

SR 311.0 Botschaft zum Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme der Bundes (BBl 2006 5061).

8598

1.3

Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands

Der Schengen-Besitzstand wurde seit der Unterzeichnung des SAA bereits mehrfach weiterentwickelt. Dies gilt auch für den Bereich des SIS. Zum einen wurde das SIS I7 modifiziert, zum anderen wurden Bestimmungen für die Umsetzung des SIS II8 geschaffen. Bei diesen Rechtsakten handelt es sich um Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes, die von der Schweiz nach Artikel 7 SAA zu übernehmen und umzusetzen sind.

1.3.1

Übernahmeverfahren

Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands werden gemäss dem in Artikel 7 SAA vorgesehen Verfahren übernommen und umgesetzt. Sobald eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands von der EU verabschiedet ist, wird der entsprechende Rechtsakt der Schweiz notifiziert. Die Schweiz hat der EU darauf innert 30 Tagen mitzuteilen, ob sie den neuen Rechtsakt übernehmen will. Bei Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes, welche die EU der Schweiz noch vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SAA notifiziert, beginnt der Fristenlauf für die Notifizierung der Schweiz mit dem Inkrafttreten des SAA (Art. 14 Abs. 3 SAA).

Die Übernahme erfolgt durch einen Notenaustausch, der aus schweizerischer Sicht einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. Je nach Inhalt des zur Übernahme anstehenden EU-Rechtsaktes sind für die Genehmigung dieses Vertrags der Bundesrat oder das Parlament (und das Volk im Rahmen des fakultativen Referendums) zuständig.

Ist die Bundesversammlung für den Abschluss des Notenaustausches zuständig oder bedingt die Umsetzung die Vornahme von Gesetzesanpassungen, so muss die Schweiz dem EU-Rat und der EG-Kommission mitteilen, dass die rechtsverbindliche Übernahme der Weiterentwicklung erst nach Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfolgen kann (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA)9. Für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklung verfügt die Schweiz in diesem Fall über eine Frist von maximal zwei Jahren. Der Fristenlauf beginnt mit der Notifika7

8

9

Beschluss 2005/211/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einführung neuer Funktionen für das Schengener Informationssystem, auch im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung (ABl. L 68 vom 15.4.2005, S. 44); Verordnung (EG) Nr. 1160/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen hinsichtlich des Zugangs der in den Mitgliedstaaten für die Ausstellung von Zulassungsbescheinigungen für Fahrzeuge zuständigen Stellen zum Schengener Informationssystem (ABl. L 191 vom 22.7.2005, S. 18).

Beschluss 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (ABl. L 205 vom 7.8.2007, S. 63); Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (ABl. L 381 vom 28.12.2006, S.4); Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zugang von für die Ausstellung von Kfz-Zulassungsbescheinigungen zuständigen Dienststellen der Mitgliedstaaten zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation (ABl. L 381 vom 28.12.2006; S.1).

Siehe Bundesbeschluss im Anhang.

8599

tion durch die EU. Für Weiterentwicklungen, die vor dem Inkrafttreten des SAA notifiziert werden, beginnt der Fristenlauf mit dem Inkrafttreten des SAA.10 Falls Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands von der Schweiz nicht übernommen werden sollten, sieht das SAA eine Suspendierung oder gar Beendigung des Abkommens vor (Art. 7 Abs. 4 SAA).

1.4

Vernehmlassungsverfahren

Über die Anbindung der Schweiz an das SIS wurde im Rahmen der Genehmigung der «Bilateralen II» bereits eine Vernehmlassung sowie eine Volksabstimmung über die Rechtsgrundlagen SIS sowie die Umsetzung ins innerstaatliche Recht durchgeführt. Auch das BPI, welches die angepasste Gesetzesgrundlage zum SIS übernehmen wird, wurde bei den Kantonen, den politischen Parteien sowie interessierten Kreisen in die Vernehmlassung gegeben. Im Sinne von Artikel 2 des Bundesgesetzes vom 18. März 200511 über das Vernehmlassungsverfahren wurde deswegen bei den Notenaustauschen über die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Anpassung des SIS auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet.

2

Erläuterungen zur den Anpassungen der Rechtsgrundlagen des SIS I+ und Rechtsgrundlagen des SIS II

2.1

Anpassung der Rechtsgrundlagen des SIS I+

Zum SIS I+ wurden seit der Unterzeichnung des SAA zwei neue Rechtsakte verabschiedet, deren Übernahme durch die Schweiz vom Parlament zu genehmigen ist:

10 11 12 13

­

Beschluss 2005/211/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einführung neuer Funktionen für das Schengener Informationssystem, auch im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung (Beschluss SIS I);12

­

Verordnung (EG) Nr. 1160/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen hinsichtlich des Zugangs der in den Mitgliedstaaten für die Ausstellung von Zulassungsbescheinigungen für Fahrzeuge zuständigen Stellen zum Schengener Informationssystem (Kfz-Verordnung SIS I).13

Botschaft Bilaterale II, BBl 2004 5965 6130 ff.

SR 172.061 ABl. L 68 vom 15.3.2005, S. 44.

ABl. L 191 vom 22.7.2005, S. 18.

8600

2.1.1

Beschluss 2005/211/JI (Beschluss SIS I)

Die Bestimmungen im Schengener Durchführungsübereinkommen werden durch den Beschluss SIS I wie folgt ergänzt: a. SIRENE-Stellen und Austausch von Zusatzinformationen (Art. 1 Ziff. 1, 11 und 13 Beschluss SIS I) Die Rechtsgrundlage für den Austausch der Zusatzinformationen über die SIRENE14-Stellen wird eingefügt. So können die nationalen SIRENE-Stellen auf dieser Grundlage sowie gemäss nationalem Recht alle notwendigen Informationen austauschen, damit im Fall eines Treffers die erforderlichen Massnahmen getroffen werden können. Die Daten dürfen nur zu denjenigen Zwecken genutzt werden, zu welchen sie weitergeleitet wurden. Die Aufbewahrungsdauer und die Löschfristen für die bei den SIRENE-Stellen gespeicherten Daten wurden ebenfalls geregelt.

b. Zugriff der nationalen Justizbehörden (Art. 1 Ziff. 8 Beschluss SIS I) Die Justizbehörden erhalten Zugriff auf das SIS, um ihre Aufgaben gemäss den nationalen Rechtsvorschriften erfüllen zu können.

c. Zugriff von Europol und der nationalen Mitglieder von Eurojust (Art. 1 Ziff. 9 Beschluss SIS I) Neu erhalten das Europäische Polizeiamt (Europol) und die Europäische Einheit für die justizielle Zusammenarbeit (Eurojust) innerhalb ihres festgelegten Aufgabenbereichs sowie unter bestimmten Voraussetzungen Zugriff auf bestimmte Daten im SIS I+. Ergibt eine Anfrage einen Treffer, so muss für die weitere Nutzung und Bearbeitung dieser Daten die Zustimmung des Schengen-Staats eingeholt werden, der die Ausschreibung im SIS eingeben hat. Mit der Verpflichtung von Europol und Eurojust, die Zugriffe zu protokollieren, wurde ein zusätzlicher Schutz gegen Datenmissbräuche eingebaut.

d. Protokollierungspflicht der Schengen-Staaten (Art. 1 Ziff. 10 Beschluss SIS I) Um die Zulässigkeit der Abfragen im SIS überprüfen zu können, müssen die Schengen-Staaten jede Übermittlung von personenbezogenen Daten protokollieren.

2.1.2

Verordnung (EG) Nr. 1160/2005 (Kfz-Verordnung SIS I)

Mit der Kfz-Verordnung SIS I wird ein neuer Artikel 102a im SDÜ eingefügt.

Damit werden die Voraussetzungen für den Zugriff der Motorfahrzeugkontrollbehörden auf gewisse im SIS gespeicherte Daten geregelt. Der Zugriff beschränkt sich auf Daten betreffend gestohlene, unterschlagene oder sonst abhanden gekommene Fahrzeuge sowie auf Daten zu ungültig erklärten Zulassungsbescheinigungen für Fahrzeuge oder Kennzeichenschilder. Mit diesem Zugriff können die betreffenden Stellen prüfen, ob es sich bei den ihnen zum Zweck der Zulassung vorgeführten Fahrzeuge um gestohlene, unterschlagene oder sonst abhanden gekommene Fahr14

Supplementary Information Request at National Entry

8601

zeuge handelt. Dadurch wird die ordnungsgemässe Ausstellung der Fahrzeugzulassungsbescheinigungen ermöglicht.

Falls diese Behörden aufgrund der Abfrage Kenntnisse über strafbare Handlungen erhalten, haben sie diese Informationen gemäss nationalem Recht an die Polizeioder Justizbehörden weiterzuleiten.

2.2

Rechtsgrundlagen des SIS II

Das SIS II basiert auf folgenden neuen EU-Rechtsgrundlagen, die vom Parlament genehmigt werden müssen: ­

Beschluss 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (Beschluss SIS II);15

­

Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (Verordnung SIS II);16

­

Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zugang von für die Ausstellung von Kfz-Zulassungsbescheinigungen zuständigen Dienststellen der Mitgliedstaaten zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation (Kfz-Verordnung SIS II).17

Die Regelung des SIS II in drei verschiedenen Rechtsgrundlagen ist durch die Struktur der Europäischen Union bedingt. Entsprechend hält der Beschluss SIS II die Bereiche fest, die in den Anwendungsbereich des Vertrags über die Europäische Union (EU-Vertrag)18 fallen. Die Verordnungen regeln dagegen diejenigen Bereiche, die in den Anwendungsbereich des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag)19 fallen.

2.2.1

Beschluss 2007/533/JI (Beschluss SIS II) und Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (Verordnung SIS II)

Der Beschluss SIS II und die Verordnung SIS II basieren weitgehend auf dem SDÜ sowie dessen Weiterentwicklungen. Die verschiedenen Bestimmungen wurden präzisiert, wodurch die Qualität des SIS II entsprechend verbessert wird. Die Verordnung SIS II und der Beschluss SIS II werden die Artikel 92­119 SDÜ mit Aus15 16 17 18

19

ABl. L 205 vom 7.8.2007, S.63 ABl. L 381 vom 28.12.2006, S.4.

ABl. L 381 vom 28.12.2006, S.1.

Art. 30 Abs. 1 Bst. a und b, Art. 31 Abs. 1 Bst. a und b und Art. 34 Abs. 2 Bst. c EU-Vertrag. Eine konsolidierte Version des Vertrags über die Europäische Union wurde veröffentlicht im ABl. C 321E vom 29.12.2006.

Art. 62 Ziff. 2 Bst. a, Art. 63 Ziff. 3 Bst. b und Art. 66 EG-Vertrag. Eine konsolidierte Version des Vertrags über die Europäische Union wurde veröffentlicht im ABl. C 321E vom 29.12.2006.

8602

nahme von Artikel 102a (siehe nachfolgend Ziff. 2.2.2) sowie die entsprechenden Beschlüsse des Schengener Exekutivausschusses zum SIS I+ ersetzen.

Gegenüber den Regelungen zum SIS I+ weisen die Rechtsgrundlagen des SIS II wichtige Neuerungen in folgenden Punkten auf: a. Aufnahme neuer Datenkategorien (Art. 20 Beschluss SIS II und Art. 20 Verordnung SIS II) Mit der Einführung dieser Datenkategorien werden eine bessere Datenqualität sowie genauere Identifizierungsmöglichkeiten bezweckt. Im SIS II sollen deshalb neu Fotos, Fingerabdrücke, die ausschreibende Behörde, eine Bezugnahme auf die Entscheidung, die der Ausschreibung zugrunde liegt, sowie Verknüpfungen zu anderen Ausschreibung im SIS II eingegeben werden können. Um dem besonders sensiblen Charakter der erkennungsdienstlichen Daten, d.h. der Lichtbilder und der Fingerabdrücke, Rechnung zu tragen, wurde zudem eine Bestimmung (Art. 22 Beschluss SIS II und Art. 22 Verordnung SIS II) eingefügt, die die Verwendungszwecke dieser Daten einschränkt und Mindestqualitätsstandards sicherstellt.

b. Verhältnismässigkeitsklausel (Art. 21 Beschluss SIS II und Art. 21 Verordnung SIS II) sowie Anforderungen an die Eingabe einer Ausschreibung (Art. 23 Beschluss SIS II und Art. 23 Verordnung SIS II) Mit zusätzlichen Anforderungen an die Ausschreibungen soll die Qualität der Ausschreibung im SIS II zusätzlich erhöht werden. So wird der ausschreibende Mitgliedstaat verpflichtet, die Angemessenheit, Relevanz und Bedeutung eines Falles zu prüfen, bevor er eine Person oder Sache im SIS II ausschreibt. Zusätzlich muss eine Ausschreibung zwingend gewisse Angaben20 enthalten, um im SIS II freigegeben werden zu können.

c. Ergänzende Daten zur Behandlung von Fällen des Missbrauchs der Identität einer Person (Art. 51 Beschluss SIS II und Art. 36 Verordnung SIS II) Von missbräuchlich verwendeter Identität (Nachname, Vorname, Geburtsdatum) spricht man, wenn eine Person die Identität einer anderen Person benutzt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Person ein Identitätsdokument zum Nachteil des tatsächlichen Besitzers oder der tatsächlichen Besitzerin verwendet. Ob die Identität einer Person missbräuchlich verwendet wird, zeigt meistens erst der Trefferfall, beispielsweise wenn die entsprechend überprüfte Person bestreitet, die gesuchte Person zu sein. Wird die
Identität einer Person effektiv missbräuchlich verwendet, ist die Ausschreibung der gesuchten Person mit Informationen zu der Person, deren Identität missbräuchlich verwendet wird, zu ergänzen. Dadurch können die negativen Folgen verhindert werden, die sich aus einer falschen Identifizierung ergeben könnten. Die Ergänzung der Ausschreibung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Person, deren Identität missbraucht wurde. Die ergänzten Daten dürfen ausschliesslich zum Zwecke der Unterscheidung verwendet werden.

20

Nachname(n) und Vorname(n), Geburtsname(n) und frühere(r) Name(n) sowie Aliasnamen; Geschlecht; Massnahme und ­ sofern anwendbar ­ Bezugnahme auf die Entscheidung, die der Ausschreibung zugrunde liegt.

8603

In Ziffer 3 der beiden Artikel werden die Daten, mit welchen die Ausschreibung ergänzt werden darf, abschliessend aufgelistet.

d. Verknüpfungen zwischen Ausschreibungen (Art. 52 Beschluss SIS II und Art. 37 Verordnung SIS II) Das SIS II sieht neu die Möglichkeit vor, Ausschreibungen miteinander zu verknüpfen. Zwei oder mehr Ausschreibungen können miteinander verknüpft werden, sofern eine eindeutige operationelle Notwendigkeit besteht. Es dürfen jedoch nur die selber eingegebenen Ausschreibungen verknüpft werden. Eine Verknüpfung ändert nichts an der Erfassungsdauer, der Massnahme oder den Zugriffsrechten der verknüpften Ausschreibungen. Eine Verknüpfung ist zudem für eine Behörde, welche über den Zugriff auf die eine Ausschreibung, jedoch nicht auf die damit verknüpfte Ausschreibung verfügt, nicht ersichtlich.

e. Ergänzung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen (Art. 56­63 Beschluss SIS II und Art. 40­47 Verordnung SIS II) Der Datenschutz wurde mit den neuen Rechtsinstrumenten generell gestärkt. Auf zwei Neuerungen ist in diesem Zusammenhang speziell hinzuweisen. Es handelt sich einerseits um das Recht auf Information von Drittstaatsangehörigen (Art. 42 Verordnung SIS II) sowie anderseits um die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Kontrollinstanzen und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten (Art. 62 Beschluss SIS II und Art. 46 Verordnung SIS II) Das Recht auf Information betrifft nur Drittstaatsangehörige, die Gegenstand einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung sind. Ihnen sind die in Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199221 über den Datenschutz enthaltenen Informationen mitzuteilen. Dabei erfolgt diese Mitteilung nicht auf Anfrage der betroffenen Person, sondern von Amtes wegen. Die Informationen werden der betroffenen Person zusammen mit der Eröffnung des Entscheids, welcher der Ausschreibung zugrunde liegt, mitgeteilt.

Die nationalen Kontrollinstanzen und der Europäische Datenschutzbeauftragte sollen zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Mit regelmässigen Treffen und der Erarbeitung eines Tätigkeitsberichts sollte die korrekte Auslegung, Anwendung und Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften kontrolliert werden können.

f. Ergänzung der Haftungsbestimmung (Art. 64 Ziff. 3 Beschluss SIS II und Art. 48 Ziff. 3 Verordnung SIS II) Die Bestimmungen des
SDÜ hinsichtlich der Haftung wurden präzisiert. Die Mitgliedstaaten haften weiterhin nach Massgabe des nationalen Rechts für Schäden, die aus dem Betrieb des SIS entstehen. Es besteht ein Rückgriffsrecht auf den ausschreibenden Mitgliedstaat. Neu wurde in Artikel 64 Ziffer 3 des Beschlusses SIS II und Artikel 48 der Verordnung SIS II eine Regelung eingefügt, wonach der Mitgliedstaat für Schäden haftet, die auf eine Missachtung der rechtlichen Bestimmungen des SIS zurückzuführen sind.

21

SR 235.1

8604

g. Einsetzung eines Regelungsausschusses (Art. 67 Beschluss SIS II und Art. 51 Verordnung SIS II) Die EG-Kommission wird von einem Regelungsausschuss unterstützt, der sich aus den Vertretern und Vertreterinnen der Schengen-Staaten zusammensetzt.

2.2.2

Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 (Kfz-Verordnung SIS II)

Der Inhalt der Verordnung entspricht grundsätzlich der Regelung für das SIS I+ (vgl. Ziff. 2.1.2). Es wurden nur formale Änderungen eingefügt, um die Kohärenz mit dem Beschluss SIS II und der Verordnung SIS II zu gewährleisten. Die KfzVerordnung SIS II wird Artikel 102a SDÜ ersetzen.

3

Auswirkungen

Die Auswirkungen auf Bund, Kantone, Gemeinden und die Volkswirtschaft hinsichtlich der Anbindung der Schweiz an das Schengener Informationssystem werden in der Botschaft Bilaterale II22, der Interpellation Hutter23 und im Rahmen des Verpflichtungskredits für die Finanzierung der informatikmässigen Umsetzung der Schengen/Dublin-Assoziierungsabkommen24 dargelegt.

Die hier erläuterten Weiterentwicklungen bringen keine grundsätzliche Änderung der Voraussetzungen für die Anbindung der Schweiz an das SIS mit sich, weshalb auch keine weitergehenden Auswirkungen zu gegenwärtigen sind.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003­200725 nicht angekündigt. Der Schengen-Besitzstand wurde bei der Unterzeichung des SAA am 26. Oktober 2004 festgelegt. Die nach diesem Datum erfolgten Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands konnten folglich im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 nicht ausdrücklich vorgesehen werden.

22 23 24

25

BBl 2004 5965 6225 ff.

06.3683 Interpellation Hutter Jasmin vom 13. Dezember 2006, Mehrkosten für Schengen/Dublin Der Verpflichtungskredit in der Höhe von 101,8 Mio. wird mit dem Nachtrag II 07 beantragt; am 31. August 2007 hat ihn die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte gutgeheissen.

BBl 2004 1149

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5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands zur Anpassung der Rechtsgrundlagen des SIS erfolgt im Rahmen von Notenaustauschen zwischen der Schweiz und der EU. Für die Schweiz stellt der Notenaustausch einen völkerrechtlichen Vertrag dar. Die Vorlage stützt sich folglich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)26, der dem Bund die Ermächtigung zum Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen gibt.

5.2

Genehmigungsbeschluss

Die Übernahme der Weiterentwicklungen der Rechtsgrundlagen für das SIS erfolgt durch Notenaustausche, die aus schweizerischer Sicht völkerrechtliche Verträge darstellen. Völkerrechtliche Verträge sind gemäss dem ordentlichen Vertragsschlussverfahren nach Artikel 166 Absatz 2 BV grundsätzlich von der Bundesversammlung zu genehmigen. Der Bundesrat kann einen völkerrechtlichen Vertrag nur dann genehmigen, wenn ein von der Bundesversammlung genehmigter völkerrechtlichen Vertrag oder ein Bundesgesetz ihn hierzu ermächtigt oder es sich um ein Abkommen von beschränkter Tragweite im Sinne von Artikel 7a des Regierungsund Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG)27 handelt.

Die Notenaustausche stellen keine Abkommen von beschränkter Tragweite im Sinne von Artikel 7a RVOG dar. Auch hält kein Gesetz oder Staatsvertrag eine Abschlusskompetenz des Bundesrates fest.

Die für die Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands notwendigen Notenaustausche sind deshalb in Anwendung von Artikel 166 Absatz 2 BV dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterstehen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Die Notenaustausche zur Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands zur Anpassung der Rechtsgrundlagen des SIS können gestützt auf die im Basisvertrag vorgesehene Kündigungsklausel (Art. 17 SAA) gekündigt werden, und sie sehen keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor.

Es bleibt die Frage, ob die Verträge wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder ob ihre Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Unter rechtsetzenden Bestimmungen sind gemäss Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200228 Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Wichtig ist eine solche Norm dann, wenn ihr Regelungsgegenstand im Landesrecht in Analogie zu Artikel 164 Absatz 1 BV auf formellgesetzlicher Stufe normiert werden müsste. Die Notenaustausche sehen die integrale 26 27 28

SR 101 SR 172.010 SR 171.10

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Übernahme einer ganzen Reihe von direkt anwendbaren Normen vor. Die Bestimmungen regeln namentlich die Systemarchitektur, die Zuständigkeiten der Schengen-Staaten, die Zugriffsberechtigung von Europol und der nationalen Mitglieder von Eurojust, die im SIS enthaltenen Daten, die Datenverarbeitung und den Datenschutz. Die Notenaustausche enthalten somit wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die ­ würden sie auf nationaler Ebene erlassen ­ gestützt auf Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Gesetzes im formellen Sinn ergehen müssten. Im Weiteren bedingt die Umsetzung der Weiterentwicklungen der Rechtsgrundlagen des SIS auch eine Gesetzesanpassung im nationalen Recht (vgl. Ziff. 1.2.3).

Daraus folgt, dass der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Anpassung des Schengener Informationssystems in Anwendung von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem Staatsvertragsreferendum zu unterstellen ist.

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