Vollzug der Kriegsmaterialgesetzgebung: Entscheide des Bundesrates vom 29. Juni 2005 sowie die Wiederausfuhr von Panzerhaubitzen nach Marokko Bericht vom 7. November 2006 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 21. Februar 2007

Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) hat am 7. November 2006 dem Bundesrat ihren Bericht «Vollzug der Kriegsmaterialgesetzgebung: Entscheide des Bundesrates vom 29. Juni 2005 sowie die Wiederausfuhr von Panzerhaubitzen nach Marokko» zur Stellungnahme zukommen lassen. Auf den folgenden Seiten finden Sie die Antwort des Bundesrates.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

21. Februar 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2006-3005

2137

Stellungnahme 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Am 29. Juni 2005 fasste der Bundesrat vier Beschlüsse betreffend Kriegsmaterialexporte nach Irak, Indien, Pakistan und Südkorea.

Zunächst bewilligte er ein Gesuch für die Ausfuhr von 180 Mannschaftstransportwagen M113 in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Die VAE beabsichtigten, die M113 der irakischen Regierung zu schenken. Der UNO-Sicherheitsrat hatte zuvor in seiner Resolution Nr. 1546 vom 8. Juni 2004 die UNO-Mitgliedstaaten aufgefordert, der irakischen Regierung beim Aufbau eigener Polizei-, Grenz- und Objektschutzdienste zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit behilflich zu sein.

Nachdem der Bundesrat im Anschluss an die Atomversuche Indiens und Pakistans im Jahre 1998 angeordnet hatte, dass keine neuen Ausfuhrgesuche für diese beiden Länder bewilligt werden dürfen, hob er mit seinem Beschluss vom 29. Juni 2005 dieses faktische Ausfuhrverbot auf und kehrte zum früheren ordentlichen Verfahren zurück. Gleichzeitig bewilligte der Bundesrat eine Voranfrage für die Vergabe von Lizenzen für den Bau von Fliegerabwehrkanonen und die Zulieferung von Bauteilen nach Indien. Bezüglich Pakistan autorisierte der Bundesrat ein Vermittlungsgesuch für den Verkauf von 736 Mannschaftstransportwagen M113. Die M113 sollten ausschliesslich für UNO-Einsätze pakistanischer Truppen verwendet werden.

Schliesslich entschied der Bundesrat über eine Voranfrage für die vorübergehende Ein- und Wiederausfuhr zwecks Unterhaltsarbeiten an 50­100 Steuerköpfen zu LuftLuft-Lenkwaffen des Typs «Sidewinder» von bzw. nach Südkorea.

Zudem war bekannt geworden, dass die VAE zuvor von der Schweiz gelieferte Panzerhaubitzen M109 ohne unsere Zustimmung nach Marokko re-exportiert hatten.

All dies führte zu zahlreichen parlamentarischen Vorstössen und zu Kritik an der Bewilligungspraxis des Bundesrates. Am 1. Juli 2005 wandte sich Nationalrat Josef Lang mit einer Aufsichtseingabe an die GPK-N und forderte diese auf, die Rechtmässigkeit der fraglichen Entscheide zu überprüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung findet sich im Bericht der GPK-N vom 7. November 20061.

Der Bundesrat seinerseits setzte mit Beschluss vom 7. September 2005 auf Antrag des EVD eine interdepartementale Arbeitsgruppe (IDA) ein, um die Zuständigkeiten und Verfahren zur Behandlung von Kriegsmaterialexporten zu überprüfen.

1.2

Aufarbeitung durch den Bundesrat

Der Bundesrat hat mit der Einsetzung der IDA rasch auf die Kritik an seinen Beschlüssen vom 29. Juni 2005 reagiert. Im Auftrag des Bundesrates hat die IDA die Fakten betreffend die Ausfuhr von 180 Mannschaftstransportwagen M113 und 1

http://www.parlament.ch/ko-au-gpk-panzerhaubitzen.pdf

2138

40 Panzerhaubitzen M109 in die VAE abgeklärt, Vorschläge für die Verwertung von überschüssigem Armeematerial, für die Behandlung von Voranfragen und für die Verbesserung der Nichtwiederausfuhr-Erklärungen erarbeitet, die Frage aufgeworfen, ob und wie der Kriterienkatalog von Artikel 5 der Kriegsmaterialverordnung vom 25. Februar 19982 (KMV) verbessert werden könnte, und schliesslich Zuständigkeiten und Rechtsgrundlagen bei Kriegsmaterialgeschäften geprüft.

Im Rahmen der Untersuchungen der IDA hat sich gezeigt, dass die fraglichen Bewilligungen im Einklang mit der Kriegsmaterialgesetzgebung ergangen sind. Dieses Ergebnis wird im Bericht der GPK-N vom 7. November 2006 klar bestätigt.

Mit Beschluss vom 10. März 2006 hat der Bundesrat den Bericht der IDA vom 22. Dezember 2005 zur Kenntnis genommen und entsprechende Beschlüsse gefasst.

Der Bundesrat hat also bereits vor dem Abschluss der Untersuchungen der GPK-N eine neue, restriktive Politik der Verwertung von überschüssigem Kriegsmaterial und verschiedene Massnahmen, welche die Durchsetzbarkeit von Nichtwiederausfuhr-Erklärungen und die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungseinheiten verbessern, umgesetzt. Darüber hinaus hat er eine Überprüfung der Bewilligungskriterien in Artikel 5 KMV angeordnet.

1.3

Exportkontrolle im politischen Spannungsfeld

Die Frage, wie die Exportkontrollpolitik im Bereich des Kriegsmaterials auszugestalten ist, wurde in der schweizerischen Öffentlichkeit stets kontrovers diskutiert. Die Forderungen reichten von einer weitgehenden Freigabe der Ausfuhren bis zu deren Totalverbot. Damit stellt jede Regelung eine Gratwanderung zwischen unterschiedlichsten Anliegen und Interessen dar. Ethische und humanitäre Gründe sprechen für eine weitgehende Beschränkung solcher Ausfuhren, denn bei jedem Export von Kriegsmaterial besteht trotz wirksamer Kontrollmechanismen die Möglichkeit, dass dieses in Konflikten Verwendung findet. Die Förderung von Sicherheit und Frieden in der Welt, die Wahrung der Menschenrechte und die Förderung der Wohlfahrt sind zentrale Ziele der schweizerischen Aussenpolitik. Die Kriegsmaterialausfuhrpolitik hat diese Ziele zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Landesverteidigung und damit der eigenen Sicherheit, die eine minimale eigene Rüstungsbasis erfordern. Auch wirtschaftliche Interessen müssen berücksichtigt werden: Die Rüstungsunternehmen bieten Arbeitsplätze an, entwickeln Know-how in der Spitzentechnologie, gehören zum Forschungsplatz Schweiz. Jede Lösung muss einen Mittelweg zwischen diesen Aspekten suchen und einen Kompromiss bei der Abwägung der Interessen finden, die sich in diesem Bereich kreuzen.

Bereits unter dem Regime des Bundesgesetzes vom 30. Juni 19723 über das Kriegsmaterial sah sich der Bundesrat im Rahmen der Beantwortung zahlreicher parlamentarischer Vorstösse mit den eingangs erwähnten, teilweise divergierenden Interessen konfrontiert. Auch in der Botschaft zur Volksinitiative «für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr» sowie zur Revision des Bundesgesetzes über das Kriegsmaterial und in den entsprechenden Wortprotokollen der Beratungen der eidgenössischen Räte kommt deutlich zum Ausdruck, welchen unterschiedlichen Anforderungen die Kriegsmaterialgesetzgebung und die zuständige Bewilligungsinstanz gerecht werden 2 3

SR 514.511 AS 1973 108

2139

müssen. Ein Vergleich der im Rahmen der Gesetzesberatungen gemachten Äusserungen mit der aktuellen politischen Diskussion bezüglich Kriegsmaterialexporten zeigt, dass das Kriegsmaterialgesetz vom 13. Dezember 19964 (KMG) als Ergebnis ähnlicher Kontroversen entstanden ist, wie sie auch heute noch den politischen Diskurs prägen.

Das geltende Kriegsmaterialgesetz enthält in Artikel 1 allgemeine Grundsätze, nach denen sich der Transfer von Kriegsmaterial zu richten hat. Dieser soll nicht im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen und den aussenpolitischen Grundsätzen der Schweiz erfolgen. Innerhalb dieses Rahmens soll in der Schweiz eine an die Bedürfnisse ihrer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechterhalten werden können.

Artikel 22 KMG ergänzt diesen Katalog im Hinblick auf Auslandsgeschäfte um das Kriterium der Völkerrechtskonformität. Das Kriegsmaterialgesetz löst damit das eingangs erwähnte Spannungsfeld nicht etwa auf, sondern verlangt seinerseits einen Interessenausgleich zwischen aussen-, sicherheits- und indirekt auch wirtschaftspolitischen Anliegen.

In Artikel 5 KMV werden die Bewilligungskriterien, die der Bundesrat ursprünglich im neuen Kriegsmaterialgesetz selbst vorgesehen hatte5, verfeinert und in Artikel 14 das entsprechende Verfahren geregelt. Bei der Bewilligung sind zu berücksichtigen: a.

die Aufrechterhaltung des Friedens, der internationalen Sicherheit und der regionalen Stabilität;

b.

die Situation im Innern des Bestimmungslandes; namentlich sind zu berücksichtigen die Respektierung der Menschenrechte und der Verzicht auf Kindersoldaten;

c.

die Bestrebungen der Schweiz im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit;

d.

das Verhalten des Bestimmungslandes gegenüber der Staatengemeinschaft, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung des Völkerrechts;

e.

die Haltung der Länder, die sich zusammen mit der Schweiz an internationalen Exportkontrollregimes beteiligen.

Diese Bewilligungskriterien sind als Leitlinien bei der Prüfung von Auslandgeschäften zu sehen; wie das einzelne Kriterium dabei zu gewichten ist, wird offengelassen.

Damit verbleibt der Bewilligungsbehörde ein Ermessensspielraum. Für die Bewilligungsbehörde erschwerend ist ausserdem der Umstand, dass die bei der Beurteilung der genannten Kriterien notwendigen Informationen über das Bestimmungsland ihrerseits interpretationsbedürftig sind. Auch kann sich die politische Situation im Empfängerland rasch ändern. Damit wird das dem Bewilligungsverfahren inhärente Dilemma zusätzlich verschärft.

Jeder Bewilligungsentscheid ist somit auf der Basis einer Vielzahl wirtschaftlicher, rechtlicher und politischer Wertungen zu treffen, die im Einzelfall vorgenommen werden müssen. Ein checklistenartiges, rezepthaftes Abarbeiten von Kriterien würde der Komplexität der Sache nicht gerecht. Weil die Entscheidung über die Bewilli4 5

SR 514.51 Vgl. Botschaft vom 15. Februar 1995 zur Volksinitiative «für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr» und zur Revision des Bundesgesetzes über das Kriegsmaterial, BBl 1995 II 1027.

2140

gungserteilung oder -verweigerung oft einzelfallorientiert und politisch situativ erfolgt, ist im KMG (Art. 29) und in der KMV (Art. 14) eine besondere Zuständigkeitsordnung geschaffen worden, die sich unter anderem an der politischen Brisanz eines Geschäftes und am Grad der Interessensdivergenz orientiert. Dieses System stellt eine sinnvolle prozedurale Sicherung für eine möglichst homogene Handhabung der Bewilligungskriterien dar.

Obwohl Bewilligungsentscheide über Kriegsmaterialexporte, wie oben aufgezeigt, in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Zielsetzungen zu fällen sind, erledigt sich die überwiegende Mehrheit der Geschäfte gestützt auf ein bewährtes Verfahren und eine konstante, transparente und grösstenteils konsensfähige Praxis problemlos.

Im Jahre 2006 erreichten die Kriegsmaterialausfuhren einen Wert von 397,6 Millionen Franken. Dies entspricht im Vergleich zur gesamten Warenausfuhr aus der Schweiz einem Anteil von 0,21 %. Zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2006 wurden insgesamt 2365 Ausfuhrgesuche eingereicht. 2353 Gesuche mit einem Wert von 942 Millionen Franken wurden bewilligt6, 12 Gesuche mit einem Wert von total 3,5 Millionen Franken wurden abgelehnt. Im gleichen Zeitraum wurden 37 Voranfragen eingereicht, wovon 18 bewilligt und 177 nach 16 verschiedenen Ländern abgelehnt wurden. Dass nicht mehr Ablehnungen erfolgten, ist auch darauf zurückzuführen, dass die Exporteure aufgrund der ihnen bekannten und gefestigten Praxis weitgehend zum Vornherein darauf verzichten, für gewisse heikle Länder Ausfuhrgesuche einzureichen, sich also eine Selbstbeschränkung auferlegen.

2

Stellungnahme des Bundesrates zu den einzelnen Empfehlungen

2.1

Empfehlung 1: Berücksichtigung der Menschenrechtslage

«Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, bei seinen Entscheidungen wie auch bei den durch die zuständigen Verwaltungseinheiten zu treffenden Bewilligungsentscheiden gemäss Kriegsmaterialgesetzgebung dem Kriterium der Menschenrechtslage im betroffenen Land ein grösseres Gewicht beizumessen und auf eine Unterscheidung zwischen einzelnen Behörden eines Landes in diesem Bereich zu verzichten.» Stellungnahme des Bundesrates Der Respektierung der Menschenrechte kommt unter den in Artikel 5 KMV aufgeführten Bewilligungskriterien bereits heute eine wichtige Rolle zu. Die Nichtrespektierung der Menschenrechte war bei den allermeisten Ablehnungen von Ausfuhrgesuchen und Voranfragen der letzten Jahre das ausschlaggebende Kriterium.

6

7

Der Totalwert der Ausfuhrbewilligungen ist wesentlich höher als der Wert der effektiven Ausfuhren. Dies lässt sich damit erklären, dass bewilligte Gesuche nicht immer benutzt werden, beispielsweise weil die Finanzierung eines Geschäftes noch nicht garantiert ist.

Ausserdem erscheinen unter den bewilligten Ausfuhrgesuchen auch vorübergehende Ausfuhren (Freipassverfahren, Verfahren mit Vormerkschein, Reparaturen u.Ä.), die in der Regel nicht zu einer definitiven Ausfuhr führen und deshalb unter den effektiven Exporten nicht erfasst werden.

Bei zwei Voranfragen konnten sich die beteiligten Ämter nicht einigen; deshalb wurde den um Auskunft Ersuchenden mitgeteilt, dass ein allfälliges Gesuch dem Bundesrat zum Entscheid unterbreitet werden müsste.

2141

Der Bundesrat hat bereits in seiner Antwort auf die Interpellation Jutzet (98.3098) «Waffenexporte» deutlich gemacht, dass keine Bewilligungen erteilt werden, wenn die Menschenrechte in einem Empfängerstaat schwerwiegend und systematisch verletzt werden.

Die Formulierung in Artikel 5 Buchstabe b KMV erscheint diesbezüglich und im Vergleich zur Regelung, welche die EU kennt, eher unpräzise. Gemäss Kriterium 2 des Waffenkodexes der EU erteilen Mitgliedstaaten keine Ausfuhrbewilligung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass das zur Ausfuhr bestimmte Gerät zur internen Repression benutzt werden könnte. Interne Repression umfasst unter anderem Folter sowie andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, das Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Verhaftungen und andere schwere Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie sie in den einschlägigen Menschenrechtsübereinkünften, einschliesslich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, niedergelegt sind.

Obwohl die normative Regelung der Berücksichtigung der Menschenrechtssituation im Bestimmungsland in der schweizerischen Kriegsmaterialgesetzgebung nicht so detailliert ausfällt wie in der EU, zeigt sich, dass die EU-Mitgliedstaaten in Länder, die in diesem Zusammenhang zur Diskussion stehen wie Saudi-Arabien, Indien und Pakistan, 2005 insgesamt Kriegsmateriallieferungen in drei- oder vierstelliger Millionenhöhe bewilligten, während die Schweiz keine Bewilligungen oder nur solche über vergleichsweise sehr geringe Wertvolumen erteilt hatte (vgl. Tabelle).

Daneben ist, wie unter Ziffer 1.3 ausgeführt wird, zu berücksichtigen, dass die in Artikel 5 KMV genannten Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte nicht in einer bestimmten Hierarchie zueinander stehen, sondern in einer Interessenabwägung und neben den weiteren Bewilligungsvoraussetzungen sowie den aussen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Anliegen heranzuziehen sind. Artikel 5 KMV sieht neben der Berücksichtigung der Respektierung der Menschenrechte auch den Einbezug der Haltung der Länder, die sich zusammen mit der Schweiz an internationalen Exportkontrollregimes beteiligen, bei der Bewilligung vor. Im Vordergrund steht dabei
die Praxis der EU-Staaten.

Bewilligte Kriegsmaterial- bzw. Rüstungsexporte der Schweiz und ausgewählter EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2005 (Quelle: Amtsblatt der Europäischen Union C 250 vom 16.10.2006, S. 1) Schweiz Land

Europäische Union

Wert ausWert ausgestellter Bewilligungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in gestellter Bewilligun- Deutschland Frankreich Österreich Italien Schweden Total aller gen für die EU-MitAusfuhr von gliedstaaten Kriegsmaterial in CHF

Saudi-Arabien

3 753 657

29 854 300

771 788 725

1 470 867

4 000

Indien

1 504 271

50 851 942

322 571 244

802 609 104 410 018

9 810 000

926 023 218

0

99 731 555

711 244 167

169 433

49 528 847 13 750 000

1 412 459 166

Pakistan

2142

9 041 649

973 751 655

Der Bundesrat beurteilt seine bisherige Praxis bei der Berücksichtigung der Menschenrechtssituation im Bestimmungsland, gerade im Vergleich mit der Praxis der EU-Mitgliedstaaten, als ausgewogen und gedenkt sie entsprechend fortzusetzen.

Eine Unterscheidung zwischen einzelnen Behörden in einem Land wurde bisher bei Lieferungen von Kriegsmaterial nach Ägypten und Tunesien vorgenommen. Gesuche, die für die Armeen dieser Länder bestimmt waren, wurden bewilligt, Gesuche für die dem Innenministerium unterstellten Truppen, die in Menschenrechtsverletzungen involviert waren, abgelehnt. Der Bundesrat erachtet es nicht als sinnvoll, Kriterien, die im Einzelfall eine Entscheidungshilfe bieten können, zum Vornherein kategorisch auszuschliessen. Ein Verzicht auf eine entsprechende Unterscheidung hätte zur Folge, dass Ausfuhrgesuche für diese beiden Länder grundsätzlich abgelehnt würden. Ein solches Vorgehen würde wiederum das Kriterium der Haltung anderer Länder, die sich mit der Schweiz an internationalen Exportkontrollregimes beteiligen, unberücksichtigt lassen und damit schweizerische Unternehmen gegenüber solchen aus anderen europäischen Staaten benachteiligen. Die EU-Staaten bewilligten für die beiden genannten Länder im Jahre 2005 die Ausfuhr von Rüstungsmaterial in der Höhe von 413 Millionen Euro (Ägypten) bzw. 63 Millionen Euro (Tunesien), die Schweiz in der Höhe von 2,2 Millionen Franken (Ägypten) bzw. 6 Millionen Franken (Tunesien).

2.2

Empfehlung 2: Kriegsmaterialexporte nach Südkorea

«Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, seine Praxisänderung im Bereich der Bewilligungen für Kriegsmaterialexporte nach Südkorea vertieft zu begründen und klare Kriterien für die Berücksichtigung der Neutralitätspolitik bei den Bewilligungsentscheiden zu definieren.» Stellungnahme des Bundesrates Für die per Ende Juni 2005 eingeleitete Praxisänderung gegenüber Südkorea waren verschiedene Gründe ausschlaggebend.

Die weitreichenden Änderungen im aussen- und sicherheitspolitischen Umfeld der Schweiz nach dem Ende des Kalten Krieges haben den Bundesrat in den Neunzigerjahren zu einer bedeutsamen Neuausrichtung der schweizerischen Neutralität veranlasst. Zum einen erfolgte eine Rückbesinnung auf den rechtlichen Kern der Neutralität, der besagt, dass der neutrale Staat im Kriegsfall keine Konfliktpartei militärisch unterstützen sowie in Friedenszeiten keine Massnahmen treffen darf, welche ihm in Zeiten eines bewaffneten Konfliktes die Einhaltung seiner neutralitätsrechtlichen Pflichten verunmöglichen. Zum anderen schloss sich die Schweiz der Auffassung an, wonach das Neutralitätsrecht im Fall von Zwangsmassnahmen im Rahmen der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen nicht zur Anwendung kommt, weshalb die Schweiz bereits vor ihrem UNO-Beitritt nichtmilitärische Sanktionen der UNO mitgetragen hat.

Der Bundesrat hat trotzdem nicht auf eine glaubwürdige Neutralitätspolitik verzichtet. So hat er in seinem Bericht zur Neutralität 1993 präzisiert, dass der neutrale Staat «jenseits der völkerrechtlich festgelegten Pflichten einen grossen politischen Handlungsspielraum [geniesst]. Der Bundesrat hält eine Anpassung der Neutralitätspolitik an die heutigen Verhältnisse für notwendig. Er legt indessen Wert darauf, 2143

dass diese nicht zur Opportunitätspolitik wird, sondern sich auch weiterhin durch die Stetigkeit und Berechenbarkeit auszeichnet, die ihr in der Vergangenheit internationalen Respekt gesichert haben». Demzufolge hält der Bundesrat die zur Erhaltung der Voraussehbarkeit und Glaubwürdigkeit der Neutralität notwendigen Massnahmen, die sich jenseits des Neutralitätsrechts befinden, für angemessen.

Mit Blick auf das Neutralitätsrecht ist die Frage entscheidend, ob die Schweiz Nordund Südkorea als miteinander im Krieg befindliche Länder betrachtet. Gegebenenfalls wären aufgrund des Neutralitätsrechts Kriegsmaterialausfuhren des Bundes nach Südkorea (wie auch nach Nordkorea) verboten. Es ist einem neutralen Staat nämlich verboten, einen im Krieg befindlichen Staat mittels Truppenentsendung, Zurverfügungstellung seines Territoriums oder Lieferung von Kriegsmaterial militärisch zu unterstützen. Hingegen wirkt sich das Neutralitätsrecht nicht auf die Lieferung von Kriegsmaterial durch Private an Kriegsparteien aus. Allerdings muss der neutrale Staat die gleichen Einschränkungen für alle Kriegsparteien vorsehen, wenn er entscheidet, die private Ausfuhr von Kriegsmaterial an eine Kriegspartei einzuschränken. Die allgemein anerkannten Neutralitätspflichten des geltenden Völkerrechts lassen sich hauptsächlich auf den als militärischen Kern der Neutralität bezeichneten Rechtsbereich reduzieren. Wenn aber die über 50-jährige Absenz kriegerischer Handlungen dahingehend interpretiert wird, dass zwischen den beiden Staaten kein Kriegszustand herrscht8, steht der Bewilligung von Ausfuhrgesuchen zumindest neutralitätsrechtlich nichts im Wege.

Gerade die Tatsache, dass es zwischen Nord- und Südkorea seit immerhin 50 Jahren keine Kampfhandlungen mehr gibt und Südkorea weder die internationale noch die regionale Sicherheit gefährdet, war für die Praxisänderung des Bundesrates ausschlaggebend. Im Weiteren war der Bundesrat der Ansicht, dass aus neutralitätspolitischer Sicht die Gutheissung des Gesuchs um die Bewilligung des Exports nach Südkorea nicht der Voraussehbarkeit und Glaubwürdigkeit der Neutralität schadete.

Dass daneben zahlreiche andere westliche Länder Rüstungsmaterial nach Südkorea liefern, darunter auch Schweden, das wie die Schweiz Mitglied der Neutralen Überwachungskommission in Korea ist, war ein
zusätzliches Beurteilungselement. Im Jahre 2005 haben die EU-Staaten insgesamt Ausfuhren von Rüstungsgütern nach Südkorea von über 523 Millionen Euro bewilligt, Schweden im Wert von über 11 Millionen Euro. Der Bundesrat erachtet deshalb seine Praxisänderung weiterhin als richtig, zumal auch die GPK-N aus rechtlicher Sicht festhält, der Bundesrat habe hier innerhalb seines Ermessensspielraums entschieden.

8

Schliesslich kann die Tatsache, dass zwischen Nord- und Südkorea kein Friedensvertrag zustande kam, für sich allein kein Kriterium dafür sein, das Neutralitätsrecht anzuwenden und Kriegsmateriallieferungen abzulehnen. Die meisten Kriege werden heute nicht mehr formell erklärt und demzufolge nicht mehr mit einem Friedensabkommen beendet.

2144

2.3

Empfehlung 3: Nichtwiederausfuhr-Erklärungen

«Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, bei Verletzungen von NichtwiederausfuhrErklärungen entsprechende Konsequenzen für die betreffenden Staaten vorzusehen.» Stellungnahme des Bundesrates Der Bundesrat erachtet die Nichtwiederausfuhr-Erklärungen als eine zwingende Voraussetzung für die Erteilung einer Ausfuhrbewilligung und die Nichteinhaltung einer solchen Erklärung durch das Empfängerland als gravierend. Er teilt grundsätzlich die Meinung der GPK-N, dass bei Nichteinhaltung der NichtwiederausfuhrErklärungen Massnahmen gegenüber dem betreffenden Land getroffen werden sollten. Die GPK-N empfiehlt, während einer gewissen Zeit auf Bewilligungen von Kriegsmaterial in das betroffene Land zu verzichten. In der Tat wurde die Behandlung der die VAE betreffenden Ausfuhrgesuche faktisch während eines Jahres, bis zum 28. Juni 2006, sistiert. Dabei muss man sich allerdings bewusst sein, dass mit einer solchen Massnahme nicht notwendigerweise das Empfängerland getroffen, sondern in erster Linie die schweizerische Exportindustrie benachteiligt wird.

Über eine Sistierung von Kriegsmaterialexporten oder eine andere Konsequenz gegenüber einem Staat bei Nichteinhaltung einer Nichtwiederausfuhr-Erklärung muss im Einzelfall und entsprechend der Schwere der Verletzung befunden werden.

Der Bundesrat ruft bei dieser Gelegenheit noch einmal in Erinnerung, dass er mit Beschluss vom 10. März 2006 verschiedene unterstützende Massnahmen im Zusammenhang mit Nichtwiederausfuhr-Erklärungen angeordnet hat: darunter die Ausbedingung und Ausübung von Verifikationsmöglichkeiten («post-shipment inspections»). Dabei sollen vermehrt die Dienste der Auslandsvertretungen (einschliesslich Verteidigungsattachés) und der Schweizer Nachrichtendienste beansprucht werden. Der Bundesrat hält aber auch fest, dass Fälle von Verletzungen der Nichtwiederausfuhr-Erklärungen, wie die Schenkung der 40 Panzerhaubitzen M109 durch die VAE an Marokko, sehr selten sind9.

Der Bundesrat hat im Zusammenhang mit der unrechtmässigen Wiederausfuhr von 40 Panzerhaubitzen M109 durch die VAE nach Marokko die beiden Vertreter der Eidgenossenschaft im Verwaltungsrat der RUAG beauftragt, die Rolle der RUAG abzuklären. Nachdem der Bundesrat an seiner Sitzung vom 25. Oktober 2006 vom entsprechenden Bericht Kenntnis genommen hat, wurde das Sekretariat der GPK vom VBS informiert.

2.4

Empfehlung 4: Überschüssiges Kriegsmaterial

«Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, überschüssiges Kriegsmaterial in erster Linie in der Schweiz zu verwerten. Eine Rückgabe an das Herkunftsland sollte nur ins Auge gefasst werden, falls davon auszugehen ist, dass dieses Land das Kriegsmaterial nicht weitergibt.»

9

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich die VAE mit Schreiben vom 30. Mai 2006 an Bundesrat Schmid für den Vorfall entschuldigt haben.

2145

Stellungnahme des Bundesrates Mit Beschluss vom 10. März 2006 hat der Bundesrat entschieden, dass überschüssiges Kriegsmaterial in erster Wahl an das ursprüngliche Herkunftsland zurückverkauft oder diesem kostenlos und ohne Auflagen überlassen wird. In zweiter Wahl (und bei Vorliegen des Einverständnisses des Herkunftslandes) ist das Kriegsmaterial unter Beibringung einer Nichtwiederausfuhr-Erklärung an Staaten zu verkaufen, die in Anhang 2 der Kriegsmaterialverordnung aufgeführt sind (d.h. Länder, die wie die Schweiz allen vier Exportkontrollinstrumenten angehören). Ansonsten wird es in der Schweiz gelagert und allenfalls verwertet.

Den Verkauf oder die Überlassung von überschüssigem Kriegsmaterial an das Herkunftsland mit einer Nichtwiederausfuhrbeschränkung zu belegen, macht wenig Sinn. Ein solches Empfängerland von überschüssigem Kriegsmaterial könnte die Nichtwiederausfuhrbeschränkungen ohne Weiteres legal umgehen, da es wahrscheinlich im Besitz von gleichartigem Kriegsmaterial ist. Dieses könnte exportiert werden, während das aus der Schweiz zurückgenommene Material eingelagert oder selber verwendet würde.

Der Beschluss des Bundesrates war im Parlament nicht unbestritten. Wir verweisen auf die Motionen Engelberger (06.3502) «Überschüssiges Kriegsmaterial für Unooder OSZE-Friedensmissionen» und (06.3808) «Förderung von Uno-Friedensmissionen. Abgabe von überschüssigem Kriegsmaterial» sowie die Motion Borer (06.3602) «Materialbewirtschaftung in der Schweizer Armee». Der Bundesrat hat beantragt, diese Motionen abzulehnen. Er vertritt damit eine Position zwischen einer weitergehenden Liberalisierung (Anliegen der Motionen Engelberger und Borer) und einer restriktiveren Politik (Empfehlung GPK-N). Relativierend muss allerdings festgehalten werden, dass bisher seitens der Herstellungsländer kaum Interesse an überschüssigem Kriegsmaterial aus der Schweiz gezeigt wurde. Die Praxis dürfte deshalb kaum stark von der von der GPK-N empfohlenen Stossrichtung abweichen.

2.5

Empfehlung 5: Präzisierung der Bewilligungskriterien

«Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, die Kriterien für die Erteilung der Ausfuhrbewilligungen zu präzisieren und dabei insbesondere auch die Empfehlung 1 des Berichts der GPK-N (stärkere Gewichtung der Menschenrechtslage) sowie ihre Feststellungen zu den weiteren Bewilligungen zu berücksichtigen.» Stellungnahme des Bundesrates Heute verlangt Artikel 5 KMV, dass die genannten fünf Kriterien (Art. 5 Bst. a­e) zu berücksichtigen seien, ohne diese als unabdingbare Voraussetzungen für die Bewilligung zu bezeichnen oder in eine Hierarchie zueinander zu setzen. Je nach Gewichtung einzelner Kriterien können gerade heikle Gesuche unterschiedlich beurteilt werden.

Die IDA hat grundsätzlich befürwortet, dass die Voraussetzungen der Bewilligungen für Kriegsmaterial-Exporte möglichst normativ zu fassen seien, und hat sich deshalb mit der Möglichkeit der Präzisierung der Bewilligungskriterien in Artikel 5 KMV befasst. Die einheitliche Beurteilung von Gesuchen durch die beteiligten Verwaltungsstellen würde erleichtert, wenn die Kriterien verfeinert oder die einzelnen 2146

Kriterien gewichtet würden. Es dürfte sich allerdings als schwierig erweisen, für alle Fälle taugliche und präzise Regeln zu formulieren. Wichtig erscheint dem Bundesrat aber insbesondere, dass die Bewilligungspraxis nachvollziehbar und konsequent ist und die Praxis dann angepasst wird, wenn sich dies aufgrund einer veränderten Sachlage aufdrängt.

Als besonders schwierig zu interpretierende Bestimmung erweist sich das Kriterium der «Respektierung der Menschenrechte», wofür auf die Stellungnahme zu Empfehlung 1 verwiesen wird. Gemäss bisheriger Praxis wird Kriegsmaterial nicht in ein Land exportiert, in dem die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt werden. Die Frage stellt sich, ob etwa diese Klarstellung oder eine Umschreibung, wie sie die EU im erwähnten Kriterium 2 des Waffenkodexes vorgenommen hat, in Artikel 5 KMV verankert werden sollte.

Im Hinblick auf eine Revision der Kriegsmaterialverordnung wird das EVD eine IDA beauftragen, die Kriterien für die Erteilung der Ausfuhrbewilligungen zu präzisieren. Die Verordnungsänderung könnte bis Ende 2008 erfolgen.

3

Schlussfolgerungen

Wie im Bericht der GPK-N selber ausgeführt wird, verfolgt die schweizerische Kriegsmaterialgesetzgebung unterschiedliche Ziele, die im konkreten Einzelfall in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können. Deshalb räumt das Gesetz dem Bundesrat und den mit Kriegsmaterialausfuhrbewilligungen betrauten Bundesstellen auch einen Ermessensspielraum ein. Die Entscheide des Bundesrates vom 29. Juni 2005 fallen in diesen Ermessensspielraum und verletzen kein Recht, wie die GPK-N ausdrücklich festhält.

Der Bundesrat begrüsst den konstruktiven Dialog mit der GPK-N in einem politisch sensiblen Bereich und nimmt die Anregungen gerne in seine Überlegungen auf. Er weist aber ausdrücklich darauf hin, dass es im komplexen Bereich der Ausfuhrbewilligungen für Kriegsmaterial kaum einfache und generell gültige Lösungen gibt, da solche dem Einzelfall nicht gerecht würden. Der Bundesrat erachtet es deshalb als richtig, dass Kriegsmaterialgesetz und -verordnung den Vollzugsbehörden ein erhebliches Ermessen einräumen, und übt dieses unter umfassender Berücksichtigung aller politischen und wirtschaftlichen Aspekte des konkreten Einzelfalles aus.

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