07.060 Botschaft zur Volksinitiative «Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)» vom 27. Juni 2007

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)» Volk und Ständen mit der Empfehlung zu unterbreiten, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. Juni 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2007-1409

5511

Übersicht Anlass für die Initiative «Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)» ist insbesondere die unbefriedigende Situation in verschiedenen Bereichen des Gewässerschutzes und der in den letzten Jahren in den Schweizer Gewässern zu beobachtende Fischrückgang. Die Initiative will die bestehenden Defizite beheben und gleichzeitig auch zur Lösung gewässerökologischer Probleme beitragen.

Gemäss Wortlaut der Initiative hat die Initiative drei zentrale Forderungen: ­

Kantone fördern Renaturierungen öffentlicher Gewässer und ihrer Uferbereiche (Fliessgewässer und Seen).

­

Zu diesem Zweck errichten die Kantone kantonale Renaturierungsfonds.

­

Betroffene Organisationen können Begehren zur Durchführung von Massnahmen stellen (Antrags- und Beschwerderecht).

Im Falle der Annahme müsste die Initiative mittels Änderung der betroffenen Gesetze umgesetzt werden.

Im Initiativtext wird der Begriff Renaturierung als Oberbegriff für sämtliche Massnahmen zur Aufwertung der Gewässer verwendet, wie beispielsweise die Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei begradigten und verbauten Gewässern, Verminderung von schädlichen Wirkungen von Schwall und Sunk unterhalb von Speicherkraftwerken, Massnahmen zur Reaktivierung des Geschiebehaushalts sowie die Sanierung von ungenügenden Restwassermengen.

Es ist unbestritten, dass auf Grund des heutigen Zustands der Gewässer in diesen Bereichen ein grosser Handlungsbedarf besteht. Deshalb müssen die geltenden Gesetze konsequent vollzogen werden. Dabei muss der Fokus auf das Gewässer als Ganzes gerichtet werden. Bei der Planung von Massnahmen müssen die Auswirkungen auf alle Bereiche der Wasserwirtschaft berücksichtigt werden. Diese integrale Sichtweise wird als Folge der Klimaerwärmung noch wichtiger werden. Im Bereich Schwall und Sunk bei Speicherkraftwerken hat die Umweltkommission des Ständerats im Rahmen der parlamentarischen Initiative Restwassermengen Regelungsvorschläge ausgearbeitet. Diese Arbeiten sind wegen der Parallelitäten zur Initiative «Lebendiges Wasser» sistiert.

Als sehr problematisch betrachtet der Bundesrat die vorgeschlagene Ausweitung des Verbandsbeschwerderechts, welches im Widerspruch zum heutigen Trend zur Einschränkung und Verwesentlichung dieses Instrumentes liegt. Im Weiteren verursacht die Initiative aus der Sicht des Bundesrates im Vergleich zu ihrem Nutzen zu hohe Kosten für Bund und Kantone. Für die Wasserkraftwerke könnten wirtschaftliche Nachteile entstehen, und die Produktion von wertvoller Speicherenergie könnte je nach Umsetzung der Initiative beeinträchtigt werden.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Eidgenössische Volksinitiative «Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)» hat folgenden Wortlaut: I Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert: Art. 76a (neu) Renaturierung von Gewässern Die Kantone fördern Renaturierungen öffentlicher Gewässer und ihrer Uferbereiche. Sie sorgen insbesondere umgehend für die Finanzierung und rasche Durchführung der Sanierung von durch Wasserentnahmen wesentlich beeinflussten Fliessgewässern sowie für die Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei wasserbaulich belasteten Gewässern. Sie ordnen Massnahmen an für die Reaktivierung des Geschiebehaushaltes sowie für die Verminderung von schädlichen Schwall- und Sunkwirkungen.

1

Zur Finanzierung von Massnahmen, deren Kosten nicht den Verursachern überbunden werden können, errichtet jeder Kanton einen Renaturierungsfonds.

2

Über Begehren zur Durchführung von Massnahmen nach Absatz 1, die von direkt berührten Organisationen oder von gesamtschweizerischen Fischerei-, Natur- oder Umweltschutzorganisationen gestellt werden können, entscheiden Bund und Kantone in Form von beschwerdefähigen Verfügungen.

3

4

Der Bund erlässt die erforderlichen Vorschriften.

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Art. 197 Ziff. 6 (neu) 6. Übergangsbestimmung zu Artikel 76a (Renaturierung von Gewässern) Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen erlässt der Bundesrat innerhalb eines Jahres nach Annahme von Artikel 76a die erforderlichen Ausführungsbestimmungen.

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1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)» wurde am 21. Dezember 2004 von der Bundeskanzlei vorgeprüft1 und am 3. Juli 2006 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 24. Juli 2006 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 161 836 gültigen Unterschriften zu Stande gekommen ist2.

Die Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu keinen Gegenentwurf. Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes (ParlG)3 hat der Bundesrat der Bundesversammlung somit spätestens bis am 3. Juli 2007 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG innert 30 Monaten nach Einreichung der Initiative, d.h. bis am 3. Januar 2009, über die Volksinitiative zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV)4.

­

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt die Anforderungen an die Einheit der Form.

­

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

­

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Die offensichtliche faktische Undurchführbarkeit einer Initiative gilt als einzige ungeschriebene materielle Schranke einer Verfassungsrevision. Die Volksinitiative «Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)» ist weder in rechtlicher Hinsicht unmöglich zu realisieren noch ist sie faktisch undurchführbar.

Die Initiative ist somit gültig.

1 2 3 4

BBl 2005 1 BBl 2006 6699 Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002 (Parlamentsgesetz, ParlG, SR 171.10) Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV, SR 101)

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2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Heutige Situation der Gewässer

Die Wasserqualität hat sich in den letzten Jahrzehnten generell stark verbessert, u.a.

dank dem Ausbau der Kläranlagen. Es bestehen allerdings neue, komplexe Probleme wie der Eintrag von Chemikalien, hormonaktiven Stoffen, Pestiziden, Bioziden und Medikamenten die für die Umwelt eine Gefahr darstellen können.

Der strukturelle, räumliche und hydrologische Zustand der Gewässer stellt sich folgendermassen dar: ­

Eine Hochrechnung der kantonalen Daten zum ökomorphologischen Zustand der Gewässer ergibt, dass von den rund 65 300 km Fliessgewässer in der Schweiz 10 600 km stark beeinträchtigt und 5200 km eingedolt sind.

Die Strukturdefizite sind nicht gleichmässig über alle Gewässer verteilt.

Regional gesehen sind die ökologisch besonders wertvollen Gewässer im Mittelland am stärksten betroffen: Dort sind 50 % infolge der dichten Besiedlung sowie der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung entweder zugedeckt oder stark verbaut. Im Berggebiet sind es insbesondere die ökologisch wertvollen Hauptgewässer im Talboden, welche oft infolge durchgehender Verbauungen deutlich beeinträchtigt sind.

­

Weiter existieren rund 88 000 künstliche Abstürze mit einer Höhendifferenz von mehr als 0,5 m. Diese stellen Wanderhindernisse für die Fische und die übrige aquatische Fauna dar.

­

Bei den stehenden Gewässern besteht momentan kein umfassender Überblick über den ökomorphologischen Zustand der Seeufer. Eine Untersuchung am Bodensee hat gezeigt, dass 47 % der Ufer verbaut sind. Am Zürichsee, dessen Ufer zu den stärksten verbauten Seeufern in der Schweiz überhaupt gehören, sind über 80 % der Ufer stark beeinträchtigt.

­

Von den rund 500 Wasserkraftwerken mit einer Leistung von mindestens 300 kW erzeugen schätzungsweise 25 % schwallartige Abflussschwankungen in den unterliegenden Gewässern (Schwall und Sunk), damit sie nachfragegerecht produzieren können. Dabei kann der Lebensraum der im Wasser lebenden Tiere beeinträchtigt werden: Beim Abflussanstieg (Schwall) werden sie abgeschwemmt und beim Abflussrückgang (Sunk) besteht die Gefahr, dass sie stranden.

­

Eingriffe in Gewässer wie Flussverbauungen, Geschiebesammler und Wasserkraftwerke beeinflussen den Geschiebehaushalt. Der natürliche Geschiebehaushalt ist heute bei 41 % der untersuchten Fliessgewässer stark reduziert. Dadurch können sich die Flüsse z.T. unnatürlich eintiefen, was einerseits die technischen Bauten gefährdet, andererseits das Umland durch Absenkung des Grundwassers stark beeinträchtigt. Umgekehrt kann sich das Geschiebe an bestimmten Stellen ansammeln und muss zur Gewährleistung des Hochwasserschutzes entfernt werden.

­

Anfang der 1990er-Jahre waren direkt unterhalb von rund 1500 Wasserentnahmen zur Wasserkraftnutzung rund 80 % der Fliessgewässer während eines Teils des Jahres oder das ganze Jahr über trockengelegt (Restwasser-

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strecken). Dank dem revidierten Gewässerschutzgesetz (GSchG)5 sind ab 1992 bei Konzessionserneuerungen in über 100 Fliessgewässern angemessene Restwassermengen nach Artikel 29 ff. des Gewässerschutzgesetzes eingeführt worden. Bei laufenden Konzessionen wurden weitere 100 Sanierungen verfügt (Art. 80 ff. GSchG). Diese Massnahmen bringen einen hohen ökologischen Nutzen. Es verbleibt aber ein Handlungsbedarf bei den bisher nicht sanierten Restwasserstrecken. Die Sanierungsfrist bei laufenden Konzessionen nach Artikel 81 Absatz 2 GSchG wurde von den eidgenössischen Räten von 2007 auf 2012 verlängert.

­

In den letzten Jahrzehnten konnte ein starker Rückgang der Bachforellenfänge festgestellt werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass dahinter drei Hauptursachen stehen: eine Verschlechterung des natürlichen Lebensraums und der Wasserqualität sowie eine vermehrte Verbreitung von infektiösen Krankheiten.

2.2

Geltende Regelung des Gewässerschutzes

Zu den von der Renaturierungsinitiative betroffenen Bereichen gibt es heute in verschiedenen Gesetzen Vorschriften.

Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei verbauten Gewässern (Revitalisierung) In der Gesetzgebung auf Bundesebene besteht keine explizite Revitalisierungspflicht. Im Zusammenhang mit Eingriffen in Fliessgewässer muss deren naturnaher Zustand möglichst wiederhergestellt werden (Art. 4 Abs. 2 WBG6 und Art. 37 GSchG. Eine ausdrückliche Förderung von Renaturierungen ist im Zusammenhang mit landwortschaftlichen Meliorationsprojekten in Artikel 87 und 88 LwG7 vorgesehen. Dabei müssen auch die Aspekte der Gewässervielfalt und das Gedeihen der in den Gewässern lebenden Tiere und Pflanzen berücksichtigt werden. Das Überdecken und Eindolen von Fliessgewässern ist mit gewissen Ausnahmen verboten (Art. 38 GSchG).

Für die Behebung bestehender Gewässerstrukturdefizite bestehen Vorschriften, die im Rahmen von Neukonzessionen von Wasserkraftanlagen und grösseren Bauvorhaben zur Anwendung gelangen und im Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung konkret festgelegt werden (Art. 37 GSchG, Art. 9 BGF8). Gemäss Artikel 10 BGF sorgen die Kantone ausserdem dafür, dass auch bei bestehenden Anlagen entsprechende Sanierungsmassnahmen getroffen werden, soweit sie wirtschatlich tragbar sind.

5 6 7 8

Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 (Gewässerschutzgesetz, GSchG, SR 814.20).

Bundesgesetz über den Wasserbau vom 21. Juni 1991 (WBG, SR 721.100).

Bundesgesetz über die Landwirtschaft vom 29. April 1998 (Landwirtschaftsgesetz, LwG, SR 910.1).

Bundesgesetz über die Fischerei vom 21. Juni 1991 (BGF, SR 923.0).

5516

Die Kantone sind weiter verpflichtet, den Raumbedarf der Fliessgewässer festzulegen, der für den Schutz vor Hochwasser und für die Gewährleistung der natürlichen Funktionen des Gewässers erforderlich ist (Art. 21 Abs. 2 WBV9) und diesen Raumbedarf bei ihrer Richt- und Nutzungsplanung sowie bei ihrer übrigen raumwirksamen Tätigkeit zu berücksichtigen (Art. 21 Abs. 3 WBV).

Weiter besteht mit Artikel 21 Absatz 2 NHG10 eine Vorschrift, wonach die Kantone dafür sorgen, dass dort, wo sie fehlt, Ufervegetation angelegt wird oder zumindest die Voraussetzungen für deren Gedeihen geschaffen werden.

Verminderung von schädlichen Schwall- und Sunkwirkungen Die Verminderung der negativen Auswirkungen von Schwall und Sunk ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Heute werden in erster Linie die Artikel 7 und 9 BGF herangezogen. Sie regeln die Erhaltung, Verbesserung und Wiederherstellung der Lebensräume von Fischen und anderen Wassertieren. In der Praxis stehen primär Massnahmen bei Neukonzessionen und grösseren Bauprojekten zur Diskussion, bei denen auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird.

Reaktivierung des Geschiebehaushaltes Spezifische Vorschriften auf Gesetzesebene, die explizit Massnahmen zur Verbesserung des Geschiebehaushaltes auslösen, gibt es nicht.

Insbesondere bei Neukonzessionen, wo auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird, können heute entsprechende Massnahmen gestützt auf Artikel 9 BGF, wonach günstige Lebensbedingungen für Wassertiere zu schaffen sind, angeordnet werden. Soweit dies wirtschaftlich tragbar ist, sollen gemäss Artikel 10 BGF auch bei bestehenden Anlagen entsprechende Massnahmen getroffen werden.

Die Artikel 44 GSchG und Artikel 43 GSchV11 schreiben ausserdem vor, dass bei der Ausbeutung von Kies, Sand und anderem Material in Fliessgewässern der Geschiebehaushalt nicht nachteilig beeinflusst werden darf.

Restwassersanierungen Bei neuen Wasserentnahmen aus Fliessgewässern sowie bei der Konzessionserneuerung von bestehenden Wasserkraftanlagen regelt das Gewässerschutzgesetz die angemessenen Restwassermengen (Art. 29­36 GSchG). Das Gewässerschutzgesetz regelt auch die Sanierung der Restwasserstrecken bei laufenden Konzessionen (Art. 80­83 GSchG). Wegen wohlerworbenen Rechten sind Sanierungsmassnahmen jedoch nur im beschränkten Mass möglich.

2.3

Umsetzung und Vollzug der Gewässerschutzgesetzgebung

Bei der Beurteilung der Umsetzung und des Vollzugs des Gewässerschutzrechts muss differenziert werden zwischen den Bereichen Revitalisierung (Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei verbauten Gewässern), Schwall und Sunk, 9 10 11

Verordnung vom 2. November 1994 über den Wasserbau (Wasserbauverordnung, WBV, SR 721.100.1).

Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG, SR 451).

Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 (GSchV, SR 814.201).

5517

Geschiebehaushalt sowie Restwasser. Gestützt auf eine Analyse bestehender Untersuchungen und Umfragen bei den Kantonen schätzt der Bundesrat den Stand der Umsetzung und des Vollzugs des Gewässerschutzrechts wie folgt ein: Revitalisierungen werden vor allem im Zusammenhang mit Hochwasserschutzmassnahmen und landwirtschaftlichen Meliorationen getroffen. Eigenständige Revitalisierungen werden nur in wenigen Kantonen durchgeführt, da entweder dafür keine Finanzierung vorgesehen ist oder weil die politische Akzeptanz bei kombinierten Projekten höher ist. Daneben werden Revitalisierungen in Auengebieten gestützt auf das Natur- und Heimatschutzgesetz vorgenommen.

Zum Beispiel verfügen die Kantone Bern und Genf über einen Fonds, mit dem eigenständige Revitalisierungsmassnahmen finanziell unterstützt werden. Der Berner Fonds wird über einen Teil (10 %) der Wasserzinseinnahmen gespiesen. In Genf wird der Fonds aus sämtlichen Wasserzinseinnahmen und Abgaben bei Wasserentnahmen (zum Zwecke der Bewässerung, Kühlung, etc.) finanziert.

Zu den Ausgaben für Revitalisierungen gibt es nur grobe Schätzungen. Der Bund unterstützt Revitalisierungen und Hochwasserschutzprojekte mit Revitalisierungskomponenten mit rund 20 Millionen Franken pro Jahr. Ein Grossteil dieser Ausgaben (13 Mio. Fr. ) stammt aus Hochwasserschutzprojekten mit Revitalisierungskomponenten. Rund 2 Millionen Franken werden im Bereich der landwirtschaftlichen Strukturverbesserungen pro Jahr für Revitalisierungen im Zusammenhang mit Meliorationsprojekten eingesetzt.

Die Gesamtausgaben von Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten werden auf jährlich rund 60 Millionen Franken geschätzt.

Mit Ausnahme der Kantone, die eine konkrete Finanzierungslösung haben, kommen nach Einschätzung der kantonalen Fachstellen die Revitalisierungsarbeiten gemessen am Bedarf in den übrigen Kantonen zu langsam voran. Die heute investierten Mittel vermögen den Bedarf an durchführbaren Revitalisierungen nur sehr langfristig zu decken. Bis alle realistischerweise durchführbaren Revitalisierungen ausgeführt wären, würde es über 150 Jahre dauern.

Die Problematik von Schwall und Sunk ist nicht in allen Kantonen gleich akut. Bei neuen Anlagen oder im Falle einer Konzessionserneuerung werden im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfung auch die Auswirkungen
von Schwall und Sunk auf die Gewässerökologie untersucht und beurteilt. Massnahmen werden von Fall zu Fall festgelegt, was bei Neuanlagen und Konzessionserneurungen zu Rechtsunsicherheit führt. Der Vollzug erfolgt in den Kantonen unterschiedlich. Bei laufenden Konzessionen fehlen spezifische Rechtsgrundlagen für Massnahmen, sofern diese nicht schon in der Konzession enthalten sind. Eine Verbesserung der ökologischen Situation ist bei laufenden Konzessionen auf Grund wohlerworbener Rechte in der Regel nur in sehr geringem Umfang möglich.

Beim Geschiebehaushalt werden in einigen Kantonen grosse Anstrengungen unternommen, andere Kantone haben erst seit kurzem begonnen, Massnahmen zu evaluieren. Einzelne Massnahmen werden schrittweise geprüft und umgesetzt. Wo Wasserkraftwerke den Geschiebehaushalt stören, werden vermehrt Regelungen in Rahmen von Neukonzessionen eingeführt. Bei laufenden Konzessionen kann in der Regel nichts unternommen werden.

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Die Bestimmungen über angemessene Restwassermengen bei neuen Wasserentnahmen oder Konzessionserneuerungen werden im gesetzlich vorgegebenen Rahmen recht einheitlich vollzogen. Dank dem revidierten Gewässerschutzgesetz sind ab 1992 bei Konzessionserneuerungen in über 100 Fliessgewässern angemessene Restwassermengen nach Artikel 29 ff. GSchG eingeführt worden. Die Sanierung von Restwasserstrecken bei laufenden Konzessionen wird von den Kantonen dagegen unterschiedlich vollzogen. Bei laufenden Konzessionen wurden bisher rund 100 Sanierungen verfügt (Art. 80 ff. GSchG).

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Gemäss Initianten fällt zwölf Jahre nach dem Inkrafttreten des Gewässerschutzgesetzes am 1. November 1992 die Bilanz eher ernüchternd aus. Insbesondere der 2004 publizierte Schlussbericht des Projektes «Netzwerk Fischrückgang Schweiz» habe aufgezeigt, dass die Situation in verschiedenen Bereichen des Gewässerschutzes unbefriedigend ist.

Die Initiative will deshalb mit den nachstehend beschriebenen Forderungen die bestehenden Vollzugsdefizite beheben und gleichzeitig auch zur Lösung gewässerökologischer Probleme beitragen.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die Initiative beinhaltet drei zentrale Forderungen: ­

Kantone fördern Renaturierungen in öffentlichen Gewässern und Uferbereichen

­

Zu diesem Zweck errichten die Kantone einen kantonalen Renaturierungsfonds

­

Direkt betroffene Organisationen können Begehren zur Durchführung von Massnahmen stellen (Antrags- und Beschwerderecht)

3.3

Erläuterungen des Initiativtextes

3.3.1

Förderungen von Renaturierungen

Die Renaturierungsinitiative verlangt, dass die Kantone Renaturierungen öffentlicher Gewässer und ihrer Uferbereiche fördern. Damit sind nicht nur Fliessgewässer, sondern auch stehende Gewässer gemeint.

Der Begriff Renaturierung wird gemäss erläuterndem Bericht zur Initiative als Oberbegriff für sämtliche Massnahmen verstanden, die zu einer Aufwertung der Gewässerökosysteme beitragen. Darunter werden die Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei verbauten Gewässern (Revitalisierung), Massnahmen zur Verminderung von schädlichen Schwall- und Sunkwirkungen und zur Reaktivierung des Geschiebehaushaltes sowie Restwassersanierungen verstanden.

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Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei verbauten Gewässern (Revitalisierung) Die Gewässerstruktur bezeichnet die räumliche und materielle Vielfalt von Gewässerbett und Ufern. Diese wird oftmals durch frühere wasserbauliche Massnahmen beeinträchtigt, beispielsweise durch harte Verbauung der Ufer, begradigte Linienführung, Eindolung oder als Fisch-Wanderhindernisse wirkende Sohlensicherung.

Die Beseitigung der Defizite in der Gewässerstruktur bildet ein Schwergewicht der Renaturierungsinitiative.

Verminderung von schädlichen Schwall- und Sunkwirkungen Unterhalb von Wasserkraftwerkzentralen, welche in Stauseen gespeichertes Wasser zur Deckung des Energie-Spitzenbedarfs abarbeiten, treten dadurch erzeugte Abflussschwankungen auf. Diese ergeben sich, weil die Kraftwerke i.d.R. nachfrageorientiert produzieren. Der Begriff Schwall bezeichnet die durch den Kraftwerksbetrieb entstehende Phase erhöhten Abflusses während des Turbinierens. Der Begriff Sunk steht für die Niedrigwasserphase, die zwischen den Schwällen auftritt.

Die ökologischen Auswirkungen von Schwall und Sunk werden seit einigen Jahren verstärkt thematisiert und wissenschaftlich untersucht. Mehrmalige, regelmässig wiederkehrende Schwall- und Sunkereignisse verändern den Lebensraum der im Wasser lebenden Tiere: Beim Abflussanstieg können Organismen abgeschwemmt werden, und beim Abflussrückgang (Sunk) besteht die Gefahr, dass sie stranden.

Reaktivierung des Geschiebehaushaltes Geschiebe sind Feststoffe, die ein Fliessgewässer auf seiner Sohle mit sich führt. Die Korngrösse des Geschiebes reicht von grösseren Steinen über Kies bis zum Feinsand. Das Geschiebe wird im Fliessgewässer gleitend, rollend oder springend transportiert. Es ist ein unverzichtbares Element für das gute Funktionieren der Ökosysteme von Fliessgewässern. Ein naturnaher Geschiebehaushalt führt zu einer lockeren Gewässersohle, welche eine wichtige Lebensgrundlage für die Tier- und Pflanzenwelt bildet. Insektenlarven und andere Kleintiere, aber auch Fischlaich und Fischlarven finden im Lückensystem des abgelagerten Geschiebes Schutz. Diese Funktion kann nur erfüllt werden, wenn das Lückensystem von sauerstoffreichem Frischwasser durchströmt wird und nicht verschlammt.

Wasserbauliche Eingriffe, Stauhaltungen, Veränderungen des Abflussregimes und Kiesentnahmen können
den Geschiebehaushalt aus dem Gleichgewicht bringen.

Restwassersanierungen Unter Restwasser wird die Abflussmenge in einem Fliessgewässer verstanden, die nach einer oder mehreren Entnahmen von Wasser im Gewässer verbleibt. Die Restwasserstrecken können durch eine genügende Dotation bei der Wasserfassung oder bei der Staumauer saniert werden.

Die Initiative bringt zwar den Wunsch nach raschen Sanierungen zum Ausdruck, verlangt aber keine Änderung der geltenden Restwasserregelung.

5520

3.3.2

Kantonaler Renaturierungsfonds

Die Renaturierungsinitiative sieht vor, dass jeder Kanton zur Finanzierung der geforderten Massnahmen einen Renaturierungsfonds einrichtet. Dieser soll jedoch nur für jene Kosten aufkommen, die keinem Verursacher angelastet werden können.

Das in Artikel 74 Absatz 2 der Bundesverfassung festgehaltene Verursacherprinzip besagt, dass die Kosten der Vermeidung und Beseitigung von schädlichen oder lästigen Einwirkungen auf Mensch und Umwelt die Verursacher zu tragen haben.

Artikel 3a GSchG verankert im Bereich von Gewässerschutzmassnahmen das Prinzip, dass der Verursacher der Massnahmen die Kosten dafür trägt.

Die Ausgestaltung der kantonalen Renaturierungsfonds lässt die Volksinitiative «Lebendiges Wasser» offen. Im erläuternden Bericht zur Renaturierungsinitiative werden mögliche Finanzierungsarten genannt. Dazu gehört die Äufnung des Fonds aus den Wasserzinsen, aus allgemeinen Mitteln oder aus anderen Abgaben.

3.3.3

Antrags- und Beschwerderecht

Als drittes Element sieht die Renaturierungsinitiative die Einführung eines Antragsrechts von Organisationen vor. Damit erhalten Organisationen die Befugnis, die Einleitung von Renaturierungsverfahren auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Der Geltungsbereich des Antragsrechts beschränkt sich auf Renaturierungsmassnahmen.

Legitimiert sind alle von Renaturierungen betroffenen Organisationen wie beispielsweise gesamtschweizerische Naturschutzorganisationen und Fischereiverbände, kantonale Fischereiverbände oder Pachtvereinigungen. Inwiefern mit der Initiative auch ein Beschwerderecht der Organisationen auf Verfassungsstufe verankert wird, ist unklar.

4

Würdigung der Ziele der Initiative

Um die Ziele der Initiative zu würdigen, müssen die heutigen und künftigen Herausforderungen an eine schweizerische Wasser- und Gewässerpolitik aufgezeigt werden. Die grundsätzlichen Herausforderungen sind im «Leitbild Fliessgewässer»12 der Bundesämter BUWAL, BWG (heute BAFU und BFE), BLW und ARE festgehalten. Darin haben die Bundesämter Entwicklungsziele für Fliessgewässer definiert, welche sich aus den natürlichen Funktionen der Gewässer ergeben. Diese natürlichen Funktionen sind vielfältig: Gewässer gestalten Landschaften, transportieren Wasser und Geschiebe, sind wichtige Ökosysteme mit grosser natürlicher Vielfalt, erneuern unsere Grundwasserreserven etc. Um die Gewässer auch künftig optimal zur Stromproduktion, Trinkwasserversorgung und Bewässerung nutzen zu können und Menschen, Tiere, Umwelt und Infrastrukturen wirksam vor den Gewalten des Wassers zu schützen, müssen die Gewässer nachhaltig bewirtschaftet werden.

Die sich zum Teil konkurrenzierenden Ansprüche an die Gewässer wie Schutz vor Hochwasser und Landnutzung (landwirtschaftliche Produktion und Siedlung), die Beeinträchtigung der Gewässerqualität (Abwässer und Landwirtschaft) und sauberes 12

BUWAL/BWG, Bern, 2003.

5521

Trinkwasser sowie die Wasserkraftnutzung sind vielfältig. Die heutigen Gewässer sind von all diesen Ansprüchen geprägt.

Die Herausforderungen bei der Bewirtschaftung des Wassers und der Gewässer liegen in der Schweiz somit grundsätzlich: ­

bei der Sicherstellung des Hochwasserschutzes und der Erneuerung der grossen Flusskorrekturen,

­

bei der Sicherung der Grundwassererneuerung bzw. Trinkwasserversorgung und der Bewässerung in der Landwirtschaft,

­

bei der Verbesserung der natürlichen Vielfalt in und entlang von Gewässern,

­

bei der Aufwertung der Landschaften als wichtige Erholungsräume und für den Tourismus,

­

bei der Sicherung der Wasserqualität insbesondere wegen des vermehrten Einsatzes von Chemikalien, biologisch aktiven Stoffen (Bioziden) und dem stark gestiegenen Medikamentenkonsum,

­

bei der Sicherstellung eines massvollen Ausbaus der Wasserkraft und deren Positionierung im internationalen Wettbewerb und

­

bei der Verminderung der durch die Wasserkraft verursachten negativen Einflüsse wie Schwall und Sunk, gestörter Geschiebehaushalt bzw. ungenügende Fischdurchgängigkeit und ungenügende Restwassermengen.

Damit diesen Herausforderungen begegnet werden kann, sind im «Leitbild Fliessgewässer» folgende Entwicklungsziele definiert worden: ­

Ausreichender Gewässerraum

­

Ausreichende Wasserführung

­

Ausreichende Wasserqualität

Die künftigen Herausforderungen bei der Bewirtschaftung des Wassers und der Gewässer ergeben sich primär im Zusammenhang mit der Adaptation an den Klimawandel und den damit zusammenhängenden vermehrten Extremereignissen wie Starkniederschläge und Trockenperioden. Häufigere Starkniederschläge erfordern eine Erhöhung der Abflusskapazität (Vergrösserung des Gewässerraums) und Anpassungen bei der Siedlungsentwässerung. Häufigere Trockenperioden erfordern eine Leistungssteigerung der Abwasseranlagen, weil sich das Verdünnungsverhältnis von Abwasser zu Flusswasser verschlechtert. Weitere künftige Herausforderungen ergeben sich auch aus der Sicherstellung einer umweltverträglichen und konkurrenzfähigen Wasserkraftproduktion.

Die Ziele der Initiative stimmen zum grossen Teil mit den allgemeinen, heutigen Herausforderungen überein. Sie tragen im Kern zu zwei der drei Entwicklungszielen des «Leitbildes Fliessgewässer» bei, das dazu beiträgt, dass die Gewässer ihre natürliche Funktion wahrnehmen können. Zur Sicherung einer ausreichenden Wasserqualität macht die Initiative hingegen keine Vorschläge. Weiter berücksichtigt die Initiative die künftigen Herausforderungen nur unvollständig und verhindert optimale Rahmenbedingungen für die Wasserkraftproduktion.

5522

4.1

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.1.1

Ökologische Auswirkungen

Die Erfahrung mit Revitalisierungsprojekten zeigt, dass durch deren Umsetzung eine bedeutende ökologische und landschaftsgestaltende Aufwertung erzielt wird. Dies gilt für Flora und Fauna ebenso wie für das Landschaftsbild, die Selbstreinigungskraft der Gewässer und die Neubildung von Grund- und Trinkwasser. Revitalisierte Gewässer sind auch als Teil einer Adaptationsstrategie an den Klimawandel zu werten.

Eine Annahme der Initiative würde sich dank den Massnahmen zur Verminderung von Schäden, die auf den Schwallbetrieb zurückzuführen sind, sowie durch eine Reaktivierung des Geschiebehaushalts positiv auf die Ökologie des Gewässers auswirken.

Im Bereich Restwasser ändert die Initiative nichts am bestehenden Zustand; eine Annahme derselben würde aber die rasche Restwassersanierung der bestehenden Entnahmen vor Ablauf der Sanierungsfrist begünstigen sowie eine allfällige Verlängerung derselben verhindern.

4.1.2

Wirtschaftliche Auswirkungen

Die Initiative bringt folgenden wirtschaftlichen Nutzen: ­

Erhöhung des landschaftlichen Wertes für Naherholung und Tourismus: Eine Quantifizierung ist kaum möglich, jedoch wird der Erholungsnutzen der Natur für die Bevölkerung im Allgemeinen hoch eingestuft.

­

In vielen Fällen leisten Revitalisierungen (v.a. bei Projekten mit Vergrösserung des Gewässerraumes) einen präventiven Beitrag zum Hochwasserschutz. Dank revitalisierten Fliessgewässern werden zudem die Grundwasservorkommen besser gespiesen.

­

Die ausgelösten Investitionen führen zu Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekten.

­

Der Unterhalt von naturnahen Gewässern ist kostengünstiger.

­

Die gleichzeitige Sanierung des Schwall- und Sunkproblems in einem hydrologischen Einzugsgebiet könnte kostengünstiger als im Einzelfall (bei Konzessionserneuerung) erfolgen.

Diesem Nutzen stehen folgende wirtschaftlichen Kosten der Initiative gegenüber: ­

Die Initiative sieht die Einrichtung kantonaler Renaturierungsfonds vor, lässt allerdings deren Umfang und Finanzierung offen. Geht man davon aus, dass schweizweit die Hälfte der verbauten Gewässer als zentral für eine Renaturierung zu betrachten und diese Renaturierungen innerhalb von zwei bis drei Generationen zu leisten sind, würden für die Kantone rund 40 Millionen Franken und für den Bund rund 20 Millionen Franken Mehrkosten pro Jahr entstehen. Da die Initiative keinen Zeitraum für die Renaturierungen nennt, ist aber offen, welche Mehrkosten effektiv anfallen würden. Wer die Kosten in den Kantonen trägt, hängt von der Finanzierungsvariante ab.

5523

­

Massnahmen gegen die negativen Auswirkungen von Schwall und Sunk hätten Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Wasserkraftwerke und auf die Produktion von Spitzenenergie. Die Kosten für schwalldämpfende Massnahmen hängen stark vom Einzelfall ab und betragen Untersuchungen von 7 Wasserkraftwerken zufolge zwischen 0,2 und 0,7 Rp/kWh. Wenn nur bauliche Massnahmen ergriffen würden wären dies ca. 0,4 Rp/kWh, und wenn auch betriebliche Massnahmen ergriffen würden ca. 0,6 Rp/kWh13. Die Produktion dieser Kraftwerke würde um rund 10 % verteuert. Die Ergebnisse sind aufgrund der tiefen Anzahl untersuchter Anlagen nur sehr begrenzt verallgemeinerbar. Durch eine Sanierung aller betroffenen Kraftwerke würde sich der Strompreis insgesamt um ca. 0,5 % erhöhen.

­

Die Reaktivierung des Geschiebehaushalts in den nächsten 50 Jahren würde für die öffentliche Hand jährlich rund 1 Million Franken und für die Kraftwerkbetreiber jährlich rund 1­2 Millionen Franken zusätzliche Kosten verursachen.

­

Massnahmen für die Verminderung von schädlichen Schwall- und Sunkwirkungen sowie zur Reaktivierung des Geschiebehaushaltes können in die wohlerworbenen Rechte der Wasserkraftwerksbesitzer eingreifen. Solche Eingriffe haben nach dem Wasserrechtsgesetz14 (Art. 43 WRG) eine weitgehende Entschädigungspflicht der Kantone an die Kraftwerkgesellschaften zur Folge. Ein Teil der oben erwähnten Kosten würde somit zu Lasten der Kantone ausfallen.

­

Das Antrags- und Beschwerderecht führt zu Verzögerungen bei den Bewilligungsverfahren für Wasserkraftnutzungen.

4.1.3

Personelle Auswirkungen

Bei einer Annahme der Initiative müssten die Ressourcen zur Bearbeitung der zusätzlichen Projekte, der Beratung der Kantone sowie der Gutachtertätigkeit zu Handen der Gerichte durch den Bund in beträchtlicher Weise ausgebaut werden.

Dazu müssten beim Bundesamt für Umwelt und beim Bundesamt für Energie mindestens 5 neue Arbeitstellen geschaffen werden.

Auch in den Kantonen, speziell in den grösseren, ergäbe sich ein Stellenmehrbedarf, insbesondere infolge des neuen Antrags- und Beschwerderechts der Organisationen.

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Dabei wurde berücksichtigt, dass Energie nicht mehr zu denjenigen Zeitpunkten produziert werden kann, zu welchen die Verkaufspreise am höchsten sind; die Verluste dieser Umlagerung wurden mit 6 Rp/kWh veranschlagt.

Bundesgesetz vom 22. Dezember 1916 (SR 721.80)

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4.1.4

Auswirkungen auf das Verhältnis zum internationalen Recht

Im Jahre 2000 ist im EU-Raum die Richtlinie zur Schaffung eines Ordnungsrahmens im Bereich der Wasserpolitik (Wasserrahmen-Richtlinie, WRRL) in Kraft getreten15. Sie sieht die «Schaffung eines Gemeinschaftsrahmens für den Schutz der Binnen- und Oberflächengewässer, der Übergangs- und Küstengewässer sowie des Grundwassers» vor. Die WRRL ist für die Schweiz nicht verbindlich, es ergeben sich durch die Richtlinie also keine Verpflichtungen für die Schweiz.

Die Richtlinie enthält ein programmatisches Verbesserungsgebot für Gewässer in schlechtem Zustand, wie es die Schweiz nur in Teilbereichen (etwa Restwassersanierungen) kennt. Die Initiative «Lebendiges Wasser» zielt mit der Förderung von Renaturierungen auf die Verbesserung der Lebensräume für Flora und Fauna, wie dies in der WRRL zur Erreichung des «guten ökologischen Zustandes» bereits explizit gefordert ist.

Der von der Initiative vorgeschlagene Verfassungsartikel wäre mit dem EG-Recht kompatibel.

4.2

Vorzüge und Mängel der Initiative

Mit dem Wortlaut der Initiative wird der Gewässerschutz und damit der Umweltschutz in den Vordergrund gestellt. Allerdings steht im erläuternden Bericht der Initianten, dass neben den Schutzinteressen auch andere Interessen wie die Wasserkraftnutzung mitberücksichtigt werden müssen, wobei die Ziele der Initiative jedoch in einem klaren Interessenkonflikt mit der Wasserkraftnutzung stehen.

Renaturierte Gewässer können für die Bevölkerung vielfältige Nutzen erzeugen: Aus gesellschaftlicher Sicht ist die Aufwertung von Erholungsräumen zu nennen, aus ökologischer Sicht die Verbesserung der Biodiversität und der Wasserqualität (Grund- und Trinkwasser). Daneben können Renaturierungen in vielen Fällen auch einen Beitrag zum Hochwasserschutz und damit wirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzen leisten. Wird den Fliessgewässern mehr Raum zur Verfügung gestellt, können die so geschaffenen Retentionsräume das Ausmass von Hochwasserschäden reduzieren. Es kann also gleichzeitig eine effiziente Schutzwirkung und eine ökologische Verbesserung erzielt werden.

Die Initiative generiert einerseits bedeutende Renaturierungskosten und tangiert andererseits die wirtschaftlichen Interessen der an der Wasserkraftnutzung Beteiligten. Viele Gewässer sind allerdings nicht von der Wasserkraft-Nutzung beeinträchtigt, sondern z.B. durch Siedlungs- und Infrastrukturbauten oder landwirtschaftliche Nutzung. Verursacher im Sinne der Initiative sind nur zu einem Teil die Wasserkraftwerke.

Zugleich ist zu beachten, dass die potenziell tangierte Wasserkraft-Nutzung auch aus ökologischer und gesellschaftlicher Sicht im Sinne einer umweltfreundlichen und diversifizierten Energiepolitik einen hohen Stellenwert einnimmt: So wird in der Schweiz rund 60 % des Stroms mit Hilfe der Wasserkraft erzeugt. Bei der Wasser15

Siehe unter http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX: 32000L0060:DE:HTML

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kraft handelt es sich zudem um eine erneuerbare und bei der Produktion CO2-freie Energie, die deshalb förderungswürdig ist. Im Entwurf zum neuen Stromversorgungsgesetz ist als Ziel der Ausbau der Wasserkraftnutzung um 2000 GWh bis 2030 festgelegt. Die Wasserkraft spielt auch eine wichtige Rolle bei der Deckung des Bedarfs an Regulierungs- und Spitzenenergie und trägt somit zur Versorgungssicherheit bei.

Die für Schwall und Sunk sowie den Geschiebebetrieb geforderten neuen Sanierungstatbestände wären mit erheblichem Aufwand für die Verwaltungen und die Kraftwerkbetreiber verbunden, wie die entsprechenden bereits laufenden Verfahren bei der Restwassersanierung zeigen.

Die Initiative bietet keine Ansätze, um vorhandene Probleme bei Revitalisierungen von Fliessgewässern zu lösen. Zu nennen sind insbesondere der Raumbedarf und der dazu nötige Landerwerb sowie die damit verbundenen Zielkonflikte.

Zudem muss der Fokus heute auf das Gewässer als Ganzes gerichtet werden, was mit der Initiative nicht getan wird. Bei der Planung von Massnahmen müssen die Auswirkungen auf alle Bereiche der Wasserwirtschaft berücksichtigt werden. Diese integrale Sichtweise wird als Folge der Klimaerwärmung noch wichtiger werden, weil die Wasserführung im Sommer und Herbst abnehmen wird, wodurch eine Konkurrenzsituation zwischen Ökosystemen, verschiedenen Verbrauchern und Regionen entsteht. Weiter lässt die Initiative das Problem der Wasserqualität (z.B.

Rückstände von Medikamenten und Chemikalien), welches ebenfalls einen Zusammenhang mit der Fischpopulation hat, ausser Acht.

Die vorgeschlagenen Renaturierungsfonds sind grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um die notwendige Finanzierung der erforderlichen Renaturierungs-Massnahmen sicherzustellen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Fonds lässt die Initiative aber offen.

Das vorgeschlagene Antrags- und Beschwerderecht, das auch gegen die Untätigkeit der Behörden eingesetzt werden kann, bietet die Möglichkeit, die Umsetzung zu beschleunigen resp. auf dem Rechtsweg einzufordern. Allerdings könnte dadurch, dass Organisationen Begehren zur Durchführung von Renaturierungsmassnahmen stellen können, eine sinnvolle Planung der Renaturierungstätigkeit der Kantone erschwert werden. Umgekehrt könnte aber durch eine gute Planung den Anträgen und Beschwerden entgegengewirkt werden.
Das von der Initiative vorgeschlagene Antragsrecht der Umweltschutzorganisationen steht ausserdem im Widerspruch zum derzeit vorherrschenden politischen Willen, wonach das Verbandsbeschwerderecht eingeschränkt und verwesentlicht werden soll. Dazu kommt, dass zusätzliche, den Verwaltungs- und Justizapparat belastende Gerichtsfälle zu erwarten wären.

Die Initiative konkretisiert die Verfassungsgrundlage für Renaturierungen und insbesondere Massnahmen in den Bereichen Geschiebe sowie Schwall und Sunk.

Entsprechende Gesetze oder Massnahmen, soweit erforderlich, könnten aber auch auf der heutigen Verfassungsgrundlage getroffen werden. Bei Neukonzessionierungen von Wasserkraftwerken werden die Aspekte der Initiative im Rahmen der UVP zum Teil bereits berücksichtigt.

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Schlussfolgerungen

Der Bundesrat kommt aus heutiger Sicht zu folgendem Schluss: ­

Der vorgeschlagene Verfassungsartikel ist einseitig ökologisch ausgerichtet.

Wirtschaftliche Überlegungen ­ etwa Produktionseinbussen für die Elektrizitätswirtschaft ­ stehen nicht im Wortlaut, sie werden nur in den Erläuterungen der Initianten thematisiert.

­

Eine Annahme der Initiative könnte für die Kantone und den Bund zusätzliche Kosten zur Gewässerrevitalisierung von 60 Millionen Franken pro Jahr zur Folge haben.

­

Auch für die Betreiber von Wasserkraftwerken könnten als Folge baulicher und betrieblicher Massnahmen zur konsequenten Verminderung der schädlichen Wirkungen von Schwall und Sunk Mehrkosten von jährlich bis zu 50 Millionen Franken entstehen. Dazu kämen Kosten von einigen Millionen Franken pro Jahr für Massnahmen in den Bereichen Geschiebe und Fischgängigkeit. Wo diese Massnahmen wohlerworbene Rechte der Kraftwerkbetreiber beeinträchtigen würden, wären die Kantone entschädigungspflichtig.

­

Der heutige Artikel 76 der Bundesverfassung ist als Verfassungsgrundlage bereits genügend umfassend, es braucht keine Erweiterung für die Anordnung von Renaturierungsmassnahmen.

Als besonders problematisch erachtet der Bundesrat das vorgeschlagene Antragsund Beschwerderecht der Umweltschutzorganisationen. Dieses birgt verschiedene Probleme, welche den Vollzug des Gewässerschutzrechts erschweren könnten. So könnte das vorgeschlagene Antragsrecht eine grossflächige Planung von Renaturierungstätigkeiten nahezu verunmöglichen und eine Verschiebung der Vollzugstätigkeiten von den Vollzugsbehörden zu den Gerichten mit sich bringen.

Der Bundesrat beantragt deshalb den eidgenössischen Räten, die Volksinitiative «Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

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