288

# S T #

Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Johann Fischer in Sursee, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 6. Juli 1897.)

D e r schweizerische B u n d e s r a t hat über den Rekurs des Johann F i s c h e r in Sursee, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden B e s c h l u ß g e f a ß t : A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 10. Dezember 1896 stellte Johann Fischer, Weinhändler in Sursee, an den Regierungsrat des Kantons Luzern folgendes Doppelgesuch : 1. Es möchte ihm die Verlegung des Realgasthausrechtes, welches auf der von ihm käuflich erworbenen Liegenschaft ,,zum Storchen" im Städtchen Sursee haftet, auf seinen Neubau bei der Eisenbahnstation Sursee bewilligt, 2. eventuell wolle ihm auf seinem genannten Neubau das Patent für ein Restaurant erteilt werden.

289 IL Durch Beschluß vom 8. März 1897 wies der Regierungsrat "beide Begehren ab, das letztere mit der Begründung, ,,daß seit den Entscheiden des h. Bundesrates und der h. Bundesversammlung betreifend die Wirtskonzessionsgesuche Zobrist und Meier die Begehren um Wirtsrechtserteilung derart sich vermehrt haben, daß im Entsprechungsfalle eine ernstliche Besorgnis für das öffentliche "Wohl begründet sei".

III.

Gegen die Weigerung des Regierungsrates, die Verlegung des Realwirtsrechts vom Hause ,,zürn Storchen" auf den Neubau beim Bahnhofe zu gestatten, hat Joh. Fischer Beschwerde beim Bundesgericht wegen Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung eingelegt.

Beim Bundesrat hat er am 11. April abhin den staatsrechtlichen Rekurs erhoben, wegen Nichterteilung des eventualiter verlangten Personalwirtsrechtes, indem er erklärt, auf dessen Ausübung verzichten zu wollen, sobald die Übertragung des Tavernenrechts auf den Neubau zu stände gekommen. sein werde.

Sein Gesuch begründet der Rekurrent wie folgt: Auf der Station Sursee wurde von ihm ein Wohnhaus mit den nötigen Räumlichkeiten für den Wirtschaftsbetrieb errichtet; um dem Vorwurfe zu entgehen, er schaffe eine neue Wirtschaft, wollte der Rekurrent das auf seiner Liegenschaft ,,zum Storchen41 in der Stadt haftende Realwirtsrecht auf den Neubau an der Station, die eine gute Viertelstunde vom Städtchen entfernt ist, verlegen. Es haben nicht weniger als 2558 Bewohner der Umgebung der Station, welche auf der ganzen Linie Luzern-Zofingen den größten .Verkehr aufweist, die Regierung ersucht, auf ihren Beschluß zurückzukommen ; die Bedürfnisfrage kann daher unmöglich negativ beantwortet werden. Diese Frage darf übrigens nach dem Stande der Gesetzgebung zur Zeit der Anbringung des Gesuches nicht gestellt werden, wie die Bundesbehörden wiederholt erkannt haben.

IV.

In ihrer Vernehmlassung vom 10. Mai 1897 erklärt die Re·gierung des Kantons Luzern, seit den letzten Rekursentscheideu des Bundesrates in Sachen Meier in Gettnau u. A. habe sich die Rechtslage durch das am 14. April 1897 erfolgte Inkrafttreten der Bundesblatt. 49. Jahrg. Bd. IV.

2l

290 Novelle zum Wirtsgesetze vom 3. März verändert, und der angefochtene Entscheid habe die gesetzliche Grundlage erhalten.

Sollten übrigens dieser Ansicht formell-juristische Gründe entgegenstehen, so sprechen doch praktische Erwägungen von größter Tragweite für Abweisung des Rekurses; seit dem Jahre 1883, aus dem der Erlaß des Luzerner Wirtschaftsgesetzes datiert, wurden Jahr für Jahr eine größere Anzahl von Wirtskonzessionsgesuchen einzig wegen Mangels eines öffentlichen Bedürfnisses abgewiesen. Alle diese Entscheide seien noch heute rekurrabel, da der Rekurs an keine Frist gebunden sei; alle diese Rekurse müßten, gleich wie der vorliegende, begründet erklärt werden, und es würden im Wirtschaftswesen wahrhaft skandalöse Zustände eintreten.

V.

In seiner Replik vom 26. Mai 1897 konstatiert der Rekurrent, daß der abweisende Entscheid des Regierungsrates noch vor Inkrafttreten der Novelle gegeben wurde und daher für denselben das alte Recht maßgebend war, um so mehr, als sich die Novelle selbst nicht als rückwirkend bezeichnet. Der Rekurs wurde auch vor dem angegebenen Zeitpunkt beim Bundesrate eingereicht. Wenn der Gesetzesnovello vom 3. März 1897 rückwirkende Kraft verliehen würde, hätte es die Regierung in der Hand, durch willkürliche Verzögerung ihrer Entscheide die Rechte der Bürger illusorisch zu machen.

Was die von der Luzerner Regierung in Aussicht gestellten Konsequenzen eines dem Rekurrenten günstigen Entscheides betrifft, so hätte der Bundesrat nach Art. 178, Ziffer 3, des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 auf Rekurse gegen frühere Entscheide der Luzerner Behörde, auch wenn solche hängig gemacht werden sollten, nicht einzutreten.

VI.

Die Regierung des Kantons Luzern verzichtete mit Schreiben vom 18. Juni 1897 darauf, weitere Gegenbemerkungen dieser Replik entgegenzustellen.

291 B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Der Bundesrat hat gegenwärtig nur darüber zu entscheiden, ob das an den Regierungsrat von Luzern vom Rekurrenten gestellte eventuelle Gesuch, es sei ihm, sofern die Übertragung des Realrechtes nicht bewilligt würde, ein Personalwirtsrecht auf seinen Neubau bei der Station Sursee zu erteilen, ohne Verletzung des Grundsatzes der Gewerbefreiheit abgewiesen werden konnte.

n.

Wie die Bundesbehörden wiederholt erkannt haben, war es auf Grund des Luzerner Wirtschaftsgesetzes vom 22. November 1883 unzulässig, die Wirtschaftsbewilligung wegen Mangels eines öffentlichen Bedürfnisses zu verweigern.

Zur Zeit, wo die angefochtene Entscheidung getroffen wurde, war ausschließlich dieses Wirtschaftsgesetz vom Jahre 1883 in Kraft, und da gegen den Gesuchsteller keine ändern Gründe als die zu große Zahl der schon vorhandenen Wirtschaften vorlagen, konnte ihm das Wirtschaftspatent ohne Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung nicht vorenthalten werden. Es ist daher zu konstatieren, daß die Luzerner Regierung das Gesuch des Rekurronten um Erteilung eines Wirtschaftspatentes den 12. März 1897 mit Unrecht abgewiesen hat.

III.

Seither, am 14. April, ist nun aber die Novelle zum Wirtschaftsgesetz in Wirksamkeit getreten, welche den Regierungsrat berechtigt, Wirtschaftspatente wegen mangelnden Bedürfnisses zu verweigern ; da der Rekurrent in diesem Zeitpunkt die Befugnis zur Ausübung des Wirtschaftsgewerbes nicht besaß, so kann dio Luzerner Regierung heute von der Bundesbehörde nicht mehr dazu angehalten werden, in Anwendung alten aufgehobenen Rechtes und im Widerspruch mit einem jetzt geltenden öffentlich-rechtlichen Grundsatze, Wirtschaftspatente zu erteilen. Von einem wohlerworbenen Rechte konnte der Rekurrent nicht reden, solange er kein Patent erhalten hatte, und wenn seit dem 14. April die Luzerner Regierung alle noch unerledigten Wirtschaftsgesuche nach Maß-

292 gäbe des neuen Gesetzes behandelt, so liegt darin keineswegs eine ungehörige Rückwirkung der Gesetze.

Die weitere Frage, ob der Rekurrent gegen die Regierung des Kantons Luzern civilrechtliche Ansprüche geltend machen könne, wird von den kompetenten kantonalen Behörden auf Grund der kantonalen Verantwortlichkeitsgesetze zu entscheiden sein.

Demnach wird beschlossen: Der Rekurs ist im Sinne der obigen Erwägungen unbegründet.

B e r n , den 6. Juli 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Johann Fischer in Sursee, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 6. Juli 1897.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1897

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

38

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

22.09.1897

Date Data Seite

288-292

Page Pagina Ref. No

10 018 014

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.