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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs des Stadtrates von Luzern, des Feuerbestattungsvereins Luzern und der Mitunterzeichner gegen den Bundesratsbeschluss vom 15. Januar 1915 betreffend Abtretung von Terrain für ein Krematorium in Luzern.

(Vom 7. Juni 1915.)

Durch ßeschluss vom 15. Januar 1915 hat der Bundesrat die Beschwerde des Stadtrates von Luzern, des Feuerbestattungsvereins Luzern und der Mitunterzeichner gegen den Entscheid des Luzerner Regierungsrates vom 15. Oktober 1913 abgewiesen (vgl. Bundesbl. 1915, I, 96 ff. und Beilage zu dem vorliegenden Bericht).

Diesen Entscheid hat der Stadtrat von Luzern durch Eingabe vom 5. März 1915 an die Bundesversammlung weitergezogen, und es haben sich dem Rekurse der Feuerbestattungsverein und sechs Bürger von Luzern angeschlossen. Die Rekurrenten haben auch diesen Rekurs eingehend begründet, zugleich aber auf ihre frühern Rechtsschriften hingewiesen, nämlich auf die Rekurse an Bundesrat und Bundesgericht vom 28. November 1913 und auf die Replik an den Bundesrat vom 2. Juli 1914, in dem Sinne, dass die Ausführungen dieser Rechtsschriften als wiederholt gelten und zur Begründung auch der Weiterziehung an die Bundesversammlung dienen sollen.

Der Bundesrat verweist in erster Linie auf die Motivierung seines Entscheides und begnügt sich im übrigen damit, in Kürze auf die wesentlichen Gründe einzutreten, mit welchen die Rekurrenten diesen Entscheid anfechten. Dabei sollen zunächst die sich auf Art. 53, Absatz 2, Satz l, B. V. stützenden Argumente und hernach die sich auf Art. 53, Absatz 2, Satz 2, B. V. beziehenden Darlegungen besprochen werden.

639 1.

1. Der an die Bundesversammlung gerichtete Rekurs macht geltend, der Bundesrat habe seinen Entscheid nur auf Art. 53, Absatz 2, Satz 2, B. V. gestützt, während er doch schon nach Art. 53, Absatz 2, Satz 1, B. V. in der Lage gewesen wäre, den Rekurs des Stadtrates von Luzern gutzuheissen.

Die Rekurrenten nehmen nämlich an, dass diese Verfassungsvorschrift die politischen Bundesbehörden berechtige und verpflichte, auf erhobene Beschwerde hin materiell zu entscheiden, ob eine von einer bürgerlichen Kantonsbehörde über einen Begräbnisplatz getroffene Verfügung zu Recht oder Unrecht erlassen worden sei. Nach welchen Normen sie dies zu tun hätten, darüber habe die Verfassung in Absatz 2 hinsichtlich der schicklichen Beerdigung eine Bestimmung aufgestellt. In allem übrigen hätten die Behörden nach ihrem freien Ermessen zu urteilen und dabei die Wahrung voller Laizität im Bestattungswesen und die der Humanität und Toleranz im Auge zu behalten. Das entspreche dem Geiste, dem Art. 53, Absatz 2, B. V. seine Entstehung verdanke.

Diese Auffassung der Rekurrenten geht weit über den Rahmen einer freien Auslegung hinaus; sie enthält eine unzulässige Umdeutung der in Frage stehenden Verfassungsbestimmung.

Art. 53, Absatz 2, Satz l, B. V. erklärt die bürgerlichen Behörden als zur Verfügung über die Begräbnisplätze zuständig.

Nach Wortlaut und Sinn ist die Bestimmung f o r m a l e Kompetenznorm. Der Verfassungsgesetzgeber wollte die nichtweltlichen Behörden und Personen von der Verfügungsgewalt über die Begräbnisplätze ausschliessen und verwirklichte diese Absicht dadurch, dass er den bürgerlichen Behörden die Verfügungsgewalt einräumte. *) Danach sind die Kantone nur innerhalb des Kreises der bürgerlichen Behörden frei in der Bezeichnung der verfügungsberechtigten Amtsstellen. -- Der Bundesrat hat auf Beschwerde hin zu entscheiden und von Amtes wegen einzuschreiten, wenn diese Kompetenznorm verletzt worden ist. Eine solche Verletzung *) Dem ersten Satze des zweiten Absatzes entspricht nach Zweck und Inhalt der erste Satz des ersten Absatzes des Art. 53 B. V. Diese Bestimmung ist in neuer Formulierung in die Bundesgesetzgebung übergegangen, zunächst in das Bundesgesetz betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe und nunmehr in das Zivilgesetzbuch. Der Art. 41, Absatz l, ZGB enthält die sinngemässe Wiedergabe der Verfassungsvorschrift, indem er sagt: ,,Die Zivilstandsregister werden von weltlichen Beamten geführt."

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läge vor, wenn in einem Kanton die Verfügungsgewalt über die Begräbnisplätze tatsächlich von einer nichtbürgerlichen Instanz ausgeübt würde, oder wenn die bürgerlichen Behörden eines Kautons sie durch Gesetzgebungs- oder Verwaltungsakt einer kirchlichen Behörde übertragen hätten, oder wenn die Verfiiguugsfreiheit der kompetenten bürgerlichen Kantonsbehörde gegenüber Einwirkungen und Einmischungen von kirchlichen Organen nicht gewahrt wäre.") Eine von einer bürgerlichen Kantonsbehörde, unabhängig von geistlichen Instanzen über einen Begräbnisplatz getroffene Verfügung dagegen kann den Art. 53, Absatz 2, .Satz l, B. V. nicht verletzen und daher auch nicht, gestützt auf diese Verfassungsbestimmung, vor das Forum der Bundesbehörden gebracht werden.

Die Rekurrenten dagegen nehmen an, die Bestimmung des Art. 53, Absatz 2, Satz l, B. V. beschränke sich nicht darauf, formell die Verfügungsgewalt über die Begräbnisplätze in die Hand einer bestimmten Art von Behörden zu legen. Sie enthalte eine m a t e r i e l l e Rechtsnorm. Sie schreibe vor, in welchem Sinne und nach welchen Gesichtspunkten die bürgerlichen Behörden der Kantone und des Bundes zu entscheiden haben, indem sie diese anweise, ,,nach freiem Ermessen1'- über die Begräbnisplätze zu verfügen. Diese Auffassung trägt aber einen Gedanken in die Verfassungsbestimmung hinein, der darin nicht enthalten ist.

Zudem hätte sie zur Folge, dass das ganze Begräbniswesen der Kognition der Bundesbehörden unterstellt wäre und würde damit einen Rechtszustand begründen, der, trotzdem die in Frage stehende Verfassungsbestimmung mehr als 40 Jahre alt ist, neu wäre und sich wohl schwerlich praktisch bewähren dürfte.

Da im vorliegenden Falle die angefochtene Verfügung vom Regierungsrate des Kantons Luzern, also von einer weltlichen Behörde ausgegangen ist, stand eine Verletzung des Art. 53, Absatz 2, Satz l, vun vornherein ausser Frage. Unter diesen ^Umständen hatte der Bundesrat keine Veranlassung, in seinem Entscheide auf Erörterungen darüber einzutreten, ob der Rekurs gestützt auf diese Verfassungsvorschrift gutgeheissen werden könne.

2. Im weiteren wiederholen die Rekurrenten den in ihrem Rekurs an das Bundesgericht geltend gemachten Standpunkt, der *) Es erhellt, dass die Annahme der Rekurrenten, der Bundesrat lehne jede Spruchkompeteuz aus Art. 53, Absatz 2,
Satz l, B. V. ab, unzutreffend ist. Unter diesen Umständen erscheint es als unnötig, sich mit der übrigens verfehlten Argumentation der Rekurrenten auseinanderzusetzen, die die Meinung widerlegen soll, dass diese Verfassungsbestimmung den Bundesbehörden eine Spruchkompetenz nicht einräume.

641 Entscheid des Regierungsrates von Luzern verstosse auch gegen die Art. 49 und 50, sowie gegen Art. 4 der Bundesverfassung.

Konfessionell-politische Motive seien es im Grunde, die zu diesem Entscheide geführt haben, wie denn auch der Regiernngsrat sich stets nur auf sein formelles Recht berufen habe, ohne materiellrechtliche Gründe anführen zu können. Die Nichtzulassung des Kremationsaktes stelle sich als Willkür dar, nachdem die Beisetzung der Asche von auswärts verbrannten Leichen im Kanton Luzern seit Jahren gestattet worden sei. Die Rekurrenten halten dafür, dass diese Gesichtspunkte als mit denjenigen des Art. 53, Abs. 2, B. V. konnex auch bei der Prüfung des Rekurses durch den Bundesrat und die Bundesversammlung in Betracht fallen müssten.

Die Auffassung, dass alle diese in der Kompetenzsphäre des Bundesgerichts liegenden Gesichtspunkte auch hier berücksichtigt werden müssen, geht auf die bei den Rekurrenten bestehende Anschauung zurück, dass Art. 53, Absatz 2, Satz l, B. V. eine materiell-rechtliche Norm enthalte und den Bundesbehörden das Recht gebe, ,,nach freiem Ermessen'1 zu prüfen, ob eine von den kantonalen Behörden getroffene Verfügung über einen Begräbnisplatz sachlich gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt sei.

Diese Auffassung ist aber, wie wir oben dargetan haben, eine irrtümliche. .

Unter diesen Umständen erscheint es uns nicht als erforderlich, der Frage näherzutreten, ob ein Rechtszustand haltbar wäre, wonach das Bundesgericht einerseits und der Bundesrat und die Bundesversammlung anderseits als koordinierte, letztinstanzliche Rechtspflegeorgane in der nämlichen Streitsache über die gleiche Rechtsfrage zu entscheiden hätten.

II.

Der Bundesrat legte sich in dem angefochtenen Entscheide die Frage vor, ob der Rekurs gestützt auf Art. 53, Absatz 2, Satz 2, B. V. gutgeheissen werden könne. Er stellte sich bei deren Beantwortung auf folgenden Standpunkt : In betreff des Begräbniswesens habe die Bundesverfassung dem Bunde keine Gesetzgebungsbefugnis eingeräumt*). Die Kompetenz der Kantone *) Art. 53, Absatz l, B. V. legt die Ordnung des Zivilstandswesens in die Hand des Bundesgesetzgebers. Dieser hat in erheblichem Masse von dieser Zuständigkeit Gebrauch gemacht und in der Folge den Bundesbehörden weitgehende Kompetenzen eingeräumt. Im Gegensatze hierzu hat Art. 53, Absatz 2,
B. V. das Begräbniswesen nicht zur Bundessache gemacht.

Es hat deshalb auf diesem Gebiete bei den Kompetenzen der Bundesbehörden sein Bewenden, die sich aus der Verfassungsvorschrift selbst ergeben.

642 auf diesem Gebiete sei daher unangetastet geblieben, soweit nicht die Bundesverfassung selbst regelnd eingegriffen habe. Dies habe sie insbesondere dadurch getan, dass sie den bürgerlichen Behörden der Kantone die Sorge dafür überbinde, dass jeder Verstorbene schicklich beerdigt werden könne. Dieser verfassungsrechtlichen Anforderung sei aber der Kanton Luzern nachgekommen, indem er die Erdbestattung, d. h. eine auch in den Augen der Rekurrenten schickliche Bestattungsart, als allgemeine Bestattungsart vorgesehen habe.

Die Rekurrenten weisen nun in ihrer an die Bundesversammlung gerichteten Eingabe darauf hin, dass, nachdem im Laufe der Zeit neben die früher allein übliche Bestattungsart die für einen Teil des Volkes schicklichere, weil seinen Pietätsgefühlen besser entsprechende Feuerbestattung getreten sei, nichts im Wege stehe, dass die Bundesbehörden erklären, dass in der Gewähr einer schicklichen Beerdigung auch diejenige der für den betreffenden Volksteil schicklichem Bestattungsart implicite enthalten sei.

Einem solchen Vorgehen der Bundesbehörden stände aber -- wie der Bundesrat in seinem Entscheide vom 15. Januar 1915 festgestellt hat -- das unüberwindliche Hindernis entgegen, dass die Bundesverfassung die Kantone nicht verpflichtet, a l l e schicklichen Beerdigungsarten zuzulassen.

Wir beehren uns, Ihnen, Tit., zu beantragen, unsern Entscheid vom 15. Januar 1915 zu bestätigen und den Rekurs des Stadtrates von Luzern und der Mitunterzeichner abzuweisen.

B e r n , den 7. Juni

1915.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

(S. Bundesbl. 1915, Bd. I, S. 96.)

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16.06.1915

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