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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung, 67. Jahrgang.

Bern, den 13. Januar 1915.

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Band I.

Bundesratsbeschluss über

den Rekurs Richter und April in Ragaz gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen betreffend Mitbenützung des öffentlichen Gemeindeeigentums für die Erstellung einer neuen Kraft- und Lichtverteilungsanlage.

(Vom 17. Dezember 1914.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t hat nach Einsicht 1. eines Rekurses der Herren Richter und April, in Ragaz, vom 28. Juli 1913, gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 2. Juli gleichen Jahres betreffend die Mitbenützung des öffentlichen Gemeindeeigentums für die Erstellung einer neuen Kraft- und Lichtverteilungsanlage in Ragaz; 2. des Gutachtens der eidgenössischen Kommission für elektrische Anlagen vom 31. Oktober 1914; 3. eines Berichtes und Antrages seines Eisenbahndepartements, in E r w ä g u n g : I.

Die Herren Richter und April in Ragaz haben am 18. Juli 1912 beim Starkstrominspektorat zuhanden des Bundesrates das Bundesblatt. 67. Jahrg. Bd. I.

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Gesuch um Erteilung des Enteignungsrechtes für die von ihnen in dorten projektierten elektrischen Anlagen zum Zwecke der Stromverteilung gestellt. Gegen diese Vorlage sind innert nützlicher Frist von einer Anzahl Liegenschaftsbesitzer Einsprachen eingereicht worden. Auch die Gemeinde Ragaz verweigerte das Durchleitungsrecht, soweit ihr öffentliches Eigentum in Frage kam, unter Berufung auf die Bestimmung in Art. 46, Absatz 3, des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1902 über die elektrischen Anlagen. Gegen diese Verfügung der Gemeinde Ragaz rekurrierteri die Enteigner an die Regierung des Kantons St. Gallen in Anwendung des im vierten Absatz des Art. 46 leg. cit. festgesetzten Verfahrens. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen wies jedoch den Rekurs der Herren Richter und April unter dem 2. Juli 1913 ab und gegen diese Entscheidung ergriffen die Genannten am 28. Juli 1913 den Rekurs an den Bundesrat.

Wie oben erwähnt, stützte sich der Gemeinderat Ragaz bei seiner Verweigerung der Einräumung des Durchleitungsrechtes, soweit das Eigentum der Gemeinde in Frage kam, auf die Bestimmung des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1902, gemäss welcher die Mitbenützung des öffentlichen Gemeindeeigentums für Einrichtungen zur Abgabe elektrischer Energie zum Schütze der berechtigten Interessen der Gemeinde verweigert werden kann.

Die Gemeinde Ragaz betrachtete den Fortbestand der bereits bestehenden Einrichtungen der Aktiengesellschaft für elektrische Installationen in Ragaz als im Interesse der Gemeinde liegend und machte die Bedenken geltend, welche sowohl in ästhetischer Hinsicht als mit Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit dagegen bestünden, die Errichtung eines weitern elektrischen Verteilungsnetzes in der Gemeinde zuzulassen. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen schützte diese Erwägungen der Gemeinde Ragaz in seinem Entscheide und äusserte sich in gleichem Sinne in seiner Vernehmlassung vom 4. November 1913 an das eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement über den Rekurs der Herren Richter und April.

n.

In ihrem Rekurse vom 28. Juli 1913 an den Bundesrat führen die Herren Richter und April im · wesentlichen aus, die Erstellung der projektierten elektrischen Anlagen entpreche einem Bedürfnis. Das Elektrizitätswerk der Bad- und Kuranstalten in Ragaz liefere Kraft und Licht lediglich diesen Anstalten und zur Beleuchtung der Bahnhofstrasse. Die vorhandene Kraft werde

19 dadurch vollständig aufgebraucht und falle für andere Zwecke ganz ausser Betracht.

Auch das bestehende Elektrizitätswerk der Aktiengesellschaft für elektrische Installationen vermöge den Bedarf an Kraft und Licht nicht zu decken ; es sei mangelhaft, nicht zuverlässig und befriedige nicht. Auf die fortgesetzten Klagen der Abonnenten hin habe die Gesellschaft vor einigen Jahren einen Dieselmotor von 120 P. S. angeschafft, der auch ausserhalb der Niederwasserperiode stark in Anspruch genommen werden müsse.

Dass die zur Verfügung stehende elektrische Energie trotzdem den vorhandenen Bedürfnissen nicht genügen könne, gehe aber aus dem Umstände hervor, dass, wie von den Experten selbst festgestellt worden sei, die Motoren nur ausserhalb der ßeleuchtungszeit benutzt werden dürften.

Auf den Einwand, «dass die neuen Leitungsanlagen eine Beeinträchtigung des Landschafts- und Strassenbildes zur Folge haben würden, sei zu erwidern, dass die Leitung in den Hauptstrassen wie diejenige der Kuranstalten und der Telegraphenverwaltung in Kabel gelegt werden soll. Im übrigen werde sie so angelegt, dass eine Störung des Strassen- und Landschaftsbildes möglichst vermieden werde.

Das gleiche gelte hinsichtlich der angeblichen Gefahr für die Feuerlöschmannschaft. Übrigens seien die Pläne der projektierten Anlagen bereits vom Starkstrominspektorate genehmigt worden.

Ein weiterer Vorteil der neuen Anlagen bestehe darin, dass es möglich sein werde, Licht und Kraft auf die Dauer billiger abgeben zu können als das bestehende Elektrizitätswerk. Die Rekurrenten hätten die Möglichkeit, sich unter Umständen vom Elektrizitätswerk Klosters, das bereits Strom bis nach Maj'enfeld liefere, eine billige Kraftreserve von grosser Zuverlässigkeit zu sichern. Wolle sich die Gemeinde Ragaz an dem zu erstellenden neuen Werke finanziell beteiligen, oder wünsche sie, sich gewisse Rückkaufsbestimmungen zu sichern, so seien die Rekurrenten bereit, zu einer Verständigung Hand zu bieten. Da von den Experten erklärt werde, die neue Anlage werde unbedingt leistungsfähiger sein als das bestehende Werk, scheine es angezeigt, dass die Gemeinde sich am Werke der Rekurrenten beteilige und die Frage der Kommunalisierung der elektrischen Energie eventuell auf dieser Grundlage zu lösen suche.

Im übrigen seien die Rekurrenten der Ansicht, dass die

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Bedürf'nisirage für die Gewährung des Enteignungsrechtes nicht ausschlaggebend sei. Wenn gegen ein Projekt nicht Einwendungen technischer Natur geltend gemacht werden könnten, so müsse das Enteignungsrecht ohne weiteres gewährt werden, sofern keine Einsprachen erhoben worden seien. Das Enteignungsrecht sei aber auch gegen allfällige Einsprachen zu bewilligen, wena eine Änderung des Tracés ohne erhebliche technische Inkonvenienzen oder unverhältnismässige Mehrkosten oder eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht möglich sei.

Dass aber überhaupt oder den Einsprachen gegenüber ein Bedürfnis für die Erstellung eines Werkes als Ganzes nachgewiesen werden müsse, sei nirgends und in keiner Form ausgesprochen.

Diese Regelung des Enteignungsrechtes im Bundesgesetz gelte nicht nur gegenüber Privaten, sondern auch gegen Kauton und Gemeinde, gegen letztere nur mit der Einschränkung, dass sie zum Schütze ihrer berechtigten Interessen das Recht zur Mitbenützung ihres öffentlichen Eigentums verweigern oder an beschränkende Bestimmungen knüpfen könne.

Die Fassung des Art. 43 des Gesetzes, gemäss welchem der Bundesrat das Enteignungsrecht gewähren könne, spreche nicht gegen den Anspruch eines Bewerbers, dessen Projekt den Vorschriften entspreche, auf Einräumung des Expropriationsrechtes.

Jener Artikel habe nur den Zweck, festzustellen, welche Behörde das Enteignungsrecht zu erteilen habe, an wen, für welche Zwecke und Anlagen und nach welchem Verfahren dasselbe zu erteilen sei. Keineswegs aber sei es dem Bundesrate anheimgestellt, die Erteilung des Enteignungsreehtes gegenüber dem Besitzer eines technisch durchführbaren Projektes vom Nachweis der Erfüllung anderer als der in den Artikeln 46 und 50 des Gesetzes angeführten Bedingungen abhängig zu machen.

Nun seien keine berechtigten Interessen der Gemeinde nachgewiesen, welche die Verweigerung des Enteignungsrechtes rechtfertigen würden, weil die Gemeinde Ragaz weder ein unter der eventuellen Konkurrenz leidendes Elektrizitätswerk besitze, noch an einem solchen überhaupt beteiligt sei, und weil die Einwendungen wegen Beeinträchtigung des Strassen- und Landschaftsbildes, sowie auch wegen der Gefabren feuerpolizeilicher Natur an sich von ganz untergeordneter Bedeutung und nicht begründet seien.

Gegenüber allen Enteigneten müsse geltend gemacht werden,

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dass eine Änderung des Tracés ohne erhebliche technische Inkonvenienzen und unverhältnismässige Mehrkosten nicht möglich sei.

Die Rekurrenten seien bei der Aufstellung des Projektes bestrebt gewesen, die Interessen der Grundbesitzer sowohl als diejenigen der Gemeinde Ragaz und des Kurortes möglichst zu schonen.

III.

Wie sich aus den Akten ergibt, liegen die Verhältnisse in der Gemeinde Ragaz in bezug auf die Versorgung mit elektrischer Energie folgenderrnassen. Es besteht seit dem Jahre 1891/92 eine elektrische Anlage an der Tamina, unmittelbar bei der Ortschaft Ragaz, welche der elektrischen Beleuchtung aller derjenigen Objekte dient, die sich damals im-Besitz des Herrn Simon in Ragaz befanden, also speziell der Beleuchtung der Kuranstalt und des ,,Quellenhof Ragazu . Ausserdem ist an diese Anlage die Beleuchtung des Bahnhofes und der Bahnhofstrasse angeschlossen.

Da die Anlage des Herrn Simon nicht in der Lage war, den nötigen elektrischen Strom auch für die übrigen Hotels und für den sonstigen Bedarf des Ortes Ragaz zu liefern, so gründeten eine Anzahl Interessenten im Jahre 1892 die Aktiengesellschaft für elektrische Installationen in Ragaz, welche eine Wasserkraftanlage an der Tamina in Maprack errichtete und die Energie mittelst Einphasenwechselstroms (3000 Volt) nach Ragaz leitete, um dort elektrische Beleuchtung und elektrische Energie für alle ändern Verwendungszwecke abzugeben. Zwischen dieser Aktiengesellschaft für elektrische Installationen und der Gemeinde Ragaz besteht keinerlei anderes Vertragsverhältnis als die Abmachung bezüglich der Beleuchtung der öffentlichen Strasscn, abgesehen von der oben erwähnten Beleuchtung der Bahuhofstrasse. Es besteht also insbesondere zwischen den beiden genannten Parteien kein Vertrag über die Einräumung einer ausschliesslichen Konzession für die Benützung des öffentlichen Eigentums zugunsten der Gesellschaft, noch bezüglich eines spätem Eigentumsüber^ ganges der Anlagen der Aktiengesellschaft in den Besitz der Gemeinde. Die Gemeinde als solche ist aber auch in keiner Weise an der Aktiengesellschaft für elektrische Installationen finanziell beteiligt.

Infolgedessen besteht für die Gemeinde Ragaz nach den Grundsätzen, welche der Bundesrat hinsichtlich der Definition der berechtigten Interessen einer Gemeinde bisher in seinen Entscheidungen immer eingehalten hat, keinerlei Berechtigung, sich gegenüber dem Enteignungsgesuch der Herren Richter und April

22 auf ihre berechtigten Interessen im Sinne des Art. 46 des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1902 zu berufen. Trotzdem kommt die eidgenössische Kommission für elektrische Anlagen in ihrem Gutachten vom 31. Oktober 1914 aus ändern Erwägungen zum Schlüsse, dass den Herren Richter und April das von ihnen nachgesuchte Enteignungsrecht nicht zu erteilen sei, und der Bundesrat schliesst sich nach eingehender Prüfung der Angelegenheit dieser Auffassung an.

Vorerst ist zu bemerken, dass bisher immer an dem Standpunkt festgehalten wurde, es sollte aus allgemeinen Erwägungen und aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wo immer möglich, verhindert werden, dass in ein und derselben Ortschaft mehrere elektrische Verteilungsanlagen entstehen. Im vorliegenden Falle ist dieser Standpunkt deshalb besonders begründet, weil jetzt schon in Ragaz zwei Anlagen bestehen, welche Verteilungsleitungen auf dem gleichen Gebiet besitzen, wenn auch zuzugeben ist, dass die Anlage des Herrn Simon keine besonders vielfältige Verzweigung aufweist.

Der Grundsatz, kein weiteres Verteilungsnetz zuzulassen, könnte natürlich dann nicht aufrechterhalten werden, wenn die vorhandenen Einrichtungen den gegebenen Bedürfnissen nicht genügen könnten, oder wenn die Besitzer der bestehenden Stromverteilungsanlagen durch zu hohe Preise der Energie bestrebt wären, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit zu schädigen.

Die Herren Richter und April versuchen denn auch in ihren Darlegungen und durch Gutachten darzutun, dass diese Voraussetzungen in Ragaz erfüllt seien. Die Prüfung der Verhältnisse durch die eidgenössische Kominission für elektrische Anlagen hat jedoch ein gegenteiliges Ergebnis gehabt.

Es kann allerdings nicht bestritten werden, dass die Einrichtungen der Aktiengesellschaft für elektrische Installationen, die zum grossen Teil noch so vorhanden sind, wie sie vor zirka 20 Jahren erstellt wurden, nicht in jeder Beziehung modern sind.

Dagegen ist in erster Linie der Einwand unrichtig, dass das angewandte Stromsystem von Einphasenwechselstrom und 40 Perioden für den Betrieb von Elektromotoren ungeeignet sei.

Die Anwendung der 40 Perioden ist im Gegenteil im Interesse der Erleichterung des Motorenbetriebes erfolgt, und es ist umändern Zufälligkeiten zuzuschreiben, wenn später als normale Periodenzahl sich die Zahl 50 eingebürgert hat. Der Einphasenwechselstrom wurde seinerzeit gewählt, weil die Anlage in erster Linie zur Abgabe von elektrischer Beleuchtung bestimmt war.

23 War vielleicht zur Zeit der Einrichtung in den Einphasenmotoren eine gewisse Unvollkommenheit gegenüber Drehstrommotoren zu erblicken, so kann dies heute jedenfalls nur mit viel geringerer Berechtigung gesagt werden, nachdem die Einphasenmotoren inzwischen eine ausserordentliche Vervollkommnung erfahren haben und bei schwierigen Betrieben zum Teil sogar an Drehstromnetzen Verwendung finden. Vom Standpunkt des Stromsystems aus kann also eine begründete Einwendung gegenüber den Betriebsanlagen der Aktiengesellschaft für elektrische Installationen nicht erhoben werden.

Die Rekurrenten behaupten ferner, die vorhandenen Anlagen seien nicht imstande, die Nachfrage nach elektrischer Energie in der Gemeinde Ragaz zu befriedigen. In dieser Beziehung ist darauf hinzuweisen, dass die Aktiengesellschaft für elektrische Installationen vor wenigen Jahren eine Dieselmotoren-Reserveaulage erstellt hat. Sie hat bei dieser auch auf eine etwa in der Zukunft wünschenswerte Veränderung des Stromsystems hinsichtlich der Periodenzahl Rücksieht genommen, welche die künftige Verbindung mit einer grössern elektrischen Verteilungsanlage wünschenswert machen könnte. Der Dieselmotor und sein Generator sind nämlich so eingerichtet, dass sie nicht nur mit 40 Perioden, sondern auch mit 50 Perioden und nicht nur mit Einphasenwechselstrom, sondern auch mit Drehstrom betrieben werden können. Aus den bei den Akten liegenden Diagrammen über die verfügbare Kraft geht ferner hervor, dass bisher immer noch genügende Energie zur Verfügung stand, um weitere Anschlüsse in dem Umfang, wie sie in Ragaz als wahrscheinlich erscheinen können, durchzuführen. Wenn die Rekurrenten geltend machen, die kalorische Reserve sei unzureichend, weil sie gegenüber einem vollständigen Stillstand der Wasserkraft nicht genügen könne, so ist darauf hinzuweisen, dass eine so grosse kalorische Reserve wohl bei keinem schweizerischen Kraftwerk vorhanden sein dürfte.

Wenn ferner ausgeführt wird, die Anlagen wären nicht ausreichend, falls das Niederwasser mit dem grössten Konsum zusammenfallen würde, so muss bemerkt werden, dass auch dieses Zusammentreffen wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat. Da die Anlage in erster Linie der elektrischen Beleuchtung von Hotels dient, die nur Sommerbetrieb haben, das äusserste Niederwasser aber im Winter vorkommt, wird auch
zur Zeit des kleinsten Niederwassers die vorhandene Energie für die bisher nachgewiesenen Bedürfnisse ausreichen. Ein vorübergehender Kraftmangel bei ganz ausserprdentlichen Wasserständen würde übrigens

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an den hier niedergelegten Gesichtspunkten noch nichts zu ändern vermögen.

Für die Behauptung der Rekurrenten, es bestünde in Ragaz eine sehr grosse Nachfrage nach neuen Anschlüssen, die durch die jetzige Gesellschaft nicht befriedigt werden könnten, ist jedenfalls in den Akten keinerlei Beweis geleistet. Es liegen allerdings 33 Verpflichtungen vor zu neuen Anschlüssen an das Netz der Herren Richter und April. Diese 33 Verpflichtungen ergeben aber, auch wenn man in allen die höchst genannte Lampcnzahl in Betracht zieht, zusammen nur 168 Glühlampen und l Elektromotor von 2 Pferdestärken Der gesamte, sich hieraus ergebende Stromkonsum entspricht also noch nicht 10 PS. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die Anlagen der Aktiengesellschaft für elektrische Installationen ohne weiteres in der Lage wären, dieses Anschlussbedürfnis zu befriedigen, und zwar auch, dann noch, wenn es ein Vielfaches der erwähnten Zahlen betragen sollte.

Gegen das Bedenken, eine weitere elektrische Verteilungsanlage in Ragaz zu ermöglichen, wird seitens der Rekurrenten geltend gemacht, dass die von ihnen vorgelegten Pläne vom eidgenössischen Starkstrominspektorate genehmigt worden seien und dass ihrer Ausführung also Bedenken wegen der öffentlichen Sicherheit nicht entgegenstehen können. In dieser Beziehung ist zu bemerken, dass für das eidgenössische Starkstrominspektorat allgemeine Erwägungen nicht in Betracht kommen können, sondern ausschliesslich die reine Anwendung der technischen Vorschriften. Infolgedessen ist es wohl möglich, dass gegen gewisse Leitungsanlagen von Seiten des Inspektorales Einwendungen nicht erhoben werden können, weil keine der Sicherheitsvorschriften verletzt ist, dass aber trotzdem gegen ihre Ausführung weitgehende und begründete Bedenken bestehen. Die Ausführung der Anlage könnte natürlich in einem solchen Falle nicht gehindert werden, wenn alle Grundeigentümer, die durch die Anlagen beansprucht werden, gutwillig ihre Zustimmung geben würden, und die Anwendung des Enteignungsrechtes nicht erforderlich wäre. Diese allgemeinen Erwägungen müssen aber in Betracht fallen, sobald zugunsten der betreffenden Anlage die Erteilung des Enteignungsreehtes seitens des Bundesrates verlangt wird. Es ist ferner in diesem Zusammenhange darauf hinzuweisen, dass, wenn auch die von den Herren Richter und April in ihre Vorlagen eingezeichneten elektrischen Leitungen dem Starkstrominspektorate keine Veranlassung zu technischen

25 · Einwendungen im einzelnen geben, doch durchaus nicht feststeht, dass dieser befriedigende Zustand auch in der Praxis und in der weitern Entwicklung der Dinge bestehen bleiben wird.

Erstens besteht schon die grosse Wahrscheinlichkeit, dass die neuen Anlagen von vornherein bei ihrer Ausführung den jetzigen Plänen nicht genau entsprechen werden. Noch wichtiger aber ist der Urnstand, dass mit beidseitigen Veränderungen der Verteilungsnetze gerechnet werden muss. Die Aktiengesellschaft für elektrische Installationen ist naturgemäss bestrebt,- weitere Anschlüsse an ihr Netz zu bewerkstelligen, und es wäre unbedingt unbillig, ihr in dieser Beziehung Schwierigkeiten zu bereiten.

Die Herren Richter und April müssten aber notwendigerweise auch darauf bedacht sein, ihre Verteilungsanlagen zu erweitern.

Wird ihnen jetzt für die Ausführung ihrer Leitungen das Enteignungsrecht erteilt, so wäre es schwierig, sie später an dem weitern Ausbau ihres Netzes zu verhindern. Dadurch müssten aber unbedingt Zustände entstehen, welche mit den bis jetzt immer aufgestellten Grundsätzen hinsichtlich der Wahrung der öffentlichen Sicherheit nicht zu vereinbaren sind, und in dieser Beziehung ist deu Ausführungen des Gemeinderates Ragaz, denen sich auch der Regierungsrat des Kantons St. Gallen angeschlossen hat, volle Berechtigung zuzusprechen.

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Die trotz des klaren gegenteiligen Wortlautes von den Rekurrenten versuchte Interpretation des Gesetzes, nach welcher der Bundesrat das Expropriationsrecht erteilen m ü s s t e , wenn vom Standpunkt der gegebenen technischen Vorschriften aus keine Einwendungen dagegen bestünden, ist haltlos. Das Geselz legt vielmehr die Entscheidung über die Erteilung des Expropriationsrechtes ausschliesslich in die freie Erwägung des Bundes rates, indem es sagt: ,,Der Bundesrat k a n n . . . ."· Im vorliegenden Falle liegen allgemeine Gründe vor, welche die Verweigerung des Enteignungsrechtes als notwendig erscheinen lassen.

Das Bundesgesetz über die elektrischen Anlagen lässt die Enteignung im Interesse des Stromproduzenten und des Stromkonsumenten zu. Von dem Interesse des Produzenten kann hier nicht die Rede sein. Das kantonale st. gallische Elektrizitätswerk scheint als Lieferant beziehungsweise Produzent der elektrischen Energie in Aussicht genommen zu sein. Der in Ragaz nachgewiesene Bedarf spielt für die Interessen dieses Werkes keine Rolle. Anderseits sind die Interessen der Konsumenten auch ohne die neue Anlage dadurch gewahrt, dass die Gesellschaft für elektrische Installationen über die noch freie Energie verfügt, um

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die in Ragaz vorhandenen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie sind aber auch gewahrt vom Standpunkt der Kosten der Energie aus.

Die Tarifpreise der Aktiengesellschaft sind, soweit sich aus den Akten ersehen lasst, sehr niedere, und es ist offenbar zum Teil gerade diesem Umstand zuzuschreiben, dass die Gesellschaft während so vieler Jahre nicht zu besserem finanziellen Ergebnis gekommen ist. Es besteht jedenfalls keine Aussicht, dass aus der neuen Anlage Licht und Kraft zu billigern Bedingungen an die Abonnenten abgegeben werden können. Es bestehen somit keine sachlichen Erwägungen f ü r , eine Reihe gewichtiger Bedenken aber g e g e n die Erteilung des Expropriationsrechtes. Der Rekurs der Herren Richter und April kann daher nicht geschützt werden.

Nach Massgabe vorstehender Ausführungen erscheint es als unnötig, auf die vorliegenden Einsprachen im einzelnen einzutreten.

beschlossen: Der Rekurs der Herren Richter und April gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St, Gallen vom 2. Juli 1913 betreffend die Mitbenützung des öffentlichen Gemeindeeigentums für die Erstellung einer neuen Kraft- und Lichtverteilungsanlage in Ragaz wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 17. Dezember 1914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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