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II. Bericht des

Bundesrates an die Bundes Versammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1915).

(Vom 28. Mai 1915.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten Ihnen über nachfolgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen : 31. Arthur Michel, geb. 1879, Taglöhner in Münster, in Haft in der Strafanstalt Thorberg, Kanton Bern.

(Gefährdung des Eisenbahnverkehrs.)

Das korrektionelle Gericht von Münster hat in seiner Sitzung vom 30. November 1912 Arthur Michel der vorsätzlichen Gefährdung der Sicherheit des Eisenbahnverkehrs schuldig befunden und ihn in Anwendung von Art. 67 B. St. R. zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Michel hatte am Abend des 15. Juli 1910 zwei Pflöcke, Fassdauben aus Eichenholz und Steine auf das Eisenbahngeleise der Linie Court-Moutier gelegt in der Absicht, eine von Court nach Moutier frei zurückfahrende Lokomotive zur Entgleisung zu bringen, Jedoch ohne Erfolg, da der Lokomotivführer, durch die Erschütterung aufmerksam gemacht, die Maschine sofort anhielt, bevor sie entgleiste und irgendwelcher Schaden entstand.

Schon zu Beginn der Nachforschungen fiel der Verdacht der Polizeiorgane auf die Person des Michel, der aber jede Schuld bestritt, so dass mangels genügender Anhaltspunkte eine Überweisung an die Gerichte unterblieb. Erst zwei Jahre später stellte sich Michel der Polizei und legte ein umfassendes Geständnis ab.

Die Untersuchung wurde dann auf fünf andere in den Jahren 1909 und 1910 in der gleichen Gegend begangene und unaufgeklärt gebliebene Fälle von Eisenbahngefährdung ausgedehnt, Jedoch ohne Resultat, da Michel die Täterschaft hinsichtlich dieser Vergehen bestritt.

Arthur Michel reicht nun, nachdem zirka 2'/2 Jahre an der Strafe verbüsst sind, ein Gesuch um Erlass des Restes ein mit

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der Begründung, er habe die Tat in vollständig betrunkenem Zur stände verübt, und er versichert, er werde sich bemühen, für alle Zukunft ein ordentliches Leben zu führen. Die Anstaltsdirektion Thorberg bescheinigt, dass der G esuchsteller sich während der ganzen Strafzeit gut aufgeführt habe, zweifelt aber daran, dass er die nötige Willensstärke besitzt, um, in Freiheit gesetzt, nicht mehr rückfällig zu werden.

Michel ist schon 23 Mal vorbestraft und wird mit Recht vom urteilenden Gericht als unverbesserlicher Rückfälliger bezeichnet.

Diese Tatsache rechtfertigt an und für sich schon die Abweisung des Begnadigungsgesuches. Ebensosehr sprechen gegen eine Begnadigung die nähern Umstände, unter welchen die in Frage stehende Eisenbahngefährdung in die Wege geleitet wurde. Es war nämlich die Stelle, an welcher die Entgleisung erfolgen sollte, so gewählt, dass bei Gelingen des Planes die Lokomotive über einen Abhang hinuntergestürzt wäre, was zweifelsohne den Tod des Führers und des Heizers zur Folge gehabt hätte. Vom Gesichtspunkte der Gefahr aus, der die Lokomotive und ihr Personal ausgesetzt wurde -- und diese, nicht der eingetretene Erfolg ist massgebend -- muss das Vergehen des Michel als ganz besonders schwer bezeichnet werden. Einen Milderungsgrund vermag der Täter nicht anzugeben, insbesondere kann selbstverschuldete Trunkenheit nicht als solcher anerkannt werden. Die Gewährung des nachgesuchten Strafnachlasses ist daher nicht am Platze.

A n t r a g : Arthur Michel sei mit seinem Begnadigungsgesuche abzuweisen.

32. Paul Zingg, geb. 1886, Elektriker in Bellefontaine, Kanton Bern..

(Übertretung des Jagdgesetzes.} Der Polizeirichter von Pruntrut hat in seiner Sitzung vom 4. März 1915 Paul Zingg der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz schuldig erklärt und in Anwendung von Art. 21, Ziffern 2 und 7, zu einer Busse von Fr. 305 verurteilt.

Laut Rapport des Landjägers Girardin in St. Ursanne war nämlich Zingg Sonntag den 31. Dezember 1913, mit Drahtschnüren versehen, in der sogenannten Forêt d'épicéas auf die Jagd gegangen und wurde dabei ertappt, als er eine solche Fangvorrichtung im Walde angebracht hatte. Etwas später wurde der Laufhund des Zingg in der Nähe jagend angetroffen.

Der Verurteilte stellt nun das Gesuch um Herabsetzung der Strafe durch Begnadigung. Während er vor dem Polizeiriehter

591 die Richtigkeit der gegen ihn gemachten Anzeige bestritt, allerdings ohne irgendwelche Erklärungen zu geben, vermeidet er es jetzt, zur Schuldfrage Stellung zu nehmen, und begründet sein Gesuch damit, dass er behauptet, die Höhe der Busse stehe in gar keinem Verhältnis zur Übertretung. Er gibt an, ein Monatseinkommen von nur Fr. 100 zu haben, wolle aber trotzdem die Busse bezahlen, sobald sie auf einen gerechten Betrag ermässigt sei.

Dem gegenüber ist zu sagen, dass das Mindestmass der für die Anwendung von Schlingen und Drahtschnüren angedrohten Strafe Fr. 300 beträgt, dass dieses Delikt vorliegend mit der Übertretung des vorbotenen Jagenlassens von Hunden und verbotener Sonntagsjagd konkurriert, und dass der Richter dennoch nur auf Fr. 305 erkannte. Damit ist die Behauptung des Gesuchstellers, das Urteil sei ungerecht, ohne weiteres widerlegt. Auf die angeführte Vermögenslosigkeit kann schon aus dem Grunde keine Rücksicht genommen werden, da sie nicht amtlich bescheinigt ist.

A n t r a g : Paul Zingg sei mit seinem Begnadigungsgesuche abzuweisen.

33. Otto Klose-Bossert, Musiker, Güterstrasse 207, in Basel.

(Übertretung des Viehseuchenpolizeigesetzes.)

Am Abend des 17. April 1915 hatte Klose seinen Hund ohneMaulkorb, Halsband und Zeichen in der Güterstrasse in Basel vor seiner Wohnung herumlaufen lassen und ihn wiederholt veranlasst, geschleuderten Steinen nachzulaufen.

Auf erstattete Anzeige hin erliess der Polizeigerichtspräsident.

des Kantons Baselstadt am 21. April 1915, gestützt auf Art. 36 des Viehseuchenpolizeigesetzes, einen Strafbefehl für eine Bussevon Fr. 10 gegen Klose, der dagegen keine Einsprache erhob,, nun aber um gnadenweisen Erlass der Strafe einkommt.

Der Gesuchsteller macht geltend, er. habe den Hund nur zur Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses auf die Strasse gehen lassen und dafür gesorgt, dass er sich nicht vom Hause entferne.

Der Gehalt, den er als Mitglied des Stadttheaters bezieht, betrage nur Fr. 130 monatlich, so dass es ihm sehr schwer falle, die Busse zu bezahlen.

Die Übertretung wurde zu einer Zeit begangen, da in Basel wegen Ausbruchs von Wut der Hundebann verhängt worden war; sie fiel deshalb unter den Art. 36 des Bundesgesetzes über polizeiliche Massregeln gegen Viehseuchen, der eine Mindeststrafe von Fr. 10 androht, im Gegensatz zu den kantonalen Vorschriften über die Hundepolizei, die blosse Ordnungsbussen von Fr. l an vorsehen..

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Das Urteil des Polizeigerichtspräsidenten von Basel entspricht somit durchaus den tatsächlichen Verhältnissen.

A n t r a g : Das Begnadigungsgesuch des Otto Klose-Bossert sei abzuweisen.

34. Alfred Künzli, Glockenthal bei Steffisburg, Kanton Bern.

(Übertretung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz.)

Künzli wurde am 10. Oktober 1914 vom Polizeirichter von Thun in Anwendung von Art. 19 und 21, Ziffer 5&, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschute mit einer Busse von Fr. 50 belegt, weil er am Sonntag den 4. Oktober 1914 im Limpachmoos bei Uetendorf mittelst Netzen, Leimruten und Lockvögeln Vögel einzufangen versuchte (siehe die Strafakten bei Fall J. Schneider, Nr. 26 der Begnadigungsanträge).

Künzli bittet um Brlass der Busse mit der Begründung, dass er mit einem Taglobn von Fr. 4 für den Unterhalt seiner fünf kleinen Kinder und seiner selbst aufkommen müsse und es ihm infolgedessen unmöglich sei, die Busse zu bezahlen.

Der Gemeinderat von Steffisburg empfiehlt das Gesuch zur Berücksichtigung und bescheinigt, dass die Angaben des Künsdi über seine Familienverhältnisse richtig sind; ohne dass seine Familie darunter zu leiden hätte, könne er die Busse nicht zahlen, da er kein Vermögen besitze und in ganz ärmlichen Verhältnissen lebe. Er geniesse einen guten Leumund. Der Regierungsstatthalter von Thun beantragt Herabsetzung der Busse.

Diese Gründe rechtfertigen eine Ermässigung der Busse auf Fr. 20.

A n t r a g : Es sei die dem Alfred Künzli auferlegte Busse auf Fr. 20 zu ermässigen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 28. Mai 1915.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatemanra.

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