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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Stadtrates von Luzern und des Feuerbestattungsvereins Luzern, sowie des J. Blattner und Mitunterzeichner, gegen den Entscheid des Regierungsrates von Luzern betreffend Verweigerung der Abtretung von Terrain zur Erstellung eines Krematoriums.

(Vom 15. Januar 1915.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des S t a d t r a t e s von L u z e r n und des Feuerbestattungsvereins L u z e r n , s o w i e des J. B l a t t n e r und M i t u n t e r z e i c h n e r , alle in Luzern, gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Luzern vom 15. Oktober 1913, betreffend die Verweigerung der Abtretung von Terrain an den Feuerbestattungsverein Luzern zur Erstellung eines Krematoriums; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst: A.

.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Mit Eingabe vom 19. Juli 1911 hat der Feuerbestattungsverein Luzern an den Stadtrat von Luzern das Gesuch gestellt, ihm das zur Erstellung eines Krematoriums nötige Terrain zu überlassen. Am 14. September 1911 fasste der Stadtrat dann den Beschluss: ,,Es sei dem Feuerbestattungsverein Luzern das zur Erstellung eines Krematoriums erforderliche Terrain auf dem

97.

Friedhofe im Friedental unentgeltlich zu überlassen. Nähere Bezeichnung des Ortes wird einer spätem Vereinbarung vorbehalten." In der Sitzung des grossen Stadtrates von Luzern wurde am 27. Oktober 1911 mit 36 gegen 9 Stimmen dem Beschlüsse die Genehmigung erteilt. Auf das Gesuch des Feuerbestattungsvereins hat alsdann der Stadtrat mit Beschluss vom 30. Mai 1912.

die Baudirektion eingeladen, den Platz für das Krematorium anzuweisen. Auf Antrag der Baudirektion beschloss der Stadtrat am 7. Juni 1912, dem Feuerbestat'tungsverein den erforderlichen Grund und Boden gemäss einem provisorischen Situationsplane auf der Nordseite und zum grössten Teile ausserhalb des Friedhofes zu überlassen, und zwar in dem Sinne, dass für denjenigen Teil des Platzes, der nicht mit den Räumlichkeiten für den allgemeinen Begräbnisdienst (Leichenhalle etc.) überbaut werde, dem Feuerbestattungsverein ein Baurecht im Sinne von Art. 675 des Zivilgesetzbuches auf die Dauer von 99 Jahren einzuräumen sei; II.

Mit Eingabe vom 14. November 1911 führten Dr. A. Waldis und 7 Mitunterzeichner in Ludern beim Regierungsrat Beschwerde gegen den vom grossen Stadtrate am 27. Oktober 1911 gefassten Beschluss. Sie machten geltend, die Verfügung des Stadtrates könne nicht als ein Ausfluss des ihm gemäss § 6 der Verordnung betreffend das Friedhof- und Begräbniswesen zustehenden Aufsichtsrechts gelten. Die Abtretung von Terrain auf dem öffentlichen Friedhofe zur Errichtung eines Krematoriums sei eine materielle Änderung der bestehenden Verhältnisse. Als erster Schritt zur Einführung der Feuerbestattung komme sie der Erweiterung des Friedhofes oder einer Neuanlage gleich. Für eine solch weittragende, über das Aufsichtsrecht der Gemeinden hinausgehende Verfügung sei die Anordnung oder wenigstens die Genehmigung des Sanitätsrates erforderlich; und gegen die Verfügung des Sanitätsrates müsste immerhin noch der Rekurs an den Regierungsrat vorbehalten bleiben.

Der Beschluss sei auch in materieller Hinsicht nicht haltbar, da die gegenwärtige Rechtslage die Einführung der Kremation im Kanton Luzern nicht zulasse. Das Bestattungswesen im Kanton Luzern beruhe auf dem Gesetze über das Gesundheitswesen und auf der in Vollziehung dieses Gesetzes erlassenen Begräbnisordnung.

Die Feuerbestattung sei sowohl dem Gesetze als der Verordnung fremd. § 9 der Verordnung sage deutlich, dass alle Leichname auf öffentlichen Friedhöfen zu ,,beerdigen" seien.

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Mit Beschluss vom 15. Oktober 1913 hiess der Regierungsrat des Kantons Luzern diese Beschwerde gut mit der folgenden Begründung : Die Frage, ob der SLadtrat zur unentgeltlichen Überlassung des fraglichen Terrains berechtigt gewesen sei, möge offen bleiben. Nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen müsse ein an sich zulässiger, aber nicht zu dem vom Gesetze gewellten Zwecke vorgenommener Verwaltungsakt als eine Kompetenzüberschreitung der betreffenden Verwaltungsbehörde angesehen werden. Ein solcher Akt stelle eben einen Missbrauch der der Verwaltungsbehörde erteilten gesetzlichen Ermächtigung -dar. Auch nicht der kleinste Teil des Gemeindegebietes dürfe zu einem rechtswidrigen Zwecke abgegeben werden. Das aber würde geschehen bei der Abtretung von Terrain zur Erstellung eines Krematoriums ; denn das gegenwärtige Recht des Kantons Luzern sehe die Feuerbestattung nicht vor, sondern verlange in § 9 der Verordnung betreffend das Friedhof- und Begräbniswesen und die Leichenschau ausdrücklich die Beerdigung.

III. , Gegen diesen Entscheid erhoben die eingangs erwähnten Rekurrenten gleichzeitig beim Bundesgericht und beim Bundesrat staatsrechtliche Beschwerde mit der Behauptung, der angefochtene Beschluss verstosse gegen Art. 4, 49, Absatz 4 und 53, Absatz 2, der Bundesverfassung, sowie gegen die in der luzernischen Kantonsverfassung garantierte Gemeindeautonomie.

Der gemäss Art. 194 des Organisationsgesetzes zwischen Bundesrat und Bundesgericht eingeleitete Meinungsaustausch ergab Einigkeit darüber, äass der Bundesrat nur die angebliche Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung zu prüfen habe, die übrigen Fragen dagegen vom Bundesgericht zu beurteilen seien, das zuerst seine Entscheidung zu treffen habe. Mit Urtei^vom 13. März 1914 wies das Bundesgericht die Beschwerde ab.

Das Bundesgericht führt in diesem Urteile aus, dass es die Auslegung, die die rekursbeklagte Behörde der luzernischen Beerdigungsverordnung gegeben habe, nicht als schlechthin unvereinbar mit diesem Erlasse und daher nicht als willkürlich ansehe, dass die Stellungnahme der Luzerner Regierung keinen unzulässigen Eingriff in die durch die luzernische Verfassung garantierte Gemeindeautonomie enthalte und dass auch Art. 49, Abs. 4 BV. nicht als verletzt erscheine. Das Bundesgericht macht dann aber ausserdem noch folgende Feststellung:

99 ,,Das Bestattungswesen ist im Kanton Luzern, wie vielfach anderwärts, ein öffentlicher Dienst, eine Verwaltungsaufgabe, die durch den Staat geregelt und auf der Grundlage der staatlichen Regelung von den Gemeinden als öffentliche Anstalt besorgt wird.

Das Sanitätsgesetz von 1876 hat im Wege der Delegation die staatliche Ordnung des Bestattungswesens dem Regierungsrat übertragen, der sie in sehr umfassender und eingehender Weise durch die Verordnung vom 13. März 1878 getroffen hat. Es liegt in der Natur der Sache und ist unbestritten, dass der Regierungsrat die Befugnis hat, bei dieser Normierung auch Vorschriften über die zulässige Art der Bestattung aufzustellen, indem er etwa eine oder mehrere Bestattungsarten vorsieht, andere dagegen ausschliesst. Und speziell die Berechtigung des Regierungsrates, kraft jener gesetzlichen Delegation den öffentlichen Dienst des Bestattungswesens in einer Weise zu ordnen, dass die Leichenverbrennung als Bestattungsart ausgeschlossen ist, könnte nur verneint werden, wenn die Zulassung der Leichen Verbrennung keine blosse Frage des kantonalen Verwaltungsrechts, sondern an sich schon ein verfassungsmässiges Postulat wäre, etwa aus Art. 4 BV., was aber die Rekurrenten in der Beschwerde ans Bundesgericht nicht behaupten. Ihre bloss beiläufige, in keiner Weise zu einem Rekursgrund erhobene Bemerkung, der Regierungsrat hätte ja die Begräbnisverordnung, wenn sie nach seiner Auffassung der fakultativen Leichenverbrennung entgegenstand, auch revidieren können, kann nicht als Beschwerde der gedachten Art betrachtet werden ; es ist dabei nicht etwa geltend gemacht, dass der vom Regierungsrat im angefochtenen Entscheide der Verordnung beigelegte Inhalt, wonach die Feuerbestattung zurzeit im Kanton Luzern rechtlich nicht zulässig ist, an sich schon verfassungswidrig sei und dass deshalb der Regierungsrat die Pflicht gehabt hätte, sie abzuändern oder die Leichenverbrennung ohne Rücksicht auf den Inhalt der Verordnung zuzulassen. Nach ständiger Praxis hat sich aber das Bundesgericht beim staatsrechtlichen Rekurs entsprechend der kassatorischen Natur des Rechtsmittels nur mit solchen Beschwerden zu befassen, die geltend gemacht und begründet sind (OG. Art. 178, Ziff. 3 ; s.

z. B. A. S. 35 I, S. 759 /"). Es ist daher jene Frage im gegenwärtigen Verfahren nicht zu erörtern."

IV.

Mit Bezug auf die Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung machen die Beschwerdeführer im speziellen

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geltend, dass die Verfügung über die Begräbnisplätze den bürgerlichen Behörden, und zwar im Kanton Luzern zunächst den Gemeindebehörden, in der Stadt Luzern dem Stadtrate zustehe.

Dieser habe mit seinem Beschlüsse vom 14. September 1911 eine mit der Bundesverfassung in Einklang stehende Verfügung getroffen. Denn der Bundesrat habe schon längst anerkannt, dass die Kremation und die Bestattung der Asche eine schickliche Beerdigung darstelle, wie sie Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung fordere. Nachdem in Luzern in den letzten Dezennien zahlreiche Urnenbeisetzungen stattgefunden hätten, ohne dass der Regierungsrat dagegen eingeschritten wäre, müsse in dem angefochtenen Entscheide ein Akt der Willkür erblickt werden. Wenn der Regierungsrat den Zweck, zu dem der Stadtrat das Terrain abgetreten habe, als einen widerrechtlichen bezeichne, so verneine er damit die bundesrechtlich anerkannte Schicklichkeit der Einäscherung und Urnenbestattung.

V.

Der Regierungsrat beantragt die Abweisung des Rekurses Er führt zur Begründung im wesentlichen aus, der Art. 53 Absatz 2, der Bundesverfassung gehöre zu jener Klasse von Normen des Bundesrechts, welche sich darauf beschränkt, bestimmte Grundsätze aufzustellen, auf einem Gebiete, auf dem sonst die Kantone prinzipiell in Gesetzgebung und Verwaltung autonom geblieben seien. Auf Grund dieser Bestimmung können daher kantonale Entscheide nur dann angefochten werden, wenn es sich um die Verfügung einer ändern Instanz als einer bürgerlichen Behörde oder um die Frage der Schicklichkeit oder Unschicklichkeit einer Bestattung handle. Nun sei aber völlig klar, dass der angefochtene Entscheid in keiner Weise mit den beiden Vorschriften des Art. 53, Absatz 2, in Kollision trete, wenn der Regierungsrat auch die Landabtretung zum Zwecke der Errichtung eines Krematoriums als widerrechtlich bezeichnet habe. Damit sei über die Kremation als Bestattungsart kein Urteil gefällt.

Nach juristischem Sprachgebrauch werde ehen alles das, was einer bestehenden, gebietenden oder verbietenden Norm zuwiderlaufe, als rechtswidrig bezeichnet. Anderseits aber wäre es eine verfehlte juristische Argumentation, wenn man aus Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung ableiten wollte, die Kantone seien verpflichtet, alle Arten der schicklichen Bestattung auf ihrem Gebiet zuzulassen, sodass ein Kanton nicht das Recht hätte, eine

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bestimmte schickliche Bcstattungsart, mit Ausschluss von ändern., vorzuschreiben.

VI.

Die Replik der Rekurrenten vom 2. Juli 1914 versucht zunächst in einlässlicher Weise die vom Regierungsrat in der Antwort ans ßundesgericht vorgebrachten Argumente zu widerlegen. Zu der vom Bundesrat zu entscheidenden Frage wird im wesentlichen noch folgendes vorgebracht: In einem Lande, wo die Konfessionen und Religionsgenossenschaften in solcher Mischung vorhanden sind, wie in der Schweiz, sei es die gegebene Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass die Ehrenpflicht gegenüber den Toten in allgemein menschlich richtiger Weise erfüllt werde, und dass nicht die Konfession oder konfessionelle Gesinnung störend dazwischentrete. Daher weise Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung die Verfügung über die Begräbnisplätze den bürgerlichen Behörden zu. Aber nicht nur formell, sondern auch materiell müsse die Verfügung über die Begräbnisplätze dem vorangestellten Grundgedanken entsprechen.

Es genüge also nicht, wenn zwar die bürgerliche Behörde den Beschluss fasse, sich aber mit dem Beschluss tatsächlich zum Diener der kirchlichen Behörde mache. Daher sei die Bundesbehörde schon mehrfach gegen Beschlüsse bürgerlicher Behörden in diesem Gebiet eingeschritten. Ausserdem aber stelle Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung die Forderung auf, dass für die schickliche Beerdigung der Verstorbenen gesorgt werden müsse.

Damit sei der Begriff der schicklichen Beerdigung zu einem bundesrechtlichen Begriff geworden, und der Bundesrat habe nach freiem Ermessen darüber zu entscheiden, was zu einer schicklichen Beerdigung gehöre.

Die von der luzernischen Regierung vertretene gegenteilige Auffassung, wonach ein Kanton das Recht habe, eine bestimmte schickliche Bestattungsart mit Ausschluss der ändern vorzuschreiben, sei mit der eben geschilderten Rechtslage nicht vereinbar. In seinem Bericht an die Bundesversammlung vom 20. November 1884 über die damals in rein akademischer Weise aufgeworfene Frage der Leichenverbrennung habe der Bundesrat zwar erklärt, die Ausführung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung dürfe in erster Linie wohl den Kantonsbehörden überlassen werden ; er habe aber beigefügt, die Bundesbehörde habe unter Umständen mahnend, rügend, b e f e h l e n d einzuschreiten. Im selben Bericht habe der Bundesrat ausgeführt, die Einführung einer von der bisher gewohnten abweichenden Bestattungsweise könne sehr

102 wohl unter den gleichen Bedingungen (d. h. unter Vorbehalt der Bundesverfassung und des Einschreitens der Bundesbehörde) den kantonalen Behörden überlassen werden. Wenn nun Salis in seinem Bundesrecht, III, S. 121, den letzten Satz in folgender Form wiedergebe: ,,die Frage der Einführung einer von dem bisherigen Modus abweichenden Bestattungsart kann unter Wahrung der Bestimmungen des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung füglich den kantonalen Behörden zum Entscheid überlassen werden11, so liege hier eine Abweichung, und zwar nicht nur eine formelle, sondern eine materielle Abweichung von dem obenerwähnten Satz des bundesrätlichen Berichtes vor, dessen Fassung viel weniger Anlass zu der irrigen Meinung gebe, der Bundesrat habe eine definitive Entscheidungsbefugnis der kantonalen Behörden anerkennen wollen. Eine solche Befugnis bestehe eben nicht, sondern der Bundesrat sei in letzter Linie berufen, ,,mahnend, rügend, b e f e h l e n d einzuschreiten11, und von dieser Befugnis habe der Bundesrat denn auch schon mehrmals gegenüber kantonaler Intoleranz namentlich in der Frage des Grabgeläutes Gebrauch gemacht. So sei auch die Kompetenz des Bundesrates im Volk stets aufgefasst worden ; das komme z. B. in der Broschüre von Walter Huber über die Feuerbestattung deutlich zum Ausdruck in dem Satz, ein Verbot des Baues und Betriebes eines Krematoriums seitens der kantonalen Behörden sei, ,,als mit der eidgenössischen Praxis in Bestattungssachen unvereinbar", nicht zu befürchten. Was dazu gehöre, a l l e n eine für sie schickliche Bestattungsart zu ermöglichen, das entscheide somit letztinstanzlich die Bundesbehörde. Dabei habe sie auf die dem Wechsel unterworfene Sitte abzustellen. Im Gebiet des Bestattungswesens sei nun in der Sitte eine Wandlung eingetreten, indem ein Grossteil der Bevölkerung in neuerer Zeit der Feuerbestattung zuneige. Für die meisten Anhänger der Feuerbestattung habe die Leichenbegrabung etwas Verletzendes, Unschickliches, Anstössiges, Pietätswidriges. Deshalb werde der Bundesrat die Zulassung der Feuerbestattung zu verfügen haben. Natürlich könne nicht jeder Einzelne eine eigene Bestattungsart für sich verlangen, aber das stehe ja nicht in PYage, da die Feuerbestattung eine weitverbreitete und seit alters vielgeübte und hochangesehene Besfcattungsart sei.

Angenommen, ein
Städtekanton würde die Kremation als einzig zulässige Bestattungsart erklären und die Anhänger der Leichenbeerdigung würden vom Bundesrat die Gestattung auch dieser Bestattungsart verlangen, so würden sicherlich die Luzerner

103 Regierung und ihre Presse nicht so eifrig für die Souveränität der kantonalen Behörden plädieren, wie sie es jetzt tun. Sie würden zweifellos in einem solchen Fall den Standpunkt einnehmen, dass gemäss Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung den Anhängern der Leichenbegrabung die für sie schickliche Bestattungsart bewilligt werden müsse. Diese Überlegung wie die ganze Sachlage des vorliegenden Rekursfalles zeige deutlich genug, dass die von der Regierung angegebene Begründung des Verbots der Feuerbestattung nur eine vorgeschobene sei, während in Wirklichkeit für die Stellungnahme der Regierung über Gebühr konfessionell-politische Gründe massgebend gewesen seien.

VII.

Aus der Duplik des Regierungsrates vom 27. Juli 1914 ist noch folgendes hervorzuheben : Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung verlange, dass die Verfügung über die Begräbnisplätze den bürgerlichen Behörden zustehen, und dass in jedem Fall für eine schickliche Beerdigung gesorgt werden müsse. Diese beiden Forderungen habe das kantonale Recht und seine Anwendung zu erfüllen, aber eine weitergehende Beschränkung der kantonalen Autonomie lasse sich aus der Verfassungsbestimmimg nicht ableiten. Auf diesem Boden bewege sich denn auch die feststehende Praxis der Bundesbehörden, und es gehe daher nicht an, den Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung zu einem Universalartikel umzudeuten, aus dem für den Bundesrat alle nur denkbaren Kompetenzen der Aufsicht und Einmischung in das kantonale Bestattungswesen abgeleitet werden könnten. Eine solch unbeschränkte Kompetenz bestünde nur dann, wenn die Bundesverfassung die Ordnung des Bestattungswesens überhaupt als Sache des Bundes erklärt hätte.

Als sich die Gemeinde Biel unter Berufung auf Art. 53, Absatz 2, dagegen gewandt habe, dass ihr die Errichtung einer Friedhofanlage auf einem in der Gemeinde Mett gelegenen Grundstück verweigert werde, habe der Bundesrat sich über seine Kompetenz folgendermassen ausgesprochen: ,,. . . Aber in der vorliegenden Sache handelt es sich weder um die Aufrechterhaltung der Laizität des Beerdigungswesens noch um eine schickliche Beerdigung in concreto, sondern um einen auf dem Boden des kantonalen Verwaltungsrechtes sich abspielenden Streit zwischen zwei Gemeinden. . . ."· In ganz derselbe» Weise handle es sich im gegenwärtigen Fall nur um einen Streit auf dem

104 Gebiet des kantonalen Verwaltungsrechts; denn der eigentliche Gegenstand des Rekurses sei weder die Laizität des Bestattungswesens noch eine unschickliche Beerdigung. Dass tatsächlich die Frage der Zulässigkeit des angefochtenen Regierungsentscheides eine kantonale Verwaltungsfrage sei, habe bereits das Bundesgericht hervorgehoben.

Der bundesrechtliche Anspruch auf eine schickliche Bestattung sei eben nicht identisch mit einem Anspruch auf Bau und Betrieb eines Krematoriums durch einen Privatverein. Jener verfassungsrechtliche Anspruch gehe nur auf einen Bestattungsmodus, wie er vom kantonalen Recht bestimmt wird, sofern der Bundesrat nicht vom Standpunkt der Schicklichkeit aus Veranlassung habe, diesen Modus zu beanstanden. Das subjektive Belieben eines privaten Vereins oder einer untern Behörde dürfe hier nicht massgebend sein, am allerwenigsten dann, wenn man damit über das hinausgehe, was bisher das kantonale Recht, unbeanstandet vom Bunde, als schickliche Bestattungsform normiert habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom Jahr 1884.

Salis, Bundesrecht, III, 121, zitiere übrigens nicht den bundesrätlichen, sondern den in derselben Sache vom (französischen) Referenten der ständerätlichen Kommission erstatteten Bericht, und zwar wörtlich genau, wie er im Bundesblatt 1885, I, S. 52 ff., abgedruckt vorliege. Im übrigen bestehe zwischen diesen beiden Berichten, trotz der verschiedenen Fassung des von den Rekurrenten besonders hervorgehobenen Satzes, keine materielle Verschiedenheit. Beide überlassen es den Kantonen zum Entscheid, ob sie die Kremation zulassen wollen oder nicht. Die Behauptung der Rekurrenten, dass allen eine für sie schickliche Beerdigung ermöglicht werden müsse, sei daher gänzlich unzutreffend.

Es sei denn doch ein Unterschied, ob man sage, dass bundesverfassungsrechtlich kein Hindernis bestehe, durch Verfügung der Kantonsbehörden eine andere Bestattungsweise als die Beerdigung als zulässig zu erklären, oder ob man behaupte, dass bundesrechtlich Bau und Betrieb eines Krematoriums durch einen Gemeinderat oder einen privaten Verein trotz des entgegenstehenden kantonalen Rechts erzwungen werden könne.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Gemäss den Ausführungen über die Kompetenzfrage (Ziff. III) haben sich ßundesrat und Bundesgericht dahin verständigt, dass

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der Bundesrat ausschliesslich über die angebliche Verletzung von Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung zu entscheiden habe und dass es Sache des Bundesgerichtes sei, zu prüfen, ob der angefochtene Beschluss des luzernischen Regierungsrates gegen die Art. 4 und 49, Abs. 4, der Bundesverfassung und gegen die in der luzernischen Verfassung garantierte Gemeindeautonomie verstosse. So ist es dem Bundesrate unmöglich, insbesondere darüber zu erkennen, ob der angefochtene kantonale Entscheid eine willkürliche, gegen Art. 4 der Bundesverfassung verstossende Auslegung und Anwendung der luzernischen Beerdigungsverordnung enthalte und ob, was vom Bundesgerichte in seinem Urteile unentschieden gelassen werden musste, eine rechtsungleiche Behandlung der Rekurrenten vorliege.

Der Regierungsrat von Luzern behauptet nun, ein Rekurs wegen angeblicher Verletzung von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung liege eigentlich nicht vor, denn die Beschwerde betreffe in keiner Weise die Schicklichkeit oder Unschicklichkeit einer Bestattung in concreto. Richtig ist allerdings, dass die Beschwerde nicht an einen bestimmten Beerdigungsfall anknüpft.

Allein die bundesrätliche Entscheidungskompetenz ist nicht nur dann gegeben, wenn im einzelnen bestimmten Fall die Frage der Schicklichkeit der Beerdigung aufgeworfen wird ; sie ist auch dann gegeben, wenn behauptet wird, eine allgemeine kantonale Verfügung stehe mit dem Grundsatz im Widerspruch, dass jede Beerdigung eine schickliche sein müsse (vgl. Salis, Bundesrecht, III, Nr. 1068). Das trifft im vorliegenden Fall zu; denn die ganze, auf Art. 53, Absatz 2, sich stützende Begründung der Beschwerde läuft letzten Endes auf den Satz hinaus : Durch die im Entscheid des Regierungsrates implicite enthaltene Verweigerung der Feuerbestattung verweigert die Regierung allen Anhängern der Kremation im Gebiet des Kantons eine schickliche Bestattung; sie verletzt damit die ihr gemäss jener Verfassungsbestimmung obliegende Pflicht, in jedem Fall für eine schickliche Beerdigung zu sorgen. Darüber, ob dies zutrifft, kann und muss der Bundesrat entscheiden.

Die von den Rekurrenten aufgestellte Behauptung wäre dann richtig, wenn aus Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung abgeleitet werden könnte, die Kantone seien verpflichtet, jede schickliche Bestattung zuzulassen. Eine solche Folgerung
lässt sich jedoch aus der genannten Bestimmung nicht ziehen. Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung beschränkt sich darauf, zu verlangen, dass eine schickliche Bestattungsart zur Verfügung stehe,

106 und dass bei der Bestattung alles Unschickliche -- bestehe es iu einem Tun oder Unterlassen -- vermieden werde. Innerhalb der Schranken des Schicklichen bestimmt das kantonale Verwaltungsrecht die Bestattungsart. Es kann alle schicklichen Bestattungsarten zulassen. Es kann aber auch aus der Zahl der schicklichen Bestattungsarten eine oder mehrere auswählen und nur diese erlauben und die ändern ausschliessen. Vom Standpunkt des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung aus wäre daher nichts dagegen einzuwenden, wenn das Verwaltungsrecht eines Kantons die Kremation als einzig zulässige Bestattungsart erklären würde.

Diese Verfassungsbestimmung gewährleistet eben nicht die schicklichen Bestattungsarten, sondern die Schicklichkeit der Bestattungsart.

Nun gilt zweifellos in der allgemeinen Anschauung die Erdbestattung als eine schickliche Bestattungsart, und wo sie, wie im Kanton Luzern, vorgesehen ist, kann die Bundesbehörde nicht die Einführung einer ändern oder einer weitern, auch schicklichen Bestattungsart verlangen. Der vorliegende Rekurs ist mithin abzuweisen.

Demgemäss wird er kann t: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 15. Januar

1915.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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27.01.1915

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