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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Bewilligungen ausnahmsweiser Organisation der Arbeit in Fabriken.

(Vom 16. November 1915.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Mit Kreisschreiben vom 11. August 1914 haben wir Sie ermächtigt, ,,während der Dauer der gegenwärtigen Verhältnisse für Fabriken auch eine solche Organisation der Arbeit zuzulassen,, die den Vorschriften des Fabrikgesetzes, insbesondere denjenigen über Arbeitsdauer, Nacht- und Sonntagsarbeit, Beschäftigung von weibliehen und jugendlichen Personen, nicht entspricht". Diese Vollmacht, fügten wir bei, gilt bloss ,,für die Fälle, wo nur auf solche Weise die Fortführung des Betriebes gesichert ist."

Die Kantonsregierungen haben, wie wir anhand der Berichte der Fabrikinspektoren feststellen konnten, von dieser Befugnis einen ziemlich weitgehenden Gebrauch gemacht und speziell auch vom Gesetze abweichende Bewilligungen erteilt, wenn dies in den besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart oder im Interesse der Landesverteidigung begründet war, also nicht nur dann, wenn, wie wir sagten, der Betrieb nur so aufrechterhalten werden konnte.

Das frühere Kreisschreiben (11. August 1914) stammt aus der ersten Zeit der Mobilisation. Damals galt es besonders, Schwierigkeiten zu beseitigen, die aus dem Aufgebot der gesamten Wehrkraft entstanden waren. Heute bestehen diese Verhältnisse nicht mehr im gleichen Masse; immerhin können auch zurzeit noch durch die Einberufung einzelner Heeresteile zum Dienste vorübergehend erhebliche Schwierigkeiten entstehen, wenn für die mobilisierten Arbeiter nicht angemessener Ersatz gefunden wird. Die Zeit ist also noch nicht gekommen, um die gegebenen Befugnisse aufzuheben.

99 Ausserdem erfordert die selbstverständliche Rücksicht auf die Landesverteidigung, dass die Möglichkeit eines dem Fabrikgesetz nicht entsprechenden intensiven Betriebes einzelner Fabriken nicht ausgeschlossen ist, wenn nur so den Anforderungen an unsere Wehrkraft genügt werden kann.

Allein, wie wir schon hervorhoben, die Kantonsregierungen haben auch noch andere Fälle berücksichtigt und Bewilligungen erteilt, die vom Fabrikgesetz abweichen, wenn dies ihnen in den gegenwärtigen besondern wirtschaftliehen Verhältnissen begründet erschien. Wir möchten, mit Rücksicht auf das vorliegende Bedürfnis, auch diese Möglichkeit im Interesse der Industrie und der_ Arbeiterschaft nicht ausschliessen. Es ist in der Tat beispielsweise denkbar, dass ein Auftrag heute nur erhältlich ist, wenn seine rasche. Ausführung garantiert werden kann, oder dass die eine Fabrik besonders intensiv arbeiten muss, um den Betrieb einer ändern und damit die Beschäftigung der dortigen Arbeiterschaft zu ermöglichen. In normalen Zeiten wird man sich anders behelfen. Heute mag dies oft unmöglich sein.

Immerhin empfiehlt es sich, vorsichtig und zurückhaltend zu sein. Wir vertrauen auf die Einsicht und die Gewissenhaftigkeit der Kantonsregierungen und ihrer Organe, dass nur dort Bewilligungen zur Überschreitung der ordentlichen Arbeitsbedingungen gegeben werden, wo dies d r i n g e n d geboten und unausweichlich ist. Es rechtfertigt sich auch, die Begründung der Gesuche genau zu prüfen und zu untersuchen, ob den Bedürfnissen nicht auf andere Weise genügt werden kann. Dabei ist hauptsächlich darauf zu achten, dass nicht Überzeitarbeit bewilligt wird, wo durch Zuzug weiterer freier Arbeitskräfte die nötige Produktion auch erreicht werden könnte.

Um klarere Verhältnisse zu schaffen, haben wir einen formulierten Bundesratsbeschluss *) erlassen, den wir Ihnen zum Vollzug übermitteln. Zur Erläuterung sei bemerkt: Die Vorschriften des Fabrikgesetzes lassen den Bewilligungen so grossen Spielraum, dass durch solche die gesetzlichen Bestimmungenj dem Sinne nach, fast ausgeschaltet werden können.

Wir haben- daher für nötig erachtet, die Ausnahmebewilligungen, die s a c h l i c h unter das Fabrikgesetz fallen können, zu umschreiben und andrerseits auch die Art und Weise genau zu bezeichnen, in der nötigenfalls über die Vorschriften des Gesetzes hinausgegangen werden kann.

*) Siehe Gesetzsammlung n. F., Bd. XXXI, S. 390.

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In den Beschränkungen, die wir an Bewilligungen nach Massgabe des Gesetzes knüpfen, lehnen wir uns nun zum Teil an die Vorschriften des neuen Fabrikgesetzes an. Wir gestatten sodann durch Art. 3, lit. a, des Bundesratsbeschlusses die Anwendung einer Arbeitsmethode, die eigentlich dem gegenwärtigen Fabrikgesetz unbekannt ist (schichtweise Organisation der Tagesarbeit und ununterbrochener Tagesbetrieb). Wir ziehen dieses System mit massiger Arbeitszeit der allzu weitgehenden Bewilligung der Überzeit vor. Deshalb haben wir ferner die Dauer der Überzeitarbeit auf zwei Stunden im Tag beschränkt.

Der Arbeiter soll also keinenfalls mehr als 13 Stunden in Anspruch genommen werden dürfen, selbst wenn die Voraussetzungen für Bewilligungen vorliegen, die über das Gesetz hinausgehen.

Ausserdem gelangen wir dazu, als nicht mehr zulässig zu erklären Bewilligungen für Nachtarbeit weiblicher Personen unter 18, männlicher unter 16 Jahren, sowie Bewilligungen für Soimtagsarbeit weiblicher und jugendlicher Personen und endlich solche für Verwendung von Kindern unter 14 Jahren.

Die ziemlich zahlreichen Gesuche um Bewilligung von Überzeit haben einzelne Kantonsregierungen veranlasst, von sich aus die Erteilung von Bewilligungen an die Bedingung zu knüpfen, dass für die Überstunden ein Lohnzuschlag von 25 °/o bewilligt werde. Sachlich ist diese Forderung wohl in den meisten Fällen begründet, aber es darf auch festgestellt werden, dass ein Zuschlag häufig und ohne Zwang geleistet wird. Die kantonalen Behörden sind jedoch in keinem Falle befugt, von sich aus an Bewilligungen Bedingungen zu knüpfen, die im Fabrikgesetze nicht begründet sind. Wäre ein solches Verfahren zulässig, so ginge die Einheit im Gebiete des Fabrikwesens in die Brüche und jeder Kanton wäre in der Lage, besondere, für sein Gebiet geltende Bestimmungen aufzustellen. Die Meinung einer Kantonsregierung, dass, wer eine Bewilligung erteilen oder nicht erteilen könne, an die Erteilung beliebige Bedingungen knüpfen dürfe, ist selbstverständlich durchaus irrig. Die Erwägungen, die zur Entsprechung oder Abweisung eines Gesuches führen, müssen im Gesetze begründet sein, und darüber Jiat der Bundesrat als Oberaufsiehtsbehörde zu wachen. Wir billigen daher den Standpunkt, den unser Volkswirtschaftsdepartement in dieser Frage eingenommen hat, in allen Teilen.
Eine Untersuchung hat, wie wir bereits erwähnten, ergeben, dass die Kantonsregierungen in der Erteilung von Bewilligungen, und zwar auch von solchen, die über die Vorschriften oder docbi

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über die Absichten des Fabrikgesetzes hinausgehen, unter dem Einfluss der Verhältnisse ziemlich weit gegangen sind. Der Umstand, dass einzelne Bewilligungen sich nicht mehr innert den gesetzlichen Grenzen bewegen und ihre Rechtfertigung nur in den besondern Verhältnissen der Gegenwart finden, andrerseits die unbestrittene Teuerung der Lebenshaltung, sowie der Wunsch, dem Zudrang der Gesuche etwas entgegenzuwirken, vermögen eine ausserordentliche Massregel zu rechtfertigen. Wir haben uns daher entschlossen, für die Einführung von Lohnzuschlägen den Kantonen eine Grundlage zu schaffen, die einen ausserordentlichen und provisorischen Charakter hat.

Bei der Ausführung unterscheiden wir zwei Gruppen : 1. Bewilligungen, die über die Vorschriften des Fabrikgesetzes hinausgehen. Deren Erteilung steht nur den Kantonsregierungen, nicht auch den Bezirks- oder Ortsbehörden zu. Die im Beschluss bezeichneten Kategorien von Lohnzuschlägen sind für diese Gruppe obligatorisch und in die Bewilligungen sind entsprechende Bedingungen aufzunehmen. Werden diese nicht befolgt, so sind die Bewilligungen sofort zurückzuziehen.

Der Lohnzuschlag von 50 % für Nacht- und Sonntagsarbeit findet in der besonders weitgehenden Beanspruchung der Arbeiter und in der Überschreitung der Absicht des Gesetzes seine Begründung.

2. Bewilligungen, die auf dem Boden des Fabrikgesetzes stehen. Zuständig sind also teils die Kantonsregierungen, teils die Bezirks- oder Ortsbehörden.

Hinsichtlich dieser zweiten Gruppe sind die Kantonsregierungen nicht verpflichtet, Lohnzuschläge zu verlangen. Aber wir möchten ihnen die Möglichkeit eröffnen, es in den Fällen zu tun, in denen es als angemessen erscheint; der Zuschlag beträgt hier 25 °/G. Dabei haben wir Fälle im Auge, in denen lohnende Aufträge Anlass zu erheblicher Ausdehnung der Arbeitszeit geben. Es ist nicht zulässig, diese Zuschläge durch einen allgemeinen Beschluss im Kanton einzuführen, vielmehr muss in jedem einzelnen Falle, auf Grund sorgfältiger Prüfung der besondern Verhältnisse, entschieden werden.

Sobald die in Art. l des Bundesratsbeschlusses genannten Höchstzahlen von gewöhnlichen Werktagen, Samstagen, Nächten und Sonntagen überschritten werden, treten die Voraussetzungen von Art. 2 und 3 und damit der obligatorische Lohnzuschlag ein.

Die kantonalen Behörden müssen diese Kontrolle fortlaufend vor-

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nehmen; .die seit Anfang 1915 bewilligten und benutzten, sowie die von den Bezirks- oder Ortsbehörden bewilligten Tage und Nächte sind mitzurechnen.

Es ist noch zu bemerken, dass die Arbeit bis zu elf Stunden, auch wenn die Fabrikordnung eine kürzere als die elfstündige Arbeitsdauer vorsieht, keine besondere Bewilligung im Sinne unseres Beschlusses erfordert.

Wir benutzen den Anlass, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in den Machtschutz Gottes zu empfehlen.

Bern, den 16. November 1915.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 13.November 1915.)

Die eidgenössische Staatskasse hat nachstehend verzeichnete Schenkungen erhalten, die wie folgt überwiesen und bestens verdankt worden sind : I. Der Kriegswäscherei in Bern : Rubel 10 zu Fr. 1. 70 = Fr. 17 von Herrn Joh. Schoenzeler in Petrograd.

II. Dem Fonds für freiwillige Kriegssteuer: Fr. 50 von Fräulein Marguerite Bächtold, Bachstrasse zur Färb, in Schaffhausen.

III. Der eidgenössischen Winkelriedstiftung: Fr. 120. 50 von dem Kommando der Infanterie-Unteroffiziersschule II/3 (Oberst Hadorn) in Bern.

IV. Dem Notstandsfonds für Hülfsbedürftige : Fr. 1000 von dem Verband Schweizerischer Elektro-InstallationsFirmen in Luzern.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Bewilligungen ausnahmsweiser Organisation der Arbeit in Fabriken. (Vom 16. November 1915.)

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24.11.1915

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