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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der Kreisdirektion II der schweizerischen Bundesbahnen gegen eine Verfügung des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt betreffend die Anwendung des kantonalen Ruhetagsgesetzes auf das im Bahnhof Basel betriebene Coiffeurgeschäft.

(Vom 2. Dezember 1910.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über die Beschwerde der Kreisdirektion II der schweizerischen Bundesbahnen gegen eine Verfügung des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt betreffend die Anwendung des Gesetzes über die öffentlichen Ruhetage, vom 25. März 1909, auf das im Bundesbahnhof Basel betriebene Coiffeurgeschäft; auf den Bericht und Antrag seines Eisenbahndepartements, vom 30. Juni 1910, sowie den Mitbericht seines Justiz- und Polizeidepartements vom 16. August 1910, gestützt auf folgende Tatsachen: I.

Das Departement des Innern des Kantons Basel-Stadt hat der Kreisdirektion II der Bundesbahnen in Basel unterm 27. Juli 1909 mitgeteilt, dass, gestützt auf einen Beschluss des Regierungsrates vom 24. Juli 1909 § 16 des Gesetzes betreffend die öffentlichen Ruhetage, vom 25. März 1909, lautend :

695 ,,Die Coiffeurgeschäfte (inbegrift'en Coiffeusegeschäfte), sind an den Vorabenden der Ruhetage spätestens nm 11 Uhr nachts und an den Ruhetagen selbst vollständig zu schliessen.

,,Die Beschäftigung von Angestellten ist an den hohen Festtagen gar nicht und an den übrigen Ruhetagen nur aus Anlass von Aufführungen gestattet.

,,Die gewerbsmässige Ausübung des Coiffeurberufes ausserhalb des Geschäftes ist an öffentlichen Ruhetagen verboten."

vom 1. August an auf das im Bundesbahnhof Basel betriebene Coiffeurgeschäft angewendet werden solle. Dieses Geschäft müsse deshalb von dem genannten Zeitpunkte an an den Vorabenden der öffentlichen Ruhetage spätestens um 11 Uhr nachts und an den Ruhetagen selbst vollständig geschlossen werden.

Mit Schreiben vom 30. Juli hat die Kreisdirektion II dem Departement des Innern des Kantons Basel-Stadt erklärt, das fragliche Coiffeurgeschäft bilde einen Bestandteil des Eisenbahnbetriebes wie die Bahnhofwirtschaft, die Bahnhofbuchhandlung usw.

Die Bahnverwaltung müsse daher die Anwendbarkeit des kantonalen Ruhetagsgesetzes auf dasselbe -- wenigstens soweit es die Betriebszeiten betreffe -- bestreiten. Die Kreisdirektion habe geglaubt, einen Konflikt vermeiden zu können, indem sie von sich aus ihren Pächter angewiesen habe, an Sonntagen sein Geschäft um 11 Uhr vormittags zu schliessen. Ferner habe sie ihm verboten, an Sonntagen Abonnenten zu bedienen oder berufliche Verrichtungen zu niedrigem als den im Tarife für das reisende Publikum vorgesehenen Ansätzen zu besorgen. Da aber der Regierungsrat sich mit diesem freiwilligen Zugeständnisse nicht begnügen wolle, sehe sich die Bahnverwaltung gezwungen, die Intervention der Aufsichtsbehörde anzurufen. Sie ersuche jedoch die kantonale Behörde, bis zur Erledigung der Angelegenheit von einem strafrechtlichen Einschreiten gegen den im Sinne ihrer Weisungen an den Bahnhofcoiffeur beschränkten Sonntagsbetrieb abzusehen.

Letzterem Wunsche erklärte die kantonale Behörde mit Schreiben vom 31. Juli 1909 entsprechen zu wollen.

n.

Mittelst Eingabe vom 10. August 1909 ersuchte dio Kreisdirektion II das Eisenbahndepartement um seine Intervention und führte zur Begründung ihres Gesuches im wesentlichen folgendes aus.

696 Die Gesetzgebung über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen sei nach Art. 26 der Bundesverfassung Bundessache. Soweit es sich also bei dem Coifleurgeschäft im Bahnhof Basel um eine Einrichtung des Eisenbahnbetriebes handle, unterliege dasselbe dem kantonalen Gesetze nicht. Die Bundesgesetzgebung mache in dieser Richtung keinen Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechtes. Es sei daher nur die Frage zu prüfen, ob es sich bei dem Coiffeurgeschäft im Bahnhofe Basel in Wirklichkeit um eine Einrichtung des Bahnbetriebes handle.

Das Coiffeurgeschäft, das in den für den Bahndienst bestimmten Räumen des Bundesbahnhofes in Basel in Verbindung mit der Bedienung der dortigen Wasch- und Badräume betrieben werde, habe den ausschliesslichen Zweck, ein für viele Reisende, besonders für solche, welche längere Zeit unterwegs sein müssen, sehr dringendes Bedürfnis der Körperpflege während der Reise zu befriedigen und damit der Bequemlichkeit des Reisens zu dienen. Es stehe somit seiner Natur und Zweckbestimmung nach auf gleicher Linie mit den Bahnhofrestaurationen, den Schlafund Speisewagen, den Bahnhofbuchhandlungen, Verkaufsautomaten und ähnlichen Einrichtungen. In neuerer Zeit werde von Seiten des reisenden Publikums an die Bequemlichkeit des Reisens immer höhere Anforderungen gestellt. Es werde daher allgemein zugegeben, dass die Befriedigung solcher Bedürfnisse der Reisenden auf grossen End- und Durchgangsbahnhöfen, wie Basel, in untrennbarem Zusammenhange mit dem Geschäfte des Personentransportes stehe. In allen grossen Bahnhöfen des In- und Auslandes seien derartige Einrichtungen geschaffen worden.

Die Notwendigkeit solcher Einrichtungen für den Personenverkehr, der sich immer intensiver gestalte, und ihre Zugehörigkeit zu den Einrichtungen eines auf der Höhe der Zeit stehenden Eisenbahnbetriebes habe ihre Anerkennung auch in Theorie und Rechtsprechung gefunden. Die Kreisdirektion berufe sich auf den Beschluss des Bundesrates vom 16. März 1903 über die Beschwerde der schweizerischen Bundesbahnen gegen eine Verfügung des Regierungsrates des Kantons Bern betreffend Schliessung der Bahnhofwirtschaft in Bern und auf den Entscheid der Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung des Kantons Bern gegen den erwähnten bundesrätlichen Beschluss. Ferner verweise sie auf die Meinungen berufener Fachmänner des
Auslandes und die Urteile verschiedener Gerichtsbehörden, sowie auf den Umstand, dass die neuere Praxis in Preussen, Bayern, Württemberg und Baden sich durchwegs auf den gleichen grund-

697 sätzlichen Standpunkt stelle, wie u. a. aus einem in der ,,Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnver\valtungena vom 9. November 1904 erschienenen Aufsatz hervorgehe. Diesen Zitaten, welche alle ihrer Auffassung entsprächen, habe die Kreisdirektion nichts beizufügen, als die Bemerkung, dass sie das Coiffeurgeschiift im Bahnhof Basel mit ' Rücksicht auf den grossen internationalen Personendurchgangsverkehr dieses Bahnhofes nicht nur als eine für daî3 Reisepublikum angenehme, sondern als eine geradezu notwendige Einrichtung des Betriebes betrachte, deren Nützlichkeit übrigens am unzweifelhaftesten durch die starke Frequenz dargetan werde.

Dass dieses Geschäft gelegentlich auch von ändern Personen benützt werde als von solchen, für die es bestimmt sei, ändere an dessen Charakter als Betriebseinrichtung nichts. Was in dieser Beziehung von den Bahnhofwirtschaften gelte, gelte auch für das Geschäft des Bahnhofcoiffeurs. Und ebensowenig werde die Rechtsstellung dieses Geschäftes durch den Umstand berührt, dass es nicht durch die Eisenbahnunternehmung selbst, sondern in deren Auftrag und nach deren Weisungen auf Grund eines Vertrages durch einen Pächter betrieben werde. Die Kreisdirektion glaube somit nachgewiesen zu haben, dass es sich bei dem Coiffeurgeschäft im Bahnhof Basel um eine Betriebseinrichtung handle, welche als solche dem kantonalen Ruhetagsgesetz nicht unterstehe und daher auch nicht durch eine regierungsrätliche Verfügung diesem Gesetze unterstellt werden könne.

Auf ein letztes Moment aber, das ebenfalls für ihre Auffassung spreche, müsse die Bahnverwaltung noch aufmerksam machen.

Für die Frage, ob und in welchem Umfange derartige Einrichtungen zur Bequemlichkeit der Reisenden diesen zur Verfügung zu stellen seien, müsse einzig auf die Bedürfnisse des Reiseverkehrs abgestellt werden. Diese Bedürfnisse vermöge aber die Transportanstalt, an welche die Reisenden ihre Wünsche und Beschwerden in erster Linie richten, allein richtig zu beurteilen.

Dies treffe auch für das Coiffeurgeschäft im Bahnhof Basel zu.

Die Öffnung und Schliessung dieses Geschäftes habe sich naturgemäss nach den Bedürfnissen des Personenverkehrs zu richten und da der letztere an Sonntagen eher stärker sei, als an Werktagen, so sei auch das Bedürfnis der Reisenden zur Benützung dieser Einrichtung an öffentlichen
Ruhetagen mindestens so gross als an den übrigen Wochentagen. Dem Reisenden müsse daher auch Sonntags die Möglichkeit geboten werden, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Denn nach Massgabe der Bequemlichkeiten,

698 welche andere grosse Bahnhöfe dem Reisenden bieten, sei dieser zur Annahme berechtigt, im Bahnhof Basel gleiche Einrichtungen wie anderswo vorzufinden und jederzeit benutzen zu können.

Die Schliessung des Coiffeurgeschäftes an Sonntagen müsste deshalb dem reisenden Publikum zu berechtigter Kritik Anlass geben.

m.

Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, dem die Eingabe der Kreisdirektion II zur Kenntnis gebracht wurde, beantragte mittelst Schreiben vom 1. September 1909 an das Eisenbahndepartement Abweisung. der Beschwerde der Bundesbahnverwaltung oder eventuell Erteilung der Weisung an die Bahnverwaltung, dass das Coiffeurgeschäft im Bahnhofe Basel zu denselben Zeiten geschlossen zu halten sei, wie die übrigen Coiffeurgeschäfte der Stadt. Der Regierungsrat bestreite im Hinblick auf die Praxis der Bundesbehörden nicht, dass es gewerbliche Einrichtungen in den Bahnhöfen gebe, die eng mit dem Eisenbahnbetrieb zusammenhängen und deren Betrieb deshalb ausschliesslich durch die Bahnverwaltung selbst und die Verfügungen der Aufsichtsbehörde zu regeln sei. Das kantonale Ruhetagsgesetz vom 25. März 1909 anerkenne dies auch vollständig. Indem in § 20, lit. o, dieses Gesetzes dem Regierungsrate die Ermächtigung erteilt werde, für Betriebe, welche von der Bahn im Interesse des Verkehrs eingerichtet worden seien in bezug auf die Ruhetagsarbeit Sonderbestimmungen zu treffen, werde die Wünschbarkeit der Rücksichtnahme auf die Verhältnisse der Bahnhöfe auch dann anerkannt, wenn der Zusammenhang eines Betriebes mit dem Eisenbahnwesen zur Unterstellung unter die Bundesgesetzgebung nicht genüge.

Der. Regierungsrat gehe nun davon aus, dass erstens das Coiffeurgeschäft des Bahnhofes Basel nicht zu den ausschliesslich unter Bundesrecht stehenden Gewerbebetrieben gehöre und dass zweitens Ausnahmebestimmungen gemäss § 20 des zitierten kantonalen Ruhetagsgesetzes in bezug auf dieses Geschäft nicht geboten seien.

Die Kreisdirektion II berufe sich für ihre entgegengesetzte Auffassung auf die Entscheidungen der Bundesbehörden in Sachen des Bahnhofbuffets Bern und auf die Meinung der ausländischen Literatur und Praxis. Dabei dürfe aber nicht übersehen werden,, dass die Äusserungen aus der deutschen Literatur, welche die Bahnverwaltung anführe, von Eisenbahnfachleuten herführen, die

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stets geneigt seien, dem Eisenbahnbetrieb möglichste Freiheit zu vindizieren. Gegenüber den angeführten Urteilen sei sodann zu bemerken, dass sieh in der deutschen Praxis auch abweichende Urteile vorfinden. Diese abweichenden Urteile, welche sich auf die Verkaufsautomaten in den Bahnhöfen beziehen, seien allerdings nicht unmittelbar für die vorliegende Streitfrage zu verwerten; allein es gehe doch aus denselben hervor, dass keineswegs Einstimmigkeit in bezug auf die Ausscheidung der Bahnhofgewerbe von der Herrschaft der lokalen Vorschriften bestehe.

Gegen eine solche gänzliche Ausscheidung spreche sich dena auch Burckhardts Kommentar zur Bundesverfassung aus. Sogar in bezug auf die Wirtschaftspolizei in den Bahnhöfen fordere Burckhardt (S. 238) ein billiges Abwägen der sich gegenüberstellenden Interessen. Der Bundesratsbeschluss von 1903 in Sachen des Bahnhofbuffets in Bern werde dort als zu schroff bezeichnet.

Das Coiffeurgeschäft stehe unzweifelhaft in einem viel weniger engen Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb als die Bahnhofwirtschaft. Die Kreisdirektion bezeichne dasselbe mit Unrecht als eine für den Bahnbetrieb notwendige Einrichtung.

Man könne höchstens zugeben, dass das Vorhandensein eines Coiffeurgeschäftes in grossen Bahnhöfen wünschbar sei.

Das von der Kreisdirektion angeführte Urteil des Kammergerichts Berlin vom 26. März 1903, nach welchem jedes wegen seiner Wünschbarkeit im Bahnhof zugelassene Gewerbe zum Betrieb zähle, könne nicht gebilligt werden. Man dürfe nicht vergessen, dass es sich um Ausscheidung der Bundes- und der Kantonskompelenzen handle. Diese Scheidung könne denn doch nicht im Ermessen jedes Bahnhofvorstandes liegen, so dass dann die Kantonsbehörde gezwungen sei, um ihre Zuständigkeit zu streiten.

Das Bedürfnis nach klarer Ausscheidung zwinge dazu, die Grenze bei den notwendigen Einrichtungen zu ziehen. Die Bahnverwaltung könne eventuell durch die Aufsichtsbehörde zur Schaffung notwendiger Einrichtungen gezwungen werden; bisher sei aber nicht bekannt geworden, dass die Einrichtung von Coiffeurläden in Bahnhöfen von der Aufsichtsbehörde angeordnet worden sei.

Die Sache sei überhaupt neu ; erst beim Bau des gegenwärtigen Bahnhofgebäudes sei ein Coiffeurläden eingerichtet worden.

Dies alles habe die Kreisdirektion II selbst anerkannt, indem sie die Anwendnug der
stadtbernischen Ruhetagsvorschriften auf den Coiffeurläden im Bahnhof Bern dulde. Es werde wohl eingewendet werden, die Verhältnisse lägen anders im Bahnhof Bern, dessen Bedeutung sei geringer als die des Bahnhofes Basel. Dass

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aber auch in Bern ein grosser internationaler Personendurchgangsverkehr stattfinde und dass gerade während der Fremdensaison der Coiffeurladen im Berner Bahnhofe sehr frequentiert sei, werde nicht bestritten werden können. Die Offenhaltung des Basler Geschäftes lasse sich nicht rechtfertigen, wenn die Bahn sich unter gleichartigen Verhältnissen den Berner Polizeivorschriften unterziehe.

Gelange die eidgenössische Aufsichtsbehörde zum Ergebnis, dass die Coiffeurgeschäfte in den Bahnhöfen zum Bahnbetrieb gehören, so sei noch nicht gesagt, dass es der Bahn freistehe, dieselben an Sonntagen offen zu halten. Dann trete vielmehr die Forderung von Burckhardts Kommentar in ihr Recht, dass die entgegenstehenden Interessen abzuwägen seien. Der Regierungsrat erwarte daher eventuell eine Verfügung der Aufsichtsbehörde, gemäss welcher der Coiffeurladen am Sonntag ganz geschlossen zu halten sei. Wenn sich das Publikum einer ganzen Stadt am Sonntag nicht von den Coiffeurs bedienen lassen könne, so sei nicht einzusehen, warum für Reisende eine Ausnahme gemacht werden sollte. Es werde keine einzige Person weniger die Bundesbahnen benützen, wenn schon die Coiffeurladen in den Bahnhöfen am Sonntag geschlossen seien.

Mit Zuschrift vom 8. September 1909 fügte das Departement des Innern des Kantons Basel-Stadt der Vernehmlassung des Regierungsrates noch bei, dass die Kreisdirektion II die Schliessung des Coiffeurgeschäftes an Sonntagen von 11 Uhr vormittags an angeordnet habe. Bisher sei es auch nur bis zu dieser Stunde offen gewesen, allerdings ohne förmliche Verfügung. Diese Entschliessung entspreche der Vorschrift des aufgehobenen Sonntagsruhegesetzes, dem sich die Bahnverwaltung demnach stillschweigend gefügt habe. Wenn nun die Kreisdirektion diese Verfügung aufrechterhalte, so könne sie nicht wohl behaupten, das Coiffeurgeschäl't sei im Interesse des Bahnverkehrs notwendig. Der Verkehr auf dem Bahnhofe ruhe keineswegs von 11 Uhr an, was am deutlichsten aus der Offenhaltung der übrigen Bahnhofnebenbetriebe während des ganzen Tages hervorgehe.

IV.

In ihrer Replik vom 2. Oktober 1909 erwiderte die Kreisdirektion II folgendes auf die Vernehmlassung der Regierung des Kantons Basel-Stadt.

701 Indem der Regierungsrat im Hinblick auf die Praxis der Bundesbehörden anerkenne, dass es gewerbliche Einrichtungen in den Bahnhöfen gebe, die eng mit dem Eisenbahnbetrieb zusammenhängen und deren Betrieb deshalb ausschliesslich durch die Bahnverwaltung selbst und die Verfügungen ihrer Aufsichtsbehörden zu regeln ist, gebe er die Richtigkeit der Begründung der Beschwerde der Kreisdirektion zu. Die Bahnverwaltung berufe sich in erster Linie auf die Praxis der Bundesbehörden, gegen welche Prof. Burckhardts kritische Bemerkung in seinem Kommentar zur Bundesverfassung nicht aufzukommen vermöge.

Ebensowenig seien die von der Gegenpartei zitierten abweichenden Urteile der Gerichte zweier deutscher Kleinstaaten geeignet, gegen die Tatsache aufzukommen, dass die neuere Praxis in Preussen, Bayern, Württemberg und Baden sich auf den gleichen grundsätzlichen Standpunkt stelle, wie die Bahnverwaltung. Wenn die Kreisdirektion ferner aus der deutsehen Literatur die urteile von Fachleuten für ihre Ansicht zitiere, so könne der Wert dieser fachmännischen Urteile nicht durch den Hinweis darauf abgeschwächt werden, dass dieselben von Eisenbahnfachleuten herrühren. Denn eben diese seien durch ihre Berufserfahrungen weitaus am besten in der Lage, die Bedürfnisse des modernen Eisenbahnverkehrs richtig zu würdigen. ' Die Kreisdirektion müsse nochmals betonen, dass der Betrieb eines Coiffeurgeschäftes in einem Grenzbahnhof von der Bedeutung des Bahnhofes Basel, in welchem jeden Morgen die Nachtzüge von allen Richtungen her einlaufen, eine für den Bahnbetrieb durchaus notwendige Einrichtung bilde. Für viele Reisende, die von weit her kommen, sei es ein wahres Bedürfnis, nach einer langen Reise sich im Bahnhofe der Körperpflege widmen zu können. Der Coiffeurbetrieb und die Bäder seien in dieser Beziehung auf die gleiche Stufe des notwendigen Bedürfnisses zu stellen. Gegen das Offenhalten der Bäder an Sonntagen sei aber von der Regierung von Basel-Stadt keine Einwendung erhoben worden. Der Grossstädter sei vielfach gewohnt, der Körperpflege täglich obzuliegen. Da er unter Umständen während einer längern Reise keine Gelegenheit finde, dieses Bedürfnis zu befriedigen, müsse ihm an der Endstation, die er am Morgen nach einer Nachtfahrt erreiche, im Bahnhof die Möglichkeit hierzu geboten werden. Der Coiffeurbetrieb in einem, internationalen Hauptbahnhofe könne daher nicht mit dem Betriebe der gewöhnlichen städtischen Coifieurgeschäfte auf eine Stufe gestellt werden.

702 Eine starke Übertreibung sei es sodann, wenn der Regierungsrat ausführe, man dürfe nicht aus den Augen verlieren, dass es sich um Ausscheidung der Bundes- und der Kantonskompetenz handle, die denn doch nicht im Ermessen jedes Bahnhofvorstandes liegen könne, so dass dann die Kantonsbehörde gezwungen sei, um ihre Zuständigkeit zu streiten. Selbstverständlich liege diese Scheidung keineswegs im Ermessen eines Bahnhofvorstandes, nicht einmal in demjenigen eines Betriebschefs, sondern es sei dies immer Sache der Direktion.

Als im Januar 1907 das Reglement betreffend Sonntagsruhe in der Gemeinde Bern in Ausführung des kantonalen Ruhetagsgesetzes erlassen und die Schliessung der Coiffeurgeschäfte an den öffentlichen Ruhetagen ausnahmslos verlangt worden sei, habe sich die Kreisdirektion erkundigt, wie es in dieser Beziehung in ändern grossen Bahnhöfen gehalten werde. Bei diesem Anlasse habe sie festgestellt, dass das im Bahnhof Zürich betriebene Coiffeurgeschäft auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet bleibe. Die Bahn Verwaltung habe aber gefunden, dass die Verhältnisse des Bahnhofes Bern mit denjenigen ganz grosser Bahnhöfe nicht leicht verglichen werden könnten. Daher habe sie der Schliessung des Coiffeurgeschäftes im Bahnhof Bern an öffentlichen Ruhetagen bis auf weiteres ihre Zustimmung gegeben.

Gerade dadurch glaube sie den Beweis erbracht zu haben, dass sie die Bedürfnisse genau abzuwägen wisse und sich den örtlichen Einschränkungen anpasse, soweit ihr dies mit den Forderungen des Eisenbahnbetriebes vereinbar erscheine.

Beizufügen sei noch, dass bei dem Offenhalten und Schliessen der Coiffeurgeschäfte in Bahnhöfen keine Rücksicht auf die allfällige Empfindlichkeit städtischer Konkurrenten genommen werden könne. Ein solcher Betrieb habe sich vielmehr ausschliesslich nach den Bedürfnissen des Personenverkehrs und nach den Verkehrszeiten zu richten. Das städtische Publikum habe an den Vorabenden der öffentlichen Ruhetage Zeit und Gelegenheit, sich von den Coiffeurs bedienen zu lassen, während dem Reisenden bei einer längern Reise hierfür Zeit und Gelegenheit fehlen.

aus folgenden Gründen: ,,Die erste und grundlegende Frage richtet sich darauf, ob der Bund kompetent sei, ruhetagspolizeiliche Vorschriften in Bezug auf das Bahnhof-Coiffeurgeschäft Basel aufzustellen.

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Diese Frage entscheidet sich nach Art. 26 der Bundesverfassung. Diese Bestimmung gibt dem Bunde das Gesetzgebungsrecht über den Betrieb der Bisenbahnen. G e h ö r t das betreffende Coiffeurgeschäft zum Eisenbahnbetrieb, so ist die B u n d e s k o m p e t e n z zu b e j a h e n ; w e n n nicht, so ist sie zu v e r n e i n e n .

In den letzten Jahren hatten die Bundesbehörden in 2 Fällen Gelegenheit, die Frage zu beantworten, ob ein auf einem Bahnhof ausgeübter Nebenbetrieb zum Eisenbahnbetrieb gehöre: im Fälle der Bahnhofrestauration in Bern (Bundesblatt 1903, L, S. 1069 ff.

und 1903, IV., S. 512 ff.) und im Falle der im Bahnhofgebäude in Zürich befindlichen Obst- und Comestiblehandlung Fuchsmann (Bundesblatt 1908, L, S. 49 ff.). Im ersteren Falle wurde die Zugehörigkeit des Nebenbetriebes zum Bahnbetrieb bejaht, im letzteren verneint.

Zum Bahnbetrieb gehören die auf Bahnhöfen ausgeübten Nebenbetriebe, soweit sich der Nebenbetrieb als notwendige oder doch sehr zweckmässige Ergänzung des Bahnbetriebes darstellt, soweit der Nebenbetrieb -- vom Standpunkt der Interessen des Bahnbetriebes aus betrachtet -- dem Bahnbetrieb wesentliche Dienste zu leisten vermag und deshalb mit diesem als eng verbunden erscheint.

Dabei handelt es sich um ein billiges Abwägen der Interessen des Eisenbahnbetriebes gegenüber den Interessen des Kantons an der Durchführung seiner ruhetägspolizeilichen Vorschriften (vergi, ßurckhardt, Kommentar zur Bundesverfassung, S. 238).

Allerdings stellt das moderne Verkehrsleben an die Transportanstalten immer weitergehende Anforderungen. Das reisende Publikum verlangt je länger je mehr, dass die Bahnverwaltungen ihm alle Bequemlichkeiten bieten, die es im gewöhnlichen Leben geniesst. Um diesem Verlangen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen, sind allmählich Betriebe wie Bahnhofsrestaurationen und -buchhandlungen, Verkaufsautomaten entstanden. In neuerer Zeit sind ferner in beinahe allen Hauptbahnhöfen des In- und Auslandes, so auch im neuen Bundesbahnhofe Basel, Coiffeurgeschäfte und Bade- und "Wascheinrichtungen, die wohl durchwegs von der Bahn verpachtet werden, ins Leben gerufen worden. Damit wird den Reisenden die Möglichkeit geboten, während fahrplanmässiger Aufenthalte beziehungsweise bei passendster Gelegenheit der Körperpflege obzuliegen.

Bundesblatt. 62. Jahrg. Bd. V.

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Trotzdem ist die Frage, ob der Coiffeurbetrieb im Bahnhof Basel zum Bahnbetrieb gehöre, zu verneinen aus folgenden Gründen : Vor allem ist darauf hinzuweisen, dass die Zahl derjenigen Reisenden, welche das Coiffeurgeschäft im Bahnhof Basel an Sonntagen tatsächlich benützen, eine sehr kleine ist. Am Sonntag, den 22. Mai 1910 wurde in dieser Hinsicht von den Organen des Departements des Innern des Kantons Baselstadt eine Enquete gemacht und festgestellt, dass von 7 bis 11 Uhr vormittags sich insgesamt 83 Herren vom Bahnhofcoiffeur bedienen Hessen, von denen augenscheinlich nur 11 von auswärts kamen. Aus dieser geringen R e i s e n d e n f r e q u e n z z i f f e r geht hervor, dass z u r S t u n d e w e n i g s t e n s n i c h t b e h a u p t e t w e r d e n k a n n , es e n t s p r e c h e d a s O f f e n h a l t e n d e s C o i f f e u r g e s c h ä f t e s a n S o n n t a g e n v o m S t a n d p u n k t d e s Personenverkehrs, und damit des Bahnbetriebes aus e i n e m e i g e n t l i c h e n B e d ü r f n i s , u n d dass d i e I n t e r essen des Betriebes das Offenhalten dieses Coiffeurgeschäftes so gebieterisch verlangen, dass man sagen k ö n n t e , dieser N e b e n b e t r i e b gehöre zum Bahnbetrieb.

Neben diese Haupterwägung treten noch Entscheidungsgründe sekundärer Natur.

Einmal ist zu betonen, dass sowohl der Bund als die Kantone immer mehr bestrebt sind, die allgemeine Sonntagsruhe durch Gesetze und Erlasse möglichst zu fördern. Speziell der Bund hat im Fabrikwesen und in Fragen, die für den Bahnverkehr weit wichtiger sind, als die vorliegende Angelegenheit, Bestimmungen über die Sonntagsruhe erlassen und sorgt durch einlässliche Detailvorschriften für genaue Durchführung seiner Absichten. Das Transportreglement z. B. regliert (Art. 55 und 74) die Aufgabe und die Ablieferung von Gütern an öffentlichen Ruhe- und Feiertagen in der "Weise, dass an Sonntagen, an vier bundesrechtlich festgesetzten Feiertagen und an vier weiteren, von den kantonalen Behörden zu bestimmenden Feiertagen Güter weder angenommen noch abgeliefert werden dürfen. Ferner enthalten eine Reihe von Bundesgesetzen und Erlassen der Bundesbehörden Bestimmungen, die den Zweck verfolgen, dem Personal gewisser eidgenössischer Verwaltungszweige, sowie demjenigen der Verkehrsanstalten und der Fabriken die Wohltat des Ruhetages, der womöglich auf den Sonntag fallen soll, zu sichern.

Überhaupt tendiert die Entwicklung sowohl im Bunde als in den

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Kantonen auf immer allgemeinere Benützung des Sonntags als Ruhetag. Es müsste daher sonderbar erscheinen, wenn den Bundesbahnen gestattet würde, das fragliche Coiffeurgeschäft an Sonntagen offen zu halten, um wenigen Reisenden entgegenzukommen.

Weiterhin ist auf die Schwierigkeit hinzuweisen, dass es nicht möglich ist, eine geeignete Kontrolle darüber auszuüben, dass während der Zeit, zu welcher Coiffeurgeschäfte in der Stadt gemäss den Vorschriften des Ruhetagsgesetzes geschlossen sind, nur Reisende, d. h. solche Personen, die mit einem Fahrtausweise versehen sind, durch den Bahnhofcoiffeur bedient würden.

Die Kreisdirektion n hat aber auf eine bezügliche Anfrage des Eisenbahndepartements unterm 28. Februar 1910 geantwortet, die Kontrolle, welche eine derartige Einschränkung des Betriebes des Bahnhofcoiffeurgesehäftes zur Folge hätte, sei aus verschiedenen Gründen nicht durchführbar. Viele Reisende, auch solche, die weiterfahren, seien bei ihrer Ankunft nur mit Fahrkarten bis Basel schweizerische Bundesbahnen versehen. Diese Billette würden den Reisenden im Zuge vor Basel oder sofort nach dem Aussteigen beim Passieren der Perronsperre abgenommen. Dies sei der Fall für die vielen Reisenden, welche mit Spezialbilletten bis Basel reisen und sich im dortigen Bahnhofe oft nicht sofort erhältliche Fahrkarten zur Weiterreise (Generalabonnement, Gesellschaftsbillette) verschaffen müssen. Solchen Reisenden, sowie denjenigen, deren Ziel Basel sei, würde damit die Möglichkeit genommen, sich im Bahnhofcoiffeurgeschäft zu konvenierender Zeit bedienen lassen zu können. Die Durchführung einer Kontrolle der zu bedienenden Personen auf Grund der Fahrtausweise sei daher nicht möglich und eine andere effektive sei nicht denkbar. Die Folge davon ist, dass das Bahnhofcoiffeurgeschäft an Sonntagen nicht nur von Reisenden, sondern auch von Bewohnern von Basel benutzt wird. Die durch die oben erwähnte Enquete des Departements des Innern des Kantons Baselstadt erhobenen Zahlen zeigen dies deutlich. Von den 83 Herren, welche sich am 22. Mai 1910 vom Bahnhofcoiffeur bedienen liessen, waren nicht weniger als 72 Bürger von Basel. Es erhellt, dass das Offenhalten des Geschäftes an einem Sonntag weniger den Interessen des Bahnverkehrs dient, als den Interessen derjenigen . Basler, welche das kantonale Ruhetagsgesetz umgehen
wollen.

Aus dem Gesagten ergibt sich: Das Interesse daran, dass das Bahnhof-Coiffeurgeschäft dem Basler-Ruhetagsgesetz unterstehe, ist viel grösser, als das Interesse des Bahnbetriebes an dem Offen-

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halten dieses Geschäftes an Sonntagen. Der Zusammenhang des Coiffeurbetriebes mit dem Bahnbetriebe ist ein so wenig enger, da«s man nicht sagen kann, der Coiffeurbetrieb gehöre zum Bahnbetrieb. Daraus folgt, dass dem Bund und seinen Organen die Kompetenz mangelt, in bezug auf dieses Coiffeurgeschäft ruhetagspolizeiliche Bestimmungen aufzustellen. Es gilt mithin in dieser Hinsicht Baslerrecht und ist die Beschwerde abzuweisen.

Der Bundesrat unterlässt es aber nicht, noch ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass das Bedürfnis des Bahnbetriebes am Offenhalten des Coiffeurgeschäftes auch an Sonntagen mit der Zeit wachsen kann. Sollte es dazu kommen, dass es wesentlich grösser ist als heute, so behält sich der Bundesrat vor, auf den vorliegenden Entscheid zurückzukommen.

beschlossen: Die Beschwerde der Kreisdirektion n der schweizerischen Bundesbahnen gegen die Verfügung des Regierungsrates des Kantons Basetétadt, vom 24. Juli 1909, betreffend Anwendung des kantonalen Ruhetagsgesetzes auf das Coiffeurgeschäft im Bundesbahnhof Basel, vom 10. August 1909, wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 2. Dezember

1910.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

--·5XHS-

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14.12.1910

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