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Schweizerisches Bundesblatt.

62. Jahrgang.

II.

% 17

27. April 1910.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung der Abänderung der Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 2. Dezember 1889.

(Vom 16. April 1910.)

Tit.

Mit Schreiben vom 12. März 1910 hat uns der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt mitgeteilt, dass die vom Grossen Rat dieses Kantons am 10. Februar 1910 beschlossene Abänderung der Kantonsverfassung vom 2. Dezember 1889 in der Volksabstimmung vom 5./6. März dieses Jahres mit 7413 Ja gegen 1036 Nein angenommen worden sei ; er stellt das Gesuch, die Bundesversammlung wolle den abgeänderten Verfassungsbestimmungen die eidgenössische Gewährleistung erteilen.

Durch diese Verfassungsänderung wird der bisherige § 19 des das ,,Verhältnis des Staates zur Kirche" behandelnden dritten Absatzes der Verfassung des Kantons Basel-Stadt aufgehoben und durch die folgenden §§ 19, 19 a und 19b, samt Einführungsbestimmungen dazu, ersetzt:

§ 19.

Die reformierte und die christkatholische Kirche des Kantons haben öffentlichrechtliche Persönlichkeit.

Bandesblatt. 62. Jahrg. Bd. II.

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Sie ordnen ihre Verhältnisse selber, bedürfen aber, ausgenommen bei rein kirchlichen Bestimmungen, für ihre Verfassung und ihre allgemeinen Erlasse der Genehmigung des Regierungsrates. Diese Genehmigung ist zu erteilen, wenn die kirchliche Organisation auf demokratischer Grundlage fusst und insbesondere die Wahl der gesetzgebenden Behörden, der Gemeindevorstände und der Geistlichen durch die stimmberechtigten Mitglieder vorsieht, wenn jeder Kantonseinwohner der betreffenden Konfession, der nicht ausdrücklich austritt, als Mitglied anerkannt und den Bedürfnissen der Minderheiten angemessener Spielraum gewährt wird, und wenn die Bestimmungen der Bundes- und der Kantonsverfassung, sowie der in ihrer Ausführung erlassenen Staatsgesetzegewahrt sind.

Die reformierte und die christkatholische Kirche verwalten ihr Vermögen selbständig unter Oberaufsicht des Regierungsrates.

Sie sind berechtigt, Kultussteuern von ihren Angehörigen zu erheben. Ihre Steuererlasse sind regierungsrätlicher Genehmigung zu unterbreiten.

Innerhalb der vorstehenden Bestimmungen erfolgt die näher» Ordnung der Anwendungsfälle, Voraussetzungen, Wirkungen und Formen -der staatlichen Genehmigung und Oberaufsicht durch Staatsgesetz.

§ 19 a.

Alle ändern Kirchen stehen unter den Grundsätzen des Privatrechts. Die Bestimmungen der Bundes- und der Kantonsverfassung bleiben vorbehalten.

§ 19 b.

Mit Ausnahme der Ausgaben für den Dienst von Geistlichen an den öffentlichen Spitälern, Asylen, Gefängnissen, Waisen- und Zwangsfürsorgeanstalten dürfen eigentliche Kultuszwecke aus Staatsund Gemeindemitteln nicht unterstützt werden.

Von diesem Verbote werden nicht berührt Beiträge für Erhaltung geschichtlicher Kunstdenkmäler und für Anschaffung und Unterhalt von Gegenständen, die nicht ausschliesslich Kultuszwecken, sondern auch ändern, öffentlichen oder gemeinnützigen, Interessen dienen.

Einführungsbestimmungen.

1. Vorstehende Bestimmungen treten in Wirksamkeit am 1. April 1911.

831 2. Mit diesem Tage fallen alle Ausgaben für eigentliche Kultuszwecke aus dem Staatsbudget weg mit folgenden Ausnahmen: a. Die Pensionen der bis zum 31. März 1911 pensionierten Geistlichen und untern Kirchenbeamten verbleiben zu Lasten des Staates.

b. Die am 31. März 1911 im Amt stehenden vom Staat besoldeten Geistlichen und untern Kirchenbeamten werden bis zum Ablauf ihrer periodischen Amtsdauer, bei früherm Austritt aus dem Kirchendienst aber bis zu diesem Austritt, nach den bisherigen Bestimmungen vom Staate weiterbesoldet. Bei Todesfall oder Dienstunfähigkeit bleiben für die Anzahl der Dienstjahre, während deren sie staatlich besoldet waren, die staatlichen Verpflichtungen aus dem Pensionsgesetz aufrecht.

3. Die Behörden der evangelisch reformierten und der katholischen Landeskirche haben rechtzeitig ihre Organisationsgesetze festzustellen und dem Regierungsrate zur Genehmigung vorzulegen. Die grundlegenden Erlasse (Kirchenverfassungen) sind sodann vom Regierungsrate dem Entscheide der Gesamtheit der Stimmberechtigten der betreffenden Kirchen -zu unterbreiten.

Sind die Organisationsgesetze nicht rechtzeitig fertiggestellt und in Kraft erwachsen, so erlässt der Regierungsrat vorläufig in Anlehnung an die bisherigen Organisationsgesetze die erforderlichen Bestimmungen.

4. Auf den 1. April 1911 hat der Regierungsrat das Kirchenund Schulgut, vorbehaltlich der nachfolgenden abweichenden Bestimmungen, ferner das übrige in staatlicher Verwaltung befindliche reformierte Stiftungsgut, sowie Sektion V, Parzelle 5 des Grundbuchs der Stadt Basel mit Gebäude Augustinergasse 11, alles mit Einschluss der in jenem Zeitpunkt der dauernden Benutzung jenes Gutes gewidmeten Fährnis, unentgeltlich in das Eigentum und die Verwaltung der reformierten Kirche zu übertragen.

Die bisher zu Schulzwecken und Lehrerwohnungen verwendeten Liegenschaften des Kirchen- und Schulguts, sowie die Klarakirche sind mit der zugehörenden Fährnis in jenem Zeitpunkt vom Regierungsrat auf den Kanton Basel-Stadt als Eigentümer zu übertragen.

Auf denselben Zeitpunkt hat der Regierungsrat der christkatholischen Kirche die Predigerkirche, sowie Sektion I, Parzelle 104 mit Gebäude Friedensgasse 40 samt der zugehörendea

832 Fährnis unentgeltlich zu Eigentum zufertigen zu lassen. Ferner sind ihr Fr. 150,000, nämlich am 1. April 1911, 1912 und 1913 je Fr. 50,000, aus allgemeinen Staatsmitteln zuzuweisen.

5. Der römisch-katholischen Gemeinde ist vom Regierungsrat auf den 1. April 1911 an der Klarakirche und der zugehörenden Fährnis ein höchstpersönliches Nutzniessungsrecht zu Kultuszwecken nach Massgabe der Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches unentgeltlich zu bestellen.

Aus allgemeinen Staatsmitteln sind der römisch-katholischen Gemeinde Fr. 200,000, nämlich am 1. April 1911 und 1912 je Fr. 70,000, und am I.April 1913 Fr. 60,000 zuzuweisen; ebenso der Israelitischen Gemeinde Fr. 15,000, nämlich am 1. April der Jahre 1911, 1912 und 1913 je Fr. 5000.

Der bisherige § 19 hatte folgenden Wortlaut : ,,Die reformierte und die katholische Kirche erhalten durch Gesetz ihre äussere Organisation, nach welcher sie unter Oberaufsicht des Staates ihre innern konfessionellen Angelegenheiten selbständig ordnen. Ihre Geistlichen und ihre kirchlichen Vertreter wählen die zu jeder Kirchgemeinde gehörigen, in Gemeindeangelegenheiten stimmfähigen Schweizerbürger.

Der Eintritt in diese Kirchen, sowie der Austritt aus denselben, steht jedem Staatsangehörigen bedingungslos offen. Das Gesetz wird bestimmen, wann Neueintretende die Stimmberechtigung erhalten.

Der Staat bestreitet die Kultusbedürfnisse dieser Kirchen.cc Durch die vorliegende Verfassungsrevision hat der Kanton Basel-Stadt zwar nicht die vollständige Trennung der Kirche vom Staat vollzogen, aber immerhin einen bedeutenden Schritt in der Richtung nach grösserer gegenseitiger Selbständigkeit getan. Bisher gab der Kanton der reformierten und der christkatholischen Kirche, die beide von ihm als Landeskirchen anerkannt werden, durch Gesetz ihre äussere Organisation und kam für ihre Kultusbedürfnisse auf. Und zwar wurden diese Kultusbedürfnisse -- da die Einnahmen . des zum Teil aus der Reformationszeit herrührenden sogenannten Kirchen- und Schulgutes immer mehr zurückgingen -- in den letzten Jahren immer mehr aus allgemeinen Staatsmitteln bestritten.

Nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassungsbestimmungen sollen mit Ausnahme der Ausgaben für den Dienst von Geist-

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liehen an öffentlichen Spitälern, Asylen, Gefängnissen, Waisenund Zwangsfürsorgeanstalten, keine eigentlichen Kultuszwecke mehr aus Staats- oder Gemeindemitteln unterstützt werden. Anderseits sollen aber auch die beiden Landeskirchen dem Staate gegenüber eine selbständigere Stellung erhalten. Der Staat gibt ihnen ihre äussere Organisation nicht mehr durch Gesetz, sondern die Kirchen ordnen ihre Verhältnisse selber; jedoch bedürfen ihre Verfassungen und allgemein verbindlichen Erlasse, sofern sie nicht rein kirchliche Bestimmungen enthalten, der Genehmigung des Regierungsrates. Diese Genehmigung wird erteilt, wenn gewisse, im neuen § 19 selbst niedergelegte, in der jetzigen Verfassung der Landeskirchen enthaltene und zu ihrem Wesen gehörende Grundsätze auch in Zukunft gewahrt werden. Mit dem Aufhören der finanziellen Fürsorge des Staates für die beiden Kirchen geht das Kirchenvermögen an die Kirchen selbst über.

Statt der bisherigen Zuschüsse aus allgemeinen Staatsmitteln erhalten die beiden Kirchen ein öffentlich-rechtliches Besteuerungsrecht. Als Korrelat für die eingeräumte Sonderstellung als öffentlich-rechtliche Körperschaften beansprucht der Staat für sich das Aufsichtsrecht über die Verwaltung des Kirchenvermögens und über die Ausübung des kirchlichen Besteuerungsrechts.

Es ist nicht zu bezweifeln, dass die vom Kanton Basel-Stadt durch die vorliegende Verfassungsrevision getroffene Reorganisation der beiden Landeskirchen den Grundsätzen der Bundesverfassung nicht widerspricht. Die Kantone sind in der Organisation der Landeskirchen ganz frei. Die Aufhebung des bisherigen § 19 und die Ersetzung desselben durch die neuen §§19 und 19b, ist daher nicht zu beanstanden. § 19 a enthält nichts neues ; er stellt nur den bisher und auch in Zukunft geltenden Rechtszustand der ändern (nicht Landes-) Kirchen noch ausdrücklich fest.

Auch die Einführungsbestimmungen enthalten nichts, was der Bundesverfassung widerspräche. Ziff. l bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Verfassungsbestimmungen.

Ziff. 2--4 ordnen den Übergang der beiden Landeskirchen vom bisherigen in den neugeschaffenen Zustand und zwar sowohl, was die Organisation, als auch, was die Bestreitung der Kultusbedürfnisse anbelangt. Endlich bestimmt Ziff. 5, dass anlässlich der Neuordnung des Verhältnisses der beiden Landeskirchen
zum Staat aus Billigkeitsgründen auch eine Zuwendung an die beiden zahlreichsten ausserlandeskirchlichen Religionsgemeinschaften, an die römisch-katholische und an die israelitische Gemeinde, erfolgen soll.

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Wir beantragen Ihnen, Tit., der vorliegenden Verfassungsänderung des Kantons Basel-Stadt die nachgesuchte Gewährleistung in der Form des beiliegenden Beschlussesentwurfes zu erteilen.

B e r n , den 16. April 1910.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:.

Schatzmann.

835 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die eidgenössische Gewährleistung der am 10. Februar 1910 revidierten Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 2. Dezember 1889.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 16. April 1910, betreffend die eidgenössische Gewährleistung der Aufhebung des bisherigen § 19 der Kantonsverfassung des Kantons Basel-Stadt vom 2. Dezember 1889 und der Aufnahme der neuen §§ 19, 19 a, 19 b, samt den Einführungsbestimmungen, in dieselbe; in Anbetracht: dass die so abgeänderte Kantonsverfassung nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung wiederstreitet ; dass die Verfassungsänderung in der Volksabstimmung vom 5./6. Mära 1910 angenommen worden ist; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst: Der wird die Der schlusses

abgeänderten Verfassung des Kantons Basel-Stadt eidgenössische Gewährleistung erteilt.

Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Bebeauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung der Abänderung der Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 2.

Dezember 1889. (Vom 16. April 1910.)

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27.04.1910

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