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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des A. Duchoud-Chappaz und Konsorten in St. Gingolph betreffend Stimmrecht und Wahlen.

(Vom 18. Juni 1909.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des A. D u c h o u d - C h a p p a z und Konsorten in St. Gingolph betreffend Stimmrecht und Wahlen, auf den Berieht seines Justiz- und Polizeidepartements hin, f o l g e n d e n Besehluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Auf den 6. Dezember 1908 war in St. Gingolph die Erneuerungswahl des Gemeinderates angesetzt. Es waren sieben Gemeinderäte nach dem Proportionalsystem zu wählen und gleichzeitig der Gemeinderatspräsident und -Vizepräsident zu bezeichnen.

Mit Eingabe vom 26. November 1908 verlangte A. DuchoudChappaz in St. Gingolph, der Bundesrat solle bei den Behörden des Kantons Wallis die Streichung von 36 mit Namen genannten Bürgern aus den Wählerlisten von St. Gingolph veranlassen, weil 35 dieser Bürger laut Bescheinigung des Adjunkten des Maire von St. Gingolph-France in dieser Gemeinde und ein Bürger laut Bescheinigung des Fremdenbureaus von Vevey in Vevey domi-

904 ziliert seien. Da ein Entscheid des Regierungsrats des Kantons Wallis, an welchen sich Duchoud-Chappaz in dieser Angelegenheit auch gewendet hatte, noch nicht vorlag, so konnte der Bundesrat die Beschwerde nicht behandeln. Immerhin gab er dem Regierungsrat von der Beschwerde Kenntnis und ersuchte ihn, die nötigen Anordnungen zur Bereinigung der Stimmregister unter Berücksichtigung der in Salis Bundesrecht, III, Nr. 1229, zitierten Entscheide zu treffen. Mit Beschluss vom 4. Dezember 1908 liess der Regierungsrat 19 der Bürger, deren Stimmrecht angefochten war, zu den Wahlen zu und verfügte die Streichung der übrigen.

Am 6. Dezember fanden die Wahlen statt. Am 11. Dezember 1908 focht A. Duchoud-Chappaz die Gültigkeit dieser Wahlen beim Regierungsrat an, gestützt auf die Behauptung, die 19 vom Staatsrat zum Stimmrecht zugelassenen Bürger seien weder aktiv noch passiv wahlberechtigt in St. Gingolph. Bevor diese Behörde entschieden hatte, reichten A. Duchoud-Chappaz und acht Mitunterzeichner im Namen der liberalen Partei von St. Gingolph dem Bundesrat am 31. Dezember 1908 eine Beschwerde ein und stellten die Begehren, der Bundesrat wolle in Aufhebung des Entscheides des Regierungsrats vom 4. Dezember 1908 erkennen, dass die durch diesen Entscheid zum Stimmrecht zugelassenen 19 Bürger weder aktives noch passives Wahlrecht besitzen; er wolle die Gemeinderatswahlen von St. Gingolph vom 6. Dezember 1908 kassieren und Neuwahlen anordnen. Am 23. Februar 1909 wies der Regierungsrat die Beschwerde des A. Duchoud-Chappaz vom 11. Dezember 1908 gegen die Gültigkeit der Wahlen von St. Gingolph ab. In einer weitern, von A. Duchoud-Chappaz im Namen der Rekurrenten (vom 31. Dezember 1908) unterschriebenen, Eingabe vom 1. April 1909 wird an der Anfechtung der Wahlen auch gegenüber dem Entscheid des Regierungsrats vom 23. Februar 1909 festgehalten.

II.

In ihren Eingaben vom 31. Dezember 1908 und 1. April 1909 begründen die Rekurrenten ihr Begehren um Streichung der 19 vom Regierungsrat zum Stimmrecht zugelassenen Bürger im wesentlichen folgendermassen : Trotzdem A. Duchoud-Chappaz schon mehrere Wochen vor den Wahlen die Bereinigung der Stimmregister von St. Gingolph verlangte, habe der Regierungsrat erst am 4. Dezember 1908 über die Angelegenheit Beschluss gefasst. Dieser Beschluss, ohne

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Motive, sei dem Rekurrenten A. Duchoud-Chappaz am 4. Dezember zugestellt worden. Danach werden auf dem Stimmregister belassen : 1. Benet, Antoine; 2. Benêt, Célestin; 3. Benet, Charles; 4. Chaperon, André, de Joseph; 5. Chaperon, Henri, de Joseph; 6. Chaperon, Isaac, père; 7. Chaperon, Isaac, fils; 8. Chaperon, Joseph, allié Chevalley; 9. Chaperon, Laurent, d'Isaac; 10. Chaperon, Louis, d'Isaac; 11. Chevalley, Pierre; 12. Chevalley, Emile; 13. Chevalley, Camille; 14. Chevalley, Léon; 15. Dérivaz, Jean, feu, André; 16. Dérivaz, Louis-Denis; 17. Dérivaz, Louis, de Jean; 18. Dérivaz, Pierre-Marie-Denis; 19. Duchoud, Jean, d'Augustin.

Dieser Entscheid sei willkürlich. Der Gemeinderat von St. Gingolph-Suisse habe in seiner Vernehmlassung anerkannt, dass die sämtlichen 35 Bürger, deren Stimmrecht angefochten wurde, sich in der gleichen Situation befinden. Der Regierungsrat habe daher nur die Wahl gehabt, entweder alle aus den Stimmregistern zu streichen oder alle darauf zu belassen. Statt dessen, habe er unter den Angefochtenen nach ihrer Parteizugehörigkeit eine Auswahl getroffen und die konservativen Bürger für stimmberechtigt erklärt, dagegen die liberalen und politisch unsichern vom Stimmrecht ausgeschlossen. Er habe allerdings vor seinem Entscheid eine Untersuchung vorgenommen, die aber von vornherein wertlos sei; denn mit der Untersuchung sei einer der eifrigsten Anhänger und Kämpfer der konservativen Partei als Kommissär betraut worden, der, wie er in seinem Bericht vom 4. Dezember 1908 selbst zugebe, nicht Zeit gehabt habe, die Angaben des konservativen Gemeinderats von St. Gingolph zu prüfen. Der angefochtene Entscheid stehe auch im Widerspruch zu den Entscheiden, der Bundesbehörden über die Gemeinderatswahlen des Jahres 1896 von St. Gingolph (vgl. Salis, Bundesrecht, III, Nr. 1229) und zu Art. 2 des Walliser Gesetzes über die Wahlen und Abstimmungen vom 23. Mai 1908, wonach nur die in der Schweiz domizilierten Bürger an den Wahlen teilnehmen dürfen ; denn auch die 19 vom Regierungsrat zugelassenen Bürger seien in St. Gingolph-France domiziliert.

Dies ergebe sich aus einer Bescheinigung des Maireadjunkten von St. Gingolph-France vom 4. November 1908, wonach die sämtlichen 35, ursprünglich von den Rekurrenten angefochtenen, Bürger ihren Wohnsitz seit mehreren Jahren in St. GingolphFrance haben und dort die Wegesteuer (taxe de prestation), die Kopf-

906 und die Mobiliarsteuer bezahlen. Ebenso tun die eingelegten Auszüge aus dem Verzeichnis der direkten Steuern und der taxe vicinale, ausgestellt vom Steuereinnehmer von Evian-les-Bains, und ein Auszug aus den Tabellen der Volkszählung vom Jahr 1906 dar, dass die 19 Bürger in Frankreich ihren Wohnsitz haben. Von den 22 in den oben zitierten Entscheiden der Bundesbehörden erwähnten Bürgern, deren Teilnahme an den Wahlen damals für ungültig erklärt wurde, weil sie in St. Gingolph-France doiniziliert waren, leben jetzt noch 14; trotzdem sich ihre Situation seit damals nicht verändert habe, seien von diesen 14 die sechs Konservativen zur Wahl zugelassen, die acht liberalen vom Stimmrecht ausgeschlossen worden.

Wie willkürlich der Regierungsrat bei der Auswahl der 19 Zugelassenen zu Werk gegangen sei, ergebe sich aus folgendem : Der Regierungsrat habe zu den Wahlen zugelassen: Dérivaz Jean de feu André und Dérivaz Louis de Jean ; dagegen vom Stimmrecht ausgeschlossen : Dérivaz Zephirin, trotzdem alle drei in St. Gingolph-France dasselbe Haus bewohnen ; er lasse stimmen: Duchoud Jean d'Augustin.(welcher im Jahre 1906 zusammen mit seinem Vater in St. Gingolph-France gewohnt habe) und Benet Charles, die beide ihre Militäreffekten mit der Begründung abgegeben haben, dass sie in St. Gingolph-France ihren Wohnsitz haben ; schliesse aber aus: Duchoud, Maurice de feu François, welcher regelmässig seine Militärsteuer bezahle, und Brousoz François-Eugène, welcher noch im Jahre 1908 seinen Wiederholungskurs gemacht habe.

Von besonderer Bedeutung aber sei es, dass der Staatsrat unrechtmässig zum Stimmrecht zugelassen habe : Chaperon Joseph allié Chevalley und Chaperon Isaac père; denn damit seien sie auch als passiv wahlfähig anerkannt worden und der erstgenannte zum Gemeindepräsidenten, der zweite zum Vizepräsidenten gewählt worden.

Nun wohne aber Chaperon Joseph allié Chevalley nach der Bescheinigung des Maireadj unkten in St. Gingolph-France er sei

907 Eigentümer des Café International in dieser Gemeinde, und, wenn auch das Wirtschaftspatent nicht auf seinen Namen laute, so sei doch er der eigentliche Inhaber der Wirtschaft, wo er auch die Kunden bediene. Wenn jemand von ihm Auskunft in Gemeindeangelegenheiten haben wolle, so suche er ihn nicht in St. Gingolph-Suisse, sondern in St. Gingolph-France, in seiner Wirtschaft. Er figuriere denn auch im Register der französisch direkten Steuern als ,,cabaretiera und ebenso als Familienvorstand in den Tabellen der Volkszählung von St. Gingolph-France. Auf der vom Zivilstandsbeamten von St. Gingolph-France ausgestellten Sterbeurkunde seines Sohnes Rémi-Léon habe er unterschriftlich bestätigt, dass er in dieser Gemeinde (St. Gingolph-France) domiziliert sei, und dieses Domizil habe er auch in Gegenwart des Kommissärs von Rivaz und des Rekurrenten A. DuchoudChappaz anerkannt.

Chaperon Isaac pére sei im gleichen Fall, wie Chaperon-Chevalley Joseph ; denn er betreibe in St. Gingolph-France ein Ladengeschäft und übe ebendort den Bäckerberuf aus.

Aus dem Vorstehenden ergebe sich, dass die 19 vom Regierungsrat zum Stimmrecht zugelassenen Bürger zu Unrecht an den Gemeinderatswahlen teilgenommen haben. Diese Teilnahme Unberechtigter sei auch von Einfluss auf das Wahlresultat gewesen; denn bei Ausscheidung der 19 wären den Liberalen drei Vertreter, den Konservativen vier Vertreter im Gemeinderat zugekommen. Die Wahlen seien daher ungültig.

Die Wahlen müssen aber auch kassiert werden, weil die nicht Stimmberechtigten Chaperon-Chevalley Joseph und Chaperon Isaac père als Kandidaten auf der konservativen Liste standen und auch gewählt worden seien. Denn es könne gar keinem Zweifel unterliegen, dass die Verteilung der Stimmen zwischen den beiden Parteien eine ganz andere geworden wäre, wenn diese beiden, vermöge ihrer Wohlhabenheit, ihres grossen Familienanhanges und ihren Fähigkeiten, einflussreichsten Persönlichkeiten als Kandidaten für den Gemeinderat und für die Ämter des Gemeindepräsidenten und -Vizepräsidenten aueser Betracht gefallen wären. Unter diesen Umständen könne auch keine Rede davon sein, an Stelle dieser beiden einfach die zwei Nichtgewählten der konservativen Liste, die die grossie Stimmenzahl erhalten haben, treten zu lassen. Vielmehr müsse, nicht bloss für die Verteilung der Gemeindeämter, sondern zur Bestellung eines neuen Gesamtgemeinderats, eine neue Wahlverhandlung angeordnet werden.

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III.

Der Regierungsrat beantragt Abweisung der Beschwerde und begründet dieses Begehren in seinen verschiedenen Vernehmlassungen im wesentlichen wie folgt: Der Regierungsrat habe bei der Ausscheidung der 19 zum Stimmrecht Zugelassenen nicht gewusst, welcher Partei sie angehören ; nur von Chaperon-Chevalley Joseph und Chaperon Isaac père, dem Präsidenten und Vizepräsidenten der Gemeinde, sei es ihm bekannt gewesen. Wenn auch die Wohnsitzfrage beim einen oder ändern der 19 nicht absolut klar sein möge, so habe der Regierungsrat doch geglaubt, sich da, wo ebenso triftige Gründe für das Vorhandensein eines Wohnsitzes auf schweizerischem als auf französischem Gebiet sprachen, für Zulassung zum Stimmrecht aussprechen zu müssen, um nicht unnötigerweise Bürger von der Ausübung der bürgerlichen Rechte in ihrer Heimat auszuschliessen. St. Gingolph weise eine Eigentümlichkeit auf, die sich wohl sonst nirgends finde, nämlich die, dass die Burgergüter der Gemeinden St. Gingolph-Suisse und St. Gingolph-France unausgeschieden sind. Auch der jenseits der Grenze wohnende Gemeindebürger wohne also nicht ausserhalb seiner Burgergemeinde. Dies sei bei den frühern Entscheiden der eidgenössischen Behörden zu wenig beachtet worden.

Der Entscheid des Regierungsrats vom 4. Dezember 1908 beruhe auf genauen Angaben des Gemeinderats von St. Gingolph, zu deren Überprüfung ein Kommissär der Regierung nach St'.

Gingolph entsandt worden sei. A. Duchoud-Chappaz habe die Angaben des Gemeinderats vor dem Kommissär nicht bestritten und sowohl diesem, wie auch späterhin dem Departement des Innern jede weitere Auskunft über die Tatsachen, auf die er eine Anfechtung des Stimmrechts der 19 stütze, mit der Begründung verweigert, er werde die nötigen Angaben bei der zweifellos von der eidgenössischen Behörde einzuleitenden Untersuchung machen. Nach Ansicht des Regierungsrats dürfe daher auch die eidgenössische Rekursinstanz nur diejenigen Angaben berücksichtigen, die A. Duchoud-Chappaz vor den kantonalen Behörden geltend gemacht habe. Wie wenig ernst die Beschwerdeführung übrigens zu nehmen sei, gehe daraus hervor, dass A. DuchoudChappaz sich vor dem Kommissär unter Vorbehalt der Zustimmung seiner Kollegen bereit erklärt habe, die Beschwerde zurückzuziehen.

Der Regierungsrat sei nun allerdings von der Vernebmlassung des Gemeinderats von St. Gingolph insofern abgewichen, als er

909 nur 19 der angefochtenen 35 Bürger zum Stimmrecht zugelassen habe, während der Gemeinderat alle zulassen wollte. Das komme daher, dass der Regierungsrat nur in denjenigen Fällen auf Zulassung erkannt habe, wo die Behauptung des Gemeinderats, der betreffende Bürger sei in St. Gingolph-Suisse wohnhaft, sich auf positive Angaben stützte, aus denen wirklich auf einen Wohnsitz in der Schweiz geschlossen werden konnte: wo nicht nur nachgewiesen worden sei, dass die Bürger unüberbauten und überbauten Grundbesitz in der Schweiz besitzen und versteuern, sondern dass sie auch wirklich ein auf Schweizergebiet gelegenes Haus bewohnen. Nun komme es allerdings vor, dass Bürger von St. Gingolph sowohl in der schweizerischen als in der französischen Gemeinde eine Wohnung haben und abwechshingsweise die eine oder andere für längere oder kürzere Zeit benutzen. Auch in diesem Fall sei der Bürger zum Stimmrecht zugelassen worden.

Der Einwand der Rekurrenten, dass einige der 22 Bürger, die durch die frühern Entscheide der Bundesbehörden vom Stimmrecht ausgeschlossen worden waren, jetzt zum Stimmrecht zugelassen worden seien, könne nicht gehört werden, weil die Rekurrenten keine Namen nennen ; ausserdem aber haben sich seit 1899/1900 die Umstände bei mehreren der damals ausgeschlossenen Bürger wesentlich verändert.

In der Hauptsache stütze sich die Beschwerde auf eine Erklärung des Maireadjunkten von St. Gingolph-France vom 4. November 1908, wonach alle 25 angefochtenen Bürger seit mehreren Jahren in der französischen Gemeinde ihren Wohnsitz haben und sich auch dort aufhalten und die taxe de prestation, die Mobiliarund die Kopfsteuer bezahlen.

Dieser Bescheinigung könne keinerlei Bedeutung beigemessen werden. Aus einem von den Rekurrenten selbst eingelegten Zeugnis des Steuereinnehmers von Evian ergebe sich, dass 9 der in der Bescheinigung des Maireadjunkten erwähnten Bürger keinerlei direkte Steuern in St. Gingolph-France bezahlen. Dasselbe bezeuge der Maire von St. Gingolph-France von Chaperon Isaac fils d'Isaac und ferner werde nach dem ebenfalls von den Rekurrenten vorgelegten Auszug aus dem Register der direkten Steuern von Chaperon Isaac pére in Frankreich keine Kopfsteuern verlangt. Mit dieser Steuer sind nach den von den Rekurrenten vorgelegten Steuerregisterauszügen nur Chevalley Léon, ChaperonChevalley
Joseph, Benêt Célestin und Chevalley Pierre und der von der Beschwerde überhaupt nicht betroffene Dérivaz Jean feu André belegt; allein, die Auszüge seien zu einer Zeit aus-

910 gestellt worden, wo die Steuerveranlagung überhaupt noch nicht definitiv geworden sei, weil die Beschwerdefrist gegen die Veranlagung noch lief. Chaperon-Chevalley Joseph habe denn auch laut einer Erklärung der Unterpräfektur von Thonon-les-ßains vom 15. April 1909 ein Gesuch um Befreiung von der Kopfsteuer eingelegt.

Was den Auszug aus den Volkszählungstabellen von St-Gingolph-France betreffe, den die Rekurrenten vorgelegt haben, so beweise er, wie die Unterpräfektur von Thonon-les-Bains selbst erkläre, nicht, dass die darin Genannten wirklich ihren Wohnsitz in St. Gingolph-France haben, sondern lediglich dass sie am Tag der Volkszählung dort waren. Die Angaben des Auszugs seien zudem ungenau ; denn es figuriere darauf auch Chaperon-Chevalley Joseph, der nie eine Volkszählungskarte für sich ausgefüllt habe. Übrigens habe diese Zählung im Jahr 1906 stattgefunden und könne also nicht ohne weiteres zur Beurteilung der Verhältnisse im Jahr 1908 herangezogen werden.

Zu den Beispielen willkürlicher Ausscheidung der Stimmberechtigten sei folgendes zu sagen: Nur Dérivaz Jean de feu André und Dérivaz Louis de Jean haben, nach den Angaben der Gemeindebehörde, ihren Wohnsitz in St. Gingolph-Suisse, wo der erstgenannte die taxe de ménage bezahlte, wo beide die Steuer für ihre von ihnen selbst bewirtschafteten Liegenschaften bezahlten und wo sie seit 9 Jahren im Steinbruch ,,au Fenaleta der Firma Christin & Cie. arbeiten.

Dass sie in der Schweiz eine Wohnung haben, gehe aus dem eingelegten Mietkontrakt hervor. Dagegen liegen keine solchen Angaben vor für Dérivaz Zephirin.

In diesem Falle habe die Ausscheidung jedenfalls nicht nach der Parteizugehörigkeit stattgefunden ; denn Dérivaz Zephirin sei ebenso konservativ, wie Dérivaz Jean und Louis de Jean.

Wenn Duchoud Jean d'Augustin und Benet Charles ihre Militäreffekten unrechtmässigerweise abgegeben haben, so sei dies für ihr Stimmrecht nicht massgebend, sowenig als für das Stimmrecht des Duchoud Maurice de feu François und des Brousoz, François-Eugène die Tatsache, dass der eine in der Schweiz seinen Militärdienst .tut, der andere die Militärsteuer bezahlt.

Jedenfalls sei für die letztgenannten ein Wohnsitz in der Schweiz nicht nachweisbar. Dagegen stellte der Gemeinderat von St-Gingolph fest, dass der Schiffsmann Duchoud Jean d'Augustin mit seinen Eltern in St. Gingolph-Suisse wohne und, gestützt auf diese

911 Tatsache, am 26. April 1908 das Stimmrecht verlangt habe.

Ebenso bewohne Benet Charles während des grössten Teiles des Jahres mit Benet Célestin und Benet Antoine ein der Familie gehörendes Wohnhaus in St. Gingolph-Suisse, deren Liegenschaften auf Schweizerboden er bebauen helfe ; er bezahle auch in der Schweiz die Grund- und Einkommensteuer. Benet Célestin habe in St. Gingolph-Suisse einen Backofen.

Chaperon-Chevalley Joseph besitze in St. Gingolph Suisse drei Gebäude, von denen er mit seinen Kindern, namentlich mit den mehrjährigen Söhnen André und Henri, eines bewohne. Er bezahle auch hier, laut Bescheinigung des schweizerischen Steuerbeamten, die taxe de ménage, sowie die Grundsteuer, und zwar auch für seine ausserhalb der Gemeinde St. Gingolph gelegenen Grundstücke, die er, wenn er in Frankreich domiziliert wäre, an die Gemeinde der belegenen Sache zu entrichten hätte. Zuzugeben sei, dass er auch auf französischem Boden zeitweilig eine Wohnung benütze ; er habe aber nie anerkannt, dass er seinen Wohnsitz in Frankreich habe. Dass auf dem Totenschein seines Sohnes St. Gingolph-France als Domizil angegeben sei, sei daher ohne Bedeutung. Sterbend sei das verunglückte Kind zu seiner Mutter, die in St. Gingolph-France ein von ihrem Vater ererbtes Cafe betreibe, gebracht worden und dort gestorben. Hervorzuheben sei auch, dass, während die von den Rekurrenten eingelegten Auszüge aus den Stimmregistern als Wohnort des Chaperon-Chevalley Joseph, bloss St. Gingolph angeben, die dem Genannten per Post zugestellte Steueranzeige für 1909 und ein am 14. April 1909 vom Steuereinnehmer in Evian ausgestellter Auszug aus den Steuerregistern den Chaperon-Chevalley Joseph als ,,demeurant à St. Gingolph-Suisse" bezeichnen. Das Café International in St. Gingolph-France werde ausschliesslich von der in den französischen Patentregistern allein figurierenden Frau Chaperon-Chevalley geführt. Alle amtlichen und ausseramtlichen Zustellungen werden dem Chaperon-Chevalley Joseph ausschliesslich in seine schweizerische Wohnung gebracht, und es sei eine gänzlich aus der Luft gegriffene Behauptung, dass die in Gemeindeangelegenheiten Auskunft Heischenden ihn in St. Gingolph-France aufsuchen müssen.

In ähnlicher Lage befinde sich auch Chaperon Isaac père, dem sowohl in St. Gingolph-Suisse als ür St. Gingolph-France eine
Wohnung zur Verfügung stehe, der aber seinen eigentlichen Wohnsitz mit seinen Söhnen Louis, Laurent und Isaac in der Schweiz habe, wo er mit ihnen seine Grundstücke bebaue und versteuere und wo er auch die taxe de ménage bezahle. Er

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werde denn auch in Frankreich nicht zur Bezahlung der Kopfsteuer angehalten. Sein Sohn Isaac versteuere seinen Gehalt als schweizerischer Briefträger in St. Gingolph-Suisse.

Dérivaz Louis-Denis besitze 2 Wohnhäuser in St. GingolphSuisse, wo er mit seinen Kindern, namentlich mit Dérivaz PierreMarie während des grössten Teils des Jahres wohne und wo er seine unÜberbauten Grundstücke bewirtschafte und versteuere ; er bezahle auch in St. Gingolph-Suisse die taxe de ménage.

Chevalley Emile wohne in St. Gingolph-Suisse, wo er seine Grundstücke bebaue und die taxe de ménage bezahle; ebenso wohne sein Sohn, Chevalley Camille, regelmässig in St. GingolphSuisse.

Chevalley Pierre und sein Sohn, Chevalley Léon, wohnen in St. Gingolph-Suisse, wo sie ihre Grundstücke bebauen und wo der Vater die taxe de ménage, der Sohn sein Tischlerpatent bezahle.

Auf Grund der vorstehenden Angaben könne kein Zweifel darüber bestehen, dass die 19 Bürger, deren Stimmrecht von den Rekurrenten angefochten werde, zur Teilnahme an den Gemeinderatswahlen befugt gewesen seien. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, so würde daraus doch nicht die Ungültigkeit der Wahlen folgen. Bei diesen Wahlen seien von 156 Bürgern 155 gültige Stimmen abgegeben worden, und von diesen 106 auf die konservative, 49 auf die liberale Liste gefallen. Ziehe man von der Gesamtzahl der Stimmen und von der Zahl der auf die konservative Liste gefallenen Stimmen je 19 ab, so erhalte man folgende Ziffern: Gültige Stimmen 136; hiervon konservativ 87, liberal 49.

Als Wahlquotient ergebe sich gemäss Art. 69, lit. d, Absatz l, des Wahlgesetzes vom 23. Mai 1908: 136 (Gesamtstimmenzahl) geteilt durch 8 (Zahl der Gemeinderäte -4- 1) = 17. Auf die konservative Liste entfallen somit auch bei dieser Berechnung 87 (Stimmenzahl) geteilt durch 17 (Quotient) -- 5 Vertreter und 2 /i7, auf die liberale 49 (Stimmenzahl) geteilt durch 17 (Quotient) = 2 Vertreter und 15/n.

Die Verteilung bleibe sich also gleich. Endlich seien auch die Folgerungen, die die Rekurrenten an den Wegfall der beiden einflussreichen Kandidaten Chaperon-Chevalley Joseph und Chaperon Isaac père knüpfen, unrichtig. Denn, auch angenommen, diese müssten ausscheiden, so würden doch gemäss Art. 69, lit. e, Absatz l, und Art. 70 des Wahlgesetzes an ihre Stelle einfach

913 diejenigen beiden Nichtgewählten der konservativen Liste treten, die die grösste Stimmenzahl erreicht haben. Es wäre somit nur eine neue Wahlverhandlung zur Bestellung des Gemeindepräsidenten und des -Vizepräsidenten aus der Zahl der Gewählten nötig. Eine eigentliche Neuwahl des Gesamtgemeinderats aber brauchte nicht angeordnet zu werden.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

1.

Die ursprüngliche Beschwerde des A. Duchoud-Chappaz braucht nicht mehr berücksichtigt zu werden ; sie ist gegenstandslos geworden, soweit der Regierungsrat in seinem Entscheid vom 4. Dezember 1908 einen Teil der von Duchoud-Chappaz als nicht stimmberechtigt Bezeichneten aus den Wählerlisten gestrichen hat ; sie geht in der Beschwerde des A. Duchoud-Chappaz und Konsorten vom 31. Dezember 1908 auf, soweit sie sich gegen die Zulassung der übrigen 19 Bürger zur Wahlverhandlung richtet.

Zu unterscheiden ist zwischen der Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 4. Dezember 1909 betreifend das Stimmrecht von . 19 Bürgern von St. Gingolph und der Beschwerde betreffend die Gültigkeit der Gemeinderatswahlen von St. Gingolph, die sich gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 23. Februar 1909 richtet. Da das Begehren um Kassation der Wahlen sich lediglich auf die Behauptung stützt, die 19 vom Regierungsrat auf den Wählerlisten belassenen Bürger seien weder aktiv noch passiv wahlfähig, so ist der Entscheid übor die erste Beschwerde von präjudizieller Bedeutung für die zweite.

n.

Unter den-19 Bürgern, die durch Entscheid des Regierungsrats vom 4. Dezember 1908 entgegen dem Streichungsbegehren der Rekurrenten zur Teilnahme an den Gemeinderatswahlen in St. Gingolph zugelassen worden sind, wird im Entscheid ein Dérivaz Jean feu André genannt. In der von den Rekurrenten eingelegten Liste der angefochtenen Bürger findet sich dieser Name nicht, sondern ein Dérivaz Jean feu François à pire.

914 Dieser ist entsprechend dem ursprünglichen Begehren der Rekurrenten nicht zum Stimmrecht zugelassen worden; die Beschwerde ist also, soweit sie diesen Bürger betrifft, erledigt.

Von Dérivaz Jean feu André wird unter Ziffer IV noch die Rede sein.

Im Entscheid vom 4. Dezember 1908 wird keine Verfügung getroffen hinsichtlich Benet Louis und Chaperon Benjamin, deren beider Stimmberechtigung ursprünglich von den Rekurrenten angefochten wurde. Soweit dio Beschwerde den Benet Louis anbelangt, ist sie von den Rekurrenten ausdrücklich fallen gelassen worden, weil er an den Wahlen nicht teilgenommen hat. Chaperon Benjamin ist offenbar auf Grund der Bescheinigung des Fremdenbureaus Vevey, wonach er dort seinen Wohnsitz hat, aus den Wählerlisten gestrichen worden, da die Rekurrenten auf ihn nicht mehr zurückgekommen sind.

Die Behauptung der Rekurrenten, es seien von den durch die frühern Entscheide der Bundesbehörden vom Stimmrecht in St. Gingolph ausgeschlossenen Bürgern 6 wiederum widerrechtlich zum Stimmrecht zugelassen worden, fallt für die Beurteilung des Rekurses ausser Betracht, da die Rekurrenten die Namen der betreffenden Bürger nicht angegeben haben.

III.

Die Rekurrenten behaupten, der Entscheid des Regierungsrats vom 4. Dezember 1908 sei willkürlich, weil er nicht alle angefochtenen Bürger entweder vom Stimmrecht ausschliesse oder zum Stimmrecht zulasse, trotzdem der Gemeinderat von St. Gingolph-Suisse anerkannt habe, dass alle sich in der gleichen Lage befinden. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Der Regierungsrat ist nicht an die Meinungsäusserung des Gemeinderats gebunden. Er ist mit gutem Recht der Auffassung des Gemeinderats nicht gefolgt, wonach jeder im Gebiet der Burgergemeinde St. Gingolph domizilierte Walliser bei den Wahlen vom 6. Dezember 1908 stimmberechtigt gewesen wäre, was bei der Unausgeschiedenheit der Burgergüter von St. Gingolph zur Folge gehabt hätte, dass auch in St. Gingolph-France domizilierte Walliser Bürger an den Wahlen hätten teilnehmen können. Der Regierungsrat hat vielmehr die Gemeindebehörde aufgefordert, ihm nähere Angaben zu machen, um entscheiden zu können, welche Bürger tatsächlich ihren Wohnsitz in der Schweiz haben und daher zum Stimmrecht zuzulassen sind. Soweit sich die Rekur-

915 renten daher lediglich auf die Behauptung des Gemeinderats von St. Gingolph, alle angefochtenen Bürger befinden sich in der gleichen Lage, berufen, um die Willkürlichkeit des regierungsrätlichen Entscheides darzutun, erscheint die Beschwerde als nicht genügend begründet; die Rekurrenten hätten vielmehr nachzuweisen gehabt, dass die Gründe, welche den Regierungsrat veranlassten, anzunehmen, ein Bürger habe seinen Wohnsitz in der Schweiz, nicht stichhaltig seien. Die Rekurrenten behaupten nun allerdings, bei der Ausscheidung der Stimmberechtigten und Nichtstimmberechtigten sei nur auf die Parteizugehörigkeit Rücksicht genommen worden ; der Regierungsrat habe nur die Liberalen und politisch Unsichern aus den Wählerlisten gestrichen, die gut Konservativen aber zum Stimmrecht zugelassen. Allein, einen Beweis hierfür haben die Rekurrenten nicht zu fuhren versucht, und so ohne weiteres kann diese Behauptung nicht als richtigangenommen werden, da wenigstens in einem Fall (Dérivaz Zephirin), wie auch die Rekurrenten nicht bestreiten, ein gut konservativer Bürger von der Streichung betroffen wurde. Es wird vielmehr an Haud der Angaben der Rekurrenten und der Walliser Behörden zu prüfen sein, ob in der Tat einzelne der 19 Bürger, deren Streichung der Regierungsrat verweigert hat, ihren Wohnsitz auf französischem Gebiet haben und somit zu Unrecht zu den Gemeinderatswahlen in St. Gingolph-Suisse zugelassen worden sind.

Dabei muss allerdings von vornherein ein von den Rekurrenten angerufenes Beweismittel ausser Betracht gelassen werden, nämlich der Auszug aus den Tabellen der letzten Volkszählung in St. Gingolph-France. Denn diese Tabellen geben regelmässig nur Auskunft darüber, wer am Tag der Zählung am betreffenden Ort anwesend war, was nach der Mitteilung der Unterpräfektur in Thonon auch für den vorliegenden Fall zutrifft; es lässt sich daher aus Angaben dieser Tabellen kein sicherer Schluss auf den Wohnsitz der darin genannten Personen ziehen ; ausserdem aber datiert die letzte Volkszählung in St. Gingolph-France vom Jahr 1906, ist also für die Verhältnisse im Jahr 1908 nicht beweiskräftig.

IV.

Die Rekurrenten stützen ihre Beschwerde in erster Linie auf eine Bescheinigung des Maireadj unkten von St. GingolphFrance vom 14. November 1908, wonach die sämtlichen 35 ursprünglich von den Rekurrenten angefochtenen Bürger ihren Wohnsitz seit mehreren Jahren in St. Gingolph-France haben und

916 dort die taxe de prestation, die Kopf- und die Mobiliarsteuer bezahlen. Der Wert dieses Beweismittels wird durch weitere, teilweise von den Rekurrenten selbst eingelegte, Belege wesentlich herabgesetzt. Aus einer Bescheinigung des Steuereinnehmers von Evian vom 2. April 1909, welche die Rekurrenten beigebracht haben, ist nämlich zu ersehen, dass Chevalley Camille, Chaperon Isaac fils, Chaperon Louis, Chaperon Henri, Benêt Antoine, Benêt Charles, Dérivaz Louis-Denis, Dérivaz Louis de Jean und Dérivaz Pierre-Marie-Denis, also 8 der 19 noch, angefochtenen, in der Bescheinigung des Maireadjunkten inbegriffenen Bürger keine direkten Steuern in St. Gingolph-France zahlen, was ihnen wohl kaum erspart bliebe, wenn sie ihren Wohnsitz wirklich dort hätten. Von Chaperon Isaac fils bezeugt überdies auch noch der Maire von St. Gingolph-France selbst unterm 24. Dezember 1908, dass er keinerlei Steuern in Frankreich bezahle. Die Bescheinigung des Maireadjunkten allein liefert also keinen einwandfreien Beweis für die Behauptung, ein Bürger habe seinen Wohnsitz in St. Gingolph-France.

Zu den einzelnen von den Rekurrenten genannten Fällen ist folgendes zu bemerken: Dass Dérivaz Jean de feu André, wie oben schon ausgeführt worden ist, auf der ursprünglichen Liste der angefochtenen Bürger nicht figurierte, entbindet die Rekursbehörde nicht von der Verpflichtung, zu prüfen, ob er stimmberechtigt ist; denn er ist im Entscheid des Regierungsrats vom 4. Dezember 1908 für stimmberechtigt erklärt worden, und die Beschwerde richtet sieh gegen diesen Entscheid. Nach den Angaben der Rekurrenten bewohnt Dérivaz Jean de feu André mit seinem Sohn, Dérivaz Louis de Jean, und mit Dorivaz Zephirin ein Haus in St. Gingolph-France. Zu den Akten wurde auch ein auf Dérivaz Jean feu André lautender Extrait du rôle des contributions directes, wonach von ihm in Frankreich u. a. auch die Kopfsteuer verlangt wird, und ein Extrait du rôle des prestations gebracht. Die Rekurrenten behaupten nun, es sei willkürlich, dass Dérivaz Zephirin vom Stimmrecht ausgeschlossen M-erde, während die beiden ändern stimmen dürfen. Demgegenüber macht der Regierungsrat, gestützt auf die Angaben der Gemeindebehörde von St. Gingolph-Suisse, geltend, Dérivaz Jean de feu André wohne mit seinem Sohn Louis laut vorgelegtem Mietvertrag in St. Gingolph-Suisse ;
er bezahle hier seine taxe de ménage, sowie die Steuer für seine in der Schweiz gelegenen Grundstücke, die er selbst bebaue ; er sowohl wie sein Sohn seien seit 9 Jahren Arbeiter im Steinbruch ,,du Fenalet" in der Schweiz.

917 Diese Angaben sind von den Rekurrenten in der Replik nicht bestritten worden. Wenn nun auch nach den Auszügen aus den französischen Steuerregistern anzunehmen ist, dass Dérivaz Jean de feu André eine Wohnung in St. Gingolph-France besitzt und dort deswegen Steuern bezahlen muss, so kann doch angesichts der Angaben der schweizerischen Gemeindebehörde nicht behauptet werden, die Annahme des Regierungsrats, Dérivaz Jean de feu André habe seinen Wohnsitz in der Schweiz, sei willkürlich.

Der Genannte wohnt eben zeitweise diesseits und zeitweise jenseits der Grenze, wie dies in St. Gingolph nicht selten zu sein scheint. Dass in solchen Fällen der Bürger das Stimmrecht erhält, ist nicht zu beanstanden. Das eben Gesagte gilt auch für den Sohn Louis Dérivaz de Jean. Dafür, dass' auch Dérivaz Zephirin in der Schweiz Wohnsitz hat, geben die Akten keine Anhaltspunkte.

Dass Duchoud Jean d'Augustin und Benet Charles mit der Begründung, sie wohnen in Frankreich, ihre Militäreffekten abgegeben haben, kann gegenüber den amtlichen Angaben der Gemeindebehörde von St. Gingolph-Suisse über den Wohnsitz der Genannten nicht ausschlaggebend sein. Wie schon in frühern Entscheiden der Bundesbehörden ausgeführt wurde, ist die Bezahlung der Militärsteuer oder die Leistung von Militärdienst in der Schweiz für die Frage des Stimmrechts ohne Bedeutung; dem Regierungsrat kann daher nicht der Vorwurf der Willkür gemacht werden, wenn er Duchoud Maurice de feu François und Brousoz François-Eugène, die zwar ihre Militärpflichten erfüllen, von denen aber die Rekurrenten nicht einmal behaupten, sie wohnen in der Schweiz, vom Stimmrecht, im Gegensatz zu den oben genannten Duchoud Jean d'Augustin und Benet Charles, ausschliesst.

Was nun den Gemeindepräsidenten von St. Gingolph-Suisse, Chaperon Joseph allié Chevalley betrifft, so steht allerdings fest, dass er auch in St. Gingolph-France, wo seine Frau das Café International betreibt, eine Wohnung besitzt und zeitweise benützt. Es steht auch fest, dass er sowohl in der Schweiz als in Frankreich direkte Steuern bezahlt. Allein, die Gründe, die für die Annahme sprechen, er habe seinen Wohnsitz in der Schweiz, halten den von den Rekurrenten zum Beweis seines Wohnsitzes in Frankreich vorgebrachten Argumenten zum mindesten die Wage, so dass der Entscheid des Regierungsrats, welcher dem Genannten das aktive und damit auch das passive Wahlrecht in St. Gingolph-Suisse zuerkennt, nicht beanstandet werden kann.

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Dasselbe gilt für Chaperon Isaac père, dem Vizepräsidenten der Gemeinde St. Gingolph-Suisse, für Benêt Célestin, welcher sowohl in St. Gingolph-Prance als in St. Gingolph-Suisse das Gewerbe eines Bäckers ausübt, und für die mit den eben Genannten in häuslicher Gemeinschaft lebenden Chaperon André de Joseph, Chaperon Henri de Joseph, Chaperon Louis d'Isaac, Chaperon Laurent d'Isaac, Chaperon Isaac fils, Benêt Charles (vgl. oben unter Ziffer II) und Benêt Antoine.

Bei Dérivaz Louis-Denis und seinem Sohn, Dérivaz PierreMarie-Denis, stehen der Bescheinigung des Maireadjunkten von St. Gingolph-France, deren Wert, wie oben ausgeführt worden ist, zweifelhaft erscheint, die Angaben der Gemeindebehörde von St. Gingolph-Suisse gegenüber, wonach Dérivaz Louis-Denis zwei Wohnhäuser auf Schweizergebiet besitzt, die er mit seinen Kindern während des grössten Teils des Jahres bewohnt. Er bezahlt in der Schweiz die taxe de ménage und bebaut mit seinen Angehörigen seine Grundstücke in der Schweiz. Bndlich steht auch auf Grund einer Bescheinigung des französischen Steuereinnehmers fest, dass er, sowohl als sein Sohn, keine direkten Steuern in Frankreich bezahlt. Die Zulassung der beiden zum Stimmrecht erscheint daher gerechtfertigt.

Chevalley Emile wohnt nach den Angaben des Regierungsrats in St. Gingolph-Suisse, wo er auch die taxe de ménage bezahlt. Ebenso sein Sohn, Camille Chevalley, von dem überdies feststeht, dass er in Frankreich keine direkten Steuern zahlt.

Auch diese beiden mussten sonach zur Teilnahme an den Wahlen in St. Gingolph-Suisse zugelassen werden.

Chevalley Pierre und sein Sohn, Chevalley Léon, zahlen allerdings in Frankreich direkte Steuern. Da aber gleichzeitig festgestellt ist, dass der Erstgenannte in St. Gingolph-Suisse die taxe de ménage, der zweite die Gewerbesteuer als Tischler entrichtet, und der Gemeinderat von St. Gingolph-Suisse überdies bezeugt, dass die beiden in der schweizerischen Gemeinde wohnen, so ist anzunehmen, die Genannten haben ihren Wohnsitz bald in St. Gingolph-Suisse, bald in St. Gingolph-France, so dass sie berechtigterweise ihr Stimmrecht in der Schweiz ausüben.

V.

Nach dem Vorstehenden ist die Behauptung der Rekurrenten, der Regierungsrat habe die angefochtenen 19 Bürger rechtswidrigerweise zum Stimmrecht zugelassen, hinfällig. Der Bundes-

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rat braucht daher die Gültigkeit der Gemeinderatswahlen von St. Gingolph-Suisse nicht zu prüfen, da ihre Ungültigkeit ron den Rekurrenten lediglich mit der Teilnahme der 19 angefochtenen Bürger an den Wahlen begründet worden ist. Immerhin mag bemerkt werden, dass Chaperon-Chevalley Joseph und Chaperon Isaac père, wenn sie wahlunfähig gewesen wären, nicht gemäss Art. 69, lit. e, Absatz l, und Art. 70 des Wahlgesetzes hätten ersetzt werden können. Denn diese Bestimmungen regeln ganz offensichtlich nur den Fall, wo ein gültig Gewählter innert der Amtsperiode aus dem Amt scheidet.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 18. Juni 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des A. Duchoud-Chappaz und Konsorten in St.

Gingolph betreffend Stimmrecht und Wahlen. (Vom 18. Juni 1909.)

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