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I. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über 21 Begnadigungsgesuche (Wintersession 1910).

(Vom 29. Oktober 1910.)

Tit.

Unter Vorlage der Akten beehren wir uns, Ihnen über folgende Begnadigungsgesuche Bericht und Anträge zu unterbreiten.

1. Fritz Schmutz, Landarbeiter von und in Kehrsatz, geb.

1893, betreffend Fälschung von Lebensmitteln.

Fritz Schmutz, welcher als Sohn eines sehr wohlhabenden Landwirtes bei der Betreibung der Milchwirtschaft im väterlichen Gewerbe sich betätigte, hat nach den Feststellungen der Polizeibehörden und eigenem Geständnis zu wiederholten Malen der an einen Lieferanten vergebenen Morgenmilch Wasser zugesetzt. Die Experten schätzten diesen Zusatz für den Milchertrag der Schmutzschen Kühe vom Morgen des 9. Dezember 1909 auf mindestens 10 % von 78 Liter.

Durch Urteil des Polizeirichters von Belp wurde Fritz Schmutz wegen Übertretung des Bundesgesetzes über die Lebensmittelpolizei bestraft mit einem Tag Gefängnis und Fr. 200 Geldbusse, ferner zur Tragung der Kosten, unter Gewährung des bedingten Strafaufschubes hinsichtlich der Freiheitsstrafe. Die erste Strafkammer

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des Kantons Bern änderte infolge Appellation der Staatsanwaltschaft dieses Erkenntnis in dem Sinne ab, dass die Gefängnisstrafe als eine definitive erklärt wurde, weil das zur Anwendung kommende eidgenössische Recht das Institut des bedingten Straferlasses nicht kenne.

Nunmehr ersuchen Fritz Schmutz und seine Eltern um Erlass der Freiheitsstrafe durch Begnadigung, indem sie geltend machen, dass der Verurteilte vor zirka acht Jahren eine Schusswunde in den Kopf erhalten habe und infolgedessen geistig nicht vollwertig sei, so dass er sich von den schlimmen Folgen seiner Handlung, bei der ihn keine bestimmte Absicht geleitet habe, keine Vorstellung habe machen können. Es sei zu befürchten, dass mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe sich sein Zustand eher verschlimmern als bessern würde, und der Makel, der auf ihm laste, werde ihn erst recht verfolgen, wenn er sich bewusst sei, eine Gefängnisstrafe abgesessen zu haben.

Busse und Kosten sind vom Vater des Petenten bezahlt worden. Es liegt aber kein Grund vor, das ohnehin milde Urteil der bernischen Gerichte hinsichtlich der Gefängnisstrafe zu reduzieren, da es in keiner Weise, den gesetzlichen Androhungen widerspricht. Sollte der Gesundheitszustand des Verurteilten zu Bedenken gegen den Vollzug der Freiheitsstrafe Anlass geben, so wäre hierüber nach eidgenössischen und nach kantonalen Gesetzen von denjenigen Behörden, denen der Strafvollzug obliegt, auf Grund ärztlicher Gutachten zu befinden.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Fritz Schmutz abzuweisen.

2, Johann Nepomuk Herzog, Landwirt in Steckborn, geb.

1860, und Philomene Herzog, Landwirtin in Steckborn, geb. 1863, betreffend Fälschung von Lebensmitteln, Das Obergericht des Kantons Thurgau erklärte durch Urteil vom 2. April 1910, in Bestätigung eines Entscheides des Bezirksgerichtes Steckborn, den Johann Nepomuk Herzog und seine Schwester Philomene der Fälschung von Lebensmitteln, verübt durch gemeinsames Zusetzen von Wasser zu Milch, schuldig, unter Verurteilung zu je Fr. 100 Busse und gemeinsamer Tragung der Kosten.

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Nachdem die Bestraften erfolglos versucht hatten, das Urteil mittelst staatsrechtlichen Rekurses beim Bundesgerichte anzufechten, ersuchen sie um Brlass der Strafe durch Begnadigung. Zur Begründung wiederholen sie die schon den Vorinstanzen gegenüber vorgebrachte Behauptung ihrer Nichtschuld, indem sie neuerdings darauf hinweisen, dass bei Entnahme der Milchproben und deren Spedition an das kantonale Laboratorium seitens der Ortsbehörde den Vorschriften des bundesrätlichen Réglementes nicht strikte nachgelebt worden sei, so dass das dem Untersuchungsamte vorgelegte Material nicht beweiskräftig gewesen sei.

Dieser Vorwurf gegen die Beweisaufnahme ist von den kantonalen Gerichten als richtig anerkannt, indessen zweitinstanzlich irrelevant erklärt worden, weil es sich um eine prozessualische Frage handle, welche nach kantonalem Rechte entschieden werden müsse, da eine blosse Verordnung des Bundesrates den im Kanton Thurgau geltenden Grundsatz der freien Beweiswtirdigüng im Strafprozess auch für Anwendung eidgenössischen Strafrechtes nicht aufzuheben vermöge.

Die Begnadigungsbehörde ist nicht befugt, gerichtliche Urteile bezüglich der Würdigung von Sohuldindizien nachzuprüfen. Sie ist im vorliegenden Falle gebunden an die durch kompetentes Urteil erfolgte Bejahung der Schuldfrage. Was aber die Höhe der Strafe anbetrifft, so entspricht dieselbe der gesetzlichen Androhung.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Johann Nepomuk Herzog und der Philomene Herzog abzuweisen.

3. Johann Liechti, Fabrikarbeiter in Bözingen; 4. Albert Favre, Uhrenmaoher in Biel; 5. Jules Flückiger, Uhrenmacher in Bözingen, betreffend Fischfrevel.

Die drei Vorgenannten wurden im Frühjahr 1910 dem Richteramt Nidau überwiesen, weil sie nach Polizeianzeige in den Aarekanälen bei Nidau mit verbotenen Instrumenten (Juckschnur) gefischt, beziehungsweise geschränzt hatten. Der Richter erachtete trotz teilweiser Bestreitung die Schuld aller drei Verzeigten als rechtsgenügend hergestellt und verurteilte den Liechti

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zu Fr. 50, den Pavre zu Fr. 60 und den Flückiger zu Fr. 70Geldbusse und Tragung der Kosten, indem er bei den Letztgenannten als straferschwerend in Betracht zog, dass sie während der Schonzeit fischten (Art. 31, Ziffern l und 2, des Bundesgesetzesüber die Fischerei). Die von den Fehlbaren verwendeten Geräte wurden gemäss Art. 32, Ziffer 2, daselbst konfisziert.

Nunmehr ersuchen die Bestraften um Erlass, beziehungsweise Ermässigung der Bussen durch Begnadigung, indem Liechti und' Favre neuerdings ihre Nichtschuld beteuern, alle drei aber geltend!

machen, dass sie sich in sehr gedrückten ökonomischen Verhältnissen befinden und nicht imstande seien, die hohen Bussen zu.

bezahlen.

Pie Schuldfrage wurde von dem zuständigen Richter endgültig entschieden, und es ist von den Petenten nicht einmal versucht worden, dagegen durch das Rechtsmittel der Appellation anzukämpfen. Die ausgesprochenen Strafen aber liegen innerhalb» der gesetzlichen Schranken, und es kann um so weniger auf dasBegehren um deren Ermässigung eingetreten werden, als die Erfahrungen der Praxis darauf hinweisen, dass in der Gegend von Biel und Nidau derartige Übertretungen sehr häufig vorkommen..

A n t r a g : Es seien die Begnadigungsgesuche des Johann Liechti, des Albert Favre und des Jules Flückiger abzuweisen..

6. August Maier, Drechsler in Breitenbach, Kanton Solothurn, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes über die Fischerei.

August Maier ist Besitzer eines Wasserwerkes unterhalb Breitenbach und hat als solcher in der Zeit vom 4. bis 14. Mai 1910 durch Trockenlegen eines Teiches den damit verbundenen.

Gewerbekanal vollständig trocken gelegt, um eine Renovation seines Wasserrades vornehmen zu können. Von dieser Trockenlegung machte er zwar dem Fischenzenpächter des Kanales rechtzeitig Mitteilung, so dass dieser in der Lage war, die Fische nocheinzufangen. Dagegen unterliess er die in Art. 5, Ziffer 7, des eidgenössischen Fischereigesetzes vorgeschriebene Kenntnisgabe an die Lokalbehörden, so dass der staatliche Fischereiaufseher erst von der Sache erfuhr, als durch den Wassermangel bereits 5000'

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Forellensetzlinge zugrunde gegangen waren, welche er kurz vorher in den Kanal verbracht hatte.

Wegen dieser Vorkommnisse verzeigt, wurde August Maier vom Amtsgericht Dorneck-Thierstein unter Anrufung des Art. 31, Ziffer 2, des Fischereigesetzes verurteilt zu Fr. 50 Geldbusse und Tragung der Kosten. Nach Bericht des Amtsgerichtspräsidenten beruht das eben erwähnte Zitat auf einem Irrtum der Kanzlei, das Gericht habe tatsächlich die Ziffer l des Art. 31 angewendet.

In Übereinstimmung damit steht die Begründung des Urteils, in welcher erklärt wird, dass absichtlich nicht bloss das Strafminimum ausgesprochen, sondern darüber hinaus gegangen werde, weil der Verzeigte schon früher einmal mitgewirkt habe, als sein Vater den Kanal ohne Anzeige an die Behörden trocken legte, und dass es ihm möglich gewesen wäre, mit einer ganz kleinen Kanalableitung die Schädigung des Fischbestandes zu vermeiden.

Da in Ziffer l von Art. 31 ein Strafminimum von Fr. 5, in Ziffer 2 aber ein solches von Fr. 50 angedroht ist, so lässt sich bei dieser Motivierung die Höhe der Busse nur aus Anwendung -des erstem Satzes erklären.

Der ' Bestrafte ersucht um Aufhebung der Busse durch Begnadigung. Er behauptet in erster Linie, dass er die in der solothurnischen Vollziehungsverordnung allein vorgeschriebene Pflicht -der Anzeige an den Fischenzenpächter erfüllt habe und deswegen überhaupt nicht bestraft werden könne. Im weitern verweist er -darauf, dass nach dem Wortlaute von Art. 5, Ziffer 7, des Bundesgesetzes die ordnungswidrige Trockenlegung von Wasserläufen nur dann mit Fr. 50 Busse zu belegen sei, wenn sie zum Zwecke -des Fischfanges geschehen, und dass die Bundesversammlung schon Ermässigung von Strafen gewährt habe, die irrtümlich aus Ziffer 2 ·des Art. 31 statt aus Ziffer l verhängt worden seien. Maier fügt bei, er habe den Rekurs an das kantonale Obergericht unterlassen, um Kosten zu ersparen, und erwarte Erfolg der Anfechtung des Urteils durch Anrufung der Begnadigungsinstanz.

Die Entscheidung des Gerichtes darüber, dass Petent sich ·einer Gesetzesübertretung schuldig gemacht habe, ist endgültig, und es kann natürlich keine Rede davon sein, dass durch die kantonale Vollziehungsverordnung die Vorschriften des Bundesgesetzes über die Anzeigepflicht eingeschränkt worden seien. Die Busse von Fr. 50 aber liegt innerhalb des
in Ziffer \ des Art. 31 zit.

angedrohten Strafrahmens von Fr. 5 bis Fr. 400 und wurde in ihrer Ausmessung vom Gerichte derart motiviert, dass sie im Begnadigungs v erfahren nicht abgeändert werden kann, um so

175 weniger, als dem Bestraften ein ordentliches Rechtsmittel zur Anfechtung derselben offen gestanden hätte.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des August Mai er abzuweisen.

7, Franz Schwarz, Uhrénmacher in Biel, und Urs Wälti-Moser, Schuhmacher, Kirchgässli, Biel, betreffend Jagdfrevel.

Am 1. September 1910 wurden die Petenten von einem bernischen Landjäger beobachtet, als sie im Gebiete der alten Aare, Gemeinde Büetigen, mit Schiesswaffen und einem Stellhunde der Flugjagd oblagen. Jeder von ihnen war mit einem Niederjagdpatent versehen, und sie behaupteten bereits dem PolizeiAngestellten gegenüber, dass sie dadurch zu der betriebenen Jagd berechtigt seien. Aus dem Patente und der Verordnung der kantonalen Behörde für das Jahr 1910 hätten sie indessen entnehmen können, dass die Flugjagd im Unterlande erst vom 7. September an bewilligt war.

Der Polizeirichter von Buren bestrafte die beiden Jäger in Anwendung von Art. 21, Ziffer 5, lit. a, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz mit dem Strafminimum von je Fr. 40, indem er sie solidarisch zur Tragung der Kosten verpflichtete. Sie verzichteten auf Appellation, ersuchen aber nunmehr um Erlass der Strafe mittelst Begnadigung, unter Wiederholung der Behauptung, dass sie sich über den Beginn der Flugjagd im Irrtum befunden hätten. Sie können aber damit nicht gehört werden, ganz abgesehen davon, ob die Angabe Glauben verdiene oder nicht, denn Jagdfrevel ist nach eidgenössischem Rechte ein Formaldelikt, dessen Bestrafung nur die objektive Gesetzesverletzung, keineswegs aber deren schuldhafte Begehung voraussetzt.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Franz Schwarz und des Urs Wälti-Moser abzuweisen.

8. Joseph Mérat, Uhrenmacher in Courcelon, Kanton Bern betreffend Jagdfrevel.

Sonntags den 13. Februar 1910 wurde Petent von zwei Polizeiangestellten auf der Weide ,,Les neufs champs", Gemeinde Bundesblatt.

62. Jahrg. Bd. V.

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Courroux, betroffen, als er mit einem Kameraden, der eine y,usammenschraubbare Flinte bei sieh trug, und begleitet von einem Hund der Jagd oblag. Der Polizeirichter von Delsberg bestrafte jeden der beiden Jäger mit Fr. 100 Geldbusse, unter Verpflichtung zu solidarischer Tragung der Kosten ; die Flinte wurde konfisziert.

Joseph Mérat ersucht um gänzlichen oder teil weisen Brlass der Busse, indem er behauptet, er sei nur durch Zureden seines Kameraden zur Beteiligung an der Jagd verführt worden, während er sonst noch nie sich Ähnliches habe zuschulden kommen lassen.

Arm und auf geringen Verdienst angewiesen, wäre es ihm unmöglich, die Busse zu bezahlen, und bei Umwandlung derselben in Gefängnis würde seine Familie, bestehend aus Frau und sieben, zum Teil im zartesten Alter stehenden Kindern, in bitterste Not geraten. Das Gesuch wird vom Gemeinderat von Courroux lebhaft befürwortet.

Die bedauerlichen Folgen, welche der Vollzug der Strafe für die Familie des Verurteilten nach sich ziehen wird, können die Entsprechung des gestellten Gesuches nicht rechtfertigen, denn Mérat hat sich eine Gesetzesverletzung zuschulden kommen lassen, die die ausgesprochene Strafe als angemessen erscheinen lässt.

Es handelt sich um Jagd während verbotener Zeit, und zwar am Sonntag, was dem besondern Verbot des Kantons Bern zuwider lief, ferner um Gebrauch eines verbotenen Instrumentes.

Der Richter musste daher diesen Verhältnissen entsprechend das für die Sonntagsjagd festgesetzte Strafminimum von Fr. 50 angemessen erhöhen.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Joseph Mérat abzuweisen.

9. Theodor Braun, Emailleur in Eenan, Kanton Bern, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz.

Im Frühjahr 1910 gingen in der Gemeinde Renan zwei Hunde durch Vergiftung zugrunde, und es konnte nachgewiesen werden, dass sie mit Strychnin vermischte Köder gefressen hatten, die Theodor Braun in der Umgebung seines Heimwesens den Füchsen gelegt. Braun wurde darauf vom Polizeirichter von

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Courtelary in Anwendung von Art. 21, Ziffer 4, lit. e, und Art. 23, Ziffer l, des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1904 verurteilt zu Fr. 200 Geldbusse und Tragung der Kosten.

Der Verurteilte ersucht um Nachlass der Strafe. Er behauptet, dass er infolge falscher Auslegung des Jagdgesetzes geglaubt habe, zur Giftlegung gegen schädliche Tiere in der Nähe seines Hofes berechtigt zu sein, und findet die Busse sehr hart gegenüber einem Manne, der sich noch nie eine ähnliche Übertretung habe zuschulden kommen lassen.

Der Richter hat die von Braun zugestandene Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften des Gesetzes mit derjenigen Strafe geahndet, welche ausdrücklich dadurch angedroht ist, dass bei Legen .von Gift stets die Anwendung des Maximums der Busse verlangt wird. Ob sich der Fehlbare in einem Irrtum über seine Rechte als Hausbesitzer befunden, kann im Begnadigungsverfahren nicht mehr untersucht werden 5 ein solcher Irrtum wäre übrigens wegen der Natur der zu ahndenden Handlung für die Ausmessung der Strafe nicht von Bedeutung gewesen.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Theodor Braun abzuweisen.

10. Fritz Geiser, Landwirt in Mont-Cortebert bei Courtelary ; 11. Emil Buser, Wirt in Känerkinden, Baselland, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz.

Fritz Geiser und Emil Buser haben nach eigenem Zugeständnis, der eine um Neujahr 1910, der andere im Mai dieses Jahres, in ihrem Grundeigentum an abgelegener Stelle je einen Selbstschuss gelegt, um damit Füchse zu töten, die ihnen durch Rauben von Hühnern Schaden zufügten. Wie aus den Akten des Bezirksgerichtes Sissach hervorgeht, wurde durch Losgehen des von Buser gelegten Schusses ein Mensch verletzt. Die diesfalls angehobene Untersuchung wegen fahrlässiger Körperverletzung ist aber von den kantonalen- Behörden durchaus abgetrennt geführt worden von derjenigen wegen Übertretung des eidgenössischen Polizeigesetzes.

Die zuständigen kantonalen Gerichte verurteilten Geiser und Buser gestützt auf Art. 21, Ziffer l, des Bundesgesetzes vom

178 24. Juni 1904 wegen Anbringen von Selbstschüssen zu je Fr. 500 Geldbusse und zur Tragung der Kosten. Beide ersuchen um Erlass, beziehungsweise Ermässigung der Strafen. Sie wollen bezüglich der Berechtigung, auf ihrem eigenen Grund und Boden zur Beseitigung schädlicher Tiere Selbstschüsse zu legen, in entschuldbarem Irrtum gewesen sein und finden die Strafen jedenfalls zu hoch mit Rücksicht darauf, dass sie die Schüsse an ganz abgelegenen Stellen angebracht haben, welche nach ihrer Voraussetzung keine Menschen passieren würden. Das letztere Moment trifft nach Feststellung der Behörden von Baselland auch für die Handlung Busers zu.

Art. 21, Ziffer l, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz bedroht das Anbringen von Selbstschüssen zu Jagdzwecken ganz allgemein mit Bussen von Fr. 500. Die kantonalen Gerichte waren somit an diesen Strafsatz als Mindestmass gebunden. Buser wird für die verursachte Verletzung eines Menschen noch besonders bestraft werden. In beiden Fällen handelt es sich somit nur um Ahndung der Polizeiübertretung als solcher, und da ist nach dem Entscheide der Bundesversammlung in Sachen Schuhmacher (Bundesbl. 1910, III, 884) eine Ermässigung der Bussen auf dem Wege der Begnadigung dann am Platze, wenn der Fehlbare sich bemüht hat, Gefährdung von Menschen möglichst zu vermeiden. In dem erwähnten Präzedenzfalle wurde die Busse durch die Begnadigungsinstanz auf Fr. 250 herabgesetzt.

A n t r a g : Es seien die über Fritz Geiser und Emil Buser verhängten Bussen auf je Fr. 250 zu ermässigen.

12. Christian Hadorn, Dachdecker in Biel, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz.

Am 30. Dezember 1909 wurde Christian Hadorn von einem bernischen Polizeiangestellten in einer Wirtschaft in Biel betroffen, als er sich im Besitze einer Stockflinte befand ,,und mit derselben manipulierte und Zielübungen machte".

Diese Tatsache gab dem Polizisten Veranlassung, den Hadorn wegen Übertretung des Art. 21, Ziffer 5, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz zu verzeigec, und trotzdem der Angeklagte in glaubhafter Weise geltend machte, dass er nicht die Absicht

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hatte, BU jagen, vielmehr nur die Flinte von einein ändern Stadtteil nach Hause tragen wollte, wurde er vom Polizeirichter von Biel zu Fr. 40 Geldbusse und Tragung der Kosten verurteilt.

Hadorn hat gegen dieses Urteil, offenbar wegen mangelhafter Rechtskenntnis, nicht Appellation erklärt, sondern ersucht um Nachlass der Strafe durch Begnadigung. Er bestreitet nicht, dass der objektive Tatbestand des Tragens einer Stockflinte vorhanden gewesen sei, macht aber geltend, dass dies nur dann als Übertretung des Bundesgesetzes bestraft werden dürfe, wenn es geschehen, um mit der Waffe zu jagen. Diese Argumentation ist durchaus richtig, und die Verurteilung beruhte auf einer falschen Interpretation des Gesetzes, was auch der Richter, der sie vornahm, dadurch anerkennt, dass er die Begnadigung befürwortet.

Die Aufhebung dor Busse ist daher zu gewähren, um einen begangenen Rechtsirrtum wieder gut zu machen.

A n t r a g : Es sei dem Christian Hadorn die Busse von Fr. 40 durch Begnadigung zu erlassen.

13. Georges Chopard, Schreinerlehrling in Münster (Bern), betreffend Jagdfrevel.

Am 22. November 1909 hat Georges Chopard nahe beim Schlachthaus von Münster einen Hasen gefangen und getötet, den er seinem Lehrmeister Jean Albert Gerber heimbrachte und der dann für die Küche des letztern verwendet wurde. Der Polizeirichter von Münster bestrafte den Chopard wegen Übertretung des Art. 21, Ziffer 5, lit. a, des eidgenössischen Jagdgesetzes mit dem Strai'minimum von Fr. 40, den Gerher wegen Begünstigung dieser Handlung mit Fr. 10 Geldbusse unter Auferlegung der Kosten.

Chopard ers*ucht um Erlass der Strafe durch Begnadigung.

Er behauptet, wie schon im gerichtlichen Verfahren, dass er sich der Strafbarkeit seiner Handlung nicht bewusst gewesen sei. Er habe im kritischen Moment nicht erkennen können, ob das Tier ein Hase oder ein Kaninchen soi, und dasselbe habe sich in so erschöpftem Zustande befunden, dass er es aus Mitleid getötet, um seine Leiden abzukürzen. Endlich macht der Petent darauf aufmerksam, dass er erst 17 Jahre alt gewesen und keine Mittel

180 besitze, um die Geldstrafe zu bezahlen. Der Gemeinderat von Münster befürwortet die Entsprechung des gestellten Gesuches.

Es steht fest, dass sich Georges Chopard der Übertretungschuldig gemacht hat, wegen deren ihn der zuständige Richter mit dem gesetzlich zulässigen Minimum von Busse bestrafte. Er hat auch dasjenige Alter überschritten, das nach Art. 23, Ziffer 3, des Spezialgesetzes eine Reduktion der Busse hätte begründen können. Unter diesen Umständen ist die Begnadigungsinstanz nicht in der Lage, das gefällte Urteil zugunsten des Bestraften zu mildern.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Georges Chopard abzuweisen.

14. Rudolf Feller, Schlosser in Biel; 15. Albert Lämmle, Keisender in Zürich, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden.

Rudolf Feller und Albert Lämmle wurden durch Urteile der I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern vom 27., beziehungsweise 14. April 1910 wegen Übertretung des Patenttaxengesetzes bestraft, und zwar Feller mit Fr. 105, Lämmle mit Fr. 110 Geldbusse unter Auferlegung der Kosten. Das Gericht erachtete als bewiesen, dass die Verzeigten für die Aufnahme von Warenbestellungen im Gebiete des Kantons Bern die in Art. 2 des Bundesgesetzes bestimmten Taxen hätten bezahlen und sich mit der entsprechenden Karte versehen müssen. Die Einwendung der Gesuchsteller, dass bei richtiger Auslegung des Gesetzes ihre Tätigkeit taxfrei gewesen wäre, wurde in den Urteilen eingehend gewürdigt, aber als unbegründet zurückgewiesen. Die Festsetzung der Bussen erfolgte, der konstanten bernischeu Praxis entsprechend, in der Weise, dass zu der umgangenen Patentgebühr eines halben Jahres noch für die Übertretung ein geringer Zusatz gemacht wurde.

Die Bestraften ersuchen um gänzlichen oder teilweisen Erlass der Bussen durch Begnadigung. Sie wiederholen die Anfechtung der Unterstellung ihrer Tätigkeit unter die taxpflichtigen Bestellungsaufnahmen und bemängeln dio Gerichtspraxis hinsichtlich der Höhe der Strafen als gesetzwidrig.

181 Die Begnadigungsinstanz ist nicht im Falle, die richterliche Würdigung einer Handlung dann nachzuprüfen, wenn es sich nur um eine Gesetzesauslegung von zweifelhafter Richtigkeit handelt.

In den beiden vorliegenden Fällen aber kann nicht gesagt werden, dass die Annahme des Richters mit dem klaren Wortlaute des Gesetzes im Widerspruche stehe; die Bestraften hätten ihre Einwendungen nur durch Kassationsbeschwerde beim Bundesgerichte anbringen können. Auch die Beiziehung der umgangenen Taxe zur Berechnung der Busse war keine Gesetzesverletzung, da durch sie das zulässige Maximum nicht überschritten wurde.

A n t r a g : Es seien die Begnadigungsgesuche des Rudolf Feller und des Albert Lämmle abzuweisen.

16. Léon Taillard, Uhrenmacher in Saignelégier, betreffend Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden.

Am 8. Februar 1910 wurde Léon Taillard von einem neuenburgischen Polizeiangestellten verzeigt, weil er am nämlichen Tage in Cafés und Restaurants der Ortschaft Les Brenets als Handelsreisender Bestellungen auf Tabak, Zigarren, Zigaretten und Liköre aufgenommen hatte, ohne im Besitze einer Taxkarte zu sein. Vor den Polizeirichter von Le Locle zitiert, blieb der Verzeigte ohne Entschuldigung aus, worauf er wegen Übertretung des Patenttaxengesetzes zu einer Geldbusse von Fr. 100 und zur Tragung der Kosten verurteilt wurde.

Nunmehr ersucht er um Erlass der Strafe durch Begnadigung, indem er eine von der Präfektur von Saignelégier ausgestellte, auf seinen Namen lautende und vom 7. Februar 1910 datierte grüne Ausweiskarte vorlegt und behauptet, er habe dieselbe nur aus Versehen für die Tour vom 8. Februar nicht mitgenommen, und es sei ihm wegen Mangel an Reisegeld nicht möglich gewesen, an der Verhandlung vor dem Richter in Le Locle zu erscheinen.

Taillard hat sich in äusserst leichtfertiger Weise selbst der Mittel zur Verteidigung vor dem Richter beraubt und auch die Ergreifung der ihm zustehenden ordentlichen Rechtsmittel versäumt. Dessenungeachtet erscheint die Ermässigung der Busse

182 auf dem Wege der Begnadigung angezeigt, weil nach dem angewendeten Bundesgesetze die Aufnahme von Bestellungen bei Geschäftsleuten, welche den betreffenden Artikel wieder verkaufen oder in ihrem Gewerbe verwenden, betrieben werden darf ohne Entrichtung einer Taxe. Dass es sich aber um eine derartige Tätigkeit handelt, geht klar hervor aus dem Polizeirapport, der dem ganzen Prozesse zugrunde liegt, ferner daraus, dass die Behörde des Wohnortes des Petenten ihm eine grüne (taxfreie) Ausweiskarte verabfolgte, und aus der Vernehmlassung des Sekretärs für Patentwesen zu dem Gesuche. Die Bestrafung mit der Busse von Fr. 100, welche die Nichteinlösung der Taxkarte voraussetzt, beruhte somit auf einem Rechtsirrtum.

Dagegen lag in dem Verhalten des Léon Taillard eine strafbare Ordnungswidrigkeit insofern, als er bei der Aufnahme der Bestellungen in Les Brenets die gelöste Ausweiskarte nicht auf sich trug (pratiquant sans être porteur de là carte de légitimation"), Art. 8, lit. a, des Gesetzes. Dafür verdient er eine dem Tatbestande entsprechende Busse.

A n t r a g : Es sei die dem Léon Taillard auferlegte Busse auf Fr. 10 zu ermässigen.

17. Otto Zangger, Eisenbahnkondukteur in Goldau; 18. Jules Cosandey, Keisender in Versoix-Bourg ; 19. Adhémar Jeanneret, Instrumentenmacher in Auberson, betreffend Nichtbezahlung von Militärpflichtersatz.

Die drei vorgenannten mililärsteuerpflichtigen Schweizerbürger wurden von den zuständigen Militärbehörden nach erfolglosen Mahnungen wegen schuldhafter Nichtbezahlung der ihnen auferlegten Taxen dem Strafrichter überwiesen. Da sie sich im gerichtlichen Verfahren nicht darüber auswiesen, dass zureichende Gründe ihnen die Entrichtung der Steuer verunmöglicht hätten, so bestrafte : a. das Bezirksgericht Schwyz den Otto Zangger mit zwei Tagen Gefängnis ; ÖÄ der Polizeirichter von Genf den Jules Cosandey mit 24 Stunden Arrest ; c. der Gerichtspräsident von Grandson den Adhémar Jeanneret mit drei Tas;en Arrest.

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Keiner von ihnen hat bis jetzt die in Frage kommende Taxe bezahlt, dagegen stellen sie das Gesuch, die Strafe möchte ihnen durch Begnadigung erlassen werden, indem sie behaupten, es sei ihnen wegen ökonomischer Notlage nicht möglich gewesen, ihrer Pflicht gegen den Staat nachzukommen.

Die Potenten haben unterlassen, die von ihnen behaupteten Gründe, die ihnen die Entrichtung der Steuer verunmöglicht haben sollen, bei den Militärbehörden und den Gerichten vorzubringen und dort durch Beweismittel glaubhaft zu machen. In der Begnadigungsinstanz aber können sie damit nicht mehr gehört werden, und sofern, wie Jeanneret geltend macht, der Strafvollzug wegen Krankheit nicht statthaft wäre, so müsste darüber von der zuständigen kantonalen Behörde entschieden werden.

A n t r a g : Es seien die Begnadigungsgesuche des Otto Zangger, Jules Cosandey und Adhémar Jeanneret abzuweisen.

20. Jules Teste, Commis in Genf, rue de la Cloche 9; 21. Gottfried Äschimann, Commis in Genf, rue de Neuoh&tel 10, betreffend Nichtbezahlung von Müitärpflichtersatz.

Jules Teste schuldete pro 1909 eine Militärtaxe von Fr. 21, ferner Kosten; davon bezahlte er am 7. August 1909 Fr. 20, den Rest der Taxe mit Fr. l will er am 18. Juni 1910 der Militärbehörde per Post eingeschickt haben, nachdem er diesfalls Vorladung vor den Polizeirichter auf 20. gleichen Monats empfangen.

Im Dienstbüchlein ist der Eingang des Betrages von Fr. l unterm Datum vom 20. Juni 1910 notiert, dagegen ist die Aufgabe zur Post aller Wahrscheinlichkeit gemäss bereits am 18. erfolgt und wegen des darauffolgenden Sonntags die Ablieferung verzögert worden. Der Polizeirichter, der von dieser Zahlung keine Kenntnis hatte, verurteilte den Teste zu einem Tage Arrest.

Das unter Hinweisung auf die vor dem Richterspruch geleistete Zahlung gestellte Begnadigungsgesuch ist nach konstanter Praxis begründet.

Gottfried Äschimann schuldete Anfang des Jahres 1910 die Taxen pro 1907 und 1909 und wurde deswegen dem Strafrichter überwiesen. Er bezahlte beide Beträge am 28. Februar, beziehungs-

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weise 9. März und blieb nur noch die Kosten mit Fr. 4. 10 schuldig. Am Gerichtstage, den 31. März, blieb er unentschuldigt aus, wie er jetzt behauptet, wegen Krankheit, worauf er gestützt auf das Bundesgesetz vom 29. März 1901 mit 24 Stunden Haft bestraft wurde.

Nach dem eben erwähnten Bundesgesetze können nur diejenigen Ersatzpflichtigen bestraft werden, welche in schuldhafter Weise die Steuer nicht bezahlen, nicht aber solche, die nur noch Kosten schulden. Dem von Äschimann gestellten Gesuch ist somit zu entsprechen, da die Anwendung des Strafpolizeigesetzes auf einem Rechtsirrtum beruhte.

A n t r a g : Es seien dem Jules Teste und dem Gottfried Äschimann die Strafen durch Begnadigung zu erlassen.

B e r n , den 29. Oktober 1910.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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I. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über 21 Begnadigungsgesuche (Wintersession 1910). (Vom 29. Oktober 1910.)

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