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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des August Barberat in Carouge (Genf) gegen den Entscheid des Bundesrates vom 29. Juli 1910 betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (Verbot der Spielautomaten).

(Vom 24. Oktober 1910.)

Tit.

Mit Beschluss vom 29. Juli 1910 hat der Bundesrat eine Beschwerde des August Barberat in Carouge gegen den dem Rekurrenten die Aufstellung seiner Automaten in Wirtschaften verbietenden Entscheid des Regierungsrates des Kantons Genf vom 28. Januar 1910 abgewiesen, weil der Betrieb dieser Automaten ein Glücksspiel darstelle, mit Hülfe dessen die Spielleidenschaft des Publikums ausgebeutet und der.Spieler zu übermässigem Genuss alkoholischer Getränke verleitet werde. Gestützt auf diese Erwägungen, so führte der Entscheid aus, müsse das Verbot der Genfer Regierung als eine mit dem Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit vereinbare Verfügung gemäss Art. 31, lit. e, B. V. betrachtet und geschützt werden, selbst wenn sie mit dem Genfer Gesetz vom 9. Juni 1906 zur Abänderung des 11. Titels des Gesetzes über die öffentlichen Abgaben nicht im Einklang stände; übrigens wäre es auch nicht willkürlich, die Automaten des Rekurrenten zu den in Art. 11 jenes Gesetzes verbotenen Geldspielautomaten zu rechnen.

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Gegen diesen Entscheid richtet sich die Beschwerde des August Barberat vom 9. September 1910 an die Bundesversammlung mit dem Begehren um Aufhebung der Vorentscheide und Freigabe seiner Automaten. Die Begründung der Beschwerde an die Bundesversammlung deckt sich im wesentlichen mit derjenigen des Rekurses an den Bundesrat. Der Regierungsrat des Kantons Genf begnügt sich, gegenüber der neuen Beschwerde mit Schreiben vom 23. September 1910 auf seine frühere Vernehmlassung zu verweisen. Auch wir glauben, uns darauf beschränken zu können, nochmals festzustellen, dass das Verbot, Glücksspielautomaten, wie diejenigen des Rekurrenten, aufzustellen, eine im Interesse der öffentlichen Ordnung liegende, mit Art. 31 B. V. vereinbare wirtschaftspolizeiliche Massregel ist und dass sachliche Gründe dafür sprechen, diese Automaten de.u ·reinen Geldspielautomaten gleichzustellen.

Demgemäss beantragen wir Ihnen, Tit. : Die Beschwerde sei abzuweisen.

B e r n , den 24. Oktober 1910.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmaim.

166 Beilage.

Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Auguste Barberat in Carouge betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom 29. Juli 1910.)

Der'schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des Auguste B a r b e r a t in Carouge betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartementes, f o l g e n d e n B e s c h l u s s gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Infolge der raschen Zunahme der Zahl der in den Wirtschaften aufgestellten Spielautomaten beschloss der Regierungsrat des Kantons Genf am 26. Dezember 1903, dass für den Betrieb solcher Apparate eine Bewilligung des Genfer Justiz- und Polizeidepartements einzuholen sei. Die Apparate funktionieren in der Weise, dass der Spieler, nachdem er in einen der mit Nummern versehenen Geldschlitze ein 10- oder 20 Cts.-Stück eingeworfen hat,

167 durch Druck auf zwei Hebel ein Musikwerk und ausserdem eineScheibe in Drehung versetzt, auf welcher sich die Nummern der Geldschlitze wieder finden; wenn sich nun beim Stillstehen die Scheibe derart einstellt, dass diejenige ihrer Nummern, welche der Nummer des benutzten Geldschlitzes entspricht, an einen bestimmten Punkt zu stehen kommt, so gibt der Apparat fünf Marken heraus, mit Hülfe deren der Spieler fünf weitere Musikstücke spielen lassen kann, oder für deren Wert er Getränke etc.

beziehen kann. Das Departement machte die Bewilligung für den.

Betrieb der Automaten davon abhängig, dass die Wertmarken a u s s c h l i e s s l i c h ein Recht auf Gaben in natura verleihen sollen, dass der Automat bei jedem Einsatz ein Musikstück spiele, dass die Wertmarken nicht gegen Geld gewechselt werden, dürfen. Trotz Einhaltung dieser Bedingungen traten aber Missstände zutage und es gingen ernstliche Klagen ein über die Schädigung, die diese Apparate der Arbeiterklasse zufügen, über die Gefahren, die namentlich der Jugend aus diesem Betrieb erwachsen und über die Verleitung zum Trunk, die im Fall desGewinns entstehe. Infolge dessen beschloss das genferische Justizund Polizeidepartement am 3. Januar 1910 keine Bewilligungen für solche Automaten mehr zu erteilen. Die Automatenbesitzer,, darunter auch Auguste Barberat, beschwerten sich beim Regierungsrat des Kantons Genf, welcher aber am 28. Januar 1910 die Verfügung des Departements bestätigte und den Rekurrenten eine Frist bis Ende März zum Rückzug der Apparate einräumte II.

Gegen diesen Entscheid beschwert sich Auguste Barberat mit Eingabe vom 19. März 1910 beim Bundesrat und stellt das Begehren, der Entscheid sei aufzuheben. Zur Begründung führt er im wesentlichen folgendes aus: *öc Das genferische Gesetz vom 9. Juni 1906 zur Abänderung des 11..Titels des Gesetzes über die öffentlichen Abgaben untersage zwar in Art. 11, lit. e, § 2, die Automaten, die auf dem Spiel um Geld beruhen, d. h. diejenigen, welche gegen einen Geldeinsatz einen Geldgewinn liefern, es gestatte aber ausdrücklich in Art. 8 gegen Lösung eines Patents den Betrieb von Waren- und Musikautomaten, von Automaten, die Gewinnmarken abgeben, von automatischen Waagen etc. Die genferischen Behörden seien daher nicht berechtigt, dem Rekurrenten einfach die Bewilligung für den Betrieb seines im Gesetz vorgesehenen

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öewerbes zu entziehen ; indem sie es tun, machen sie sich einer Verletzung des dem Rekurrenten verfassungsmässig gewährleisteten Rechts auf freie Gewerbeausübung schuldig.

III.

In seiner Vernehmlassung vom 9. April 1910 beantragt der JRegierungsrat des Kantons Genf Abweisung der Beschwerde.

Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit, so führt der Regierungsrat aus, gelte nicht absolut, er dürfe vielmehr, wie die bundesrechtliche Praxis stets anerkannt habe, eingeschränkt werden, soweit das öffentliche Wohl dies erfordere. Als zulässige Beschränkungen gelten namentlich auch solche, die den Schutz des Publikums vor Betrug oder vor den Gefahren des Glückspiels bezwecken. Im vorliegenden Fall handle es sich ohne Zweifel um ein Glücksspiel, bei welchem das Publikum überdies nicht einmal die Gewinnaussiehten kenne. Da ferner der dem Spieler gänzlich verdeckte Mechanismus jederzeit leicht zugunsten des Automatenbesitzers eingestellt werden könne, so bestehe auch in bedeutendem Mass die Gefahr betrügerischer Ausbeutung des Publikums. Die beiden angeführten Momente lassen die im angefochtenen Entscheid verfügte Unterdrückung der Apparate des Rekurrenten vom Standpunkt des öffentlichen Wohls gerechtfertigt und daher mit Art. 31 der Bundesverfassung vereinbar erscheinen. Dies allein aber habe der Bundesrat zu prüfen ; die Frage, ob die dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegende Interpretation des kantonalen Gesetzes richtig sei oder nicht, entziehe sich der Entscheidungskompetenz der ßundesbehörde.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: In seinem Entscheid vom 13. Juni 1907 in Sachen Schlaue gegen St. Gallen Ogl. Bundesbl. 1907, IV, 398 ff.) hat sich der Bundesrat dahin ausgesprochen, es gehe nicht über den Rahmen der nach Art. 31, lit. e, der Bundesverfassung zulässigen Massnahmen der Wirtschaftspolizei hinaus, wenn die Kantone die Aufstellung von Automaten verbieten, die in der Form eines Glücksspiels um Genussmittel in natura zu übermässigem Genuss alkoholischer Getränke verleiten. Es ist kein Grund vorhanden, das gleichartige, im vorliegenden Fall angefochtene Verbot, als welches

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sich die Verweigerung der Bewilligung zum Betrieb der Automaten des Rekurrenten darstellt, anders zu behandeln. Dies um so weniger, als bei den Apparaten des Rekurrenten der Charakter des Glückspiels und die Möglichkeit betrügerischer Übervorteilung der Spieler durch besondere Einstellung des Mechanismus weit deutlicher zutage liegt, als bei den Automaten, die Gegenstand des oben zitierten Entscheids waren. Der Beschluss des Genfer Regierungsrats kann somit vom Standpunkte der Handels- und Gewerbefreiheit aus nicht angefochten werden. Mit dieser Fest Stellung ist die Rekursbehörde eigentlich der Verpflichtung überhoben, zu prüfen, ob das Verbot mit dem genferischen Gesetz vom 9. Juni 1906 im Einklang stehe. Es mag aber bemerkt werden, dass es jedenfalls nicht willkürlich ist, die Automaten des Rekurrenten den eigentlichen Geldspielautomaten gleichzustellen, die in Art. 11 des genannten Gesetzes ausdrücklich verboten sind. Denn die vom Automaten gelieferten Wertmarken treten insofern an die Stelle des Geldes als der Gewinner Anspruch auf Lieferung von Getränken und ändern Genussmitteln für den den gewonnenen Marken entsprechenden Geldbetrag erhält.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 29. Juli

1910.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmaun.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des August Barberat in Carouge (Genf) gegen den Entscheid des Bundesrates vom 29. Juli 1910 betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (Verbot der Spielautomaten).

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1910

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02.11.1910

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