349

# S T #

Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 11. Februar 1910.)

Der Bundesrat hat an den Regierungsrat des Kantons Aar g au im Rekursfalle Muraour & Cie. betreffend Verkauf gebrannter Wasser folgendes Schreiben gerichtet: Sie haben mit Eingabe d. d. 2. November 1909 (auf der Bundeskanzlei eingetroffen am 6. Dezember 1909) angeregt, der Bundesrat wolle seine im Fall Muraour & Cie. eingenommene Stellung, d e n i n t e r k a n t o n a l e n H a n d e l m i t g e b r a n n t e n W a s s e r n betreffend, in Wiedererwägung ziehen. Wir beehren uns, Ihnen nach eingehender Prüfung Ihrer Eingabe folgendes .zu antworten : I.

Über die rechtliche Seite der Frage bemerken wir : Der Bundesrat hat bereits am 4, Juli 1907 in Sachen Beretta gegen Graubünden (Bundesbl. 1907, IV, 583) es als unzulässig erklärt, dass zwei Kantone zugleich ein und dasselbe Verkaufsgeschäft mit der Patenttaxe belegen, und verfügt, dâss der Verkäufer von gebrannten Wassern, der in einem Kanton wohnt und von dort gebrannte Wasser an Bewohner anderer Kantone verkauft oder versendet, nur von seinem Wohnsitzkanton besteuert werden darf. Die Regierung des Kantons Graubünden hat diesen Entscheid am 2. September 1907 an die Bundesversammlung weitergezogen (Bundesbl. 1907, VI, 152 ff.), ist aber mit ihrer Beschwerde von der Bundesversammlung abgewiesen worden (Bundesbl. 1909, I, 781). Im Fall Muraour & Cie. gegen Wallis (Bundesbl. 1909, III, 319 ff.) hat der ßundesrat nur an seinem bereits früher eingenommenen und von der Bundesversammlung gebilligten Standpunkt festgehalten.

Dem Art. 31, lit. 6, und dem Art. 32bis der Bundesverfassung kommt nicht die Bedeutung zu, dass sie ohne weiteres den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit für die Fabrikation und den Handel mit gebrannten Wassern aufgehoben haben.

Art. 32bis gibt bloss dem Bunde die Kompetenz, diesen Gegenstand gesetzgeberisch zu regeln, ohne an den erwähnten Ver-

350 fassungsgrundsatz gebunden zu sein, und Art. 31, lit. 6, verweist bloss auf diese Kompetenz in Art 32bi8. Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit ist auf dem genannten Gebiete nur soweit ausser Wirksamkeit gesetzt, als der Bund von seiner Kompetenz dazu tatsächlich Gebrauch gemacht hat, d. h. also soweit er durch das in Ausführung des Art. 32bis der Bundesverfassung erlassene Alkoholgesetz aufgehoben ist.

Art. 17 des Alkoholgesetzes, der hier allein in Frage kommt, bestimmt, dass der Kleinhandel mit gebrannten Wassern nur mit Bewilligung der kantonalen Behörden und gegen Entrichtung einer der Grosse und dem Wert des Unsatzes entsprechenden kantonalen Verkaufssteuer ausgeübt werden kann. Die Besteuerung des Kleinhandels mit gebrannten Wassern als solche ist mit dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht in Widerspruch.

Die Kantone waren schon vor Aufnahme der Art. 32bl8 und 31, lit. ö, in die Bundesverfassung auf Grund der lit. e des Art. 31 B. V.

berechtigt, dieses Gewerbe mit einer besonderen Steuer zu belasten. Eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit wäre es aber, wenn jeder Kanton nicht nur diejenigen Handeltreibenden besteuern würde, die in seinem Gebiet ihre Geschäftsniederlassung haben, sondern alle, die auf seinem Gebiet Geschäfte betreiben, d. h. gebrannte Wasser verkaufen.

Durch diese Art der Besteuerung würde der Handel über die Kantonsgrenzen hinaus stärker belastet, als der Handel innerhalb der Kantonsgrenzen; das Absatzgebiet jedes Kantons würde, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, wirtschaftlich von dem der andern Kantone abgeschlossen. Derartige Erschwerungen des interkantonalen Verkehrs sind durch die Bundesverfassungen von 1848 und 1874 beseitigt worden. Im Gegensatz zum Handel im Umherziehen darf heute der sesshafte Handel nicht von jedem Kanton, auf den sich seine Geschäftsverbindungen erstrecken, mit Gewerbesteuern belastet werden, sondern nur von dem Kanton -- und zwar für den ganzen Umsatz --, in dem sich der Sitz des Geschäftes befindet. Weder die Entstehungsgeschichte noch der Wortlaut des Gesetzes rechtfertigen die Annahme, dass durch die in Art. 17 des Alkoholgesetzes aufgestellte Vorschrift ein Eingriff in diesen Grundsatz der interkantonalen Freizügigkeit und damit in den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit
beabsichtigt war. Aber ganz abgesehen von der Entstehungsgeschichte und vom Wortlaut des Gesetzes spricht gegen diese Annahme auch die sachliche Erwägung, dass es zu einer offenbaren Rechtsungleichheit führt, wenn der interkantonale Handel, lediglich weil

351 er die Kantonsgrenze überschreitet, stärker belastet wird, als der ebenso intensive kantonale. Die Höhe der Besteuerung würde also zum Teil nach der örtlichen Ausdehnung der Geschäftsbeziehungen, statt ausschliesslich nach dem wirklichen Warenumsätze, abgestuft, wie das Gesetz es verlangt. Art. 17 des Alkoholgesetzes wollte auf die interkantonale Freizügigkeit der Waren nicht zurückkommen, sondern lediglich darin über das bisherige Recht hinausgehen, dass die Kantone nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sein sollten, den Kleinhandel mit gebrannten Wassern zu besteuern, und dass die Höhe der Besteuerung nach der Grosse und dem Wert des Umsatzes bemessen werden sollte. · Das sind die Erwägungen, die uns bei unserem Entscheide geleitet haben. Ihre Einwendungen dagegen scheinen uns nicht entscheidend zu sein.

Das Gesetz spricht allerdings von der Bewilligung ,,der kantonalen Behörden", aber nicht im Zusammenhang mit der Frage, wo der Kleinverkäufer verpflichtet sei, eine Bewilligung nachzusuchen ; das Gesetz lässt diese Frage offen, indem es ganz allgemein sagt, der ,,Kleinhandel könne nur mit Bewilligung der kantonalen Behörde und unter Entrichtung einer Steuer ausgeübt werden. Dafür ist aber auch gesorgt, wenn der Händler am Orte seiner Geschäftsniederlassung eines Patentes bedarf und einer Patentsteuer unterworfen ist.

Es mag auf den ersten Blick richtig scheinen, dass unsere Auslegung der ßedürfnisklausel (Art. 31, lit. c) die Kantone in ihrem Recht zur Beschränkung des Kleinverkaufs gebrannter Wassei' beeinträchtige und sie in ihren Bestrebungen, dem Missbrauch starker Getränke zu steuern, durchkreuze. Allein, bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass dem nicht so ist. Die Bedürfnisklausel, die -- wie ihre Entstehungsgeschichte dartut -- nur auf den Wirtschaftsbetrieb und den Verkauf über die Gasse gemünzt war, ist in Wirklichkeit, ihrer Natur nach, auf den Distanzhandel offenbar gar nicht anwendbar. Denn da alle Handeltreibenden des ganzen Kantons nach allen Gemeinden des Kantons ihre Waren versenden können, kann die Zahl derjenigen, die &n die Bewohner einer Ortschaft gebrannte Wasser verkaufen, nicht nach dem Bedürfnis dieser Ortschaft beschränkt werden.

Die Ausschliessung der ausserkantonalen Händler würde also einer Begünstigung der im Kanton niedergelassenen gleichkommen ; eine Beschränkung nach dem Bedürfnis würde dadurch aber nicht bewirkt. Wenn sich aber der Distanzhandel der Anwendung der

352

Bedürfnisklausel entzieht, dürfen nicht ausserkantonale Händler mit Berufung auf diese Klausel schlechter gestellt werden, als die im Kanton niedergelassenen.

II.

Über die hygienische und volkswirtschaftliche Seite der Frage bemerken wir, dass der eidgenössische Gesetzgeber im Alkoholgesetz selbst keine Vorschriften zum Schutze der öffentlichen Gesundheit aufgestellt hat; er wollte die Regelung dieser Seite des Privathandels auch weiterhin den Kantonen überlassen. Der Bundesrat hat deshalb das waadtländische Gesetz betreffend das Verbot des Kleinverkaufs von Absinth, auf das Sie in Ihrer Eingabe noch besonders verweisen, als nicht verfassungswidrig erklärt. Dagegen ist die Argumentation, der Bundesrat habe in diesem Rekursentscheid das Recht der Kantone, den Verkauf gebrannter Wasser für ihr Gebiet ganz zu untersagen, anerkannt, unzutreffend. Der Bundesrat hat den Rekurs, gestutzt auf die durch Sachverständige festgestellte Tatsache, abgewiesen, dass der Absinth schädlicher und für die Volksgesundheit gefährlicher ist, als andere Liköre. Die Beantwortung der Frage, ob es den Kantonen gestattet wäre, den Kleinverkauf gebrannter Wasser überhaupt als gesundheitsschädlich zu verbieten, wurde dabei ausdrücklich offen gelassen. Wir verweisen auf den im Bundesblatt 1907, II, 401 ff'., publizierten Entscheid. Jetzt, nachdem das Bundesgesetz über die Lebensmütelpolizei und seine Vollziehungsverordnungen in Kraft getreten sind, haben die Kantone das Recht, besondere Vorschriften auf diesem Gebiete zu erlassen, nicht, und sie bedürfen es auch nicht mehr, da die eidgenössische Gesetzgebung in genügender und wirksamerer Weise, als die kantonale bisher, für die öffentliche Gesundheit sorgt. Sollten aber aus andern Kantonen geistige Getränke eingeführt werden, die den eidgenössischen Vorschriften widersprechen, so könnte sie der Kanton, nach dem sie versandt worden sind, mit Beschlag belegen. Dagegen wäre es nach der einheitlichen Ordnung dieses Gegenstandes eine übertriebene und sachlich nicht gerechtfertigte Einschränkung des interkantonalen Handels, wenn der in einem Kanton niedergelassene Geschäftsmann allen Erfordernissen, die irgend ein Kanton zur Erlangung eines Kleinverkaufspatentes aufstellt, genügen tnüsste, auch wenn seine Waren den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.

Wir verkennen nicht die wohltätige Wirkung der von Ihnen bis jetzt befolgten Praxis ; sie ist geeignet, den^ Vertrieb von

353 Spirituosen und dadurch auch den Konsum einzudämmen, was gewiss nur zu begrüssen ist. Wir würden auch keineswegs der Besteuerung als solcher, wegen ihrer Höhe und wegen der dadurch bewirkten Erschwerung des Verkaufes, entgegentreten.

Dagegen erscheint uns der von Ihnen befolgte Weg nicht gesetzmässig und auch, abgesehen vom gegenwärtigen Gesetz, nicht richtig zu sein. Wir sind gerne bereit, Vorschläge Ihrerseits über die wirksame Besteuerung des Kleinhandels mit gebrannten Wassern entgegenzunehmen und zu prüfen. Ohne nähere Untersuchungen angestellt zu haben, können wir keine positiven Vorschläge machen.

Wir bemerken nur, dass der interkantonale Wirtschaftsbetrieb in Restaurationswagen dem vorliegenden Fall nicht analog ist, weil damals feststand, dass jeder Kanton, in dem die Wirtschaft betrieben wird, patentsteuerberechtigt ist und nur die mehrfache Besteuerung zu vermeiden war, während beim Kleinverkauf von gebrannten Wassern nur der Kanton der Geschäftsniederlassung als patentsteuerberechtigt angesehen werden kann.

(Vom 15. Februar 1910.)

Es werden folgende Bundesbeiträge zugesichert: 1. Dem Kanton Seh ä f f h a u s e n an die zu Fr. 8000 veranschlagten Kosten für Erstellung einer Waldstrasse auf den Randen, Gemeinde Merishausen, 20°/o, im Maximum Fr. 1600.

2. Dem Kanton W al lis an die zu Fr. 1800 veranschlagten Kosten für Lawinenverbauungsarbeiten auf Gebiet der Gemeinde Chamoson, 80°/o, im Maximum Fr. 1440.

Zum katholischen Feldprediger des Infanterieregiments 34 (mit Hauptmannsrang) wird ernannt: Pfarrer W i c h t , Ernst,, von Senèdes (Freiburg), in Colombier.

(Vom 18. Februar 1910.)

Herrn Emmanuel B o u r g e o i s wird das Exequatur erteilt als Konsul von Grossbritannien für den Kanton Genf, mit Sitz in Genf.

354

Oberstlieutenant Eugen C u r t i wird unter Verdankung der geleisteten Dienste vom Kommando des Infanterieregiments 38 entlassen und unter die nach Art. 51 der Militärorganisation zur Verfügung des Bundesrates stehenden Offiziere versetzt.

An dessen Stelle wird zum Kommandanten des Infanterieregiments 38 ernannt : Oberstlieutenant T r a i n e , Eugen, von Oberhofen (Thurgau), in St. Gallen.

"Wahlen.

(Vom 15. Februar 1910.)

Post- und Eisenbahndepartement.

Postverwaltung.

Posthalter in Kandergrund: Stoller, Rosa, von Kandergrund (Bern), Postgehülfin in Kandergrund.

Postcommis in Liestal: Frey, Fritz, von Griebenach (Baselland), Postaspirant in Liestal.

Postcommis in Aarau : Hunziker, Hans, von Zofingen (Aargau), Postaspirant in Brugg.

Postverwalter in Emmenbrücke : Jans, Johann, von Gelfingen (Luzern), Postcommis in Luzern.

Telegraphenverwaltung.

Telephongehülfe II. Kl. in Basel : Schönmann, Fritz, von Niederbipp, Telegraphist in Basel.

Telegraphist in Emmenbriicke : Jans, Johann, von Gelfingen (Luzern), Postverwalter in Emmenbrücke.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1910

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

08

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

23.02.1910

Date Data Seite

349-354

Page Pagina Ref. No

10 023 660

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.