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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs

des Louis Alfred Jaquet, Bankagenten

in

St. Immer, betreffend den Vertrieb von Prämienlosen auf dem Wege des Hausierhandels.

(Vom 15. März 1897.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über den Rekurs des Louis Alfred. J a q u e t , Bankagenten in St. Immer, betreffend den Vertrieb von Prämienlosen auf dem Wege des Hausierhandels, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Louis Alfred Jaquet in St. Immer ist als Generalagent der Caisse provinciale in Paris von dieser damit betraut worden, Obligationen des Crédit foncier de France, der Stadt Paris etc. auf Abschlagszahlungen hin zu verkaufen.

II.

Nachdem Jaquet zu wiederholten Malen wegen des Vertriebes dieser Obligationen bei Privatpersonen des Berner Jura zu Geldbußen verfällt worden war, erhob er beim ßegierungsrat des Kantons Bern Beschwerde über das gegen ihn beobachtete Verfahren

181 und stellte das Begehren, es möchte ihm die weitere Ausübung jener Handelsthätigkeit gestattet werden, die er als seinen gesetzmäßigen Erwerb betrachte.

in.

Durch Entscheid vom 16. Januar 1897 wies der Regierungsrat den Rekurs, gestützt auf folgende Erwägungen, als unbegründet ab : Der Vertrieb von Prämienwerten bildet seiner Natur nach nicht ein ,,Aufsuchen von Bestellungen"' im Sinne des Bundesgesetzes über die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24. Juni 1892 ; es kann also an Jaquet weder gratis, noch gegen Bezahlung eine Ausweiskarte für Handelsreisende ausgestellt werden. Der Vertrieb von Prämienwerten, das Feilbieten von solchen von Haus zu Haus muß unter die ,,Gewerbebetriebe im Umherziehen'1 und im besondern, im Sinne von Art. 3, Nr. l, litt, a, des kantonalen Gesetzes über den Marktverkehr und den Gewerbebetrieb im Umherziehen vom 24. März 1878, als Hausierhandel betrachtet werden.

Nach den Bestimmungen von Art. 4 jenes Gesetzes kann diese Art des Gewerbebetriebes nicht ohne Patent ausgeübt werden.

Für den hausiermäßigen Vertrieb von Prämienwerten aber werden grundsätzlich aus Gründen der Volkswohlfahrt Patente nicht ausgestellt.

IV.

Gegen diesen Entscheid erhob Jaquet unterm 27. Januar 1897 Rekurs an den Bundesrat, indem er das Begehren stellte, seinen Beruf als Agent, den er seit mehr als 12 Jahren betreibe, frei ausüben zu dürfen, und beifügte, andere Agenten thäten dasselbe, ohne darin behindert zu werden.

V.

In seiner Vernehmlassung vom 3. März 1897 führt der Regierungsrat aus, nach dem "Wortlaut von Art. 7 des kantonalen Gesetzes vom 24. März 1878 sei er befugt, ,,solche Hausiergewerbe, deren Betrieb im allgemeinen in Bettel, Prellerei und Belästigung des Publikums ausartet oder der Volkssitte widerspricht, gänzlich zu untersagen"1. Der hausiermäßige Vertrieb von Prämienwerten erscheine nun aber in der That als ein Gewerbe, welches nicht sämtliche erforderlichen Sicherheitsgarantien biete, und arte sehr oft, namentlich beim ratenweisen Betrieb, in Prellerei aus -y

182 durch Vorspiegelung eines leichten, nur vom Zufall abhängigen Gewinnes werde bei dieser Art von Hausierhandel das Publikum zu unüberlegten und leichtsinnigen Ausgaben verleitet.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

1.

Der Vertrieb von Prämienlosen durch Feilbieten von Haus ·/u Haus, wie Rekurrent ihn ausübte,- stellt sich als Hausierhandel dar. Das Bundesgesetz über die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24. Juni 1892 findet demnach auf denselben keine Anwendung; dasselbe behält vielmehr in Art. 9 die Gesetzgebung über das Feilbieten von Waren auf den Marktplätzen oder im Umherziehen (Etalage und Kolportage) den Kantonen vor.

2.

Das bernische Gesetz über den Marktverkehr und den Gewerbebetrieb im Umherziehen (Hausieren) vom 24. März 1878 überträgt dem Regierungsrat die Befugnis, ,,solche Hausiergewerbe, deren Betrieb im allgemeinen in Bettel, Prellerei und Belästigung des Publikums ausartet oder der Volkssitte widerspricht, gänzlich zu untersagen".

Von dieser Befugnis hat der Regierungsrat Gebrauch gemacht, als er dem Rekurrenten die Ausstellung des für Ausübung dieses Hausiergewerbes gesetzlich vorgeschriebenen Patentes verweigerte.

3.

Der Bundesrat kann in dieser Verweigerung keine Verletzung des verfassungsmäßigen Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit erblicken. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Feilbieten von Obligationentiteln, speciell von Prämienobligationen, nicht nur keinem wirklichen Bedürfnis entspricht, sondern sogar vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus entschieden Gefahren in sich birgt. Durch die Hoffnung auf mühelosen Gewinn werden in Finanzsachen nicht erfahrene Personen durch Vermittlung von Agenten zum Ankauf von Werttiteln verlockt, welche in Wirklichkeit nur sehr unvorteilhafte Geldanlagen darstellen. Überdies ist es für die Behörde außerordentlich schwierig, die Art der dem Publikum feilgebotenen Titel und die Bedingungen des Verkaufs-

183 abschlusses zu überwachen, und es steht deshalb sehr zu befürchteu, daß dieses Gewerbe in Prellerei ausarte. Der Regierungsrat bemerkt also mit Recht, daß diese Art von Waren zum Feilbieten im Umherziehen nicht geeignet sei; das von der genannten Behörde erlassene Verbot ist darum im Interesse der Volkswohlfahrt gerechtfertigt und steht nicht im Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung.

Demnach wird beschlossen: Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 15. März 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Kingier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Louis Alfred Jaquet, Bankagenten in St. Immer, betreffend den Vertrieb von Prämienlosen auf dem Wege des Hausierhandels. (Vom 15.

März 1897.)

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24.03.1897

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