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Bericht der

Mehrheit der nationalräthlichen Kommission, betreffend den "Rekurs der Eheleute Emmenegger, von Schupf heim (Luzern), in Bukten (Basel-Landschaft), wegen Niederlassungsverweigerung.

(Vom 3. Mai 1882.)

Tit.

Als sich bei'r ersten Behandlung des Emmenegger-Rekurses, am 24. Januar dieses Jahres, verschiedene Ansichten im Schöße des Nationalrathes kund gaben, beschlossen Sie, den Gegenstand zu verschieben, bis über die t h a t s ä c h l i c h e n Verhältnisse desselben ein gedruckter Bericht des Bundesrathes vorliege.

Ein solcher Bericht wurde nun unterm 17. April ausgetheilt.

Der Bundesrath beschränkte denselben nicht auf eine- Darstellung der thatsächlichen Verhältnisse, sondern knüpfte, mit Berufung auf die prinzipielle Wichtigkeit der Frage, verfassungsrechtliche Erörterungen daran, welche dahin zielen, seinen Standpunkt gegenüber der Auffassungsweise der Kommissionsmehrheit zur Geltung zu bringen.

Wenn wir in der Sache selbst mit der bundesräthlichen Ansicht nicht einig gehen können, so sind wir dagegen allerdings einverstanden, daß im vorliegenden Falle ein sehr wichtiges verfassungsmäßiges Prinzip in Frage steht; nach unserm Erachten handelt es sich sogar darum, ob die eidgenössischen Räthe eine der wesentlichsten Errungenschaften der Bundesrevision von 1874 wieder preisgeben sollen oder nicht.

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Mit Rücksicht hierauf hat die Kommissionsmehrheit beschlossen, ihre Anschauungsweise ebenfalls in einem gedruckten Berichte niederzulegen, weil ihr daran liegt, dieselbe genau und unzweideutig zu fixiren und jede Verantwortlichkeit von sich abzulehnen für eine Interpretation, welche nach ihrer Ueberzeugung das Niederlassungsrecht, wie es durch die Bundesverfassung von 1874 ge,schaffen wurde, geradezu beseitigt.

Gerne wollen wir anerkennen, daß der Fall Bmmenegger sich unter thatsächlichen Verhältnissen präsentirt, welche einen für die Rekurrenten wenig günstigen Eindruck hervorrufen, und diesem übeln Eindrucke allein -- nicht etwa reaktionären Tendenzen -- schreiben wir es zu, daß eine so irrige Anwendung des Niederlassungsrechts Platz greifen konnte. Es mag sein, daß die Eheleute Emmenegger durch ihr Verhalten den Behörden von Baselland lästig fallen, und wir begreifen vollkommen ihr Bestreben, derselben los zu werden. Allein, wo es sich um verfassungsmäßig garantirle Rechte der Schweizerbürger handelt, müssen solche persönliche und Opportunitäts-Rücksichten in den Hintergrund treten, und gerade in Fällen dieser Art muß sich die Kraft und Wahrheit der Verfassung erproben; sie allein darf uns leiten in der Vielgestaltigkeit der vorkommenden Fälle.

Zu der vorliegenden Frage selbst übergehend, gedenken wir: I. die t h a t s ä c h l i c h e Darstellung des bundesräthlichen Berichtes nicht eingehend zu besprechen; dieselbe ist den Angaben der basellandschaftlichen Regierung entnommen und wir haben keinen Grund, deren Richtigkeit zu bezweifeln. Immerhin erscheint es angezeigt, das W e s e n t l i c h e der Thatsachen auseinanderzuhalten von den bloßen A u s s c h m ü c k u n g e n , die zur Beurtheilung des Falles nichts beitragen. Wenn z. B. des Einläßlichsten von einer Untersuchung gesprochen wird, welche gegen Frau Emmenegger wegen An- und Verkauf von Seide-Abfällen geführt worden, so verliert diese Untersuchung jede Bedeutung angesichts der daraufhin erfolgten Freisprechung. Wer von einer Anklage freigesprochen oder aus einer Strafuntersuchung entlassen ist, der muß als unschuldig gelten und darf nicht nachträglich wegen der ausgestandenen Untersuchung noch verdächtigt werden.

Dagegen steht fest, und dieß ist das Wesentliche in der Sache, daß der Ehemann Jakob Emmenegger zweimal bestraft worden
ist, nämlich : a. den 10. Dezember 1870 wegen Hehlerei zu SVa Monaten Kettenstrafe II. Grades, mit Verlust der bürgerlichen Ehrenfähigkeit, und b. am 25. Oktober 1877 wegen Körperverletzung zu 3 Monaten Gefängniß. Hätte es bei dem Entzuge der

836 bürgerlichen Ehrenrechte gemäß dem ersterwähnten Strafurtheile sein Bewenden gehabt, so würden uns die gegenwärtigen Erörterungen erspart geblieben sein, denn alsdann hätte Absatz 2 des Art. 45 der Bundesverfassung seine Anwendung gefunden und danach dem Emmenegger nicht bloß die Niederlassung in Läufelfingen e n t z o g e n , sondern auch die Niederlassung in einer andern Gemeinde (außer der Heimat) v e r w e i g e r t werden können. Allein dieser durchschlagenden Waffe haben sich die basellandschaftlichen Behörden selbst freiwillig begeben, indem der Landrath durch Beschluß vom 1. November 1875 den Emmenegger r e h a b i l i t i r t e und damit die bürgerlichen Ehrenfolgen jenes Urtheils aufhob. Es lag also damals vollständig in der Hand des Landrathes, dem Emmenegger den Aufenthalt im Kanton unmöglich zu machen, und wenn er es nicht that, wenn er Gnade für Recht ergehen ließ, so darf daraus wohl der Schluß gezogen werden, daß die G e m e i n g e f ä h r l i c h k e i t der Eheleute Emmenegger keineswegs so n o t o r i s c h war, wie man nun darzustellen versucht. Jedenfalls haben es die basellandschaftlichen Behörden sich selbst zuzuschreiben, wenn nunmehr nicht Lemma 2, sondern bloß Lemma 3 des Art. 45 der Bundesverfassung auf die Rekurrenten Anwendung findet. Nach diesem Lemma 3 konnte ihnen allerdings die Niederlassung in Läufelfingen wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung entzogen, aber, wie wir sehen werden, nicht die Niederlassung in einer andern Gemeinde des Kantons verweigert werden.

Im Uebrigen beschränken wir uns auf zwei thatsächliche Berichtigungen : 1. Der bundesräthliche Bericht sagt, Seite 1, die Eheleute Emmenegger seien durch Beschluß der basellandschaftlichen Regierung vom 19. Juni 1880 ,, a u s dem d o r t i g e n K a n t o n " ausgewiesen worden. Dieß ist faktisch ungenau : die Ausweisung erfolgte nicht aus dem K a n t o n , sondern aus der G e m e i n d e L a u f elf i n g e n . (Siehe Bundesrathsbeschluß vom 30. Juli 1881 und die bezüglichen Ausweisungsbeschlüsse.)

2. Allerdings wurde der damalige Rekurs gegen den Entzug der Niederlassung in Läufelfingen von der Bundesversammlung unterm 30. April 1881 abgewiesen, und zwar mit vollem Rechte.

Allein der bundesräthliche Bericht vergißt, die sehr erhebliche Einschränkung zu erwähnen, die dem Beschlüsse beigefügt
wurde und uns auch im gegenwärtigen Stadium zur Anleitung dienen muß.

Das Protokoll des Nationalrathes über die damalige Rekursverhandlung sagt nämlich ausdrücklich: ,, D a b e i w a l t e t ü b r i g e n s die Meinung, daß die Eheleute Emmenegger nur als

837 aus der G e m e i n d e L a u f e l f i n g e n , nicht aber überhaupt aus dem Kanton Base H a n d w e g g e w i e s e n zu betrachten seien. u (Protokoll des Nationalrath.es vom 30. April 1881.) Sowohl die damalige Kommission (Teuscher, Lutz, de Werra), als auch die Versammlung selbst sprach sich also damals schon in unsenn Sinne aus Denn gegenwärtig stehen wir eben vor der Frage: ob infolge des Entzuges der Niederlassung in Läufelfingen den Eheleuten Emmenegger die Niederlassung in einer andern Gemeinde des Kantons Baselland verweigert werden dürfe?

H. Der bundesräthliche Bericht bedient sich einer eigenthümlichen Ausdrucks weise, wenn er (Seite 5) bemerkt: ,,Nach der Kommission des Nationalrath.es wäre das Niederlassungsrecht den .Schweizerbürgern n i c h t m e h r von Kanton zu Kanton, wie unter der Verfassung von 1848, sondern b l o ß von Gemeinde zu Gemeinde gewährleistet." Durch diese Wendung, nämlich durch die Versetzung des Wörtchens ,,bloß" an die unrechte Stelle, sucht man also die Kommission in den Verdacht zu bringen, als strebe sie, das Niederlassungsrecht e i n z u s c h r ä n k e n , während im Gegentheil dieser Vorwurf an die gegnerische Adresse gehört.

War es dem Verfasser der bundesräthlichen Vorlage darum zu thun, den hierseittgen Standpunkt richtig zu stellen, so mußte er umgekehrt sagen : ,,Nach der Kommission des Nationalrathes wäre das Niederlassungsrecht den Schweizerbürgern nicht mehr b l o ß von Kanton zu Kanton, wie unter der Verfassung von 1848, sondern a u c h von Gemeinde zu Gemeinde gewährleistet."

In der That behaupten wir : 1) Während die Bundesverfassung von 1848 das Niederlassungswesen bloß i n t e r k a n t o n a l regulirte, hat diejenige von 1874 ein schweizerisches Niederlassungsrecht geschaffen, welches f ü r d a s g a n z e G e b i e t d e r E i d g e n o s s e n s c h a f t , von Ort zu O r t , Geltung hat und zu den g a r a n t i r t e n R e c h t e n d e r S c h w e i z e r b ü r g e r zählt.

2) Der Entzug der Niederlassung in einer Gemeinde involvirt nicht ohne weiters auch die Ausweisung aus dem betreffenden Kanton; die Niederlassung in einer a n d e r n Gemeinde dieses Kantons kann vielmehr bloß im Falle von Absatz 2 des Art. 45 der Bundesverfassung verweigert werden, in dem Falle nämlich, wenn der Betreffende infolge eines strafgerichtlichen Urtheils nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren ist.

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Diese Sätze sind ebensosehr im W o r t l a u t e , wie im S i n n und G e i s t der Bundesverfassung begründet.

1) Was den Wortlaut anbetrifft, so ist die Verschiedenheit des Textes von 1848 von dem gegenwärtigen sehr bemerkenswerth.

Während es dort heißt : ,,Keinem Schweizer kann die Niederlassung in i r g e n d e i n e m K a n t o n e verweigert werden, wenn er folgende Ausweisschriften besitzt,"· etc., und überhaupt im ganzen Art. 41 stets von den Kantonen die Rede ist, sagt dagegen der jetzige Art. 45: ,,Jeder Schweizer hat das Recht, sich innerhalb des schweizerischen Gebietes an j e d e m O r t e niederzulassen, wenn er einen Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift besitzt."1 Der frühere Art. 41 handelt (Ziffer 6) von den Gründen, welche die Weg w e i s u n g aus dem K a n t o n rechtfertigen ; der gegenwärtige Art. 45 dagegen, anschließend an den ersten Satz, die Niederlassung an j e d e m O r t e betreffend, führt in Absatz 2 und 3 die Gründe an, aus denen die Niederlassung v e r w e i g e r t oder e n t z o g e n werden kann. Zwischen V e r w e i g e r u n g und E n t z u g der Niederlassung wird aber ausdrücklich unterschieden, und daß diese Unterscheidung keine bloß zufällige, sondern eine absichtliche und wissentliche war, ergibt sich daraus, daß die Worte v e r w e i g e r t und e n t z o g e n jeweilen durch Unterstreichung resp. gesperrten Druck hervorgehoben sind. Es gibt nur e i n e n Fall, in welchem die Niederlassung v e r w e i g e r t oder e n t z o g e n werden kann: wenn der Niederlassungsbewerber infolge eines strafgerichtlichen Urtheils nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren ist. (Lemma 2 des Art. 45.) Dagegen kann die bereits erworbene Niederlassung noch in zwei weitern Fällen e n t z o g e n werden, nämlich: a. wenn der Niedergelassene wegen schwerer Vergehen wiederholt bestraft worden ist, und b. wenn er dauernd der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fällt.

(Absatz 3 des Art. 45.)

Man hat es auffallend oder gar einen Widerspruch darin finden wollen, daß der Entzug einer einmal erworbenen Niederlassung leichter, d. h. in mehr Fällen statthaft sei, als die Verweigerung einer neu zu erwerbenden Niederlassung. Allein mit Unrecht; denn diese Unterscheidung ist, wie wir sehen werden, durchaus konform dem Gedanken, der die Reform des
Niederlassungswesens beherrscht hat. Dieser Gedanke war: Es kann ein Niedergelassener durch ärgerliches oder strafwürdiges Betragen an seinem bisherigen Wohnorte und bei seiner unmittelbaren Umgebung sich unmöglich gemacht und seine fernere Duldung verwirkt haben; damit soll ihm

839 aber°die Möglichkeit nicht benommen sein, an einem andern Orte, wo er noch keinen Anlaß zum Haß oder zur Verachtung gegeben hat, eine Existenz zu finden und ein neues, besseres Leben anzufangen. Und vor allem aus wollte man verhindern, daß der Ausgewiesene nun für alle Zukunft in seine Heimatgemeinde festgebannt sei, wo vielleicht für ihn alle Existenzbedingungen mangeln und ein ehrliches Auskommen abgeschnitten ist.

2) Es will uns scheinen, der Wortlaut des Art. 45 der Bundesverfassung sei klar und bedürfe keines weitern Kommentars.

Geht man aber weiter und forscht nach S i n n und A b s i c h t der eidgenössischen Räthe, welche die Bestimmungen über das Niederlassungswesen aufgestellt haben, so findet man in ihren Revisionsverhandlungen die unabweisliche Bestätigung des Gesagten.

Vor dem Jahre 1848 bestanden keine gemeineidgenössische Vorschriften über die Niederlassung der Schweizer in andern Kantonen, denn im Gegensatz zur helvetischen und Médiations-Verfassung, welche freies Niederlassungsrecht der Schweizer für die ganze Schweiz garantirten, enthielt der Bundesvertrag von 1815 gar keine Bestimmungen darüber und überließ es daher den Kantonen, darin nach eigenem Ermessen zu schalten und zu walten.

Dieß gab die Veranlaßung zu dem Konkordat vom 19.. Juli 1819, welches bis l848 zwischen l2 Kantonen Regel machte und für die gegenseitige Gestattung der Niederlassung einen Heimatschein, ein Zeugniß guten Leumundes, die Bescheinigung, daß der Niederlassungsbewerber eigenen Rechtes sei, und den Ausweis darüber forderte, daß er sich und die Seinigen zu ernähren vermöge; ferner wurde Zurückweisung in die Heimat gestattet, wenn der Niedergelassene sich eines unsittlichen Lebenswandels schuldig mache oder durch Verarmung zur Last falle.

Bei'r B u n d e s r e f o r m von 1848 begnügte man sich damit, die, Grundsätze des Konkordates auf die ganze Schweiz auszudehnen und daneben den Niedergelassenen auch politische Rechte in eidgenössischen und kantonalen Angelegenheiten einzuräumen.

Es ist deßhalb nicht zu verwundern, wenn bei dem Aufschwung, den das Verkehrsleben durch die Eisenbahnen u. s. w. nahm, schon nach kurzer Zeit gerade der Niederlassungsartikel am meisten als hinter den Anforderungen der Gegenwart zurückgeblieben und durchgreifender Aenderungen bedürftig erschien.

Im Jahre 1866 war
von den 9 Revisionsartikeln der Niederlassungsartikel der einzige, welcher vom Volke angenommen wurde.

Durch denselben wurde nicht nur die Zurücksetzung der Israeliten und naturalisirten Schweizer aufgehoben, sondern auch das Requisit

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eines A u s w e i s e s darüber, daß der Niederlassungsbewerber durch Vermögen, Beruf und Gewerbe sich und seine Familie zu ernähren im Stande sei, gestrichen.

Die Erweiterung und festere Normirung des Niederlassungsrechtes auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft gehörte aber zu denjenigen Gegenständen, welche fortwährenden Anlaß zu neuen Revisionsversuchen gaben.

In der (freilich mißlungenen) B u n d e s r e v i s i o n v o n l 8 7 2 wurden die Bedingungen des Erwerbes und Entzuges der Niederlassung wesentlich vereinfacht. Der Art. 41 erhielt folgende abgekürzte Redaktion : ,,Jeder Schweizer hat das Recht, sich innerhalb des schweizerischen Gebietes an j e d e m O r t e niederzulassen, wenn er einen Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift besitzt. Ausnahmsweise kann die Niederlassung v e r w e i g e r t oder e n t z o g e n werden : 1) Denjenigen, welche infolge eines strafgerichtlichen Urtheiles nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren sind.

2) Denjenigen, welche dauernd der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen und deren Heimatgemeinde bezw. Heimatkanton eine angemessene Unterstützung trotz amtlicher Aufforderung nicht gewährt.ct Nach diesem Entwurfe gab also wiederholte Bestrafung ohne Ehrenverlust keinen Grund zum Entzug der Niederlassung.

Die vorberathenden Commissionen der beiden Räthe gingen noch weiter, indem sie den strafgerichtlichen Ehrenvevlust entweder gar nicht oder doch nur dann als Grund zum Entzug der Niederlassung wollten gelten lassen, wenn er ,,seit d e r N i e d e r l a s s u n g " 1 eingetreten war. So äußerte der Präsident der nationalräthlichen Commission (Philippin): ,,Als neues und bedeutsames Prinzip erscheine die Bestimmung, welche die Wegweisung der Niedergelassenen erschwere, welche namentlich auch den Verbrecher nicht an seine heimatliche Scholle binde, da er gerade am Orte seiner Infamie wohl selten mehr sich aufzuraffen vermöge, sondern nur immer tiefer sinken müßte.tt (Commissionsverhandlungen, Seite 119.)

Der Referent der ständeräthlichen Commission (Kappeier) sodann bemerkte: ,,Wenn man nun auch mit den diesfälligen Anträgen der nationalräthlichen Commission ira Ganzen sich einverstanden erklären könne, so seien dieselben nichtsdestoweniger noch wesentlicher Verbesserungen fähig. So namentlich bleibe die Möglichkeit der Wegweisung durch strafgerichtliches Urtheil und im Falle der

841 Verarmung fortbestehen und für die große Klasse der sogenannten Aufenthalter gewähre der Entwurf keine politische Berechtigung und verweise blos auf die Bundesgesetzgebung. Der Referent halte dafür, daß endlich der Begriff der unbedingten Niederlassung -- der Begriff des schweizerischen Bürgerrechts -- voll in das Leben eingeführt werden solle. Diese Forderung sei wohl nicht verfrüht, wenn man bedenke, daß sie in der helvetischen Verfassung schon einmal verwirklicht gewesen, -- daß die Mediation den Gedanken noch kräftig betont, und daß die Verfassung von 1848 das schon wieder verloren gegangene Nationalprinzip wenigstens theilweise, wenn auch unter ängstlichen Klauseln, neu in's Leben gerufen habe.

An der dritten Revision sei es nun, das erwähnte Prinzip bestimmt durchzuführen und dem Bürger das p e r s ö n l i c h e R e c h t zu wahren, daß er in seinem Lande nicht mehr von einzelnen Theilen desselben ausgeschlossen werden dürfe01 (Verhandlungen der ständeräthlichen Commission, pag. 4}. Demgemäß lautete sein Antrag: ,,Jeder Schweizer hat das Recht, innerhalb des schweiz e r i s c h e n G e b i e t s sich a n j e d e m O r t e a u f z u h a l t e n o d e r n i e d e r z u l a s s e n . Er steht in Bezug auf zivilrechtliche Verhältnisse und Besteurung unter dem Rechte und der Gesetzgebung des Wohnsitzes und genießt daselbst überhaupt die im Art. 42 den Schweizerbürgern zugesicherten Rechte. Ein Bundesgesetz wird bestimmen,, inwiefern wegen V e r a r m u n g eine Nichtaufnahme oder Rückweisung an den Heimatort des Niedergelassenen oder Aufenthalters stattfinden kann. Nach fünfjährigem Aufenthalte spätestens soll indessen die staatliche Unterstützungspflicht des Wohnortes Platz greifen" (1. c., pag. 5 unten). -- Blumer schlug folgende Fassung vor : ,,Jeder Schweizer hat das Recht, sich innerhalb des schweizerischen Gebiets an jedem Orte niederzulassen oder aufzuhalten. Ausnahmsweise kann unter den durch ein Bundesgesetz näher festzustellenden Bedingungen die Niederlassung und der Aufenthalt verweigert oder entzogen werden: a. im Falle des Verlusts der bürgerlichen Ehren und Rechte infolge krimineller Verurtheilung ; b. im Falle dauernder Unterstützungsbedürftigkeit a (1. c., pag. 6; vergi, auch das Votum des Herrn Scherer im Nationalrath vom 22. Februar 1872 über Art. 44; Revisionsverhandlungen,
pag. 548 und 549).

Wir wollen die verschiedenen Phasen der Berathung und Beschlußfassung nicht weiter verfolgen; es genügt uns, darauf hingewiesen zu haben, von welchem G e i s t e dieselben getragen waren.

Der verworfene Verfassungsentwurf von 1872 diente als Grundlage der Berathung bei'r Wiederaufnahme der B u n d e s r e v i si on im J a h r e 1873.

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842 Infolge der in beiden gesetzgebenden Käthen stattgefundenen Verhandlungen wurde nunmehr unterschieden zwischen den Gründen der V e r w e i g e r u n g und denen des E n t z u g e s der "Niederlassung: J e n e sollte nur zuläßig sein bei Schweizern, welche infolge strafgerichtlichen Urtheiles ihrer bürgerlichen Ehrenrechte verlustig sind ; der Entzug aber nicht nur in diesem Falle, sonderò auch bei denen, welche sonst wegen schwerer Vergehen wiederholt bestraft wurden, sowie wegen eingetretener Verarmung (Art. 45, früher 44).

Hiefür legt das Nationalrathsprotokoll vom 22. November 1873 bestimmtes Zeugniß ab, indem : a. der Antrag, den Mangel der bürgerlichen Rechte und Ehren infolge strafgerichtlichen Urtheils auch für den E n t z u g der Niederlassung gelten zu lassen, mit Mehrheit festgehalten; dagegen b. der Antrag, daß infolge w i e d e r h o l t e r g e r i c h t l i c h e r Bestrafung für Vergehen die Niederlassung verweigert werden dürfe, in Minderheit blieb (Protokoll über die Verhandlungen der eidgenössischen Rathe, pag. 124").

Die Revisionsberathungen von 1871/72 und 1873/74 lassen auch darüber keinen Zweifel, daß, während die Bundesverfassuag von 1848 die Niederlassung blos von K a n t o n zu K a n t o n regulirte, die nunmehrige Bundesverfassung auch das Niederlassungsrecht i n n e r h a l b des K a n t o n s garantirt. In der Sitzung des Nationalrathes vom 28. November 1871, aus welcher der damalige Art. 41, jetzige Art. 45 der Bundesverfassung hervorgegangen ist, wurde infolge einer aufgeworfenen Vorfrage ausdrücklich beschlossen, ,,daß es sich hierbei nicht nur um die interkantonale Niederlassung, s o n d e r n auch utn die N i e d e r l a s s u n g von G e m e i n d e zu G e m e i n d e h a n d e l n müsse."

Auch in den Berathungen von 1873/74 wurde dies wiederholt betont, so z. B. von Herrn Bundesrath Welti, der sich dahin äußerte : ,,Allerdings sei die Niederlassung zunächst ein interkantonales und nicht ein individuelles Recht. Aber man müsse eben die geeigneten Schritte thun, d a m i t sie zu einem i n d i v i d u e l l e n R e c h t e werde. Freilich seien hier größere Schwierigkeiten zu bekämpfen, als bei Zutheilung anderer Rechte an die Schweizerbürger, weil es hier die Engherzigkeit der Gemeinden zu überwinden gelte. Aber alle politischen Rechte bleiben doch nur tönendes
Erz, wenn man dem Bürger die Möglichkeit der Existenz nicht zu sichern im Stande sei.tt ,,Mache man die Niederlassung zu einem blos i n t e r k a n t o n a l e n Rechte, so unterstütze man damit 294,000 Seelen.

Gestalten wir es aber zum i n d i v i d u e l l e n Rechte um, so schütze

843 man 975,000 Seelen. Wenn der Berner nach Freiburg übersiedle, so stehe er unter allgemein eidgenössischem Rechte. Gehe er aber nach Burgdorf, so könne er sich nicht mehr auf die Bundesverfassung berufen. Ein solcher Z u s t a n d sei a b e r g ä n z l i c h u n h a l t b a r 1 ' (Protokoll über die Verhandlungen der eidgenössischen Räthe betreffend die Bundesrevision von 1873/74, pag. 106).

Dieser Gedanke, das Niederlassungsrecht zu einem i n d i v i d u e l l e n Rechte der Schweizerbürger im Gegensatz zum blos interkantonalen Rechte zu gestalten, beherrschte die ganze Diskussion (vergi, pag. 112, 113, 114, 119 1. c.) und fand seinen definitiven Abschluß in der Sitzung vom 21. November 1873, wo der Nationalrath das Prinzip feststellte, ,,die N i e d e r l a s s u n g als ein i n d i v i duelles R e c h t a u f z u f a s s e n (Protokoll, pag. 124).

Der Ständerath trat am 26. Januar 1874 dem Nationalrathsbeschlusse bei (1. c., pag. 371).

Ein fernerer Beweis dafür, daß das Niederlassungsrecht der Bundesverfassung von 1874 nicht blos zwischen den Kantonen unter sich, sondern auch in den Kantonen selbst Geltung hat, liegt in Lemma 4 des Art. 45, wonach ausnahmsweise in Kantonen, wo die örtliche Armenpflege besteht, die Gestattung der Niederlassung für Kantonsangehörige an die Bedingung geknüpft werden kann, daß dieselben arbeitsfähig und bisher nicht öffentlich unterstützt worden seien. Diese Ausnahmsbestimmung hätte keinen Sinn, wenn die Niederlassung blos interkantonal regulirt wäre, indem es ja den Kantonen freistünde, für die eigenen Angehörigen beliebige Niederlassungsrequisite aufzustellen, und sie h a t einen Sinn nur unter der Voraussetzung, daß die vorangestellten Grundsätze auch das Niederlassungswesen innerhalb der Kantone beschlagen.

Es war naheliegend, über die vorwürfige Frage auch schriftstellerische Autoritäten zu konsultiren. In Blu m e r - M o r e i (Handbuch des schweizerischen Bundesstaatsrechts) finden wir die vollständigste Bestätigung unserer Ansicht. Nicht nur figurirt die Niederlassung unter den ,,garantirten Rechten der Schweizerbürger", sondern es wird bündig nachgewiesen, ^daß die Eidgenossenschaft nun nicht mehr bloß, wie es nach dem Sinn und Geist des frühern Art. 41 und nach der Auslegung , die derselbe in der Praxis gefunden, der Fall war, die freie Niederlassung
der Schweizer von K a n t o n zu K a n t o n , sondern auch diejenige der Kantonsbürger i n n e r h a l b des K a n t o n s garantirtu (1. c. I, 306), und ebenso stimmt die Unterscheidung, die nach der jetzigen Fassung des Art. 45 zwischen dem E n t z u g und der V e r w e i g e r u n g der Niederlassung zu machen ist, in allen Punkten mit obiger Darstellung überein (Bd. I, 305 und 309).

Bundesblatt. 34. Jahrg. Bd. II.

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III. Man darf sich angesichts solcher Belege wohl billig verwundern, wenn der bundesräthliche Bericht aussprechen darf, die.

hierseitige Theorie verstoße gegen den Buchstaben und den Geist der Bundesverfassung (Seite 5). Wir halten uns für berechtigt, den Spieß umzukehren, zumal die Gründe, die der bundesräthliche Bericht für seine Theorie beibringt, nichts weniger als überzeugend sind. Und wenn sich dieser Bericht sogar zu dem Ausruf versteigt, ein Ausgang des Rekurses im Sinne der Commission würde fast in der ganzen Schweiz eine wahre U e b e r r as c h u n g, ja sogar eine e i g e n t l i c h e M i ß s t i m m u n g hervorrufen, so treten wir dieser ebenso gewagten wie unrichtigen Aeußerung mit einem formellen D e m e n t i entgegen.

Die Bestrebungen des Schweizervolkes nach einem freiem Niederlassungsrechte haben sich in den Revisionsverhandlungen von 1871/72 und von 1873/74 so unzweideutig kundgegeben, daß die Hinweisung auf die damaligen Voten allein schon genügt, um dieabsolute Grundlosigkeit jenes ,,geflügelten Wortes* klarzulegen.

Wenn sodann behauptet wird, die hierseitige Auslegung widerspreche einer k o n s t a n t e n P r a x i s , so wollen wir die Belege hiefür gewärtigen. Ist unter dieser Praxis diejenige der Bundesv e r s a m m l u n g verstanden, so verneinen wir ausdrücklich, daß sich dieselbe je im Sinne der gegenwärtigen bundesräthlichen Vorlage ausgesprochen habe. Im Gegentheil haben wir oben gesehen, daß schon im frühern Rekurs Emmenegger der Nationalrath sich zum voraus dahin aussprach, die Wegweisung aus der Gemeinde Läufelfingen sei nicht als eine Ausweisung aus dem Kanton Baselland zu betrachten. Und mehrere Rekurse aus der lezten Zeit,, wie z. B. der Rekurs Koch (Nationalralh, 26. April 1882), liefern den deutlichen Beweis, daß das Niedcrlassungsrecht nicht bloß als eine interkantonale, sondern auch als eine innerkantonale Angelegenheit im Sinne der Gewährleistung eines persönlichen Rechtes aufgefaßt wird.

Ist aber die Praxis des B u n d e s r a t h e s in seinem Berichte gemeint, so wäre es sehr zu bedauern, wenn im Schooße der obersten Exekutive eine Anschauung Wurzel gefaßt hätte, die mit der Bundesverfassung nicht vereinbar ist, und es tritt alsdann um so dringender an die Vertreter der Eidgenossenschaft die Pflicht heran, durch eine authentische Interpretation
diesem Widerspruch ein Ende au machen. Inzwischen wollen wir an eine solche abusivo Praxis nicht glauben , sondern annehmen , es müsse hier ein Mißverständniß obwalten.

Oder sollte am Ende gar die Praxis v o r 1874 gemeint und dem Verfasser des bundesräthlichen Berichts der prinzipielle Unter-

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schied zwischen der frühern und der jetzigen Bundesverfassung in der Niederlassungsfrage unbekannt geblieben sein?

Die bundesräthlicbe Argumentation gipfelt in dem Saze: der Art. 45 der Bundesverfassung sage nirgends, daß die Niederlassung eine k o m m u n a l e Angelegenheit sei; man sei daher berechtigt, sie als eine k a n t o n a l e anzusehen; die K a n t o n s r e g i e r u n g sei kompetent zur Ausweisung, wie sich namentlich aus Lemma 5, welches von der Verarmung handelt, ergebe. Daraus f o l g e , daß die Ausweisung aus einer Gemeinde die Ausweisung aus sämmtlichen Gemeinden des Kantons nach sich ziehe (Seite 5 und 6 des bundesräthlichen Berichts).

Wir halten diese Beweisführung nicht für schlüssig. Die Frage, ob die G e m e i n d e b e h ö r d e n oder die K a n t o n s r e g i e r u n g e n zu einer Ausweisung oder Niederlassungsverweigerung kompetent seien , hat mit der vorliegenden, welche keine formale, sondern eine materielle Frage ist, nichts zu thun. Es mag unbedenklich zugegeben werden, daß in Niederlassungssachen gegen die Verfügungen der Gemeindebehörden der Entscheid der Kantonsregierung angerufen werden kann, und daß diese (vorbehaltlich des Rekurses an die Bundesbehörden) den Konflikt beurtheilt; dies ist der regelmäßige und korrekte Verlauf dieser Angelegenheiten. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß die von einer Kantonsregierung bestätigte Aus w e i s ung aus e i n e r G e m e i n d e nun auch die A u s w e i s u n g aus dem g a n z e n K a n t o n , beziehungsweise a u s s ä m m t l i c h e n G e m e i n d e n d e s K a n t o n s nach sich ziehe oder rechtfertige; diese Schlußfolgerung ist rein willkürlich und durch nichts begründet. Im Gegentheil greift hier das Niederlassungsrecht der Bundesverfassung ein, wonach unter Umständen (Lemma 3 des Art. 45) die bisherige Niederlassung e n t z o g e n , dagegen aber der Erwerb einer neuen Niederlassung an einem andern Orte nicht v e r w e i g e r t werden kann. Wenn sich also eine Kantonsregierung beigehen läßt, die Ausweisung aus e i n e r G e m e i n d e in eine Ausweisung aus dem ganzen K a n t o n umzuwandeln, so wird die Rekursbehörde zu prüfen haben, ob nach Art. 45 der Bundesverfassung dieser Fall gegeben, die Voraussetzungen dazu vorhanden seien, und wenn nicht, den Rekurs gutheißen. Man wird demnach, ohne Rücksicht
auf den Instanzenzug, stets wieder auf die Vorschriften der Bundesverfassung verwiesen.

Allerdings gestaltet sich die Sache eigenthümlich im Falle g ä n z l i c h e r V e r a r m u n g . Hier wird, da der Zustand ein d a u e r n d e r und jeder andern Gemeinde gleich fühlbarer ist, der praktische Verlauf in der That zu einer Rückweisung in die Heimat führen. Darum ist aber auch diese Verarmungsfrage in Lemma 5

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besonders geordnet und zum Gegenstand der Verhandlung mit dem Heimatkanton gemacht worden, während es dagegen nach den oben zitirten Revisionsverhandlungen feststeht, daß wegen wiederholter Bestrafungen, welche den Verlust der bürgerlichen Ehren nicht zur Folge hatten, die neue Niederlassung an einem andern Orte n i c h t v e r w e i g e r t werden darf.

Aber soll denn ein mehrmals Bestrafter besser gehalten sein, als ein bloß Verarmter? fragt der bundesräthliche Bericht, und wir können von unserm Standpunkte aus nicht anders, als diesem Ausrufe beistimmen. Leider verhält es sich aber so und zwar aus dem einfachen Grunde, weil beinahe ausnahmslos in allen Kantonen (außer Bern) die Armenpflege nach dem b ü r g e r l i c h e n oder H e i m a t s p r i n z i p e organisirt ist. Darum hat auch diese Armenfrage in den Revisionsberathungen den ausführlichsten Erörterungen gerufen, ohne unseres Erachtens eine befriedigende Lösung zu finden.

Zur Unterstützung der bundesräthlichen Ansicht soll endlich noch ein Votum des Herrn Bützberger in der Nationalrathssitzung vom 27. November 1871 dienen. Unglücklicher hätte man nicht zitiren können, denn dieses Votum nehmen wir voll und ganz für uns in Anspruch. ,, B i s h e r tt -- sagte Herr Bützberger -- ,,sei das Niederlassungsrecht in jedem Kanton nur den Angehörigen eines andern Kantons gewährleistet worden, so daß der Bürger innerhalb seines eigenen Kantons weniger günstig als Außerkantonale behandelt werden konnte und demselben gegenüber Anforderungen geltend gemacht werden durften, gegen welche kein Rekurs an die Bundesbehör.den möglich war."' -- Ja freilich, bisher, d. h. nach der Bundesverfassung von 1848, war es eben so : Das Niederlassungsrecht war ein bloß interkantonales, es galt nicht im Innern der Kantone, war kein individuelles, jedem Schweizerbürger garantirtes und durch die Bundesbehörden geschütztes Recht; -- gerade darüber beklagte sich Herr Bützberger und er gehörte zu denjenigen, welche ein anderes, ein schweizerisches Niederlassungsrecht befürworteten und dasjenige schaffen halfen, welches aus den Revisionen von 1872 und 1874 hervorgegangen ist.

Daß am Tage nach obigem Votum, am 28. November 1871, der Nationalrath prinzipiell beschlossen hat, es handle sich nicht mehr um bloß i n t e r k a n t o n a l e , sondern um die Niederlassung v o
n G e m e i n d e z u G e m e i n d e , kann v o m Verfasser d e s bundesräthlichen Berichtes nicht bestritten werden; allein er fügt bei, beim gleichen Anlaße sei ferner entschieden' worden, daß das Recht, die Niederlassung zu verweigern oder zu entziehen, bei den

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K a n t o n e n stehen und nicht den Gemeinden anheimgegeben werden solle.

Wir sehen nicht ein, wa? damit für die bundesräthliche Ansicht gewonnen sein soll. Zuverläßig wollte der Nationalrath durch diesen Ausspruch nicht den unmittelbar vorhergehenden wieder umstoßen, sondern, wie schon oben gezeigt, lediglich die Kompetenzfrage regeln, die mit dem materiellen Gehalt des Niederlassungsrechts nichts gemein hat. Der Beschluß will also nur sagen: nicht die Gemeindebehörden können die Niederlassung entziehen oder verweigern, sondern hiezu sind die kantonalen Behörden zuständig.

Daß aber diese Zuständigkeit nicht hinausgeht über die materielle Ordnung des Niederlassungsrechts, wie sie durch die angeführten Beschlüsse geschaffen wurde und im Art, 45 ihren Ausdruck gefunden hat, dürfte auf der Hand liegen.

Wir haben denn auch niemals behauptet, die Niederlassung sei ausschließlich G e m e i n d e s a c h e , wie mau uns unterschiebt. Ob Gemeindesache oder Kantonalsache, ist für unsere Frage vollkommen irrelevant; das aber ist von Wichtigkeit, -ob das Niederlassungsrecht der gegenwärtigen Bundesverfassung eia i n ter k an t on a, l es. sei, resp. bloß von K a n t o n zu K a n t o n Geltung habe, oder ob es nicht vielmehr auf dem g a n z e n G e b i e t e der E i d g e n o s s e n s c h a f t , abgesehen von den Kantousgrenzen, seine Anwendung finde. Daß letzteres der Fall ist, glauben wir hinlänglich nachgewiesen zu haben.

Wenn es trotz alledem dem Bundesrathe gefällt, an seinem einmal gefaßten Beschlüsse festzuhalten, so kann hinwieder die Mehrheit Ihrer Commission nicht anders, als der gewonnenen Ueberzeugung gemäß Ihnen, Tit., neuerdings die G u t h e i ß u n g des Rekurses Emmenegger zu beantragen.

Mit Hochachtung !

B e r n , den 3. Mai 1882.

Für die Commissions-Mehrheit, Der Berichterstatter: Leuenberger.

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Bericht der Mehrheit der nationalräthlichen Kommission, betreffend den Rekurs der Eheleute Emmenegger, von Schüpfheim (Luzern), in Bukten (Basel-Landschaft), wegen Niederlassungsverweigerung. (Vom 3. Mai 1882.)

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20.05.1882

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