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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft sind am 4. Dezember 1882 zu ihrer ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Die Verhandlungen des N a t i o n a l r a t h e s wurden von seinem Präsidenten, Hrn. Regierungsrat Dr. Adolf D e u e h er aus dem Kanton Thurgau, mit folgender Ansprache eröffnet: ,,Meine Herren !

,,Erlauben Sie mir, vor Beginn unserer Berathung einem Gedanken Ausdruck zu geben ,,Seit unserer letzten Versammlung sind drei gesetzgeberische Arbeiten, welche wir reiflich durchberathen und mit großer Mehrheit beschlossen hatten, in der allgemeinen Volksabstimmung verworfen worden.

,,Die eine derselben, die E i n f ü h r u n g des Erfindungs c h u t z e s , welche zugleich eine Verfassungsänderung bedingte, ist mit einer ziemlichen Mehrheit der Standesstimmen, dagegen mit nur unbedeutender Volksmehrheit unterlegen, so daß zu hoffen ist, daß in nicht zu ferner Zeit, den dringenden Wünschen einer großen Zahl Industrieller entsprechend, vom übel unterrichteten an das besser unterrichtete Volk appellirt werden dürfe.

,,Mit vorher bei keiner Abstimmung dagewesener Majorität wurde dagegen das E p i d e m i e n g e s e t z verworfen, und der Ausdruck des Volkswillens gegen die in das Gesetz aufgenommene obligatorische Impfung war dabei ein so unzweideutiger, daß wir Alle, die wir damit dem Volke das nach unserer Ueberzeugung Beste zu bieten hofften, unbedingt auf eine ähnliche Vorlage verzichten und den gefallenen Volksentscheid mit allen seineu Konsequenzen anerkennen müssen.

,,Die wichtigste Abstimmung aber, meine Herren Nationalräthe, war wohl diejenige vom letzten 26. November über den B u n d e s b e s c h l u ß v o m 1 4 . J u n i 1882, b e t r e f f e n d d i e A u s f ü h r u n g des A r t . 27 der B u n d e s v e r f a s s u n g . Auch dieser wurde mit einer nahezu Zweidrittelmajorität verworfen. Es ist

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hier nicht der Ort und es steht mir nicht zu, die Ursachen zu besprechen und die Faktoren aufzuzählen, welche zu diesem Resultate geführt haben. Das Volk hat gesprochen, und der Majestät seines Willens haben wir uns zu beugen, einfach und ohne Hintergedanken!

,,Eines aber dürfen und müssen wir hier aussprechen, daß wir mit jenem Beschlüsse nur das Beste für unser Land und unser Volk gewollt, daß wir nach unserer Ueberzeugung auf verfassungsmäßigem Boden gestanden und nichts Anderes als die Ausführung des Art. 27 angestrebt haben.

,,Diese von uns angestrebte F o r m der Ausführung ist am 26. November unterlegen, aber der Art. 27 mit seinen großen und herrlichen Grundsätzen ist geblieben; er besteht fort und wartet seiner Ausführung, ohne daß dadurch die verfassungsmäßige Souveränität der Kantone verletzt, die Freiheit der Gemeinden und des Individuums zerstört und der lebendige Gottesglaube vernichtet, aber auch ohne daß die in demselben niedergelegten Rechte des Bundes verkümmert werden sollen.

,,Meine Herren! Obschon nicht bestritten werden kann, daß in den vorausgegangenen Abstimmungen ein M a n g e l a n U e b e r e i n s t i m m u n g zwischen der Volksstimmung und der Bundesversammlung zu Tage getreten, der zu bedauern ist, so dürfte es doch uusern republikanischen Einrichtungen und Gebräuchen nicht entsprechen, wenn nun die Vertreter der Majorität in den Käthen ihr Mandat niederlegen und sich schmollend von ihrer politischen Thätigkeit zurückziehen wollten. Liegt es doch im W e s e n dea d e m o k r a t i s c h e n R e p r ä s e n t a t i v s t a a t e s , d a ß d i e wichtigsten Angelegenheiten durch das gesetzlich und in bestimmten Formen organisirte Referendum in letzter Instanz entschieden worden, ohne daß aus abweichenden Entscheiden für die vorausgegangenen Instanzen, Bundesrath und Parlament, eine Nöthigung oder auch nur eine Rechtfertigung der Demission sich ableiten ließe. Unsere Stellung ist eine andere; wir haben uns dem Volksentscheid -zu unterwerfen, aber auf unsero. Posten auszuharren und die politische Fühlung mit dem Volke wieder herzustellen. Letzteres dürfte um so eher möglich sein, wenn wir uns in diesen schweren Zeiten bei unsern gesetzgeberischen Arbeiten auf das Notwendigste beschränken und uns dafür mit um so größerem Eifer der Lösung der volkwirthschaftlichen Aufgaben
des Staates widmen.

,,Meine Herren! Seit unserer letzten Sitzung haben wir abermals ein Mitglied unseres Rathes durch den Tod verloren, Herrn Georges Louis C o n t e s s e von Romaiumoüer, gestorben Anfangs August. Mitglied des Nationalraths seit 1869, erfüllte er sein Mandat

506 stets mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit. Kein Mann des Kampfes und der gewaltigen Rede, aber ein Mann voll Ueberzeugungstreue, klaren Blickes, offenen Herzens, erfüllt von der Liebe für sein engeres und weiteres Vaterland, ein edler Charakter, das war C o n t e s s e , so haben wir ihn stets gekannt, und so widmen wir ihm auch heute ein sympathisches Andenken.

,,Und da wir der verstorbenen Kollegen gedenken, lassen Sie mich noch ein Wort der Erinnerung auch einem andern Manne gewähren, der zwar nicht diesem Bathe angehörte, aber doch im weitern Sinn, als Mitglied der Bundesversammlung, auch unser Kollege war und nun ebenfalls durch den unerbittlichen Tod entrissen wurde, ich meine Herrn Ständerath A l b e r t B i t z i u s von Bern. Auch mit ihm ist ein guter Eidgenosse, ein treuer Sohn seines Landes, ein rastlos thätiger Geist, ein Mann von edlem Herzen und goldenem Charakter, von uns geschieden, darum war auch er uns Allen ein werther Kollege, Vielen aber war er mehr, ein treuer, lieber Freund !

,,Ich möchte Sie einladen, sich zum Andenken an die beiden Verstorbenen von Ihrem Sitze zu erheben.

,,Meine Herren ! Indem ich Sie in der Bundesstadt willkommen heiße, erkläre ich die Dezeinbersession des Nationalrath.es für eröffnet."

Die Eröffnungsrede des. Präsidenten vom S t ä n d e r a t h , Hrn. Regierungsratb Wilhelm V i g i e r von Solothurn, lautet also: ,,Meine Herren Ständeräthe !

,,Seit unserer letzten Sitzung ist im Schweizervolke wegen eines von der Bundesversammlung gefaßten Beschlusses eine weitgehende Bewegung und Aufregung entstanden. Dem Beschluß über Ausführung des Artikel 27 der Bundesverfassung ist die Genehmigung des Volkes nicht erthcilt worden, und es fallt derselbe dahin. Das Volk hat mit entscheidender Mehrheit erklärt, daß es von der Aufstellung eines Schulsekretärs nichts wissen will. Unsern republikanischen, demokratischen Grundsätzen getreu wollen wir dessen Entscheid ohne allen Rückhalt anerkennen. Wir unterziehen uns der Majestät des Volkswillens.

,,Wir sprechen jedoch gleichzeitig die Ueberzeugung aus, daß die große Mehrheit des Schweizervolkes, welche der Aufstellung eines Schulsekretärs entgegengetreten ist, dies nicht gethan hat, weil sie der Entwicklung unseres Volksschulwesens feindselig gesinnt ist. Nein! Wir sind überzeugt, daß das Schweizervolk in

507 seiner großen Mehrheit der Förderung unserer Volksschule günstig gestimmt und nicht gewillt ist, dieselbe zum Stiefkind der schweizerischen Eidgenossenschaft zu machen. Allein die Art und Weise, wie der Artikel 27 durch die Räthe ausgeführt werden wollte, entsprach den Anschauungen des Volkes nicht.

.,,Und hierin liegt eine nicht mißzuverstehende Lehre für uns, welche, wir in guten Treuen beherzigen wollen. Es ist die Lehre, daß die Räthe bei ihren Vorlagen m e h r F ü h l u n g mit dein Volke haben s o l l e n . Es handelt sich bei unsern demokratischen Institutionen nicht darum, Gesetzesvorlagen korrekt und nach bestimmten Theorien richtig auszuarbeiten. Wir müssen Gesetze berathen, welche aul' der Anschauung des Volkes beruhen, im Volke wurzeln, und wenn in dieser Beziehung eine Idee noch nicht Boden gefaßt hat, so muß ihr zuerst beim Volke Eingang verschafft werden, ehe und bevor das Gesetz aufgestellt wird. Dann wird die Gesetzgebung auch auf solidem Fundament aufgebaut.

,,Es liegt im Volksentscheid aber auch eine Lehre für uns nach anderer Richtung hin. Die Opposition gegen den Beschluß wurde noch durch eine Mißstimmung gegen andere Uebelstände unterstützt, die. durchaus nicht in der Vorlage selbst lagen. Wir dürfen nicht mißkennen, daß in unserm eidgenössischen Bundesleben noch büreaukratische Auswüchse vorkommen, welche das Voiksbewußtsein verletzen und die bei der letzten Abstimmung ebenfalls mitwirkten.

Wir sollen deßhalb trachten, die Gesetzgebung und namentlich das Vorgehen bei Ausführung der Gesetze fern zu halten von allen büreaukratischen, pedantischen Beimischungen.

,,Wenn wir somit den Entscheid des Volkes ohne Rückhalt anerkennen und uns die nöthigen Lehren daraus ziehen, so wollen wir uns auch nicht entmuthigen lassen, mit redlichem Willen und reiflicher Prüfung unentwegt am Ausbau der Bundesverfassung und an der Verbesserung unserer volkswirtschaftlichen Zustände zu arbeiten. Wir werden beharrlich festhalten an den in unserer Bundesverfassung niedergelegten Grundsätzen.

,,Es liegt mir noch die Pflicht ob, Sie daran zu erinnern, daß seit Ihrer letzten Sitzung die Bundesversammlung den Verlust zweier Mitglieder zu beklagen hat: des waadtländischen Abgeordneten Nationalrath C o n t e s s e und unseres theuern Kollegen B i t z i u s , Regierungsrath und Abgeordneter des
Kantons Bern. Er war uns Allen ohne Ausnahme ein lieber, treuer Kollege. Der Ständcrath verliert an ihm einen einsichtigen und mit reichem Wissen versehenen Berather, eine rastlose Arbeitskraft. Wir werden ihn stets im lieben Angedenken behalten.a

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Der N a t i o n a l r a t h erhielt 4 neue Mitglieder, nämlich : Hrn. Laurenz S c h ö n e n b e r g e r , von und in Kirchberg (St. Gallen), Gerichtspräsident und Gemeindammann, gewählt am 30. Juli 1882 im 32. eidg. Wahlkreise, in Ersetzung des zurückgetretenen Hrn. J. R. M o s e r - N ä f inNiederutzwyl ; Hrn. Jean Samuel C ué no u d, von und in Lausanne, Syndic daselbst, am 19. November 1882 vom 42. eidg. Wahlkreis gewählt an der Stelle des aus dem Nationalrath getretenen Hrn.

Jules B r u n in Lausanne ; Hrn. Lucien D e c o p p e t, von Suscévaz (Waadt), in Yverdon, Bezirksgerichtsschreiber, gewählt am 1. Dezember 1882 im 43. eidg.

Wahlkreise, in Ersetzung des verstorbenen Hrn. Georges Cont e s s e von Romainmôtier; Hrn. Ambrosius R o s e n m u n d , von und in Liestal, Fabrikant, gewählt am 26. November 1882 vom 26. eidg. Wahlkreise, an der Stelle des zum schweizerischen Gesandten in Washington gewählten Hrn. Oberst Emil F r e y.

Im S t ä n d e r a t h erschien als neues Mitglied : für Bern: Herr Regierungsrat h Alfred S e h e u r e r, von Erlach, in Bern.

Als Stimmenzähler im N a t i o n a l r a t h wurde Herr Fr. E.

B u h l m an n, von Großhöchstetten (Bern), gewählt, weil Herr B e r g e r erklärte, er könne diese Stelle nicht weiter bekleiden.

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