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Schweizerisches Bundesblatt.

34. Jahrgang. III.

Nr. 38.

29. Juli 1882.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e b ü h r per Zeile 15 Rp. -- Inserate 3nul franko an die Expedition einzusenden Druk und Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Rekurses von Joh. Baptist Schoch von Oberwangen (Thurgau), in Bern, betreffend Entzug der Niederlassung.

(Vom 26. Juni 1882.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Joh. Baptist S c h o c h von Oberwangen (Thurgau), in Bern, betreffend Entzug der Niederlassung ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Durch Verfügung der Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Bern vom 28. März 1882, welche auf erhobene Beschwerde des Rekurrenten vom Regierungsrath des Kantons Bern unterm 24. Mai abhin bestätigt wurde, ist dein Johann Baptist Schoch von Oberwangen (Thurgau), Händler in Bern, die Niederlassungs- und Aufenthaltsbewilligung in Bern entzogen und seine Wegweisuug aus dem bernischen Gebiete ausgesprochen worden.

Diese Verfügung stützt sich in thatsächlicher und rechtlicher Beziehung darauf, daß Schoch durch drei letztinstanzliche Urtheile der Polizeikammer des Kantons Bern vom 4. Februar 1880, 10. Juli 1880 und 13. Juli 1881 wegen Unterschlagung von je über 30 Franken (Fr. 240. 55, Fr. 160 und Fr. 180 beziehungsweise Fr. 137. 50) zu drei Monaten, sechs Wochen und zwei MoBundesblatt. 34. Jahrg. Bd. III

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naten Korrektiooshaus, umgewandelt in 45 Tage, drei Wochen und 30 Ta
II. Die Handlungen, wegen deren gegen Schocli die obenbezeichneten Strafen verhängt worden sind, fallen bezüglich der Urtheile vorn 4. Februar und 10. Juli 1880 ins Jahr 1879, bezüglich des Urtheils vom 13. Juli 1881 in die Monate Februar und März 1880.

In Anwendung von § 60 des bernischen Strafgesetzbuches, welcher für den Fall, daß ein Verurtheilter wegen v o r seiner .Verurtheilung begangener strafbarer Handlungen später in Untersuchung gezogen wird, vorschreibt, daß die früher ausgesprochene Strafe nur um so viel erhöht werden dürfe, als es der Ansicht der urtheilenden Gerichtsbehörde nach hätte geschehen müssen, wenn die fraglichen Handlungen gleichzeitig mit den bereits beurtheilten zur gerichtlichen Verhandlung gekommen wären, hat die Polizeikammer des Kantons Bern die am 10. Juli 1880 erkannte Strafe als ,,Zusatz"1 zur Verurtheilung vom 4. Februar 1880 und die Bestrafung vom 13. Juli 1881 als ,,Zusatz" zu derjenigen vom 10. Juli 1880 erklärt.

III. J. B. Schoch führt in seiner Rekursbeschwerde vom 7. Mai und 5. Juni 1882 gegen die eingangs erwähnte Ausweisungsverfügung der bernischen Behörden im Wesentlichen Folgendes an : 1) Die Handlungen, wegen deren er korrektionell verurtheilt worden, bilden keine schweren Vergehen, wie solche durch Art. 45 der Bundesverfassung für den Entzug des Niederlassungsrechtes vorausgesetzt werden.

2) Er sei nach allgemein rechtlichen Begriffen und den speziellen Bestimmungen der bernischen Strafgesetzgebung nur von e i n e m Strafurtheile betroffen, da diejenigen vom 10. Juli 1880 und 13. Juli 1881 bloß accessorischer Natur seien und es deshalb so angesehen werden müsse, als ob nur das Urtheil vom 4. Februar 1880 gegen ihn vorliege.

3) Wenn auch die Bedingungen, unter welchen die Bundesverfassung zum Entzug der Niederlassung ermächtigt, bei ihm zutreffen würden, so wären doch die Behörden des Kantons Bern nicht befugt, ihm auch den Aufenthalt im Kantone zu verweigern.

IV. Die Regierung des Kantons Bern erwiderte unterm 14. Juni, daß die Anbringen des Rekurrenten keine Berücksichtigung ver-

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dienen, da gegen denselben ja unbestreitbar drei verschiedene Strafurtheile für drei von einander unabhängige schwere Vergehen (Unterschlagungen) ausgefällt worden seien ; in E r w ä g u ng: 1) Durch den Entscheid der Bundesversammluog vom 23. Dezember 1881 in Sachen der Ausweisung des Wilhelm Hänger von Lupsingen aus dem Kanton Basel-Stadt ist bundesrechtlich festgestellt, daß der in der Bundesverfassung, Artikel 45, vorkommende Ausdruck ,,schwere Vergehen" nicht nach den in den Strafgesetzbüchern vorgesehenen Unterscheidungen von schweren und einfachen strafbaren Handlungen, sondern im Gegensatz zu leichten, geringfügigen, unbedeutenden Vergehen oder bloßen Polizeiübertretungen aufgefaßt werden muß (Bundesblatt 1881, IV, 303). Es kann aber nicht zweifelhaft sein, daß die vom Rekurrenten begangenen Unterschlagungen nach Maßgabe der aus den Untersuchungsakten sich ergebenden thatsächlichen Verhältnisse in objektiver und subjektiver Richtung als schwere Vergehen zu bezeichnen sind.

2) Ernstlicher verdient der zweite Einwurf des Rekurrenten in Betracht gezogen zu werden. Wenn die Bundesverfassung in Art. 45 davon spricht, daß die Niederlassung demjenigen entzogen werden könne, welcher wegen schwerer Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft worden ist, so legt sie offen hur den Nachdruck auf die Rückfälligkeit des Verurtheiltcn, welche denselben als eine der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gefährliche Person erscheinen läßt Nach dem hier maßgebenden weitesten Sinne des Wortes ist Rückfall die Begehung einer strafbaren Handlung nach erfolgter Verurtheilung wegen eines frühern Verbrechens oder Vergehens.

Unter dieser Voraussetzung können die Strafurtheile vom 4. Februar und 10. Juli 1880 nicht als wiederholte Bestrafungen im Sinne des Art. 45 der Bundesverfassung gegen den Rekurrenten angerufen werden, da sie beide Handlungen beschlagen, die er im Jahre 1879 begangen hat.

Dagegen verhält es sich anders in Ansehung des dritten Strafurtheils vom 13. Juli 1881. Wenn auch die demselben zu Grunde liegende Handlung des Rekurrenten vor den Zeitpunkt der zweiten Verurtheilung (10. Juli 1880) fällt und darum die Strafsentenz vom 13. Juli 1881 als ,,Zusatz111 zu jener vom Gericht qualifizirt wird, so ist doch nicht zu übersehen, daß das letztbeurtheilte Vergehen des Schoch von ihm n a c h dem 4. Februar 1880, dem Tage seiner ersten Verurtheilung, begangen wurde und demzufolge jedenfalls zwei strafgerichtliche Verhandlungen gegen ihn angehoben werden

506 mußten. Schoch ist daher ein rückfälliger Verurtheilter und die Bedingung des Art. 45 der Bundesverfassung betreffend den Entzug der Niederlassung; "o trifft bei ihm zu.

3) Ganz unstichhaltig und unerheblich endlich ist der dritte Einwand des Rekurrenten. Wenn dem Kanton Bern im vorliegenden Falle das Recht zusteht, dem J. B. Schoch die Niederlassung zu entziehen, so muß ihm auch die Befugniß zugesprochen werden, demselben den Aufenthalt zu verweigern, und zwar um so mehr, als der Entzug der Niederlassung andernfalls eine illusorische Maßregel wäre und die Regulirung des Aufenthaltsverhältnisses, so lange hierüber keine bundesgesetzlichen Vorschriften bestehen, inner den Schranken der Bundesverfassung Sache der Kantone ist, beschlossen: 1.

Der Rekurs ist als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Entscheid ist dem Rekurrenten, sowie der Regierung des Kantons Bern -- letzterer unter Rückschluß der sachbezüglichen Strafuntersuchuogsakten -- mitzutheilen.

B e r n , den 26. Juni 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä si d en t : Bavier.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: '

Ringier.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Rekurses von Joh. Baptist Schoch von Oberwangen (Thurgau), in Bern, betreffend Entzug der Niederlassung. (Vom 26. Juni 1882.)

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29.07.1882

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