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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössischen Stände, betreffend Vollziehung des Bundesgesezes über die Arbeit in den Fabriken.

(Vom 6. Januar 1882.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Mittels Bundesbeschluß vom 17. Dezember 1879 ist der Bundesrath eingeladen worden, der ungleichen Auslegung und Anwendung gewisser Paragraphen des BundesgeSezes über die Arbeit in den Fabriken in den verschiedenen Kantonen vorzubeugen (Amtl. Samml.

n. F., Bd. IV, S. 402, Ziffer 5).

Um dieser Einladung nachzukommen, haben wir unterm 21. Mai 1880 ein Kreisschreiben an die Kantonsregierungen gerichtet, mit welchem wir denselben in Bezug auf Art. l des zitirten Gesezes auf die Verlängerung der Arbeitszeit und die Sonntagsarbeit unsere Verfügungen zur weitern Mittheilung und Vollziehungsüberwachung zur Kenntniß brachten. Jenem Kreisschreiben haben wir die Bemerkung beigefügt, daß über andere Ungleichheiten in der Vollziehung des Gesezes die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien und daß wir deßhalb erst später über dieselben Beschlüsse fassen können.

Nachdem diese Untersuchungen beendet sind, beehren wir uns, Ihnen nachstehende Beschlüsse mitzutheilen : 1. Buchdrukereien. Mittels einer Kollektiveingabe hat eine größere Anzahl schweizerischer Buchdrukerei-Besizer sich bei uns

12 dafür verwendet, daß die Buchdrukeveien dem zitirten Geseze nicht unterstellt werden. Eine große Zahl in solchen Etablissementen beschäftigter Arbeiter petitionirte dagegen für die Unterstellung.

Die von uns angestellten nähern Untersuchungen führten zu dem Ergebniß, daß die Beschäftigung in den Buchdrukereien zu den ungesunden gehört, was bei der Frage, ob diese als Fabriken im Sinne des Art. l des zitirten Gesezes zu betrachten seien, um so mehr in's Gewicht fallen muß, als in den Buchdrukeieien bekanntlich sehr häufig zur Nachtzeit gearbeitet werden muß und Frauenspersonen und Kinder in denselben angestellt sind. Auch fällt in Betracht, daß die größern Buchdrukereien mit Motoren betrieben werden und Unfälle in denselben nicht selten vorkommen.

Angesichts dieser Verhältnisse haben wir beschlossen : Buchdrukereien mit Motoren und mehr als 5 Arbeitern sind als Fabriken zu betrachten.

Bei denjenigen Etablissementen, welche sich über die Nothweudigkeit der Nachtarbeit ausweisen, kann Art. 13, AI. 4 des Gesezes in Anwendung gebracht werden.

2. Bei den Gasfabriken ist hinsichtlich der Frage, ob sie dem Geseze zu unterstellen seien oder nicht, in den verschiedenen Kantonen ein einheitliches Verfahren nicht durchgeführt. Laut Bericht der Fabrikinspektoren sind die Apparate der Gasfabriken vermöge ihrer Explosionsgefährlichkeit den Dampfkesseln zum Betrieb von Motoren gleichzustellen.

Wir haben demnach beschlossen : Gasfabrikeri, in denen 6 oder mehr Arbeiter beschäftigt ·\verdeu, sind, abgesehen davon, ob Motoren verwendet werden oder nicht, als Fabriken im Sinn des Art. l des zitirten Gesezes zu betrachten.

3. Stikereien. Mittels Kreisschreibeu vom 23. Mai 1878 hat das Handelsdepartement in unserm Auftrage den Kantonsregierungen mitgetheilt, daß jede Stikerei mit drei oder mehr Maschinen als Fabrik zu betrachten sei, wenn dabei nicht ausschließlich Famiiiengenossen beschäftigt sind. Es ist nun häufig vorgekommen, daß Besizer von Stikereien mit drei und mehr Stühlen diese in verschiedenen Gebäuden placirten, in der Meinung, daß alsdann die Bedingungen der Einbeziehung in's citirte Gesez nicht vorhanden seien. Dies hat uns veranlaßt, obigen Beschluß zu ergänzen, und zwar wie folgt : » Stikereien mit drei und mehr Maschinen, mögen diese lezteren in einem oder mehreren Gebäuden aufgestellt seinj sind als Fabriken zu betrachten.

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4. Unfallsanzeigen. Gemäß Art. 4 des Gesezes ist der Fabrikbesizer verpflichtet, von jeder in seiner Fabrik vorgekommenen erheblichen Körperverlezung oder Tödtung sofort der kompetenten Lokalbehörde Anzeige zu machen.

Die Ansichten darüber, was als ,,erhebliche Körperverlezung tt zu betrachten sei, sind verschieden, und deßhalb hat jene Gesezesvorschiïft auch eine verschiedene Anwendung gefunden. Es muß hier vor Allem der Zwek jener Vorschrift in's Auge gefaßt werden.

Derselbe besteht in Folgendem : Einerseits sollen die Behörden in die Möglichkeit versezt sein, dafür zu sorgen, daß der Arbeiter auch wirklich der Wohlthat des Haftpflichtgesezes theilhaft werde; andererseits soll die Kenntnißgabe jedes bedeutenden Unfalles es ermöglichen, die Ursachen der Unfälle und die Mittel zu der Vermeidung derselben zu studiren. Beides kann nur erreicht werden, wenn die Grenze, wo die Erheblichkeit beginnt, nicht zu hoch ·angesezt wird. Wir haben demnach beschlossen: Als erhebliche Körperverlezungen gelten solche, welche eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Tagen nach sich ziehen. Wo die gesezlich vorgeschriebene Anzeige Anfangs in der Vermuthung, daß die Arbeitsunfähigkeit nur von kürzerer Dauer sein werde, unterlassen wurde, hat dieselbe spätestens am siebenten Tage nach der Verlezung zu erfolgen.

Indem wir Sie einladen, diese Beschlüsse bei der Vollziehung des Gesezes, welche gemäß Art. 17 den Kantonsregierungen obliegt, zu beachten, benuzen wir gleichzeitig den Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Obhut zu empfehlen.

B e r n , den 6. Januar 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Bavier.

Der Stellvertreter des Kanzlers der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössischen Stände, betreffend Vollziehung des Bundesgesezes über die Arbeit in den Fabriken. (Vom 6. Januar 1882.)

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