281

# S T #

Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs der Geschwister Susanna (Seline) und Elise Toggweiler, gebürtig von Bonstetten, Kts. Zürich, betreffend Ausweisung aus der Stadtgemeinde Zürich.

(Vom 26. September 1882.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen der Geschwister Susanna (Seline) und Elise T o g g w e i l e r , gebürtig von Bonstetten, betreffend Ausweisung aus der Stadtgemeinde Zürich; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Durch Verfügung des Präsidiums des Stadtrathes Zürich vom 1. Dezember 1881 wurden die Geschwister Susanna (Seline) und Elise Toggweiler , gebürtig von Bonstetten , Kts. Zürich , aus der Stadtgemeinde Zürich, wo sie an der Zähringerstraße Nr. 26 ein Haus eigenthümlich besitzen und nach ihrer Angabe den Beruf von Schneiderinnen ausüben, weggewiesen.

Diese Maßregel stützt sich auf eine Reihe von Polizeirapporten, denen zufolge die beiden Schwestern einen unzüchtigen Lebenswandel führen und fortwährend Anlaß zu ärgerlichen, öffentliches Mißfallen erregenden Scenen bieten, sowie auf obergerichtliche Urtheile vom .22. September und 24. November 1881, laut welchen dieselben wegen Kuppelei und wegen Unterschlagung und Widersetzung gegen amtliche Verfugungen mit Gefängniß von je 4 Tagen und l Woche und mit Geldbußen von je Fr. 100 und Fr. 80 bestraft wurden.

282

II. Die Geschwister Toggweiler beschwerten sich gegen diese Verfügung beim ßezirksrath Zürich und darauf beim Regierungsrath des Kantons Zürich, jedoch in beiden Instanzen erfolglos.

Gegen den abweisenden Entscheid des Regierungsrathes vom 11. -März 1882 haben dieselben unterm 26. März dieses Jahres den Rekurs an den Bundesrath ergriffen.

III. Die Rekurrentinnen stellen sich in ihrer Eingabe an den Bundesrath als die Opfer blinder Leidenschaft, Verleumdung und Verfolgung dar. Die ihnen ungünstigen Polizeirapporte seien der persönlichen Feindschaft des betreffenden Polizeibeamten gegen' sie zuzuschreiben, die obergerichtlichen Strafurtheile seien auf Grund falscher Zeugnisse und mangelhafter Untersuchung zu Stande gekommen. Die von ihnen, den Rekurrentinnen, deßhalb eingeleiteten rechtlichen Schritte (Anzeige wegen falschem Zeugniß und Restitutionsgesuch) werden die Wahrheit dieser Behauptung erweisen und ihre Unschuld an den Tag. bringen. Uebrigens seien sie nicht wegen ,,schwerer" Vergehen verurtheilt; das beweisen schon die gegen sie ausgefällten gelinden Strafen. Ihre Ausweisung könne also nicht auf Artikel 45 der Bundesverfassung, noch weniger aber auf die einschlägige Bestimmung des züroherischen Gemeindegesetzes vom 27. Juni 1875 , § 33, Absatz 3 und 4 , gegründet werden, welch' letztere, den Niedergelassenen günstigere und deßhalb bundesverfassungsgemäß zuläßige Vorschrift n e b e n wiederholter gerichtlicher Bestrafung wegen schwerer Vergehen (Art. 45 der Bundesverfassung) noch den Nachweis eines die öffentliche Sittlichkeit oder Sicherheit gefährdenden Lebenswandels für den Entzug der Niederlassung verlange.

Endlich geben die Rekurrentinnen zu bedenken, daß die Ausweisung aus Zürich , wo sie ein Haus besitzen, für sie gleichbedeutend mit Vernichtung ihrer ganzen Existenz und somit jedenfalls eine viel zu harte, ja geradezu grausame Maßregel wäre.

IV. Die Regierung, des Kantons Zürich beruft sich in ihrer Vernehmlassuug vom 6. Mai 1882 lediglich auf den amtlich und gerichtlich festgestellten Thatbestand , welcher gemäß den einschlägigen eidgenössischen und kantonalen Vorschriften und der darauf gebauten bundesrechtlichen Praxis mit nothwendiger Konsequenz zur Ausweisung der beiden Rekurrentinnen habe führen müssen. Obgleich rechtlich nicht relevant, müsse doch die Behauptung der
Rekurrentinnen, daß die Ausweisung sie ökonomisch ruinire, weil faktisch unrichtig, bestritten werden, um so mehr, als eine uneheliche erwachsene Tochter der einen Rekurrentin in ihrem Hause in Zürich wohne, gegen welche der Ausweisungsbeschluß sich nicht richte.

283

V. Weder die Anzeige auf falsches Zeugniß, noch das Restitutionsgesuch, wodurch die Rekurrentinnen eine Abänderung der obergerichtlichen Urtheile vom 22. September und 24. November 1881 herbeizuführen versuchten, haben einen für sie günstigen Erfolg gehabt. Die diesfällige Mittheilung der Obergerichtskanzlei des Kantons Zürich, bis zu deren Eintreffen der Bundesrath seinen Entscheid verschoben hat, datirt vom 13. September 1882; in Er w ä g u n g : 1. Es geht aus den Akten hervor, daß die Rekurrentinnen durch zwei rechtskräftige obergerichtliche Urtheile vom 22. September und 24. November 1881 wegen Kuppelei und wegen Unterschlagung und Widersetzung gegen amtliche Verfügungen bestraft worden sind und überdies wiederholt Anlaß zu außergerichtlichen polizeilichen Klagen infolge unsittsamen Lebenswandels geboten haben.

2. Gemäß diesem Thatbestand erscheint die Ausweisung derselben nach Artikel 45, Absatz 3 der Bundesverfassung, in Verbindung mit § 33 des zürcherischen Gemeindegesetzes vom 27. Juni 1875, als gerechtfertigt. In Beziehung auf die letztangeführte Bestimmung ist vom Bundesrathe bereits in seinem Rekursentscheid vom 22. Oktober 1880 in Sachen Kaufmann (Buudesblatt 1881, Bd. II, S. 672 und 673) erkannt worden, daß dieselbe, weil die Wegweisung erschwerend, also dem Niedergelassenen günstiger 'als die Verfassungsvorschrift, zwar bundesrechtlich zuläßig sei, daß aber immerhin gewerbsmäßige Kuppelei deren Anwendung begründe, indem sie ohne Zweifel die öffentliche Sittlichkeit gefährde, beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Entscheid ist der Regierung des Kantons Zürich, sowie den Rekurrentinnen, unter Rückschluß der beidseitig beigeb achten Aktenstücke, mitzutheilen.

B e r n , den 26. September 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Bavier.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß über den Rekurs der Geschwister Susanna (Seline) und Elise Toggweiler, gebürtig von Bonstetten, Kts. Zürich, betreffend Ausweisung aus der Stadtgemeinde Zürich. (Vom 26. September 1882.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1882

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

52

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.11.1882

Date Data Seite

281-283

Page Pagina Ref. No

10 011 663

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.