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Schweizerisches Bundesblatt.

34. Jahrgang. I.

Nr. 7.

14. Februar 1882.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrükungsgebühr per Zeile 15 Bp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden Drnk nnd Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Bundesgesez betreffend

Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien.

(Vom 31. Jänner 1882.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft und eines bezüglichen Gesezentwurfs des Bundesrathes vom 18. Christmonat 1879 ; in Vollziehung von Art. 69 der Bundesverfassung, beschließt: Art. 1. Die ,,gemeingefährlichen Epidemien" (Art. 69 der Bundesverfassung), gegen welche das Gesez zur Anwendung kommt, sind: P o k e n , a s i a t i s c h e C h o l e r a , F l e k f i e b e r , Pest.

Bundeskompetenz.

Art. 2. Der Bundesrath überwacht die Vollziehung des Gesezes und trifft die hiefür erforderlichen Maßregeln.

Kompetenz der Kantone.

Art. 3. Der Vollzug des Gesezes ist Sache der Kantone.

Bundesblatt. 34. Jahrg. Bd. I.

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Dieselben haben durch eine geeignete Organisation des öffentlichen Gesundheitsdienstes dafür zu sorgen, daß das Auftreten gefährlicher epidemischer Krankheiten so rasch als möglich der kantonalen Gesundheitsbehörde und durch diese der Regierung zu Händen des eidgenössischen Departements des Innern zur Kenntniß gelangt, und daß die vom Geseze geforderten allgemeinen Schuzmaßregeln, sowie besondere Anordnungen unverzüglich und vollständig vollzogen werden.

Die bezüglichen Geseze und Verordnungen sind binnen: Jahresfrist dem Bundesrathe zur Genehmigung vorzulegen.

Militärische Gesundheitspolizei.

Art. 4. Die militärische Gesundheitspolizei -- Inbegriffen die zum Schuze der Armee gegen die Epidemien zu treffenden Maßnahmen -- ist unmittelbar Sache des Bundesrathes und seiner hiefür bestellten Organe.

Von dem Auftreten einer epidemischen Krankheit in einem im Dienste befindlichen Korps ist von der militärischen Gesundheitsbehörde sogleich der Gesundheitsbehörde des betreffenden Kantons Kenntniß zu o^ geben.

Vorbeugende Maßregeln.

Art. 5. Die kantonalen Behörden haben dafür zu sorgen,, daß Straßen, Pläze, Höfe, Luft, Kanäle und Gewässer in den Ortschaften rein gehalten, der Untergrund der Wohnhäuser so weit als möglich trokengelegt und vor Verunreinigung bewahrt bleibe, sowie eine ausreichende Kontrole des Trinkwassers und der Lebensrnittel auszuüben.

Beim Herannahen einer gemeingefährlichen Epidemie haben sie außerdem rechtzeitig die Beschaffung von Desinfektionsmitteln anzuordnen, für Bereithaltung von angemessenen Absonderungslokalen und Transportmitteln für Kranke und Gestorbene, für Aufnahmslokale für Gesunde,, für unentgeltliche Verpflegung und ärztliche Behandlung armer

299 Kranker zu sorgen, sowie unter Umständen die Bevölkerung auf die geeigneten Schuzmaßnahmen aufmerksam zu machen.

Zur Verhütung der Einschleppung einer Seuche durch Reisende erläßt der Bundesrath die nöthigen Anordnungen.

Anzeigepflicht.

Art. 6. Der behandelnde Arzt hat von jedem ihm vorkommenden Krankheitsfalle, der in den Bereich des Art. l gehört, der Orts-, sowie der ihm vorgesezten Gesundheitsbehörde unverzüglich Mittheilung zu machen. Derselben Verpflichtung sind unterstellt alle Personen, welche in den Kantonen, wo die ärztliche Praxis freigegeben ist, sich mit Behandlung kranker Personen befassen.

Auch Krankenanstalten haben von jedem Falle der Aufnahme von solchen Kranken der ihnen vorgesezten Gesimdheitsbehörde Anzeige zu inachen.

Bei Kranken, welche nicht ärztlich behandelt werden, ist der Vorstand der Familie, beziehungsweise des Hauses, zur sofortigen Anzeige an die Ortsbehörde verpflichtet.

Leztere hat der Gesundheitsbehörde mit möglichster Beförderung davon Kenntniß zu geben und unterdessen die nöthigen Vorkehrungen zu treffen.

Isolirung.

Art. 7. Ein von einer gemeingefährlichen epidemischen Krankheit Befallener, die zu seiner Pflege bestimmten Personen, sowie dessen Wohnung, beziehungsweise Krankenzimmer, sind möglichst; zu isoliren.

Dem Kranken ist auf sein Begehren zu gestatten, in seiner Wohnung zu verbleiben, insofern die Anordnungen betreffend die Isolirung gehörig durchgeführt werden.

Die Isoliruug hat fortzudauern, bis durch ärztliches Zeugniß die Genesung festgestellt oder dei- Kranke, beziehungsweise im Todesfall die Leiche, aus der Wohnung gebracht ist und die vorgeschriebene Desinfektion stattgefunden hat.

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Gesunde, welche nicht durch eigenes Verschulden der Isolirung unterworfen werden, und dadurch den Erwerb verlieren, haben Anspruch auf Entschädigung im Falle des Bedürfnisses, worüber die zuständigen kantonalen Verwaltungsbehörden entscheiden.

Art. 8. Der Transport von Seuchekranken, für welchen öffentliche Transportmittel jedenfalls nicht benuzt werden dürfen, ist nur ausnahmsweise und unter Zustimmung des Arztes mit Bewilligung und unter Aufsicht der Ortsbehörde zu gestatten.

Vorkehrungen betreffend die Leichen.

Art. 9. Die Leiche ist auf dem Begräbnißplaze derjenigen Gemeinde, beziehungsweise Anstalt, in welcher der Kranke verstorben ist, zu beerdigen, unter strenger Beobachtung der gegen weitere Verbreitung des Anstekungsstoffes erforderlichen Vorsichtsmaßregeln.

Die Beerdigung hat so bald als möglich, jedoch nicht vor Ablauf von zwölf Stunden nach erfolgtem Tode, stattzufinden.

Der Transport von Leichen in eine andere Gemeinde, sowie die Ein- und Durchfuhr aller Leichen aus epidemisch ergriffenen Ländern ist während der Dauer der Epidemie untersagt.

Desinfektion.

Art. 10. In jedem Erkrankungsfalle sind unter Aufsicht und Verantwortlichkeit der zuständigen Ortsbehörde, sowie auf öffentliche Kosten, sofort alle Personen und Gegenstände, welche mit dem Kranken oder nach dessen Tod mit der Leiche in Berührung gekommen sind, zu desinfiziren. Ebenso soll nach Genesung oder Ableben des Kranken das ganze Haus, beziehungsweise die-Wohnung, nebst Abortkasten und Kanälen desinfizirt werden.

301 Art. 11. Gegenstände, deren Werth in keinem Verhältniß zu den Desinfektionskosten steht, oder deren fernerer Gebrauch die Gefahr einer Verschleppung auch für die Zukunft unterhält, können auf Anordnung der Behörde vernichtet werden, wofür indessen der Eigenthümer billig zu entschädigen ist.

Art. 12. Verkehr und Handel mit schmuziger Wäsche, getragenen Kleidern und Lumpen sind in jeder Gemeinde, in welcher eine gemeingefährliche Epidemie herrscht, untersagt.

Die kantonalen Behörden haben dieses Verbot nöthigeni'alls auf benachbarte Gemeinden auszudehnen, und, wenn Gefahr für benachbarte Kantone vorhanden ist, die Behörden derselben zu ähnlichen Maßnahmen zu veranlaßen.

Im Falle die Ausführung dieser Vorschriften vernaehläßigt wird, hat. der Bundesrath einzuschreiten.

Ebenso kann derselbe die Einfuhr von obigen und von andern zur Verschleppung von Anstekungsstoffen geeigneten Gegenständen in die Schweiz zu Zeiten drohender Gefahr verbieten.

Gewerbe und Fabriken, die sich mit der Verarbeitung und dem Vertriebe solcher Stoffe, sowie mit der Reinigung schmuziger Wäsche befassen, sind gesundheitspolizeilich nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesezes, besonders bezüglich Desinfektion, zu überwachen.

Impfung.

Art. 13. Jedes in der Schweiz geborene Kind soll in der Regel im ersten, spätestens im zweiten Lebensjahre geimpft werden. Eine weitere Verschiebung der Impfung ist nur aus ärztlich konstatirten Gesundheitsrüksichten zuläßig.

Auswärts geborene, ungeimpft in die Schweiz gebrachte Kinder sind ebenfalls beförderlich zu impfen.

Ueber die vollzogene Impfung ist eine von einem patentirten Arzte unterzeichnete Bescheinigung auszustellen.

302 Art. 14. Ohne einen solchen Impfschein darf kein Kind definitiv in eine öffentliche oder Privatschule aufgenommen werden.

Art. 15. Der Bund sorgt für genügende Bezugsquellen, aus welchen unter besonderer amtlicher Aufsicht unentgeltlich zu verläßige thierische oder menschliche Lymphe an die Irnpfärzte abgegeben wird.

Die Kantone haben dafür zu sorgen, daß die Impfpflichtigen, sowie diejenigen, welche zur Wiederimpfung sieh stellen, Gelegenheit zu unentgeltlicher Impfung und Wiederimpfung erhalten.

Art. 16. Die Impfärzte sind bei Verwendung der Stammimpflinge, wie überhaupt beim ganzen Impfgeschäft, zu größter Sorgfalt verpflichtet und für die Folgen allfälliger Fahrläßigkeit verantwortlich.

Die Stammimpflinge sollen wenigstens sechs Monate alt sein.

Auf Verlangen der Impflinge oder bei Kindern auf Verlangen der Eltern oder ihrer Stellvertreter hat die Impfung mit thierischer Lymphe zu geschehen ; auch ist Jedem freigestellt, die Impfung durch den amtlichen Impfarzt oder durch einen Privatarzt vornehmen zu lassen.

Art. 17. Beim Erscheinen der echten Poken (Variola und Varioloi's) in einem Kanton ist die Impfung und Wiederimpfung durch amtliche und Privatärzte möglichst zu fördern.

Art. 18. Die kantonalen Behörden haben dafür zu sorgen, daß in jedem Pokenhause sofort alle Ungeimpften geimpft und diejenigen schon geimpften Personen, welche über 10 Jahre alt und nicht gepokt oder in £ den lezten 10 Jahren nicht bereits mit Erfolg revaccinirt worden sind, wiedergeimpft werden.

Die Impfung ist nöthigenfalls auf alle Ungeimpften in der nächsten Umgebung des Pokenhauses auszudehnen.

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Bei stärkerer Verbreitung der Poken sind diese Vorschriften auf weitere Kreise der Gemeindeeinwohner, so auch auf sämmtliche Arbeiter einer Fabrik oder Werkstätte, in welcher die Poken ausgebrochen sind, anzuwenden.

Zeitlich gemeingefährliche Epidemien.

Art. 19. Treten Scharlach, Diphtheritis, Typhus, Ruhr ·oder Kindbettfieber mit bedrohlichem, epidemischem Charakter ·auf, so hat die kantonale Behörde bezüglich vorbeugender Maßregeln, Anzeigepflicht, Isolirung, Desinfektion und Leichenbesorgung die Bestimmungen der Art. 5, 6, 7 und 8, 9, 10--12 insoweit in Anwendung zu bringen, als dies durch die zeitlichen und örtlichen Verhältnisse geboten erscheint.

Insbesondere wird sie auch dafür besorgt sein, daß die ·epidemischen Kinderkrankheiten nicht durch die Schule, Krankenbesuche uod Begräbnißfeierlichkeiten verschleppt werden.

Sollten diese Vorschriften offenbar vernachläßigt werden, so daß Gefahr weiterer Verbreitung der Krankheit entsteht, so hat der Bundesrath die erforderlichen Anordnungen zum Zweke der Handhabung derselben zu treffen.

Kosten.

o Art. 20. Der Bund ersezt den Kantonen bei Poken, asiatischer Choléra, Pest und Flektyphus einen Dritttheil der nachgewiesenen Auslagen für Erstellung und Einrichtung außerordentlicher Absonderungslokale und allfällig errichteter Aufnahmslokalitäten für Gesunde, sowie für Isolirung (Art. 7, Alinea 4), einschließlich der Entschädigung, und Desinfektion.

Strafbestimmungen.

Art. 21. Die Nichtbeachtung oder Umgehung der in ·diesem G-eseze enthaltenen Vorschriften oder spezieller Anordnungen der zuständigen Behörden durch Private oder

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Beamte werden mit Geldbußen bis auf Fr. 1000 bestraft.

In schwereren Fällen kann mit der Geldbuße auch Gefängniß bis auf sechs Monate verbunden werden.

Tm Wiederholungsfalle kann die Strafe bis auf da& Doppelte erhöht werden.

Die Untersuchung und Beurtheilung der Straffalle erfolgt durch die zuständigen Kantonalbehörden (Art. l, 16 und 18 des Bundesgesezes betreffend das Verfahren bei Uebertretung fiskalischer und polizeilicher Bundesgeseze, vom 30. Brachmonat 1849). Die Kosten, soweit sie nicht dem Angeklagten oder dem Kläger auferlegt werden und bei diesen erhoben werden können, sind von der Bundeskasse zu vergüten. Die Geldbußen fallen in die Bundeskasse (Art. 20 des Bundesgesezes über die Kosten der Buudesrechtspflege, vom 25. Brachmonat 18803.

Vorbehalten bleiben die kantonalen Strafbestimmungea über absichtliche und fahrläßige Tödtung, Körperverlezung und Verbreitung von Seuchen.

Vollziehungsartikel.

Art. 22. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlageder Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Bundesgesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.

Also beschlossen vom Ständerathe, B e r n , den 31. Jänner 1882.

Der Präsident: Cornaz.

Der Protokollführer: Sehatzmann.

Also beschlossen vom Nationalrathe, B e r n , den 31. Jänner 1882.

Der Präsident : ZyrO.

Der Protokollführer: Ringier.

305 Der schweizerische B u n d e s r a t h beschließt: Aufnahme des vorstehenden Bundesgesezes in das Bundesblatt.

B e r n , den 2. Februar 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d esp r ä s i d e n t : Bavier.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Note. Datum der Publikation: 14. Februar 1882.

Ablauf der Einspruchsfrist : 15. Mai 1882.

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Bundesgesez betreffend Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien. (Vom 31. Jänner 1882.)

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Jahr

1882

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

07

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

14.02.1882

Date Data Seite

297-305

Page Pagina Ref. No

10 011 380

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