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Schweizerisches Bundesblatt.

34. Jahrgang. III.

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Nr. 46.

23. September 1882.

Bundesrathsbeschluss betreffend

den Rekurs des Hrn. Friedrich Schmutz, Bäcker in Ursenbach (Bern), wegen Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom 27. Januar 1882.)

Der s c h w e i z e r i s c h e Bundes r ath hat in Sachen des Hrn. Friedrich S c h m u t z , Bäcker in Ursenbach (Bern), betreffend Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: l. Infolge des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Juli 1875, und zur Revision früherer kantonaler Vorschriften, erließ die Regierung des Kantons Bern am 20. Dezember 1876 eine Verordnung über die Maße und Gewichte im Verkauf der wichtigsten Lebensmittel und Brennmaterialien, welche folgende Bestimmungen enthält: ,,Art. 1.. Alles B r o d , welches auf den Verkauf gebacken ,,wird, soll in Laiben von 500 Grammen oder ein, zwei oder mehr ,,ganzen Kilogrammen abgewogen und verbacken werden, so zwar, ,,daß das verbackene Brod auch nach 24 Stunden, nachdem es ,,gebacken worden, das bestimmte Gewicht hat.

Bundesblatt.

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,,Jeder Bäcker ist gehalten, das von ihm zum Verkauf ver,,fertigte Brod mit einem Buchstaben oder angenommenen Zeichen ,,zu stempeln, welches in das bestehende Verzeichniß (Verordnung ,,vom 10. Oktober 1838, Art. 3) eingetragen werden soll.

,,Jeder Brodverkäufer ist schuldig, auf Verlangen des Käufers ,,das Brod vorzuwagen, und ist in jedem Falle für dessen richtiges ,,Gewicht verantwortlich.

,,Ausgenommen von diesen Vorschriften sind die Semmelbrode ,,und kleineres oder feineres Backwerk.* Art. 12, Absatz 2 , bestimmt, daß die Ortspolizeibehörden wenigstens alle drei Monate einmal bei sämmtlichen Bäckern und Brodverkäufern das Brod nachwägen lassen sollen.

,,Art. 13. Widerhandlungen gegen die Vorschriften dieser ,,Verordnung werden, wenn der Fall nicht durch wissentliche ,,Täuschung und Schädigung sich als Betrug qualifizirt, mit einer ,,Buße von 2 bis 20 Franken, welche im Wiederholungsfälle jedes,,mal zu verdoppeln ist, bestraft. Die das Maß nicht haltende oder ,,zu leichte Waare wird konfiszirt"' etc. etc.

II. Am 5. Juli 1881 wurde in Ursenbach Brodschau gehalten, bei welchem Anlaße die polizeiliche Anzeige gemacht wurde, daß Bei Friedrich Schmutz 42 Laibe Brod, die ein Kilogramm hätten wägen sollen, um 35--40 Gramm zu leicht gefunden und zuhanden der Gemeindearmen konfiszirt worden seien.

Infolge dessen erschien Schmutz am 3. August 1881 vor dem Polizeirichter des Amtes Wangen, wo er die Erklärung abgab, daß er künftig allen Abnehmern das Brod vorwägen und nach dem relativen Gewichte verkaufen werde, unter Berufung auf den bundesräthlichen Beschluß vom 6. Juni 1881.

Rekurrent wurde jedoch der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz vom 3. Juli 1875 und Art. l der kantonalen Vollziehungsverordnung vom 20. Dezember 1876 schuldig erklärt und zu Fr. 2 Buße, sowie zur Bezahlung der Kosten des Verfahrens verurtheilt, III. Gegen dieses Urtheil führte Rekurrent bei der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern Beschwerde, indem er behauptete, die Verordnung der Regierung des Kantons Bern vom 20. Dezember 1876 habe keine Gültigkeit, weil sie mit Artikel 31 der Bundesverfassung im Widerspruche stehe.

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Die Polizeikammer bestätigte jedoch am 21. September 1881 das erstinstanzliche Urtheil, gestützt auf folgende Gesichtspunkte: Die durch Artikel 31 der Bundesverfassung ausgesprochene Garantie der Freiheit des Handels und der Gewerbe habe nicht den Sinn, daß keinerlei Beschränkung zuläßig sei ; vielmehr seien Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerbe ausdrücklich vorbehalten und die kompetenten Behörden der Kantone ermächtigt , die zur Sicherung des Publikums angemessenen Verfügungen zu erlassen.

Solche Verfügungen werden in der Regel eine gewisse Beschränkung der Gewerbefreiheit zur Folge haben. Diese Beschränkung sei aber nicht verfassungswidrig, weil ausdrücklich in der Bundesverfassung vorgesehen.

Die in Frage stehende Vorschrift über den Brodverkauf enthalte nun gerade eine solche zuläßige Beschränkung. In den Vorschriften über das Maß und Gewicht (Größe der Flaschen) und über das Hausirwesen (hohe Patentsteuern) werden auch Beschränkungen als zuläßig anerkannt, die größer seien und empfindlicher wirken. Wenn den eidgenössischen Behörden solche Beschränkungen gestattet seien, so müssen auch die kantonalen Behörden zu gleichen Verfügungen berechtigt sein, die nicht weiter gehen.

Uebrigens habe sich der Bundesrath am 13. Dezember 1876 mit der im Entwurf ihm vorgelegten Verordnung vom 20. Dezember 1876 einverstanden erklärt.

IV. Herr Fürsprecher Ludwig Äff o l ter in Riedtwyl rekurrirte Namens des Hrn. Friedrich Schmutz und beantragte : Es möge der Bundesrath erkennen, der Artikel i , Absatz l, der Verordnung des Regierungsrathes des Kantons Bern vom 20. Dezember 1676 stehe im Widerspruch mit dem Artikel 31 der Bundesverfassung, und es sei das auf diese Verordnung gestützte Strafurtheil der Polizeikammer des Kantons Bern vom 21. September 1881 aufzuheben.

Rekurrent gründet seine Beschwerde auf den vom Bundesrathe unterm 6. Juni 1881 bezüglich der Verordnung des Landrathes von Uri erlassenen Entscheid. Die bernische Verordnung sei identisch mit der urnerischen, sie müsse somit auch im Widerspruche stehen mit Artikel 31 der Bundesverfassung. Die Beschränkung der Gewerbefreiheit sei in diesem Umfange unstatthaft.

V. Die Regierung des Kantons Bern stellte den Antrag, daß fragliches Urtheil bestätigt werde. Es müsse auch dann aufrecht

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bleiben, wenn erkannt werden sollte, daß die Verordnung vom 20. Dezember 1876 im Widerspruche stehe mit Artikel 31 der Bundesverfassung. Es seien hiefür die gleichen Gesichtspunkte maßgebend, welche der Bundesrath in seinem Entscheide betreffend einen Rekurs aus dem Kanton Glarus aufgestellt habe (Bundesblatt 1876, Bd. II, 8. 587).

In vorliegendem Falle komme noch der Umstand hinzu, daß der Rekurrent seinen Kunden keine Anzeige gemacht, daß er die Laibe nicht mehr vollwichtig backe, sondern das Brod vorwäge, so daß sein e i n s e i t i g e s Vorgehen ein doloses sei.

Der Bundesrath habe zwar die Hauptfrage, ob die Kantone den Bäckern vorschreiben dürfen, daß sie das Brod in Laiben von bestimmtem Gewicht zu backen haben, verschiedene Male verneint.

Es befremde dieses die Regierung um so mehr, als der Bundesrath die angefochtene Verordnung unterm 13. Dezember 1876 ohne jede Bemerkung genehmigt habe.

Der Bundesrath habe in seinem jüngsten Entscheide über die Verordnung des Kantons Uri das Motiv als maßgebend aufgestellt, eine solche Vorschrift schließe das Verbot in sich, seine Waare in beliebigen Quantitäten zu verkaufen, und beeinträchtige dadurch die Freiheit des Handels in gleicher Weise, wie dieses durch Bestimmung eines Maximalpreises geschehen würde. Gerade dieses Motiv halte die Regierung- aber nicht für stichhaltig, weil die Verordnung in keiner Weise die Nachfrage oder das Angebot hemme und keinen Einfluß auf die Preisbestimmung habe. Es beeinflusse dieselbe einzig die technische Seite des Bäckereigewerbes , seine Ausübung in einer untergeordneten Richtung zu bestimmen. Diesen Einfluß werde aber in größerm oder geringerm Maße jede Vorschrift über das Gewicht beim Brodverkauf haben.

Im Uebrigen bezieht sich die Regierung auf die von der Polizeikammer aufgestellte Begründung des Urtheils und schließt mit dem Antrage : 1) Es sei der Rekurrent ganz abzuweisen.

Eventuell : 2) Es sei derselbe mit seinen Anträgen auf Kassation des Strafurtheils abzuweisen ; in Erwägung: 1) Die Frage, ob es gestattet sei, für den Verkauf des Brodes oder anderer Gegenstände ausschließlich bestimmte Gewichtsgrößen

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vorzuschreiben, ist zu verneinen. Eine solche Vorschrift schließt das Verbot in sich, seine Waaren in beliebigen Quantitäten zu verkaufen , und beeinträchtigt dadurch die Freiheit des Handels in gleicher Weise, wie dieses durch Bestimmung eines Maximalpreises geschehen würde. Aus diesem Grunde hat denn auch der Bundesrath schon im Jahre 1875 eine ähnliche kantonale Verordnung über das beim Brodverkauf zuläßige Gewicht als unvereinbar mit der Bestimmung des Artikels 31 der Bundesverfassung aufgehoben und den gleichen Grundsatz auch mit Entscheid vom 6. Juni 1881 gegenüber dem Kanton Uri ausgesprochen.

2) Allerdings kann bei den von dem Rekurrenten angewendeten Gewichten das kaufende Publikum leicht in Irrthum geführt werden; diese Gefahr rechtfertigt aber nur die Anwendung verfassungsmäßiger Mittel, welche in allfälligen Warnungen des Publikums und in öftern Verifikationen des Gewichts leicht gefunden werden können.

3) Der Umstand, daß der Bundesrath am 13. Dezember 1876 mit der Verordnung der Regierung des Kantons Bern über die Maße und Gewichte, welche damals das Datum vom 16. November 1876 trug, einer Bestimmung die Genehmigung ertheilte, die mit Artikel l der heute in Frage stehenden Verordnung vom 20. Dezember 1876 übereinstimmt, ist für den Entscheid der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung, wie er heute gegeben werden m u ß , ohne Bedeutung , zumal der Bundesrath in seinem Kreisschreiben vom 20. Januar 1875 (Bundesblatt 1875, Bd. I, Seite 91) den Kantonen eröffnet hat, es sei nicht nothwendig., daß sie die Vorschritten, welche gemäß Art. 31 der neuen Bundesverfassung riöthig erscheinen, zur Genehmigung vorlegen , und ausdrücklich beifügte, daß er sich selbstverständlich vorbehalten müsse, jederzeit die fernere Anwendung von Bestimmungen zu untersagen, welche nach näherer Prüfung mit dem Artikel 31 der Bundesverfassung als unvereinbar erscheinen, beschlossen: l. Es sei der Rekurs begründet und die im Artikel l der Verordnung des Regierungsrathes des Kantons Bern über die Maße und Gewichte im Verkauf der wichtigsten Lebensmittel etc. vom 20. Dezember 1876 enthaltene Vorschrift über das Gewicht des Brodes aufgehoben erklärt.

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2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Bern, sowie dem Herrn Fürsprecher Affolter in Riedtwyl zuhanden des Rekurrenten mitzutheilen unter Rücksendung der Akten.

B e r n , den 27. Januar 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Bavier.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesrathsbeschluss betreffend

den Rekurs des Bäckervereins von Bern und der Bäcker Johann Iseli und Johann Hertig in Bern, wegen Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom 27. Januar 1882.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Bäckervereins von Bern und der Bäcker Johann Iseli und Johann H e r t i g in Bern, betreffend Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. In Folge des Bundesgesetzes über Maß und Gewicht vom 3. Juli 1875 und zur Revision früherer kantonaler Vorschriften erließ die Regierung des Kantons Bern am 20. Dezember 1876 eine Verordnung über die Maße und Gewichte im Verkauf der wichtigsten Lebensmittel und Brennmaterialien, welche folgende Bestimmungen enthält: ,,Art. 1. Alles B r o d , welches auf den Verkauf gebacken ,,wird, soll in Laiben von 500 Grammen oder ein, zwei oder mehr ,,ganzen Kilogrammen abgewogen und verbacken werden, so zwar, ,,daß das verbackene Brod auch nach 24 Stunden, nachdem es ,,gebacken worden, das bestimmte Gewicht hat.

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Bundesrathsbeschluss betreffend den Rekurs des Hrn. Friedrich Schmutz, Bäcker in Ursenbach (Bern), wegen Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit. (Vom 27.

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