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Schweizerisches Bundesblatf.

34. Jahrgang. IV.

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Nr. 58.

16. Dezember 1882.

Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs in Sachen des Herrn Theodor Curti von Rapperswyl (St. Gallen), Redaktor in Riesbach (Zürich), betreffend Besteuerung.

(Vom 12. Juni 1882.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Herrn T h e o d o r C u r t i von Rapperswyl (St. Gallen), Redaktor in Riesbach (Zürich), betreffend Besteuerung ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. Der Rekurrent besitzt in Rapperswyl ein ihm eigenthümlich gehörendes Wohnhaus mit Garten, auf welchem Pfandschulden im Betrage von Fr. 35,000 haften und welchem eine Steuerschätzung von Fr. 40,000 beigelegt ist.

Gestützt auf Art. 8, litt, b, des Gesetzes über das Steuerwesen des Kantons St. Gallen vom 24. Februar 1832, wonach alle im Kanton befindlichen Gebäude und Liegenschaften auswärtiger Eigenthümer nach dem wahren Werthe ohne Abzug der Hypothekarschulden zu versteuern sind, während den im Kanton wohnenden Eigenthümern der Schuldenabzug gestattet wird, forderten die st. gallischen Behörden die Staats-, Gemeinde-, Schul- und Kirchensteuer vom Rekurrenten nach dem vollen Werthe seiner Liegenschaft ohne Abzug der darauf haftenden Hypothekarschulden.

Bundesblatt. 34. Jahrg.

Bd. IT.

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Da der Rekurrent diese Forderungen bestritt, so machte das Finanzdepartement des Kantons St. Gallen die Staatssteuerforderung für die verfallenen Betreffnisse gerichtlich gegen ihn geltend und das st. gallische Kantonsgericht sprach unterm 16. März 1881 dem klägerischen Fiskus sein Rechtsbegehren zu.

II. Gegen dieses Urtheil ergriff Herr Theodor Curti den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht, indem er sich darauf berief, die streitige Steuerforderung beruhe auf einer falschen Interpretation des st. gallischen Steuergesetzes, das unter ,,auswärtigen Eigenthümern" nur Kantonsfremde, nicht auch Kantonsbürger verstehe, dieselbe verstoße aber auch gegen mehrfache Bestimmungen des Bundesrechtes und qualifizire sich dadurch als eine schlechthin verfassungswidrige. Es seien nämlich durch eine derartige Steuerpraxis folgende verfassungsrechtliche Grundsätze verletzt: Art. 3 der Bundesverfassung : Beschränkung des souveränen Steuerrechtes der Kantone ; Art. 4 : Gleichheit aller Schweizer vor dem Gesetze, Abschaffung aller Vorrechte des Orts und der Personen ; Art. 31 : Freiheit des Handels und der Gewerbe; Art. 45: Freiheit der Niederlassung; Art. 46: Verbot der Doppelbesteuerung; Art. 60: Gleichstellung aller Schweizerbürger in der Gesetzgebung; eventuell endlich auch Art. 62 der Bundesverfassung: Abschaffung aller Abzugsrechte im Innern der Schweiz.

III. Das Bundesgericht hat durch Erkenntniß vom 30. Sept.

1881 den Rekurs, soweit sich derselbe auf die Art. 3, 4, 46, 60 und 62 der Bundesverfassung stützte, als unbegründet abgewiesen ; soweit die Beschwerde dagegen auf Art. 31 und 45 der Bundesverfassung sich berief, ist das Bundesgericht gemäß Art. 113, Absatz 2, der Bundesverfassung und Art. 59, Ziffer 3 und 5 des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege wegen Inkompetenz auf dieselbe nicht eingetreten.

IV. In Folge dieses Entscheides hat unterm 17. Januar 1882 Herr Dr. Eugen Curti, Advocat in Zürich, Namens des Rekurrenten sich in gleicher Weise mit einer Beschwerde wegen Verletzung der Art. 31 und 45 der Bundesverfassung an das eidgenössische Justizdepartement, resp. den Bundesrath als administrative Rekursbehörde gewendet, mit dem Gesuche, das angefochtene kantonsgerichtliche Urtheil als bundesverfassungswidrig aufzuheben.

V. Die Rekursschrift des Herrn Dr. Curti enthält im Wesentlichen folgende Ausführungen :

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1) Die fragliche (unter Ziffer I hievor mitgetheilte) Bestimmung des st. gallischen Steuergesetzes von 1832 oder vielmehr die durch falsche Auslegung Seitens der st. gallischen Behörden darauf gebaute Steuerpraxis enthalte einen Eingriff in die verfassungsmäßig garantifte Gewerbefreiheit.

Die Gewerbefreiheit habe den Sinn, daß ein Schweizerbürger überall auf Schweizerboden sein Gewerbe in rechtlich gleicher Weise wie jeder andere Schweizerbürger ausüben dürfe, eine Freiheit, die sich auch auf Kauf und Verkauf von Liegenschaften erstrecke.

Nun aber sei durch die st. gallische Steuerpraxis der außer dem Kanton Wohnende in seiner Kauffreiheit gehemmt, in den Kaufschancen schlechter gestellt, als ein Kantonsbewohner, und es komme im Effekt auf dasselbe hinaus, ob man von ihm, wie es seiner Zeit, freilich ohne dabei von den Bundesbehörden geschützt zu werden, Nidwaiden gethau, geradezu die Uebersiedlung in den Kanton verlange, oder ihn, sofern er außer dem Kanton verbleibe, in Form der Steuerpflicht für die Hypothekarschulden eine finanzielle Einbuße erleiden lasse, die namentlich in Konkursfällen bei der Uebernahme von Liegenschaften durch einen Kantonsfremden besonders empfindlich werde Ganz gleich verhalte es sich mit der Beschränkung der V e r k a u f s freiheit, indem einerseits auswärtige Käufer abgeschreckt werden, weil sie nicht in gleichen Rechten mit Anderen konkurriren können, andrerseits wegen der schädlichen Meinung, es rentire dem auswärtigen Verkäufer infolge der hohen Steuer seine Liegenschaft nicht, die Kaufsliebhaber abseits gedrängt werden.

Gegen Herrn Theodor Curti persönlich werde durch eine solche Besteuerung ein um so größeres Unrecht begangen, als er sein Immobiliar-Besitzthum in Rapperswyl erbweise auf Grund familiärer Verpflichtungen übernommen habe und nun gleichsam zur Strafe dafür, daß er im Interesse der Seinigen ortsabwesend ist, jährlich 3--400 Franken mehr an Steuern aufbringen müsse.

Zwischen solchen Erscheinungen und dem juristischen wie staatspolitischen Charakter der Gewerbefreiheit bestehe ein Widerspruch, welcher unlösbar sei, wenn man nicht zu dem im Kanton St. Gallen freilich häufig genug praktizirten Mittel des Scheinkaufs und Scheinverkaufs, seine Zuflucht nehmen wolle.

2) In zweiter Linie verletze die st. gallische Praxis der Hypothekenbesteuerung auf
dem Immobiliarvermögen eines Ortsabwesenden den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit. Es setze der Staat auf den W e g z u g eines Bürgers gleichsam eine Buße in Form einer höhern Steuer, die vielleicht den nothgedrungenen Ver-

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zieht auf seinen Liegenschaftsbesitz nach sich ziehe. Während im Kanton St. Gallen eine reine Grundsteuer nicht bestehe , sondern bloß eine allgemeine Vermögenssteuer, fingire man für den auswärts Wohnenden unter dem Namen Vermögenssteuer eine Grundsteuer , die in der That und Wahrheit eine Niederlassungssteuer sei, welche Derjenige zu bezahlen habe, welcher von der ihm durch die Verfassung garantirten Freizügigkeit Gebrauch mache.

So etwas wäre erlaubt, wenn der Bürger, wie im Verband der Leibeigenschaft, eine Pflicht hätte, an seinem Wohnsitz zu haften. Es dürfte nicht schwer fallen, die Analogie zwischen dem Falle des Rekurrenten und der Freizügigkeit der russischen, leibeigen gewesenen Bauern, die ihrem Herrn beim Wegzug von ihrer Wohnstätte für die Ausübung dieses Rechtes einen höhern Tribut bezahlen mußten, aufzufinden.

3) Schließlich will Hr. Curti aus der Geschichte des Art. 8 des st. gallischen Steuergesetzes den Nachweis leisten, daß der Gesetzgeber unter ,,auswärtigen Eigentümern" keineswegs auch auswärts wohnende Kantonsbürger, sondern nur auswärts wohnende Kantonsfremde verstanden und daß die fragliche Bestimmung vor Allem die Natur einer Gegenrechtsmaßregel gegenüber andern Kantonen gehabt habe. Die Bundesverfassung seit 1848 dulde diese Unterscheidung zwischen Kantonsbürgern und Nichtkantonsbürgern nicht mehr; sie verleihe beiden Kategorien dieselbe Gewerbefreiheit.

Darum aber sei es unstatthaft, heute für auswärts wohnende Kantons- und Schweizerbürger ein schlechteres Recht aufzustellen, ausgehend von der thatsächlich irrthumlichen Annahme, daß das Gesetz von jeher die auswärtigen Kantonsbürger ungünstiger gestellt habe, als die im Kanton wohnenden.

VI. Der Regierungsrath des Kantons St. Gallen trägt in seiner Vernehmlassung vom 22 März 1882 auf Abweisung des Rekurses an, indem er bestreitet, daß Art. 8 des Steuergesetzes von 1832 und die ihm von den st. gallischen Behörden gegebene Auslegung mit irgend welcher Bestimmung der Bundesverfassung, speziell mit Art. 31 und 45 derselben , im Widerspruche stehe, was durch mehrfache Entscheide der Bundesbehörden in den Jahren 1851, 1862, 1871 und 1872 (Bundesblatt 1851, II, 327; 1862, II, 261; 1872, I, 69 und 425) anerkannt-worden sei; in E r w ä g u n g : 1) In Uebereinstimmung mit den Erwägungen des schweizerischen Bundesgerichts zu seinem Entscheide über den Rekurs

531 des Hrn. Theodor Curti ist vor Allem daran festzuhalten, daß die Bundesbehörde lediglich zu untersuchen h a t , ob das angefochtene Urtheil des Kantonsgerichts von St. Gallen eine Bestimmung der Bundesverfassung, respektive ein verfassungsmäßiges Recht des Rekurrenten verletze, während die Frage, ob durch dieses Urtheil die kantonale Steuergesetzgebung richtig ausgelegt und angewendet werde, sich ihrer Prüfung entzieht.

Daraus, daß der Rekurrent von einer abusiven , verfassungswidrigen Steuerpraxis im Kanton St. Gallen spricht, erhellt übrigens, daß es sich nicht etwa um eine ihn ausnahmsweise treffende, angeblich rechtswidrige Handhabung des st. gallischen Steuergesetzes handelt, weßhalb in dieser Richtung überall kein Grund zu bundesrechtlichem Einschreiten vorliegt.

2) Dagegen wäre es allerdings vom Standpunkte des Bundesrechtes aus geboten, die von den st. gallischen Behörden befolgte Praxis in Anwendung des Art. 8, litt, b, des Steuergesetzes von 1832 zu verhindern, wenn dieselbe wirklich gegen die Grundsätze der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31) und der Niederlassungsfreiheit , respektive Freizügigkeit (Art. 45 der Bundesverfassung) verstoßen sollte, und es könnte in dieser Beziehung gegen das in Frage stehende Urtheil des Kantonsgerichts von j3t. Gallen der Rekurs an den Bundesrath ergriffen werden.

3) Die Prüfung dieser Frage führt nun aber zu einem den Ausführungen und Schlußfolgerungen des Rekurrenten ganz entgegengesetzten Resultate. Denn a. Die Kantone sind in Steuersachen souverän, vorausgesetzt, daß sie nicht in die Souveränetätsbefugnisse anderer Kantone übergreifen oder verfassungsmäßige Rechte der Bürger verletzen.

b. In dem Erlaß und der Anwendung einer steuergesetzliehen Bestimmung, wonach der Abzug der Hypothekenschulden von der Steuerschatzung r.ur den im Kanton wohnenden, nicht auch den auswärts domizilirenden Eigenthürnern der im Kanton St. Gallen befindlichen Liegenschaften gestattet wird, kann weder im Allgemeinen , noch speziell in der vom Rekurrenten angerufenen Richtung (Art. 31 und 45 der Bundesverfassung) eine Verletzung verfassungsrechtlicher Bestimmungen , beziehungsweise ein Eingriff in verfassungsmäßige Rechte der Bürger erblickt werden.

Weder die Handels- und Gewerbefreiheit, noch das Recht der Freizügigkeit werden dadurch beschränkt, daß eine kantonale Steuergesetzgebung die Liegenschaften auswärts wohnender Eigen-

532 thümer nach der vollen Schätzung besteuert, d. h. mit einer reinen Grundsteuer belegt, während die im Kanton wohnenden Grundbesitzer nur für ihr reines Immobiliarvermögen als Bestandtheil ihres Vermögens im Allgemeinen zur Steuer herangezogen werden.

Es mögen hieraus je nach dem Domizil des Eigentümers Ungleichheiten in den Werthverhältnissen der Liegenschaften entstehen und dem entsprechend die Kaufs- und Verkaufschancen gewissen Schwankungen unterliegen. Allein es berechtigt dies nicht dazu, von verfassungswidrigen Verhältnissen zu sprechen; beschlossen: 1. Der Rekurs ist als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons St. G a l l e n , sowie Hrn. Dr. E. C u r t i , Advokat in Zürich, zu Händen des Rekurrenten, unter Rückschluß der Akten, mitzutheilen.

B e r n , den 12. Juni 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Bavier.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bericht des

Bundesrathes an den Ständerath, betreffend die Errichtung eines Reservefonds für den Unterhalt von subventionirten Flußkorrektionen.

(Vom 28. November 1882.)

Tit.

Infolge einer von Hrn. Ständerath Zschokke gestellten Motion haben Sie in Ihrer Sitzung vom 15. Dezember 1881 beschlossen: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, die Frage zu prüfen, ob nicht, in Abänderung der einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes vom 22. Juni 1877, betreffend Wasserbaupolizei im Hochgebirge (Amt!. Samml. n. F., III, 193), ein Reserve-, beziehungsweise Unterhaltungsfonds für die unter Bundesbetheiligung bisher ausgeführten und noch auszuführenden Gewässerkorrektionen zu bilden sei und hierüber, sowie über die Betheiligung des Bundes, in der nächsten Session Bericht und Antrag zu hinterbringen."

Zur Erledigung dieses Auftrages fanden wir in erster Linie nöthig, die Aeußerungen der Kantonsregierungen darüber einzuholen, ob sie geneigt wären, solche Fonds unter Mitwirkung des Bundes zu bilden. Die Antworten, welche wir auf das zu diesem Behufe erlassene Kreisschreiben erhielten, lassen sich in Kürze wie folgt resümiren : Z ü r i c h verhält sich für jetzt ablehnend, weil die Gegenwart mit Bestreitung und beziehungsweise Verzinsung und Rückzahlung der Baukosten, sowie mit den gegenwärtigen jeweiligen Unterhaltungsarbeiten überladen sei.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs in Sachen des Herrn Theodor Curti von Rapperswyl (St. Gallen), Redaktor in Riesbach (Zürich), betreffend Besteuerung. (Vom 12.

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1882

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16.12.1882

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