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Bundesrathsbeschluss in.

Sachen des Franz Joseph Bucher, Fabrikant in Kägiswyl, Kantons Unterwaiden ob dem Wald, wegen Verlezung der Handelsfreiheit durch den ,,Vierten Pfennig".

(Vom 19. Dezember 1881.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Franz Joseph B u c h e r , Fabrikant in Kägiswyl, Kts. Unterwaiden ob dem "Wald, wegen Verlezung der Handelsfreiheit durch den ,,Vierten Pfennig" ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Die Landsgemeinde des Kantons Unterwaiden ob dem Wald genehmigte im Jahre 1716 folgendes Gesez : ,,Daß Keiner inskünftig kein Haus oder liegende Güter ,,Gewalt haben solle zu kaufen, oder an sich zu ziehen, er ,,habe wenigstens der vierte Theil darauf zu bezahlen, oder er ,,könne dafür Bürgschaft oder Versicherung zeigen, sonsten ,,sollen solche Kauf und Märkte ungültig sein."

II. Auf sein Begehren um Aufhebung dieser Bestimmung erhielt Rekurrent am 6. Juli d. J. von der Regierung des Kantons Unterwaiden ob dem Wald die Antwort, daß der Regierungsrath sich nicht als kompetent erachte, Geseze außer Kraft zu erklären, indem hiefür verfassungsgemäß einzig die gesezgeberisch Behörde, also

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die Landsgemeinde, Kompetenz besize. Wenn Rekurrent auf Abänderung der gesezlichen Bestimmungen über Kauf und Tausch von Liegenschaften oder auf deren Suspension insistire, so sei für sein weiteres Vorgehen Art. 37 der Kantoaalverfassung maßgebend. Im Uebrigen sei der Regierungsrath der Ansicht, daß die angefochtenen Bestimmungen materiell, weil sachenrechtlicher Natur, in die Kompetenzensphäre der Kantonalsouveränität fallen und auch keine Verlezung bundesrechtlicher Normen involviren.

III. Gegen diesen Entscheid rekurrirte Herr F. J. Bucher, assistirt durch Herrn Advokat Dr. Job. Winkler in Luzern, unterm 14. Juli d. J. an den Bundesrath und stellte den Antrag: ,,D.er Buudesrath wolle das Obwalden'sche Gesez ,,vom vierten Pfennig"1 aufheben, beziehungsweise unwirksam erklären."· Es frage sich vor Allem aus, ob dieses Gesez nicht gegen den Art. 31 der Bundesverfassung verstoße. Diese Frage müsse bejaht werden. Der Bundesrath habe schon in seiner Botschaft vom 17. Juni 1870, betreffend die Revision der Bundesverfassung, betont, daß die Freiheit des Handels- und Verkehrs, worunter der Verkehr mit u n b e w e g l i c h e m wie mit beweglichem Gute verstanden sei, jedem Schweizerbürger im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet werden müsse. Diese Aeußerung sei um so bedeutungsvoller, als der jezige Art. 31 unverändert laute wie der bundesräthliche Antrag.

Es sei ein unbedingtes Requisit des freien Verkehrs, daß die Gegenstände desselben von ihren dispositionsberechtigten Eigenthümern frei veräußert und daß der Kaufpreis nach Belieben der Kontrahenten ganz oder theilweise baar erlegt oder kreditirt werden könne.

Wenn das fragliche Gesez in Kraft bleiben würde, so wäre im Kanton Obwalden dem weniger bemittelten Manne die Erwerbung von Grundeigentum geradezu unmöglich, der Grundsaz des freien Handels und Verkehrs wäre somit in vielen Fällen eine reine Illusion.

Rekurrent könne nicht an die Kantonalsouveränität verwiesen werden, weil die Kantone auch im Sachenrechte keine Bestimmungen festhalten dürfen, welche mit Grundsäzen der Bundesverfassung im Widerspruche stehen. Nach der Praxis brauche in den Fällen, wo es sich um eine Verlezung der Bundesverfassung handle, der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft zu werden. Es könnte dies auch nur dann behauptet werden, wenn es sich um E n t s c h e i d u n g e n von Behörden in e i n z e l n e n F ä l l e n handeln würde.

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Gegenwärtig liege aber ein b e s t e h e n d es G e s e z in Frage, dessen Aufhebung gerade darum verlangt werde, weil es mit der Bundesverfassung im Widerspruche stehe. Ein solches Begehren könne nicht an die Landsgemeinde verwiesen, sondern müsse von den Bundesbehörden entschieden werden.

IV. Die Regierung des Kantons Unterwalden ob dem Wald antwortete im Wesentlichen wie folgt:

Das Prinzip der Handelsfreiheit berühre den Handel mit Liegenschaften nicht. Das Wort ,,Handel" habe sich immer und bei allen Völkern nur auf die Mobilien bezogen. Die Liegenschaften können nicht als ,,Waare" betrachtet werden. Hiermit stimme das römische und das neuere Recht überein, Code Napoléon, Zürcher Civ.-G., § 1442. Die Liegenschaften seien auch überall vom Handelsverkehr ausgeschlossen. Deutsches Handelsgesezbuch, Art. 275. Code de Commerce, Art. 632. Goldschmidt, Handbuch, l, Paragraph 41. Es liege kein Grund vor, dem Worte "Handel" in der Schweiz einen andern Sinn beizulegen, als es in der ganzen übrigen Welt der Fall sei.

Eine solche Abweichung hätte in der 31 der Bundesverfassun -ausdrüklich gesagt sein müssen. Der aus der Botschaft des Bundesrathes vom 17. Juni 1870 hervorgehobene Saz habe keine Bedeutung, zumal er nicht eine Aeußerung des Gesezgebers selbst .sei. Die Bundesverfassung enthalte auch die direkte Widerlegung.

D i e Bestimmung i m Art.

Bundesgesezessgesezes über gilt das kantonale Recht," enthalte die authentische Interpretation von Art. 64 der Bundesverfassung. Da somit in Art. 64 die Liegenschaften ausgeschlossen seien, so dürfe der Art. 31 nicht in einem widersprechenden Sinne interpretirt werden.

Wenn mau aber annehmen wollte, daß der Art. 31 der Bundesverfassung auch auf den Verkauf von Liegenschaften sich beziehe, so müßte die angefochtene Bestimmung dennoch als eine zuläßige Verfügung über die Ausübung des Handels anerkannt werden. Sie beeinträchtige auch den Grundsaz der Handelsfreiheit nicht im Mindesten. Es sei Niemand gehindert, seine Liegenschaften unter beliebigen Bedingungen zu verkaufen. Nur der M o d u s der Zahlung sei im Interesse des Landeskredites gesezlich geordnet. Diese Vorschrift gehöre dem Civilrechte an und äußere ihren praktischen Werth im Hypothekarrechte, wonach die Hypotheken nicht 3/4 des Liegenschaftswerthes übersteigen dürfen. Dieser Saz könnte vom Obwaldnervolk aufrecht erhalten werden, selbst wenn das Gesez von 1716 aufgehoben würde, denn das Hypothekarrecht gehöre jedenfalls nicht zum ,,Handel" und stehe den Kantonen zu.

Bundesblatt. 34. Jahrg. Bd. I.

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Schließlich spricht die Regierung ihr Erstaunen darüber aus, daß eine Frage der kantonalen Gesezgebung über den Kantonsrath und die Landsgemeinde hinweg direkt an den Bundesrath gebracht werde, während jedem Landmann verfassungsgemäß das Initiativrecht an der Landsgemeinde zustehe.

Der Bundesrath stüzt sich in Erledigung dieses Rekurses auf folgende E r w ä g u n g e n : 1) Gemäß dem angefochtenen Geseze vom Jahre 1716 soll der Kaufpreis eines Grundstükes nur zu 3/4 Theilen auf demselben gesezlich versichert werden können, der andere Viertheil aber bezahlt oder verbürgt werden. Der Zwek dieser Bestimmung geht also dahin, die in dem Pfand liegende Garantie zu erhöhen und den Verkäufer für die Bezahlung des von dem Pfandrechte ausgeschlossenen Viertheils zu sichern; der Verkäufer wird von Gesezes wegen und sogar auch gegen seinen Willen gegen den Verlust des Kaufpreises geschüzt.

2) Der Bundesrath hat nun nicht zu entscheiden, ob der Zwek des Gesezes in Wirklichkeit erreicht werde, oder ob er durch andere Mittel erreicht werden könnte : ihm . steht einzig die Entscheidung darüber zu, ob jene Bestimmung, wie der Rekurrent es behauptet, sich gegen die Vorschrift von Art. 31 der Bundesverfassung verstoße, wonach die Freiheit des Handels und der Gewerbe im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft gewährleistet ist. Inner diesen Grenzen haben die Kautone in Bezug auf Kaufverträge über Liegenschaften in der Gesezgebung freie Hand.

3) Im gegebeneu Falle sind diese Grenzen von dem Gesezgeber von Obwalden nicht überschritten worden. Allerdings liegt in dem Vortheil, welchen das Gesez dem Verkäufer verschafft, eine Belästigung für den Käufer und bei der Unzulänglichkeit des Verzichtes auf die Bezahlung oder Sicherstellung des Viertheils eine Beschränkung des freien Willens beider Theile. Derartige Beschränkungen sind aber durch die Bundesverfassung keineswegs ausgeschlossen, sondern im Gegentheil zugelassen, so lange sie den, Grundsaz der Handelsfreiheit nicht beeinträchtigen (Art. 31).

4) Das öffentliche sowohl als das Civilrecht enthalten eine Reihe von derartigen Bestimmungen. So sind die in allen Kantonen bestehenden Vorschriften über den Kleinverkauf von Getränken, Heilmitteln u. s. w. von den Bundesbehörden ausdrüklich als vereinbar mit der Bundesverfassung erklärt worden, obschon die Einschränkungen des
Eigentümers in diesen Fällen wesentlich weiter gehen als in den vorliegenden. Bestimmungen ähnlicher Natur finden sich in den Civilgesezgebungen des Bundes und der Kantone.

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Dahin gehört z. B. die auch im eidgenössischen Obligationenrecht enthaltene (Art. 720) Beschränkung in Bezug auf das Wechselrecht, das Verbot, welches gewissen Personen die Eingehung von Bürgschaften untersagt, die Bestimmung, wonach eine Gültbriefschuld nicht mit entlehntem Gelde bezahlt werden darf u. s. w.

Speziell auf den Erwerb des Eigenthumes an Liegenschaften beziehen sich die in verschiedenen Kantonen geltenden Vorschriften über Wiederlosung und Zugrecht (Sazung 815 u. ff., 819 u. ff. des Civilgesezbuches von Bern); ferner die Bestimmungen des französischen Rechtes über die faculté de rachat (Cod. civ. 1659 u. ff.), sowie diejenigen über Rescission pour cause de lésion (Cod. civ., 1674 u. ff.). Sehr zahlreich sind in allen Gesezgebungen die Eigenthumsbeschränkungen im Immobiliarrecht (für das französische Recht siehe die Artikel 640--685 des Code civil).

Alle diese Fälle schränken entweder die persönliche Fähigkeit ein, Eigenthum oder andere Privatrechte zu erwerben, oder sie schreiben für den Erwerb bestimmte, von dem Willen des Kontrahenten unabhängige Bedingungen vor, oder sie hindern endlich die freie Verfügung über das erworbene Eigenthum, ohne daß deßhalb die Behauptung aufgestellt worden ist oder aufgestellt werden könnte, daß neben der Herrschaft dieser civilrechtlichen Geseze die durch die Bundesverfassung garantirte Handelsfreiheit nicht bestehen könne.

Dieser Nachweis läßt sich auch für das angefochtene Gesez des Kantons Obwalden nicht leisten, und es hat daher der Bundesrath keine Befugniß, die Gültigkeit desselben und mittelbar dadurch auch diejenige einer Reihe anderer Bestimmungen der kantonalen Civilrechte und bereits erworbener Privatrechte in Frage zu stellen, beschlossen:

1. Es ist der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Unterwaiden ob dem Wald, sowie dem Herrn Dr. Johann Winkler in Luzern, als Anwalt, und zuhanden des Rekurrenten mitzutheilen.

B e r n , den 19. Dezember 1881.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Droz.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schieß.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Franz Joseph Bucher, Fabrikant in Kägiswyl, Kantons Unterwalden ob dem Wald, wegen Verlezung der Handelsfreiheit durch den ,,Vierten Pfennig". (Vom 19. Dezember 1881.)

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