#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

34. Jahrgang. I.

Nr. 9.

25. Februar 1882.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Eirükungsgebühr per Zeile 15 Rp. -- Inserate aind franko an die Expedition einzusenden Druk und Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

# S T #

Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend ein Uebereinkommen zwischen der Schweiz und Rußland über Regelung von Verlassenschaftsfällen.

(Vom 17. Februar 1882.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Die Frage, wie es im Falle Absterbens von Schweizern in Rußland und umgekehrt von Russen in der Schweiz mit Bezug auf Ordnung von Verlassenschaftsfällen zu halten sei und welche Kompetenzen in dieser Richtung den beidseitigen Konsularbeamten eingeräumt werden dürften, hat unser politisches Departement schon mehrmals beschäftigt und auch schon Anlaß zum Ideenaustausch mit den russischen Behörden geboten.

Die russische Gesandtschaft legt nun, im Auftrage ihrer Regierung, den Entwurf einer Uebereinkunft vor, welche obige Frage zu regeln bestimmt ist. Wir schließen denselben in einigen Drukexemplaren bei, und ersuchen Sie, ohne im Uebrigen damit die Frage, ob auf Grundlage des Projektes in Unterhandlungen mit der russischen Regierung einzutreten sei, irgendwie präjudiziren zu wollen, uns Ihre gutfindenden Bemerkungen über den Vorschlag zugehen zu lassen.

Bundesblatt. 34. Jahrg. Bd. I.

24

346

Im Uebrigen benuzen wir diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschuz zu empfehlen.

B e r n , den 17. Februar 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Bavier.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Uefoersezimg des

Entwurfes einer Uebereinkunft mit Rußland, betreffend die Regelung von Verlassenschaftsfällen.

Art. 1.

Im Falle Absterbens eines russischen Staatsangehörigen in oder eines Staatsangehörigen in Rußland, möge derselbe im Lande niedergelassen gewesen sein oder sich nur vorübergehend daselbst aufgehalten haben, sind die zuständigen Behörden des Sterbeortes verpflichtet, mit JBezug auf die Sicherstellung des beweglichen und unbeweglichen Nachlasses der Verstorbenen die nämlichen vorsorglichen Maßnahmen zu treffen, welche nach den Landesgesezen im Falle Absterbens eines Staatsangehörigen zu treffen sind, unter Vorbehalt der in den nachfolgenden Artikeln enthaltenen Bestimmungen.

Art. 2.

Wenn der Todesfall in einer Ortschaft stattgefunden hat, wo ein Generalkonsul, Konsul oder Vizekonsul derjenigen Nation residirt, welcher der Verstorbene angehörte, soll die Ortsbehörde der Konsularbehörde unverzüglich Mittheilung machen, damit gemeinschaftlich zur Versiegelung sämmtlicher Effekten, Fahrhabegegenstände und Papiere des Verstorbenen geschritten werden kann.

Die Konsularbehörde soll. der Ortsbehörde die nämliche Mittheilung machen, falls sie zuerst von dem Todesfall Kenntniß erhalten hätte.

347

Wo die unverzügliche Versiegelung nothwendig erscheint und, gleichgültig aus welchem Grunde, nicht gemeinschaftlich vorgenommen werden kann, darf die Ortsbehörde auch ohne Mitwirkung der Konsularbehörde und umgekehrt die Konsularbehörde auch ohne Mitwirkung der Ortsbehörde zur vorläufigen Anlegung der Siegel schreiten, unter Vorbehalt der Verständigung der Behörde, die mitzuwirken verhindert war, und vorbehaltlich des Rechtes derselben, nachträglich noch ihr eigenes Siegel beizudrüken.

Der Generalkonsul, Konsul oder Vizekonsul kann die Versiegelung selbst besorgen oder durch einen von ihm gewählten Delegirten besorgen lassen. In diesem Falle soll der Delegirte mit einer von der Konsularbehörde ausgegangenen, mit dem Konsularsiegel versehenen und seinen amtlichen Charakter feststellenden Vollmachtsurkunde versehen sein.

Die Siegel dürfen ohne Mitwirkung der Ortsbehörde und der Konsularbehörde, beziehungsweise ihres Delegirten, nicht abgenommen werden.

In gleicher Weise ist ein Inventar über sämmtliches bewegliche und unbewegliche Vermögen des Verstorbenen zu errichten.

Immerhin kann da, wo die Konsularbehörde durch die Ortsbehörde und umgekehrt die Ortsbehörde durch die Konsularbehörde eingeladen wurde, der Abnahme der Siegel und der Errichtung des Inventars beizuwohnen, und die eingeladene Behörde sich innert 48 Stünden nach erhaltener Aufforderung nicht einfmdet, die andere Behörde für sich allein zu jenen Vorkehren schreiten.

Art. 3.

Die zuständigen Behörden werden die iü den Landesgesezen vorgeschriebenen Bekanntmachungen mit Bezug auf die Eröffnung der Erbfolge und auf die Zmsammenberufung von Erben oder Gläubigern veranlaßen ; PJualoge Bekanntmachungen kann auch die Konsularbehörde anoi;'
Art. 4.

Nachdem das Inventar im Sinne der Bestimmung des Art. 2 errichtet sein wird, wird die zuständige Ortsbehörde der Konsularbehörde-, auf deren schriftliches Gesuch und auf Grund jenes Inventai«, alles zum Kachlaß gehörende bewegliche Vermögen, sämmtfiche Titel, Werthschriften, Forderungsurkunden und Papiere liber,geben; ebenso das Testament, falls ein solches vorhanden ist.

Im Falle das Testament Bestimmungen enthalten sollte, durch welche bewegliches oder unbewegliches Vermögen des Verstorbenen,

348

welches er am Orte, wo die Erbfolge eröffnet wurde, hinterlassen hat, einem oder mehreren Angehörigen desjenigen Staates vermacht worden wäre, in welchem er verstorben ist, so soll es der Konsularbehörde erst nach Ausrichtung dieser Legate ausgehändigt werden.

Die Konsularbehörde darf alle diejenigen Beweglichkeiten auf öffentlicher Steigerung veräußern lassen, die dem Verderb unterliegen, oder deren Aufbewahrung unverhältnißmäßige Kosten nach sich ziehen würde. Immerhin hat sie sich hiebei mit der Ortsbehörde zu verständigen, damit die Versteigerung in der durch die Landesgeseze vorgeschriebenen Form vor sich gehe.

Art. 5.

Die Konsularbehörde hat die inventarisirten Effekten und Werthe, den Betrag allfällig eingegangener Forderungen und Einkünfte, sowie den allfälligen Fahrhabesteigerungserlös als Depositum nach Maßgabe der Landesgeseze aufzubewahren, und zwar bis nach Ablauf von sechs Monaten vom Tage der lezteu, mit Bezug auf die Eröffnung der Erbfolge durch die Ortsbehörde vorgenommenen Bekanntmachung, oder für den Fall, daß keine derartige Bekanntmachung stattgefunden hätte, bis nach Ablauf von acht Monaten, vom Todestage an gerechnet.

Immerhin hat sie das Recht, aus dem vorhandenen Aktivvermögen vorab die Kosten der lezten Krankheit, der Beerdigung des Verstorbenen, die Dienstlöhne, die Miethzinsschuldigkeiten, Gerichtsund Konsulatsgebühren und ähnliche Gefalle, sowie auch die Kosten des Unterhalts für die hinterlassene Familie des Verstorbenen zu erheben.

Art. 6.

Unter Vorbehalt der Bestimmungen des vorhergehenden Artikels hat der Konsul das Recht, mit Bezug auf die Sicherung des beweglichen und unbeweglichen Nachlasses alle diejenigen Maßnahmen zu treffen, welche er als im Interesse der Erben liegend erachtet. Er kann denselben sei es in Person verwalten , sei es durch von ihm gewählte'und in seinem Namen handelnde Bevollmächtigte verwalten lassen ; ebenso ist er ermächtigt, sich alle dem Verstorbenen angehörigen, hinter öffentlichen Kassen wie hinter Privaten liegenden Werthe aushändigen zu lassen, immerhin unter Beobachtung der Geseze des Landes , in welchem der Hinscheid erfolgte.

Fabriken, Werkstätten und andere Gewerbsetablissemente sind unter Mitwirkung der Konsularbehörde, unter Beobachtung der Ge-

349 seze des Landes, wo sie liegen, zu verwalten und nöthigenfalls zu liquidiren.

Art. 7.

Wenn sich, während der in Art. 5 vorgesehenen Frist, irgend welche Anstände in Betreff von Ansprüchen ergeben sollten, welche mit Bezug auf den beweglichen Theil des Nachlasses erhoben werden, so haben über dieselben, es wäre denn, daß sie auf erbrechtlichem Titel beruhten, die Landesgerichte zu entscheiden.

Im Falle die Aktiven zu völliger Tilgung der Schulden nicht ausreichen, so sind, auf Verlangen der Gläubiger, alle zum Nachlaß gehörenden Urkunden, Effekten oder Werthe der zuständigen Ortsbehörde auszuhändigen.

Art. 8.

Im Falle keine Anstände sich ergeben, so wird, nach Ablauf der in Art. 5 bestimmten Frist, die Konsularbehörde, nachdem sie alle dem Nachlaß zur Last fallenden Kosten nach Mitgabe der ortsgültigen Tarife berichtigt hat, definitiv vom beweglichen Theile des Nachlasses Besiz ergreifen, denselben liquidiren und ihrer Regierung übermachen, welcher allein sie diesbezüglich Rechnung schuldig ist.

Das bewegliche Vermögen, welches ein Staatsangehöriger in Rußland, und dasjenige, welches ein russischer Staatsbürger.in hinterlassen hat und welches der respektiven Konsularbehörde zur Verfügung überlassen worden ist, uuterliegt weder in dem einen noch in dem andern der genannten Staaten einer Handänderungsgebühr oder Erbsteuer.

Art. 9.

In allen Rechtsfragen , zu denen die Eröffnung der Erbfolge und die Verwaltung und Liquidation des Nachlasses eines in einem der beiden kontrahirenden Staaten verstorbenen Staatsangehörigen Anlaß geben könnte, sind die respektiven Generalkonsuln, Konsuln und Vizekonsuln als Vertreter der Erben anzusehen und gelten offiziell als deren Bevollmächtigte, ohne daß sie sich als solche durch eine besondere Urkunde auszuweisen hätten.

Sie können daher, sei es persönlich, sei es durch Bevollmächtigte, welche nach den Landesgesezen dazu befähigt sind, vor alle Behörden treten, um in allen auf die Erbschaft bezüglichen Angelegenheiten die Interessen der Erben wahrzunehmen, indem sie

350 entweder selbst klagend auftreten, oder aber auf gestellte Klagen antworten.

Dabei versieht es sich von selbst, daß sie, als bloße'Bevollmächtigte ihrer Staatsangehörigen, nie für ihre eigene Person in derartige. Fragen verwikelt werden können.

Art. 10.

Die Erbfolge in das unbewegliche Vermögen richtet sich nach den Gesezen des Landes, wo dasselbe liegt, und die Entscheidungsbefugniß in allen diesbezüglichen Streitigkeiten steht bei den Gerichten jenes Landes.

Die Zubehörde einer unbeweglichen Sache, z. B. Schiff und Geschirr, sowie Alles, was zu deren Benuzung unentbehrlich ist, wird als integrirender Bestandtheil derselben betrachtet.

Die Ansprüche auf Theilung des beweglichen Nachlasses, sowie erbrechtliche Ansprüche auf Beweglichkeiten, welche in einem der beiden Staaten durch Angehörige des andern Staates hinterlassen wurden, sind durch die Gerichte oder kompetenten Behörden und gemäß den Gesezen des Staates zu beurtheilen, welchem der Verstorbene angehörte, es wäre denn, daß ein Angehöriger des Landes, in welchem die Erbfolge eröffnet wurde, Ansprüche auf den Nachlaß zu erheben im Falle wäre.

In diesem Falle und unter der Voraiissezung, daß der Anspruch vor Ablauf der in Art. 5 festgesezten Frist erfolgt, steht die Prüfung desselben den kompetenten Behörden des Landes zu, in welchem die Erbfolge eröffnet wurde; dieselben werden an der Hand ihrer Landesgeseze über die Begründetheit der vermeintlichen Rechte des Ansprechers u n d , eintretenden Falls, über die' Größe des Erbtheiles entscheiden, welcher ihm zuzuscheiden ist.

Nachdem er abgefunden sein wird, ist der Rest des Nachlasses der Konsularbehörde auszuhändigen, welche darüber im Sinne der Bestimmungen des Art. 8 zu Gunsten der übrigen Erben verfügen wird.

Art. 11.

Es ist den Angehörigen beider Länder gestattet, sich, sei es durch die Gerichte des Landes, in welchem die Erbfolge eröffnet wurde, sei es durch die Gerichte ihres eigenen Landes, in den Besiz der Beweglichkeiten einweisen zu lassen, welche in einem der beiden Länder durch Angehörige des anderen Landes hinterlassen wurden, unter Beobachtung der Bestimmungen gegenwärtiger Uebereinkunft.

351 Diesbezügliche Erklärungen müssen indessen vor Ablauf der in Art. 5 festgesezten Frist abgegeben werden.

Art. 12.

Wenn ein Russe in oder ein Schweizer in Rußland, und zwar an einem Orte stirbt, wo sich keine Konsularbehörde seines Landes befindet, so wird die zuständige Ortsbehörde die Versiegelung des Nachlasses und die Aufnahme eines Inventars nach Maßgabe der Landesgeseze besorgen. Beglaubigte Abschriften der daherigen Protokolle sollen, gleichzeitig mit dem Todscheine und dem Passe des Verstorbenen, in kürzester Frist, sei es der nächsten Konsularbehörde, sei es durch Vermittlung des Ministeriums des Aeußern -- dem diplomatischen Vertreter des Staates mitgetheilt werden, welchem der Verstorbene angehörte.

Die zuständige Ortsbehörde wird mit Beziehung auf den Nachlaß alle durch die Landesgeseze gebotenen Maßnahmen treffen, und das Nettobetreffniß soll in kürzester Frist, entsprechend der Bestimmung des Art. 5, den genannten diplomatischen oder Konsularagenten eingehändigt werden.

Es versteht sich, daß vom Augenblike an, wo die Gesandtschaft des Staates des Erblassers oder die nächste Konsularbehörde einen Bevollmächtigten an Ort und Stelle geschikt haben wird, die Ortsbehörde, welche vorsorgliche Anordnungen zu treffen im Falle war, sich nach den in den vorhergehenden Artikeln enthaltenen Vorschriften zu richten hat.

Art. 13.

Die Bestimmungen gegenwärtiger Uebereinkunft beziehen sich in gleicher Weise auf den Nachlaß von solchen Angehörigen des einen der kontrahirenden Staaten, welche, obschon außerhalb des andern Staates verstorben, doch bewegliches oder unbewegliches Vermögen daselbst hinterlassen hätten.

Art. 14.

Die Löhnung und die Effekten, welche ein im anderen Staate, sei es zu Schiffe, sei es anf festem Lande, verstorbener Matrose oder Passagier hinterlassen hätte, sind ohne alle Förmlichkeiten dem Konsul ihres Staates einzuhändigen.

Art. 15.

Die beidseitigen Staatsangehörigen können durch : leztwillige Verfügung, Schenkung oder auf irgend andere Weise frei über alles

352 Vermögen verfügen, welches sie auf dem Gebiete der kontrahirenden Staaten besizen.

Sie können in gleicher Weise wie die Angehörigen des Staates, in welchem sie wohnen, die in diesem liegenden, ihnen durch Schenkung, Vermächtniß, Testament oder selbst durch die gesezliche Erbfolge angefallenen Vermögensobjekte erwerben und sind dabei keinen anderen, oder höheren Erbsteuern oder Handänderungsgebühren unterworfen, als es die Angehörigen jenes Staates in ähnlichen Fällen auch sind.

Art. 16.

Wenn erwiesen ist, daß der Angehörige des einen der kontrahirenden Staaten an dem Nachlasse eines im andern Staate Verstorbenen betheiligt ist, so haben, gleichgültig ob der Erblasser Augehöriger dieses lezteren Staates, oder nur daselbst geboren, oder endlich sogar Landesfremder gewesen, die Behörden des Sterbeortes den nächsten Generalkonsul, Konsul oder Vizekonsul des anderen Staates hievon in Kenntniß zu sezen.

Art. 17.

Falls der Nachlaß ganz oder zum Theil in Grundeigenthum bestünde, welches derjenige, dem es anfiele, nach den Landesgesezen zu besizen unfähig wäre, so soll den Interessenten von der einen wie von der andern Seite eine nach den Umständen genügende Frist eingeräumt werden, um jenes Grundeigenthum auf die möglichst vortheilhafte Weise versilbern zu können.

Art. 18.

Die gegenwärtige Uebereinkunft bleibt in Kraft bis nach Ablauf eines Jahres von dem Tage hinweg, an welchem der eine oder andere der kontrahirenden Theile dieselbe aufgekündet haben wird.

Art. 19.

Sie soll

ratifizirt 'werden etc.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend ein Uebereinkommen zwischen der Schweiz und Rußland über Regelung von Verlassenschaftsfällen. (Vom 17. Februar 1882.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1882

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

09

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

25.02.1882

Date Data Seite

345-352

Page Pagina Ref. No

10 011 389

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.