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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die gegen die Dienstbefreiungs-Verordnung vom 29. März 1913 gerichteten Beschwerden der Appenzeller-Strassenbahn und der Bahn Martigny-Orsières.

(Vom 27. März 1914.)

Die am 29. März 1913 vom Bundesrat beschlossene Verordnung betreffend die Dienstbefreiung gemäss Art. 13 und 14 der Militärorganisation wurde am 15. April gleichen Jahres in Nr. 4 des Militäramtsblatte.3, und am 2. April in Nr. 7 der eidg.

Gesetzessammlung veröffentlicht. Die Publikation der Ausfuhrungsbestimmungen dazu erfolgte am 31. Mai in Nr. 5 Militäramtsblatt 1913. Mit Datum vom 31. Mai, 2., 3. und 16. Juni 1913 wurden 58 als ,,Rekurse" betitelte, gleichförmige Eingaben gegen die Rechtsmässigkeit der Verordnung an den Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung gerichtet; eine Gesellschaft (Martigny-Orsières) hat eine besondere Rekursschrift eingegeben, und 6 Gesellschaften haben besondere Begehren gestellt, die vom Bundesrat zu erledigen sind Vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement wurde am 15. Juli 1913 auf Anfrage des Schweiz. Militärdepartements erklärt, dass den eingereichten Beschwerden ,,lediglich der Charakter von Petitionen zukomme", ihnen also kein Suspensi v effekt beizulegen sei (Beilage 1). Am 18. August 1913 (Nr. 1/3/6) hat darauf das Schweiz. MilitärDepartement beschlossen, keinen Aufschub in der Durchführung der Verordnung eintreten zu lassen (Beilage 2).

Das Schweiz. Militärdspartement hat dann den Petenten für die Durchführung der Verordnung gewisse Erleichterungen zugestanden, vor allern die der V e r t e i l u n g des D i e n s t e s auf alle Wiederholungskurse der gleichen Truppen- und Waffengattung innert demselben Sprachgebiete. Diese Erleichterung ist von wesentlicher Bedeutung für die Bahnen, indem sie den gleichz e i t i g e n Entzug von Personal durch den Militärdienst auf zirka 1 /3 der Dienstpflichtigen herabsetzt. Es haben sich infolgedessen

441 auch beinahe alle Beschwerdeführer davon überzeugt, dass die Verordnung ihre Interessen nicht in gesetzwidriger Weise verletze, und bis auf zwei Gesellschaften (Beilagen 3 und 4) : die normalspurige Bahn Martigny-Orsières und die schmalspurige Appenzeller-Strassenbahn sind sie von ihrem ,,Rekurse" abgestanden.

I. In f o r m e l l e r Beziehung ist zunächst festzustellen, dass den Eingaben die Eigenschaft von Rekursen nicht zukommt, sondern nur die von P e t i t i o n e n , im Sinne von Art. 190 0. G.

Wir begnügen uns damit, in dieser Hinsicht auf Beilage l, das Gutachten des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, uns .zu berufen.

II. Sachlich haben wir, unter Beschränkung auf das Wesentlichste, folgendes gegen die Berechtigung der Begehren der beiden Potenten geltend zu machen : Das Geschichtliche des Dienstbefreiungswesens, wie es in der Anwendung des darauf bezüglichen Art. 2 der alten Militärorganisation hervortritt, die allgemeinen Gesichtspunkte, die den Bundesrat bei der Ordnung der ganzen Angelegenheit auf Grund des Art. 13 der neuen Militärorganisation geleitet haben, sowie die Wirkungen der Verordnung sowohl auf die Verkehrsanstalten als auf die Truppenbestände finden Sie in ausführlicher Weise dargestellt in dem bei den Akten liegenden gedruckten Berichte, den das Schweiz. Militärdepartement unterm 26. November 1910 -darüber an den Bundesrat gerichtet hat.

um die Bedeutung der Sache, um die es sich handelt, ins Licht zu stellen, seien hier nur einige Hauptzahlen angeführt, mit denen man zu rechnen hat. Das gesamte Personal der unter Art. 13 der Militärorganisation fallenden Verwaltungen und Verkehrsanstalten beziffert sich auf über 50.000, wovon zirka 30,000 in den Rekrutenschulen und zum Teil auch in Wiederholungskursen ausgebildet worden sind. Unter der alten Militärorganisation waren von den 30,000 zirka 1200 dienstpflichtig, Feldpost und Feldtelegraph inbegrifi'en ; nach Militärorganisation 1907 und der neuen Dienstbefreiungs-Verordnung werden es zirka 5000 sein. Auch unter der neuen Ordnung der Dinge verliert die Armee an Verkehrsao stalten und Verwaltungen zirka 25,000 ausgebildete Leute, mit andern Worten, die Militärverwaltung hat auch künftig noch Jahr für Jahr zirka 1000 Mann auszubilden, die hernach in ihren Kontrollen verschwinden und auf ·den Mobilmachungsplätzen weder im Frieden noch im Kriegsfall erscheinen. Die ganze Ausbildung und Erziehung der zirka Bundesblatt. 66. Jahrg. Bd. II.

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25,000 Mann kommt allein den betreffenden Verwaltungen und Verkehrsanstalten zu gut, die ihr Personal vorzugsweise, gutenteils sogar grundsätzlich nur unteir den militärtauglichen Leuten suchen.

Soweit die angefochtene Verordnung nicht Besserung bringt, werden wir künftig noch mit einer stetigen Verschlimmerung dieser Verhältnisse zu rechnen haben; denn bekanntlich weist keine der modernen Einrichtungen ein so kräftiges Wachstum auf wie die öffentlichen Verkehrsanstalten. Wollte man also eine aus diesem Umstände sich ergebende, empfindliche Schwächung der Armee nicht noch wesentlich sich steigern lassen, so musstc endlich mit der Ausführung des in Art. 13 der neuen Militärorganisation ausgesprochenen Grundsatzes Ernst gemacht werden.

(In obigen Darlegungen sind nicht genaue, wohl aber annähernd zutreffende Zahlenangaben gemacht. Ganz genaue Zahlen konnten wegen der Mangelhaftigken der Militärstatistik der vergangenen Jahre nicht gegeben werden; für Abhülfe ist gesorgt. Obige Zahlen sind immerhin das Ergebnis direkter Erhebungen.)

Die förmlichen Beschwerden verlangen, ,,es sei der Art. 19 der Dienstbefreiungs-Verordnung vom 29. März 1913 aufzuheben" und an den Bundesrat zur Änderung im Sinne des Gesetzes zurückzuweisen.

Was die Beschwerdeführer verlangen, ist im Grunde nicht eine Aufhebung des Art. 19, sondern vielmehr eine Ergänzung der in Art. 19 der Dienstbefreiungs-Verordnung aufgestellten Liste der Transportanstalten, die ei nem allgemeinen Interesse dienen, durch Aufnahme auch der rekurrierenden Unternehmungen in diese Liste.

Sie berufen sich dabei im wesentlichen auf die über Art. 13G M. 0. (im Beratungsentwurfe der Räte: Art. 10 und Art. 11) in, den Räten gepflogene Diskussion, die nach ihrer Ansicht beweise, dass der Gesetzgeber alle B ihnen als ,,einem allgemeinen Interesse dienend" angesehen wissen wollte, die nicht bloss Touristen zwecken oder der Annehmlichkeit des Publikums dienen. DieSätze, die die Rekurrenten aus dem stenographischen Biilletin der Bundesversammlung anführen, sind an und für sich richtig, wiedergegeben ; es empfiehlt sich aber, die ganzen Voten nachzuschlagen, wie sie im stenographischen Bulletin vom Juni 1906., Seite 815, Dezember 19015, Seiten 1168 und 1190, und April' 1907, Seite 40, enthalten sind.

Daraus ergibt sich vor allem, dass es sich darum handelte.,
zu einer wesentlichen Einschränkung der als viel zu weitgehend empfundenen Dienstbefreiung zu gelangen. Bei der beispielsweisen Anführung von Bahnen, die jedenfalls bisher zu Unrecht

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Anspruch auf Dienstbefreiung hatten, wurden selbstverständlich nur die auffallendsten genannt, wie die Bergbahnen und Tramways. Niemand aber ist es eingefallen, damit dem Bundesrate eine bestimmte Wegleitung zu geben, welche der Bahnen er in die geforderte Verordnung aufzunehmen habe, oder gar eine vollständige Aufzählung der Bahnen ,,allgemeinen Interesses1' vorzunehmen. Vielmehr war alles einig in der Überzeugung, dass nur der Bundesrat im Falle sei, die eingehende Prüfung aller Umstände vorzunehmen, die für die Dienstbefreiung und die Heranziehung zum Dienste künftig massgebend sein sollten.

Wenn die Beschwerde sodann (s. II) behauptet, in der Botschaft zur Militärorganisation sei kein Wort davon zu finden, dass man die öffentlichen Verkehrsanstalten k l a s s i f i z i e r e n wolle in solche allgemeinen Interesses und in minder wichtige, so ist damit gar nichts bewiesen. Wohl aber ergibt sich aus den stenographischen Bulletins, dass nicht nur, wie übrigens selbstverständlich, in der Bundesversammlung eine solche Ausscheidung vorausgesehen wurde (s. z. B. Ständerat, April 1907, Seite 40 und Nationalrat, Dezember 1906, Seite 1138), sondern dass die Nebenbahnen schon 1906 s e l b s t das Begehren um Vornahme der Ausscheidung gestellt haben (Nationalrat, Dezember 1906, Seite 1190 und Ständerat, April 1907, Seite 40). Gerade bei diesem Anlasse sind sie mit diesem Begehren auf die kommende Verordnung des Bundesrates verwiesen worden. Was die Kriterien für die Einreibung in die Klasse der Bahnen nicht ,,allgemeinen" Interesses anlangt, so können sie sich keineswegs beschränken auf das Kennzeichen, dass diese nur der Bequemlichkeit des Publikums dienen, sondern es muss geprüft werden, ob überhaupt ein ernstliches, wichtiges Interesse vorliegt; denn der Ausdruck ,,allgemeines Interesse11 deckt sich durchaus nicht mit dem ^öffentlichen Interesse", das bei Erteilung der Konzession eine Rolle spielt, sonst wäre überhaupt kein Raum für den Gedanken an eine Unterscheidung der zwei Klassen der konzessionierten Bahnen. Dass aber andererseits bei Vornahme der Klassifikation nicht die Bequemlichkeit der Verwaltungen entscheiden solle, ist in den Räten ebenfalls betont, von den Rekurrenten aber übersehen worden (stenographisches Bulletin, Ständerat Juni 1906, Seite 815).

Über die Gesichtspunkte, die für den
Entwurf der Verordnung zu Art. 136 massgebend waren, spricht sich die Vorlage des S. M. D. an den Bundesrat vom November 1910 eingehend aus.

Wir wollen dort Gesagtes nicht wiederholen (Beilage 5). Ganz besonders ist in der ganzen Sache zu beachten, dass die Fassung

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des Art. 13 c M. 0., und ir. erster Linie ist doch der Wortlaut des Gesetzes massgebend, g£.r keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass für die Dienstbefreiung die Bedürfnisse des K r i e g s f a l l e s massgebend sein sollen; allerdings nicht nur die Bedürfnisse der Landesverteidigung, sondern, soweit möglich, auch die unumgänglichen Bedürfnisse grösserer Teile der Bevölkerung im Kriegsfalle. Diese Bedürfnisse aber müssen sich unbedingt eine Einschränkung nach Massgabe der Umstände gefallen lassen, die der Krieg resp. das Aufgebol; der Armee unfehlbar mit sich bringt.

Ganz unbestreitbar wird des Aufgebot der Armee einen erheblichen Rückgang im Wirtschaftsleben und Verkehr zur Folge haben.

Rechnen wir auch bei der Mobilmachung der Armee nur auf Verwendung von 20 °/o der Hülfsdienste, so sind es über 300,000 Mann (mit sämtlichen Hilfsdiensten wären es sogar 500,000 Mann), die der Arbeit und dem Erwerbe entzogen werden. Was das ungefähr bedeutet, lässt die Bevölkerungsstatistik auf den ersten Blick erkennen. Nach der Volkszählung von 1900 (von 1910 stehen noch keine entsprechenden Angaben zur Verfügung! waren in Berufen unmittelbar tätig (also ohne die nicht arbeitenden Familienmitglieder) 1,056,000 männliche Personen j e d e n Alters und jeder Leistungsfähigkeit, Es lässt sich also wohl sagen, dass der Entzug von 300,000 der besten Arbeitskräfte schon unmittelbar eine Einschränkung der Produktion um ein volles Drittel mit sich bringen wird. Indirekt wird dadurch aber auch noch die Leistung anderer Personen vermindert, deren Tätigkeit eben von der der zur Armee Eingezogenen abhängt. Man kann danach ermessen, in welch ganz bedeutendem Masse namentlich das nicht direkt militärische Verkchrsbedürfnis abnehmen muss; die zahlreichen Vergnügungsfahrten werden überhaupt aufhören.

Nicht minder als der inländische Verkehr wird auch der Reisendenverkehr und der Güteraustausch mit dem Ausland zurückgehen. Wenn unsere Armoe aufgeboten wird, so herrscht der Kriegszustand an unserer Grenze und, wie die Dinge heute stehen, möglicherweise an mehr als einer der vier Fronten. Welche Rückwirkung auf allen Verkehr daraus folgen wird, kann natürlich nicht mit Zahlen belegt werden, sie wird zum mindesten dem Rückgang der inländischen Produktion und des inländischen Transportwesens gleichkommen und sich in den ersten
Wochen nach dem Mobiltnachungsbeschlusse sogar noch viel eingreifender geltend machen.

Die Petenten beschweren sich im weitern darüber, dass ihren Bahnlinien durch die Verordnung das ,,allgemeine Interesse" überh a u p t abgesprochen wordon sei.

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Wäre das richtig, so hätte auch nicht ein militärpflichtiger Angehöriger ihres Personals Anspruch auf Dienstbefreiung. Art. 13 6 lässt keinen Zweifel darüber, dass nur Bahnen von allgemeinem Interesse Anspruch auf i r g e n d e i n e Dienstbefreiung ihres Personals haben sollen. Die Verordnung des Bundesrates hätte demnach einfach zwei Klassen von Bahnen bilden können: die eine m i t allgemeinem Interesse und mehr oder minder weitgehender Dienstbefreiung; die andere o h n e allgemeines Interesse und ohne irgendwelche Dienstbefreiung. Das wäre bei knapper Anlehnung an den Wortlaut von Art. 13C unseres Erachtens durchaus statthaft gewesen.

Allein der Bundesrat musste sich sagen, dass, wenn iu die so gebildete zweite Klasse auch nur Tramways und Touristen- oder Saisonbahnen eingereiht würden, diese durch u n e i n g e s c h r ä n k t e Heranziehung des Personals zum Dienst in allen Graden so schwer betroffen würden, dass ihnen dann doch wieder Konzessionen gemacht werden müssten, und man sich am Ende gezwungen sehen könnte, die schwer errungene, militärisch wichtige Stellung des Art. 13 ° wieder aufzugeben. Denn soviel ist gewiss, dass ohne erhebliche Neueinstellung von Personal der volle F r i e d e n s betrieb dieser Bahnen, bei uneingeschränkter Dienstpflicht, nicht aufrechterhalten werden könnte.

Deshalb zog der Bundesrat es vor, einen Mittelweg einzuschlagen und zunächst nicht auf der vollen Durchführung des Art. 13 ° zu bestehen, sondern allen Bahnen ein gewisses allgemeines Interesse zuzugestehen, dieses aber nach zwei Klassen a b z u s t u f e n , wie es in den Art. 19--21 einer- und Art. 22 und 23 anderseits geschehen ist. Beachtet man daneben den Art. 3 der Verordnung, der allgemein die Rücksicht nicht nur, wie Art. 136 M. 0. sagt, auf den Betrieb im K r i e g s f a l l , sondern auch die auf den Friedensbetrieb festsetzt, sowie die für die Durchführung gewährten Erleichterungen, so erhellt aufs deutlichste, dass die Verordnung vom 29. März 1913 nicht zum Nachteil, sondern vielmehr z u g u n s t e n der re k a r r i è r e n den B a h n e n vom strengen Wortlaut des Art. 13 6 M. 0. abgewichen ist.

Ferner beklagen sich die Petenten darüber, dass unter den in die erste Klasse eingereihten, von den schweizerischen Bundesbahnen betriebenen Bahnen, sich einzelne Linien befinden, die von geringerer
Bedeutung seien, als gewisse in die zweite Klasse versetzte Privatbahnen ; man habe also bei der Verordnung nicht allseitig mit der gleichen Elle geinessen. Die Tatsache ist richtig, ihre Beurteilung aber falsch. Es sind nur solche von den S. B. B.

betriebene Nebenlinien in die erste Klasse (Art. 19--21) ein-

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gereiht worden, deren Personal häufigem Wechsel zwischen Hauptund Nebenbahn unterworfen .ist. Es wäre nahezu unmöglich, in der Ausbildung und Kontrollführung der Leute damit Sehritt zu halten. Wenn z. B. ein Bremser, Güterschaffner, Arbeiter des Rangierdienstes etc. das eiae Mal bei den Bundesbahnen, ein anderes Mal bei der Bodensee-Toggenburg- oder der Wald-RütiBahn beschäftigt wird, so bleibt eben nichts anderes übrig, als ihn bleibend mit dem Personal der Hauptbahn einzuteilen und demgemäss dienstfrei zu lassen.

Wenn demnach einerseits feststeht, dass die G r u n d s ä t z e der Verordnung an und für sich vom Sinne des Art. 13G des Gesetzes über die Militärorganisation in keiner Weise zuungunsten der Petenten abweichen, so muss anderseits die A n w e n d u n g der Verordnung auf die einzelnen Bahnen durchaus dem Bundesrate anheimgestellt werden, so insbesondere die des Art. 3 derselben. Eine befriedigende, auf alle Fälle anwendbare Definition des ,,allgemeinen Interesses" nach Art. 136 M. 0. aufzustellen, ist unmöglich. Der Artikel bezieht sich übrigens seinem klaren Wortlaute nach nur auf da;; im Kriegsfall bestehende allgemeine Interesse, denn er will nur die für den Verkehr im Kriegsfall unentbehrlichen Beamten vom Militärdienst befreien. Anderseits ist auch gewiss, dass das allgemeine Interesse im Kriegsfall sich aus dem militärischen und dorn bürgerlichen Bedürfnisse zusammensetzt. Das in jedem einzelnen Fall abzuwägen und zu bestimmen, kann nur Sache der Exekutive sein, und es wird dabei gelegentlich auch zu Verschiebungen bei der Einreihung in die Klassen kommen, wozu eben das Schlussalinea von Art. 19 die Handhabe bietet. Es kann ebensowohl eintreten, dass eine Linie durch Erweiterungsbauten, neue Anschlüsse, Ausdehnung des Kriegsfahrplanes etc. eine grössere, der ersten Klasse entsprechende Bedeutung für den bürgerlichen und militärischen Verkehr gewinnt, wie eine andere durch Konkurrenzbauten und Ersatzlinien so an Bedeutung einbüsst, dass sie aus der ersten in die zweite Klasse zurücktreten muss.

Übrigens zeigt ein Blick auf die Tabellen B und C, dass mit den durch die Verfügingen des S. M. D. vom 6. November 1913 eingeführten Erleichterungen und unter Heranziehung des Art. 3 der Verordnung allen Bedürfnissen und berechtigten Ansprüchen der Bahnen Rechnung getragen werden kann. Davon
haben denn auch alle Bahngesellschaften bis auf die zwei verbleibenden Petenten sich überzeugt, und es ist kennzeichnend für die ganze Sachlage, dass von 248 durch die Verordnung be-

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troffenen Bahnen nur zwei sich als in ihren Rechten verletzt ansehen und noch Beschwerde führen ; darunter keine von der Bedeutung vieler derjenigen, die die Verordnung anerkannt haben und deren Durchführung sich angelegen sein lassen.

Was schliesslich die besonderen Umstände anlangt, die bei den beiden Petenten obwalten, so ist folgendes beachtenswert: a. Die A p p e n z e l l e r S t r a s s e n b a h n batterne Länge von 19,o km, 65 Angestellte, wovon im Kriegsfall 16, im Frieden 2 im Auszug und 6 in der Landwehr dienstpflichtig sind.

In diesen Zahlen sind jeweilen alle Angestellten inbegriffen, die seinerzeit die Rekrutenschule bestanden haben ; seit der Zeit aber ist ein Teil davon, wie in der ganzen Armee, dienstuntauglich geworden ; bei der Armee sind dies für Auszug und Landwehr zusammen zirka 30 °/o ; hier ist wohl mit etwas weniger, nämlich zirka 20 °/o Abgang, zu rechnen ; die Zahl der Dienstpflichtigen wäre also um so viel niedriger.

Sieht man aber auch von dieser Reduktion ab, so erhellt doch daraus, dass wegen des Entzuges von 16 (13) Angestellten im Kriegsfall der Betrieb nur um zirka a/ entzogen werden und noch dazu in der Regel nur für 13 Tage! Wie mau daraus eine ernstliche Störung oder gar Gefährdung des Betriebes ableiten will, ist uns nicht verständlich.

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b. Die Bahn M a r t i g ; n y - 0 r s i e r e s hat 19,3 km Länget 31 Angestellte; davon haben 16 (13) im aktiven und 7 (6) im Friedensdienst einzurücken, wenn noch alle als diensttauglich sich erweisen, die die Rekrutenüchule bestanden haben.

Der F r i e d e n s d i e n s t zunächst erscheint in keiner Weise gefährdet, denn mehr wie 2, höchstens 3, werden nie zugleich zum 13tägigen Wiederholungskurs eingezogen.

Hinsichtlich des Betriebes im Kriegsfall aber muss doch die Bedeutung dieser Bahn ins Auge gefasst werden. Sie besitzt an Rollmaterial nach der Eisenbahnstatistik von 1912: l Dampflokomotive und 4 Motorwagen von je 80 PS; 11 Personenwagen mit total 367 Plätzen; keine Güter- und keine Gepäckwagen.

Wenn seinerzeit gewisse Geleise- und Rampenanlagen an dieser Bahn im militärischen Interesse verlangt wurden, so geschah es einzig deshalb, weil die Züge der S. B. B. darauf verkehren können, was bei einer grösseren Beanspruchung geschehen müsste. Aus der obigen llollmaterialstatistik geht klar hervor, dass die Martigny-Orsieres-üesellschaft mit dem eigenen Material keinen Verkehr von irgendwelcher Bedeutung bewältigen könnte, somit schon aus diesem Grunde kein bedeutendes allgemeines Interesse für sich beanspruchen kann. Zieht man neben alledem noch in Betracht, dass bei nachgewiesener Unabkömmlichkeit Spezialdispense nach Art. 3 erteilt werden können, und dass mit Rücksicht auf die Verkahrsbedürfnisse in der Mobilmachungsperiode das sämtliche Personal beider Gesellschaften erst am 6. Mobilmachungstage einzurücken hat, so kann ein Zweifel darüber nicht bestehen, dass die beiden Beschwerden allen Grundes entbehren.

Wir beehren uns, Ihnen daher zu beantragen, es seien die beiden vorliegenden Beschwerden abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenerb Hochachtung.

B e r n , den 27. März ^914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft L Schatzmann.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die gegen die Dienstbefreiungs-Verordnung vom 29. März 1913 gerichteten Beschwerden der Appenzeller-Strassenbahn und der Bahn Martigny-Orsières. (Vom 27. März 1914.)

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01.04.1914

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