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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 23. März 1914, nachmittags 41/2 Uhr, zur II. Fortsetzung der ordentlichen Wintertagung zusammengetreten.

Neue Mitglieder : Im N a t i o n a l r a t : Herr Bertoni, Brenne, Advokat, in Lugano.

,, Mermoud, John Henri, Geometer, in L'Isle.

,, Yersin, Jean, Landwirt, in Pont-Farbel.

Im Nationalrate eröffnete der Vorsitzende die Sitzung mit folgendem Nachruf für den verstorbenen Nationalrat Gobat: Meine Herren Kollegen!

Auch diese ausserordentliche Session der eidgenössischenRäte kann leider nicht eröffnet werden, ohne dass wir eines inzwischen verstorbenen Kollegen gedenken müssten, eines Kollegen, der ein volles Mannesalter dem schweizerischen Parlamente angehört und in demselben zahlreiche und dauernde Spuren seines Wollens und seines Wirkens hinterlassen hat.

Am Montag den 16. März ist hier in Bern Nationalrat Dr.

Carl Albert Gobat, Direktor des internationalen Friedensbureau, den Folgen eines Schlaganfalles erlegen, welcher ihn am Morgen des gleichen Tages in einer Sitzung der Friedenskonferenz getroffen hatte.

Mitten aus derjenigen Tätigkeit heraus, welche das Ziel seiner Hoffnungen gewesen war, und die berufen schien, den, Abend seines Lebens zu verschönern, hat der Tod diesen unentwegten Arbeiter abgerufen ; kämpf- und schmerzlos durfte er aus.

dem Leben scheiden, er dem der Kampf sonst so eigen war !

Am 21. Mai 1843 in Tramelan, als der Sohn eines Pfarrersgeboren, verbrachte der Verstorbene glückliche Jugend- und Schuljahre in dem Berner Jura, dem er Zeitlebens mit der ganzenWärme seines Herzens zugetan blieb. Im Frühjahr 1862 absolvierte er in Basel das Maturitätsexamen und widmete sich in,

456 der Folge juristischen Studie a auf den Universitäten Basel, Heidelberg, Paris und Bern. Na.ch Abschluss dieser Studien liess er sich zunächst in Bern als Fürsprech nieder und erwarb sich gleichzeitig die venia legendi an der dortigen Universität für Vorlesungen über französisches Privatrecht.

Als im Jahre 1868 ein Kollege Delsberg verliess, benutzte er den willkommenen Anlass, um in seinen geliebten Jura zurückzukehren und dort ein Advokaturbureau zu eröffnen, welches bald zu den angesehensten des ganzen Kantons gehörte. Während vollen 14 Jahren ist er diesem Bureau in rastloser Arbeit vorgestanden und hat sich dadurch ein Ansehen und ein Vertrauen geschaffen, welches die sichere Grundlage werden sollte für seine späteren Erfolge auf politischem Gebiete. Kampfesfreudig und unermüdlich, den Blick nur auf das Rechte und Gute gerichtet, wohlgesinnt und pfliehtgetrsu für Arm und Reich, so wird uns sein Wirken als Anwalt geschildert und so hat er sich die Liebe seiner engeren Landsleute erworben, die ihm bis zu seiner letzten Stunde in begeisterter Treue zugetan blieben.

Sein Eintritt in das öffentliche Leben des Kantons Bern vollzog sich im Jahrä 1882, in welchem er gleich dnrch zwei Kreise in den Grossein Rat gewählt wurde, um noch im gleichen Jahre in die Berner Regierung einzutreten, der er bis Ende 1911, also 30 lange Jahre angehört hat. Die Arbeit, welche Gobat in dieser Stellung vorrichtet hat, ist in den letzten Tagen von berufener Seite geschildert worden. Ich muss mich an diesem Orte darauf beschränken, die Tatsache hervorzuheben, dass an der Bahre dieses Mannes Freund und Gegner einig waren in der Anerkennung der hervorragenden Verdienste, die Gobat sich um die Entwicklung des Kantons Bern und insbesondere um dessen Schulwesen erworben hat. Für uns Fernerstehende wirkt die Tatsache überzeugend, dass dieser Mann, der es oft so trefflich verstanden hat Gegensätze zu wecken und sich Gegner zu schaffen, am letzten Tage seiner Regierungstätigkeit nicht minder volkstümlich und geachtet war, als zu Beginn dieser Zeit, und dass die Volkswahl, der er sich aus innerster Überzeugung mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit widersetzt hatte, ihm die gleich einmütige Wahl gebracht liât, deren er sich Jahrzehnte lang im Grossen Rat erfreuen durfte. Liegt nicht in dieser Erscheinung der beste Beweis
gegen die grundsätzliche Ablehnung der Volkswahl durch den Verstorbenen?

In die e i d g e n ö s s i s c h e P o l i t i k ist Gobat schon im Jahre 1884 infolge seiner Wahl in den Ständerat eingetreten; er

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hat an derselben bis zu seiner letzten Stunde aktiven Anteil genommen und zwar seit dem Jahre 1890 als Mitglied des Nationalrates.

Nur Wenige unter uns haben seine Tätigkeit im schweizerischen Parlament von Anfang an beobachten können, aber es genügte auch eine verhältnismässig kurze Spanne Zeit gemeinsamer Arbeit, um in G-obat eine ganze Persönlichkeit, einen streitbaren, oft rücksichtslosen Gegner, aber einen im Grunde seines Herzens wohlmeinenden, guten Menschen, voll idealen Strebens ZM erkennen. Wer ihn auch nur einmal gehört hat, dem musste es klar werden, dass dieser Mann immer nur aus eigener Erkenntnis und Überzeugung heraus und in konsequenter Verfolgung seiner individuellen Lebensauffassung sprach und handelte, und dass er aus diesem Born der Selbständigkeit im Denken und Empfinden den Willen und den Mut schöpfte, immer und überall seine eigenen Wege zu gehen. Diese Wege waren freilich ab und zu sonderbar und schwer verständlich, aber die Art und Weise, auf welche er sie suchte und ging, nötigte auch dem Andersgesinnten je und je Achtung vor dem Manne ab, der so zu gehen wusste, und der sich durch Jahrzehnte öffentlichen "Wirkens hindurch seine absolute Unabhängigkeit gewahrt hat, ohne je eine Konzession an Freund oder Feind zu machen, die nicht seiner eigenen und innersten Überzeugung entsprochen hätte.

Im Parlamente wusste er sich bald eine Stellung zu schaffen, weil gründliche juristische und historische Kenntnisse, sowie reiche Erfahrung gepaart mit ausgesprochener Intelligenz und Beredsamkeit es ihm möglich machten, an der Beratung aller wichtigen Fragen teilzunehmen. Seine Hauptverdienste hat er sich auch im eidgenössischen Parlament auf dem Gebiet des Schulwesens und der Rechtsentwicklung erworben.

Der Name Gobats ist aber auch weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus bekannt und geachtet infolge seiner ·unermüdlichen Arbeit im Dienste der grossen Idee einer dauernden Erhaltung des Weltfriedens. Seit Beginn der internationalen Organisation dieser Bestrebungen hat der Verstorbene hervorragenden Anteil genommen an allen dahinzielenden Arbeiten.

Er hat überall da, wo sich Gelegenheit dazu bot, das Ideal des Weltfriedens in Wort und Schrift verteidigt und hat alle Kongresse und Versammlungen besucht und teilweise geleitet, welche diesen Bestrebungen dienen sollten. Diese
hingebende, unermüdliche Tätigkeit im Dienste eines grossen Ideals aller Kulturmensehen hat ihre äussere Anerkennung gefunden in der VerBundenblatt. 66. Jahrg. Bd. II.

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leihung des Nobelpreises an Dr. Gobat und in seiner Berufung zum Direktor des neugegriindeten internationalen Friedensbureau in Bern. Dankbar und freudig folgte Gobat diesem Rufe, der es ihm möglich machen sollte, die Arbeit seines Lebens im Dienste seines eigenen, höchsten Ideals zu beendigen. Man hat oft lächelnd die Qualifikation des Verstorbenen für diese Funktion eines ^Friedensapostels" bezweifelt und hat diese Zweifel aus der Tatsache abgeleitet, dass Gobat allezeit ein Rufer im Streite um seine Grundsätze und Lebensanschauungen war, und dass er den daraus abgeleiteten Kampf ohne Schonung zu führen pflegte.

Gewiss hat man ihm damit Unrecht getan: Der ,,Weltfriede", den Gobat mit seinen Gleichgesinnten anstrebte, hat keineswegs die Beseitigung des Kampfes um Grundsätze und Gegensätze zur Voraussetzung, sondern er soll aus der Umgestaltung der Formen entstehen, unter welchen dieser Kampf ausgetragen werden soll.

An Stelle des Krieges in seiner heutigen Form und mit seinein Endzweck auf Vernichtung des Gegners durch physische Gewaltmittel soll der Kampf mil; Waffen des Geistes, die Überwindung der Gegensätze durch menschliche Einsicht und unparteiisches Urteil treten. In diesem Sinne wollte auch Gobat den Frieden und in diesem Sinne konnte er ihn wollen, ohne irgendwie mit der Kampfesnatur in Widerspruch zu treten, die er ja unzweifelhaft war.

Man mag über die Aussichten, welche sich den Bemühungen um die Sache des Weltfriedens eröffnen, denken wie man will, aber niemand kann und soll den hohen Kulturwert dieser Bestrebungen verkennen und jedermann muss ihren Trägern baldigen und vollen Erfolg wünschen.

Mit diesem Wunsche wollen auch wir Abschied nehmen von dem braven und idea', denkenden Menschen, von dem willensstarken und selbständigen Charakter, von dem warmen und aufrichtigen Patrioten, der Carl Albert Gobat war.

Ich bitte Sie das Andenken des Verstorbenen zu ehren, indem Sie sich von Ihren Sitzen erheben.

Im S t ä n d e r a t widmete der Präsident bei der Eröffnung der Sitzung dem verstorbenen Herrn Nationalrat Gobat ebenfalls einen Nachruf, worauf sich die Mitglieder zu Ehren des Dahingeschiedenen von ihren Sitzen erhoben.

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