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Schweizerisches Bundesblatt.

66. Jahrgang.

17. Juni 1914.

Band III.

Jahrespreis (postfrei in der ganzen Schweiz): 10 Franken.

Einrückungsgebühr : 15 Happen die Zeile oder deren Raum. -- Anzeigen franko an die Buchdruckerei Stämpfli & die. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die am 11. Juni 1914 mit Frankreich ausgetauschte gegenseitige Erklärung zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der französischen Zone des cherifischen Reiches.

(Vom

11. Juni 1914.)

Die Konsuln der christlichen Staaten in nicht-christlichen Ländern haben im allgemeinen sehr weitgehende Befugnisse ; insbesondere die Gerichtsbarkeit über die Angehörigen ihres Staates und ihre Schutzbefohlenen und gemessen sehr weit ausgedehnte Immunitäten. Diese Unterscheidung gegenüber den in christlichen Ländern bestehenden Konsulaten entspringt dem grossen Unterschied der zwischen der ganzen politischen und gerichtlichen Organisation der christlichen und der nicht-christlichen Völker besteht. Es ist sozusagen unumgänglich notwendig, die Angehörigen der christlichen Staaten einer der ihren ganz verschiedenen Gerichtsbarkeit zu entziehen und ihnen die Gelegenheit zu verschaffen, sich nach den Gerichten ihres Heimatlandes beurteilen zu lassen. (Bluntschli : Das moderne Völkerrecht der zivilisierten Staaten, § 269.) Nach der Bezeichnung gewisser, mit muselmanischen und ändern Herrschern abgeschlossener Verträge, welche den genannten Vorrechten zugrunde liegen,, wird diese Ordnung der Dinge im allgemeinen als diejenige der ,,Kapitulationen" bezeichnet. Die Kapitulationen werden in der Türkei und den Ländern des Morgenlandes überhaupt und in Bundesblatt. 66. Jahrg. Bd. III.

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verschiedenen Staaten des fernen Ostens (z. B. China und Siam) angewendet; sie waren es auch in den mohammedanischen Ländern des Mittelmeeres, sind aber in Tunis und Tripolitanien aufgehoben und in Ägypten abgeändert worden, während sie in Marokko noch bestehen. Tatsächlich geniesst nun allerdings die Schweiz nirgends die direkten Vorteile dieser Kapitulationen, weil sie früher Verträge solcher Art nicht abgeschlossen hat und die in Betracht kommenden Staaten sich nun weigern, neue Kapitulationsverträge abzuschliessen ; die Schweiz hat somit in diesen Ländern keine eigenen Konsulate und keine eigene Gerichtsbarkeit. Das verhindert nun allerdings nicht, dass die in einem Kapitulationslande niedergelassenen Schweizer doch die Vorteile dieser Kapitulationen geniessen können, weil sie, wenn sie sich unter den Schutz des Konsulats eines Staates stellen, der dieser besondern Behandlung teilhaftig ist, den Angehörigen dieses Staates in bezug auf diese Vorrechte gleichgestellt sind.

Nun ist seit dem 15. Oktober 1913 die französische Gerichtsbarkeit in der französischen Zone des cherifischen Reiches eingeführt, und dadurch sind die Grundlagen der Existenzberechtigung der Kapitulationen in dieser Zone stark verändert worden.

Bei dieser neuen Sachlage ist es natürlich, dass Frankreich darnach trachtet, die Konsulargerichtsbarkeit und die ändern, aus den Kapitulationen sich ergebenden Vorrechte abzuschaffen, wie dies früher für Tunis auch geschehen ist. Es ist hierbei allerdings zu bemerken, dass das von den französischen Gerichten in Marokko anzuwendende Recht nicht ohne weiteres dasjenige der französischen Rechtsgesetzgebung ist, sondern sich vielmehr zum grossen Teil in einer speziellen und sehr beachtenswerten, auf die im internationalen Rechte anerkannten Grundsätze aufgebauten Gesetzgebung niedergelegt findet. So ist die Gerichtsorganisation durch ein Dekret des Präsidenten der französischen Republik, vom 7. September 1913, geregelt, wodurch ein bezügliches ,,Dahir* (Dekret) des Sultans ratifiziert wurde; andere ,,Dahirs" regeln das Strafprozessrecht, das Assessorat in Kriminalsachen, das Zivilprozessrecht, die Zivilgebühren, das Armenrecht vor Gericht, die zivilrechtliche Stellung der Franzosen und der Fremden, die grundbuchliche Eintragung der Immobilien ; ein ,,Dahira bildet das Handelsrecht, ein
anderes das Obligationen- und Vertragsrecht.

Wir heben aus diesen ,,Dahirsa folgende Punkte besonders hervor : 1. S t r a f p r o z e s s r e c h t : Zuweisung der Beurteilung der Fremden an ein Gericht, dem fremde Assessoren beigegeben sind.

2. Z i v i l p r o z e s s r e c h t : Man hat auf das System der Käuflichkeit der Hülfsämter der Justiz verzichtet; indem man diese Hülfsämter in öffentliche Ämter umwandelte. Die Köm-

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mission ist in dieser Beziehung dem Beispiele der Schweiz, Österreichs und Deutschlands gefolgt. Man hat auch versucht, eine dem internationalen Prozessrechte entsprechende Ordnung einzuführen, die geeignet wäre, sich den Streitigkeiten betreffend die verschiedensten nationalen Gesetze anzupassen und d i e d e n A n g e h ö r i g e n d e r verschiedenen S t a a t e n w e n i g s t e n s i n den Grundzügen die Anwendung ihres Status pers o n a l i s g e w ä h r l e i s t e t.

3. Z i v i l r e c h t l i c h e Stellung der F r a n z o s e n und A u s l ä n d e r : Dieses Kapitel stellt einen wahren Kodex internationalen Privatrechts dar, indem ihm in den meisten Fällen die Lösungen zugrunde liegen, welche in den internationalen Übereinkünften vom Haag aufgenommen worden sind. Der Stand und die Handlungsfähigkeit der Franzosen und Fremden, die Ehe und die Ehescheidung, der Ehevertrag, die Nachlassenschaften -- von Immobilien sowohl als von Mobilien -- sind den n a t i o n a l e n G e s e t z e n unterworfen. Im Protektorat vorgenommene Rechtshandlungen sind in bezug auf die Form gültig, wenn sie den Vorschriften, sei es der N a t i o n a l g e s e t z e der Beteiligten, der französischen Gesetze oder der Gesetzgebung des Protektorats oder endlich den lokalen Gesetzen oder Gebräuchen entsprechen.

4. Das Handelsgesetzbuch ist der französischen Gesetzgebung nachgebildet und durch Bestimmungen aus den s c h w e i z e r i s c h e n und 'deutschen Gesetzen verbessert, insbesondere in bezug auf die Errichtung eines Handelsregisters.

Unter diesen Umständen schlug uns die französische Regierung den Abschluss einer Vereinbarung vor, wodurch wir die französischen Gerichte ausdrücklich anerkennen und auf alle Vorrechte der Kapitulationen verzichten würden. Gleichzeitig würden die zwischen der Schweiz und Frankreich bestehenden Verträge und Übereinkommen jeder Art auch auf die französische Zone des cherifischen Reiches ausgedehnt. Eine gleiche Vereinbarung ist am 14. Oktober 1896 betreffend Tunis abgeschlossen worden (A. S. n. F. XVI, 12). Ausserdem sollte diese Verständigung der Schweiz die volle wirtschaftliche Freiheit ohne jede Ungleichheit zusichern.

Wir haben uns mit diesen Vorschlägen einverstanden erklärt und haben in der Gestalt einer gegenseitigen Erklärung am 11. Juni 1914 die Vereinbarung unterzeichnet,
die wir uns beehren, Ihnen hiermit zu unterbreiten.

Die Zahl der in Marokko lebenden Schweizer ist zwar gegenwärtig nicht sehr gross ; in der uns jetzt interressierenden Gegend mögen es höchstens etwa 100 Personen sein, welche bis jetzt

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zum grössten Teil Schutzbefohlene französischer Konsuln waren, indem nur einige wenige bei Konsulaten Deutschlands sich eingeschrieben hatten. Marokko ist jedoch ein Land der Zukunft und die Zahl der sich dorthin wendenden Schweizerbürger nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die vorliegende Vereinbarung stellt nun alle diese Mitbürger unter ein und dasselbe Recht, das durch Frankreich verbürgt und durch seine Gerichte gesprochen wird.

Der seit dem Jahre 1896 in Tunis herrschende Zustand hat allseitig befriedigt, und wir sind überzeugt, dass für dieses neue, dem französischen Einfluss unterstellte Land das gleiche der Fall sein wird.

Aber die zwischen den beiden Regierungen abgeschlossene Vereinbarung erlangt eine noch grössere Tragweite dadurch, dass sie uns die wirtschaftliche Freiheit ohne irgendwelche Ungleichheit, sowie die Anwendung in der französischen Zone des cheritischen Reiches aller mit Frankreich abgeschlossenen Verträge und Übereinkommen zusichert, sofern deren Anwendung nicht durch ihren Inhalt oder durch eine gegenteilige Bestimmung ausgeschlossen ist. Es wird niemandem entgehen, welcher Entwicklung der Handel Marokkos fähig ist, und es ist zu wünschen, dass von Anfang an und für alle Zukunft unserm Exporthandel die gleichen Bedingungen zugesichert werden, wie demjenigen irgend eines ändern Landes. Diesem Zwecke dient die vorliegende Vereinbarung in weitgehendstem Masse.

Zwar ist es uns nicht möglich, die gegenwärtige Bedeutung des Handels zwischen der Schweiz und Marokko in Zahlen auszudrücken, weil in unserer Handelsstatistik dieser Handel mit demjenigen nach Algier und Tunis zusammen aufgeführt ist.

Doch hier handelt es sich hauptsächlich um eine Vereinbarung, die ihre Früchte erst in Zukunft tragen wird, und wir nehmen an, dass unser Exporthandel und unsere Industrien jede Massnahme begrüssen müssen, die dazu angetan ist, ihnen neue Absatzgebiete zu sichern.

Art. l sichert der Schweiz die wirtschaftliche Freiheit ohne jede Ungleichheit zu, so wie sie sich aus der Generalakte von Algesiras, vom 7. April 1906, und den später abgeschlossenen internationalen Verträgen ergibt.

Die vorgenannte Generalakte sieht in der Tat in ihrer Vorrede die ,,wirtschaftliche Freiheit ohne jede Ungleichheit111 vor, und auf diese Bestimmung kann sich die Schweiz berufen. Dabei ist immerhin zu bemerken, dass, weil die Schweiz nicht selbst Mitunterzeichnerin der Generalakte von Algesiras ist, sie kein

547 Mittel besitzt, sich einer Abänderung dieser Übereinkunft zu widersetzen, die sie von den den Signatarstaaten zuerkannten Vorteilen ausschliessen würde. Dieser Nachteil wird durch die Bestimmungen der Erklärung aufgehoben, die wir Ihnen vorlegen und die einer solchen Änderung durch Drittstaaten nicht unterworfen werden kann. Was die neben der Generalakte von Algesiras genannten ,,später abgeschlossenen Verträge" anbetrifft, so hatten wir dabei besonders das französisch-deutsche Abkommen vom 4. November 1911 im Auge gehabt, welches, unter ändern, folgende Bestimmungen enthält, die für uns von Interesse sein können.

Art. 1. ,,Die kaiserlieh deutsche Regierung gibt ihre Zustimmung zu Massnahmen der Reorganisation, der Überwachung . ..

unter dem Vorbehalte, dass das V o r g e h e n F r a n k r e i c h s die wirtschaftliche Gleichberechtigung der Nationen u n a n g e t a s t e t lässt.

,,Für den Fall, dass Frankreich sich veranlasst sehen sollte, seine Kontrolle und seinen Schutz schärfer zum Ausdruck zu bringen und auszudehnen, wird die kaiserlich deutsche Regierung in Anerkennung der vollen Aktionsfreiheit Frankreichs und unter d e m V o r b e h a l t e , d a s s d i e i n d e n f r ü h e r n Verträgen v o r g e s e h e n e H a n d e l s f r e i h e i t aufrechterhalten bleibt, dem kein Hindernis in den Weg legen. . . .

Art. 4. ,,Die französische Regierung erklärt, dass sie, e n t schlossen, u n v e r b r ü c h l i c h an dem Grundsatz der H a n d e l s f r e i h e i t i n M a r o k k o f e s t z u h a l t e n , keinerlei ungici chmässige Behandlung bei der Einführung von Z ö l l e n , Steuern und ändern Abgaben, noch bei d e r F e s t s e t z u n g d e r T a r i f e f ü r Transporte a u f E i s e n b a h n e n , Flussschiffahrts- oder allen ändern Verk e h r s w e g e n , e b e n s o w e n i g wie in allen Fragen des D u r c h g a n g s v e r k e h r s , zulassen wird.

,,Desgleichen wird sich die französische Regierung bei der marokkanischen Regierung dafür verwenden, d a s s j e d e u n t e r schiedliche Behandlung von Angehörigen der vers c h i e d e n e n Mächte v e r m i e d e n w i r d : sie wird sich namentlich jeder Massnahme widersetzen, die, wie z. B. der E r l a s s a d m i n i s t r a t i v e r V e r o r d n u n g e n bet r e f f e n d Mass u n d G e w i c h t , Eich v e r f a h
r e n , Punz i e r u n g v o n E d e l m e t a l l w a r e n usw. ..., d i e W a r e n eines Staates in ihrer K o n k u r r e n z f ä h i g k e i t b e e i n t r ä c h t i g e n könnten. ...

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Art. 5. ,,Die französische Regierung wird dafür sorgen, dass in Marokko k e i n e r l e i A u s f u h r a b g a b e n für die aus marokkanischen Häfen ausgeführten Eisenerze erh o b e n w e r d e n . E i s e n e r z b e r g w e r k e haben weder für Förderung noch für Betriebsmittel i r g e n d e i n e b e s o n d e r e A b g a b e zu t r a g e n . Sie werden, ausser den allgemeinen Steuern, nur eine nach Hektar und Jahr berechnete feste Abgabe und eine Steuer nach Massgabe des Bruttoertrages entrichten.

Diese Abgaben . . . sind in gleicher Weise von a l l e n Bergwerksunternehmungen zu tragen. . ..

Art. 6. ,,Die Regierung der französischen Republik verpflichtet sich, dafür zu sorgen, dass die A r b e i t e n und L i e f e r u n g e n , die für den etwaigen Bau von Strassen, Eisenbahnen, Häfen, Telegraphenleitungen usw. benötigt werden, durch die marokkanische Regierung auf dem S u b m i s s i o n s w e g e vergeben werden.

,,Sie verpflichtet sich ferner, dafür zu sorgen, dass die S u b m i s s i o n s b e d i n g u n g e n , besonders was die Materiallieferung und die Fristen für Submissionsangebote betrifft, die A n g e h ö r i g e n keines Staates benachteiligen.

. . . ,,Die französische Regierung wird dafür sorgen, dass bei dem Betriebe der E i s e n b a h n e n und anderer Verkehrsmittel, wie bei der Anwendung der zur Regelung ihres Betriebes bestimmten Verordnungen, k e i n e r l e i u n t e r s c h i e d l i c h e B e h a n d l u n g d e r A n g e h ö r i g e n d e r v e r s c h i e d e n e n Staaten, die von diesen Transportmitteln Gebrauch machen, e i n t r i t t . . . .

Art. 7. ,,Die französische Regierung wird bei der marokkanischen Regierung dafür eintreten, dass die E i g e n t ü m e r von Bergwerken, sowie von ändern industriellen und l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n U n t e r n e h m u n g e n , o h n e Unters c h i e d i h r e r S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t , e r m ä c h t i g t M'erden k ö n n e n , nach Massgabe von Reglementen, die nach dem Vorbild der diesbezüglichen französischen Gesetzgebung erlassen werden sollen, für i h r e n B e t r i e b E i s e n b a h n e n zu b a u e n , die ihre Produktionszentren mit den allgemeinen Verkehrslinien und den Häfen verbinden." Die Bestimmungen dieses deutsch-französischen Abkommens verdienen, hier angeführt zu werden,
weil sie gewissermassen das Statut des in Marokko Handel treibenden Ausländers bilden.

Die Ihnen vorgelegte Vereinbarung bestimmt ausserdem im zweiten Alinea des Art. l, dass in Zukunft alle irgendeinem

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Staate oder seinen Angehörigen eingeräumten Vorteile sofort und ohne irgendwelche Gegenleistung in vollem Umfange a u c h auf die Schweiz und ihre Angehörigen auszudehnen sind.

Ein Punkt ist daher besonders hervorzuheben, der den Unterschied in der Ordnung der Dinge in Marokko und Tunis ganz speziell auszeichnet, nämlich der, dass Frankreich im cherifischen Reiche in wirtschaftlicher Beziehung nicht die bevorzugte Stellung einnimmt, wie dies in der Regentschaft von Tunis der Fall ist. Die französischen Waren z. B. entrichten und werden auch in Zukunft bei ihrer Einfuhr in das Protektorat die gleichen Abgaben entrichten wie die Waren aus ändern Ländern; die schweizerischen Waren sind und werden auch in Zukunft gleich behandelt sein wie die französischen Waren.

Art. 2 der Vereinbarung enthält den Verzicht auf die Kapitulationen. Da wir nun allerdings mit Marokko keine Kapitulationen abgeschlossen hatten, so konnten wir uns bisher nicht direkt auf deren Anwendung berufen, aber, wie weiter oben schon ausgeführt worden ist, waren diejenigen Schweizerbürger, die sich unter den Schutz eines dritten Staates stellten, seiner Gerichtsbarkeit unterworfen und genossen so die Vorrechte, die die Kapitulationen diesem Staate zusicherten.

Unsere Staatsaugehörigen können in Zukunft die Kapitulationen nicht mehr für sich in Anspruch nehmen; vorbehalten bleiben immerhin die Übergangsbestimmungen, die in Erwartung der Errichtung schweizerischer Konsulate im Protektorate, die Schweizer, die sich schon beim Konsulat eines dritten Staates haben eintragen lassen, unter dessen Jurisdiktion belassen.

Es unterliegt immerhin keinem Zweifel, dass gegenwärtig bei dem Konsulargerich t eines dritten Staates hängige Geschäfte betreffend Schweizer, die bei diesem Konsulate sich haben eintragen lassen, selbst auch dann der angerufenen Gerichtsbarkeit unterliegen, bis sie zu Ende geführt sind, wenn inzwischen ein oder mehrere schweizerische Konsulate im französischen Protektorate errichtet würden.

Dieser formelle Verzicht unsererseits, sogar in Abwesenheit von .zu unsern Gunsten abgeschlossenen Kapitulationen, wird übrigens von dem Augenblick an nötig, da wir in bezug auf die Niederlassung die Behandlung der meistbegünstigten Nation erfahren. Die Schweizer in Marokko hätten ohne diesen Verzicht auf Grund dieser Klausel die Vorrechte der Kapitulationen so

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lange verlangen können, als irgendeine dritte Macht darauf nicht verzichtet hätte.

Durch Alinea 2 des Art. 2 verzichtet die Schweiz darauf, zugunsten später im Protektorat zu errichtender Konsulate andere Rechte und Vorrechte zu beanspruchen, als diejenigen, die ihnen in Frankreich gewährt sind. Unsere Vereinbarung mit Tunis enthält die nämliche Bestimmung.

Art. 3 enthält, wie das 1. Alinea der Vereinbarung von 1896 betreffend Tunis, die Bestimmung, wonach sämtliche Verträge und Übereinkommen irgendwelcher Natur, die zwischen der Schweiz und Frankreich bestehen, auch auf die französische Zone des cherifischen Reiches anwendbar sind, ausgenommen natürlich diejenigen Abkommen, welche eine gegenteilige Bestimmung enthalten, und vorausgesetzt, dass diese Ausdehnung nicht dem Inhalt der betreffenden Abkommen oder der in Art. l vorgesehenen wirtschaftlichen Gleichheit widerspricht. Die Verträge und Abkommen, deren Ausdehnung auf das Protektorat gegenwärtig in Frage kommen kann, sind diejenigen, derer schon die Botschaft vom 20. November 1896 betreffend Tunis Erwähnung tut (Bundesbl. 1896, IV, 625 ff.), und awar: a. V e r t r a g vom 15. Juni 1869 betreffend den G er i c h t sstand und die Vollziehung von Urteilen in Zivils a c h e n (A. S. IX, 1002).

b. A b l i e f e r u n g s v e r t r a g vom 9. Juli 1869 (A. S. X, 35).

Durch Notenaustausch, deren Text Ihnen ebenfalls vorliegt, und der zwischen den beidseitigen Bevollmächtigten anlässlich der Unterzeichnung der Erklärung vom . Juni 1914 vorgenommen worden ist, wurde, angesichts der Entfernung, die uns von Marokko trennt, die in Art. 4 vorgesehene Frist von 14 Tagen zur Einreichung der Belege zum Auslieferungsbegehren wie für Tunis auf 2 Monate verlängert. Diese Noten bestimmen des fernem, dass die bis jetzt ausgetauschten oder in Zukunft auszutauschenden Reziprozitätserklärungen zur Ausdehnung oder Abänderung des Auslieferungsvertrages von vorneherein auch auf die französische Zone des cherifischen Reiches Anwendung finden sollen.

c. N i e d e r l a s s u n g s v e r t r a g vom 23. Februar 1882 (A. S. n. F.

VI, 395). Wir sind der Ansicht, dass auch marokkanische Eingeborene des französischen Protektorates, die aber nicht französische Staatsbürger sind, nichtsdestoweniger zur Niederlassung in der Schweiz zugelassen werden sollen, sofern sie als französische

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Schutzbefohlene mit einem Immatrikulationsschein eines französischen Konsulats in der Schweiz versehen sind. Ihre Lage wird eine ähnliche sein, wie diejenige der Tunesier und der Araberaus Algier.

d. Ü b e r e i n k u n f t b e t r e f f e n d g e g e n s e i t i g e u n e n t geltliche Verpflegung der Geisteskranken und verl a s s e n e n K i n d e r , vom 27. September 1882 (A. S. n. F. VII, 186). Auch hier sind wir der Ansicht, dass wir z. B. die Heimschaffung eines geistesgestörten oder verlassenen Marokkaners verlangen können, dessen Eigenschaft als französischer Schutzbefohlener unzweifelhaft 'festgestellt ist.

e. Die Ü b e r e i n k u n f t betreffend D u r c h f ü h r u n g d e r S c h u l p f l i c h t i n d e n b e i d s e i t i g e n G e b i e t e n , insb e s o n d e r e in den G r e n z o r t s c h a f t e n , vom 14. Dezember 1887 (A. S. n. P. X, 629), wird dann auch ihre Anwendung finden können, wenn Frankreich in Marokko den obligatorischen und unentgeltlichen Primarschulunterricht organisieren wird.

Es versteht sich von selbst, dass die Vereinbarungen betreffend schweizerisch-französischer Eisenbahnen, die Jagd, die Fischerei, die Wälder, die Ausübung der Medizin, den Grenzverkehr auf unsere Beziehungen zu Marokko keine Anwendung finden können.

Wir empfehlen Ihrer Genehmigung sowohl die abgeschlossenen Vereinbarungen als auch den beiliegenden Beschlussentwurf und versichern Sie, Herr Präsident, geehrte Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den 11. Juni 1914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

552 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

eine Vereinbarung mit der französischen Regierung zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der französischen Zone des cherifischen Reiches.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. der mit der französischen Regierung ausgetauschten gegenseitigen Erklärung zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der französischen Zone des cherifischen Reiches vom 11. Juni 1914; 2. der am gleichen Tage zwischen den Bevollmächtigten der beiden Staaten ausgetauschten Noten ; 3. einer Botschaft des Bundesrates vom 11. Juni 1914, beschliesst: Art. 1. Die erwähnte Erklärung mit der anlässlich der Unterzeichnung ausgetauschten Note wird genehmigt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

553 Übersetzung.

Gegenseitige Erklärung mit der französischen Regierung, vom 11. Juni 1914, zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der französischen Zone des cherifischen Reiches.

In der Absicht, die vertragsmässige Stellung der Schweiz in der französischen Zone des cherifischen Reiches zu bestimmen, haben die Unterzeichneten, zu diesem Zwecke von ihren Regierungen gehörig bevollmächtigt, folgendes vereinbart: 1. Die Schweiz wird in der französischen Zone des cherifischen Reiches die wirtschaftliche Freiheit ohne jede Ungleichheit gemessen, wie sie sich aus der Generalakte von Algesiras vom 7. April 1906 und den spätem internationalen Verträgen ergibt.

Infolgedessen werden sieh alle irgend einer Macht oder ihren Staatsangehörigen zu gewährenden Vorteile sofort in vollem Umfange und ohne irgend welche Gegenleistung auch auf die Schweiz und ihre Staatsangehörigen ausdehnen.

2. Die Schweiz verzichtet darauf, für ihre Staatsangehörigen und ihre Niederlassungen in der französischen Zone des cherifischen Reiches die sich aus den Kapitulationen ergebenden Rechte und Vorrechte in Anspruch zu nehmen.

Sie wird, für ihre Konsuln und ihre Niederlassungen in der Zone keine ändern Rechte und Vorrechte als diejenigen beanspruchen, die ihr in Frankreich zustehen.

3. Die Verträge und Vereinbarungen jeder Art, die zwischen der Schweiz und Frankreich in Kraft bestehen, werden auf die französische Zone des cherifischen Reiches ausgedehnt, sofern sie

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selbst nicht eine gegenteilige Bestimmung enthalten, und diese Ausdehnung nicht mit dem Inhalt der betreffenden Übereinkommen im Widerspruch steht, oder mit der in Artikel l der gegenwärtigen Vereinbarung vorgesehenen wirtschaftlichen Gleichheit nicht unvereinbar ist.

Übergangsbestimmung.

Bis zur Gründung schweizerischer Konsulate in der französischen Zope des cherifischen Reiches bleiben diejenigen Schweizer, die sich vor dem Datum der Unterzeichnung der gegenwärtigen Vereinbarung bei dem Konsulate eines dritten Staates haben einschreiben lassen, den Konsulargerichten dieses Staates unterworfen, wenn dieser Staat noch nicht auf sein Vorrecht der Gerichtsbarkeit verzichtet hat ; sie können sich immerhin in keinem Falle dem Schütze dieses Konsulates entziehen, um sich demjenigen des Konsulats eines ändern dritten Staates zu unterstellen.

Die gegenwärtige Vereinbarung wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden in möglichst kurzer Frist ausgetauscht werden ; sie tritt zehn Tage nach dem Austausch der Ratifikationen in Kraft.

Im Doppel ausgefertigt zu B e r n , den 11. Juni 1914.

Der Präsident der schweizerischen Eidgenossenschaft, Chef des eidg. politischen Departements : (sig.) Hoffmann.

Der Geschäftsträger Frankreichs : (sig.) Gilbert.

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Notenaustausch zwischen

dem Präsidenten der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Geschäftsträger Frankreichs, anlässlich der Unterzeichnung der mit der französischen Regierung ausgetauschten Erklärung zur Regelung derBeziehungen zwischen der Schweiz und dem französischen Protektorat in Marokko.

,

Bern, den 11. Juni 1914.

Herr Geschäftsträger !

Bei Anlass der Unterzeichnung der Vereinbarung betreffend den Verzicht der Schweiz auf die Kapitulationen in der französischen Zone des cherifischen Reiches, beehre ich mich, Ihnen zur Kenntnis zu bringen, dass der Bundesrat, indem er diesen Beschluss fasst, folgendes als wohlverstanden betrachtet: 1. dass die im Schlussalinea des Artikels 4 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich, vom 9. Juli 1869, vorgesehene Frist von 14 Tagen zur Aufrechterhaltung der vorläufigen Verhaftung bis zur Beibringung, auf diplomatischem Wege, der Beilagen zu einem Auslieferungsbegehren für die französische Zone des cherifischen Reiches auf zwei Monate ausgedehnt ist; 2. dass die zur Ausdehnung oder Abänderung dieses Auslieferungsvertrages bis jetzt ausgewechselten oder in Zukunft auszuwechselnden Gegenseitigkeitserklärungen auch in vollem Umfange auf die französische Zone des cherifischen Reiches anwendbar sein werden.

Genehmigen Sie, Herr Geschäftsträger, die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung.

Der Bundespräsident: .

(sig.) Hoffmann.

Herrn Gilbert, Geschäftsträger Frankreichs, Bern.

556 Botschaft der französischen Republik in der Schweiz.

Bern, den 11. Juni 1914.

Herr Präsident!

Bei Anlass der Unterzeichnung der Vereinbarung betreffend den Verzicht der Schweiz auf die Kapitulationen in der französischen Zone des cherifischen Reiches, habe ich die Ehre, Eurer Exzellenz zu bestätigen, dass wohlverstanden ist: 1. dass die im Schlussalinea des Artikels 4 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich, vom 9. Juli 1869, vorgesehene Frist von 14 Tagen zur Aufrechterhaltung der vorläufigen Verhaftung bis zur Beibringung, auf diplomatischem Wege, der Beilagen zu einem Auslieferungsbegehren für die französische Zone des cherifischen Reiches auf zwei Monate ausgedehnt ist; 2. dass die zur Ausdehnung oder Abänderung dieses Auslieferungsvertrages bis jetzt ausgewechselten oder in Zukunft auszuwechselnden Gegenseitigkeitserklärungen auch in vollem Umfange auf die französische Zone des cherifischen Reiches anwendbar sein werden.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, die Versicherungen meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.

(sig.) A. Gilbert.

Seiner Exzellenz Herrn Bundespräsidenten Hoffmann, Bern.

-oe»---

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