# S T #

5 5 5

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Massnahmen zum Schütze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität.

(Vom 2. August 1914.)

Die schwarze Wolke, die seit Jahren gefahrdrohend am politischen Himmel stand, hat sich entladen. Die Kriegsgefahr ist in unmittelbare Nähe gerückt. Österreich-Ungarn hat am 28. Juli Serbien den Krieg erklärt, Russland hat die Mobilisation seiner gesamten Armee und Flotte angeordnet, woraufhin im Deutschen Reich das gesamte Bundesgebiet in Kriegszustand erklärt worden ist. Die neuesten Nachrichten ergeben, dass Deutschland Russland den Krieg erklärt hat ; die französische Armee wird mobilisiert ; der Kriegsausbruch zwischen Deutschland und Frankreich ist stündlich zu erwarten. Ein europäischer Krieg von ungeheurer Ausdehnung steht vor der Türe Welche Stellung die Schweiz in diesem Konflikte einzunehmen hat, kann nicht zweifelhaft sein. Die von unserm Staate aus eigener freier Entschliessung gewählte Richtlinie seiner Politik, die durch internationale Verträge ausgesprochene Anerkennung unserer neutralen Stellung und die ganze geschichtliche Entwicklung lassen keinen Zweifel aufkommen, dass das Wohl unseres Landes die Einhaltung vollständiger Neutralität verlangt.

Wir erbitten uns die Ermächtigung, diesen Entschluss der schweizerischen Eidgenossenschaft den fremden Mächten zu notifizieren und werden die zur strikten Handhabung der Neutralität notwendig erscheinenden Anordnungen treffen.

Damit wir unsere Neutralität wahren und die Unabhängigkeit und Integrität des Vaterlandes schützen können, bedarf es der kraftvollen Entschlossenheit unserer Nation, jeden fremden Eingriff, komme er woher immer, mit Gewalt zurückzuweisen.

Dieser kraftvollen Entschlossenheit des Schweizervolkes waren wir gewiss und haben gestern die schweizerische Armee, Auszug,

6

Landwehr und einen Teil des Landsturms, aufgeboten. Es handelt sich darum, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass gleich von Anfang an mit der ganzen militärischen Kraft jedem Einbrüche in unser Land entgegengetreten werden kann. Was seit vielen Jahren durch die grossen Opfer unseres Volkes geschaffen wurde, soll nicht deshalb nutzlos gemacht oder in seiner Wirkung beeinträchtigt werden, weil die Behörden kleinmütig vor der sofortigen Einsetzung der zur Verfügung stehenden Kräfte zurückschrecken.

Wir -bitten Sie, von dem erlassenen Aufgebot genehmigende Kenntnis zu nehmen.

Die für die Ausbildung, Bewaffnung und Ausrüstung unserer Truppen, für die allgemeine Kriegsbereitschaft seit Jahren getroffene Vorsorge darf uns die Beruhigung geben, dass wir der an uns herantretenden Aufgabe gewachsen sein werden. Die Massnahmen, die zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Brot getroffen wurden, sind eine Bürgschaft dafür, dass wir aller Voraussicht nach auch in dieser Beziehung den kommenden Ereignissen beruhigt entgegensehen können.

Die finanzielle Lage hat uns zu folgenden am 30. Juli getroffenen Massnahmen Veranlassung gegeben : a. Wir haben die Nationalbank in Anwendung von Art. 19 des Bundesgesetzes über die schweizerische Nationalbank vom 6. Oktober 1905 ermächtigt, Banknoten im Nennwerte von Fr. 20 auszugeben.

b. Wir haben in Anwendung von Art. 23 des genannten Gesetzes für die Banknoten der schweizerischeu Nationalbank den gesetzlichen Kurs erklärt. Infolgedessen gilt jede Zahlung, die mittelst dieser Banknoten gemacht wird, im Lande als rechtsgültig erfolgt. Die Nationalbank ist der Verpflichtung enthoben, die Banknoten gegen Metallgeld einzulösen ; dagegen bleibt sie verpflichtet, die gesetzliche Deckung der Noten im vollem Umfange aufrecht zu erhalten.

Diese Massnahmen werden den Zweck erreichen, den Metallvorrat, über den die Bank verfügt, wirksam zu schützen und ihr die Emissionskraft ungeschmälert zu erhalten, um ihr so die Möglichkeit zu geben, den Bedürfnissen des Landes gerecht zu werden.

Im Zusammenhang mit diesen getroffenen Massnahmen legen wir Ihnen mit besonderer Botschaft einen Antrag vor, die Nationalbank auch zur Ausgabe von Abschnitten im Nennwerte von Fr. 5 zu ermächtigen.

Die finanzielle Lage wird den Bundesrat vielleicht noch zu weitergehenden Schritten veranlassen, namentlich dann, wenn das panikartige Verhalten vieler Volkskreise, das in einer sinn- und zwecklosen Abhebung der Gelder von den Banken und Sparkassen zum Ausdruck kommt, andauern sollte. Unsere Finanzlage wäre an sich vollkommen befriedigend ; allein die Ereignisse können uns zu Massnahmen zwingen, welche wir für einmal noch nicht zu treffen uns entschliessen können, zu welchen wir aber auf dem Wege der Notverordnung zu greifen uns unter Umständen veranlasst sehen könnten.

Im Zusammenhang mit der Pikettstellung der Armee haben wir ein Ausfuhrverbot für Pferde und Maultiere und nachstehende Gegenstände erlassen: a. Motorfahrzeuge (Motorwagen, Motorlastwagen, Motorräder, Flugzeuge), Fahrräder, alle Bestandteile solcher Fahrzeuge (Gummireifen etc.); b. Benzin ; c. Getreide, Mehl, Brot, Hafer; d. Telegraphen- und Telephonapparate, Scheinwerfer, Kabel . und Teile dieser Apparate.

Seither haben wir das Ausfuhrverbot auf alle Lebensmittel und Futtermittel, sowie auf Gross- und Kleinvieh ausgedehnt.

Je nach der Entwicklung der Verhältnisse werden wir uns noch zu weitern Ausfuhrverboten veranlasst sehen.

Wie sich die Ereignisse entwickeln werden, welchen Umfang der Krieg annehmen wird, welche Staaten in denselben verwickelt werden, lässt sich heute nicht sagen. Wir sehen aber voraus, dass wir des ganzen Heeres und der ganzen ökonomischen Kraft der Nation bedürfen werden, und wir müssen daher an Sie die Bitte richten, uns beides unbeschränkt zur Verfügung zu stellen. Der Bundesrat ist sich des hohen Masses von Vertrauen und der schweren Verantwortlichkeit, die in einer solchen Gewährung unbegrenzter Vollmacht und unbegrenzter Kredite liegen, wohl bewusst; er ist indessen zum voraus sicher, dass Sie ihm das Eine wie das Andere in dieser ernsten Stunde nicht verweigern werden, und er wird von seinen Rechten den gewissenhaftesten Gebrauch machen.

Wir leben der Gewissheit, dass unser Vaterland, stark durch die Einigkeit und Opferfreudigkeit der Bevölkerung und durch eine wohl vorbereitete und wohl ausgerüstete, vom vortrefflichsten Geiste erfüllte Armee, die ernste Probe, der es unterworfen wird, ehrenvoll bestehen wird.

8 ·

_/

Indem wir Ihnen den nachstehenden Entwurf zu einem Bundesbeschlusse zur Annahme empfehlen, versichern wir Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 2. August 1914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

Massnahmen zum Schütze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 2. August 1914, beschliesst: Art. 1. Die schweizerische Eidgenossenschaft erklärt ihren festen Willen, in dem bevorstehenden Kriege ihre Neutralität zu wahren.

Der Bundesrat ist ermächtigt, die Neutralitätserklärung in einer angemessenen Kundgebung den kriegführenden Staaten und den Mächten, welche die Neutralität der Schweiz und die Unverletzbarkeit, ihres Territoriums anerkannt haben, zur Kenntnis zu bringen.

Art. 2. Die Bundesversammlung nimmt von dem durch den Bundesrat erlassenen Truppenaufgebot genehmigende Kenntnis.

Art. 3. Die Bundesversammlung erteilt dem Bundesrate unbeschränkte Vollmacht zur Vornahme aller Massnahmen, die für die Behauptung der Sicherheit, Integrität und Neutralität der Schweiz und zur Wahrung des Kredites und der wirtschaftlichen Interessen des Landes erforderlich werden.

Art. 4. Zu diesem Zwecke wird dem Bundesrate ein unbegrenzter Kredit zur Bestreitung der Ausgaben eingeräumt. Insbesondere wird ihm die Ermächtigung zum Abschlüsse allfällig erforderlicher Anleihen erteilt.

Art. 5. Der Bundesrat hat der Bundesversammlung bei ihrem nächsten Zusammentritt über den Gebrauch, den er von den ihm erteilten unbeschränkten Vollmachten gemacht haben, wird, Rechenschaft abzulegen.

Art. 6. Gegenwärtiger Bundesbeschluss wird dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft.

# S T #

Schweizerische Bundesversammlung.

Der Bundesrat hat am 31. Juli beschlossen, die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft auf Montag den 3. August 1914, vormittags 10 Uhr, zu einer ausserordentlichen Sitzung telegraphisch einzuladen und ihnen folgende Traktanden zur Behandlung vorzulegen : 1. Mitteilungen betreffend die Lage der Schweiz und die vom Bundesrate zur Wahrung der Unabhängigkeit und Neutralität vorgenommenen Schritte ; 2. Erteilung der nötigen Vollmachten ; 3. Wahl des Generals ; 4. Bundesbeschluss über die Ausgabe von Banknoten im Nennwerte von 5 Franken.

Montag den 3. August, morgens 10 Uhr, sind die gesetzgebenden Räte zusammengetreten.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität. (Vom 2. August 1914.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1914

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

31

Cahier Numero Geschäftsnummer

555

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.08.1914

Date Data Seite

5-9

Page Pagina Ref. No

10 025 461

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.