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II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1914).

(Vom 22. Mai B914.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten Ihnen über nachfolgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen: 20. Josef Matzenauer, in Appenzell, gewesener Kondukteur der Säntisbahn, und Joh. Josef Zeller, daselbst, gewesener Wagenführer der Säntisbahn.

(Fahrlässige Eisenbahngefährdung.)

Am 3. Oktober 1913, nachmittags 5 Uhr 30, sollten dio Züge Nr. 38 und Nr. 51 der Säntisbahn bei der Station Steinegg gemäss Fahrplan kreuzen, und zwar in der Weise, dass der von.

Wasserauen und Weissbad herkommende, von Wagenführer Josef Zeller und Billeteur Josef Matzenauer geführte Zug den Gegen/ug auf der Haltstation abzuwarten hatte. Diese beiden verantwortlichen Angestellten vergassen aber am kritischen Tage die für die Kreuzung geltenden Dienstvorschriften und fuhren über die Haltestelle hinaus, was einen Zusammenstoss mit dem Gegenzuge veranlasste. Durch den heftigen Anprall entstand ein Materialschaden im Betrage von Fr. 7490, und es wurden sieben Passagiere durch Anstossen an Wagenteile körperlich verletzt, ohne erheblichen bleibenden Nachteil, indessen mit Arbeitsunfähigkeit von drei Tagen bis zwei Wochen.

In der von den Behörden des Kantons Appenzell I.-Rh. geführten Strafuntersuchung anerkannten sowohl Matzenauer als Zeller, dass sie darüber instruiert worden seien, dass ihr Zug auf Station Steinegg zur Kreuzung hätte anhalten sollen, und dass sie aus blosser Vergesslichkeit über die Haltestelle hinausgefahren seien. Das Bezirksgericht des Inneren Landesteiles erklärte beide durch Urteil vom 17. März 1914 der fährlässigen Eisenbahngefährdung schuldig und bestrafte sie mit je l Monat Gefängnis

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und Fr. 50 Geldbusse, unter Auferlegung der Untersuchungskosten und Verpflichtung zu gemeinsamem Ersatz des der Bahngesellschaft erwachsenen Schadens. Gemäss Gerichtsbeschluss mussten die Verurteilten die Freiheitsstrafe am 19. März in der Anstalt Gmünden antreten.

Mit Eingabe vom 1. April stellten die Verurteilten durch einen Anwalt das Gesuch um Erlass der Gefängnisstrafe durch Begnadigung, verbunden mit der Bitte um einstweilige Sistierung des Strafvollzuges. Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement entsprach dem letzteren Begehren durch Anweisung an den Regierungsrat des Kantons Appenzell I.-Rh., welcher dafür sorgte, dass Matzenauer und Zeller am 7. April aus der Strafanstalt Gmünden entlassen wurden, nachdem sie dortselbst 20 Tage abgebüsst hatten.

In dem Begnadigungsgesuch wird ausgeführt, die den Verurteilten auferlegte Gefängnisstrafe sei den Verhältnissen des Falles nicht angemessen, da das Unglück wesentlich mitverschuldet worden sei durch Umstände, für die nicht sie, sondern vielmehr die Bahnverwaltung verantwortlich sei. Es wird diesfalls behauptet, die beiden Bahnbediensteten seien zwar, wie sie selbst anerkennen, über die Zugskreuzung richtig instruiert gewesen, dagegen hätten sie keine genauen und genügenden Instruktionen über den Eisenbahndienst im allgemeinen und speziell Zeller über die Bedienung der Bremsmittel erhalten. Die Verlegung der Kreuzung auf eine blosse Haltestelle, woselbst keine Zugsabfertigung stattfinde, sei fehlerhaft gewesen, und die Bahngesellschaft habe das Verantwortlichkeitsgefühl des ohnehin nicht ganz zuverlässigen Personals noch dadurch geschwächt, dass sie bei vorherigen Verfehlungen desselben zu nachsichtig gewesen sei.

Matzenauer z. B. habe verschiedene Male (nach dem Berichte der Bahndirektion dreimal) schon früher Kreuzungen überfahren und sei unter bloss disziplinarischer Ahndung trotzdem im Fahrdienst 'belassen worden, und zwar als Kondukteur, dem an den Haltestellen, wo keine Zugsabfertigung stattfand, vor allem oblag, ·selbständig das Abfahrtssignal zu geben. Die Verteidigung findet, dass unter diesen Umständen die Schuld der Angeklagten genügend gesühnt werde dadurch, dass sie sofort aus dem Bahndienst entlassen und zu Bussen und Tragung von Kosten und Schadenersatz verpflichtet wurden.

In den gerichtlichen Motiven wird die Strafausmessung darauf ·abgestellt, dass die Angeschuldigten zur Entlastung auch gar nichts als einzig ^Vergessenheit" vorzubringen wissen, dass es

362 sich um eine grobe Fahrlässigkeit handle, und dass für die .Beklagten als mildernd nur in Betracht fallen könne, dass auch die Säntisbahn selbst von einer gewissen Mitverschuldung nicht ganz freigesprochen werden könne, namentlich mit Rücksicht auf ungenügende Instruktion des Personals und Nichtauflage des Fahrplans im Führerstand. Gegenüber den Ausführungen und Anträgen der Verteidigung weist das Gericht den Vorwurf, ungerecht und unbillig und ohne sorgfaltige und den Angeklagten wohlwollende 1 Berücksichtigung aller zu ihren Gunsten sprechenden Momente geurteilt zu haben, ganz energisch zurück. Es verweist auf den Bericht des eidgenössischen Kontrollingenieurs an das Eisenbahndepartement (Nr. 10 der Untersuchungsakten), in welchem erklärt wird, die Instruktion des Fahrdienstpersonals der Säntisbahn sei eine befriedigende und das Personal sei mit der Führung dsi< Züge genügend vertraut gewesen. Diesen Äusserungen des Fachmannes gegenüber sei das Gericht mit der Annahme einer nicht völlig genügenden Instruktion zugunsten der Angeklagten an die äusserste Grenze der Zulässigkeit gegangen. Das Fehlen dos graphischen Fahrplanes im Zuge sei ebenfalls in Betracht gezogen worden, obwohl eine Pflicht der Bahn, solchen bei bloss einer Kreuzung im Winter aufzulegen, nicht bestanden habe und auch nicht im mindesten schlüssig scheine, dass just dieses Fehlen Schuld am Unfall gewesen sei. Das Gericht beantragt Abweisung des Begnadigungsgesuches unter Betonung, dass bei den schuldigen Bahnangestellten ein krasser Mangel an einfachem Pflichtgefühl vorgelegen habe.

Es handelt sich um einen Fall von Eisenbahngefährdung, bei welchem das Leben einer grösseren Anzahl von Menschen, nämlich des Personals und der Passagiere der beiden Züge, deren Kreuzung von den Gesuchstellern abgewartet werden sollte, schwerer Gefahr ausgesetzt war und nicht weniger als 7 Personen verletzt wurden und ein Materialschaden entstand, der zweifellos als ein erheblicher bezeichnet werden muss. Die Ursache dieses Ereignisses liegt in einem Verhalten der Gesuchsteller, das sich strafrechtlich als ein fahrlässiges im Sinne des Art. 12 des Bundesstrafrechts darstellt, und zwar als ein Fall grober Fahrlässigkeit unter denkbar einfachsten Verhältnissen und ohne wirksame Entschuldigungsgründe. Nach Art. 67, Absatz 2, des zitierten Gesetzes
ist auf ein& derartige Übertretung Gefängnisstrafe nicht bloss bis zu einem Jahr,, sondern bis zu drei Jahren angedroht, mit welcher Geldbusse verbunden werden kann, -- nur in leichteren Fällen dieser Art kann der Richter auf Geldbusse allein erkennen. Ein solcher leichter Fall liegt aber unzweifelhaft nicht vor, und auch für die Begnadigungs-

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behörde ist kein Grund vorhanden, die Gefängnisstrafe gänzlich zu erlassen. Allerdings ist das kantonale Gericht bei Ausmessung der Freiheitsstrafe höher gegangen als anderswo in ähnlichen Fällen geschehen. Es blieb aber immerhin nahe an der unteren Grenze der gesetzlichen Skala, und die Begründung, mit welcher dieses Verfahren gerechtfertigt wird, ist so sehr der faktischen und juristischen Sachlage entsprechend, dass auch eine Herabsetzung des Strafmasses durch Begnadigung nicht am Platze wäre.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Josef Matzenauer und des Josef Zeller abzuweisen.

21. Gottfried Neuenschwander, Barrierenwärter in Hasle, Kanton Bern.

(Fahrlässige Eisenbahngefährdung.)

Am 9. Juli 1912, vormittags, wurde der Zug 52 ThunBurgdorf der B. T. B. beim Strassenübergang bei der Station Hasle-Rüegsau dadurch erheblich gefährdet, dass ihm ein Zusammenstoss mit einem den Übergang passierenden Holzfuhrwerk drohte.

Diese Gefährdung verschuldete der Bahnwärter Gottfried Neuenschwander, der am bezeichneten Orte den Dienst als Barrierenwärter versah. Obwohl auf der Station bei der Abfahrt des Zuges das vorgeschriebene Läutezeichen gegeben worden und dem Neuenschwander zu Gehör gekommen war, liess er dennoch die Barrieren offen, um noch zwei Holzfuhrwerken Durchlass zu gewähren. Der Fuhrmann des zweiten Gespannes konnte beim Herannahen des Zuges durch Peitschenhiebe seine Pferde noch so antreiben, dass das Fuhrwerk gerade vor dem Zug ohne Kollision mit dem letzteren und unbeschädigt über das Geleise kam.

Nach den Vorschriften über den Barrierendienst soll der Übergang fünf Minuten vor Durchfahrt eines Zuges und überhaupt zehn Minuten vorher für schwere Fuhrwerke geschlossen werden.

Dieser Vorschrift hat Neuenschwander zuwidergehandelt. Er wurde deshalb den Gerichten des Kantons Bern zur Untersuchung und Beurteilung wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung überwiesen und erst- und zweitinstanzlich dieses Vergehens schuldig erklärt, unter Verurteilung zu vier Tagen Gefängnis und zu Bezahlung der Staatskosten im Gesamtbetrage von Fr. 133. 90.

Das Amtsgericht Burgdorf, dessen Erwägungen von der Ersten Strafkammer des bernischen Obergerichts in allen Teilen als richtig anerkannt werden, stellt fest, dass Neuenschwander

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die nach Lage der Umstände für die Ausführung seines Dienfites gebotene Vorsicht und Sorgfalt pflichtwidrig ausser acht gelassen habe, und dass er den eingetretenen rechtswidrigen Erfolg, nämlich die Gefährdung des Eisenbahnverkehrs, als möglich hatte voraussehen müssen. Das Gericht macht auch darauf aufmerksam, dass am 10. Mai 1912 auf dem nämlichen Bahnübergang ein schwerer Eisenbahnunfall mit tötlicher Verletzung einer Person, die auf einem Fuhrwerk sass, das mit einem Zug der BurgdorfThun-Bahn kollidierte, ebenfalls durch pflichtwidrige Vernachlässigung des Barrierendienstes stattgefunden hatte, was dem Gottfried Neuenschwander hätte zum Bewusstsein bringen sollein, welche verhängnisvollen Folgen eine solche Handlungsweise nash sich ziehen konnte.

Auf dieser Grundlage bejahten die kantonalen Gerichte die Schuldfrage. Bezüglich der Strafausmessung wurde von ihnen in Berücksichtigung gezogen, dass der vorliegende Fall, obwohl es zu keinem Zusammenstoss und zu keiner Schädigung gekommen ist, dennoch nicht als ein leichterer, im Sinne des Art. 67 dos Bundesstrafrechts bezeichnet werden könne. Durch die ganz unmotivierte Gestattung der Durchfahrt des Gefährtes sei der Bahnverkehr in bedeutendem Masse gefährdet worden. Für den Grad des Verschuldens falle erschwerend in Betracht, dass hier, im Gegensatz zu dem Fall Christen (Eisenbahngefährdung vor.a 10. Mai 1912), ein richtiger, seit längerer Zeit angestellter Bahnwärter funktioniert habe, dem die reglementarischen Vorschriften und die örtlichen Verhältnisse bestens bekannt waren. Der Einwand, es sei am fraglichen Morgen zu spät abgeläutet worden, und es komme dies auf der Station Hasle-Rüegsau häufig vor, spreche, auch wenn auf Richtigkeit beruhend, zu Ungunsten de« Angeklagten, indem er alsdann vermehrte Veranlassung gehabt hätte, die Schranken rechtzeitig zu schliessen. Der Hinweis auf die Gutmütigkeit des Angeschuldigten sei nicht angebracht. Von Bahnbeamten müsse im Interesse der Verkehrssicherheit peinliche Pflichterfüllung verlangt werden; Zugeständnisse an Wünsche des Publikums seien, sofern mit amtlichen Pflichten kollidierend, nicht zu machen. In casu sei ein solcher Wunsch nicht einmal erhoben worden. Strafmildernd sei der gute Leumund und das bisherige tadellose Verhalten des Angeschuldigten zu berücksichtigen. Der ganz erhebliche Grad
der Bahngefährdung verlange jedoch nichtsdestoweniger eine Gefängnisstrafe (Urteil des Bezirksgerichts Burgdorf vom 17. Juni 1913 und der Ersten Strafkammer des bernischen Obergerichts vom 16. August 1913).

Demgegenüber stellt Gottfried Neuenschwander das Gesuch

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um Erlass der Gefängnisstrafe durch Begnadigung. Er verzichtet auf Anfechtung des Urteils, hält dasselbe aber für ausserordentlich streng und macht darauf aufmerksam, dass in Art. 67 des Bundesstrafgesetzes vom 4. Februar 1853 auch auf fahrlässige Eisenbahngefährdung obligatorisch Gefängnis angedroht worden sei, dass aber durch Bundesbeschluss vom 5. Juni 1902 dem Richter die Möglichkeit gegeben wurde, in leichteren Fällen auf blosse Geldbusse zu erkennen. Die Praxis der Bernergerichte, welche auch bei bloss abstrakter Gefahr, und im Falle Neuenschwander sogar bei bloss subjektiver Gefährdung auch jetzt noch Gefängnis aussprechen, stehe im Widerspruch mit derjenigen der Gerichte anderer Kantone, die nur dann Gefängnis verhängen, wenn ein Mensch bedeutend verletzt oder sonst ein erheblicher Schaden verursacht wurde. Im vorliegenden Fall habe die Verwaltung der E. T. B. in dem eingeklagten Vorfall keine Betriebsgefährdung erblickt, da in Tat und Wahrheit keine Störung des Betriebes eintrat. Diese Tatsache sei zugunsten des Angeklagten mit in Betracht zu ziehen. Die Strenge der Strafen von Dienstverfehlungen, wie sie im Urteil Neuenschwander zutage trete, stehe nicht nur im Widerspruche mit dieser Anschauung unserer Eisenbahnbeamten, sondern auch mit denjenigen der neueren Gesetzesentwürfe und den Verfügungen der deutschen Eisenbahndirektionen, nach 'welchen nur die schweren Fälle den Gerichten zu überweisen seien. Es wird zum Nachweis dieser Behauptungen zu den Akten gelegt eine Eingabe des Verbandes des Personals schweizerischer Eisenbahnen an die Kommission zur Beratung des Strafgesetzbuches und ein darauf bezüglicher Brief der Generaldirektion der Bundesbahnen, in welchem erklärt wird, dass man dortseits das Hauptbegehren des Personals gerechtfertigt finde, dass eine strafrechtliche Verurteilung, wenigstens zu Gefängnisstrafe, nur bei schwerer Fahrlässigkeit erfolgen sollte.

Es wird sodann darauf hingewiesen, dass Neuenschwander seinen Dienst seit 12 Jahren ohne Fehler versehen habe, dass seine Vorgesetzten ihm gute Zeugnisse geben, und dass das Publikum oft über die geschlossenen Barrieren erbost gewesen sei und ihm den Dienst erschwert habe, so dass er nicht nach einer Schablone habe handeln können, sondern in jedem Falle nach seiner Erfahrung habe disponieren müssen. Alle Verumständungen des
Falles lassen daher sein Verschulden in äusserst mildem Licht erscheinen. Die Bahndirektion habe ihn disziplinarisch mit Fr. 5 Busse geahndet, wozu auch bei Erlass der Gefängnisstrafe noch die Gerichts- und Verteidigungskosten kommen, die mehr als Fr. 300 betragen.

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Schliesslich legt die Verteidigung noch ein sehr gutes Zeugnis des Pfarramtes Hasle zugunsten des Angeklagten vor und verweist auf die Tatsache, dass in Deutschland in neuester Zeit der für den schweren Unfall von Müllheim zu 6 Monaten verurteilte Lokomotivführer gänzlich begnadigt worden sei.

Für die Begnadigungsinstanz ist durch das rechtskräftige Urteil der Ersten Strafkammer des bernischen Obergerichts festgestellt, dass Christian Neuenschwauder sich der fahrlässigen Eisenbahngefährdung schuldig gemacht hat, und es kann nicht behauptet werden, dass die ausgesprochene Strafe mit den geltenden Bestimmungen des Bundesstrafrechtes im -Widerspruch stehe, Dagegen hat seine Verteidigung eine ganze Menge von Momenten anführen können, die für eine Milderung des Urteils sprechen, dass es sich wohl rechtfertigt, auf dem Wege der Begnadigung die Gefängnisstrafe gänzlich zu erlassen. Dabei darf hingewiesen werden auf den bereits von den gerichtlichen Instanzen zitierten Fall Johann Christen, in welchem durch Unterlassung der Schliessung der nämlichen Barriere, welche GottliebNeuenschwander am 9. Juli 1912 zu bedienen hatte, am 10. Mai 1912 die Kollision eines Zuges der Burgdorf-Thun-Bahn mit einem Fuhrwerk verursacht wurde. Damals wurde nicht bloss die Sicherheit des Eisenbahnverkehres gefährdet, wie im Falle Neuenschwander, sondern eine auf dem Fuhrwerk sitzende Frau getötet, ein Mann leicht verletzt, das Fuhrwerk vollständig zertrümmert und das Pferd derart verletzt, dass es auf der Stelle abgetan werden musste ; ferner wurden am Motorwagen des Eisenbahnzuges die beiden Signallaternen beschädigt (siehe Bundesbl. 1913, V, 15).

Johann Christen ist von den bernischen Gerichten der Eisenbahngefährdung schuldig erklärt und zu acht Tagen Gefängnis verurteilt worden. Der Bundesrat beantragte der Bundesversammlung, diese Strafe aus Kommiserationsgründen auf vier Tage Gefängnis zu ermässigen ; die Bundesversammlung aber reduzierte in der Sitzung vom Dezember 1913 die Strafe auf bloss zwei Tage.

Wenn nun auch Johann Christen mit den Dienstpflichten nicht so genau vertraut war, wie der langjährige Barrierenwärter Gottfried Neuenschwander, so wäre es doch nicht angemessen mit Rücksicht darauf, dass letzterem nur eine Fahrlässigkeit zur Last fällt, die keine Schadensfolgen für Menschen oder Sachen zur Folge hatte, ihm den Erlass der Gefängnisstrafe zu verweigern, und so die beiden Fälle auch hinsichtlich der Begnadigung auf gleiche Linie zu stellen. Dabei darf wohl darauf

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hingewiesen werden, dass die Anwendung ganz kurzzeitiger Freiheitsstrafen gegenüber gutbeleumdeten Personen immer mehr vom Gesetzgeber und vom Richter vermieden wird, weil die Erfahrungen lehren, dass ihr Einfluss auf die Betroffenen meist dem eigentlichen Strafzwecke nicht entspricht. Neuenschwander ist übrigens, was bei Christen nicht der Fall war, von der Bahnverwaltung mit einer, wenn auch nicht erheblichen Busse geahndet worden und wird bedeutende Gerichts- und Verteidigungskosten zu tragen haben.

Wir b e a n t r a g e n : Es sei dem Gottfried Neuenschwander ·die Gefängnisstrafe von vier Tagen zu erlassen.

22. Albert Majoleth, Fischer in Untervaz.

(Übertretung des Fischereigesetzes.)

In der Nacht vom 30./31. Oktober 1912 fingen Albert und sein Bruder Lorenz Majoleth vermittelst Streichnetzen im Rhein, in der Nähe ihres Wohnortes, Forellen, von denen die Frau des Lorenz am folgenden Morgen zirka 10 Kilogramm verkaufen wollte. Sie wurde polizeilich angehalten, und der Kreisgerichtsausschuss V Dörfer verurteilte am 9. November 1912 die Brüder Albert und Lorenz Majoleth wegen Fischfanges zur Schonzeit und mit verbotenen Fanggeräten zu je Fr. 100 Geldbusse, zur Zahlung der Kosten und zum Entzug des Fischereipatentes auf 2 Jahre.

Albert Majoleth war ausserdem am 13. August 1913 wegen Teilnahme an Streit zu Fr. 30 Busse verurteilt worden.

Albert Majoleth bestreitet nicht, verbotenen Fischfang betrieben zu haben, ersucht aber um Aufschub der Bezahlung der Busse auf zwei Jahre, eventuell um Erlass der beiden auferlegten Geldstrafen, da er ganz arm sei und schlechten Verdienst habe.

An die Bussen hat er Fr. 90 abbezahlt. Der Landammann des Kreisamtes V Dörfer, der dem Verurteilten bereits längere Fristen zur Leistung von Teilzahlungen gewährt hatte,' beantragt Abweisung des Gesuches, da Majoleth ein junger, gesunder Mann mit kleiner Familie und ein Fischfrevler 1. Klasse sei.

Aus den Akten ergibt sich, dass die Gegend von Untervaz als Fischfrevlergebiet bekannt ist, und Majoleth wird auch von -Seite der kantonalen Polizei als berüchtigter Fischfrevler bezeichnet. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich nicht, ihm die Strafe zu erlassen. Die mit Rücksicht auf seine Vermögensverhältnisse nötigen Sistierungen des Vollzuges werden, wie die Akten beweisen, in weitgehendem Masse von den kanto-

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nalen Instanzen gewährt. Über den Erlass der wegen Streuteilnahme verhängten Busse (Fr. 30) sind nur sie zu entscheiden kompetent.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Albert Majoleth abzuweisen.

23. Albert Riesen, geb. 1879, Schreiner in Zollikofen.

(Nichtbezahlung der Militärpflichtersatzsteuer.)

Albert Riesen wurde am 21. Februar 1914 wegen Nichtbezahlung der Militärsteuer pro 1913 im Betrage von Fr. 13. 30 durch den Polizeirichter von Bern zu zwei Tagen Gefängnis, sechs Monaten Wirtshausverbot und zu Fr. 8 Staatskosten verurteilt. In einer Eingabe vom 1. April 1914 ersucht er um ° Straf erlass, da er infolge der Krisis im Baugewerbe im vergangenen Jahre mehrere Wochen arbeitslos gewesen sei, und er eine Familie mit sechs Kindern zu erhalten habe. Der Gemeinderat von Zollikofen beantragt, dem Gesuche zu entsprechen, der Regierungsstatthalter von Bern dagegen, es abzuweisen.

Aus den Akten ergibt sich, dass Riesen schon von dsn Militärbehörden die zwei gesetzlichen Mahnungen erhalten hat.

Der Richter sistierte sodann auf Begehren des Riesen vom 28. November, 14. Dezember 1913 und 27. Januar 1914, sowie auf die Zusicherung hin, die Busse bis zum nächsten Termin siu bezahlen, jedes Mal die Urteilsfällung. Im letzten Termin blieb Riesen unentschuldigt aus. Bei der geringen Höhe des Steuerbetrages wäre es ihm trotz der zeitweisen Arbeitslosigkeit bei gutem Willen wohl möglich gewesen, die Steuer zu bezahlen.

A n t r a g : Es' sei das Begnadigungsgesuch des Albert Riesen abzuweisen.

B e r n , den 22. Mai 1914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft ·,, Schatzmann.

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II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1914). (Vom 22. Mai 1914.)

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27.05.1914

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