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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Wintersession 1914).

(Vom 20. November 1914.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten Ihnen über .nachfolgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen : 1. Johann Baumann, gewesener Bahnarbeiter, zurzeit wohnhaft in Laufen, Kanton Bern, 2. Gotthold Herrmann, Käser in Oborburg bei Burgdorf, 3. Eugen Reist, Maler in Bern, 4. Jakob Josef Ritter, Heizer in Bümpliz, und 5. Alexander Schmid, gewesener Bahnarbeiter, im Heimberg bei Thun.

(Nichtbezahlung der Militärpflichtersatzsteuer.)

Die vorgenannten Militärsteuerpflichtigen wurden wegen schuldhafter Nichtbezahlung der Militärsteuer für 1913 verurteilt: a. Johann B a u m a n n wegen einer Steuerforderung inkl. Gebühren von Fr. 13. 30 vom korrektioneilen Gerichte von Meiringen am 19. Dezember 1913 zu vier Tagen Gefängnis und Fr. 17. 10 Kosten; b. Gotthold H e r r m an n wegen einer Steuerforderung inkl.

Gebühren von Fr. 19.30 vom Gerichtspräsidenten von ßurgdorf am 24. Februar 1914 zu sechs Tagen Gefängnis, zu einem Jahr Wirtshausverbot und zu Fr. 15 Staatskosten ;

523 c. Eugen R e i s t wegen einer Steuerforderung inkl. Gebühren von Fr. 20. 80 vom Polizeirichter von Bern am 15. Dezember 1913 zu zwei Tagen Gefängnis, sechs Monaten Wirtshausverbot und Fr. 5 Staatskosten ; d. Jakob Josef R i t t e r wegen einer Steuerforderung inkl.

Gebühren von Fr. 37. 30 vom Polizeirichter von Bern am 14. Februar 1914 zu zwei Tagen Gefängnis, sechs Monaten Wirtshausverbot und Fr. 8 Staatskosten. Dem gegen dieses Urteil appellierenden Ritter wurde das Forum der ersten Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern von Amtes wegen verschlossen, weil die Appellationserklärung erst am Tage nach dem Ablauf der gesetzlichen Notfrist beim Richter eingelangt war ; e. Alexander S c h m i d wegen einer Steuerforderung inkl.

Gebühren von Fr. 14. 80 vom Polizeirichter von Bern am 31. Dezember 1913 zu zwei Tagen Gefängnis, sechs Monaten » Wirtshausverbot und Fr. 7 Staatskosten.

Zu den nun vorliegenden Gesuchen um Erlass der ausgesprochenen Strafen ist im einzelnen folgendes zu bemerken: 1. Johann Baumann, der wegen Yerdienstlosigkeit an der rechtzeitigen Entrichtung der Steuer verhindert gewesen sein will, wird von den zuständigen Behörden als ein unsolider Mensch geschildert, dem es zur Erfüllung seiner Pflichten lediglich am guten Willen gefehlt habe. Durch Vorlage eines Postempfangscheines weist sich Baumann allerdings aus, dass er am 18. Dezember 1913 einen Betrag von Fr. 12 an den Sektionschef von Meiringen eingesandt hat; er hat es aber selber verschuldet, dass diese Tatsache dem Richter beim Urteilsspruche am folgenden Tage nicht bekannt war, zudem war die Zahlung nicht vollständig.

Einer teilweisen Begnadigung, zu der er empfohlen wird, kann immerhin beigestimmt werden, dies namentlich mit Rücksicht darauf, dass gewöhnlich nur Strafen von zwei Tagen Gefängnis ausgesprochen werden.

2. Die von Gotthold Herrmann vorgebrachten Entschuldigungen vermögen dessen Schuld nicht zu mildern. Die durch die Krankheit seiner Frau verursachten Kosten sind von der Arbeitgeberin derselben übernommen worden, und seine Angabe von der erfolgten Geburt eines Kindes erwies sich als unwahr.

Da Herrmann überdies mehrfach vorbestraft ist und als träger, lügenhafter Mensch gilt, erscheint seine Begnadigung nicht als angezeigt.

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3. Eugen Reist ist der Begnadigung nicht würdig, weil er lediglich aus Nachlässigkeit die ihm obliegende Pflicht der Steuerzahlung versäumt hat, und zu seiner Entlastung keine stichhaltigen Gründe vorliegen.

4. Jakob Josef Ritter bringt vor, er habe die Bezahlung der von ihm geforderten Steuer verweigert, weil sie ihm zu hoch erschien ; er hatte es aber unterlassen, im geeigneten Momente gegen die Einschätzung Einsprache zu erheben. Am 12. Dezember 1913 bezahlte er den ihm angemessen scheinenden Betrag von Fr. 15 und richtete am 3. Februar 1914 eine Eingabe an die Militärbehörden um Herabsetzung des Steuerbetreffnisses. Nachdem Ritter an der erstinstanzlichen Gerichtsverhandlung ohne Entschuldigung ausgeblieben und ihm für seine Appellation das obergerichtliche Forum verschlossen worden, bezahlte er am 23. März 1914 den Restbetrag der Militärsteuer für 1913, die ihm inzwischen auf Fr. 21 reduziert worden war.

Zu einer Begnadigung liegt auch hier kein Grund vor, 5. Dem Alexander Schmid ist der Richter vor der Urteilsfällung durch wiederholte Fristerteilung und Gewährung der Ratenzahlung weitgehend entgegengekommen. Schmid hat aber . -seinen Versprechungen hur teilweise nachgelebt und ist auch an der Hauptverhandlung vom 31. Dezember 1913 unentschuldigt ausgeblieben. Glaubwürdige Anhaltspunkte für die von ihm vorgebrachten Angaben über Notstand in seiner Familie liegen nicht vor, so dass mit Rücksicht auf die bestehende Praxis eine Begnadigung nicht als gerechtfertigt erscheint.

A n t r a g : Es sei die gegen Johann Baumann ausgesprochene ·Gefängnisstrafe von vier Tagen auf zwei Tage herabzusetzen, die Begnadigungsgesuche von Gotthold Herrmann, Eugen Reist, Jakob Josef Ritter und Alexander Schmid seien abzuweisen.

6. Claudius Pot, Pferdehändler, 3 rue Dizerens, Gent.

(Übertretung der Viehseuchenpolizeigesetze.)

Am 5. November 1913 beobachtete ein Grenzwächter des Postens von Thônex, dass der ihm bekannte Pferdehändler Claudius Pot mit einem Phaéton, das mit einem Schimmel bespannt war, .aus der Schweiz nach Frankreich hinüberfuhr. Er fasste sofort Verdacht, dass Pot unter Umgehung der polizeilichen Vorschriften versuchen werde, mit diesem Fuhrwerk und zwei Pferden in ·die Schweiz zurückzukehren, und avisierte diesfalls die übrigen

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Zollstationen an der französischen Grenze. Kaum eine Stunde später erschien Pot, von Frankreich herkommend, beim Zollbureau Fossard, mit dem nämlichen Fuhrwerk, vor das jetzt zwei Pferde mit Geschirr angespannt waren, das eine der Schimmel, den er nach Frankreich mitgenommen hatte, das andere braun, mit einem ausländischen Geschirr. Die übliche Frage des Grenz Wächters, ob er nichts zu verzollen habe, beantwortete Pot verneinend.

Die Oberzolldirektion erblickte in diesem Verhalten eine Übertretung des Zollgesetzes. Sie berechnete die umgangene Gebühr auf Fr. 14. 75 und legte dem Fehlbaren eine Busse im neunfachen Betrage mit Fr. 132.75 auf, unter erschwerender Berücksichtigung des Umstandes, dass er sich im Rückfalle befand.

Im fernem überwiesen die Gesundheitsbehörden den Claudius Pot zur Bestrafung wegen Übertretung des Viehseuchenpolizeigesetzes vom 1. Juli 1886, unter Hinweis auf die Vollziehungsverordnung vom 14. Oktober 1887. Das Departement des Innern des Kantons Genf beantragte eine Busse von Fr. 500, der Polizeirichter aber verhängte nur eine solche von Fr. 200, unter Berücksichtigung der Strafschärfungsgründe des Rückfalles und des Berufes des Pot (Art. 103 der Vollziehungsverordnung).

Der Bestrafte hat die von den Zollbehörden verhängte Busse nachträglich anerkannt und bezahlt. Dagegen ersucht er um Brlass bzw. erhebliche Ermässigung der wegen der Viehseuchenpolizeiübertretung verhängten Strafe. Er behauptet, die Zollbusse · sei ihm auferlegt worden ,,pour n'avoir rempli les formalités soit douanières, soit en manière de visite sanitaire".

Diese Angabe stimmt nur insoweit mit dem Rapport der verzeigenden Zollstätte überein, als diese schon darauf hinwies, dass nicht nur eine Übertretung der Zollgesetze, sondern auch eine solche der Sanitätspolizei vorliege. Im übrigen standen die beiden Strafentscheidungen in keinem Zusammenhang.

Wenn Pot sodann geltend macht, dass er durch die doppelte Ahndung seiner Gesetzesübertretung schwer betroffen sei, so kann darin kein Grund gefunden werden, die gerichtliche Busse auf dem Wege der Begnadigung zu erlassen oder zu ermässigen.

Ihre Höhe liegt innerhalb der gesetzlichen Grenzen und wurde mit vollem Recht im Sinne der Verschärfung beeinflusst durch die mehrfachen Strafschärfungsgründe.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Claudius Pot abzuweisen.

Bundesblatt. 66. Jahrg. Bd. IV.

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7. Etienne Dodin, geb. 1863, Landwirt in Courtemelon (Berner Jura),

8. Jacques Chappuis, geb. 1856, 9. Jean Eichenberger, geb. 1874, beides Landwirte in Develier.

(Viehseuchenpolizeigesetz.)

Ende des Jahres 1912 und Anfang 1913 trat in verschiedenen Gemeinden des Berner Jura die Maul- und Klauenseuche auf, zu deren Bekämpfung und Unterdrückung die bernische Direktion der Landwirtschaft am 26. November 1913 geeignete Beschlüsse fasste und publizierte. Wegen Übertretung der getroffenen polizeilichen Massregeln in der Zeit des Bannes verurteilte der Gerichtspräsident von Delsberg am 6. Januar 1914, in Anwendung von Art. 103, Ziffer 2, der Vollziehungsverordnung zu den Bundesgesetzen über polizeiliche Massregeln gegen Viehseuchen vom 14. Oktober 1887 : Jacques Chappuis zu Fr. 10 Busse und Fr. 3. 65 Kosten, Jean Eichenberger zu Fr. 15 Busse und Fr. 4. 55 Kosten, und am 16. Juli 1913 : Etienne Dodin zu Fr. 10 Busse und zu e/' der Kosten.

Das Urteil gegenüber Dodin wurde vom Staatsanwalt des Jura an die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern weitergezogen, die am 4. Oktober 1913 dem Angeklagten eine Busse von Fr. 200 samt den ergangenen Kosten auferlegte. Dabeiwurde strafschärfend in Betracht gezogen, dass Dodin in Kenntnis der besondern und grossen Gefahr, welche für Ausbreitung der Seuche vorlag, in vielfach wiederholten Malen hartnäckig und bewusst die wohltätigen Anordnungen und Verbote der Polizeibehörden übertreten habe.

Die drei Verurteilten ersuchen um Aufhebung der Bussen durch Begnadigung, da durch neuere Gerichtsentscheide die Beschlüsse der bernischen Landwirtschaftsdirektion, auf welche sich die Bestrafung stützte, als ungesetzlich erklärt worden seien.

Dodin insbesondere habe durch die Epidemie auch sonst Schaden im Betrage von mehreren Tausend Franken erlitten.

Der Regierungsstatthalter von Delsberg und die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Bern sprechen sich mit aller Entschiedenheit gegen die Begnadigung Dodins aus, indem sie feststellen, dass. er mit Vorsatz (parti pris) und überaus grosser Renitenz sich den durchaus notwendigen Verfügungen der Viehseuchenpolizei widersetzt habe. Sie erklären, dass gegenüber

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seinem den behördlichen Anordnungen Hohn sprechenden Verhalten während des Ausbruches der Maul- und Klauenseuche in seiner Nachbarschaft und später in seinem eigenen Stalle ein Straferlass geradezu die Prämiierung des Ungehorsams gegenüber behördlichen Anordnungen bedeuten würde.

Die Änderung der Gerichtspraxis in der Beurteilung von Übertretungen des Viehseuchenpolizeigesetzes bietet keinen genügenden Grund, früher ausgefällte, gegenteilige Entscheide auf dem Wege der Begnadigung aufzuheben, soweit nicht andere Umstände hinzutreten. Für die Gesuchsteller liegen solche nicht vor, und es rechtfertigt sich um so weniger, ihren Gesuchen zu entsprechen, als ihre Handlungsweise, durch die eine erhebliche Gefahr der Verschleppung und Verbreitung der Seuche herbeigeführt wurde, im durchgeführten Beweisverfahren einwandfrei festgestellt wurde.

Dodin hat sich zu wiederholten Malen den behördlichen Massnahmen widersetzt, was das ihm gegenüber angewendete Strafmass wohl begründet.

Die Strafen von Chappuis und Eichenberger sind im Ausmass so geringfügig, dass ihre Aufhebung sich nicht rechtfertigt.

A n t r a g : Es seien die Begnadigungsgesuche des Etienne Dodin, Jacques Chappuis und Jean Eichenberger abzuweisen.

10. Fritz Wildi, geb. 1880, gewesener Gepäckarbeiter der S. B. B.

im Bahnhof JLenzburg.

( Amtspflichtverletzung.)

Fritz Wildi wurde vom Bundesrate den Behörden des Kantons Aargau zur Untersuchung und Beurteilung wegen Amtspflichtverletzung im Sinne von Art. 53, lit. a und /", des Bundesstrafrechtes von 1853 überwiesen. Das Bezirksgericht Lenzburg erklärte ihn mit Urteil vom 2. Juli 1914 schuldig und bestrafte ihn mit zwei Tagen Gefängnis und Fr. 40 Geldbusse, letztere im FaDe der Unerhältlichkeit umgewandelt in acht Tage Gefängnis. Die Kosten des Verfahrens im Betrage von Fr. 12 und eine Staatsgebühr von Fr. 10 wurden dem Verurteilten überbunden, und derselbe verpflichtet, den gestifteten Schaden mit Fr. 47. 40 zu ersetzen.

In tatsächlicher Beziehung stellte das Gericht gestützt auf die Akten und das Geständnis des Angeklagten folgendes fest:

528 ,,Der Beanzeigte war im Bahnhof ILenzburg als Gepäckarbeiter angestellt. Da Wildi bei seinen Vorgesetzten Vertrauen genoss, so wurde er seit längerer Zeit bei Arbeitsüberhäufungen auch zu don Speditionen der Gepäckexpedition zugezogen. Im Zusammenhang damit war ihm auch öfters die Nachführung der Kontokorrentbücher, sowie auch der freie Zutritt zur Kasse und teilweise deren Führung anvertraut worden. Bei diesen Funktionen hat Wildi im Kontokorrentbuch der Wisa-Gloria-Werke in Lenzburg für Sendungen höhere Beträge eingetragen, als wirklich zu bezahlen und in den Gepäckheften zu verrechnen waren, wodurch denn nach der Kontokorrentverrechnung zugunsten der Kasse und zum Nachteile der Wisa-Gloria-Werke Differenzen bewirkt wurden. Während der Zeit vom 1. August 1913 bis Ende März 1914 machte Wildi im Bahnkontokorrent der Wisa-GloriaWerke in 127 Fällen falsche Eintragungen, die eine Differenz im Gesamtbetrage von Fr. 47. 40 zu Lasten dieser Firma ergaben.a Wildi hatte schon gegenüber seinen bahndienstlichen Vorgesetzten und in der gerichtlichen Untersuchung behauptet, er habe die zuviel bezogenen Taxen sich nicht persönlich angeeignet, sondern sie nur erhoben, um unverschuldete Kassadefizite zu decken. Hinsichtlich der Schuldfrage wurde zwar diese Tatsache gestützt auf das anzuwendende Gesetz als unerheblich erklärt und deswegen mit einer Busse gemäss dem Schlusssatz des Art. 53 des Bundesstrafrechtes Gefängnisstrafe verbunden.

Dagegen würdigte das Gericht als Strafmilderungsgründe, dass Wildi .nicht vorbestraft war und dass er bei seinen Vorgesetzten wegen sehr befriedigender Dienstleistung und Verhalten volles Zutrauen genoss, und es sah sich veranlasst, den Verurteilten bei der Bundesversammlung einstimmig mit Bezug auf die Gefängnisstrafe zur Begnadigung zu empfehlen. In den Erwägungen wird diesfalls bemerkt: ,,Dabei zieht das Gericht namentlich den Umstand in Betracht, dass Wildi nicht nachgewiesen werden kann, dass er jene Mehrbezüge zum eigenen Vorteil machte. Das Gericht hätte aus diesen und ändern Gründen Wildi nur zu einer Geldstrafe verurteilt, war aber dennoch durch das Gesetz gezwungen, eine Gefängnisstrafe auszusprechen.tt Die Bahnverwaltung hatte den Fritz Wildi sofort nach Feststellung seiner Verfehlungen aus dem Dienste entlassen. Er stellt nunmehr das Gesuch um gnadenweisen Erlass der Gefängnisstrafe, indem er wiederholt behauptet, er habe aus den unrichtigen Tarif-

529 bezügen keinerlei persönlichen Vorteil gehabt. Die Fr. 47. 40 seien in die kleine Kasse geflossen und daraus zur Deckung der allgemein vom Dienstpersonal mitverursachten Unordnung und der daraus entstehenden Differenzen und Mankos verwendet worden. Ferner wird darauf hingewiesen, dass Wildi seit einiger Zeit schwer krank und ihm wegen Magenblutungen für längere Zeit jede Arbeit verboten sei. Seine Verfehlungen seien durch die Geldbusse und die Dienstentlassung schwer genug bestraft und der verursachte Schaden von den 8. B. B. den Wisa-GloriaWerken aus dem Lohnguthaben des Wildi vergütet worden.

Die Generaldirektion der S. B. B. erklärt, sie könne das Begnadigungsgesuch nicht unterstützen, Wildi habe seit seinem im Jahre 1904 erfolgten Dienstantritt wegen Verfehlungen, allerdings nicht erheblicher Natur, sechs Disziplinarstrafen erlitten.

Seine Darstellung über die Verwendung der betrogenen Beträge sei innerlich durchaus unwahrscheinlich und unverständlich. Die Generaldirektion sei der vollendeten Überzeugung, dass Wildi die zuviel erhobenen Fr. 47. 40 für sich verwendet habe, wofür auch der Umstand spreche, dass er sie ohne Widerspruch sich von seinem Guthaben an die Pensions- und Hülfskasse habe abziehen lassen. Krankheit des Verurteilten werde lediglich bei der Straferstehung zu berücksichtigen sein. Die Tatsache, dass in 127 Fällen falsche Eintragungen vorgenommen wurden, weise auf intensiven verbrecherischen Willen hin. Der Erlass der Gefängnisstrafe gegenüber Wildi stünde in unversöhnlichem Widerspruch mit der Vorschrift des Art. 61 des Bundesstrafrechtes und dessen Auslegung, wonach Fälschung von Eisenbahnbilletten auch in geringfügigen Fällen stets mit Gefängnisstrafe zu ahnden sei. Die Generaldirektion fürchtet, dass eine Begnadigung verhängnisvolle Wirkungen nicht nur für die S. B. B., sondern auch für das mit ihnen verkehrende Publikum hätte, weil die Auffassung Platz greifen würde, dass Verfehlungen wie die vorliegenden schlimmsten Falls mit einer Geldbusse geahndet würden.

Diese Ausführungen scheinen uns zutreffend für Aufrechterhaltung der dem Wortlaute des Gesetzes entsprechenden Strafbestimmung des Urteiles des Bezirksgerichtes Lenzburg.

Wir b e a n t r a g e n : Es sei das Begnadigungsgesuch des Fritz Wildi abzuweisen.

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11. Rudolf Schär, Sohn, von Trubschachen, Kanton Bern, geb.

9. Juli 1894, Hüttenknecht in der Käserei Hüpfen-Boden, Gemeinde Trubschachen.

(Übertretung des Jagdgesetzes.)

Rudolf Schär hat Ende April 1914 mittelst eines sogenannten Büffels einen Selbstschuss zurechtgemacht und denselben unter einem Haufen Stroh versteckt zwischen dem Heimwesen seines Vaters Rudolf Schär, Landwirt im Niedermattgraben zu Schiipbach, und dem nahen Walde, um, wie der verzeigende Rapport annimmt, allfälliges Wild, das sich in die Nähe liess, durch diesen Selbstschuss zu töten. Der Sohn Schär gab seinen Angehörigen von dieser Handlung keine Kenntnis, und als sein Vater am 29. April kurz nach dem Mittagessen den Strohhaufen nach Hause schaffen wollte, stiess er zufällig mit de)' Gabel auf den Büffel, welcher auch sofort explodierte und dessen Ladung den Vater Schär am Kopf und am linken Arm erheblich verletzte, so dass ärztliche Hülfe in Anspruch genommen werden musste.

So die Darstellung des Sachverhaltes im verzeigenden Polizeinipport, der offenbar aufgenommen wurde, gestützt auf die Angaben von Vater und Sohn Schär, deren Richtigkeit nicht weiter nachgeprüft werden kann. Im Rapporte finden sich Andeutungen darüber, dass der Selbstschuss in böser Absicht angebracht worden sei, da Vater und Sohn Schär zur kritischen Zeit viel in Unfrieden gelebt hätten und der Sohn Ende April die väterliche Haushaltung verlassen habe.

In der polizeilichen Untersuchung wegen Übertretung des Jagdgesetzes gab der Sohn Schär zu, den Selbstschuss gelegt zu haben direkt an den Haufen Stroh. Er habe ihn mit Pulver geladen und mit Flachs gestopft und beabsichtigt, ihn wieder wegzunehmen, bevor er das väterliche Haus verliess. Der Büffel sei schon lange Eigentum des Vaters Schär, und der Sohn habe ihn auch schon früher geladen und gelegt, um damit Mäuse zu vertreiben. Es hätten ganz gut auch Hasen oder anderes Wild den Büffel zur Entladung bringen können. Er habe dem Vater nie etwas gesagt, wenn er den Büffel richtete. Im Hause sei hie und da Unfrieden gewesen, wie es an verschiedenen Orten vorkomme, aber er habe keine böse Absicht gegen den Vater gehabt, sondern nur Mäuse vertreiben, wollen.

Der Vater Schär erklärte in der Untersuchung, er stelle keinen Strafantrag gegen seinen Sohn wegen Körperverletzung und glaube absolut nicht, dass dieser beabsichtigt habe, ihm durch

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das Legen des Selbstschusses ein Leides anzutun, sondern dass es sich nur um Vertreibung von Mäusen und Maulwürfen gehandelt habe. Seine Verletzungen seien nur unbedeutend gewesen.

Bin ärztliches Zeugnis über den Zustand des Vaters Schär wurde nicht zu den Akten erhoben. Der Richter verurteilte den Sohn Schär wegen Anbringens des Selbstschusses zu der in Art. 21, Ziffer l, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz angedrohten Busse von Fr. 500, im Falle der Nichterhältlichkeit umgewandelt in 100 Tage Gefängnis. Die verwendete Selbstschussvorrichtung wurde konfisziert und dem Verurteilten die Gerichtskosten im Betrage von Fr. 7. 40 auferlegt. Rudolf Schär hat diese Kosten bezahlt.

Nunmehr ersucht der Verurteilte um Nachlass der Busse durch Begnadigung, indem' er geltend macht, dass er sich der Strafbarkeit seiner Handlung nicht bewusst gewesen und dass er wegen Vermögenslosigkeit und geringem Verdienst nicht in der Lage sei, die Busse zu bezahlen. Es wird auch hingewiesen auf das jugendliche Alter des Fehlbaren und auf ein Urteil der bernischen Polizeikammer, nach welchem das Anbringen von Selbstschüssen nur dann gestützt auf das Jagdgesetz strafbar sei, wenn es zur Ausübung der Jagd geschehe und der Apparat zum Töten jagdbarer Tiere geeignet sei.

Der Gemeinderat von Signau bestätigt die Richtigkeit der Angaben über die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten und empfiehlt ihn zur Begnadigung.

Die rechtlichen Voraussetzungen zur Anwendung des Jagdgesetzes sind im vorliegenden Fall unbedingt vorhanden. Auch wenn die Sachdarstellung der Familie Schär dem Entscheide über das Begnadigungsgesuch ohne weiteres zugrunde gelegt wird, so kann nicht zugegeben werden, dass Gründe zum Erlass oder zur Ermässigung der dem Gesetze entsprechenden Strafe vorliegen.

Gerade dieser Fall zeigt, wie gefährlich das Anbringen von Selbstschüssen in der Nähe menschlicher Wohnungen ist, und eine Betrachtung des konfiszierten Apparates lässt die Behauptung, dass er nur zur Vertilgung oder Vertreibung von Maulwürfen oder Feldmäusen und nicht zur Tötung von Jagdwild hätte dienen sollen, direkt als unglaubwürdig erscheinen.

W i r b e a n t r a g e n : Es sei das Begnadigungsgesuch des Rudolf Schär, Sohn, abzuweisen.

532 12. Oskar Brechbühl, geb. 1880, Schlosser in Bern.

(Übertretung des Fischereigesetzes.)

Die Brüder Arnold und Oskar Brechbühl lagen am Abend des 18. August 1914, zirka ll1^ Uhr, in Bümpliz dem Fischfang ob. Während Oskar auf der Strasse bei einem mitgeführten Holzerkarren Wache stand, fing Arnold mit einem untermässigen Netze bei der Säge in dem mit Verbot belegten Stadtbache Forellen. Bei der Verhaftung fanden sich bei ihnen bereits neun Stück vor. Beide legten volles Geständnis ab. Der Polizeirichter von Bern verurteilte in Anwendung von Art. 4, lit. b, Art. 19, Art. 31, Ziffer 2, und Art. 32, Ziffer 3, des Bundesgesetzes betreffend die Fischerei vom 21. Dezember 1888 und Art. 21 des Bundesstrafrechtes ain 19. August eventuell den Arnold Brechbühl wegen Fischfrevels mit verbotenem Fanggerät zu Fr. 80 und wegen Verbotsübertretung zu Fr. 15, den Oskar Brechbühl wegen Gehülfenschaft bei diesen Übertretungen zu Fr. 50 und zu Fr. 10 Geldbusse. Die Verurteilten erklärten die Annahme des Urteils.

Oskar Brechbühl ersucht um Erlass der Strafen, da sie zu hoch seien. Er habe bei der Tat abgewehrt und müsse seit Monaten für ein krankes Kind sorgen. Der Polizeidirektor der Stadt Bern empfiehlt den gänzlichen, der Regierungsstatthalter einen teilweisen Straferlass.

Da es sich um konnexe Übertretungen handelt, von denen die Verletzung des Bundesgesetzes die schwerere ist, so musste Art. 33 des Bundesstrafrechtes und dessen Auslegung durch Bundesgericht und ßundesrat eine Zusammenrechnung der Strafen erfolgen, und ist die Bundesversammlung zum Entscheid über die Begnadigung in vollem Umfange der auferlegten Geldbusse kompetent.

Aus dem Berichte des Quartieraufsehers ergibt sich, dass Brechbuhl in sehr ärmlichen Verhältnissen lebt. Bis zum Jahre 1906 ist er zu mehreren kleinen Strafen, zu zwei und drei Tagen Gefängnis wegen Nichtbezahlung der Militärsteuer und zu drei geringen Geldbussen wegen Polizeiübertretungen, verurteilt worden ; seither hat er aber keine Strafe mehr erlitten. Aus diesen Gründen, und da er bei der Haupttat nur als Gehülfe tätig war, empfiehlt es sich, ihm die auferlegte Geldbusse teilweise zu erlassen.

A n t r a g : Es sei die dem Oskar Brechbühl auferlegte Geldbusse von Fr. 60 auf Fr. 20 zu ermässigen.

533 13. Edmund Widmer, von Obersiggenthal, Kanton Aargau, geb.

28. April 1880, Kaufmann, verheiratet, Vater von fünf Kindern, wohnhaft in Zürich, Froschaugasse 30.

(Übertretung des Auswanderungsgesetzes.)

Im Frühjahr 1913 stellte Edmund Widmer von Marseille aus, wo er sich mit seiner Familie aufhielt, das Gesuch um Erlass von Strafen, die ihm durch die Gerichte des Kantons Zürich wegen Übertretung des schweizerischen Auswanderungsgesetzes auferlegt worden waren. Der Bundesrat entnahm damals den Akten in tatsächlicher Beziehung folgendes (Bundesbl. 1913, III, 282 ff.): ,,Edmund Widmer hatte sieh schon wiederholt auf Anzeigen des schweizerischen Auswanderungsamtes hin vor den Strafgerichten des Kantons Zürich wegen Übertretung des Auswanderungsgesetzes zu verantworten. Es wurde ihm in den jetzt in Betracht kommenden Fällen im wesentlichen zur Last gelegt, dass er ohne Patent oder Genehmigung auf Gebiet des Kantons Zürich entgegen dem Art. 19 des Bundesgesetzes auf die Beförderung von Auswanderern sich beziehende Veröffentlichungen erlassen habe, die vom Bundesrate untersagt sind; dass er ferner auf Anfrage im Deutschen Reiche wohnhaften Personen, die auswandern wollten, über die Bedingungen und Kosten der Überfahrt nach Brasilien wiederholt Auskunft erteilt und sich von diesen Personen behördliche Zeugnisse über den Familienstand und ärztliche Ausweise habe zustellen lassen ; dass er endlich mit dem Verkauf von Passagierbilletten sich befasst habe, und zwar im Dienste der ,,Kommission für wirtschaftliche Ausbreitung Brasiliens" und in Verbindung mit der Schiffahrtsgesellschaft ,,Austro-Americana" und mit dem ,,Holländischen Lloyda. (Siehe Fact. A des bundesgerichtlichen Urteils über Widmer vom 29. Juni 1912.)

,,Widmer wurde zuerst in den Jahren 1906 und 1907, dann wieder im Jahre 1909 wegen unbefugten Auswanderungsbetriebes dem Strafrichter überwiesen, damals aber in zwei Fällen freigesprochen. Am 17. Januar 1911 verurteilte ihn das Bezirksgericht Zürich wegen solcher Übertretung zu Fr. 200 Geldbusse.

Dieses Erkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen, und Busse und Kosten wurden aus einer von Widmer geleisteten Kaution bezahlt.

,,Im Jahre 1911 erfolgte eine neue Vorzeigung, welche vom Bezirksgericht Zürich am 27. Oktober 1911 durch Verurteilung des Edmund Widmer zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten

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führte. Infolge Berufung des Bestraften gelangte die Anklage an das Obergericht. Dieses bestätigte die Schuldigerklärung, änderte aber die Strafe ab in einen Monat Gefängnis und Fr. 500 Geldbusse. Es wurde dabei als erschwerend und zur Verhängung von Freiheitsstrafe führend der Rückfall in Betracht gezogen, dagegen vom Obergericht zugunsten des Angeklagten der Umstand berücksichtigt, dass besonders schwere und nachteilige Folgen seiner Auswanderungstätigkeit nicht nachgewiesen seien. Das Bundesgericht bestätigte das Urteil in allen Teilen, unter Abweisung einer von Widmer eingereichten staatsrechtlichen Be schwerde.

,,Im Jahre 1912 erfolgte eine neue Vorzeigung des Edmund Widmer wegen unbefugter Betreibung der Tätigkeit eines Auswanderungsagenten durch geschäftsmässigen Verkauf von Passagierbilletten und anderer Propaganda fllr die Auswanderung nach Brasilien. Dieses Mal fand das Bezirksgericht Zürich, es rechtfertige sich eine strenge Bestrafung durch die Erwägung, dass Widmer nun schon zum viertenmal wegen des gleichen Vergehens angeklagt sei, und in Anbetracht des zwecks Umgehung des Gesetzes aufgewendeten Raffinements. Widmer wurde deshalb zu drei Monaten Gefängnis und Fr. 600 Geldbusse verurteilt, und das Obergericht bestätigte dieses Erkenntnis letztinstanzlich.

,,Die Strafen aus den Jahren 1911 und 1912 sind noch nicht vollzogen. Widmer hat sich nach Hinterlegung von Kaution ins Ausland geflüchtet und ersucht nun um Aufhebung dieser Strafen oder doch um deren Ermässigung, bzw. Umwandlung der Gefängnisstrafe in Geldbusse. Er behauptet, dass ihm dei- Wille gefehlt habe, ein Gesetz zu übertreten, und dass nur Verdienstlosigkeit und die Unmöglichkeit, anderweitige Anstellung zu finden, ihn gezwungen habe, eine angebotene Anstellung anzunehmen, ,,deren Tätigkeit, wie ihm wohl bewusst gewesen, hart an der Grenze des Auswanderungsgesetzes vorbeigehen würde11.

Er verspricht, sich in Zukunft derartiger Übertretungen zu enthalten, und verweist wiederholt darauf, dass ihm im Interesse seiner Familie die Rückkehr in die Schweiz ermöglicht werden sollte.

,,Das eidgenössische Auswanderuugsamt weist zugunsten des Gesuches von Widmer darauf hin, dass derselbe früher Beamter gewesen sei und als aufgeweckter und intelligenter Mann wohl imstande wäre, sich wieder emporzuarbeiten, wenn er seine Kenntnisse und Fähigkeiten zum Guten verwenden wollte. Aus seinem Begnadigungsgesuche scheine hervorzugehen, dass er seine

535 Gesetzesübertretungen bereue und in die Heimat'zurückzukehren wünsche, um den Versuch zu machen, hier für den Unterhalt seiner in Not geratenen Familie zu sorgen, was ihm aber schwer, vielleicht unmöglich würde, wenn er gleich nach seiner Rückkehr ins Gefängnis wandern müsse.

,,Mit Eingabe vom 21. April 1913 ergänzt der Potent seine früheren tatsächlichen Ausfükrungen unter Einsendung von Zeugnissen v-on Personen, deren Auswanderung er vermittelt hat und aus denen hervorgehen soll, dass ihnen seine Tätigkeit zum Nutzen gereicht habe. Das schweizerische Auswanderungsamt erklärt indessen, diesen Zeugnissen könne keine grössere Bedeutung geschenkt werden, weil sie im Widerspruche stehen mit offiziellen Berichten des schweizerischen Generalkonsuls in Rio de Janeiro ; vielmehr ergebe sich aus den vorgelegten Schriftstücken mit aller Deutlichkeit, dass Widmer, direkt oder indirekt, im Dienste der brasilianischen Einwanderuhgs- bzw. Propagandakommission Personen zur Auswanderung aus der Schweiz nach Brasilien veranlasst und so durch verbotene Beteiligung an einem Kolonisationsunternehmen die Gesetze und Verordnungen unseres Landes verletzt habe."

In seinem Bericht vom 16. Mai 1913 gelangte der Bundesrat zum Antrag auf Abweisung des Begnadigungsgesuches des Edmund Widrner mit folgender Begründung : ,,Die mehrfachen Rückfälle Widmers in Übertretungen der gleichen Art und die vielen Einzelhandlungen, durch welche er die ihm wohlbekannten Gesetze übertrat, rechtfertigen durchaus eine strenge Ahndung. Widmer hat unzweifelhaft eine grosse Anzahl von Personen und von ganzen Familien, die er zur Auswanderung nach Brasilien veranlasste, in schweres Unglück gebracht, und zwar aus schnöder Gewinnsucht. Seinen jetzigen Beteuerungen eines Wechsels der Gesinnung und zukünftiger Änderung seines Verhaltens kann nach solchen Vorgängen nicht Glauben geschenkt werden. a Die Bundesversammlung erhob diesen Antrag in ihrer Junisession zum Beschlüsse.

Im August 1914 kehrte Edmund Widmer mit seiner Familie in die Schweiz zurück und stellte sich bei den eidgenössischen und den kantonalen Behörden. Er will das getan haben, weil sich sein Aufenthalt in Frankreich wegen der Kriegswirren schwierig gestaltete, und in der Absicht, sich dem schweizerischen Militärdienste zu stellen, in der Hoffnung, für die Dauer der Dienstzeit Aufschub des Strafvollzuges und später Begnadigung

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zu erlangen. Er wurde aber am 24. August auf Befehl der Bezirksanwaltschaft Zürich zur Straferstehung eingezogen und' im Bezirksgefängnis Winterthur in Strafverhaft gesetzt.

Mit Eingabe vom 23. Oktober 1914 richtete die Ehefrau des Edmund Widmer an die Bundesversammlung das Gesuch, dass ihrem Manne, nachdem er die Hälfte der ihm auferlegten Freiheitsstrafe mit zwei Monaten erstanden habe, der Rest durch Begnadigung erlassen und dass der Verhaft bis nach Erledigung des Begnadigungsgesuches aufgehoben werde.

In dem Gesuche werden die früheren Ausführungen über den Charakter Widmers und die Beweggründe zu seiner Beteiligung an dein Auswanderungsunternehmen wiederholt und sodann darauf hingewiesen, wie notwendig die Freilassung des Familienvaters für die Existenz seiner schweren Haushaltung sei. Im weiteren behauptet Frau Widmer, sie habe sich bei einem Besuche, den sie ihrem 'Manne im Gefängnis gemacht, davon überzeugt, dass seine Gesundheit durch den bereits erstandenen Verhaft schwer geschädigt und durch fortdauernde Freiheitsberaubung noch weiter gefährdet sei.

Nachdem sich der Ehemann diesem Gesuche seiner Frau angeschlossen hatte, wurde durch Vermittlung der Bezirksanwaltschaft Winterthur ein ärztliches Zeugnis über den gegenwärtigen Gesundheitszustand des Verhafteten eingeholt. Dieses Zeugnis, ausgestellt vom Bezirksarzt des Bezirkes Winterthur, stellt folgendes fest: y,Widmer leidet an chronischem Magenkatarrh mit Erschlaffung der Magenwände ; er ist infolgedessen sehr wenig bei Appetit, was auch vom Gefangenwärter bestätigt wird. Als Folgezustände konstatiere ich Blutarmut, hochgradige, direkt auffallende Abmagerung (ich habe den Widmer schon einmal vor zirka sechs Wochen untersucht und kann daher diese Beobachtung feststellen), Nervosität und Schlaflosigkeit. Ich halte dafür, dass es angezeigt sei, dem Widmer wegen seines gefährdeten Gesundheitszustandes den Rest des Strafvollzuges auf dem Begnadigungswege zu erlassen.u Da nach den Prozessgesetzen die Unterbrechung des Strafvollzuges wegen Krankheit denjenigen Behörden obliegt, welche die Urteilsvollstreckung angeordnet haben, so übermittelte der Bundesanwalt diesen ärztlichen ,,Bericht der Bezirksanwaltschaft Zürich zur geeigneten Verfügung. Diese berichtete, dass Widmer mit Rücksicht auf seinen Krankheitszustand am 7. November provisorisch aus dem Strafverhaft entlassen worden sei. Im

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fernem wurde konstatiert, dass die Geldbussen von Fr. 500 und J?r. 600, die dem Widmer neben den Freiheitsstrafen auferlegt worden waren, aus der von ihm geleisteten Kaution getilgt worden seien und demnach keine Bussumwandlung und Vollzug von solcher mehr in Frage komme.

Der Chef des eidgenössischen Auswanderungsamtes erklärt in einem Schreiben vom 24. Oktober 1914 an den Bundeskanzler: nach seinem persönlichen Dafürhalten dürfte Edmund Widmer, nachdem er sich zum Militärdienst gestellt und einen Teil der Strafe abgebüsst habe, begnadigt werden.

Was nun das jetzige Begnadigungsgesuch des Widmer anbetrifft, so haben sich die Verhältnisse seit der Entscheidung der .Bundesversammlung vom Juni 1913 wesentlich verändert. Einmal hat der Verurteilte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe durch die allerdings nicht ganz freiwillige Rückkehr in die Schweiz selbst ermöglicht und von den 120 Tagen deren 74 erstanden.

Ferner ist durch ärztliches Zeugnis festgestellt, dass der Freiheitsentzug auf den Gesundheitszustand Widmers in hohem Masse .schon jetzt schädigend eingewirkt hat und dass diese Folgen durch weitere Haft sich unbedingt noch verschlimmern würden.

Es darf wohl angenommen werden, dass diese bittern Erfahrungen den Gesuchsteller dauernd von neuen Gesetzesübertretungen abhalten werden.

Wir b e a n t r a g e n : Es sei dem Edmund Widmer der Rest der Gefängnisstrafe in Gnaden zu erlassen.

14. Lina Oesch, Dienstmagd, geb. 1893, im Strumpfer, Gemeinde Wachseldorn, Bezirk Thun.

(Fälschung von Lebensmitteln.)

Im Frühjahr 1914 wurden in der Käserei Süderen, Amt Signau, zu welcher der Bruder der Lina Oesch, der Landwirt Karl Oesch, als Mitglied gehörte, verdächtige Beobachtungen über die aus dem 'Strumpfer gelieferte Milch gemacht. Am 11. April ·nahm der Käser eine Probe, und es ergab sich durch die chemische Untersuchung das Vorhandensein eines Wasserzusatzes von 20%.

Lina Oesch gab in der angehobenen Strafuntersuchung zu, Ende März und Anfang April während ungefähr 14 Tagen der

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von den Kühen ihres Bruders erhaltenen und von ihr in die Käserei gelieferten Milch, die im Tag durchschnittlich 40 Liter betrug, jeweilen abends und manchmal auch am Morgen Wasser zugesetzt zu haben. Sie will dies ganz von sich aus getan haben und keinen Grund hierfür angeben können.

Der erstinstanzliche Richter verhängte eine Strafe von acht Tagen Gefängnis und Fr. 70 Geldbusse mit bedingtem Erlass der 'Freiheitsstrafe nach bernischem Gesetz. -- Infolge Appellation der Staatsanwaltschaft wurde die Strafe obergerichtlich auf vier Tage Gefängnis und Fr. 20 Geldbusse herabgesetzt unter Aufhebung des nach dem angewendeten eidgenössischen Gesetze nicht zulässigen bedingten Straferlasses. In den Erwägungen der I. Strafkammer wird ausgeführt, dass, obwohl das eingeklagte Vergehen an und für sich als ein schweres bezeichnet werden müsse, denn doch die besonderen Verumständungen des vorliegenden Falles in verschiedener Hinsicht als strafmildernd in Berücksichtigung zu ziehen seien, so der Umstand, dass es sich nicht um'Konsummilch, sondern um Käsereimilch handelte, dass der Wasserzusatz im Vergleich zu ändern Fällen nicht ein sehr grosser war, dass die Angeschuldigte nicht -- oder doch nicht nachgewiesenermassen -- zu ihrem materiellen Vorteil betrog, dass sie ein offenes Geständnis ablegte, nicht vorbestraft ist und einen ausgezeichneten Leumund geniesst. Ferner wurde berücksichtigt, dass dem geschädigten Käser von dem Bruder Oesch eine Entschädigung von Fr. 600 bezahlt wurde, die den wirklich entstandenen oder doch den nachweisbaren Schaden um das V i e l f a c h e übersteige^ Die verurteilte Lina Oesch ersucht um Erlass der Freiheitsstrafe, beziehungsweise Umwandlung in Geldbusse, indem sie geltend macht, dass ihre beiden Brüder im Militärdienst abwesend und sie allein zur Besorgung des landwirtschaftlichen Gewerbes zu Hause sei, so dass die Kühe während des Vollzuges der Freiheitsstrafe verhungern müssten.

Das bernische Obergericht hat alle Milderungsgründe, welche für die Gesuchstellerin angerufen werden können, hinreichend bei Ausmessung der Strafe berücksichtigt. Das Heimwesen der Familie könnte natürlich auch bei Abwesenheit aller Erwachsenen durch fremde Kräfte besorgt werden. Bei fortgesetzter Fälschung von Milch aber ist insbesondere dann die Verhängung von Freiheitsstrafe unerlässlich, wenn das Vergehen, wie im vorliegenden Fall, begangen wurde von einer vermöglichen Person zum Zwecke des Gewinnes von Geld.

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W i r b e a n t r a g e n : Es sei das Begnadigungsgesuch der Lina Oesch abzuweisen.

B e r n , den 20. November 1914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Vorschriften über den Dienstgang.

Unterm 17. November 1914 hat der Bundesrat folgende, am I.Januar 1915 in Kraft tretende Vorschriften erlassen: 1. Die Bundeskanzlei hat sämtliche an den Bundesrat und an den Bundespräsidenten gerichtete Korrespondenz, letztere soweit sie nicht ausdrücklich als persönlich bezeichnet ist, zu eröffnen, die Überweisungen vorzubereiten und darüber Kontrolle zu führen.

2. Die von den schweizerischen Gesandtschaften und Konsulaten, von fremden Kegierungen und ihren Vertretern ausgehende Korrespondenz mit dem Bundesrat ist an den Bundespräsidenten zu richten, diesem von der Bundeskanzlei vorzulegen und von ihm an die zuständigen Departemente zu überweisen.

3. Die vom Bundesrate ausgehenden Beschlüsse werden durch die Bundeskanzlei vollzogen, vorbehaltlich der allgemein für gewisse Geschäfte, oder im einzelnen Falle erfolgenden Überweisung zum Vollzug an das antragstellende Departement.

4. Die vom Bundesrate ausgehenden Erlasse sind vom Bundespräsidenten und dem Kanzler, oder im Falle der Verhinderung . von deren Stellvertretern zu unterzeichnen. Nachstehende Erlasse werden aus Auftrag des Bundesrates vom Kanzler oder seinem Stellvertreter allein unterzeichnet:

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<» a. die vom Bundesrate genehmigten Verträge mit Ausnahme der Staatsverträge, ö. alle vom ßundesrate ausgehenden Wahlakte, c. alle vom Bundesrate ausgehenden Offiziersbrevets für Stabsoffiziere, d. die vom Bundesrate erteilten Vollmachten, e. die Beschlüsse über die Bewilligung von Bundesbeiträgen, soweit sie in den Geschäftskreis des Bundesrates fallen.

5. Die Schlussnahmen der eidgenössischen Räte sind durch die Bundeskanzlei, den beteiligten Departementen zur Kenntnis zu bringen und zu vollziehen.

# S T #

Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 12. November 1914.)

Den Bundesbehörden ist vom schweizerischen Baumeisterverband der Betrag von 10,000 Fr. zur freien Verfügung gestellt worden. Diese Spende ist dem Fonds für spezielle militärische Zwecke überwiesen und gebührend verdankt worden.

(Vom 13. November 1914.)

Der Übereinkunft vom 23. August/ 6. September 1913, zwischen der Regierung von Baselstadt und dem badischen Finanzministerium, betreffend Ablösung der Steuerfreiheit der badischen Eisenbahnbeamten mit badischer Staatsangehörigkeit im Kanton Baselstadt, wird vom Bundesrate die Genehmigung erteilt.

Unter Berufung auf Art. 102, Ziffer 8, der Bundesverfassung, auf Art. 3 des Bundesbeschlusses betreffend Massnahmen zum Schütze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität vom 3. August 1914, werden die Redaktionen des ,,Jura Bernois", des ,,Nouvelliste valaisan" und der ,,Feuille d'Avis de Ste. Croix" wegen verschiedener zu Beanstandung Veranlassung gebender Zeitungsartikel verwarnt. Es wird ihnen eröffnet, dass bei weiterer Aufnahme von Artikeln, durch welche fremde Völker, ihre

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Wintersession 1914). (Vom 20. November 1914.)

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1914

Année Anno Band

4

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47

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567

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

25.11.1914

Date Data Seite

522-540

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10 025 558

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