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Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates vom 5. November 2020

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Schlüsselbegriffe

Eidgenössische Gerichte Die Schweiz hat vier eidgenössische Gerichte: das Bundesgericht (Lausanne, Luzern), das Bundesverwaltungsgericht (St. Gallen), das Bundesstrafgericht (Bellinzona) und das Bundespatentgericht (St. Gallen). Alle vier sind Gegenstand dieser Evaluation.

Verfassungsgarantien Gemäss Artikel 30 der Bundesverfassung müssen Gerichte durch Gesetz geschaffen, unabhängig und unparteiisch sein. Ähnliche Bestimmungen gibt es im Völkerrecht.

Geschäftsverteilung Die Geschäftsverteilung bezeichnet die Zuteilung der Verfahren an die Richterinnen und Richter, die über den Einzelfall zu entscheiden haben.

Spruchkörper Über alle Geschäfte, die einem Gericht unterbreitet werden, entscheidet ein ein- bis siebenköpfiges Richtergremium. Die genaue Richterzahl im Spruchkörper ist abhängig von der Verfahrensart und der juristischen Fragestellung.

Informatikprogramme Das Bundesgericht und das Bundesverwaltungsgericht nutzen Informatikprogramme zur Bestimmung des gesamten oder eines Teils des Spruchkörpers. Bei den anderen eidgenössischen Gerichten erfolgt die Zuteilung manuell.

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Das Wichtigste in Kürze Die Verfahren der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten sind grundsätzlich angemessen. Die Geschäfte werden den Richterinnen und Richtern anhand von objektiven Kriterien zugeteilt. Allerdings sind nicht alle Kriterien in den Reglementen aufgeführt und in den eingesetzten Hilfsmitteln berücksichtigt.

Die Geschäftsverteilung wird zudem nicht ausreichend dokumentiert, was der Transparenz schadet und die Nachverfolgbarkeit einschränkt.

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beauftragten die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Januar 2019 mit einer Evaluation der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten, d. h. beim Bundesgericht (BGer), beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer), beim Bundesstrafgericht (BStGer) und beim Bundespatentgericht (BPatGer).

Im September 2019 entschieden die Subkommissionen Gerichte/BA der GPK, die für die Evaluation zuständig sind, dass die Verfahren der Geschäftsverteilung, ihre Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Recht und ihre Eignung, einen unabhängigen und unparteilichen Spruchkörper zu gewährleisten, untersucht werden sollen. Von einer Analyse der Spruchkörperbildung in einzelnen Fällen haben sie hingegen abgesehen.

Die PVK prüfte in einer rechtlichen Analyse, inwiefern die Bestimmungen der vier eidgenössischen Gerichte dem übergeordneten Recht und den Empfehlungen internationaler Organisationen entsprechen. Dabei zog sie eine externe juristische Begleitung bei. In einer Dokumentenanalyse untersuchte sie die Verfahren der Geschäftsverteilung und die eingesetzten Instrumente. Zudem führte sie rund 30 Interviews durch, insbesondere mit Personen, die an den Gerichten für die Geschäftsverteilung zuständig sind.

Die Rechtsgrundlagen entsprechen grundsätzlich dem übergeordneten Recht, weisen aber gewisse Lücken auf (Ziff. 3) Die zentralen Vorgaben der Bundesverfassung und des Völkerrechts in Sachen Geschäftsverteilung bei Gerichten werden von den eidgenössischen Gerichten grundsätzlich eingehalten. Die Gesetze und Reglemente der einzelnen Gerichte legen Verfahren fest, welche die Rechtmässigkeit, die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Gerichte gewährleisten (Ziff. 3.1). Allerdings sind diese Bestimmungen nicht vollständig. Häufig fehlen bestimmte Kriterien, die bei der
Spruchkörperbildung berücksichtigt werden, so namentlich die Sprachen, welche die Richterinnen und Richter beherrschen (beim BPatGer), oder die Abwesenheiten, das Geschlecht oder Spezialkenntnisse von Richterinnen und Richtern (beim BVGer) (Ziff. 3.2). Die Art und Weise, wie die Zusammensetzung des Spruchkörpers nachträglich geändert werden kann, ist ­ entgegen den internationalen Empfehlungen ­ in den Rechtsgrundlagen keines einzigen Gerichts geregelt (Ziff. 3.3).

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Die Transparenz der Verfahren für die Geschäftsverteilung ist unzureichend (Kap. 4) Die Aufgaben bei der Geschäftsverteilung (Ziff. 4.1) und der Ablauf der Verfahren sind kaum dokumentiert (Ziff. 4.2), was der Transparenz schadet, sowohl gerichtsintern als auch nach aussen. Zudem wird die Geschäftsverteilung kaum überprüft. Lediglich das BGer erstellt hierzu einen Bericht, nicht aber das BVGer, obwohl gewisse Angaben seinem System entnommen werden können. Beim BStGer und beim BPatGer sind hierzu derzeit keinerlei Informationen verfügbar (Ziff. 4.3). Da die Rechtsgrundlagen der eidgenössischen Gerichte offen formuliert sind, ist es umso wichtiger, dass die Geschäftsverteilung in den einzelnen Fällen genau dokumentiert wird, um jeglichen Verdacht einer Manipulation der Spruchkörperbildung in der Absicht, das Urteil in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, ausschliessen zu können.

Die Instrumente stellen die objektive Spruchkörperbildung nicht durchwegs sicher (Kap. 5) Der Einsatz von Informatikprogrammen zur automatischen Bildung der Spruchkörper ­ wie am BGer und am BVGer ­ trägt zu einer objektiveren Geschäftsverteilung bei.

Allerdings wird das Potenzial dieser Programme nicht voll ausgeschöpft, was die obige Aussage relativiert (Ziff. 5.1). Daneben werden ­ namentlich am BStGer und am BPatGer ­ Excel-Tabellen als Instrumente für die Geschäftsverteilung genutzt.

Auch wenn diese pragmatisch eingesetzt werden, so sind sie doch nur rudimentär und berücksichtigen nicht alle Kriterien für die Geschäftsverteilung. Sie sind deshalb nur teilweise geeignet, um eine objektive Spruchkörperbildung sicherzustellen (Ziff. 5.2).

Die Kriterien für die Geschäftsverteilung sind zweckmässig, werden jedoch unterschiedlich angewendet (Kap. 6) Die Kriterien für die Geschäftsverteilung, z. B. spezifische Kenntnisse oder Abwesenheiten der Richterinnen und Richter, werden von den einzelnen Gerichten und selbst von den verschiedenen Abteilungen innerhalb der Gerichte teilweise sehr unterschiedlich angewendet. Wie sich dies auf die Spruchkörperbildung auswirkt (Ziff. 6.1) und wie die Kriterien priorisiert werden (Ziff. 6.2), ist nicht ganz klar. Weil die Anwendung der Kriterien somit nicht vollständig nachvollzogen werden kann, wirft dies Fragen zur Objektivität der Verfahren auf.

Das Ermessen bei der Geschäftsverteilung
trägt zu einer effizienten und effektiven Justiz bei (Kap. 6) Ohne sich mit der Geschäftsverteilung in den einzelnen Fällen befasst zu haben, konnte die PVK feststellen, dass der bestehende Ermessensspielraum grundsätzlich dazu dient, ein Gleichgewicht zu finden zwischen strikten Automatismen und der für die Gewährleistung einer effektiven und effizienten Justiz nötigen Flexibilität. Allerdings lassen sich gewisse Unterschiede bei den Rechtsgrundlagen, den Verfahren, den Instrumenten und der Umsetzung der Geschäftsverteilung nicht durch die Besonderheiten der einzelnen Gerichte erklären (Ziff. 6.3).

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Inhaltsverzeichnis Schlüsselbegriffe

2

Das Wichtigste in Kürze

3

1

Einleitung 1.1 Ausgangslage und Fragestellungen der Evaluation 1.2 Vorgehen 1.3 Grenzen der Evaluation 1.3.1 Tragweite der Oberaufsicht über die Gerichte 1.3.2 Grenzen des Evaluationsgegenstands 1.4 Aufbau des Berichts

7 7 8 9 9 10 11

2

Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten 2.1 Die vier eidgenössischen Gerichte 2.1.1 Bundesgericht (BGer) 2.1.2 Bundesverwaltungsgericht (BVGer) 2.1.3 Bundesstrafgericht (BStGer) 2.1.4 Bundespatentgericht (BPatGer) 2.2 Die Geschäftsverteilung 2.2.1 Rechtsrahmen 2.2.2 Verfahren der Geschäftsverteilung 2.2.3 Instrumente zur Geschäftsverteilung 2.2.4 Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung

11 11 11 12 12 13 13 14 15 17 18

3

Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Rechtsrahmen 3.1 Die Rechtsgrundlagen der Gerichte entsprechen insgesamt dem übergeordneten Rechtsrahmen 3.2 Die gesetzlichen Grundlagen und Reglemente sind nicht vollständig 3.3 Zur Abänderung des Spruchkörpers fehlen klare Vorgaben

18

Zweckmässigkeit der Verfahren der Geschäftsverteilung 4.1 Die Aufgaben werden teilweise delegiert 4.2 Die Verfahren der Geschäftsverteilung sind kaum dokumentiert, was der Transparenz schadet 4.3 Die Geschäftsverteilung wird kaum überprüft

22 22

Zweckmässigkeit der Instrumente zur Geschäftsverteilung 5.1 Der Einsatz von Informatikprogrammen ist zweckmässig, wird aber nicht ausgeschöpft 5.1.1 Das Programm «Bandlimat» des BVGer: ein Pioniersystem, das an seine Grenzen stösst 5.1.2 Das Programm «CompCour» des BGer: ungenutzte Möglichkeiten zur Objektivierung der Geschäftsverteilung

24

4

5

19 20 21

23 23

25 25 27 5 / 54

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5.2 6

7

Die Instrumente der Geschäftsverteilung am BStGer und am BPatGer sind rudimentär

Zweckmässigkeit der Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung 6.1 Die Kriterien werden nicht einheitlich angewendet 6.2 Die Gewichtung der Kriterien ist nur bei der Verwendung von Informatikprogrammen nachvollziehbar 6.3 Die Besonderheiten der einzelnen Abteilungen und Gerichte rechtfertigen die Unterschiede bei der Umsetzung nur teilweise Schlussfolgerungen 7.1 Die Rechtsgrundlagen entsprechen grundsätzlich dem übergeordneten Recht, weisen aber gewisse Lücken auf (Kap. 3) 7.2 Die Transparenz der Verfahren für die Geschäftsverteilung ist unzureichend (Kap. 4) 7.3 Die Instrumente stellen die objektive Spruchkörperbildung nicht durchwegs sicher (Kap. 5) 7.4 Die Kriterien für die Geschäftsverteilung sind zweckmässig, werden jedoch unterschiedlich angewendet (Kap. 6) 7.5 Das Ermessen bei der Geschäftsverteilung trägt zu einer effizienten und effektiven Justiz bei (Kap. 6)

30 31 32 35 36 37 38 38 39 40 40

Abkürzungsverzeichnis

42

Literatur und Dokumentenverzeichnis

44

Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner

49

Impressum

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage und Fragestellungen der Evaluation

Die Rechtmässigkeit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte stellen Grundrechte dar, welche die Bundesverfassung und das Völkerrecht allen an einem Gerichtsverfahren beteiligten Personen garantieren1 (Art. 30 BV2, Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]3, Art. 14 Abs. 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte [Pakt II]4). Dazu gehört, dass jede Person das Recht hat, dass die Zusammensetzung des Organs, welches ihren Fall beurteilt, nicht manipuliert wurde, um das Urteil in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Die Gerichte haben diese Garantien konkretisiert, indem sie Verfahren festgelegt haben, bei welchen die Geschäfte nach objektiven Kriterien unter den Richterinnen und Richtern verteilt werden. Diese Verfahren, die einen unabhängigen Entscheid gewährleisten sollen, wurden jedoch in Frage gestellt angesichts des möglichen Einflusses der Parteizugehörigkeit der Richterinnen und Richter auf die Entscheide5 sowie des Ermessensspielraums der Personen, die für die Spruchkörperbildung zuständig sind.6 Vor diesem Hintergrund beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates (GPK) am 28. Januar 2019 die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation der Geschäftsverteilung bei den vier eidgenössischen Gerichten, d. h. dem Bundesgericht (BGer), dem Bundesverwaltungsgericht (BVGer), dem Bundesstrafgericht (BStGer) und dem Bundespatentgericht (BPatGer). Auf der Grundlage einer Projektskizze der PVK legten die Subkommissionen Gerichte/BA der GPK, die für die Evaluation zuständig sind, am 9. September 2019 die Fragen fest, die im Mittelpunkt der Untersuchung stehen sollen und im Bericht je in einem eigenen Kapitel beantwortet werden:

1 2 3 4 5 6

­

Entsprechen die Bestimmungen zur Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten den verfassungs- und völkerrechtlichen Anforderungen in diesem Bereich? (Kap. 3)

­

Sind die Verfahren der Geschäftsverteilung zweckmässig definiert? (Kap. 4)

Kiener, Regina (2001): Richterliche Unabhängigkeit: verfassungsrechtliche Anforderungen an Richter und Gerichte. Bern: Stämpfli Verlag AG, 75.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101).

Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]; SR 0.101).

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (Pakt II; SR 0.103.2) Das Parteibuch der Richter beeinflusst die Asylentscheide. In: TagesAnzeiger, 10. Oktober 2016.

Wer entscheidet, wer Recht spricht? In: Republik, 9. Mai 2018. In jüngerer Zeit wurde die Geschäftsverteilung auch in folgendem Artikel kritisiert: «Das sind gravierende Verfahrensmängel». In: Neue Zürcher Zeitung, 17. Juni 2020.

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­

Sind die von den Gerichten zur Geschäftsverteilung eingesetzten Instrumente zweckmässig? (Kap. 5)

­

Ist die Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung zweckmässig?

(Kap. 6)

Entsprechend dem Beschluss der Subkommissionen Gerichte/BA vom 22. April 2020 nicht untersucht hat die PVK dagegen die Spruchkörperbildung in einzelnen konkreten Fällen.

1.2

Vorgehen

Um die Evaluationsfragen zu beantworten, untersuchte die PVK die Geschäftsverteilung mittels verschiedener Methoden der Datenerhebung und Datenanalyse (siehe Tabelle 1). Anhang 1 am Ende des Berichts enthält eine Übersicht zur Herangehensweise der Evaluation, während Anhang 2 die Kriterien erläutert, auf denen die Bewertungen der PVK beruhen.

Tabelle 1

1

Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Rechtsrahmen Zweckmässigkeit der Verfahren Zweckmässigkeit der Instrumente Zweckmässigkeit der Umsetzung der Verfahren

2 3 4

Interviews

Problematik

Dokumentenanalyse

Frage

Rechtliche Analyse (inkl. externe Beratung)

Methodenübersicht



()

()









Legende: : Hauptbeitrag, (): sekundärer Beitrag

Für die rechtliche Analyse nahm die PVK eine Synthese der Verfassungsbestimmungen und der internationalen Empfehlungen im Bereich der Verfahren zur Geschäftsverteilung bei Gerichten vor. Dieses Analyseraster wurde dann auf die Rechtsgrundlagen des BGer, des BVGer, des BStGer und des BPatGer angewendet, um zu bewerten, ob diese Rechtstexte dem übergeordneten Rechtsrahmen entsprechen. Anwalt Daniel Kettiger (Mag. rer. publ.) überprüfte und kommentierte im Rahmen eines juristischen Begleitmandats das Analyseraster und die Schlussfolgerungen der PVK und beantwortete juristische Frage zu einzelnen Punkten.

Die Dokumentenanalyse hatte zum Ziel, den Ablauf der Verfahren der Geschäftsverteilung an den vier eidgenössischen Gerichten, die Zuständigkeiten der verschiedenen 8 / 54

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Akteure und die eingesetzten Instrumente darzustellen. Zu diesem Zweck sammelte und analysierte die PVK interne Dokumente zu den Verfahren, zu den am BGer und am BVGer eingesetzten Informatikprogrammen und zu den von den verschiedenen Abteilungen eingesetzten Instrumenten (z. B. Excel-Tabellen). Dokumente, die Informationen zu den Richterinnen und Richtern enthielten, wurden von den Gerichten zuvor anonymisiert.

Die PVK führte weiter Interviews mit verschiedenen Akteuren durch. Zum einen hat sie zwischen November 2019 und Januar 2020 sechs Rechtsexperten und ­expertinnen interviewt, um externe Einschätzungen zur Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten einzuholen. Ausserdem hat sie ab Januar 2020 mit mehr als 20 Akteuren, die an den Gerichten für die Geschäftsverteilung zuständig sind, Gespräche durchgeführt, namentlich mit den Generalsekretärinnen und -sekretären sowie allen Präsidentinnen und Präsidenten der verschiedenen Abteilungen. Das Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner findet sich am Ende des Berichts. Aufgrund der Coronakrise mussten die für März 2020 geplanten Gespräche mit den Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten des BGer und des BVGer auf den Mai und Juni 2020 verschoben werden.

Zum Abschluss der Evaluation diskutierte die PVK die wichtigsten kritischen Punkte der Evaluation mit den Präsidentinnen und Präsidenten der eidgenössischen Gerichte, die dies wünschten. Die vier Gerichte wurden zudem eingeladen, zwischen August und September 2020 zum Berichtsentwurf Stellung zu nehmen.

1.3

Grenzen der Evaluation

In den folgenden Abschnitten werden die Grenzen der Evaluation erläutert. Zunächst wird die Tragweite der Oberaufsicht der GPK über die Gerichte (Ziff. 1.3.1) diskutiert, anschliessend werden die Grenzen des Evaluationsgegenstands aufgezeigt (Ziff. 1.3.2).

1.3.1

Tragweite der Oberaufsicht über die Gerichte

Die Oberaufsicht der GPK erstreckt sich auch auf die eidgenössischen Gerichte. Diese sind in Artikel 169 Absatz 1 der Bundesverfassung7 ausdrücklich erwähnt. Auf den ersten Blick scheint sich daraus jedoch ein Konflikt mit anderen für den Bund und die Justiz geltenden Grundsätzen wie der Gewaltentrennung, der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter (Art. 30 Abs. 1 und Art. 191c BV) und der Selbstverwaltung der Gerichte zu ergeben.8 Entsprechende Befürchtungen hat das BGer geäussert, als die Evaluation angekündigt wurde.

7

8

Art. 169 Abs. 1 BV: «Die Bundesversammlung übt die Oberaufsicht aus über den Bundesrat und die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und die anderen Träger von Aufgaben des Bundes».

Lienhard, Andreas (2018): Oberaufsicht über die Gerichte ­ Eigenheiten, Verbindungslinien und Abgrenzungen. In: Justice ­ Justiz ­ Giustizia 2018/1.

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In der Frage, wie weit die Oberaufsicht über die Gerichte reicht, gibt es drei Lager, 9 die von einer strikten Auslegung (auf formelle Regelmässigkeit begrenzt) bis zu einer weiteren Auslegung (in bestimmten Fällen auf materielle Entscheide anwendbar) gehen. Die GPK nehmen wie die Mehrheit der Autorinnen und Autoren, die sich mit diesem Thema befasst haben, die Mittelposition ein, wonach im Zentrum der Oberaufsicht die Kontrolle der administrativen Geschäftsführung steht, die Oberaufsichtsorgane aber auch Kenntnis des Inhalts von Gerichtsverfahren erhalten können, wenn es darum geht, die Folgen und die Effizienz der gesetzgeberischen Tätigkeit zu überprüfen.10 So sind die GPK der Auffassung, dass «sich die Oberaufsicht über die Justiz nicht wesentlich von jener über den Bundesrat und die Bundesverwaltung unterscheidet».11 Natürlich bestehen für die parlamentarische Oberaufsicht gewisse Grenzen: Weder ist es möglich, einem Gericht Weisungen zu erteilen, wie es in einem bestimmten Fall entscheiden soll, noch können Gerichtsentscheide geändert oder aufgehoben12 oder Richterinnen und Richter aufgrund eines Urteilsspruchs diszipliniert oder abgesetzt werden13. Ähnliche Beschränkungen gelten aber auch gegenüber anderen Akteuren. Das Subsidiaritätsprinzip z. B. verlangt, dass die Oberaufsicht des Parlaments über die Gerichte komplementär zur Aufsicht des BGer über die unterinstanzlichen Gerichte ist.14

1.3.2

Grenzen des Evaluationsgegenstands

Die vorliegende, von den GPK in Auftrag gegebene Evaluation folgt der oben beschriebenen Auslegung der Oberaufsicht über die Gerichte.15 Die PVK hat den Gerichten in verschiedener Hinsicht die Beachtung des institutionellen Rahmens zugesichert (z. B. Anonymisierung der Angaben zu Richterinnen und Richtern in den übermittelten Dokumenten). Nach einem längeren Schriftverkehr zwischen der PVK und den GPK auf der einen Seite sowie namentlich dem BGer und dem BVGer auf der anderen Seite erhielt die PVK schliesslich Zugang zu den Dokumenten und Personen, die für die Durchführung dieser Evaluation notwendig waren.

Ausserdem verzichteten die zuständigen Subkommissionen darauf, die Spruchkörperbildung in konkreten Fällen durch die PVK analysieren zu lassen. Die Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung wurde dementsprechend nur indirekt ­ mittels Interviews und anhand der Unterlagen zu diesen Verfahren ­ untersucht.

9

10 11 12 13 14 15

Zur Tragweite der parlamentarischen Oberaufsicht über die Gerichte ­ Positionen in der Rechtslehre, Bericht der Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle vom 11. März 2002 zuhanden der Mitglieder der Subkommission EJPD/Gerichte der um einige Nationalratsmitglieder erweiterten Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (BBl 2002 7690).

Kiener 2001 Parlamentarische Oberaufsicht über die eidgenössischen Gerichte, Bericht der GPK-S vom 28. Juni 2002 (BBl 2002 7625 7632).

Dies ist auch in Artikel 26 Absatz 4 Satz 2 des Bundesgesetzes vom 13. Dez. 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG, SR 171.10) verankert.

Sekretariat der Geschäftsprüfungskommissionen (2019), Merkblatt der Geschäftsprüfungskommission der eidgenössischen Räte.

Lienhard 2018: 9 Siehe auch Oberaufsichtsrechtliche Feststellung der Geschäftsprüfungskommissionen vom 24. Juni 2020, Ziff. 16.

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Die Effizienz der Richterinnen und Richter sowie allfällige materielle Auswirkungen der Zusammensetzung des Spruchkörpers auf die Urteile der Gerichte waren ebenfalls nicht Gegenstand dieser Evaluation.

1.4

Aufbau des Berichts

Bevor die Evaluationsfragestellungen beantwortet werden, beschreibt das folgende Kapitel 2 kurz die vier eidgenössischen Gerichte sowie anschliessend die Rechtsgrundlagen und die verschiedenen Elemente der Geschäftsverteilung. Kapitel 3 befasst sich mit der Frage, ob die Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten dem übergeordneten Rechtsrahmen entspricht. Kapitel 4 behandelt die Zweckmässigkeit der Verfahren der Geschäftsverteilung und Kapitel 5 die dabei von den Gerichten eingesetzten Instrumente. Gegenstand von Kapitel 6 ist die Umsetzung der Verfahren, so wie sie in den analysierten Dokumenten und von den interviewten Personen beschrieben wird. Die Schlussfolgerungen finden sich in Kapitel 7.

2

Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten

In diesem Kapitel werden zunächst die vier eidgenössischen Gerichte und ihre Aufgaben präsentiert. Danach werden die Rechtsgrundlagen, die Verfahren, die Instrumente und die Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung thematisiert.

2.1

Die vier eidgenössischen Gerichte

2.1.1

Bundesgericht (BGer)

Das BGer ist die oberste rechtsprechende Behörde des Bundes (Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht [BGG])16). Seine Hauptaufgabe besteht darin, als letztinstanzliches Organ die einheitliche Anwendung des Bundesrechts zu überwachen. Je nach den zulässigen Rechtsmitteln kann es sich dabei um Entscheide der eidgenössischen, aber auch der kantonalen Gerichte handeln. Das BGer ist für alle Rechtsgebiete zuständig. Zudem übt es die Aufsicht über die Geschäftsführung der anderen eidgenössischen Gerichte aus (Art. 1 Abs. 2 BGG). Es setzt sich aus sieben Abteilungen zusammen ­ zwei zivilrechtlichen, zwei öffentlich-rechtlichen, einer strafrechtlichen und zwei sozialrechtlichen ­, deren Kompetenzen in den Artikeln 29 bis 35 des Reglements für das Bundesgericht (BGerR) 17 präzisiert sind. Jeder Abteilung gehören fünf bis sechs Richterinnen und Richter an. Im Jahr 2019 erledigte das BGer 7937 Geschäfte.18

16 17 18

Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110).

Reglement vom 20. Nov. 2006 für das Bundesgericht (BGerR; SR 173.110.131).

Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, Vergleichstabelle.

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2.1.2

Bundesverwaltungsgericht (BVGer)

Das BVGer ist das allgemeine Verwaltungsgericht des Bundes (Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesverwaltungsgericht [VGG] 19). Seine Hauptaufgabe besteht darin, über die Rechtmässigkeit der Entscheide der Bundesverwaltung zu befinden (Art. 31 VGG). Es ist nach Rechtsgebieten ­ z. B. Umweltrecht, Kartellrecht, Arbeitsrecht oder Asylrecht ­ in sechs Abteilungen aufgegliedert (Art. 23 und 24 des Geschäftsreglements für das Bundesverwaltungsgericht [VGR]20, Anhang des VGR).

Derzeit gehören jeder Abteilung neun bis fünfzehn Richterinnen und Richter an. Einige Abteilungen sind in Kammern unterteilt, deren Aufgaben in den jeweiligen Abteilungsreglementen festgelegt sind. Im Jahr 2019 erledigte das BVGer 7157 Geschäfte.21

2.1.3

Bundesstrafgericht (BStGer)

Das BStGer beurteilt bestimmte Strafsachen in erster Instanz oder kann in anderen Bereichen mit Beschwerden befasst werden. Zu diesem Zweck ist es in drei Abteilungen gegliedert, auf Deutsch «Kammern» genannt, deren Aufgaben sich erheblich unterscheiden: Die Strafkammer, die aus elf Richterinnen und Richtern22 besteht, beurteilt in erster Instanz die Geschäfte, die ausdrücklich der Gerichtsbarkeit des Bundes unterstehen, wie z. B. die organisierte Kriminalität (Art. 35 des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes [StBOG]23, Art. 23 und 24 der Strafprozessordnung [StPO]24). Die Beschwerdekammer, der sechs Richterinnen und Richter angehören, entscheidet namentlich über Rekurse gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Polizei und der Bundesanwaltschaft (BA) sowie über Rekurse gegen Entscheide der Zwangsmassnahmengerichte. Darüber hinaus ist sie die Rekursbehörde im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (Art. 37 StBOG). Die Berufungskammer, die ihre Tätigkeit am 1. Januar 2019 aufgenommen hat, setzt sich aus drei ordentlichen Richterinnen und Richtern zusammen, die derzeit von zehn nebenamtlichen Richterinnen und Richtern unterstützt werden. Sie ist die zweitinstanzliche Bundesbehörde in Strafsachen und entscheidet über Berufungen gegen Urteile der Strafkammer (Art. 38a StBOG). Im Jahr 2019 erledigte das BStGer 809 Geschäfte.25

19 20 21 22 23 24 25

Bundesgesetz vom 15. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (VGG; SR 173.32).

Geschäftsreglement vom 17. April 2008 für das Bundesverwaltungsgericht (VGR; SR 173.320.1).

Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, Vergleichstabelle.

Einer dieser Richter macht seit dem 1. Aug. 2018 ein Sabbatical.

Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz [StBOG]; SR 173.71).

Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007 (Strafprozessordnung [StPO]; SR 312.0).

Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, Vergleichstabelle.

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2.1.4

Bundespatentgericht (BPatGer)

Das BPatGer entscheidet als erstinstanzliches Gericht des Bundes über zivilrechtliche Streitigkeiten in Patentsachen, d. h. über Bestandes- und Verletzungsklagen und andere Zivilklagen, die in Sachzusammenhang mit Patenten stehen, insbesondere betreffend die Berechtigung an Patenten und deren Übertragung (Art. 1 Abs. 1 und Art. 26 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Bundespatentgericht [PatGG] 26). Das BPatGer weist die Besonderheit auf, dass es sich nur aus zwei ordentlichen Richterinnen und Richtern zusammensetzt, die von 41 nebenamtlichen Richterinnen und Richtern mit juristischer oder technischer Ausbildung unterstützt werden, wobei letztere auf unterschiedliche Bereiche wie Chemie oder Maschinenbau spezialisiert sind. Da die parallelen beruflichen Tätigkeiten der nebenamtlichen Richterinnen und Richter häufig mit den Geschäften des BPatGer in Verbindung stehen, führt dies zu zahlreichen Gründen für einen Ausstand, was bei der Spruchkörperbildung zu berücksichtigen ist.

Im Jahr 2019 erledigte das Gericht 40 Geschäfte.27

2.2

Die Geschäftsverteilung

Die Bezeichnung «Geschäftsverteilung bei den Gerichten» umfasst zwei sich ergänzende Elemente:28 einerseits die Zuteilung der Geschäfte an eine der Abteilungen der Gerichte und andererseits die Bildung des Spruchkörpers, d. h. die Auswahl der Richter und Richterinnen, die sich zum jeweiligen Fall äussern müssen. Die Evaluation der PVK konzentriert sich auf das zweite Element der Geschäftsverteilung. Sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, bezieht sich der Begriff «Geschäftsverteilung» in diesem Bericht deshalb ausschliesslich auf die Bildung des Spruchkörpers. Das Analyseschema für die Geschäftsverteilung ist in Abbildung 1 dargestellt. Die einzelnen Elemente werden in diesem Kapitel kurz beschrieben und in den folgenden n, in denen die Ergebnisse präsentiert werden, ausgeführt.

Abbildung 1 Geschäftsverteilung Rechtsrahmen ·Übergeordneter Rechtsrahmen (Verfassung, internationale Verträge) ·Rechtsgrundlagen der Gerichte

Verfahren der Geschäftsverteilung ·Zuständigkeiten ·Dokumentation und Kontrolle

Instrumente zur Geschäftsverteilung ·Definition der Instrumente ·Nutzung der Instrumente

Umsetzung der Geschäftsverteilung ·Priorisierung der Kriterien ·Konkretisierung der Kriterien

Legende: Die Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung wird nur indirekt behandelt, ohne die Spruchkörperbildung in konkreten Fällen zu untersuchen.

26 27 28

Bundesgesetz vom 20. März 2009 über das Bundespatentgericht (PatGG; SR 173.41).

Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, Vergleichstabelle.

Müller, Andreas (2016): Rechtlicher Rahmen für die Geschäftslastbewirtschaftung in der schweizerischen Justiz, Stand ­ Vergleich ­ Folgerungen. Bern: Stämpfli Verlag AG.

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2.2.1

Rechtsrahmen

Das schweizerische Justizsystem beruht auf mehreren Verfahrensgarantien, die für die Rechtsprechung unerlässlich sind und die Qualität sowie die Rechtmässigkeit der Behördenentscheide gewährleisten.29 Dazu gehört namentlich der garantierte Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV), womit Ad-hoc- oder Ad-Personam-Gerichte bzw.

jegliche willkürlich bestellten Gerichte verboten sind.30 Diese Garantien sind auch in Artikel 6 der 1974 von der Schweiz ratifizierten Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)31 oder in Artikel 14 des 1992 ratifizierten Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR, Pakt II)32 verankert. Gegen eine Verletzung der EMRK kann die betroffene Person Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einreichen, dessen Urteile dann verbindlich sind. Für den IPBPR gibt es in der Schweiz hingegen keinen vergleichbaren Mechanismus. 33 Die Bedeutung dieser Garantien für die Geschäftsverteilung wurden von mehreren internationalen Organen thematisiert und es wurden zahlreiche Empfehlungen und gute Praktiken dazu veröffentlicht. Obwohl sie für die Schweiz nicht verbindlich sind, zeigen sie doch, welche Ansprüche international an die Verfahren der Geschäftsverteilung gestellt werden, und dienen als Richtlinien für die Auslegung der zwingenden Bestimmungen des Schweizer Rechts und des Völkerrechts.34 Zu nennen sind insbesondere die Empfehlungen folgender Organe:35 das Ministerkomitees des Europarates; der Beirat europäischer Richterinnen und Richter (Conseil consultatif de juges européens [CCJE]), ein Konsultativorgan des Europarates zu Fragen der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Kompetenz der Richterinnen und Richter; die Kommission von Venedig, ein weiteres Konsultativorgan des Europarates zu Verfassungsfragen; das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), das zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) gehört, und das Europäische Netz der Räte für das Justizwesen (European Network of Councils for the Judiciary, [ENCJ]). Gemäss den Empfehlungen dieser internationalen Organe muss die Geschäftsverteilung auf generell-abstrakten Regeln und auf objektiven, transparenten

29

30

31 32 33

34 35

Mahon, Pascal (2003): Art. 29­32. In: Aubert, Jean-François / Mahon, Pascal: Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999. Zürich: Schulthess, 262­298.

Kiener, Regina / Henseler, David (2019): Anforderungen des Europarats und der OSZE an die Spruchkörperbildung in Gerichten. In: Tanquerel, Thierry / Hottelier, Michel / Hertig, Maya / Flückiger, Alexandre (Hrsg.): Études en l'honneur du Professeur Thierry Tanquerel: entre droit constitutionnel et droit administratif : questions autour du droit de l'action publique. Genf: Schulthess éditions romandes, 193­200, hier 193.

Konvention vom 4. Nov. 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]; SR 0.101).

Internationaler Pakt vom 16. Dez. 1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR, Pakt II; SR 0.103.2).

Die Schweiz hat das entsprechende Verfahren der Individualbeschwerde, wie es das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (SR 0.103.22) vorsieht, nicht angenommen.

Lienhard, Andreas / Kettiger, Daniel (2013): Die Selbstverwaltung der Gerichte.

In: Justice ­ Justiz ­ Giustizia 2013/3, 8­9.

Die Empfehlungen der in diesem Abschnitt genannten Organe sind in der Bibliografie aufgeführt.

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und vorgängig festgelegten Kriterien beruhen, um jeden Verdacht einer das Urteil beeinflussenden Manipulation der Spruchkörperbildung ausschliessen zu können.36 In den Rechtsgrundlagen der einzelnen eidgenössischen Gerichte heisst es lediglich, dass die Verteilung der hängigen Geschäfte auf die Abteilungen und die Bildung der Spruchkörper durch Reglement geregelt wird (Art. 22 BGG, Art. 24 VGG, Art. 58 StBOG). Was das BPatGer betrifft, so legt die gesetzliche Bestimmung zur Spruchkörperbildung (Art. 21 PatGG) bereits bestimmte Grundsätze fest, namentlich in Bezug auf die Ausbildung (technisch oder juristisch) der Richterinnen und Richter des Spruchkörpers. Ansonsten finden sich die einschlägigen Bestimmungen grösstenteils in den Reglementen der einzelnen Gerichte, welche die Zuständigkeiten bei der Geschäftsverteilung sowie deren Kriterien präzisieren (Art. 40 BGerR, Art. 26 und 31 VGR, Art. 15 des Organisationsreglements für das Bundesstrafgericht [BStGerOR]37, Art. 7 des Geschäftsreglements für das Bundespatentgericht [GR-PatGer]38). Die einzelnen Abteilungen des BVGer haben eigene Reglemente erlassen, die auch Bestimmungen zur Geschäftsverteilung enthalten.39

2.2.2

Verfahren der Geschäftsverteilung

Die Geschäftsverteilung im weiteren Sinne beginnt damit, dass die bei einem Gericht hängigen Geschäfte einer der Abteilungen des Gerichts (am BStGer «Kammern» genannt) zugeteilt werden, je nach betroffenem Rechtsgebiet oder nach der Art des Geschäfts (insbesondere am BStGer). Die Zuständigkeiten der einzelnen Abteilungen sind in den Rechtsgrundlagen der Gerichte geregelt. In gewissen Fällen haben zwei Abteilungen denselben Zuständigkeitsbereich, wie beispielsweise die Abteilungen IV und V des BVGer den Asylbereich oder die zwei sozialrechtlichen Abteilungen des BGer den Bereich der Invalidenversicherung. Die jeweiligen Geschäfte werden dann nach dem Zufallsprinzip in der Reihenfolge ihres Eingangs der einen oder der anderen Abteilung zugeteilt. Bei den Abteilungen des BVGer, die aus mehreren Kammern bestehen, ist die Verteilung der Geschäfte auf die Kammern in den Abteilungsreglementen geregelt. Da das BPatGer keine Abteilungen besitzt, entfällt dort diese erste Etappe der Geschäftsverteilung.

36

37 38 39

Siehe auch Poltier, Etienne (2011): L'organisation et le fonctionnement interne de l'ordre judiciaire et des tribunaux. In: Aktuelle Juristische Praxis / Pratique Juridique Actuelle 2011/8, 1018­1036; Fonjallaz, Jean (2011): Garantie pour le justiciable d'un tribunal indépendant et impartial et contrôle de l'activité des tribunaux par la haute surveillance exercée par le pouvoir législatif, une coexistence difficile. In: Aktuelle Juristische Praxis / Pratique Juridique Actuelle 2011/1, 49­58; Müller 2016; Kneubühler, Lorenz (2018): Art. 22 BGG. In: Niggli, Marcel Alexander / Uebersax, Peter / Wiprächtiger, Hans / Kneubühler, Lorenz (Hrsg.): Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag; Kettiger, Daniel (2018): Die aktuelle Bundesgerichtspraxis zur Spruchkörperbildung, eine Urteilsbesprechung. In: Justice ­ Justiz ­ Giustizia 2018/4.

Organisationsreglement vom 31.8.2010 für das Bundesstrafgericht (Organisationsreglement BStGer [BStGerOR]; SR 173.713.161).

Geschäftsreglement vom 28. Sept. 2011 für das Bundespatentgericht (GR-PatGer; SR 173.413.1).

Art. 16 des Abteilungsreglements I vom 5. März 2019, Art. 3 des Abteilungsreglements II vom 13. Febr. 2014, Art. 10 des Abteilungsreglements III vom 25. Jan. 2014, Art. 8 des Abteilungsreglement IV vom 14. Juni 2016.

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Danach kommt die Geschäftsverteilung im engeren Sinne, auf die sich diese Evaluation konzentriert, d. h. die Bildung des Spruchkörpers. Der Spruchkörper wird von der Präsidentin bzw. vom Präsidenten der betroffenen Einheit gebildet: am BGer und am BStGer von der Präsidentin bzw. vom Präsidenten der zuständigen Abteilung bzw.

«Kammer» (Art. 40 Abs. 1 BGerR bzw. Art. 15 Abs. 1 BStGerOR), am BVGer von der Präsidentin bzw. vom Präsidenten der Abteilung oder ­ wenn die Abteilung in zwei Kammern unterteilt ist ­ der Kammer (Art. 25 Abs. 5 VGR), und am BPatGer von der Gerichtspräsidentin bzw. vom Gerichtspräsidenten (Art. 7 Abs. 1 GRPatGer).

Die Zahl der Richterinnen und Richter, die einen Fall beurteilen, ist unterschiedlich.

Der Spruchkörper kann aus einer bis zu fünf Personen bestehen (bzw. bis zu sieben am BPatGer40); dies hängt von der Rechtsfrage ab, die sich stellt. Am BGer beispielsweise entscheiden die Abteilungen in der Regel in einer Besetzung mit drei Richterinnen oder Richtern (Art. 20 Abs. 1 BGG); über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder auf Antrag einer Richterin oder eines Richters entscheiden sie in Fünferbesetzung (Art. 20 Abs. 2 BGG). Ein Spruchkörper mit drei Richterinnen oder Richtern besteht aus einer Referentin bzw. einem Referenten, die bzw. der für das Verfassen des Urteilsentwurfs zuständig ist, und aus zwei Richterinnen oder Richtern, die am Verfahren teilnehmen. Ein Geschäft kann auch nur von einer Einzelrichterin bzw. einem Einzelrichter behandelt werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unzulässig, offensichtlich unbegründet oder offensichtlich missbräuchlich ist. In Tabelle 2 ist aufgeführt, aus wie vielen Richterinnen und Richtern die Spruchkörper bei den im Jahr 2019 erledigten Geschäften jeweils bestanden.

40

Ein siebenköpfiger Spruchkörper ist möglich, kam bisher aber noch nie vor.

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Tabelle 2 Art der Erledigung der Geschäfte 2019

Einzelrichter/in 2 Richter/innen1 3 Richter/innen 5 Richter/innen 7 Richter/innen Insgesamt erledigte Geschäfte

BGer

BVGer

2733 (34,4 %) ­2 4659 (58,7%) 545 (6,9 %) ­2

2205 (30,8 %) 1646 (23,0 %) 3287 (45,9 %) 19 (0,3%) ­2

7937 (100,0 %)

7157 (100,0 %)

BStGer

BPatGer

61 (7,5 %) ­2

22 (55,0 %) ­2

748 (92,5 %) ­2

14 (35,0 %) 4 (10,0 %) 0 (0,0 %) 40 (100,0 %)

­2 809 (100,0 %)

1

In den für Asylrecht zuständigen Abteilungen IV und V des BVGer entscheidet gemäss Artikel 111 Buchstabe e des Asylgesetzes 41 eine Einzelrichterin bzw. ein Einzelrichter mit Zustimmung einer zweiten Richterin bzw. eines zweiten Richters über offensichtlich begründete oder unbegründete Beschwerden. Obwohl im Geschäftsbericht des BVGer als Entscheide einer Einzelrichterin bzw. eines Einzelrichters aufgeführt, sind somit faktisch zwei Richterinnen oder Richter beteiligt.

2 Diese Besetzung ist in den Rechtsgrundlagen des betreffenden Gerichts nicht vorgesehen.

Quelle: Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte

2.2.3

Instrumente zur Geschäftsverteilung

Die einzelnen Gerichte haben Instrumente eingeführt, die den zuständigen Personen die Zuteilung der Geschäfte an die Richterinnen und Richter ermöglichen sollen. Es gibt zwei Arten von Instrumenten. Sowohl das BGer als auch das BVGer verwenden Informatikprogramme, mit denen der Spruchkörper automatisch oder halbautomatisch bestimmt wird. Das BVGer verwendet seit Aufnahme seiner Tätigkeit im Jahr 2007 das Informatikprogramm «Bandlimat», welches alle Mitglieder des Spruchkörpers nach dem Zufallsprinzip bestimmt. Am BGer wird die erste Richterin bzw. der erste Richter (Referentin bzw. Referent) immer von der Präsidentin bzw. dem Präsidenten der Abteilung bestimmt, die bzw. der selbst dem Spruchkörper in aller Regel ebenfalls angehört. Der dritte Richter bzw. die dritte Richterin sowie allenfalls die vierten und fünften Richter oder Richterinnen werden durch ein Informatikprogramm («CompCour») bestimmt, das ab 2012 schrittweise in den einzelnen Abteilungen eingeführt wurde. Das BStGer und das BPatGer setzen kein Informatikprogramm im engeren Sinne ein, sondern verwenden Excel-Listen, die es ihnen ermöglichen sollen, die für die Geschäftsverteilung festgelegten Kriterien zu berücksichtigen.

41

Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31).

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2.2.4

Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung

Die Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung bezeichnet jene Etappe, in der in den einzelnen Geschäften entschieden wird, welche Richterinnen und Richter dafür zuständig sind. Wie bereits in Ziffer 1.3.2 erwähnt, hat die PVK diese Etappe nur indirekt anhand von Unterlagen und Interviews mit Personen, die für diese Verteilung zuständig sind, evaluiert. Die tatsächliche Spruchkörperbildung in konkreten Fällen hingegen war nicht Gegenstand dieser Evaluation.

Bei der Umsetzung muss die Person, welche für die Geschäftsverteilung zuständig ist, mehrere Kriterien für die Spruchkörperbildung berücksichtigen und gewichten. Zu den in den Gerichtsreglementen genannten Kriterien gehören beispielsweise die Verfahrenssprache, die Arbeitslast der Richterinnen und Richter, deren spezifische Kenntnisse, die Mitwirkung der Richterinnen und Richter an früheren Entscheiden im gleichen Sachgebiet, der Bezug zu anderen Fällen oder die Abwesenheiten der Richterinnen und Richter (Art. 40 Abs. 2 BGerR, Art. 31 Abs. 3 und Art. 32 VGR, Art. 15 Abs. 2 BStGerOR, Art. 7 GR-PatGer).

3

Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Rechtsrahmen

Aus den verfassungsmässigen und völkerrechtlichen Garantien bezüglich der Unabhängigkeit der Gerichte und dem Recht, dass die Geschäfte von einem durch Gesetz geschaffenen Gericht beurteilt werden müssen, ergeben sich auch Anforderungen an die Geschäftsverteilung. Die verschiedenen Empfehlungen der in Ziffer 2.2.1 genannten Organisationen dienten der PVK als Bewertungsgrundlage für die Vereinbarkeit der Rechtsgrundlagen der Gerichte mit dem übergeordneten Rechtsrahmen.42 Zur Qualitätssicherung liess die PVK ihre Analyse im Rahmen eines juristischen Begleitmandats von einem Rechtsexperten gegenlesen. Die Evaluationskriterien, darunter etwa die normative Qualität der Rechtsgrundlagen oder die Objektivität der Kriterien für die Geschäftsverteilung, sind in Anhang 2 aufgelistet. Nach Ansicht der PVK erfüllen die Bestimmungen zur Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten die meisten Anforderungen des übergeordneten Rechtsrahmens (Ziff. 3.1). Näher eingegangen wird auf einige Aspekte, die nicht gänzlich den internationalen Empfehlungen entsprechen, wie z. B. die Unvollständigkeit der Rechtsgrundlagen (Ziff. 3.2) und die Vorgaben zur Änderung der Zusammensetzung des Spruchkörper (Ziff. 3.3).

42

Die betreffenden Rechtstexte sind in der Bibliographie am Ende des Dokuments aufgelistet.

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3.1

Die Rechtsgrundlagen der Gerichte entsprechen insgesamt dem übergeordneten Rechtsrahmen

Die Unabhängigkeit der Gerichte und das Recht, von einem durch Gesetz geschaffenen Gericht gehört zu werden, gehen Hand in Hand.43 Wie Tabelle 3 zeigt, kann sich jedes der vier eidgenössischen Gerichte auf Rechtsgrundlagen (Gesetze und Reglementen) für die Geschäftsverteilung stützen. Dies ist die Grundvoraussetzung für die Erfüllung der Garantie gesetzlich geschaffener Gerichte. Wäre die Bildung der Spruchkörper nicht in generell-abstrakter Weise geregelt, würde dies Artikel 6 der EMRK verletzen.44 Dies anerkannte der Bundesrat bereits bei der Justizreform, als er in seiner Botschaft schrieb, dass «das Recht, von einem durch Gesetz geschaffenen Gericht gehört zu werden (Art. 30 Abs. 1 BV), auch verlangt, dass in generell-abstrakter Weise in einer Vorschrift festgehalten sein muss, nach welchen Kriterien die Verteilung der Geschäfte stattfindet. In diesem Sinn bringt [...] Artikel 20 [BGG] zum Ausdruck, dass das Reglement sich auch zur Bildung der Spruchkörper und zum Einsatz der Ersatzrichter zu äussern hat.»45 Tabelle 3 Bestimmungen zur Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten Gericht

Gesetz

Reglement

BGer

Art. 22 BGG

Art. 40 BGerR

BVGer

Art. 24 VGG

Art. 26, 31, 32 VGR

BStGer

Art. 58 StBOG

Art. 15 BStGerOR

BPatGer

Art. 21 PatGG

Art. 7 GR-PatGer

Diese Bestimmungen nennen nicht nur die Zuständigkeiten für die Bildung der Spruchkörper (z. B. Art. 40 Abs. 1 BGerR: «Der Spruchkörper wird vom Präsidenten oder der Präsidentin der zuständigen Abteilung gebildet»), sondern auch die Kriterien, die bei der Bildung zu berücksichtigen sind. Um die gerichtliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, müssen diese Kriterien objektiv sein. Die internationalen Empfehlungen sind nicht sehr spezifisch, was die möglichen Kriterien angeht, infrage kommen aber beispielsweise die Arbeitslast, die Verfügbarkeit der Richterinnen und Richter, deren spezifische Kenntnisse oder die Komplexität der Angelegenheit.46 Gemäss der Rechtsprechung des BGer ist ein Kriterium objektiv, wenn es einer korrekten und zeitgerechten Fallerledigung dient.47 Die in den Rechtsgrundlagen der Gerichte aufgeführten Kriterien entsprechen den Beispielen, die in den internationalen Empfehlungen genannt werden. Sie beziehen sich auf Effizienz- und Qualitätsanforderungen.

43 44 45 46 47

Bandli, Christoph (2007): Zur Spruchkörperbildung an Gerichten: Vorausbestimmung als Fairnessgarantin. In: Justice ­ Justiz ­ Giustizia, 2007/2.

Kiener / Henseler 2019: 196 Botschaft des Bundesrates vom 28. Febr. 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (01.023), BBl 2001 4202 4286.

Venedig-Kommission 2010: Ziff. 80; ENCJ 2014.

BGE 144 I 37.

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Die Art und Weise, wie diese Kriterien anschliessend von den für die Geschäftsverteilung verantwortlichen Personen berücksichtigt werden, wird in Ziffer 6.1 thematisiert.

3.2

Die gesetzlichen Grundlagen und Reglemente sind nicht vollständig

Die Verfahren für die Geschäftsverteilung finden in den Rechtsgrundlagen und den Reglementen der Gerichte zwar Erwähnung, werden aber nicht ausführlich beschreiben. Laut den internationalen Empfehlungen sollen die Bestimmungen so explizit wie möglich sein.48 Nicht alle von den Gerichten berücksichtigten Kriterien sind jedoch in den jeweiligen Rechtsgrundlagen aufgeführt oder werden von allen Gerichten gleich angewendet. So ist die Abwesenheit von Richterinnen und Richtern in Artikel 31 Absatz 3 VGR nicht erwähnt, obwohl das BVGer dieses Kriterium anwendet. 49 Das Gleiche gilt für das Kriterium Sprache beim BPatGer. Ein anderes Beispiel ist das Kriterium Geschlecht, das in den Bestimmungen des BStGer nicht erwähnt ist, aber in bestimmten Fällen auf der Grundlage anderer Rechtsbestimmungen50 berücksichtigt wird. Zu den Ausstandsgründen gibt es in der Regel spezifische Bestimmungen (z. B. Art. 34 BGG, Art. 3 und 4 der Richtlinien zur Unabhängigkeit des BPatGer), sie werden aber in den Reglementen der Gerichte nicht als Kriterien für die Spruchkörperbildung genannt.51 Der Zeitpunkt der Spruchkörperbildung ist ebenfalls ein Aspekt des Verfahrens für die Geschäftsverteilung, auf den in den Rechtsgrundlagen der Gerichte nicht immer eingegangen wird. Gemäss den internationalen Empfehlungen ist es wichtig, dass dieser Aspekt an einem Gericht transparent geregelt ist.52 Beim BVGer ist dies der Fall, da dessen Reglement vorsieht, dass die Mitglieder des gesamten Spruchkörpers bezeichnet werden, wenn feststeht, dass das Geschäft nicht in die Kompetenz eines Einzelrichters oder einer Einzelrichterin fällt (Art. 32 Abs. 1 VGR). Das Gleiche gilt für das BPatGer, dessen Reglement bestimmt, dass der Spruchkörper nach dem zweiten Schriftenwechsel ergänzt wird (Art. 7 Abs. 3 GR-PatGer). Das BGer hat eine Bestimmung aus seinem Reglement gestrichen, gemäss welcher der Präsident oder die Präsidentin gleichzeitig mit dem Referenten bzw. der Referentin die weiteren mitwirkenden Richter und Richterinnen bestimmt, wodurch die Präsidentin oder der Präsident nun frei entscheiden kann, wann sie bzw. er den zuständigen Spruchkörper bestimmt.53 Im Reglement des BStGer findet dieser Aspekt überhaupt keine Erwähnung.

48 49 50 51 52 53

Kiener/Henseler 2019: 194 Das interne Reglement einer der BVGer-Abteilungen nennt dieses Kriterium.

Namentlich Art. 153 Abs. 1 oder Art. 335 Abs. 4 StPO (SR 312.0).

Die internen Reglemente von zwei BVGer-Abteilungen nennen ausdrücklich Ausstandsgründe als Kriterium für die Geschäftsverteilung.

Brunner, Arthur (erscheint in Kürze): Verfassungsrechtliche Vorgaben an die Besetzung gerichtlicher Spruchkörper. Fassung des Autors vom 29. Sept. 2020.

In der Praxis erfolgt die Spruchkörperbildung in zwei Etappen: Zunächst wird der Referent bzw. die Referentin bestimmt. Sobald dann der Berichtsentwurf vorliegt, werden die restlichen Richterinnen und Richter des Spruchkörpers von einem Informatikprogramm bezeichnet (siehe Kap. 5.1.2).

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Im Weiteren ist in den Rechtsgrundlagen nicht ausdrücklich geregelt, wie die Zusammensetzung des Spruchkörpers den Verfahrensbeteiligten kommuniziert wird. Gemäss den internationalen Empfehlungen sollten die Verfahrensbeteiligten rechtzeitig vor Verfahrensbeginn über die Zusammensetzung informiert werden, insbesondere um ihnen die Möglichkeit zu geben, die Zuteilung des Geschäfts an eine bestimmte Richterin oder einen bestimmten Richter anzufechten.54 Die Rechtsprechung des BGer unterstreicht jedoch, dass dies nicht bedeutet, dass die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich über die Zusammensetzung des Spruchkörpers informiert werden müssen, sondern dass es ausreicht, wenn die Liste der infrage kommenden Richterinnen und Richter einsehbar ist, z. B. im Internet.55 Die Abteilungen des BGer und des BVGer folgen dieser Auslegung und kommunizieren die Zusammensetzung nicht aktiv.56 Das BPatGer hingegen teilt die Zusammensetzung des Spruchkörpers systematisch den Parteien mit, obwohl dieser Punkt in seinen Rechtsgrundlagen nicht geregelt ist. Entsprechende Bestimmungen fehlen auch in den Rechtsgrundlagen des BStGer.

Gemäss den befragten Personen teilen die Strafkammer und die Berufungskammer die Zusammensetzung den Verfahrensbeteiligten systematisch mit, nicht jedoch die Beschwerdekammer.

3.3

Zur Abänderung des Spruchkörpers fehlen klare Vorgaben

Gemäss den internationalen Empfehlungen hat die Abänderung des Spruchkörpers strengeren Kriterien zu folgen als dessen ursprüngliche Zusammensetzung, damit sichergestellt ist, dass keine Änderungen vorgenommen werden, um den Entscheid in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen.57 Dies bedeutet, dass es bei einer Neuzuteilung nicht ausreicht, lediglich die bei der ursprünglichen Zusammensetzung berücksichtigten Kriterien zu erfüllen, sondern dass die Änderung unvermeidbar sein oder sich aus objektiven Gründen aufdrängen muss. 58 In der Praxis kann es bei allen eidgenössischen Gerichten vorkommen, dass ein Geschäft zunächst einem Richter oder einer Richterin zugeteilt wird und diesem bzw. dieser dann wieder entzogen und die Person im Spruchkörper ersetzt wird. Dieser Punkt ist allerdings in den Rechtsgrundlagen der eidgenössischen Gerichte nicht geregelt. Dort steht weder, dass solche Änderungen die Ausnahme bleiben müssen, noch, dass dafür strengere Anforderungen gelten. Die internen Reglemente einiger Abteilungen des BVGer gehen hier weiter als die Rechtsgrundlagen für das gesamte Gericht, indem sie festhalten, dass Änderungen aus wichtigen Gründen möglich sind.59 Was allerdings «wichtige Gründe» sind, wird dem Ermessen der Richterinnen und Richter überlassen.

54 55 56 57 58 59

ENJC 2014: 10 (Empfehlung 11) Siehe Bundesgerichtsentscheid 1B_491/2018 vom 11. Jan. 2019, E. 2.2 Bis vor Kurzem kommunizierte eine der Abteilungen des BVGer die Zusammensetzung des Spruchkörpers direkt den Verfahrensbeteiligten, diese Praxis wurde aber eingestellt.

ENJC 2016, Kiener / Henseler 2019, Brunner (noch nicht erschienen).

Brunner (noch nicht erschienen).

Siehe z. rt. 16 Abs. 2 Abteilungsreglement I, Art. 10 Abs. 5 Abteilungsreglement III, Art. 8 Abs. 4 Abteilungsreglement VI.

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4

Zweckmässigkeit der Verfahren der Geschäftsverteilung

Die Analyse der Verfahren der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten erfolgte anhand von Kriterien wie Klarheit und Transparenz der Verfahren, von aussen wahrgenommene Unabhängigkeit des Spruchkörpers oder Überprüfungen der Verfahren (vollständige Liste in Anhang 2). Die PVK kommt zum Schluss, dass die Verfahren der Geschäftsverteilung grundsätzlich angemessen sind, es ihnen allerdings an Transparenz fehlt. So werden die Aufgaben im Rahmen dieser Verfahren nicht immer auf derselben Stufe wahrgenommen (Ziff. 4.1). Zudem sind die Verfahren nur schlecht dokumentiert (Ziff. 4.2). Auch die fehlende Überprüfung schadet der Verfahrenstransparenz (Ziff. 4.3).

4.1

Die Aufgaben werden teilweise delegiert

Die Bildung des Spruchkörpers ist ausdrücklich die Aufgabe des Präsidenten bzw.

der Präsidentin der Abteilung oder im Fall des BPatGer des Präsidenten bzw. der Präsidentin des Gerichts (Art. 40 Abs. 1 BGerR, Art. 25 Abs. 5 VGR, Art. 15 Abs. 1 BStGerOR, Art. 7 Abs. 1 GR-PatGer). Das BGer hat in seiner Rechtsprechung mehrfach betont, dass diese Aufgabe von Richterinnen und Richtern übernommen werden muss und nicht an Mitarbeitende der Kanzlei oder an Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber delegiert werden darf.60 Die Tragweite dieser Zuständigkeit wird von den befragten Abteilungspräsidenten und -präsidentinnen unterschiedlich ausgelegt.

Einige sind der Ansicht, dass diese Aufgabe allein dem Präsidium obliegt und führen alle Schritte der Geschäftsverteilung selbst aus: von der ersten Lesung des Falls und der Einschätzung des Arbeitsaufwands bis zur tatsächlichen Bezeichnung der Richterinnen und Richter mithilfe des jeweiligen Instruments (siehe Kap. 5). In anderen Abteilungen, namentlich beim BGer und beim BVGer, wird diese Aufgabe ganz oder teilweise an die Präsidialgerichtsschreiberin, den Präsidialgerichtsschreiber oder die Kanzlei delegiert.

Die Geschäftsverteilung zu delegieren ist unproblematisch, solange es lediglich um die Anwendung strikter Vorgaben ohne jeglichen Ermessensspielraum geht.61 Dies ist aber nicht bei allen Abteilungen der Fall. In einigen Abteilungen sind verschiedene Arbeitsschritte der Spruchkörperbildung an Ebenen unterhalb des Präsidiums delegiert. So ist beispielsweise in manchen Fällen die Präsidialgerichtsschreiberin oder der Präsidialgerichtsschreiber damit beauftragt, die Referentin oder den Referenten zu bezeichnen. Dabei ist es ihr bzw. ihm überlassen, die Arbeitslast der Richterinnen und Richter einzuschätzen. Anderenorts bestimmt die Kanzlei, ob Rechtssachen zusammenhängen oder spezifische Kenntnisse erfordern. Der endgültige Beschluss, d. h. die Zusammensetzung des Spruchkörpers, wird jedoch stets von der Präsidentin oder dem Präsidenten der Abteilung überwacht und bestätigt.

60 61

Kettiger 2018: 20 Kettiger 2018: 20

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4.2

Die Verfahren der Geschäftsverteilung sind kaum dokumentiert, was der Transparenz schadet

Die Geschäftsverteilung bei den Gerichten richtet sich hauptsächlich nach den entsprechenden Bestimmungen in den Gesetzen und Reglementen. Dort sind die Grundzüge des Verfahrens der Geschäftsverteilung skizziert, die Details bleiben aber den Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten überlassen oder im Fall des BPatGer der Gerichtspräsidentin bzw. dem Gerichtspräsidenten. Es gibt nur wenige Dokumente über diese Verfahren. Das BGer und das BVGer verwenden Informatikprogramme für die Geschäftsverteilung. Zu deren Funktionen wurden Handbücher verfasst (siehe Kap. 5.1), doch erläutern diese nicht das Verfahren im weiteren Sinne.

Aus den Gesprächen mit Akteuren ausserhalb der Gerichte ging hervor, dass nur wenige Informationen über die Verfahren der Geschäftsverteilung verfügbar sind. Auch wenn diese Personen mit den Abläufen eines eidgenössischen Gerichts oder mehrerer eidgenössischer Gerichte vertraut sind, sind ihre Kenntnisse über die Geschäftsverteilung doch sehr allgemeiner Natur. Die externen Akteure sind sich aber einig, dass dieses Thema eng verknüpft ist mit der Transparenz der Justizbehörden und dementsprechend mit dem Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichtsbarkeit.62 Auch viele der interviewten Personen aus den eidgenössischen Gerichten selbst sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte63 halten die Transparenz der Verfahren der Geschäftsverteilung für zentral. Derzeit ist diese jedoch nur teilweise vorhanden.

4.3

Die Geschäftsverteilung wird kaum überprüft

Das Ziel einer Überprüfung der Geschäftsverteilung ist sicherzustellen, dass die definierten Verfahren und Kriterien eingehalten werden und jeden Anschein von Parteilichkeit zu vermeiden.64 Nur am BGer wird jedoch zuhanden des Gesamtgerichts ein jährlicher Bericht über die Einhaltung der Kriterien zur Spruchkörperbildung erstellt (Art. 42 BGerR). Dieser Kurzbericht, der auch den GPK zugestellt wird, konzentriert sich auf die Gründe für Abänderungen in der Zusammensetzung des Spruchkörpers, wobei die Daten offensichtlich nicht vollständig sind, da die angegebene Gesamtzahl nicht der Anzahl der aufgeführten Anpassungsgründe entspricht. Ein solches Monitoring gibt es nur beim BGer; bei den anderen Gerichten ist keine institutionelle Überprüfung der Geschäftsverteilung vorgesehen.65 Beim BVGer wären zwar Angaben zur Abänderung von Spruchkörpern verfügbar, da aus dem Informatiksystem für jedes Geschäft ein Informationsblatt mit den Schritten der Spruchkörperbildung exportiert werden kann (siehe Ziff. 5.1.1), diese Angaben werden aber nicht systematisch erhoben und ausgewertet. Beim BStGer und beim BPatGer wiederum werden die Gründe für die Zuteilung der Geschäfte nicht dokumentiert (siehe Ziff. 5.2). Das BPatGer gab 62 63 64 65

Siehe auch Schneuwly, Anne Mirjam (2020): Das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Gerichtsbarkeit. In: Justice ­ Justiz ­ Giustizia 2020/1, 1­22.

CoEDH, Miracle Europe Kft v. Hungary, No 57774/13, Ziff. 57 Botschaft des Bundesrates vom 28. Febr. 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (01.023), BBl 2001 4202; Venedig-Kommission 2010.

Die Zuteilungen von Dossiers mittels Informatikprogramm beim BGer und beim BVGer werden allerdings im System gespeichert, siehe Kap. 5.1.

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diesbezüglich an, Ausstandsgründe aufgrund des Anwaltsgeheimnisses nicht im Detail erfassen zu dürfen. Für die Transparenz der Geschäftsverteilung wäre es indessen wünschenswert, zumindest die Anzahl der Ausstände zu erfassen.

Aus den von der PVK geführten Interviews geht zudem hervor, dass die Geschäftsverteilung innerhalb der Gerichte selbst nur wenig thematisiert wird. Sowohl in den Gremien, in denen die Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten zusammenkommen, als auch auf informeller Ebene wird nur selten über die gute Praxis bei der Geschäftsverteilung gesprochen. Mehrere Befragte betonen, dass in den Abteilungen eine indirekte Kontrolle möglich sei, da sich die einzelnen Mitglieder an die Präsidentin oder den Präsidenten wenden können, wenn sie Fragen zu den Gründen für die Zuteilung eines Geschäfts an einen Richter oder eine Richterin haben. Niemand erwähnte allerdings interne Konflikte im Zusammenhang mit der Spruchkörperbildung.

Als Aufsichtsbehörde über die erstinstanzlichen Gerichte übt das BGer eine administrative Aufsicht über die Geschäftsführung des BVGer (Art. 3 VGG), des BStGer (Art. 34 StBOG) und des BPatGer (Art. 3 PatGG) aus. In diesem Rahmen findet keine regelmässige Diskussion über die Verfahren der Geschäftsverteilung statt. Das BGer befasste sich jüngst im Zusammenhang mit einer Aufsichtsanzeige gegen das BVGer66 mit diesem Thema, stellte aber keine organisatorischen Mängel fest. Über diesen Aufsichtskontext hinaus tauschen sich die Gerichte ­ deren Rahmenbedingungen zwar sehr verschieden sind, die aber auch mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind (siehe Ziff. 6.3) ­ nicht regelmässig über die Geschäftsverteilung aus. Bei den wenigen Gesprächen, bei denen es um die Geschäftsverteilung ging, standen die Informatikprogramme im Mittelpunkt (siehe Ziff. 5.1). Diese Gespräche wurden aber nicht fortgesetzt, da die Gerichte unterschiedliche Instrumente verwenden.

5

Zweckmässigkeit der Instrumente zur Geschäftsverteilung

Die Instrumente zur Geschäftsverteilung wurden dahingehend untersucht, wie sie durch die eidgenössischen Gerichte genutzt werden und inwiefern sie für die Umsetzung der vordefinierten Verfahren geeignet sind (siehe Liste der Evaluationskriterien in Anhang 2). Die PVK kommt zum Schluss, dass die Informatikprogramme, bei welchen die Spruchkörperbildung einem Algorithmus folgt, im Grossen und Ganzen zweckmässig sind, auch wenn ihr Potenzial nicht ausgeschöpft wird (Ziff. 5.1). Die Zweckmässigkeit der anderen Hilfsmittel ­ namentlich Excel-Listen ­ stellt die PVK infrage, weil diese Instrumente nicht auf die Geschäftsverteilung ausgerichtet sind (Ziff. 5.2).

66

Entscheid 12T_3/2018

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5.1

Der Einsatz von Informatikprogrammen ist zweckmässig, wird aber nicht ausgeschöpft

Sowohl das BVGer als auch das BGer setzen ein Informatikprogramm ein, mit dem der gesamte Spruchkörper oder ein Teil davon automatisch gebildet werden kann. Die beiden Systeme funktionieren ziemlich unterschiedlich.67 Generell lässt sich mit ihnen die Spruchkörperbildung objektivieren.68 Die Systeme werden von den Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten, die für die Geschäftsverteilung zuständig sind, als positiv erachtet. Die Akteure von ausserhalb der Gerichte, mit welchen die PVK gesprochen hat, halten diese Programme sogar für sehr positiv. Obwohl sie deren Funktionsweise nicht bis ins Detail kennen, messen sie ihnen grosses Objektivierungspotenzial bei der Spruchkörperbildung zu. Auch die Richterinnen und Richter am BGer bzw. BVGer haben grosses Vertrauen in diese Programme, ohne unbedingt zu wissen, wie diese genau funktionieren.

5.1.1

Das Programm «Bandlimat» des BVGer: ein Pioniersystem, das an seine Grenzen stösst

Das BVGer wurde mit der Justizreform geschaffen, um die zahlreichen Rekurskommissionen und Beschwerdedienste des Bundes abzulösen, die an die verschiedenen eidgenössischen Departemente angegliedert waren. Darunter befand sich die Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt, die bereits über ein System für die automatische Bildung des Spruchkörpers verfügte. Dieses System wurde 2002 von einem Privatunternehmen entwickelt und später von der gleichen Firma an die Bedürfnisse des BVGer angepasst.69 Das Programm, das «Bandlimat» genannt wird, stütz sich für die Geschäftsverteilung auf einen Algorithmus, der Daten einbezieht, die einerseits die Richterinnen und Richter und andererseits die zu behandelnden Geschäfte betreffen. In das Programm können die Arbeitssprache der Instruktionsrichterinnen und richter (perfekte Beherrschung der Sprache) oder der anderen Richterinnen und Richter (passive Kenntnisse reichen aus) sowie ihre Verfügbarkeit und ihre allfälligen spezifischen Kenntnisse eingegeben werden. Der Algorithmus des «Bandlimat» gleicht diese Daten mit den Merkmalen des betreffenden Geschäfts ab (Verfahrenssprache, Rechtsgebiet, allfällige Gewichtung) und wählt unter den Richterinnen und Richtern, welche die Vorgaben zu Sprache und spezifischen Kenntnissen erfüllen, zunächst die Instruktionsrichterin bzw. den Instruktionsrichter mit der zum Zeitpunkt der Zuteilung

67

68 69

Siehe insbesondere Meyer, Lorenz / Tschümperlin, Paul (2012): Zusammensetzung des Spruchkörpers ­ Auswahl oder Automatisierung? In: Justice ­ Justiz ­ Giustizia 2012/1; Schuppisser, Alexander (2007): Vorausbestimmte Spruchkörperbesetzung am Bundesverwaltungsgericht. In: Justice ­ Justiz ­ Giustizia, 2007/2.

Kettiger 2018: 19­20 Schuppisser 2007

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niedrigsten Arbeitsbelastung aus.70 Auch die anderen Richterinnen und Richter werden vom System anhand ihrer Arbeitsbelastung bestimmt. Jegliche manuelle Anpassung der automatischen Zusammensetzung des Spruchkörpers muss in einem Kommentar begründet werden. So ist es beispielsweise möglich, im «Bandlimat» gewisse Richterinnen und Richter für ein bestimmtes Geschäft oder für längere Zeit zu deaktivieren, damit sie von der Liste infrage kommender Richterinnen und Richter ausgeschlossen werden. Der Algorithmus berücksichtigt auch den Grundsatz der grösstmöglichen Durchmischung, was bedeutet, dass die Richterinnen und Richter mit jeder Instruktionsrichterin bzw. jedem Instruktionsrichter so oft wie möglich arbeiten sollen. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass der Algorithmus gewisse Personenkonstellationen öfter hervorbringt als andere.

Abbildung 2 Benutzeroberfläche für die Spruchkörperbildung beim BVGer («Bandlimat»)

Legende: 1) Nummer des Dossiers; 2) Dossiersprache (einige Abteilungen können auch spezifische Kenntnisse definieren); 3) Möglichkeit, die Richterinnen und Richter manuell auszuwählen; 4) Kommentarfeld; 5) Schaltfläche zur automatischen Generierung des Spruchkörpers.

Die Abbildung wurde von der PVK anonymisiert.

Quelle: Handbuch Fallzuteilungssoftware «Bandlimat», S. 8 70

Der Algorithmus bezieht nicht die Arbeitsbelastung im eigentlichen Sinne ein, da er die Erledigung von Geschäften nicht berücksichtigt. Jedes Dossier, das zugeteilt wird, wird im System verbucht und wirkt sich auf den «Dossiersaldo» jeder Richterin bzw. jedes Richters aus. Wird der Person ein Geschäft zugeteilt, steigt ihr Saldo und derjenige der anderen Richterinnen und Richter sinkt. Ein neues Geschäft wird jener Person zugeteilt, welche die erforderlichen Kriterien (Sprache, spezifische Kenntnisse usw.) erfüllt und zum Zeitpunkt der Verteilung den tiefsten Saldo hat.

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Die PVK kommt zum Schluss, dass die Spruchkörperbildung mit dem aktuellen System weitgehend objektiviert werden kann, da der Spruchkörper vollautomatisch durch den Algorithmus bestimmt wird. Aufgrund neuer Anforderungen mussten jedoch zahlreiche Anpassungen am System vorgenommen und schrittweise mehrere zu Beginn nicht vorgesehene Funktionalitäten integriert werden, wie die Deaktivierung von Richterinnen und Richtern, die Gewichtung der Dossiers, die Festlegung der Rechtsgebiete sowie die Erweiterung des Spruchkörpers auf fünf Richterinnen und Richter.

Für jede Änderung musste ein Angebot der spezialisierten Firma eingeholt werden.

Einige Anpassungen wurden umgesetzt, um den Anforderungen einer einzelnen Abteilung gerecht zu werden. Dennoch können einige Kriterien vom Programm derzeit nicht berücksichtigt werden, weshalb die Abteilungen die Zusammensetzung des Spruchkörpers nachträglich anpassen müssen, um ihnen Rechnung zu tragen. Die Asylabteilungen beispielsweise haben bisweilen sehr kurze Fristen einzuhalten, und wenn die vom «Bandlimat» bezeichneten Richterinnen und Richter z. B. ferienhalber abwesend sind, wird ein manuelles Stellvertretersystem mit alphabetischen Listen herangezogen. Im Übrigen wenden diese beiden Abteilungen die Regel an, dass im Spruchkörper zwei muttersprachliche Personen vertreten sein müssen. Dies hat zur Folge, dass die vom «Bandlimat» bestimmte Zusammensetzung geändert werden muss, wenn dieses Kriterium nicht erfüllt ist, da es vom Algorithmus nicht berücksichtigt wird. Als weiteres Beispiel kann erwähnt werden, dass das Programm Schwierigkeiten hat, niedrigen Beschäftigungsgrade und Instruktionsrichterinnen und -richter mit mehreren Sprachen angemessen zu berücksichtigen. Das BVGer ist sich dieser Defizite bewusst. Allerdings können diese im aktuellen System, welches den Anforderungen des Gerichts nicht mehr gerecht wird, nur teilweise behoben werden. Für das BVGer stellt sich deshalb die Frage, ob ein ganz neues Programm entwickelt werden sollte, um das Potenzial einer automatischen Geschäftsverteilung auszuschöpfen.71

5.1.2

Das Programm «CompCour» des BGer: ungenutzte Möglichkeiten zur Objektivierung der Geschäftsverteilung

Den analysierten Unterlagen zufolge war das Programm «Bandlimat» des BVGer mit den Informatikstandards des BGer nicht kompatibel. Deshalb entwickelte dieses sein eigenes System («CompCour»). Im Auftrag an die IT-Abteilung des Gerichts aus dem Jahr 2008 heisst es, das oberste Ziel bestehe darin, den Präsidentinnen und Präsidenten die Anwendung der Kriterien bei der Geschäftsverteilung zu erleichtern und somit die Anforderung von Artikel 42 BGerR, einen Bericht über die Einhaltung dieser Kriterien zu erstellen, zu erfüllen. Der Anstoss für die Entwicklung des Programms kam namentlich von den GPK, die mehr Transparenz forderten. Eine gewisse Skepsis war am BGer damals spürbar. Gemäss internen Dokumenten des Gerichts ging es in der ersten Etappe des Projekts darum, die Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten

71

Derzeit wird von Professorin Kiener und Professor Lienhard eine Studie zum System des BVGer durchgeführt.

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davon zu überzeugen, die Verteilung der Dossiers und die Spruchkörperbildung nicht mehr mittels ­ meistens handschriftlich geführter ­ Listen durchzuführen.

Das Informatikprogramm kommt derzeit nur bei der Bestimmung der dritten Richterin bzw. des dritten Richters und allenfalls der vierten und fünften Richterin bzw. des vierten und fünften Richters eines Spruchkörpers zum Einsatz. Die Referentin bzw.

der Referent (erste Richterin bzw. erster Richter) wird von der Abteilungspräsidentin bzw. dem Abteilungspräsidenten bestimmt, die bzw. der selbst ebenfalls dem Spruchkörper angehört (zweite Richterin bzw. zweiter Richter), es sei denn, sie bzw. er tritt in den Ausstand.72 Je nach den in «CompCour» erfassten Merkmalen des Falls (Vertretung beider Geschlechter erforderlich, Dringlichkeit des Falls, spezifische Kenntnisse im Spruchkörper notwendig) und der erforderlichen Anzahl Richterinnen und Richter bestimmt der Algorithmus die Richterinnen und Richter und berücksichtigt dabei deren spezifische Kenntnisse und vor allem deren Arbeitslast, die gemessen wird an der ihnen bereits zugewiesenen Anzahl Dossiers (siehe Abbildung 3). Sämtliche Änderungen am von «CompCour» zusammengestellten Spruchkörper oder die manuelle Benennung der dritten, vierten oder fünften Richterinnen bzw. Richter muss in einem Kommentar begründet werden.

Abbildung 3 Benutzeroberfläche für die Spruchkörperbildung beim BGer («CompCour»)

Legende: 1) Dossiernummer; 2) Dossierstatus; 3) Referentin bzw. Referent, wird manuell bestimmt; 4) Gerichtsschreiber bzw. Gerichtsschreiberin; 5) Merkmale des Falls; 6) Schaltfläche zur automatischen Generierung des Spruchkörpers. Die Abbildung wurde von der PVK anonymisiert.

Quelle: Benutzerhandbuch «CompCour», S. 1 72

In diesem Fall wird sie bzw. er von der Vizepräsidentin bzw. vom Vizepräsidenten der Abteilung vertreten.

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Obwohl «CompCour» von den Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten des BGer sehr positiv beurteilt wird, ist die PVK der Auffassung, dass das Potenzial dieses Programms zur Objektivierung der Spruchkörperbildung nicht ausschöpft wird. Der Beitrag von «CompCour» zur Spruchkörperbildung ist nur gering, da die Referentin bzw.

der Referent manuell durch das Abteilungspräsidium bestimmt wird, welches selbst dem Spruchkörper angehört. Ausgehend von der Anzahl Fälle, die am BGer in den verschiedenen Besetzungen (eine, drei oder fünf Personen) beurteilt wurden (siehe Tabelle 2, Ziff. 2.2.2), wurde nur ein Drittel der Richterinnen und Richter, die 2019 einen Fall beurteilt haben, durch das Programm bestimmt (die dritten und allenfalls vierten und fünften Richterinnen und Richter). Diese Zahl muss zudem noch relativiert werden, da zudem vier der sieben Abteilungen derzeit fünf Richterinnen und Richter umfassen. Damit erübrigt sich in diesem Fall der Einsatz eines Programms zur Bestimmung der Richterinnen und Richter, die Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung beurteilen (gemäss Art. 20 Abs. 2 BGG muss in Fünferbesetzung entschieden werden), doch wird dadurch auch die Bedeutung von «CompCour» weiter geschmälert.

Bei der Entwicklung des Programms wurde an der Präsidentenkonferenz, dem Gremium, das aus den Präsidentinnen und Präsidenten der einzelnen Abteilungen besteht, diskutiert, ob die Referentin bzw. der Referent eher automatisch als manuell durch die Abteilungspräsidentin bzw. den Abteilungspräsidenten bestimmt werden soll. Die Konferenz lehnte dies jedoch ab, da sie der Auffassung war, dass sich die Überlegungen, die dieser «intellektuellen Benennung» zugrunde liegen, und namentlich der Einbezug der spezifischen Kenntnisse der Richterinnen und Richter, nicht programmieren lassen.73 Allerdings können solche spezifischen Kenntnisse in «CompCour» parametriert und berücksichtigt werden, um die anderen Richterinnen und Richter des Spruchkörpers zu bestimmen. Dass ein menschliches Eingreifen erforderlich sein soll, überzeugt deshalb nicht ganz ­ dies umso weniger, als die Auswahl beschränkt ist: Jeder Abteilung gehören fünf oder sechs Richterinnen und Richter an und oft kommen als Referentin bzw. Referent nur zwei oder drei Richterinnen und Richtern infrage, weil ihre Muttersprache ausschlaggebend ist.
Im Übrigen ist das BGer der Auffassung, dass Artikel 32 Absatz 1 BGG, wonach der Präsident oder die Präsidentin der Abteilung als Instruktionsrichter bzw. Instruktionsrichterin (Referent bzw. Referentin) das Verfahren bis zum Entscheid leitet, begründet, dass die Benennung der entsprechenden Person manuell erfolgen muss. Die PVK hingegen ist der Ansicht, dass dadurch nicht festgelegt ist, auf welche Art und Weise die Instruktionsrichterin bzw. der Instruktionsrichter bestimmt wird, und dass hierfür auch ein Informatikprogramm eingesetzt werden kann, wie dies am BVGer der Fall ist (siehe Ziff. 5.1.1). Dafür spricht auch, dass die dritten, vierten und fünften Richter und Richterinnen mit «CompCour» bestimmt werden, obwohl Artikel 40 Absatz 1 BGerR festhält, dass «[d]er Spruchkörper [...] vom Präsidenten oder der Präsidentin der zuständigen Abteilung gebildet [wird]».

Darüber hinaus berücksichtigt «CompCour» die Abwesenheiten der Richterinnen und Richter nicht in geeigneter Weise. Aus den statistischen Daten des BGer für das Jahr 2018 geht hervor, dass 25 Prozent der Abänderungen des Spruchkörpers (79 von 73

Siehe auch Meyer / Tschümperlin 2012

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313 Fällen) mit Abwesenheiten begründet werden. Dieses Kriterium sollte jedoch von «CompCour» berücksichtigt werden: Eine abwesende Person kann in der Liste der infrage kommenden Richterinnen und Richter für einen bestimmten Zeitraum deaktiviert werden. Obwohl die Zahl der Abänderungen aufgrund von Abwesenheiten im Vergleich zur Zahl der vom BGer insgesamt behandelten Geschäfte sehr klein ist, zeigt dies doch, dass das Potenzial des Systems nicht ausgeschöpft wird, um die Spruchkörperbildung zu objektivieren und so das Vertrauen der Rechtssubjekte ins BGer zu stärken.

5.2

Die Instrumente der Geschäftsverteilung am BStGer und am BPatGer sind rudimentär

Das BStGer und das BPatGer verwenden keine Informatikprogramme zur automatischen Bildung des Spruchkörpers, sondern stützen sich auf Excel-Listen. Obwohl die jeweiligen Nutzerinnen und Nutzern diese für ihre Bedürfnisse als geeignet erachten, zeigt die Analyse der Listen, dass sie nicht spezifisch auf die Geschäftsverteilung ausgerichtet sind, sondern eher für die Geschäftsverwaltung entwickelt wurden. Dies gilt insbesondere für das BStGer. Für die Geschäftsverteilung sind somit zahlreiche Felder in den Listen unbedeutend, während andere Angaben, die für diese Aufgabe zentral wären, fehlen. Die drei Kammern des BStGer verwenden ähnliche Listen, in denen die Geschäfte der jeweiligen Kammer und die Richterinnen und Richter, denen sie zugeteilt wurden, erfasst werden. Die Arbeitslast der Richterinnen und Richter kann mit diesen Listen ermittelt werden, indem überprüft wird, wie viele Dossiers ihnen zugeteilt wurden. Die anderen Kriterien der Geschäftsverteilung wie beispielsweise die Sprache, die Abwesenheiten der Richterinnen und Richter oder deren spezifische Kenntnisse können mit den derzeit genutzten Instrumenten hingegen nicht berücksichtigt werden. Diese Kriterien fliessen somit nur informell durch die Kenntnisse, welche das Kammerpräsidium über die Mitglieder der Kammer hat, ein. Es stellt sich die Frage, ob für das BStGer ein Informatikprogramm zweckmässig wäre, um die Geschäftsverteilung zu automatisieren. So wurde das Gericht in einem Bericht der Staatengruppe gegen die Korruption (GRECO) von 2016 aufgefordert, entsprechende Überlegungen anzustellen.74 Dies auch vor dem Hintergrund, dass es angesichts der hohen Anzahl Fälle schwierig ist, bei der Geschäftsverteilung den Überblick über alle zugeteilten Geschäfte und die infrage kommenden Richterinnen und Richter zu behalten. So hat die Beschwerdekammer im Jahr 2019 mehr als 800 Eingänge verzeichnet.

Am BPatGer stützt sich die Gerichtspräsidentin bzw. der Gerichtspräsident bei der Spruchkörperbildung auf zwei sich ergänzende Dokumente. In einer ersten Liste werden Angaben zu den Richterinnen und Richtern erfasst, wie ihre Ausbildung (juristisch oder technisch), und Arbeitssprache sowie für die technischen Richterinnen und Richter das Fachgebiet. In einer zweiten Liste wird die Anzahl Geschäfte erfasst, die den Richterinnen und Richtern zugewiesen wurde. Diese beiden Listen sind relativ rudimentär, doch kann so die Auswahl sinnvoll eingeschränkt werden. Die PVK hält

74

GRECO 2016: 35

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es für angebracht, dass ein Gericht wie das BPatGer, welches weniger als 50 Geschäfte pro Jahr zu verteilen hat, anstelle von Informatikprogrammen solche Instrumente einsetzt. Allerdings sind diese Instrumente nicht dafür vorgesehen, die Geschäftsverteilung systematisch zu kontrollieren. Erfasst werden beispielsweise nur die Ausstände der Richterinnen und Richter, die vom Präsidenten des BPatGer aufgefordert wurden, Teil des Spruchkörpers zu sein. Allerdings dürfen aufgrund des Berufsgeheimnisses die konkreten Ausstandsgründe nicht dokumentiert werden. Die Ausstände, die vom Präsidenten antizipiert werden, weil bestimmte Richterinnen und Richter in anderen Fällen in den Ausstand traten, werden hingegen nicht erfasst, obwohl dies angesichts der grossen Zahl nebenamtlicher Richterinnen und Richter häufig vorkommt (siehe Ziff. 2.1.4). Anstatt Ausstände zu antizipieren, könnte zudem anhand öffentlicher Register überprüft werden, ob eine Richterin oder ein Richter oder deren bzw. dessen Arbeitgeber bzw. Kanzlei Verbindungen zu den Parteien hat, welche sich auf die Unabhängigkeit der Richterin bzw. des Richters auswirken könnten.

Obwohl auf der Website des BPatGer auf diese Register verwiesen wird, werden sie von der Präsidentin bzw. vom Präsidenten bei der Spruchkörperbildung nicht verwendet.

Beim BVGer stellt das Informatikprogramm zwar klar das wichtigste, aber nicht das einzige Instrument zur Geschäftsverteilung dar, das an diesem Gericht eingesetzt wird. Die beiden Asylabteilungen verwenden zudem alphabetische Listen, um die Richterin bzw. den Richter zu bestimmen, die bzw. der ein Mitglied des vom «Bandlimat» festgelegten Spruchkörper ersetzt, wenn dieses zum Zeitpunkt, an dem der Urteilsentwurf in Zirkulation gegeben wird, abwesend ist (siehe Ziff. 5.1.1). Am BGer wird die Referentin bzw. der Referent nicht vom Programm «CompCour», sondern manuell von den Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten bestimmt. Diese wenden dabei ­ abgesehen von Statistiken zur Zahl der von den einzelnen Richterinnen und Richtern behandelten Geschäfte, die aus dem internen Geschäftsverwaltungsprogramm des BGer stammen ­ keine Instrumente an.

6

Zweckmässigkeit der Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung

Die Zweckmässigkeit der Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung hat die PVK lediglich indirekt untersucht, ohne sich mit der Zusammensetzung der Spruchkörper in einzelnen Fällen zu befassen. Sie stützt sich dabei auf die Angaben zur Umsetzung der Verfahren in den Dokumenten und Interviews. Die Analyse folgte den Kriterien in Anhang 2, darunter etwa die angemessene Konkretisierung der Kriterien der Geschäftsverteilung oder die angemessene Nutzung des Ermessensspielraums.

Die PVK hat festgestellt, dass die Kriterien für die Spruchkörperbildung nicht einheitlich berücksichtigt (Ziff. 6.1) und gewichtet (Ziff. 6.2) werden. Auch wenn einige Unterschiede durch die jeweiligen Besonderheiten der Gerichte bedingt sind, so werfen andere doch Fragen auf (Ziff. 6.3).

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6.1

Die Kriterien werden nicht einheitlich angewendet

Die Geschäftsverteilung erfolgt anhand zahlreicher Kriterien. Aus rechtlicher Sicht sind sie objektiv, da sie auf Effizienz- und Qualitätsanforderungen beruhen (Ziff. 3.1).

Die Anwendung dieser Kriterien variiert allerdings sehr stark von Gericht zu Gericht und selbst von Abteilung zu Abteilung. In Tabelle 4 ist aufgelistet, welche Kriterien die verschiedenen Gerichte berücksichtigen und ob diese Kriterien in den entsprechenden Rechtsgrundlagen der Gerichte erwähnt sind. Anschliessend wird kurz darauf eingegangen, wie die verschiedenen Abteilungen die jeweiligen Kriterien auslegen.

Tabelle 4 Kriterien für die Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten Kriterium

Sprache der Richter/innen Arbeitslast der Richter/innen Spezifische Kenntnisse der Richter/innen Geschlecht Beteiligung der Richter/innen an früheren Entscheiden Konnexität mehrerer Geschäfte Abwesenheiten der Richter/innen Politische Zugehörigkeit

BGer

BVGer

BStGer

BPatGer







()





()






()


()


()



()

() ()




()

Legende: = Kriterium wird in einer oder mehreren Abteilungen des Gerichts verwendet und ist in den Rechtsgrundlagen des betreffenden Gerichts erwähnt; () = Kriterium wird in einer oder mehreren Abteilungen des Gericht verwendet, ist aber nicht in den Rechtsgrundlagen des betreffenden Gerichts erwähnt.

Quelle: Rechtsgrundlagen der Gerichte, Gespräche mit den Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten

Die Sprache der Richterinnen und Richter ist ein Kriterium, das bei allen Gerichten bei der Auswahl der Referentin bzw. des Referenten, d. h. jener Person, welche das Urteil zu verfassen haben wird, berücksichtigt wird. Es ist in der Tat sinnvoll, dafür zu sorgen, dass für diese Aufgabe eine Person ausgewählt wird, deren Muttersprache der Sprache des Geschäfts entspricht, um so eine angemessene sprachliche Qualität des Urteils sicherzustellen.75 Die Abteilungen IV und V des BVGer verlangen, dass neben der Instruktionsrichterin bzw. dem Instruktionsrichter noch ein weiteres Mitglied des Spruchkörpers die gleiche Muttersprache haben sollte. Allerdings weisen diese Abteilungen keine Besonderheiten auf, die Anlass für diese Auffassung geben

75

Die weiteren Richterinnen und Richter müssen über passive Kenntnisse der anderen Amtssprachen verfügen.

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würden.76 Ebenfalls interessant ist, dass auch das BPatGer das Kriterium der Sprache anwendet, obwohl dieses in seinen Rechtsgrundlagen nicht erwähnt ist (siehe Ziff. 3.2).

Alle eidgenössischen Gerichte berücksichtigen bei der Spruchkörperbildung die Arbeitslast der Richterinnen und Richter. Bei der Ermittlung der Arbeitslast werten einige Abteilungen alle Geschäfte gleich, indem sie sich auf die Anzahl der Dossiers beziehen, während andere Abteilungen eine informelle oder auf vordefinierten Kriterien beruhende Gewichtung der Geschäfte vornehmen. So werden beispielsweise bei der Berufungskammer des BStGer Revisionen üblicherweise der Kategorie «Small» zugeordnet, wohingegen Berufungen gemäss einer von den Richterinnen und Richtern der Abteilung erstellten, mehr oder weniger strikten Liste von Kriterien (z. B. Anzahl der Verfahrensbeteiligten) zwischen «Small» und «Extra large» eingestuft werden. In allen Fällen hat die Präsidentin bzw. der Präsident einen gewissen Ermessensspielraum bei der Gewichtung von Neueingängen.

Einige Abteilungen ziehen ­ zusätzlich zur Spezialisierung, die sich aus dem Zuständigkeitsbereich der Abteilungen ergibt ­ auch die spezifischen Kenntnisse der Richterinnen und Richter als Kriterium heran. Dies ist sicherlich naheliegend beim BPatGer, welches technische Geschäfte zu bearbeiten hat, oder bei den Abteilungen, zu deren Kompetenzbereich ein grosses Themenspektrum gehört, wie die Abteilung II des BVGer, die für mehr als 50 Gesetze zuständig ist. Die vorherrschende Ansicht unter den befragten Personen ist allerdings, dass eine zu grosse Spezialisierung nicht wünschenswert ist, da diese die Gefahr birgt, den Ideenaustausch und die Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu behindern.

Nicht bei allen Abteilungen ist es sachlich angebracht, bei der Spruchkörperbildung die Geschlechtszugehörigkeit zu berücksichtigen. So spielt dieses Kriterium zum Beispiel beim BPatGer keine Rolle, wenn es um patentrechtliche Fragen geht. Bedeutung bekommt dieses Kriterium aber insbesondere dann, wenn ein geschlechtsrelevantes Thema Gegenstand der Rechtssache ist. Abgesehen von einigen verbindlichen Bestimmungen77 steht es der Präsidentin bzw. dem Präsidenten der Abteilung allerdings frei, inwieweit sie bzw. er dieses Kriterium bei der Geschäftsverteilung einbezieht.

Die vier eidgenössischen
Gerichte berücksichtigen bei der Geschäftsverteilung aus Gründen der Effizienz die Beteiligung der Richterinnen und Richter an früheren Entscheiden in derselben Sache. Aus demselben Grund (Dossierkenntnis) sowie insbesondere um eine einheitliche Rechtsprechung zu gewährleisten kann die Konnexität mehrerer Geschäfte rechtfertigen, dass diese alle demselben Spruchkörper zugewie-

76

77

Das BVGer wies im Rahmen der Konsultation zu diesem Bericht darauf hin, dass diese Vorgehensweise bei den Asylabteilungen gerechtfertigt sei, da diese eine sehr hohe Arbeitslast hätten, die eine besonders effiziente Bearbeitung der Fälle erfordere. Ausserdem würde die Prüfung des Sachverhalts und insbesondere der Glaubhaftigkeit häufig eine sehr genaue Analyse der Aussagen erfordern, was wiederum entsprechend fundierte Sprachkenntnisse voraussetzt. Die PVK teilt diese Auffassungen nicht: Die vom BVGer erwähnten Aussagen sind üblicherweise sowieso aus anderen Sprachen übersetzt und eine effiziente Fallbearbeitung ist in allen Abteilungen notwendig.

Eine ausgewogene Berücksichtigung der Geschlechtszugehörigkeit ist insbesondere obligatorisch in den in Art. 153 Abs. 1 oder Art. 355 Abs. 4 StPO (SR 312.0) genannten Fällen.

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sen werden. Es gibt allerdings keine strikte Regel dafür, wie bestimmt wird, ob Geschäfte einen Bezug zueinander haben, was einen Ermessensspielraum offenlässt und zu unterschiedlichen Auslegungen führt.

Verschiedentlich wird bei der Spruchkörperbildung die ferien- oder krankheitsbedingte Abwesenheit von Richterinnen und Richtern berücksichtigt, dies aus Gründen der Effizienz und der möglichst raschen Geschäftserledigung. Die Abwesenheitsdauer, ab der eine Richterin oder ein Richter nicht mehr berücksichtigt oder von der Liste der infrage kommenden Richterinnen und Richter gestrichen wird, variiert selbst von Abteilung zu Abteilung eines Gerichts von zwei bis 20 Arbeitstagen, was eine eher grosse Differenz darstellt. Sofern es keine rechtlichen Vorgaben gibt, legt die Präsidentin bzw. der Präsident der Abteilung, teils in Absprache mit den Richterinnen und Richtern der Abteilung, diese Dauer fest.

Auch wenn die politische Zugehörigkeit der Richterinnen und Richter in den Rechtsgrundlagen nicht als Kriterium erwähnt wird, ist es genau dieser Punkt, den die befragten externen Akteure kritisiert haben. Der Modus für die Wahl der Richterinnen und Richter durch das Parlament sieht eine ausgewogene Vertretung der politischen Kräfte in den Gerichten vor. Eine Ausnahme stellt hier das BPatGer dar, bei dem die politische Zugehörigkeit kein Wahlkriterium ist.78 Aus der Tatsache, dass die politische Zugehörigkeit ansonsten ein Wahlkriterium darstellt, kann abgeleitet werden, dass dieses Kriterium einen gewissen Einfluss darauf hat, wie Richterinnen und Richter das Recht auslegen. Allerdings wird es bei der Geschäftsverteilung nicht mehr berücksichtigt. Der Einbezug dieses Kriteriums wurde jüngst von den Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten des BGer diskutiert, aber bewusst verworfen: Grundsatzfragen werden in einem fünfköpfigen Spruchkörper behandelt, wodurch sichergestellt ist, dass keine Partei die Mehrheit hat, da jede Abteilung fünf oder sechs Richterinnen und Richter umfasst, die gemäss einer internen, aber nicht schriftlich festgehaltenen Regel des BGer nicht mehrheitlich derselben Partei angehören dürfen. Die politische Zugehörigkeit wird beim BGer gegebenenfalls trotzdem berücksichtigt, und zwar dann, wenn eine politische Partei am Verfahren beteiligt ist. Die grosse Mehrheit der befragten
Personen der verschiedenen Gerichte ist der Ansicht, dass die Berücksichtigung der politischen Zugehörigkeit bei der Geschäftsverteilung eine kontraproduktive Botschaft hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter darstellen würde, da diese eben keine «Parteisoldaten» sein sollen. So ist die politische Zugehörigkeit der Richterinnen und Richter zwar auf den Websites des BVGer und des BStGer ersichtlich, jedoch nicht beim BGer.

Allgemein zeigt Tabelle 4, dass das BPatGer nur wenige Kriterien und das BVGer in der Praxis viele Kriterien anwendet, die nicht in dessen öffentlichen Rechtsgrundlagen aufgeführt sind. Sie sind aber teilweise in unveröffentlichten internen Abteilungsreglementen erwähnt.

78

Staatengruppe gegen Korruption (Groupe d'États contre la corruption, GRECO) (2016): Prävention von Korruption bei Mitgliedern von Parlamenten, Gerichten und Staatsanwaltschaften. Evaluationsbericht, Schweiz. Strassburg: Europarat.

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6.2

Die Gewichtung der Kriterien ist nur bei der Verwendung von Informatikprogrammen nachvollziehbar

Weder in den Rechtsgrundlagen der Gerichte noch in deren internen Dokumenten werden die Kriterien der Geschäftsverteilung gewichtet. Dies führt dazu, dass die Verteilungsverfahren voneinander abweichen, und wirft die Frage auf, ob die Kriterien objektiv angewendet werden. Bei der Bezeichnung der Referentin oder des Referenten geben die meisten Abteilungen in der Praxis dem Kriterium der Sprache den Vorrang, da diese Person die Aufgabe hat, das Urteil zu verfassen. Einige Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten der verschiedenen Gerichte betonen allerdings, dass sie bisweilen die Sprache nur als zweites Kriterium berücksichtigen, um den spezifischen Kenntnissen einer Richterin oder eines Richters Rechnung tragen zu können. Es gibt in den eidgenössischen Gerichten jedoch keine Weisungen, die definieren, in welchen Fällen den fachlichen Kompetenzen der Vorzug vor den sprachlichen Kompetenzen zu geben ist.

Die Gewichtung der anderen Kriterien ist noch weniger klar und unterscheidet sich von Gericht zu Gericht oder sogar von Abteilung zu Abteilung sowie je nach Art des Geschäfts. Normalerweise sind die Arbeitslast und die spezifischen Kenntnisse der Richterinnen und Richter entscheidend, ohne dass jedoch einem dieser beiden Kriterien eine eindeutige Priorität zukommt, wie insbesondere die Kammerpräsidentinnen und -präsidenten des BStGer betonen. Eine der spezifischen Regelungen des BPatGer ist, dass der Spruchkörper mindestens eine Richterin oder einen Richter mit technischer Ausbildung und eine Richterin oder einen Richter mit juristischer Ausbildung haben muss (Art. 21 PatGG). Dem Fachgebiet kommt also eine besondere Bedeutung zu, dies umso mehr, als die Sprache ­ obwohl sie als erstes Kriterium angewendet wird ­ selten entscheidend ist, da die grosse Mehrheit der Geschäfte des BPatGer auf Deutsch ist (2019: mehr als 90 Prozent79) und die Dokumentation allemal häufig auf Englisch. Angesichts der zahlreichen Ausstandsgründe, die sich aus den parallelen beruflichen Tätigkeiten der nebenamtlichen Richterinnen und Richter ergeben und die zum Teil bereits bei der Geschäftsverteilung antizipiert werden, sind beim BPatGer nach der Anwendung der Kriterien Sprache und Kompetenzbereich kaum oder gar keine Auswahlmöglichkeiten für die Besetzung des Spruchkörpers mehr vorhanden.

Im Übrigen ist weder präzisiert,
nach welchen Modalitäten die Richterinnen und Richter mit juristischer Ausbildung ausgewählt werden, noch wie viele Richterinnen und Richter mit technischer Ausbildung und wie viele mit juristischer Ausbildung ein Spruchkörper umfasst.

Das BGer und das BVGer verwenden für die Geschäftsverteilung Informatikprogramme, in denen die Kriterien vorprogrammiert sind und automatisch berücksichtigt werden. Einige Kriterien funktionieren als Filter, so z. B. die Sprache, allfällige Abwesenheiten oder spezifische Kenntnisse der Richterinnen und Richter. In beiden verwendeten Programm erfolgt die endgültige Auswahl anhand der Arbeitslast der

79

Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, 89.

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möglichen Richterinnen und Richter.80 Zwar kann die Zusammensetzung des Spruchkörpers nachträglich abgeändert werden, doch muss in diesen Systemen jede manuelle Änderung mit einem Kommentar versehen werden. Deshalb ist es dennoch möglich, zu erschliessen, wie die verschiedenen Kriterien in den einzelnen Fällen gewichtet wurden.

Nimmt eine Präsidentin bzw. ein Präsident die Geschäftsverteilung manuell vor im Rahmen des verfügbaren Ermessensspielraums, so sollte der entsprechende Entscheid gemäss den internationalen Empfehlungen überprüfbar sein.81 Dies setzt voraus, dass er sich nachvollziehen lässt, was allerdings nicht möglich, wenn eine explizite Gewichtung der Kriterien fehlt.

6.3

Die Besonderheiten der einzelnen Abteilungen und Gerichte rechtfertigen die Unterschiede bei der Umsetzung nur teilweise

Es ist wichtig zu betonen, dass die vier eidgenössischen Gerichte, die Gegenstand dieser Evaluation sind, eigenständige Behörden mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen sind, sei es, was die Anzahl der Geschäfte oder der Richterinnen und Richter, die durchschnittliche Verfahrensdauer oder den Umfang des Zuständigkeitsbereichs angeht.82 So hat das BGer als oberstes Gericht des Bundes im Unterschied zu den anderen eidgenössischen Gerichten üblicherweise keine Überprüfung des Sachverhalts vorzunehmen, sondern sich nur mit Rechtsfragen auseinanderzusetzen.83 Unterschiede gibt es auch zwischen den verschiedenen Abteilungen eines Gerichts. So gibt es beispielsweise Abteilungen des BVGer, die ein fünfmal höheres Geschäftsvolumen zu bewältigen haben als andere Abteilungen desselben Gerichts. 84 In einigen Rechtsbereichen gelten zudem besonders strenge Fristen, so z. B. bei einigen Asylrekursen (Art. 109 Abs. 3 AsylG85). Auch verfügen nicht alle Abteilungen eines Gerichts über dieselbe Anzahl von Richterinnen und Richter.86 Diese Unterschiede begründen die unterschiedliche Bedeutung gewisser Kriterien wie der Arbeitslast (umfangreiche Geschäfte sind arbeitsintensiv und dauern länger), der spezifischen Kenntnisse (je vielfältiger der Zuständigkeitsbereich einer Abteilung, desto sinnvoller ist die Berücksichtigung dieses Kriteriums) und der Abwesenheiten (ein Geschäft, das innert einer Frist von fünf Tagen erledigt werden muss, kann niemandem zugeteilt werden, der eine Woche abwesend ist). Ohne sich mit konkreten Fällen befasst zu haben, sind die von den Befragten gelieferten Begründungen für die

80

81 82 83 84 85 86

Das Programm «Bandlimat» des BVGer berücksichtigt nicht die tatsächliche Arbeitslast der Richterinnen und Richter, sondern die Anzahl der Dossiers, die diesen zugeteilt ist (siehe Kap. 5.1.1).

Venedig-Kommission 2010: 18 Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, Vergleichstabelle Meyer, Ulrich (2020): Gedanken zu einer zeitgemässen Justiz. Ansprache des Bundesgerichtspräsidenten am Schweizerischen Juristentag 2019. In: SJZ-RSJ 1/2020, 27­31.

Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, 72.

Asylgesetz 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31).

Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte, 6­7; 36-37; 60­62.

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abweichenden Verfahren der Geschäftsverteilung für die PVK grundsätzlich stichhaltig.

Dennoch rechtfertigen die genannten Unterschiede der Abteilungen und Gerichte nicht alle Unterschiede. So gehen die Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten bei der Abänderung eines Spruchkörpers sehr unterschiedlich vor. Einige achten darauf, so wenig wie möglich an der ursprünglichen Zusammensetzung zu ändern, andere räumen ein, regelmässig Änderungen vorzunehmen, ohne sich darum zu bemühen, dass dies die Ausnahme bleibt.87 Auch wenn die Begründungen für die Änderungen grundsätzlich verständlich sind (Ausstandsgründe, verlängerte Abwesenheiten, Arbeitsüberlastung), so verdeutlicht dies doch, dass der unklare Rechtsrahmen (Ziff. 3.3) zu einem Ermessensspielraum führt, der von den Präsidentinnen und Präsidenten sehr unterschiedlich genutzt wird. Dies gilt auch für die Abwesenheitsdauer, ab der eine Richterin oder ein Richter nicht mehr als potenzielles Mitglied eines Spruchkörpers betrachtet wird. Diese variiert zwischen zwei und 20 Tagen, ohne dass die Art der Geschäfte dies rechtfertigen würde.

Der institutionelle Rahmen der Gerichte erklärt auch nicht, warum deren Rechtsgrundlagen so unterschiedlich ausführlich sind (Ziff. 3.2), warum die Delegation von Geschäftsverteilungsaufgaben ­ beim BGer und beim BVGer selbst innerhalb des Gerichts ­ so verschieden gehabt wird (Ziff. 4.1), oder warum nur das BGer einen Monitoringbericht über die Spruchkörperbildung verfasst (Ziff. 4.3). Unklar ist auch, warum die Instruktionsrichterin bzw. der Instruktionsrichter beim BVGer vom Informatikprogramm bestimmt wird (Ziff. 5.1.1), beim BGer hingegen nicht (Ziff. 5.1.2), zumal beide Systeme in der Lage sind, die spezifischen Kenntnisse der Richterinnen und Richter zu berücksichtigen. Die PVK kommt ausserdem zum Schluss, dass die automatische Bezeichnung der Referentin bzw. des Referenten beim BGer nicht gegen dessen Rechtsgrundlagen verstossen würde (Ziff. 5.1.2). Die PVK stellte zudem fest, dass sich die befragten Personen aus den verschiedenen Gerichten alle mit ähnlichen Fragen zur Geschäftsverteilung befassen, namentlich mit der Berücksichtigung der Sprache angesichts der Mehrsprachigkeit der Schweiz oder mit der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen der Vorhersehbarkeit der Spruchkörperbildung, wie in den internationalen Empfehlungen und der Verfassung gewünscht, und dem für einen effektiven und effizienten Justizbetrieb notwendigen Ermessensspielraum.88

7

Schlussfolgerungen

Die PVK kommt insgesamt zum Schluss, dass die Verfahren der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten die Rechtsmässigkeit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Spruchkörper nicht infrage stellen. Die PVK hat keinerlei Hinweise gefunden, die vermuten lassen, dass über die Geschäftsverteilung bewusst Einfluss auf die Urteile der Gerichte ausgeübt wird, wobei die Nachvollziehbarkeit der Verteilung nicht gänzlich sichergestellt ist. Der übergeordnete Rechtsrahmen wird grundsätzlich eingehalten, wenn auch nicht sämtliche internationalen Empfehlungen 87 88

Dies geht auch aus den Statistiken des BGer hervor.

Lienhard/Kettiger (2013), 11

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(Ziff. 7.1). Den Verfahren fehlt es an Transparenz (Ziff. 7.2), die Instrumente garantieren nur bedingt eine objektive Spruchkörperbildung (Ziff. 7.3) und die Kriterien sind zwar zweckmässig, jedoch wenig konkretisiert (Ziff. 7.4). Der vorhandene Ermessensspielraum bei der Geschäftsverteilung trägt aber zu einer effizienten und effektiven Justiz bei (Ziff. 7.5).

7.1

Die Rechtsgrundlagen entsprechen grundsätzlich dem übergeordneten Recht, weisen aber gewisse Lücken auf (Kap. 3)

Das übergeordnete Recht nennt eine Reihe von Anforderungen, welche die Verfahren der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten zu erfüllen haben. Diese verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben sollen letztlich garantieren, dass der Spruchkörper unabhängig ist und er nicht willkürlich oder in Abhängigkeit des konkreten Falls zusammengesetzt wird, um das Urteil in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. Im Allgemeinen erfüllen die Rechtsgrundlagen der eidgenössischen Gerichte diese Anforderungen, indem sie die Grundvoraussetzungen der Verfahren der Geschäftsverteilung festlegen, die Zuständigkeiten regeln und die Kriterien nennen, die zu berücksichtigen sind (Ziff. 3.1).

Allerdings entsprechen die Verfahren der Geschäftsverteilung nicht in allen Punkten der guten Praxis in diesem Bereich, auch wenn sie den internationalen Empfehlungen nicht direkt zuwiderlaufen. Ein Mangel besteht etwa darin, dass die Rechtsgrundlagen der verschiedenen Gerichte nicht vollständig sind (Ziff. 3.2). So sind bestimmte Kriterien, die bei der Spruchkörperbildung angewendet werden, nicht erwähnt, z. B. die Sprache beim BPatGer oder die Abwesenheiten, das Geschlecht und spezifische Kenntnisse beim BVGer. Einige Abteilungen des BVGer verfügen zwar über interne Reglemente, die deutlich ausführlicher, jedoch nicht veröffentlicht sind. Ferner präzisieren die Rechtsgrundlagen nicht bei allen Gerichten, zu welchem Zeitpunkt die Spruchkörper zusammenzustellen sind (betrifft BGer und BStGer) und wie die Zusammensetzung den Parteien zu kommunizieren ist. Im Weiteren ist nicht spezifisch geregelt, wie die Zusammensetzung der Spruchkörper nachträglich geändert werden darf, obwohl es dafür gemäss den internationalen Empfehlungen unbedingt strengere Vorgaben braucht, um willkürliche Änderungen zu vermeiden (Ziff. 3.3).

7.2

Die Transparenz der Verfahren für die Geschäftsverteilung ist unzureichend (Kap. 4)

Der Geschäftsverteilung fehlt es derzeit sowohl gerichtsintern als auch nach aussen an Transparenz. Die Ausgestaltung und die Abläufe der Verfahren sind zu wenig dokumentiert (Ziff. 4.2), wodurch unterschiedlich ausgelegt wird, wer bestimmte Aufgaben zu erfüllen hat (Ziff. 4.1). Zudem wird die Spruchkörperbildung nur selten nachträglich überprüft (Ziff. 4.3). Eine gewisse Nachverfolgung gibt es beim BGer, das einen jährlichen Bericht mit Statistiken zu diesem Thema erstellt und den GPK übermittelt, jedoch nicht bei den anderen Gerichten. Dies scheitert grösstenteils schon an der mangelnden Verfügbarkeit der entsprechenden Angaben: So ermöglichen zwar 38 / 54

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die Instrumente des BVGer, die Schritte zur Spruchkörperbildung nachzuvollziehen (Ziff. 5.1.1), nicht jedoch die Excel-Listen, die das BStGer und BPatGer führen (Ziff. 5.2). Beim BPatGer ist weder klar, wie die Richterinnen und Richter mit juristischer Ausbildung ausgewählt werden, noch wie viele Richterinnen und Richter mit technischer Ausbildung und wie viele mit juristischer Ausbildung ein Spruchkörper umfasst. Zudem haben mehrere interviewte Personen an verschiedenen Gerichten erklärt, dass sie allfällige Ausstandsgründe zum Zeitpunkt der Spruchkörperbildung antizipieren und gewisse Richterinnen und Richter deshalb von vornherein ausschliessen, ohne dies zu dokumentieren, was aus Sicht der Transparenz problematisch ist.

Dies trifft auf das BPatGer besonders zu, weil es wegen der grossen Zahl nebenamtlicher Richterinnen und Richter häufig zu Ausständen kommt. Aufgrund der dokumentierten Kriterien wäre also vielleicht eine andere Person ausgewählt worden. Die Spruchkörperbildung ist somit nicht vollständig nachvollziehbar.

Die Rechtsgrundlagen der vier eidgenössischen Gerichte sind offen formuliert und lassen viel Interpretationsspielraum, was zu Intransparenz führen kann. Deshalb ist es umso wichtiger ist, dass die einzelnen Fälle gut dokumentiert werden, um jeglichen Verdacht einer Manipulation der Spruchkörperbildung in der Absicht, das Urteil zu beeinflussen, ausschliessen zu können. Die gegenwärtigen Mängel sowohl beim Konkretisierungsgrad der Rechtsgrundlagen als auch der Dokumentation der einzelnen Fälle verstärken sich gegenseitig und sind der Transparenz abträglich.

7.3

Die Instrumente stellen die objektive Spruchkörperbildung nicht durchwegs sicher (Kap. 5)

Die für die Geschäftsverteilung verwendeten Instrumente werden von den Nutzerinnen und Nutzern allgemein positiv bewertet, so etwa die algorithmenbasierten Informatikprogramme oder die Excel-Tabellen für die Bildung der Spruchkörper. Die Informatikprogramme werden sehr geschätzt und die externen und internen Akteure messen diesen eine wichtige Rolle bei der Objektivierung der Spruchkörperbildung zu, ohne jedoch die genaue Funktionsweise zu kennen oder zu verstehen (Ziff. 5.1).

Das vom BVGer verwendete Programm erfüllt allerdings nicht mehr alle Anforderungen, weshalb manuelle Änderungen durch die Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten notwendig sind (Ziff. 5.1.1). Beim BGer wurde mit dem Informatikprogramm weniger als ein Drittel der Richterinnen und Richter, die 2019 an einem Geschäft beteiligt waren, ausgewählt. Dies wirft die Frage auf, wie gross dessen Beitrag zur Objektivierung der Spruchkörperbildung tatsächlich ist (Ziff. 5.1.2).

Die anderen Hilfsmittel, die zum Einsatz kommen, sind deutlich rudimentärer und berücksichtigen nicht alle Kriterien, die für die Geschäftsverteilung relevant sind. Sie sind folglich nur teilweise geeignet, um eine objektive Spruchkörperbildung zu gewährleisten. Insbesondere die Excel-Listen des BStGer gleichen eher einem Geschäftsverwaltungstool, da sie beispielsweise keinerlei Informationen über die spezifischen Kenntnisse der Richterinnen und Richter enthalten; diese werden informell

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berücksichtigt. Das BStGer wurde allerdings ermutigt, seine Überlegungen zur Anschaffung eines Informatikprogramms weiterzuverfolgen.89 Die Instrumente des BPatGer sind präziser, werden jedoch nicht alle systematisch verwendet, insbesondere nicht die öffentlichen Register der Interessenbindungen. Anhand der verwendeten Listen kann die Spruchkörperbildung in einzelnen Fällen zudem nicht nachvollzogen werden (Ziff. 5.2).

7.4

Die Kriterien für die Geschäftsverteilung sind zweckmässig, werden jedoch unterschiedlich angewendet (Kap. 6)

Verschiedene Kriterien, die von den eidgenössischen Gerichten bei der Bildung des Spruchkörpers berücksichtigt werden, wie Sprache, Arbeitsbelastung, Geschlecht und die spezifischen Kenntnisse der Richterinnen und Richter, spielen bei diesen Prozessen eine zentrale Rolle. Diese Kriterien sind im Allgemeinen sinnvoll und objektiv, werden jedoch teilweise nicht in den Rechtsgrundlagen der Gerichte erwähnt. Zudem ist ihre Bedeutung bei der Bildung der Spruchkörper nicht vollkommen klar und sie werden nicht von allen Abteilungen einheitlich angewendet (Ziff. 6.1). Beispielsweise ist nicht klar geregelt, wie die Arbeitslast zu berücksichtigen ist. Auch die Bedeutung der Sprache für die Zusammensetzung des Spruchkörpers (Bestimmung des Referenten bzw. der Referentin oder der weiteren Richter/innen) ist sehr unterschiedlich, und die Abwesenheitsdauer, ab welcher Richterinnen und Richter nicht mehr als potenzielle Mitglieder des Spruchkörpers in Betracht gezogen werden, variiert je nach Abteilung zwischen zwei und 20 Arbeitstagen. Diese Unschärfe kann die Garantie der Objektivität der Kriterien in Frage stellen, weil die Zuständigen ihre eigene Praxis definieren, indem sie etwa einem Kriterium gegenüber einem anderen den Vorrang einräumen, ohne dies immer zu spezifizieren oder zu dokumentieren. (Ziff. 6.2).

Die PVK hat festgestellt, dass die politische Zugehörigkeit zwar bei der Wahl der Richterinnen und Richter ans BGer, ans BVGer und ans BStGer eine Rolle spielt, aber bei keinem Gericht zu den expliziten Kriterien der Geschäftsverteilung zählt, was mit der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter begründet wird (Ziff. 6.1). Welchen Einfluss die parteipolitische Zusammensetzung auf die materiellen Entscheide der Gerichte hat, hat die PVK nicht untersucht, weil sie sich auf die Analyse der Verfahren der Geschäftsverteilung beschränkte (Ziff. 1.3.2).

7.5

Das Ermessen bei der Geschäftsverteilung trägt zu einer effizienten und effektiven Justiz bei (Kap. 6)

Gemäss Rechtsprechung des BGer schliesst «der Anspruch darauf, dass das Gericht richtig zusammengesetzt ist, [...] ein gewisses Ermessen bei der Zusammensetzung des Spruchkörpers nicht aus, solange dieses gesetzlich geregelt ist und auf im Voraus bestimmten, in jedem Einzelfall zu berücksichtigenden sachlichen, d. h. vernünftigen, 89

GRECO 2016: 35

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einer sach- und zeitgerechten Fallerledigung dienenden Kriterien beruht». 90 Dieses Ermessen ist Ausdruck der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen strikten Automatismen und der Flexibilität, die es gemäss den befragten Personen braucht, um die Qualität und Effizienz der Justiz (sach- und zeitgerechte Fallerledigung) zu gewährleisten. Die PVK hat die Interessenabwägung in den einzelnen Fällen zwar nicht untersucht, sie stellt jedoch fest, dass der Ermessensspielraum, den die Gerichte für sich beanspruchen, diese Suche nach einem Gleichgewicht widerspiegelt und er seinen Zweck, eine effiziente und effektive Justiz zu ermöglichen, erfüllt.

Dennoch werfen verschiedene Unterschiede bei der Geschäftsverteilung Fragen auf (Ziff. 6.3). So sind in den Rechtsgrundlagen einiger Gerichte mehr Kriterien aufgeführt als in anderen, obwohl in der Praxis alle dieselben Kriterien anwenden. Weiter ist derzeit das BGer das einzige Gericht, das einen Monitoringbericht zur Spruchkörperbildung verfasst, obwohl zumindest auch beim BVGer Angaben hierzu vorhanden wären. Kaum zu begründen ist zudem der Unterschied, dass die Instruktionsrichterin oder der Instruktionsrichter beim BVGer automatisch per Informatikprogramm, beim BGer hingegen manuell durch die Präsidentin oder den Präsidenten der Abteilung bezeichnet wird, zumal die spezifischen Kenntnisse der Richterinnen und Richter in einem Informatikprogramm berücksichtigt werden können, wie dies bereits heute sowohl beim BVGer als auch beim BGer der Fall ist. Auch schliessen die gesetzlichen Grundlagen der Gerichte die automatisierte Bestimmung von Referentinnen und Referenten nicht aus. Schliesslich gibt es bei der Priorisierung und Konkretisierung der Kriterien Unterschiede, die sich nicht durch die unterschiedliche Art der Geschäfte erklären lassen.

90

BGE 144 I 37

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Abkürzungsverzeichnis Abs.

Art.

BA BBl BGE BGer BGerR

Absatz Artikel Bundesanwaltschaft Bundesblatt Bundesgerichtsentscheid Bundesgericht Reglement für das Bundesgericht vom 20. November 2006 (SR 173.110.131) BGG Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (Bundesgerichtsgesetz; SR 173.110) BPatGer Bundespatentgericht BStGer Bundesstrafgericht BStGerOR Organisationsreglement für das Bundesstrafgericht vom 31. August 2010 (Organisationsreglement BStGer; SR 173.713.161) BV Bundesverfassung (SR 101) BVGer Bundesverwaltungsgericht EGMR Europäischer Gerichtshofs für Menschenrechte EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. Nov. 1950 (SR 0.101) GPK Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte GPK-N Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates GPK-S Geschäftsprüfungskommission des Ständerates GRECO Staatengruppe gegen Korruption (Groupe d'États contre la corruption) GR-PatGer Geschäftsreglement für das Bundespatentgericht vom 28. September 2011, (SR 173.413.1) Kap.

Kapitel ParlG Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002 (Parlamentsgesetz; SR 171.10) ParlVV Verordnung der Bundesversammlung vom 3. Oktober 2003 zum Parlamentsgesetz und über die Parlamentsverwaltung (Parlamentsverwaltungsverordnung; SR 171.115) PatGG Bundesgesetz über das Bundespatentgericht vom 20. März 2009 (Patentgerichtsgesetz; SR 173.41) PVK Parlamentarische Verwaltungskontrolle SR Systematische Rechtssammlung des Bundesrechts StBOG Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes vom 19. März 2010 (Strafbehördenorganisationsgesetz; SR 173.71) StPO Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007 (SR 312.0)

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VGG VGR Ziff.

Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 15. Juni 2005 (Verwaltungsgerichtsgesetz; SR 173.32) Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht vom 17. April 2008; SR 173.320.1) Ziffer

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Liste der von den Gerichten übermittelten Dokumente Allgemein Geschäftsbericht 2019 der eidgenössischen Gerichte Bundesgericht Algorithme CompCour [undatiert] Auszug aus dem Protokoll der PK vom 9. April 2019, Traktandum II, mit den Unterlagen: 18c. Statistiques des compositions modifiées, 18d. Liste des compositions modifiées par cour (2018) Benutzerhandbuch CompCour, Fassung vom 8. Nov. 2012, mit Ergänzungen vom 6. Juli 2015 CompCour : Spécifications utilisateurs relatives à la composition automatique de la cour appelée à statuer, Fassung vom 18. April 2011 CompCour: évaluation de la charge, première ébauche de solution, Fassung vom 6. April 2011 Concept du 12.11.2012 relatif à la mise en oeuvre des critères de l'art. 40 RTF pour la désignation du juge rapporteur Concept général et détaillé du projet CompCour, Fassung vom 13. Febr. 2009 Controlling-Daten des Bundesgerichts zuhanden der GPK (2013­2019) Führungsübersicht der durch den Informatikausschuss gesteuerten Projekte, Fassung vom 16. März 2019 Informatikstrategie 2018 des Bundesgerichts (ISBGer), Fassung vom 10. Sept. 2018 Liste Abkürzungen der Bundesrichter und Bundesrichterinnen (2018) Mandat de projet: CompCour, Fassung vom 10. Juli 2008 Note technique CompCour (Application Java), Fassung vom 5. Febr. 2019 Rapport final de projet: CompCour, Fassung vom 17. Juni 2014 Referatsstatistik (Richter und nebenamtlichen Richter), Fassung ohne Zahlen Réglages de CompCour (Stand 1. Nov. 2019) Spruchkörperbildung 2007: Bericht der Verwaltungskommission ans Plenum, Fassung vom 19. März 2008 (Text)

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Zahl der Urteilsredaktionen, ohne Referate, Gerichtsschreiber, Fassung vom 4. Juni 2019 Zuteilungs- und Erledigungsstatistik der Fälle (Gerichtsschreiber nach Abteilung und Sprache), Fassung vom 4. Juni 2019 Bundesverwaltungsgericht Ablauf Fallzuteilung GeKo, 11. Jan. 2010 Abteilungsreglement I vom 5. März 2019 Abteilungsreglement II vom 13. Febr. 2014 Abteilungsreglement III vom 25. Jan. 2017 Abteilungsreglement IV vom 18. April 2007 Abteilungsreglement V vom 5. April 2007 Abteilungsreglement VI vom 14.6.2016 Entwurf Schnittstelle Bandlimat-Juris, 14. Jan. 2010 Optor AG, Handbuch Fallzuteilungssoftware «Bandlimat», Fassung vom 1. Sept. 2017 Optor AG, Offerte Fallzuteilungssoftware, Release 2.0 zuhanden des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer), Fassung vom 14. Febr. 2017 Substring GmbH, Algorithmus zum Bestimmen von Spruchkörpern am Bundesverwaltungsgerichts, Fassung vom 13. Okt. 2006 Substring GmbH, Beschrieb Bedürfnis Abteilung II mit 2. Richter aus Abteilung III, E-Mail vom 18. Jan. 2011 Substring GmbH, Kurzofferte «Bandlimat: zusätzliche Kammer in der Abteilung I», E-Mail vom 27. Aug. 2009 Substring GmbH, Nachfrage Gewichtung Bandlimat, E-Mail vom 8. Nov.2016 Substring GmbH, Offerte, Release 1.1 der Software «Fallzuteilung» des Bundesverwaltungsgerichts, Fassung vom 25. Jan. 2007 Substring GmbH, Offerte, Release 1.2 der Software «Fallzuteilung» des Bundesverwaltungsgerichts, Fassung vom 23. Mai 2007 Substring GmbH, Offerte, Release 1.3 der Software «Fallzuteilung» des Bundesverwaltungsgerichts, Fassung vom 8. Nov. 2007 Substring GmbH, Offerte, Release 1.4 der Software «Fallzuteilung» des Bundesverwaltungsgerichts, Fassung vom 22. Okt. 2008 Substring GmbH, Offerte, Release 1.6 der Software «Fallzuteilung» des Bundesverwaltungsgerichts, Fassung vom 23. Mai 2011 Substring GmbH, Offerte, Software zum Bestimmen von Spruchkörpern am Bundesverwaltungsgericht, Fassung vom 8. Dez. 2006 Substring GmbH, Spezifikation: Fallzuteilungssoftware BVGer Release 1.7, Fassung vom 17. Mai 2013 Substring GmbH, Spezifikation: Fallzuteilungssoftware BVGer: Global deaktivierte Richter, Fassung vom 14. April 2011

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Substring GmbH, Spezifikation: Schnittstelle zwischen Bandlimat und GeKo, Fassung vom 4. März 2010 Substring GmbH, Spezifikation: Schnittstelle zwischen Bandlimat und GeKo, Fassung vom 18. Febr. 2016 Vorschlag Erweiterung Bandlimat Abt. II, 20. Jan. 2010 Bundesstrafgericht Fallstatistik Strafkammer, Für die Geschäftsverteilung an der Strafkammer verwendete Excel-Tabelle, Fassung vom 11. Okt. 2019 (ohne Details) Geschäftskontrolle CAR, Für die Geschäftsverteilung an der Berufungskammer verwendete Excel-Tabelle, Fassung vom 8. Okt. 2019 (ohne Details) Zuteilungen 2019, Für die Geschäftsverteilung an der Beschwerdekammer verwendete Excel-Tabelle, Fassung vom 7. Okt. 2019 (ohne Details) Bundespatentgericht Hinweise zur Unabhängigkeit der Richter/Richterinnen, Fassung vom 24. Febr. 2015 Nebenamtliche Richter / Honorarempfänger des BPatGer, Fassung vom 17. Juni 2019 (Excel-Tabelle) Reporting Anzahl Verfahren pro Richter/Richterin, Fassung vom 17. Juni 2019

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Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner Im Verzeichnis ist die Funktion angegeben, welche die betreffende Person zum Zeitpunkt des Gesprächs mit der PVK ausgeübt hat.

Antonioni Luftensteiner, Emilia Blättler, Stephan Bomholt, Ursula Chaix, François

Präsidentin der Abteilung V, BVGer

Präsident, BStGer Kanzleileiterin, BPatGer Präsident der Ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung, BGer de Coulon Scuntaro, Jenny Präsidentin der Abteilung VI, BVGer Denys, Christian Präsident der Strafrechtlichen Abteilung, BGer Fasel, Bernhard Stellvertretender Generalsekretär, BVGer Felber, Markus Rechtsjournalist, Santschi & Felber, JustizKommunikation GmbH Gonin, Olivier Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Bundesamt für Justiz Gregori Al-Barafi, Mascia Generalsekretärin, BStGer Kasser, Amédée Anwalt, Vorstandsmitglied Schweizerischer Anwaltsverband Kiss, Christina Präsidentin der Ersten zivilrechtlichen Abteilung, BGer Kuster, Patrick Spezialist für Informatiksicherheit, BVGer Mahon, Pascal Professor, Universität Neuenburg Maillard, Marcel Präsident der Ersten sozialrechtlichen Abteilung, BGer Mansour, Fati Rechtsjournalist, Le Temps Meyer, Ulrich Präsident, BGer Parrino, Francesco Präsident der Zweiten sozialrechtlichen Abteilung, BGer Rall, René Generalsekretär, Schweizerischer Anwaltsverband Richard, Pascal Präsident der Abteilung II, BVGer Rielle La Bella, Stephanie Generalsekretärin, BVGer Rochat Pauchard, Annie Präsidentin der Abteilung I, BVGer Roy, Garré Präsident der Beschwerdekammer, BStGer Ryter, Marianne Präsidentin, BVGer Schweizer, Mark Präsident, BPatGer Seiler, Hans Georg Präsident der Zweiten öffentlich-rechtlichen Abteilung, BGer Spälti Giannakitsas, Nina Präsidentin der Abteilung IV, BVGer Stupf, Martin Präsident der Strafkammer, BStGer Thormann, Olivier Präsident der Berufungskammer, BStGer Tschümperlin, Paul Generalsekretär, BGer

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von Werdt, Niklaus Weiss, David

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Richter an der Zweiten zivilrechtlichen Abteilung, BGer Präsident der Abteilung III, BVGer

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Anhang 1

Herangehensweise der Evaluation

Ziele der Politik:

Rechtmässigkeit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte sind die zentralen Grundsätze der Schweizer Justiz, die den Verfahrensbeteiligten durch Artikel 30 BV garantiert werden.


Mittel, diese zu erreichen:

Zur Konkretisierung dieser Garantien haben die eidgenössischen Gerichte (Bundesgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundesstrafgericht und Bundespatentgericht) Verfahren zur Verteilung der Geschäfte auf die Richterinnen und Richter definiert. Diese Verteilung muss auf transparenten und objektiven Kriterien beruhen.


Gegenstand der Evaluation:

Die Evaluation befasst sich mit der Zweckmässigkeit der Verfahren der Geschäftsverteilung, den angewendeten Kriterien und Instrumenten sowie mit der Vereinbarkeit dieser Verfahren mit dem übergeordneten Rechtsrahmen.


Fragestellungen der Evaluation:

Entsprechen die Bestimmungen zur Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten den verfassungs- und völkerrechtlichen Anforderungen in diesem Bereich?


Durchgeführte Analysen:

Synthese der Vorgaben der Bundesverfassung und der internationalen Empfehlungen Analyse der gesetzlichen Grundlagen und Reglemente der eidgenössischen Gerichte Juristische Begleitung im Rahmen eines externen Mandats







Sind die Verfahren der Geschäftsverteilung zweckmässig definiert?

Sind die von den Gerichten zur Geschäftsverteilung eingesetzten Instrumente zweckmässig?

Ist die Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung zweckmässig?







Analyse der gerichtsinternen Dokumente Interviews mit den für die Geschäftsverteilung verantwortlichen Personen Überblick über die Unterschiede zwischen den Gerichten und Abteilungen

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Anhang 2

Evaluationskriterien Teilkriterien

Bewertungselemente

Vereinbarkeit der Rechtsgrundlagen mit dem übergeordneten Rechtsrahmen (Frage 1) Normative Qualität der Rechtsgrundlagen

Die Bildung der Spruchkörper ist in generell-abstrakten Rechtsnormen ausdrücklich festgelegt. Die Zuständigkeiten der Abteilungen sind in den Rechtsgrundlagen klar und genau geregelt.

Objektivität und Transparenz der Kriterien für die Geschäftsverteilung

Für die Bildung der Spruchkörper sind Kriterien festgelegt.

Die Kriterien sind transparent und objektiv. Die Gerichte können die Spruchkörper nicht nach freiem Ermessen zusammenstellen.

Angemessene Begrenzung des Ermessensspielraums

Für nachträgliche Abänderungen gibt es transparente und vorhersehbare Kriterien. Die Anforderungen an die Objektivität sind bei nachträglichen Abänderungen höher als bei der ursprünglichen Bildung des Spruchkörpers. Für Abänderungen ist eine Dokumentation und Begründung verlangt.

Überprüfbarkeit und Transparenz der konkreten Umsetzung der Verfahren

Die Bildung des Spruchkörpers kann überprüft werden.

Die Zusammensetzung wird den Verfahrensbeteiligten kommuniziert. Die Entscheidbefugnis liegt bei einer Richterin oder einem Richter. Der Zeitpunkt, zu dem die Spruchkörperbildung erfolgt, ist klar definiert. Die Informationen zum Ablauf der Geschäftsverteilung sind der Öffentlichkeit zugänglich. Der Ablauf ist immer das gleiche.

Zweckmässigkeit der Verfahren der Geschäftsverteilung (Frage 2) Klarheit und TransDie Verfahren sind dokumentiert, klar definiert und eindeuparenz der Verfahren tig. Die Verfahrensschritte und die Zuständigkeiten der verschiedenen Beteiligten sind klar festgelegt.

Wahrnehmung der Unabhängigkeit des Spruchkörpers durch die externen Akteure

Die Verfahren der Geschäftsverteilung sind bekannt. Die Kriterien werden als objektiv erachtet. Die Unabhängigkeit des Spruchkörpers wird nicht infrage gestellt.

Überprüfung der Verfahren und ihrer Umsetzung (inkl. Aufsicht durch das BGer)

Es wird überprüft, ob das vordefinierte Verfahren der Geschäftsverteilung eingehalten wird. Das BGer übt die Aufsicht über die Verfahren der Geschäftsverteilung der Gerichte aus.

Austausch bewährter Praktiken

Die Gerichte thematisieren die Geschäftsverteilung und die guten Praktiken in diesem Bereich und tauschen sich regelmässig darüber aus.

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Teilkriterien

Bewertungselemente

Einhaltung des Rechts- Die Verfahren entsprechen dem Rechtsrahmen.

rahmens Zweckmässigkeit der Instrumente zur Geschäftsverteilung (Frage 3) Systematischer Einsatz der Instrumente zur Geschäftsverteilung

Es existieren Instrumente zur Geschäftsverteilung. Neue Geschäfte werden systematisch mit diesen verteilt. Alle für die Geschäftsverteilung erforderlichen Informationen werden von diesen Instrumenten berücksichtigt.

Eignung der Instrumente für die Umsetzung der vordefinierten Verfahren

Die vordefinierten Verfahren können mit den bestehenden Instrumenten (Informatikprogramme und andere) umgesetzt werden. Die Operationalisierung der Kriterien wird dokumentiert und ist verständlich. Die Nutzerbedürfnisse werden berücksichtigt.

Vorgaben für die Umsetzung manueller Abänderungen

Manuelle Abänderungen des Spruchkörpers sind begründet und bilden eine Ausnahme. Sie erfolgen aus Gründen der Effizienz oder aus qualitativen Gründen. Manuelle Abänderungen werden überprüft.

Einhaltung des Rechtsrahmens

Die Instrumente entsprechen dem Rechtsrahmen.

Zweckmässigkeit der Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung (Frage 4) Angemessene Konkretisierung der Kriterien

Die angewendeten Kriterien beziehen sich auf objektive Aspekte und dienen der Gewährleistung eines effizienten und qualitativ hochwertigen Justizbetriebs. Sie sind klar und eindeutig definiert. Ihre Gewichtung ist klar festgelegt und begründet.

Angemessen genutzter Ermessensspielraum

Unterschiede bei den Verfahren, Kriterien und Instrumenten sind durch die Besonderheiten der einzelnen Gerichte oder Abteilungen begründet (Anzahl und Art der Geschäfte, Anzahl der Richterinnen und Richter, thematische Spezialisierung usw.)

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BBl 2021 2436

Impressum

Durchführung der Untersuchung Marion Baud-Lavigne, PVK (Projektleitung) Dr. Simone Ledermann, PVK (Projektsupervision) Dr. Raoul Kaenzig, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Andreas Tobler, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Armin Hanselmann, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)

Rechtsberatung Mag. rer. publ. Daniel Kettiger, kettiger.ch

Dank Die PVK bedankt sich bei allen, die an dieser Evaluation mitgewirkt haben, namentlich den Generalsekretariaten der verschiedenen eidgenössischen Gerichte für die Bereitstellung der Dokumente und Daten sowie für ihre Auskünfte und Erläuterungen.

Ein Dank gilt auch Daniel Kettiger für die juristische Begleitung dieses Projekts sowie allen Gesprächspartnerinnen und -partnern für die erteilten Auskünfte, namentlich den Richterinnen und Richtern der vier Gerichte.

Kontakt Parlamentarische Verwaltungskontrolle Parlamentsdienste CH-3003 Bern Tel.: +41 58 322 97 99 E-Mail: pvk.cpa@parl.admin.ch www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > PVK Originalsprache des Berichts: Französisch

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