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Schreiben des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend den Schulrekurs der Gemeinde Brusio.

(Vom 25. März 1897.)

Herr Präsident!

Herren National- und Ständeräte l Gegen Ende 1894 wurde uns von Herrn Rechtsanwalt Dr.

Hilty in Chur, namens der Herren G. Th. Misani und Genossen in Brusio, ein Rekurs eingereicht, der mit dem Begehren schließt : ,,Es möchte der Entscheid des Kleinen Rates von Graubünden vom 16. Oktober 1894 aufgehoben und diese Behörde eingeladen werden, dafür zu sorgen, daß die konfessionelle Trennung der Gemeindeschule in Brusio aufgehoben und demgemäß den reformierten Kindern der Gemeinde Brusio der Besuch der öffentlichen Schule, gleich den katholischen Kindern, gestattet werde."

Dieser Rekurs wurde unsererseits nach Anhörung der Gegnerschaft und einläßlicher Prüfung durch Beschluß vom 24. Juni 1895 (vergleiche Bundesblatt 1895, III. 557) als begründet erklärt und der Kleine Rat des Kantons Graubünden eingeladen, dafür zu sorgen, daß die konfessionelle Trennung der Gemeindeschule in Brusio aufgehoben werde.

Mit Brief vom 20. Juli desselben Jahres schrieb uns hierauf der Anwalt der Gemeinde Brusio, Herr J. L. Caflisch in Chur, folgendes : ,,Die Gemeinde Brusio hat den Unterzeichneten als ihren Anwalt beauftragt, gegen den sub 12. a. c. amtlich mitgeteilten bundesrätlichen Rekursentscheid in Sachen der Herren Misani und Kon-

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Sorten, betreffend Trennung der Gemeindeschule in Brusio nach Konfessionen, den Weiterzug an die hohe Bundesversammlung zu erklären.

,,Ich behalte mir vor, namens der Gemeinde Brusio noch zeitig vor Beginn der nächsten ordentlichen Session der h. Bundesversammlung ein bezügliches Rekursmemorial einzureichen.a Ein derartiges Memorial kam jedoch nicht. Wir nahmen daher an, unser Entscheid werde von beiden Parteien anerkannt und brachten Ihnen denselben im Geschäftsbericht für 1895 (Bundesblatt 1896, I, 881) folgendermaßen zur Kenntnis: ,,Die zweite Beschwerde ging aus von einer Anzahl protestantischer Gemeindebürger von Brusio (Graubünden) und verlangte, daß, entgegen einem Entscheid des Kleinen Rates dieses Kantons, die konfessionelle Trennung der Gemeindeschule in Brusio aufgehoben werde und dementsprechend die reformierten Kinder dieser Gemeinde eines gleichwertigen Primarunterriehts teilhaftig werden, wie die katholischen. Dieser Rekurs wurde unsererseits als begründet erkannt. Für das Nähere über die Verhältnisse und die Entscheidungsgründe erlauben wir uns, auf die Veröffentlichung des Entscheides im Bundesblatt (1895, III, 557 ff.) zu verweisen. a Unter dieser Mitteilung erhielt der Entscheid mit dem Geschäftsberichte in beiden Räten die Genehmigung, und zwar im Nationalrate stillschweigend und im Ständerate auf die ausdrückliehe zustimmende Hervorhebung durch den Herrn Kommissiousreferenten.

Unsere Annahme, daß der Entscheid von beiden Parteien anerkannt werde, erwies sich indessen als unrichtig. Im Herbst 1896 wurde nämlich unser Departement des Innern von Seiten der Rekurrenten benachrichtigt, daß noch nichts zur Ausführung desselben geschehen sei. Als das Departement deshalb beim Kleineu Rate von Graubiinden reklamierte, erhielt es am 28. September 1896 von dieser Behörde ein Schreiben, aus welchem hervorgeht, daß die Gemeinde Brusio obige Mitteilung des Herrn Anwalts Caflisch als eine Rekursschrift im Sinne des Art. 192 des Bundesgesetees vom 28. März 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege ansieht und auch von Seiten der Bundesbehörden als solche betrachtet wissen will.

In betreff dieser Vorfrage hat sich unser Justiz- und Polizeidepartement nun dahin ausgesprochen, daß nach seinem Dafürhalten das gesetzliche Requisit der Rekurserklärung durch die vorliegende schriftliche
Eingabe als erfüllt anzusehen sei, daß. j e d o c h die definitive Entscheidung hierüber nicht uns, sondern der R e k u r s i n s t a n z , d. h. I h n e n s e l b s t z u s t e h e und daß mithin die Akten Ihnen zu unterbreiten seien.

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Wir sind dieser Anschauungsweise auf die Empfehlung unseres Departements des Innern beigetreten und erlauben uns demnach, Ihnen die Akten, sowohl zum Entscheid über die Vorfrage, als eventuell zur Beurteilung des Streites selbst, zu übermitteln. Für letztern Fall berufen wir uns, soweit es die Begründung unseres Standpunktes in der Sache betrifft, auf den Inhalt unseres Entscheides vom 24. Juni 1895.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, Herren National- und Ständeräte, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 25. März 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ßingier.

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Schreiben des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend den Schulrekurs der Gemeinde Brusio. (Vom 25. März 1897.)

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31.03.1897

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