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Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Ständerates und des Nationalrates vom 22. Juni 2021

2021-3327

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Übersicht Die gerichtsinternen Verfahren, wie die Geschäfte den einzelnen Richterinnen und Richtern zugeteilt und nach welchen Regeln die Spruchkörper zusammengesetzt werden, sind wenig bekannt und bilden regelmässig Gegenstand von Fragen und Diskussionen in der Öffentlichkeit und in der Rechtsgemeinschaft. Es fehlte bisher eine umfassende Übersicht über die Praxis der Gerichte. Die GPK haben deshalb die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Januar 2019 mit einer Evaluation der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten, d. h. beim Bundesgericht (BGer), beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer), beim Bundesstrafgericht (BStGer) und beim Bundespatentgericht (BPatGer) beauftragt.

Die Evaluation der PVK untersuchte die Verfahren der Geschäftsverteilung, ihre Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Recht und ihre Eignung, einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper zu gewährleisten. Die Evaluation gelangt zu mehrheitlich positiven Ergebnissen, doch hat sie auch gewisse Lücken und Verbesserungspotential aufgezeigt. Gestützt auf die Ergebnisse der Evaluation haben die GPK elf Empfehlungen an die eidgenössischen Gerichte gerichtet. Diese verlangen von den Gerichten unter anderem mehr Transparenz über die Verfahren, so etwa durch deren präzisere Umschreibung in den Reglementen und durch eine Berichterstattung über die Bildung der Spruchkörper, oder auch eine weitere Objektivierung der Bildung der Spruchkörper mit Hilfe von Informatiksystemen.

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Die gerichtsinternen Verfahren, wie die Geschäfte den einzelnen Richterinnen und Richtern zugeteilt und nach welchen Regeln die Spruchkörper zusammengesetzt werden, sind wenig bekannt und bilden regelmässig Gegenstand von Fragen und Diskussionen in der Öffentlichkeit und in der Rechtsgemeinschaft, insbesondere auch, weil die Rechtssuchenden einen Anspruch auf unabhängige und unparteiische Richterinnen und Richter haben (Art. 30 Abs. 1 BV1).

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) haben sich im Rahmen ihrer Oberaufsicht über die Gerichte regelmässig über die Zuteilung der Geschäfte zu den Richterinnen und Richtern informieren lassen, doch fehlte bisher eine umfassende Übersicht über die Praxis der Gerichte. Die GPK haben deshalb die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Januar 2019 mit einer Evaluation der Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten, d. h. beim Bundesgericht (BGer), beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer), beim Bundesstrafgericht (BStGer) und beim Bundespatentgericht (BPatGer) beauftragt.

1.2

Gegenstand der Untersuchung

Die Subkommissionen Gerichte/BA2 der GPK (im Folgenden: Subkommissionen), die für die Evaluation zuständig sind, legten im September 2019 aufgrund einer Projektskizze der PVK die Untersuchungsfragen fest. Diese sahen vor, dass die Verfahren der Geschäftsverteilung, ihre Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Recht und ihre Eignung, einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper zu gewährleisten, untersucht werden sollten.

Von einer Analyse der Spruchkörperbildung in einzelnen Fällen haben die Subkommissionen hingegen abgesehen. Die Effizienz der Richterinnen und Richter sowie allfällige materielle Auswirkungen der Zusammensetzung der Spruchkörper auf die Urteile der Gerichte waren ebenfalls nicht Gegenstand dieser Evaluation.

1 2

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101).

Der Subkommission Gerichte/BA der GPK-S gehören an: Hans Stöckli (Vorsitz), Thierry Burkart, Marco Chiesa, Daniel Fässler, Carlo Sommaruga. Der Subkommission Gerichte/BA der GPK-N gehören an: Manuela Weichelt-Picard (Präsidentin), Marianne Binder-Keller, Prisca Birrer-Heimo, Katja Christ, Yvette Estermann, Erich Hess, Christian Imark, Philippe Nantermod, Isabelle Pasquier-Eichenberger.

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1.3

Vorgehen

Die Subkommissionen haben den Evaluationsbericht der PVK vom 5. November 2020 am 19. November 2020 zur Kenntnis genommen und bewertet. Am 30. April 2021 haben sie den Entwurf des vorliegenden Berichts den Gerichten zur Stellungnahme unterbreitet und am 25. Mai 2021 unter Berücksichtigung der Bemerkungen der Gerichte zu Händen der GPK verabschiedet. Der Bericht wurde von den beiden GPK am 22. Juni 2021 genehmigt und zur Veröffentlichung frei gegeben. Er basiert auf dem Evaluationsbericht der PVK und enthält die Feststellungen und Empfehlungen der GPK. Die Ausführungen des Evaluationsberichts werden darin nur wiedergegeben, soweit sie für das Verständnis der Bewertungen und Schlussfolgerungen der GPK notwendig sind. Im Übrigen wird auf den Evaluationsbericht der PVK im Anhang 2 verwiesen.

2

Feststellungen und Empfehlungen

2.1

Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht und Vollständigkeit der Rechtsgrundlagen

Die Evaluation der PVK kommt zum Schluss, dass die zentralen Vorgaben der Bundesverfassung und des Völkerrechts in Bezug auf die Geschäftsverteilung bei den Gerichten grundsätzlich eingehalten werden. Die Gesetze und Reglemente der einzelnen Gerichte legen Verfahren fest, welche die Rechtmässigkeit, die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Gerichte gewährleisten (vgl. Kap. 3.1 der Evaluation im Anhang 2).

Die Normen in den formellen Gesetzen3 über die Gerichte, welche die Zusammensetzung der Spruchkörper der Gerichte regeln4, enthalten die wesentlichen Grundsätze und delegieren die Regelung der Details an die Gerichte selbst.

Auf Verordnungsstufe haben alle vier eidgenössischen Gerichte Reglemente erlassen, die in generell-abstrakter Weise die Bildung der Spruchkörper regeln und festhalten, nach welchen objektiven Kriterien die Verteilung der Geschäfte erfolgen muss5.

3

4

5

Formelle Gesetze sind wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die gemäss Art. 164 BV in Form des Bundesgesetzes vom Parlament erlassen werden und dem fakultativen Referendum unterstehen.

Art. 22 und 32 Abs. 1 BGG (Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 [Bundesgerichtsgesetz], SR 173.110); Art. 24 VGG (Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 17. Juni 2005 [Verwaltungsgerichtsgesetz], SR 173.32); Art. 58 StBOG (Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes vom 19. März 2010 [Strafbehördenorganisationsgesetz], SR 173.71); Art. 21 PatGG (Bundesgesetz über das Bundespatentgericht vom 20. März 2009 [Patentgerichtsgesetz], SR 173.41).

Für das BGer: Art. 40 und 42 BGerR (Reglement für das Bundesgericht vom 20. Nov.

2006, SR 173.110.131); für das BVGer: Art. 26, 31 und 32 VGR (Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht vom 17. April 2008, SR 173.320.1); für das BStGer: Art. 15 BStGerOR (Organisationsreglement für das Bundesstrafgericht vom 31. August 2010 [Organisationsreglement BStGer], SR 173.713.161); für das BPatGer Art. 7 GR-PatGer (Geschäftsreglement für das Bundespatentgericht vom 28. Sept. 2011, SR 173.413.1).

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Damit genügen die Rechtsgrundlagen zur Bildung der Spruchkörper nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts den Anforderungen der Bundesverfassung sowie der für die Schweiz verbindlichen internationalen Rechtsnormen, die darauf abzielen zu garantieren, dass der Spruchkörper unabhängig ist und nicht willkürlich oder in Abhängigkeit des konkreten Falls zusammengesetzt wird, um das Urteil in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen.6 Hingegen hat die Evaluation gezeigt, dass die Reglementsbestimmungen der Gerichte nicht immer vollständig sind. Teilweise fehlen darin bestimmte Kriterien, die bei der Spruchkörperbildung in der Praxis berücksichtigt werden. So ist etwa die Abwesenheit von Bundesverwaltungsrichterinnen und -richtern in Artikel 31 Absatz 3 VGR nicht erwähnt, obwohl das BVGer dieses Kriterium anwendet. Das Gleiche gilt für das Kriterium Sprache beim BPatGer. In den Reglementen der Gerichte figurieren auch die Ausstandsgründe nicht, obwohl diese als gesetzliche Vorgaben regelmässig bei der Bildung der Spruchkörper oder aber bei deren nachträglichen Änderung berücksichtigt werden müssen (vgl. Kap. 3.2 der Evaluation im Anhang 2).

In Bezug auf die Rechtsgrundlagen kommen die GPK zum Schluss, dass auf Stufe der Gesetzgebung des Parlaments kein Handlungsbedarf besteht. Hingegen ist nach Meinung der GPK anzustreben, dass die Reglemente der Gerichte die Praxis möglichst weitgehend abbilden und damit Transparenz über das tatsächliche Verfahren bei der Verteilung der Geschäfte herstellen sollten, wobei anzumerken ist, dass den GPK keine Hinweise vorliegen, dass die in der Praxis berücksichtigten Kriterien bei der Bildung der Spruchkörper nicht objektiv begründet und im übergeordneten Rechtsrahmen zulässig sind.

Die GPK erachten es als angezeigt, dass die eidgenössischen Gerichte aufgrund der vorliegenden Evaluation selber einen möglichen Handlungsbedarf bezüglich der Vollständigkeit der gesetzlichen Grundlagen klären und die konkreten Schlussfolgerungen in Bezug auf die von ihnen erlassenen Detailregeln in den Reglementen ziehen. Die GPK beschränken sich daher auf folgende allgemeine Empfehlung: Empfehlung 1:

Vollständigkeit der objektiven Zuteilungskriterien

1. Die eidgenössischen Gerichte überprüfen ihre Reglemente im Hinblick auf die Vollständigkeit der objektiven Kriterien, die bei der Zusammensetzung der Spruchkörper in der Praxis berücksichtigt werden.

2. Sie passen gegebenenfalls die generell-abstrakten Reglementsbestimmungen der gelebten Praxis an, mit dem Ziel, dass diese die Wirklichkeit abbilden und so Transparenz über die angewendeten Kriterien schaffen.

6

Insb. Art. 6 Abs. 1 EMRK (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. Nov. 1950, SR 0.101); siehe BGE 144 I 37, E. 2.1.

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Der Zeitpunkt der Spruchkörperbildung ist ein weiterer Aspekt des Verfahrens bei der Geschäftsverteilung, der gemäss den Empfehlungen von Organen internationaler Organisationen7 an den Gerichten transparent geregelt werden sollte. Während das BVGer und das BPatGer in ihren Reglementen festgelegt haben, wann der gesamte Spruchkörper bezeichnet werden muss (Art. 32 Abs. 1 VGR und Art. 7 Abs. 3 GR-PatGer), ist dieser Aspekt in den Reglementen des BGer und des BStGer nicht geregelt. Das BGer hat mit Änderung per 4. März 2013 Art. 40 Abs. 3 seines Reglements vom 20. November 2006 wieder gestrichen, wonach der Präsident oder die Präsidentin die weiteren mitwirkenden Richter und Richterinnen gleichzeitig mit dem Referenten oder der Referentin bestimmte (vgl. Kap. 3.2 der Evaluation im Anhang 2).

Aus Sicht der GPK ist kein Grund erkennbar, weshalb das BGer und das BStGer in ihren Reglementen den Zeitpunkt, wann der Spruchkörper gebildet bzw. vervollständigt wird, nicht festschreiben könnten. Im Sinne der Klärung und der Transparenz der Verfahren ist eine entsprechende Regelung wünschbar.

Empfehlung 2:

Regelung des Zeitpunkts der Bildung des Spruchkörpers

Das BGer und das BStGer regeln in ihren Reglementen den Zeitpunkt, wann sie den Spruchkörper bestimmen bzw. vervollständigen.

Im Weiteren werden die Reglemente der Gerichte den internationalen Empfehlungen, wonach die Verfahrensbeteiligten rechtzeitig vor Verfahrensbeginn über die Zusammensetzung informiert werden sollen, nicht durchwegs gerecht. Im Kern geht es dabei darum, den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu geben, bestimmte Richterinnen oder Richter abzulehnen bzw. deren Ausstand zu verlangen. Entsprechende Regelungen fehlen in allen Reglementen. Das BGer und das BVGer kommunizieren die Zusammensetzung der Spruchkörper nicht aktiv und gehen davon aus, dass die Verfahrensbeteiligten die Liste der infrage kommenden Richterinnen und Richter im Internet konsultieren. Auch die Beschwerdekammer des BStGer kommuniziert die Zusammensetzung der Spruchkörper nicht, während das BPatGer sowie die Strafkammer und die Berufungskammer des BStGer diese den Parteien systematisch mitteilen (vgl.

Kap. 3.2 der Evaluation im Anhang 2).

Nach Meinung der GPK ist es ein Gebot der Fairness, dass die Gerichte den Verfahrensbeteiligten die Besetzung des Spruchkörpers nach dessen Bildung aktiv kommunizieren.

7

Die PVK überprüfte die Empfehlungen für die Geschäftsverteilung an den Gerichten der folgenden Organe von internationalen Organisationen: Ministerkomitee des Europarates; Beirat europäischer Richterinnen und Richter (Conseil consultatif de juges européens [CCJE]), Organ des Ministerkomitees des Europarates; Kommission von Venedig, Konsultativorgan des Europarates; Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), Organ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE); European Network of Councils for the Judiciary (ENCJ), europäisches Netz der Räte für das Justizwesen der Länder der Europäischen Union. Die Empfehlungen sind für die Schweiz nicht verbindlich, aber sie zeigen auf, welche Ansprüche international an die Verfahren der
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Empfehlung 3:

Kommunikation der Zusammensetzung des Spruchkörpers

Die eidgenössischen Gerichte teilen den Verfahrensbeteiligten die Zusammensetzung des Spruchkörpers aktiv mit und ergänzen ihre Reglemente, wo nötig, mit einer entsprechenden Regelung.

Die Evaluation der PVK hat weiter festgestellt, dass die Art und Weise, wie die Zusammensetzung des Spruchkörpers nachträglich geändert wird, in den Rechtsgrundlagen keines der Gerichte geregelt ist. Eine Ausnahme bilden die Reglemente von drei Abteilungen des BVGer, welche vorsehen, dass Änderungen des Spruchkörpers aus wichtigen Gründen möglich sind (vgl. Kap. 3.3 der Evaluation im Anhang 2). Gemäss den internationalen Empfehlungen hat die Abänderung des Spruchkörpers strengeren Kriterien zu folgen als dessen ursprüngliche Zusammensetzung, damit sichergestellt ist, dass keine Änderungen vorgenommen werden, um den Entscheid in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen.

Die GPK haben aufgrund der Evaluation der PVK keine konkreten Hinweise, dass die nachträgliche Abänderung von Spruchkörpern bei den eidgenössischen Gerichten nicht nur dann erfolgt, wenn dies nach objektiven Kriterien erforderlich ist. Doch sind die GPK der Meinung, dass die Reglemente der Gerichte eine klare Regelung der Voraussetzungen und Kriterien, nach denen eine Richterin oder ein Richter nachträglich im Spruchkörper ausgewechselt werden darf, enthalten sollten. Dies dient der Transparenz gegenüber den Rechtssuchenden und der Nachvollziehbarkeit der Verfahren bei der Bildung der Spruchkörper.

Empfehlung 4:

Regelung der nachträglichen Änderung der Zusammensetzung der Spruchkörper

Die eidgenössischen Gerichte überprüfen und ergänzen ihre Reglemente im Hinblick auf eine klare Regelung der Voraussetzungen und Kriterien, wann eine Richterin oder ein Richter nachträglich im Spruchkörper ausgewechselt wird.

2.2

Zweckmässige Verfahren, aber wenig Transparenz und kaum gerichtsinterne Überprüfung

Die Evaluation der PVK beurteilt die Verfahren der Gerichte bei der Geschäftsverteilung grundsätzlich als angemessen; es fehlt ihnen aber an Transparenz. Sie sind nur wenig dokumentiert und werden gerichtsintern kaum überprüft (Kap. 4 der Evaluation im Anhang 2).

Die Grundzüge des Verfahrens der Geschäftsverteilung sind zwar in den Gesetzen und Reglementen festgelegt, doch bleibt den für die Bildung der Spruchkörper verantwortlichen Abteilungs- oder Kammerpräsidentinnen und -präsidenten gleichwohl noch ein gewisser Ermessensspielraum im Einzelfall. In der Öffentlichkeit ist nur wenig darüber bekannt, wie das Verfahren der Spruchkörperbildung genau abläuft.

Die Transparenz der Geschäftszuteilung ist jedoch für das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichtsbarkeit von grosser Bedeutung.

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In diesem Zusammenhang würden es die GPK aus Gründen der Transparenz und der Nachvollziehbarkeit der Bildung der Spruchkörper begrüssen, wenn das BVGer die heute unveröffentlichten Abteilungsreglemente ebenfalls veröffentlichen würde.

Empfehlung 5:

Veröffentlichung der Abteilungsreglemente des BVGer

Das BVGer prüft aus Gründen der Transparenz und der Nachvollziehbarkeit der Bildung der Spruchkörper, seine heute unveröffentlichten Abteilungsreglemente zu veröffentlichen.

Die Geschäftsverteilung wird zudem gerichtsintern kaum überprüft. Nur am BGer wird eine jährliche Berichterstattung zuhanden des Gesamtgerichts und des (nichtöffentlichen und vertraulichen) Controlling-Berichts an die GPK erstellt. Artikel 42 Absatz 1 BGerR sieht vor, dass die Verwaltungskommission (VK BGer) gestützt auf die Angaben der Abteilungen jährlich einen Bericht über die Einhaltung der reglementarischen Vorschriften zur Bildung der Spruchkörper erstellt (Art. 40 BGerR).

Der Bericht enthält statistische Angaben über die wichtigsten Zuteilungskriterien an die Referentinnen bzw. Referenten (erstes Mitglied des Spruchkörpers) durch die Präsidentin oder den Präsidenten, die oder der als zweites Mitglied mitwirkt. Zudem sind im Bericht Angaben über die Anzahl der Fälle, in denen die Abteilungspräsidien das Informatiksystem CompCour bei der automatischen Bestimmung des dritten Mitglieds, sowie bei Fünfer-Besetzungen des vierten und fünften Mitglieds des Spruchkörpers übersteuert haben, um einem anderen Kriterium Vorrang einzuräumen.

Weiter weist der Bericht aus, zu Gunsten welches Kriteriums diese Abweichungen erfolgten.

Aus Sicht der GPK ist es positiv zu werten, dass die Evaluation der PVK keine Konflikte innerhalb der Gerichte im Zusammenhang mit der Spruchkörperbildung feststellte. Dennoch sind die GPK der Meinung, dass nicht nur das BGer, sondern auch das BVGer, das BStGer und das BPatGer eine gerichtsinterne Datenerfassung und Überwachung zur Spruchkörperbildung sicherstellen sollten. Dies würde dem Ziel dienen sicherzustellen, dass die definierten Verfahren und Kriterien eingehalten werden. Zudem würde das gerichtsinterne Bewusstsein, dass die Geschäftszuteilung frei von jeder Beeinflussung des Ergebnisses sein soll, zusätzlich geschärft.

Im Weiteren regen die GPK an, dass das BGer seine Berichterstattung vervollständigt, und alle gewählten Kriterien bei der Bestimmung der Referentin bzw. des Referenten sowie alle präsidialen Übersteuerungen einschliesslich der Erfassung des bevorzugten Kriteriums erfasst werden.

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Empfehlung 6:

Berichterstattung über die Bildung der Spruchkörper

1. Das BVGer, das BStGer und das BPatGer erstatten gerichtsintern und an die GPK jährlich einen Bericht über die Bildung der Spruchkörper. Die Art der Erfassung der Daten und der Berichterstattung wird in Koordination mit dem BGer als Aufsichtsbehörde erarbeitet.

2. Das BGer vervollständigt seine Berichterstattung über die Bildung der Spruchkörper gemäss Artikel 42 Absatz 1 BGerR Nach Meinung der GPK wäre es im Sinne der Transparenz der Geschäftsverteilung in der Öffentlichkeit wichtig, dass die eidgenössischen Gerichte in ihren Geschäftsberichten eine vereinfachte und reduzierte Berichterstattung über die Bildung der Spruchkörper veröffentlichen würden.

Empfehlung 7:

Berichterstattung über die Bildung der Spruchkörper im Geschäftsbericht

Die eidgenössischen Gerichte prüfen, in welcher Form sie eine jährliche Berichterstattung über die Bildung der Spruchkörper in ihren Geschäftsberichten aufnehmen können, um dem berechtigten öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen. Das BGer koordiniert als Aufsichtsbehörde die Form der Berichterstattung.

2.3

Zweckmässigkeit der Instrumente zur Geschäftsverteilung

Als Instrumente zur Unterstützung der Geschäftsverteilung werden am BVGer und am BGer Informatikprogramme eingesetzt, bei welchen die Spruchkörperbildung einem Algorithmus folgt. Beim BStGer und beim BPatGer stützen sich die zuständigen Präsidien dagegen auf Excel-Listen zur Verteilung der Geschäfte (Kap 5 der Evaluation im Anhang 2).

2.3.1

Die Informatiksysteme «Bandlimat» und «CompCour»

Die Evaluation der PVK kommt zum Schluss, dass die Informatikprogramme beim BVGer und beim BGer im Grossen und Ganzen als zweckmässig erscheinen, auch wenn ihr Potenzial nicht ausgeschöpft werde (Kap. 5.1 der Evaluation im Anhang 2).

Die Abteilungspräsidien des BVGer werden bei der Spruchkörperbildung durch das Programm «Bandlimat» weitgehend unterstützt. Es bestimmt nach Berücksichtigung verschiedener Vorgaben und Kriterien wie Sprache, Auslastung der Richterinnen und Richter, Fachkenntnisse usw. sowohl die Instruktionsrichterin oder den Instruktionsrichter als auch die übrigen Mitglieder des Spruchkörpers. Alle manuellen Anpassungen der automatischen Zusammensetzung müssen mit einem Kommentar im System 9 / 20

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begründet werden.8 Da jedoch sehr viele verschiedene Kriterien berücksichtig werden müssen, die noch nicht alle befriedigend im System vorgesehen sind, müssen die Abteilungspräsidien die Spruchkörper teilweise nachträglich anpassen, um allen Kriterien gerecht zu werden. Trotzdem kommt die Evaluation der PVK zum Schluss, dass die Spruchkörperbildung mit dem aktuellen System weitgehend objektiviert werden kann. Das BVGer ist sich aber der Defizite des heutigen Systems bewusst und stellt sich die Frage, ob ein neues System entwickelt werden müsste, um das Potential einer automatischen Geschäftsverteilung auszuschöpfen. Entsprechende Abklärungen sind zurzeit im Gang.

Das Informatikprogramm «CompCour» beim BGer kommt nur bei der Bestimmung des dritten Mitglieds der Spruchkörper bei Dreierbesetzung bzw. des dritten, vierten und fünften Mitglieds der Spruchkörper in Fünferbesetzung zum Einsatz. Die Referentin bzw. der Referent (erste Richterin bzw. erster Richter) wird von der Abteilungspräsidentin bzw. dem Abteilungspräsidenten bestimmt, die oder der selbst ebenfalls dem Spruchkörper angehört (zweite Richterin bzw. zweiter Richter). Das System berücksichtigt bei der Auswahl gewisse Vorgaben und Kriterien wie Arbeitslast, Spezialkenntnisse usw. Die manuellen Änderungen durch die Abteilungspräsidentin oder den -präsidenten der von «CompCour» zusammengestellten Spruchkörper oder die manuelle Benennung der dritten, vierten und fünften Richterinnen und Richter muss in einem Kommentar begründet werden.

Gemäss der Evaluation der PVK wurde höchstens ein Drittel der Richterinnen und Richter, die 2019 einen Fall beurteilt haben, durch das Programm bestimmt.9 Die Evaluation kommt deshalb zum Schluss, dass das Potential des Programms zur Objektivierung der Spruchkörperbildung nicht ausgeschöpft werde.

Bei der Entwicklung des Programms «CompCour» hat das BGer bewusst darauf verzichtet, die Referentin bzw. den Referenten der Spruchkörper durch das System auswählen zu lassen. Es begründete dies u. a. mit Artikel 32 Absatz 1 BGG. Diese Bestimmung lautet: Der Präsident oder die Präsidentin der Abteilung leitet als Instruktionsrichter beziehungsweise Instruktionsrichterin das Verfahren bis zum Entscheid; er oder sie kann einen anderen Richter oder eine andere Richterin mit dieser Aufgabe betrauen. Aufgrund dieser
Bestimmung müsse ­ so die Argumentation des Bundesgerichts - die Benennung der entsprechenden Person manuell erfolgen.

Diese Begründung ist für die GPK nicht nachvollziehbar, kommt doch das BVGer bei einer sinngemäss gleichlautenden Bestimmung (Art. 31 Abs. 2 VGR) zum Schluss, dass der Instruktionsrichter oder die Instruktionsrichterin sehr wohl durch das System «Bandlimat» zugeteilt werden kann.

8

9

Das BVGer hat im Frühjahr 2021 mit einem Softwarerelease eine erweiterte Begründungspflicht eingeführt. Seit diesem Release müssen sämtliche Anpassungen an bestehenden Spruchkörpern, aber auch manuelle Besetzungen bei neuen Spruchkörpern anhand einer abschliessenden Liste an Gründen begründet werden. Bei gewissen Punkten ist zudem ein ergänzender Kommentar erforderlich. So muss beispielsweise bei Ausständen ergänzend kommentiert werden, welche Richterin oder welcher Richter des abzuändernden Spruchkörpers in den Ausstand getreten ist.

Dabei wurden allerdings 2733 (34,4 Prozent) der Fälle im Einzelrichterverfahren erledigt.

Dafür ist von Gesetzes wegen grundsätzlich das Abteilungspräsidium zuständig (Art. 32 Abs. 1 und 2 sowie Art. 108 Abs. 1 und 2 BGG).

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Im Weiteren geben die GPK zu bedenken, dass die Praxis des Bundesgerichts den Abteilungspräsidien eine bevorzugte Stellung im Hinblick auf seinen Einfluss auf die Rechtsprechung gibt, die sich so nicht aus dem Gesetz ergibt. Sie bestimmen nicht nur eigenhändig die Instruktionsrichterinnen und -richter, sondern nehmen selbst an jedem Dreierentscheid teil, was den Vorgaben des Gesetzes nicht zu entnehmen ist.

Der Instruktionsrichter hat naturgemäss einen grossen Einfluss auf den Ausgang des von ihm instruierten Verfahrens. Der Abteilungspräsident kann einerseits Fälle, an deren Ausgang er interessiert ist, sich selbst zuteilen oder aber einem Mitrichter, der in einer bestimmten Rechtsfrage dieselbe Meinung vertritt wie er. Zusammen bilden sie bereits eine Mehrheit der Dreierbesetzung. Die grosse Mehrheit der Entscheide am BGer (ohne Einzelrichterentscheide) wird in Dreierbesetzungen gefällt (2020 waren es 4529 von 5066 oder 89,4 Prozent). Zieht man weiter in Erwägung, dass die Bundesrichterinnen und Bundesrichter von der Bundesversammlung grundsätzlich als gleichwertige Richterinnen und Richter gewählt werden (abgesehen vom Präsidium des Gesamtgerichts) und die Abteilungspräsidien durch das Bundesgericht und nicht von der Bundesversammlung bestimmt werden, stellt sich die Frage nach der Legitimation der Abteilungspräsidien für diese starke Stellung innerhalb der Richterschaft.

Aus Sicht der GPK wäre es daher wünschenswert, dass das BGer seine Praxis überdenkt und eine weitere Objektivierung der Bildung der Spruchkörper prüft, indem auch der Instruktionsrichter bzw. die Instruktionsrichterin durch das Informatikprogramm zugeteilt wird.

Empfehlung 8:

Prüfung einer weiteren Objektivierung der Spruchkörperbildung

Das BGer prüft eine weitere Objektivierung der Bildung der Spruchkörper, indem auch die Instruktionsrichtin bzw. der Instruktionsrichter durch ein Informatikprogramm zugeteilt wird.

2.3.2

Excel-Listen als Instrumente zur Bildung der Spruchkörper

Das BStGer und das BPatGer verwenden keine Informatikprogramme zur automatischen Bildung des Spruchkörpers, sondern stützen sich auf Excel-Listen (Kap. 5.2 der Evaluation im Anhang 2).

Die Evaluation der PVK kommt zum Ergebnis, dass die am BStGer verwendeten Excel-Listen nicht spezifisch auf die Geschäftsverteilung ausgerichtet sind, sondern eher für die Geschäftsverwaltung entwickelt wurden. So kann zwar die Arbeitslast der Richterinnen und Richter mit diesen Listen ermittelt werden, indem überprüft wird, wie viele Dossiers ihnen zugeteilt wurden. Die anderen Kriterien der Geschäftsverteilung wie beispielsweise die Sprache, die Abwesenheiten der Richterinnen und Richter oder deren spezifische Kenntnisse können mit den derzeit genutzten Instrumenten hingegen nicht berücksichtigt werden.

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Aus Sicht der GPK könnte es für das BStGer zweckmässig sein, ein Programm zur automatisierten Spruchkörperbildung zu entwickeln, was im Übrigen bereits von der Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) empfohlen wurde.10 Das BStGer könnte gegebenenfalls von Synergien mit den Entwicklungsarbeiten des BVGer profitieren.

Hingegen erachten es die GPK für das BPatGer angesichts seiner überschaubaren Anzahl Fälle als nicht erforderlich, ein entsprechendes Programm einzuführen.

Empfehlung 9:

Prüfung der Entwicklung eines Informatikprogramms

Das BStGer prüft, ein Programm zur automatisierten Spruchkörperbildung zu entwickeln.

2.4

Zweckmässigkeit der Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung

Die Evaluation der PVK hat die Zweckmässigkeit der Umsetzung der Verfahren der Geschäftsverteilung nur indirekt untersucht, indem sie sich auf die Angaben zur Umsetzung der Verfahren in den Dokumenten und in Interviews stützte. Auf die Überprüfung der Spruchkörperbildung anhand von konkreten einzelnen Fällen wurde gemäss dem Beschluss der Subkommissionen verzichtet. Die Evaluation kommt zum Ergebnis, dass die Kriterien für die Spruchkörperbildung nicht einheitlich berücksichtigt und nach ihrer Bedeutung gewichtet werden. Einige Unterschiede sind durch die jeweiligen Besonderheiten der Gerichte bedingt (Kap. 6 der Evaluation im Anhang 2).

2.4.1

Uneinheitliche Anwendung und fehlende Gewichtung der Kriterien

Die Evaluation der PVK stellt fest, dass die Geschäftsverteilung bei den vier eidgenössischen Gerichten anhand zahlreicher Kriterien erfolgt. Aus rechtlicher Sicht sind diese Kriterien objektiv, da sie auf Effizienz- und Qualitätsanforderungen beruhen.

Bei der praktischen Spruchkörperbildung stellt sich aber die Frage, ob die Kriterien nicht nur an sich objektiv sind, sondern ob sie auch objektiv angewendet werden.

Die Anwendung der Kriterien variiert stark von Gericht zu Gericht und selbst von Abteilung zu Abteilung. Bei der Bestimmung der Referentin oder des Referenten bzw.

der Instruktionsrichterin oder des Instruktionsrichters ist meistens die Sprache ausschlaggebend. Das Kriterium der Arbeitslast spielt bei der Bildung der Spruchkörper ebenfalls bei allen Gerichten eine wichtige Rolle, Unterschiede gibt es aber in der Gewichtung der Fälle. Während einzelne Abteilungen bzw. Kammern die Arbeitslast nur nach Anzahl der Dossiers beurteilen, wird bei anderen zwischen leichten Fällen und schweren Fällen unterschieden. Unterschiede gibt es auch bei anderen Kriterien, 10

Staatengruppe gegen Korruption (GRECO): Vierte Evaluationsrunde, Prävention von Korruption bei Mitgliedern von Parlamenten, Gerichten und Staatsanwaltschaften.

Evaluationsbericht Schweiz, 2016, S. 35.

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wie der Gewichtung der Spezialkenntnisse oder der Dauer der Abwesenheiten einer Richterin oder eines Richters. Allerdings zeigt die Evaluation auch auf, dass viele Unterschiede in der Praxis sich aus der starken Verschiedenheit der Aufgaben der Gerichte und ihrer Abteilungen und Kammern erklären.

Weiter hat die Evaluation aufgezeigt, dass die einzelnen Kriterien der Geschäftszuteilung weder in den Rechtsgrundlagen noch in den internen Dokumenten gewichtet bzw. priorisiert werden, obwohl sie von unterschiedlicher Bedeutung sind und unterschiedlich häufig angewendet werden. Dort, wo die Spruchkörperbildung mit Hilfe von Informatikprogrammen geschieht und manuelle nachträgliche Änderungen der vorgeschlagenen Zusammensetzung der Spruchkörper im System begründet werden müssen, ist die Gewichtung der Kriterien immerhin nachvollziehbar. Dort, wo die zuständigen Abteilungs- oder Kammerpräsidien die Geschäftsverteilung manuell im Rahmen ihres Ermessens vornehmen, ist die Anwendung der einzelnen Kriterien nicht nachvollziehbar, und damit auch nicht überprüfbar, wenn eine explizite Gewichtung bzw. Priorisierung der Kriterien fehlt.

Die GPK anerkennen, dass den Gerichten bei der Geschäftszuteilung ein gewisser Ermessensspielraum verbleiben muss, um ein Gleichgewicht zwischen strikten Automatismen und der für die Gewährleistung einer effektiven und effizienten Justiz nötigen Flexibilität zu finden. Dennoch erachten sie es für sinnvoll, dass die Gerichte prüfen, eine explizite Gewichtung bzw. Priorisierung der angewendeten Kriterien bei der Spruchkörperbildung vorzunehmen und diese in ihren Reglementen festzuschreiben.

Empfehlung 10:

Prüfung einer expliziten Gewichtung bzw. Priorisierung der Kriterien

Die Gerichte prüfen, eine explizite Gewichtung bzw. Priorisierung der angewendeten Kriterien bei der Spruchkörperbildung vorzunehmen und diese in ihren Reglementen festzuschreiben.

2.4.2

Das Kriterium der politischen Zugehörigkeit

Die Parteizugehörigkeit ist eine ungeschriebene Wahlvoraussetzung bei den Richterinnen und Richtern der Gerichte mit Ausnahme des BPatGer. Die Gerichtskommission schlägt der Bundesversammlung die Richterinnen und Richter gemäss ihrer Parteizugehörigkeit nach einem Verteilschlüssel der politischen Kräfte vor. Dieser langjährigen Schweizer Tradition liegt die Haltung zu Grunde, dass auch die Richterinnen und Richter eine innere Haltung haben und die verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen in den Gerichten angemessen vertreten sein sollten.

Im Gegensatz dazu wird die politische Zugehörigkeit der Richterinnen und Richter (Kap. 6.1 der Evaluation im Anhang 2) in den Rechtsgrundlagen der Gerichte nicht als Kriterium erwähnt. Beim BGer wird der politischen Zugehörigkeit insofern Rechnung getragen, als gemäss einer ungeschriebenen internen Regel die sieben Abteilungen so zusammengesetzt werden, dass ihre fünf oder sechs Mitglieder nicht mehrheitlich derselben Partei angehören dürfen. Dadurch wird sichergestellt, dass bei 13 / 20

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Grundsatzentscheiden, die in Fünferbesetzungen einer Abteilung erfolgen, keine Partei die Mehrheit hat. Ferner achtet das BGer auf die politische Zusammensetzung, wenn eine politische Partei am Verfahren beteiligt ist.

Die von der PVK befragten Personen der Gerichte äusserten mehrheitlich die Befürchtung, dass die Berücksichtigung der politischen Zugehörigkeit bei der Geschäftsverteilung ein kontraproduktives Signal hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter darstellen würde, da diese unabhängig von ihrer Partei und nur dem Recht verpflichtet urteilen sollen. Die politische Zugehörigkeit der Richterinnen und Richter ist auf den Websites des BVGer und des BStGer ersichtlich, jedoch nicht beim BGer.

Dass die politische Parteizugehörigkeit bei der Bildung der Spruchkörper nicht berücksichtigt wird, ist teilweise in der Öffentlichkeit auf Kritik gestossen. Insbesondere wurden Vermutungen geäussert, dass die Parteizugehörigkeit von Richterinnen und Richtern der Asylabteilungen beim BVGer den Ausgang von Urteilen beeinflusst hätten.

Bisher gibt es zur Bedeutung der politischen Überzeugung für richterliches Verhalten in der Schweiz wenig gesicherte Daten. Kürzlich wurde nun eine Studie im Schweizerischen Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht publiziert11, die anhand einer grossen Anzahl von Dreierentscheiden am BVGer den Einfluss der Parteizugehörigkeit auf Entscheide im Asylrecht, im Sozialversicherungsrecht sowie im Ausländerrecht in den Jahren 2007 bis 2019 untersuchte. Die Untersuchung stellte im Ausländerrecht keinen signifikanten Einfluss der Parteizugehörigkeit, im Sozialversicherungsrecht dagegen einen zwar statistisch signifikanten, jedoch praktisch sehr kleinen Einfluss und im Asylrecht einen statistisch signifikanten Zusammenhang fest.

Allerdings weist der Autor zu Recht darauf hin, dass sich die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf andere Rechtsgebiete am BVGer oder auf das BGer und andere Gerichte übertragen lassen, da das Asylrecht eine Reihe von Besonderheiten aufweist.12 Die GPK gelangen zum Schluss, dass es aufgrund der bislang einzigen derartigen Studie nicht angezeigt wäre, an allen Gerichten generell die Parteizugehörigkeit als Kriterium bei der Bildung der Spruchkörper zu verlangen.

Im Weiteren sind die GPK der Meinung, dass das BGer auf seiner Website die Parteizugehörigkeit der Bundesrichterinnen und Bundesrichter aus Transparenzgründen wieder publizieren sollte.

Empfehlung 11:

Publikation der Parteizugehörigkeit auf der Website des BGer

Die GPK empfehlen dem BGer, die Parteizugehörigkeit der Bundesrichterinnen und Bundesrichter auf seiner Website zu publizieren.

11 12

Gabriel Gertsch, Richterliche Unabhängigkeit und Konsistenz am Bundesverwaltungsgericht: eine quantitative Studie, ZBl 122/2021 S. 34 ebenda, S. 47 ff.

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Aus Gründen der Transparenz veröffentlichen die GPK in Anhang 1 zu diesem Bericht die politische Zusammensetzung der Abteilungen und Kammern am BGer, am BVGer sowie am BStGer.

3

Weiteres Vorgehen

Die GPK ersuchen das Bundesgericht, unter Einbezug der Stellungnahmen der erstinstanzlichen Gerichte bis am 31. Dezember 2021 zu den Empfehlungen des vorliegenden Berichts sowie zu den ihnen zugrundeliegenden Feststellungen der PVKEvaluation Stellung zu nehmen und darzulegen, mit welchen Massnahmen und bis wann die Gerichte die Empfehlungen der Kommissionen umzusetzen gedenken.

22. Juni 2021

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Die Präsidentin der GPK-S: Ständerätin Maya Graf Der Präsident der GPK-N: Nationalrat Erich von Siebenthal Der Präsident der Subkommission Gerichte/BA-S: Ständeratspräsident Hans Stöckli Die Präsidentin der Subkommission Gerichte/BA-N: Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard Die Sekretärin der Geschäftsprüfungskommissionen: Beatrice Meli Andres Die Sekretärin der Subkommissionen Gerichte/BA: Irene Moser

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Abkürzungsverzeichnis BDIMR

Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, Organ der OSZE

BGer

Bundesgericht

BGerR

Reglement für das Bundesgericht vom 20. November 2006, SR 173.110.131

BGG

Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (Bundesgerichtsgesetz), SR 173.110

BPatGer

Bundespatentgericht

BStGer

Bundesstrafgericht

BStGerOR

Organisationsreglement für das Bundesstrafgericht vom 31. August 2010 (Organisationsreglement BStGer), SR 173.713.161

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101

BVGer

Bundesverwaltungsgericht

CCJE

Beirat europäischer Richterinnen und Richter (Conseil consultatif de juges européens), Organ des Ministerkomitees des Europarates

EMRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. Nov. 1950, SR 0.101

ENCJ

European Network of Councils for the Judiciary (Europäisches Netz der Räte für das Justizwesen der Länder der Europäischen Union

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

GRECO

Staatengruppe gegen Korruption (Groupe d'États contre la corruption)

GR-PatGer

Geschäftsreglement für das Bundespatentgericht vom 28. September 2011, SR 173.413.1

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PatGG

Bundesgesetz über das Bundespatentgericht vom 20. März 2009 (Patentgerichtsgesetz), SR 173.41

PVK

Parlamentarische Verwaltungskontrolle

StBOG

Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes vom 19. März 2010 (Strafbehördenorganisationsgesetz), SR 173.71

VGG

Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 17. Juni 2005 (Verwaltungsgerichtsgesetz), SR 173.32

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VGR

Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht vom 17. April 2008, SR 173.320.1

VK BGer

Verwaltungskommission des Bundesgerichts

ZBl

Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht

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Anhang 1

Parteipolitische Zusammensetzung der Abteilungen bzw.

Kammern des Bundesgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesstrafgerichts13 Bundesgericht Erste öffentlich-rechtliche Abteilung Lorenz Kneubühler (Präsident, SP), François Chaix (FDP), Monique Jametti (SVP), Stephan Haag (GLP), Thomas Müller (SVP), Laurent Merz (Grüne) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Marie-Claire Pont Veuthey (CVP), Richard Weber (SVP), Yann-Eric Hofmann (CVP), Jeremias Fellmann (SP) Zweite öffentlich-rechtliche Abteilung Hans Georg Seiler (Präsident, SVP), Florence Aubry Girardin (Grüne), Yves Donzallaz (SVP), Julia Hänni (CVP), Michael Beusch (SP) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Rolf Benz (GLP), Federica De Rossa (SP), Markus Berger (SP), Vincent Martenet (FDP) Erste zivilrechtliche Abteilung Fabienne Hohl (Präsidentin, FDP), Christina Kiss (FDP), Martha Niquille (CVP), Yves Rüedi (SVP), Marie Chantal May Canellas (CVP) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Christian Kölz (Grüne), Mattia Pontarolo (CVP) Zweite zivilrechtliche Abteilung Christian Herrmann (Präsident, SVP), Elisabeth Escher (CVP), Luca Marazzi (FDP), Nicolas von Werdt (SVP), Felix Schöbi (BDP), Grégory Bovey (FDP) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Christine Arndt (SVP), Catherine Reiter (Grüne), Céline Courbat (SVP) Strafrechtliche Abteilung Laura Jacquemoud-Rossari (Präsidentin, CVP), Christian Denys (Grüne), Giuseppe Muschietti (FDP), Beatrice van de Graaf (SVP), Sonja Koch (SVP), Christoph Hurni (GLP) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Yvona Griesser (SVP), Cordula Lötscher (CVP), Beata Wasser-Keller (SVP), Christian Kölz (Grüne) Erste sozialrechtliche Abteilung Marcel Maillard (Präsident, CVP), Alexia Heine (SVP), Martin Wirthlin (SP), Daniela Viscione (SVP), Bernard Abrecht (SP)

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Stichdatum: 22. Juni 2021

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Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Sarah Bechaalany (Grüne), Aileen Truttmann (FDP) Zweite sozialrechtliche Abteilung Francesco Parrino (Präsident, SP), Thomas Stadelmann (CVP), Lucrezia Glanzmann (FDP), Margit Moser-Szeless (Sympathisantin SVP) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Matthias Kradolfer (FDP)

Bundesverwaltungsgericht Abteilung 1 Kammer 1: Claudia Pasqualetto Péquignot (Kammerpräsidentin, FDP), Christine Ackermann (CVP), Emilia Antonioni Luftensteiner (Grüne), Jérôme Candrian (FDP), Maurizio Greppi (SP), Alexander Misic (GLP), Jürg Tiefenthal (SVP) Kammer 2: Annie Rochat Pauchard (Abteilungspräsidentin, CVP), Sonja Bossart Meier (CVP), Raphaël Gani (SP), Keita Mutombo (SP), Marianne Ryter (SP), Jürg Steiger (SVP) Abteilung II14 Pascal Richard (Abteilungspräsident, CVP), Christian Winiger (stv. Abteilungspräsident, SP), Maria Amgwerd (CVP), Pietro Angeli-Busi (CVP), David Aschmann (FDP), Jean-Luc Baechler (SVP), Stephan Breitenmoser (CVP), Francesco Brentani (CVP), Kathrin Dietrich (CVP), Ronald Flury (FDP), Martin Kayser (SP), Vera Marantelli-Sonanini (FDP), Eva Schneeberger (FDP), Marc Steiner (SP), Daniel Willisegger (SVP) Abteilung III David Weiss (Abteilungspräsident, SVP), Caroline Gehring (stv. Abteilungspräsidentin, CVP), Caroline Bissegger (SVP), Michela Bürki Moreni (SP), Viktoria Helfenstein (CVP), Madeleine Hirsig-Vouilloz (CVP), Michael Peterli (Sympathisant Grüne), Christoph Rohrer (SVP), Daniel Stufetti (SVP), Vito Valenti (FDP), Beat Weber (FDP) Abteilung IV Kammer 1: Contessina Theis (Abteilungspräsidentin, Grüne), Daniela Brüschweiler (BDP), Daniele Cattaneo (FDP), Yanick Felley (SVP), Mia Fuchs (SP), Walter Lang (parteilos), Kammer 2: Gérald Bovier (Kammerpräsident, SVP), Gérard Scherrer (parteilos), Jeannine Scherrer-Bänziger (SVP), Nina Spälti Giannakitsas (SP), Simon Thurnheer (SVP) 14

In der Abteilung II gibt es keine eigentlichen Kammern mehr, sondern acht Fachgebiete.

Der Abteilungspräsident leitet die Fachgebiete 1, 3, 4 und 7, der stv. Abteilungspräsident die Fachgebiete 2, 5, 6 und 8. Das Präsidium (Abteilungspräsident und stv. Abteilungspräsident) ist verantwortlich für die Geschäftsverteilung und teilt die neu eingehenden Fälle den Richterinnen und Richtern grundsätzlich nach dem Zufallsprinzip entsprechend den Gebietszuständigkeiten der Fachgebiete zu. Die Spruchkörperbildung erfolgt innerhalb der Fachgebiete analog zur Geschäftsverteilung in den Kammern.

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Abteilung V Kammer 1: Barbara Balmelli-Mühlematter (Abteilungspräsidentin, GLP), Gabriela Freihofer (SVP), Christa Luterbacher (SP), Camilla Mariéthoz Wyssen (Sympathisantin Grüne), Lorenz Noli (SVP), Roswitha Petry (CVP), William Waeber (SP) Kammer 2: Constance Leisinger (Kammerpräsidentin, SP), Muriel Beck Kadima (Grüne), Déborah D'Aveni (SP), Markus König (SP), Esther Marti (GLP), Grégory Sauder (SVP), David Wenger (SVP) Abteilung VI Gregor T. Chatton (Abteilungspräsident, CVP), Regula Schenker Senn (stv. Abteilungspräsidentin, SP), Yannick Antoniazza (BDP), Daniele Cattaneo (FDP), Claudia Cotting-Schalch (FDP), Jenny Rose de Coulon Scuntaro (FDP), Susanne Genner (SP), Fulvio Haefeli (SVP), Andreas Trommer (FDP)

Bundesstrafgericht Berufungskammer Ordentliche Richterinnen und Richter: Olivier Thormann (Präsident, FDP), Andrea Blum (SVP), Claudia Solcà (CVP) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Maria-Antonella Bino (FDP), Frédérique Bütikofer Repond (CVP), Thomas Frischknecht (SP), Katharina Giovannone-Hofmann (Grüne), Beatrice Kolvodouris Janett (FDP), Barbara Loppacher (SP) Jean-Paul Ros (SP), Marcia Stucki (SVP), Petra Venetz (CVP), Jean-Marc Verniory (CVP) Beschwerdekammer Roy Garré (Präsident, SP), Stephan Blättler (SVP), Giorgio Bomio-Giovanascini (SP), Cornelia Cova (SVP), Miriam Forni (SP), Patrick Robert-Nicoud (-) Strafkammer Ordentliche Richterinnen und Richter: Martin Stupf (Präsident, CVP), Jean-Luc Bacher (FDP), Fiorenza Bergomi (FDP), David Bouverat (SVP), Josephine Contu Albrizio (FDP), Alberto Fabbri (CVP), Sylvia Frei (SVP), Stefan Heimgartner (CVP), Daniel Kipfer Fasciati (Grüne), Stephan Zenger (SP), Nathalie Zufferey (Grüne) Nebenamtliche Richterinnen und Richter: Monica Galliker (CVP), Bertrand Perrin (FDP), Adrian Peter Urwyler (CVP)

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