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21.037 Botschaft zur Genehmigung der Änderung vom 6. Dezember 2019 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (Aushungern von Zivilpersonen) vom 19. Mai 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung der Änderung vom 6. Dezember 2019 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (Aushungern von Zivilpersonen).

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. Mai 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-1708

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Übersicht Ziel dieser Vorlage ist die Ratifikation einer Änderung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Der Strafgerichtshof soll das Aushungern von Zivilpersonen nicht nur wie bisher im internationalen, sondern neu auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen ahnden können. Konkret strafbar wird das Vorenthalten der für Zivilpersonen lebensnotwendigen Gegenstände, einschliesslich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen.

In der Schweiz ist das Aushungern von Zivilpersonen in allen Konflikttypen als Kriegsverbrechen unter Strafe gestellt. Im humanitären Völkerrecht ist diese Kriegsmethode generell verboten und gilt als Kriegsverbrechen. In der Realität findet sie jedoch oft Anwendung, gerade in nicht internationalen bewaffneten Konflikten. Das Römer Statut schränkte derweil die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs für dieses Kriegsverbrechen auf den internationalen bewaffneten Konflikt ein.

Die Schliessung dieser Lücke im Römer Statut geht auf einen Schweizer Vorschlag zurück. Dabei stützte sich die Schweiz auf ihre Gesetzgebung, die im Einklang mit dem Völkerrecht steht, sowie auf ihre humanitäre Tradition. Sie führte die entsprechenden Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss. Am 6. Dezember 2019 verabschiedete die Versammlung der Vertragsstaaten des Römer Statuts die Änderung im Konsens.

Der Bundesrat begrüsst diese Ergänzung des Römer Statuts. Sie trägt dazu bei, die Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen zu reduzieren, erhöht die Leistungsfähigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, fördert das humanitäre Völkerrecht und bestärkt die humanitäre Hilfe. Mit einer Ratifikation stärkt die Schweiz die Glaubwürdigkeit ihrer Aussenpolitik und trägt zur Erreichung von Zielen der Aussenpolitischen Strategie 2020­2023 bei.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Römer Statut und Änderungen

Der Internationale Strafgerichtshof (in der Folge «Strafgerichtshof») ist ein wesentlicher Bestandteil der regelbasierten internationalen Ordnung. Er ist das Resultat jahrzehntelanger Bemühungen, schwerste Verbrechen, wie sie etwa im zweiten Weltkrieg begangen worden sind, zu ahnden und damit letztlich in Zukunft zu verhindern. Seine Zuständigkeit ist auf Verbrechen beschränkt, die den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen: Es sind dies Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Völkermord und Aggression. Der Strafgerichtshof geht nur gegen Einzelpersonen vor. Eine Sache ist vor dem Strafgerichtshof nur zulässig, wenn die Justiz der betroffenen Länder nicht willens oder in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen.

Völkerrechtliche Grundlage der Institution ist das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 19981. Die Schweiz ratifizierte das Römer Statut am 12. Oktober 2001, und dieses trat am 1. Juli 2002 in Kraft. 2 Mittlerweile zählt das Römer Statut 123 Vertragsstaaten.3 Die Versammlung der Vertragsstaaten kann Änderungen des Römer Statuts beschliessen. Diese müssen von den Vertragsstaaten ratifiziert werden, um in Kraft zu treten.

1.2

Handlungsbedarf und Vorschlag für Änderung

Hunderte Millionen von Menschen leiden weltweit an Hunger. Im Jahr 2019 waren es über 687 Millionen.4 Die Mehrheit dieser Menschen lebt in bewaffneten Konflikten. Es sind dies heute mehrheitlich nicht internationale bewaffnete Konflikte. 5 Das 1 2

3

4 5

SR 0.312.1 Vgl. allgemein zum Römer Statut die Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391).

Der Generalsekretär der UNO ist Depositar des Römer Statuts und führt eine aktuelle Liste der Vertragsstaaten unter https://treaties.un.org/ > Dépositaire > États des traités > Chapitre XVIII > 10. Statut de Rome (letzter Zugriff am 5. März 2021).

FAO / IFAD / UNICEF / WFP / WHO, The State of Food Security and Nutrition in the World 2020 (2020), S. 11.

Ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt besteht, wenn es zwischen staatlichen Behörden und nichtstaatlichen organisierten bewaffneten Gruppen oder nur unter solchen Gruppen zu bewaffneter Gewalt von einer gewissen Intensität kommt. Ein internationaler bewaffneter Konflikt liegt dann vor, wenn es zu einem Einsatz von Waffengewalt kommt zwischen zwei oder mehreren Staaten, zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe unter Kontrolle eines Staats, oder selten zwischen einem Staat und einer nationalen Befreiungsbewegung. Siehe auch Konfliktqualifikationen des Projekts «Rule of Law in Armed Conflicts» der Genfer Académie de droit international humanitaire et de drois humains unter www.rulac.org (letzter Zugriff am 5. März 2021).

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Aushungern von Zivilpersonen wird von Konfliktparteien oft als Kriegsmethode genutzt. Dies ist im humanitären Völkerrecht verboten und gilt als Kriegsverbrechen, sowohl im internationalen als auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt. Im Schweizer Recht ist das Aushungern ebenfalls in beiden Konflikttypen als Kriegsverbrechen strafbar (siehe Ziff. 4).

Im Gegensatz zu dieser Realität und geltendem Recht beschränkte das Römer Statut die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs für das Aushungern von Zivilpersonen auf den internationalen bewaffneten Konflikt. Es ist nicht klar, wie diese Einschränkung bei den Verhandlungen des Römer Statuts zu Stande kam. Die offizielle Aufzeichnung der Verhandlungsgeschichte6 und Aussagen von Zeitzeugen7 weisen darauf hin, dass das Aushungern von Zivilpersonen in allen bewaffneten Konflikten unumstritten gewesen wäre.

Gestützt auf ihre Gesetzgebung, die im Einklang mit dem Völkerrecht steht, sowie ihre humanitäre Tradition schlug die Schweiz vor, diese Lücke im Römer Statut zu schliessen. Im April 2018 präsentierte sie ihren Vorschlag erstmals informell in der Arbeitsgruppe der Versammlung der Vertragsstaaten über Änderungen des Römer Statuts in New York. Die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs für das Aushungern von Zivilpersonen sollte auf den nicht internationalen bewaffneten Konflikt ausgedehnt werden. Die Arbeitsgruppe hat das Mandat, Änderungen zu prüfen und zu empfehlen, die davon von der Versammlung angenommen werden sollen. Sie steht allen Vertragsstaaten des Römer Statuts offen.

1.3

Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Der Schweizer Vorschlag wurde von der Arbeitsgruppe in ersten Diskussionen generell positiv aufgenommen. In ihrem jährlichen Bericht an die Versammlung hielt sie im November 2018 eine breite Zustimmung für die Substanz fest, erwähnte aber auch prozedurale Vorbehalte einiger Delegationen. Jene Staaten machten etwa eine «Fragmentierung» des Römer Statuts geltend, da Änderungen nur sukzessive für die ratifizierenden Staaten in Kraft treten. Das Römer Statut sieht jedoch die Möglichkeit für Änderungen explizit vor (Art. 121 und 122). In der Tat sind sie ein wichtiges Instrument, um auf Entwicklungen zu reagieren und die Relevanz des Strafgerichtshofs zu stärken. Der beste Weg, um sicherzustellen, dass die Staaten in einheitlicher Weise durch Änderungen verpflichtet sind, besteht darin, diese rasch zu ratifizieren.

Im Frühjahr 2019 leistete die Schweiz in bilateralen Gesprächen mit Regierungsvertreterinnen und -vertretern in zahlreichen Ländern Überzeugungsarbeit. Die Arbeitsgruppe nahm ihre Arbeit im Mai 2019 wieder auf. Im Verlaufe der weiteren

6

7

https://legal.un.org > Publications > Codification Divison > Proceedings of Diplomatic Conferences > 1998: Establishment of an International Criminal Court (letzter Zugriff am 5. März 2021) Rogier Bartels, Denying Humanitarian Access as an International Crime in Times of Non-International Armed Conflict: The Challenges to Prosecute and Some Proposals for the Future, in: Israel Law Review 48(3) (2015), S. 284.

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Diskussionen sprach eine zunehmende Anzahl Delegationen dem Vorschlag ihre Unterstützung aus. Wenige Staaten hielten an ihren prozeduralen Vorbehalten fest. Inhaltlich brachte nur ein Staat einen Änderungsvorschlag ein, und zwar die explizite Nennung des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 19498 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll II) in der Änderung selber. Dies hätte jedoch zur Folge gehabt, dass die Unterstützung derjenigen Staaten weggefallen wäre, die das Zusatzprotokoll II nicht ratifiziert haben. Resultat der Verhandlungen war ein Kompromiss: Das Zusatzprotokoll würde stattdessen in der Resolution der Versammlung zur Verabschiedung der Änderung genannt.

Ende August 2019 hatten sich bereits über 40 Staaten explizit für den Schweizer Vorschlag ausgesprochen. Um die Möglichkeit zu eröffnen, die Änderung an der nächsten Plenarsitzung der Versammlung zu behandeln, übermittelte die Schweiz den Vorschlag dem UNO-Generalsekretär. Als Depositar des Römer Statuts liess dieser den Vorschlag am 30. August 2019 formell unter den Vertragsstaaten zirkulieren.

In den darauffolgenden Monaten arbeitete die Schweiz weiter darauf hin, die Unterstützung für die Änderung zu vergrössern. Sie führte bilaterale Gespräche mit ausgewählten Staaten und organisierte zielgerichtete Anlässe, etwa an der UNO in New York. Mittlerweile erfuhr der Schweizer Vorschlag auch im öffentlichen Raum zunehmend Unterstützung, etwa in akademischen Publikationen und seitens humanitärer Organisationen. In der Arbeitsgruppe selber bemühte sich die Schweiz intensiv um eine Lösung, um die letzten Bedenken einzelner Staaten bezüglich «Fragmentierung» auszuräumen.

Am 25. November beschloss die Arbeitsgruppe einstimmig, die Änderung der Versammlung zur Verabschiedung zu empfehlen. Sie anerkannte die Bedeutung der fortwährenden Erwägung der Auswirkungen aufeinanderfolgender Änderungen auf die Relevanz und Integrität des Römer Statuts. Ferner unterstrich sie, dass das Aushungern von Zivilpersonen im nicht internationalen bewaffneten Konflikt von allen Vertragsstaaten als ein Verbrechen anerkannt wird, das zeitiges Handeln erfordert, um es anzugehen.

An der Plenarsession der Versammlung vom 2.­7. Dezember 2019 unterbreitete die Schweiz gemeinsam mit 21
Ländern aus allen Kontinenten eine Resolution zur Verabschiedung der Änderung. Unvermittelt äusserte Venezuela, das sich seit der Lancierung des Vorschlags nie zu Wort gemeldet hatte, Bedenken. Grund waren öffentliche Vorwürfe, wonach Venezuela Hilfslieferungen vorsätzlich behindert hätte.

Dennoch brach die venezolanische Delegation den Konsens letztlich nicht und legte ihre Besorgnis lediglich in einer Erklärung dar. Die Resolution9 wurde am 6. Dezember 2019 von der Versammlung im Konsens verabschiedet.

8 9

SR 0.518.522 Versammlung der Vertragsstaaten, Resolution ASP/18/Res. 5, verfügbar unter https://asp.icc-cpi.int > Français > Résolutions > 18ème session > 18/Res.5 (letzter Zugriff am 5. März 2021).

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1.4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die Änderung, deren Ratifikation mit der Vorlage beantragt wird, kann Kriegsverbrechen und damit Gewalt und Kriminalität vorbeugen und bekämpft diese wirksam. So trägt sie zu Ziel 14 der Legislaturplanung 2019­202310 bei und dient als Indikator für die entsprechenden Ziele des Bundesrates für das Jahr 2021.11 Die Änderung trägt dazu bei, die Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen zu reduzieren, erhöht die Leistungsfähigkeit des Strafgerichtshofs, fördert das Völkerrecht und verstärkt die humanitäre Hilfe. Mit einer Ratifikation leistet die Schweiz somit Beiträge an den thematischen Schwerpunkt «Frieden und Sicherheit» (Ziele 1.2 und 1.4) und den Bereich «Multilateralismus» (Ziel 7.2.) der Aussenpolitischen Strategie 2020­ 2023 (siehe Ziff. 3).12

2

Verzicht auf eine Vernehmlassung

Gemäss Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 200513 (Art. 3 Abs. 1 Bst. c) findet ein Vernehmlassungsverfahren unter anderem bei der Vorbereitung von völkerrechtlichen Verträgen statt, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung (BV)14 dem Referendum unterliegen. Vorliegend wurde jedoch in Anwendung des Vernehmlassungsgesetzes (Art. 3a Abs. 1 Bst. b) auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet. Die Positionen der interessierten Kreise sind aufgrund mehrerer Vernehmlassungen zum Gegenstand des Vorhabens wohlbekannt, und es sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten.

Anlässlich der Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts 15 hat der Gesetzgeber die seit 1968 geltende Strafbarkeit von Kriegsverbrechen präzisiert.

In diesem Zusammenhang konnten sich die interessierten Kreise im Jahr 2005 zum Kriegsverbrechen des Aushungerns von Zivilpersonen in einem Vernehmlassungsverfahren äussern. Die Aufnahme der diesbezüglichen Tatbestände ins Strafrecht war in der Vernehmlassung unbestritten.16 Das Parlament hiess die Bestimmungen gut, und sie traten am 1. Januar 2011 in Kraft.17 Eine politische Entwicklung, die seither eine erneute Vernehmlassung erforderlich machen würde, ist nicht zu erkennen. Die fraglichen Tatbestände unterstehen zudem der Bundesgerichtsbarkeit ­ die Kantone

10 11 12 13 14 15 16

17

Botschaft vom 29. Jan. 2020 zur Legislaturplanung 2019­2023 (BBl 2020 1777), Bundesbeschluss vom 21. Sept. 2020 über die Legislaturplanung 2019­2023 (BBl 2020 8385).

Band I Ziel 14, Band II EDA Ziel 4 Aussenpolitische Strategie 2020­2023, verfügbar unter www.eda.admin.ch > Aussenpolitik > Strategien und Grundlagendokumente.

SR 172.061 SR 101 AS 2010 4963 Botschaft vom 23. April 2008 über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (BB1 2008 3863, hier 3872­3873); vgl. auch Vernehmlassungsbericht verfügbar unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2005 > EJPD.

Ständerat einstimmig, Nationalrat 135:54, vgl. Geschäft 08.034.

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sind nicht betroffen. In der früheren Vernehmlassung haben die betroffenen Gerichte des Bundes die materiellen Tatbestände oder ihre Zuständigkeit nicht in Frage gestellt.

Internationale Strafgerichte sind bei den interessierten Kreisen als Mittel zur Durchsetzung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte breit anerkannt. Im Jahr 2000 wurde im Vorfeld der Ratifikation des Römer Statuts eine Vernehmlassung durchgeführt. Dabei konnten sich die Teilnehmer zur Zuständigkeit des Strafgerichtshofs für Kriegsverbrechen äussern, auch zum Aushungern von Zivilpersonen in internationalen bewaffneten Konflikten. Die Vorlage wurde von allen teilnehmenden Kantonen, politischen Parteien und allen Organisationen bis auf eine begrüsst. 18 In der Folge genehmigte die Bundesversammlung das Römer Statut praktisch einstimmig. 19 Auch seine bisherigen Änderungen stiessen auf überparteiliche Unterstützung.

3

Grundzüge der Vorlage

3.1

Überblick über die Änderung

Mit der Änderung wird Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe e des Römer Statuts um eine neue Ziffer xix erweitert. Dies bewirkt, dass der Strafgerichtshof neu zuständig ist, folgende Handlung auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen zu ahnden: das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegführung durch das Vorenthalten der für sie lebensnotwendigen Gegenstände, einschliesslich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen.

Wie beim Römer Statut ist der arabische, chinesische, englische, französische, russische und spanische Wortlaut der Änderung gleichermassen verbindlich. Mit dem französischen Text liegt somit eine Originalfassung in einer Amtssprache des Bundes vor.

Gemäss Römer Statut (Art. 121 Abs. 5) tritt die Änderung für einen Vertragsstaat, der sie angenommen hat, ein Jahr nach dessen Ratifikation in Kraft.

3.2

Würdigung

Der Bundesrat begrüsst diese Änderung des Römer Statuts. Sie entspricht der humanitären Tradition der Schweiz. Mit einer Ratifikation der Änderung trägt die Schweiz zur Erfüllung von Zielen der Aussenpolitischen Strategie 2020­2023 bei.

Die Schweiz setzt die Prinzipien der Freiheit und Rechtstaatlichkeit um, welche die Grundlagen der Aussenpolitischen Strategie 2020­2023 bilden. Sie hat es sich zudem zum Ziel gesetzt, zu den weltweit führenden Ländern in der Friedensförderung zu gehören. Dazu will sie auch aktive Beiträge im Kampf gegen die Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen leisten (Ziel 1.2). Die Leistungsfähigkeit des Strafgerichtshofs soll 18

19

Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391 S. 406­407); vgl. auch Vernehmlassungsbericht unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2000 > EDA.

Ständerat einstimmig, Nationalrat 181:8, vgl. Geschäft 00.090.

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zudem gefördert werden (Ziel 7.2). Mit einer Ratifizierung der Änderung stärkt die Schweiz die praktische Relevanz des Strafgerichtshofs in heutigen bewaffneten Konflikten. Die gezielt erweiterte Zuständigkeit des Strafgerichtshofs kann einen abschreckenden Effekt entfalten und trägt damit zum besseren Schutz der Menschen in Kriegsgebieten bei. Die Schweiz ermutigt mit diesem Schritt andere Vertragsstaaten, ihrerseits die Änderung zu ratifizieren und das Aushungern auch innerstaatlich unter Strafe zu stellen. Letztlich sollen Täter ihrer Strafe nicht entgehen können und die Opfer Gerechtigkeit erfahren. Dies sind Voraussetzungen für eine nachhaltige Versöhnung in den betroffenen Gesellschaften und letztlich für ein friedliches Zusammenleben.

Das humanitäre Engagement sowie die Einhaltung, Stärkung und Förderung des humanitären Völkerrechts zählen zu den aussenpolitischen Prioritäten der Schweiz (Ziel 1.4 Aussenpolitische Strategie 2020­2023). Mit einer Ratifikation der Änderung befähigt die Schweiz den Strafgerichtshof, das Verbot des Aushungerns von Zivilpersonen durchzusetzen und dem humanitären Völkerrecht Geltung zu verschaffen. In bewaffneten Konflikten leistet die Schweiz zudem Nothilfe. Sie konzentriert sich dabei unter anderem auf die Verbesserung der Ernährungssicherheit und der Lebensgrundlagen und setzt sich aktiv für die Gewährung des humanitären Zugangs ein.20 Eine Ratifikation der Änderung bestärkt diese Arbeit, indem sie das Vorenthalten der für Zivilpersonen lebensnotwendigen Gegenstände, einschliesslich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen, vor dem Strafgerichtshof unter Strafe stellt.

In der Schweiz wird mit der Ratifikation der Änderung keine gesetzgeberische Umsetzung nötig. Der Gesetzgeber hat das Aushungern von Zivilpersonen bereits unter Strafe gestellt, sowohl im internationalen als auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt. Die Bestimmungen im Strafgesetzbuch21 (Art. 264g Abs. 1 Bst. c) und im Militärstrafgesetz vom 13. Juni 192722 (Art. 112c Abs. 1 Bst. c) decken die in der Änderung erfassten Handlungen ab. Diese Handlungen sind unabhängig davon erfasst, ob sie das Aushungern von Zivilpersonen bezwecken. Konkret sind im Schweizer Strafrecht das Vorenthalten von Gütern, die für Zivilpersonen lebensnotwendig sind, und die Behinderung von Hilfslieferungen
als Methoden der Kriegführung als Kriegsverbrechen strafbar. Die entsprechende Botschaft bestätigt explizit, dass diese Bestimmungen das Verbrechen des Aushungerns abdecken. Sie präzisiert zudem, dass es für die Erfüllung des Tatbestands nicht notwendig ist, dass infolge solcher Handlungen Personen sterben.23

20 21 22 23

Botschaft vom 19. Febr. 2020 zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021­ 2024 (IZA-Strategie 2021­2024) (BB1 2020 2597, hier 2631­2633).

SR 311.0 SR 321.0 Botschaft vom 23. April 2008 über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (BB1 2008 3863, hier 3943 und 3961­3962).

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Erläuterungen zur Änderung

Der Wortlaut der Änderung steht einerseits im Einklang mit der bestehenden Bestimmung des Römer Statuts zum Aushungern von Zivilpersonen im internationalen bewaffneten Konflikt. Andererseits stützt sie sich auf Regeln des humanitären Völkerrechts, die das Aushungern auch im nicht internationalen Konflikt verbieten und als Kriegsverbrechen etablieren.

Das Römer Statut erklärt das Aushungern von Zivilpersonen im internationalen bewaffneten Konflikt bereits als Kriegsverbrechen (Art. 8 Abs. 2 Bst. b Ziff. xxv). Die vorliegende Änderung wurde analog zu dieser Bestimmung erarbeitet. Sie weicht von ihr nur insofern ab, als dass sie keinen Verweis auf die Genfer Abkommen enthält.

Grund dafür ist, dass diese Abkommen mit der Ausnahme ihres gemeinsamen Artikels 3 den nicht internationalen bewaffneten Konflikt nicht abdecken. 24 Das «Aushungern von Zivilpersonen als Kriegsmethode» im nicht internationalen bewaffneten Konflikt ist im humanitären Völkerrecht im Zusatzprotokoll II zu den Genfer Abkommen von 1949 (Art. 14) verboten. Dieses Übereinkommen zählt 169 Vertragsstaaten und ist für die Schweiz am 17. August 1982 in Kraft getreten. 25 Das Verbot ist mittlerweile Teil des Völkergewohnheitsrechts.26 Dieses grundsätzliche Verbot steht im Bezug zu ergänzenden Regeln des humanitären Völkerrechts, die auch in der Änderung abgebildet sind.

So stellt die Änderung das «Vorenthalten der für [Zivilpersonen] lebensnotwendigen Gegenstände» unter Strafe. Im humanitären Völkerrecht hält das Zusatzprotokoll II fest, dass es verboten ist, für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte zum Zweck des Aushungerns von Zivilpersonen anzugreifen, zu zerstören, zu entfernen oder unbrauchbar zu machen. Als Beispiele solcher lebensnotwendigen Objekte werden unter anderem Nahrungsmittel und Trinkwasservorräte genannt (Art. 14). Auch dieses Verbot wird als Teil des Völkergewohnheitsrecht anerkannt. 27 Die «vorsätzliche Behinderung von Hilfslieferungen» wird in der Änderung explizit als ein weiteres Beispiel für das Vorenthalten lebensnotwendiger Gegenstände genannt. Im humanitären Völkerrecht verbietet das Zusatzprotokoll II diese Handlung zwar nicht explizit, bestimmt jedoch, dass humanitäre Hilfsaktionen zugunsten der Zivilbevölkerung durchzuführen sind, wenn diese infolge eines Mangels an lebensnotwendigen Versorgungsgütern übermässige Entbehrungen erleidet (Art. 18 Ziff. 2).

Im Völkergewohnheitsrecht ist die Verpflichtung von Konfliktparteien, raschen und

24 25 26

27

Dieser Art. 3 legt für alle bewaffneten Konflikte humanitäre Mindestregeln fest und behandelt insofern nicht direkt das Aushungern.

SR 0.518.522 Regel 53 der Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK: Jean-Marie Henckaerts / Louise Doswald-Beck / ICRC (Hrsg.), Customary International Humanitarian Law: Volume I: Rules (2005).

Regel 54 der Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK: Jean-Marie Henckaerts / Louise Doswald-Beck / ICRC (Hrsg.), Customary International Humanitarian Law: Volume I: Rules (2005).

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ungehinderten Durchlass von humanitärer Hilfe zugunsten von bedürftigen Zivilpersonen grundsätzlich zu erlauben und zu ermöglichen, etabliert.28 Das in der Änderung erfasste Aushungern von Zivilpersonen als Kriegsmethode durch das Vorenthalten der für sie lebensnotwendigen Gegenstände, einschliesslich der Behinderung von Hilfslieferungen, wird im Völkergewohnheitsrecht in allen Konflikttypen als schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts anerkannt und als Kriegsverbrechen qualifiziert.29 Im Römer Statut präzisiert die Änderung mit dem Begriff des «vorsätzlichen Aushungerns», dass der Täter mit dem Vorsatz handeln muss, das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegführung einzusetzen. Hingegen ist es für die Erfüllung des Tatbestands nicht notwendig, dass in Folge solcher Handlungen Personen sterben.

5

Auswirkungen

5.1

Auswirkungen auf den Bund

Gemäss Römer Statut (Art. 121 Abs. 5) tritt die Änderung für einen Vertragsstaat, der sie angenommen hat, ein Jahr nach dessen Ratifikation in Kraft. Die wesentlichen Auswirkungen finanzieller und personeller Art sind mit dem Beitritt der Schweiz zum Römer Statut im Jahr 2001 und ­ in geringerem Masse ­ den Änderungen von Bundesgesetzen im Jahr 2009 zur Umsetzung des Römer Statuts entstanden, weshalb auf die diesbezüglichen Ausführungen in den entsprechenden Botschaften verwiesen wird.30 Die Ratifikation der vorliegenden Änderung betreffend das Kriegsverbrechen des Aushungerns von Zivilpersonen dürfte demgegenüber keine unmittelbaren Auswirkungen haben.

Der Strafgerichtshof kann nur tätig werden, wenn die Justiz der betroffenen Länder nicht willens oder nicht in der Lage ist, Völkerrechtsverbrechen ernsthaft zu verfolgen (Art. 17 Römer Statut). Durch die vorliegende Ergänzung von Artikel 8 des Römer Statuts ist es folglich möglich, dass der Strafgerichtshof in Zukunft zusätzliche Fälle behandelt, was zu Kosten führen könnte, welche die Schweiz aufgrund ihrer Beitragspflicht an das Gesamtbudget anteilsmässig mittragen müsste. Diese Kosten können jedoch unabhängig von der Ratifikation der Änderung durch die Schweiz anfallen, nämlich dann, wenn der Strafgerichtshof mit einem Fall aus einem anderen Staat befasst ist, der die Änderung ratifiziert hat. Auch was die Rechtshilfe anbelangt, gilt,

28

29

30

Regel 55 der Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK: Jean-Marie Henckaerts / Louise Doswald-Beck / ICRC (Hrsg.), Customary International Humanitarian Law: Volume I: Rules (2005).

Siehe Kommentar der Regel 156 der Gewohnheitsrechtsstudie des IKRK: Jean-Marie Henckaerts / Louise Doswald-Beck / ICRC (Hrsg.), Customary International Humanitarian Law: Volume I: Rules (2005), S. 603.

Botschaft vom 15. Nov. 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts (BBl 2001 391, hier 481­482) und Botschaft vom 23. April 2008 über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (BB1 2008 3863, hier 3965­3967).

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dass allfällige zusätzliche Ersuchen des Strafgerichtshofs unabhängig von der Ratifikation der Änderung des Römer Statuts durch die Schweiz entstehen könnten.

5.2

Auswirkungen auf die Aussenpolitik

Die Änderung wurde durch die Schweiz lanciert. Der Vorschlag und die Art und Weise, wie die Schweiz den Prozess geführt hat, brachte ihr viel Anerkennung ein.

Die einstimmige Verabschiedung durch die Versammlung kann als Erfolg der Schweiz gewertet werden. Eine innerstaatliche Ratifikation stärkt die Glaubwürdigkeit und damit Gestaltungskraft der Schweizer Aussenpolitik in prioritären Bereichen der Aussenpolitischen Strategie 2020­2023 (siehe Ziff. 3.2).

5.3

Auswirkungen auf weitere Bereiche

Die Ratifikation der Änderung des Römer Statuts durch die Schweiz lässt keine Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete erwarten, genauso wenig wie Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft, oder die Umwelt. Die entsprechenden Fragen wurden daher nicht geprüft.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200231, ParlG; Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199732, RVOG). Die vorliegende Änderung des Römer Statuts erfüllt eine Voraussetzung für die Anwendung des fakultativen Referendums nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV und ist somit keine Änderung von beschränkter Tragweite, die der Bundesrat selbstständig vornehmen könnte (Art. 7a Abs. 4 Bst. a RVOG). Die Bundesversammlung ist für die Genehmigung der Änderung zuständig.

31 32

SR 171.10 SR 172.010

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6.2

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Die vorliegende Änderung des Römer Statuts erweitert die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs betreffend die Kriegsverbrechen. Nach deren Ratifikation wäre es theoretisch möglich, dass die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das neue Verbrechen durch den Strafgerichtshof einen Bezug zur Schweiz hätte. Dies wäre der Fall, wenn das Verbrechen des Aushungerns in der Schweiz oder von einer Schweizerin oder einem Schweizer begangen würde (Art. 12 Abs. 2 Römer Statut) und die Schweiz nicht willens oder nicht in der Lage wäre, die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen (Art. 17 Abs. 1 Bst. a Römer Statut). Als Bestimmung, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegt, handelt es sich bei der Änderung somit um eine rechtsetzende Norm. Sie ist zudem als wichtig einzustufen, weil es sich um eine strafrechtliche Bestimmung handelt.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Änderung ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

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