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Protokoll zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union, und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend den Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke vom 27. Juni 2019

Die Europäische Union und die Schweizerische Eidgenossenschaft und das Fürstentum Liechtenstein im folgenden zusammen die «Vertragsparteien», in der Erwägung, dass am 26. Oktober 2004 das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags1 (im Folgenden «Abkommen vom 26. Oktober 2004») unterzeichnet wurde; in der Erwägung, dass am 28. Februar 2008 das Protokoll zwischen der Europäischen Gemeinschaft, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags2 (im Folgenden «Protokoll vom 28. Februar 2008») unterzeichnet wurde; unter Hinweis darauf, dass die Europäische Union (im Folgenden «Union») am 26. Juni 2013 die Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates3 angenommen hat;

SR ...

1 ABl. EU L 53 vom 27.2.2008, S. 5.

2 ABl. EU L 160 vom 18.6.2011, S. 39.

3 Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. EU L 180 vom 29.6.2013, S. 1).

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Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke. Prot.

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unter Hinweis darauf, dass die Verfahren für den Abgleich und die Übertragung von Daten für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke gemäß der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 keine Änderung oder Weiterentwicklung der Bestimmungen des Eurodac-Besitzstands im Sinne des Abkommens vom 26. Oktober 2004 und des Protokolls vom 28. Februar 2008 darstellen; in der Erwägung, dass zwischen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (im Folgenden «Schweiz») und dem Fürstentum Liechtenstein (im Folgenden «Liechtenstein») ein Protokoll geschlossen werden sollte, das der Schweiz und Liechtenstein die Beteiligung an den mit Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zusammenhängenden Elementen von Eurodac ermöglicht, damit die benannten Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Schweiz und Liechtensteins den Abgleich von Fingerabdruckdaten mit den Daten beantragen können, die die anderen teilnehmenden Staaten an das Zentralsystem von Eurodac übermitteln; in der Erwägung, dass die Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke auf die Schweiz und Liechtenstein es auch den benannten Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der anderen teilnehmenden Staaten und Europol ermöglichen sollte, den Abgleich von Fingerabdruckdaten mit den Daten zu beantragen, die die Schweiz und Liechtenstein an das Zentralsystem von Eurodac übermitteln; in der Erwägung, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die benannten Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der teilnehmenden Staaten zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung terroristischer oder anderer schwerer Straftaten gemäß diesem Protokoll nach jeweiligem nationalen Recht einem Standard für den Schutz personenbezogener Daten unterliegen sollte, der der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates4 entspricht; in der Erwägung, dass die weiteren Bedingungen der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die benannten Behörden der teilnehmenden Staaten und durch Europol zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung terroristischer oder anderer schwerer Straftaten ebenfalls gelten sollten; in der Erwägung, dass der Zugang für die benannten Behörden der Schweiz und Liechtensteins nur unter der Voraussetzung gestattet sein sollte,
dass Abgleiche mit den nationalen Fingerabdruck-Datenbanken des anfragenden Staates und mit den automatisierten daktyloskopischen Identifizierungssystemen aller anderen teilnehmenden Staaten nach dem Beschluss 2008/615/JI des Rates5 nicht zur Feststellung der

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Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. EU L 119 vom 4.5.2016, S. 89).

Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (ABl. EU L 210 vom 6.8.2008, S. 1).

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Identität des Betroffenen geführt haben. Diese Voraussetzung beinhaltet für den anfragenden Mitgliedstaat das Erfordernis, Abgleiche mit den technisch verfügbaren automatisierten daktyloskopischen Identifizierungssystemen aller anderen teilnehmenden Staaten nach jenem Beschluss vorzunehmen, es sei denn, dieser anfragende Mitgliedstaat kann hinreichende Gründe angeben, die zu der Annahme führen, dass dies nicht zur Feststellung der Identität des Betroffenen führen würde. Solche hinreichenden Gründe liegen insbesondere vor, wenn der vorliegende Fall keine operativen oder ermittlungsbezogenen Verbindungen zu einem bestimmten teilnehmenden Staat aufweist. Diese Voraussetzung erfordert die vorherige rechtliche und technische Umsetzung jenes Beschlusses durch den anfragenden Staat in Bezug auf die daktyloskopischen Daten, da eine Eurodac-Abfrage zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken unzulässig sein sollte, wenn nicht zuvor die genannten Schritte unternommen wurden; in der Erwägung, dass die benannten Behörden der Schweiz und Liechtensteins ferner, sofern die Voraussetzungen für einen solchen Abgleich erfüllt sind, das mit dem Beschluss 2008/633/JI des Rates6 errichtete Visa-Informationssystem konsultieren sollten, bevor sie eine Abfrage in Eurodac vornehmen; in der Erwägung, dass für jede neue Gesetzgebung und jeden neuen Rechtsakt oder jede neue Maßnahme betreffend den Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke die im Abkommen vom 26. Oktober 2004 und im Protokoll vom 28. Februar 2008 für neue Gesetzgebung und neue Rechtsakte oder neue Maßnahmen festgelegten Mechanismen gelten sollten, auch für die Rolle des mit dem Abkommen vom 26. Oktober 2004 eingesetzten Gemischten Ausschusses, sind wie folgt übereingekommen:

Art. 1 Die Verordnung (EU) Nr. 603/2013 wird von der Schweiz im Hinblick auf den Abgleich von Fingerabdruckdaten mit den im Zentralsystem von Eurodac gespeicherten Daten zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken durchgeführt und im Rahmen der Beziehungen der Schweiz zu Liechtenstein und den anderen teilnehmenden Staaten angewandt.

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Die Verordnung (EU) Nr. 603/2013 wird von Liechtenstein im Hinblick auf den Abgleich von Fingerabdruckdaten mit den im Zentralsystem von Eurodac gespeicherten Daten zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken durchgeführt und im Rahmen der Beziehungen Liechtensteins zur Schweiz und zu den anderen teilnehmenden Staaten angewandt.

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Beschluss 2008/633/JI des Rates vom 23. Juni 2008 über den Zugang der benannten Behörden der Mitgliedstaaten und von Europol zum Visa-Informationssystem (VIS) für Datenabfragen zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten (ABl. EU L 218 vom 13.8.2008, S. 129).

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Die Mitgliedstaaten der Union mit Ausnahme Dänemarks gelten als teilnehmende Staaten im Sinne der Absätze 1 und 2 dieses Artikels. Sie wenden die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 603/2013, die sich auf den Zugang der Gefahrenabwehrund Strafverfolgungsbehörden beziehen, auf die Schweiz und Liechtenstein an.

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Dänemark, Island und Norwegen gelten als teilnehmende Staaten im Sinne der Absätze 1 und 2, soweit dem Protokoll ähnliche Abkommen zwischen ihnen und der Union angewandt werden, die die Schweiz und Liechtenstein als teilnehmende Staaten anerkennen.

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Art. 2 Dieses Protokoll tritt für die Schweiz erst in Kraft, wenn die Schweiz die Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2016/680 über die Verarbeitung personenbezogener Daten sowie die Bedingungen der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 über diese Verarbeitung in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch ihre benannten Behörden für die in Artikel 1 Absatz 2 jener Verordnung genannten Zwecke durchführt und anwendet.

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Dieses Protokoll tritt für Liechtenstein erst in Kraft, wenn Liechtenstein die Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2016/680 über die Verarbeitung personenbezogener Daten sowie die Bedingungen der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 über diese Verarbeitung in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch seine benannten Behörden für die in Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung genannten Zwecke durchführt und anwendet.

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Art. 3 Die Bestimmungen des Abkommens vom 26. Oktober 2004 und des Protokolls vom 28. Februar 2008 über neue Gesetzgebung und neue Rechtsakte oder neue Maßnahmen, darunter die Bestimmungen über den mit dem Abkommen vom 26. Oktober 2004 eingesetzten Gemischten Ausschuss, gelten für jede neue Gesetzgebung und jeden neuen Rechtsakt oder jede neue Maßnahme im Zusammenhang mit dem Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke.

Art. 4 Dieses Protokoll wird von den Vertragsparteien ratifiziert bzw. genehmigt. Die Ratifizierung bzw. Genehmigung wird dem Generalsekretär des Rates der Europäischen Union notifiziert, der als Verwahrer fungiert.

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Dieses Protokoll tritt am ersten Tag des Monats nach dem Eingang der Notifikation nach Absatz 1 durch die Union und mindestens eine der anderen Vertragsparteien beim Verwahrer in Kraft.

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Dieses Protokoll gilt erst dann für die Schweiz, wenn Kapitel 6 des Beschlusses 2008/615/JI von der Schweiz umgesetzt und die Bewertungsverfahren gemäß Kapitel 4 des Anhangs des Beschlusses 2008/616/JI des Rates7 abgeschlossen wurden, was die daktyloskopischen Daten zur Schweiz betrifft.

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Dieses Protokoll gilt erst dann für Liechtenstein, wenn Kapitels 6 des Beschlusses 2008/615/JI von Liechtenstein umgesetzt und die Bewertungsverfahren gemäß Kapitel 4 des Anhangs des Beschlusses 2008/616/JI abgeschlossen wurden, was die daktyloskopischen Daten zu Liechtenstein betrifft.

4

Art. 5 Jede Vertragspartei kann von diesem Protokoll zurücktreten, indem sie dem Verwahrer eine schriftliche Erklärung übermittelt. Diese Erklärung wird sechs Monate nach ihrer Hinterlegung wirksam.

1

Das Protokoll tritt außer Kraft, wenn entweder die Union davon zurückgetreten ist oder sowohl die Schweiz als auch Liechtenstein davon zurückgetreten sind.

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Dieses Protokoll tritt für die Schweiz außer Kraft, wenn das Abkommen vom 26. Oktober 2004 nicht mehr für die Schweiz wirksam ist.

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Dieses Protokoll tritt für Liechtenstein außer Kraft, wenn das Protokoll vom 28. Februar 2008 nicht mehr für Liechtenstein wirksam ist.

4

Der Rücktritt einer Vertragspartei von diesem Protokoll oder seine Aussetzung oder Beendigung in Bezug auf eine Vertragspartei lässt sowohl das Abkommen vom 26. Oktober 2004 als auch das Protokoll vom 28. Februar 2008 unberührt.

5

Art. 6 Dieses Protokoll ist in einer Urschrift in bulgarischer, dänischer, deutscher, englischer, estnischer, finnischer, französischer, griechischer, italienischer, kroatischer, lettischer, litauischer, maltesischer, niederländischer, polnischer, portugiesischer, rumänischer, schwedischer, slowakischer, slowenischer, spanischer, tschechischer und ungarischer Sprache abgefasst, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.

Die Urschrift wird beim Verwahrer hinterlegt, der jeder Vertragspartei eine beglaubigte Abschrift übermittelt.

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Beschluss 2008/616/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (ABl. EU L 210 vom 6.8.2008, S. 12).

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