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21.040 Botschaft zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Uri, Schaffhausen, Aargau, Tessin und Genf vom 4. Juni 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Uri, Schaffhausen, Aargau, Tessin und Genf.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. Juni 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-1919

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Übersicht Der Bundesversammlung wird beantragt, mit einfachem Bundesbeschluss Änderungen in den Verfassungen der Kantone Uri, Schaffhausen, Aargau, Tessin und Genf zu gewährleisten. Alle Änderungen sind bundesrechtskonform. Die Gewährleistung ist somit zu erteilen.

Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes.

Steht eine kantonale Verfassungsbestimmung im Einklang mit dem Bundesrecht, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie diese Voraussetzung nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Uri: ­

die Notrechtsklausel;

im Kanton Schaffhausen: ­

die Offenlegung der Politikfinanzierung;

im Kanton Aargau: ­

die Zuständigkeiten der Schulbehörden;

­

die Umsetzung des Bundesgesetzes über Geldspiele;

im Kanton Tessin: ­

den Grundsatz der Subsidiarität;

im Kanton Genf: ­

das Präsidium des Staatsrats und das Präsidialdepartement;

­

den Steuerwettbewerb und die Umsetzung von Steuerreformen des Bundes;

­

die Institution zur häuslichen Pflege, Hilfe und Betreuung;

­

die Umsetzung von Artikel 29 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

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Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Uri

1.1.1

Volksabstimmung vom 29. November 2020

Die Stimmberechtigten des Kantons Uri haben in der Volksabstimmung vom 29. November 2020 dem neuen Artikel 90 Absatz 3 der Verfassung des Kantons Uri vom 28. Oktober 19841 (KV-UR) betreffend die Notrechtsklausel mit 7144 Ja gegen 4135 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2020 ersucht der Kanzleidirektor im Auftrag des Regierungsrats um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2 Bisheriger Text

Notrechtsklausel Neuer Text Art. 90 Abs. 3 3 Der Regierungsrat erlässt zeitlich befristete Noterlasse; diese sind so bald als möglich dem Landrat zu unterbreiten, der über ihre weitere Geltung und Befristung entscheidet.

Nach Artikel 51 Absatz 1 erster Satz der Bundesverfassung (BV)2 gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Die kantonalen Verfassungen genügen den Anforderungen an demokratische Ausgestaltung, wenn sie ein gewähltes Parlament vorsehen und den Grundsatz der Gewaltenteilung beachten.3 Dem Parlament müssen substanzielle Befugnisse im Bereich der Gesetzgebung zukommen.4 In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt schliesslich deren Organisationsautonomie.

Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV).

Der neue Artikel 90 Absatz 3 KV-UR sieht vor, dass der Regierungsrat zeitlich befristete Noterlasse erlässt. Diese sind so bald als möglich dem Landrat zu unterbreiten, der über ihre weitere Geltung und Befristung entscheidet. Die Änderung erfüllt die Anforderungen an eine demokratische Verfassung und fällt in die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1 2 3 4

SR 131.214 SR 101 BBl 1997 I 1 S. 218 Vgl. Eva Maria Belser / Nina Massüger, in: Bernhard Waldmann / Eva Maria Belser / Astrid Epiney (Hrsg.), Basler Komm. BV, Basel 2015, Art. 51 Rz. 32.

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1.2

Verfassung des Kantons Schaffhausen

1.2.1

Volksabstimmung vom 9. Februar 2020

Die Stimmberechtigten des Kantons Schaffhausen haben in der Volksabstimmung vom 9. Februar 2020 dem neuen Artikel 37a der Verfassung des Kantons Schaffhausen vom 17. Juni 20025 (KV-SH) betreffend die Offenlegung der Politikfinanzierung mit 15 904 Ja gegen 13 645 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 24. Februar 2020 ersucht der Staatsschreiber-Stellvertreter im Namen der Staatskanzlei um die eidgenössische Gewährleistung.

1.2.2 Bisheriger Text

Offenlegung der Politikfinanzierung Neuer Text Art. 37a 1 Natürliche und juristische Personen, wie alle Parteien und sonstigen politischen Gruppierungen, Kampagnenkomitees, Lobbyorganisationen und sonstige Organisationen, die sich an Abstimmungskämpfen sowie an Wahlen beteiligen, die in die Kompetenz von Kanton und Gemeinden fallen, müssen ihre Finanzen offenlegen. Unter die Offenlegungspflichten fallen insbesondere: a. das Globalbudget für den betreffenden Wahl- oder Abstimmungskampf; b. die Namen der juristischen Personen, die zur Finanzierung beigetragen haben, mit Angabe des jeweiligen Betrags; c. die Namen der natürlichen Personen, die zur Finanzierung beigetragen haben, mit Angabe des jeweiligen Betrags; ausgenommen sind Spenderinnen und Spender, deren Zuwendung insgesamt 3000 Franken pro Kalenderjahr nicht übersteigt.

2 Alle Kandidierenden für alle öffentlichen Ämter auf kantonaler und für Exekutiven und Legislativen auf kommunaler Ebene legen ihre Interessenbindungen bei der Anmeldung ihrer Kandidatur offen.

3 Zu Beginn eines Kalenderjahres legen alle gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in öffentlichen Ämtern gemäss Absatz 2 ihre Interessenbindungen offen.

5

SR 131.223

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Bisheriger Text

Neuer Text 4

Die kantonale Verwaltung oder eine unabhängige Stelle überprüfen die Richtigkeit der Angaben gemäss Absätzen 1­3 und erstellen ein öffentliches Register, einsehbar auf der Internetseite / Homepage des Kantons Schaffhausen.

5 Widerhandlungen von Kandidierenden und gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern sowie von natürlichen und juristischen Personen, von Parteien, politischen Gruppierungen, Abstimmungskomitees, Lobbyorganisationen und sonstigen Organisationen gegen die Verpflichtungen von Absätzen 1­3 dieses Verfassungsartikels werden mit Busse sanktioniert.

6 Das Gesetz regelt die Einzelheiten. Es trägt namentlich dem Schutz von Berufsgeheimnissen Rechnung.

Mit Artikel 37a KV-SH wird die Offenlegung der Finanzen der natürlichen und juristischen Personen, wie aller Parteien und sonstigen politischen Gruppierungen, Kampagnenkomitees, Lobbyorganisationen und sonstige Organisationen, die sich an Abstimmungskämpfen sowie an Wahlen beteiligen, die in die Kompetenz von Kanton und Gemeinden fallen, geregelt. Zudem werden alle Kandidierenden für alle öffentlichen Ämter auf kantonaler und für Exekutiven und Legislativen auf kommunaler Ebene dazu verpflichtet, ihre Interessenbindungen bei der Anmeldung ihrer Kandidatur offenzulegen. Dasselbe gilt für alle gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in öffentlichen Ämtern zu Beginn eines Kalenderjahres. Schliesslich überprüft die kantonale Verwaltung oder eine unabhängige Stelle die Richtigkeit der Angaben.

Widerhandlungen gegen die Verpflichtungen werden mit Busse bestraft.

Die vorliegende Änderung der KV-SH entspricht den Änderungen der Kantonsverfassungen von Schwyz und Freiburg, denen die Bundesversammlung am 22. März 2019 die Gewährleistung erteilt hat.6 Im Unterschied zu diesen Änderungen geht es vorliegend aber nicht nur um die Offenlegung der Finanzen insbesondere aller Parteien und sonstigen politischen Gruppierungen, sondern auch um diejenige von Privaten, die sich an Abstimmungskämpfen und Wahlen beteiligen.7 Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Diese Kompetenz ergibt sich bereits aus der Organisationsautonomie der Kantone. Die Organisationsautonomie ist

6

7

Vgl. Bundesbeschluss vom 22. März 2019 über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Schwyz, Zug, Freiburg, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Appenzell Innerrhoden, BBl 2019 2861.

Vgl. Bericht und Antrag des Regierungsrats des Kantons Schaffhausen vom 14. Mai 2019 zur kantonalen Transparenzinitiative; Protokoll der 13. Kantonsratssitzung vom 2. Sept. 2019 und den vom Kantonsrat abgelehnten Antrag, der den Regierungsrat verpflichtet hätte, einen Gegenvorschlag vorzulegen, bei dem insbesondere die natürlichen Personen in Art. 37a Abs. 1 gestrichen worden wären.

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aber nicht uneingeschränkt: Die Kantone müssen insbesondere die Grundrechte beachten. Die Änderung der KV-SH betrifft die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten und stützt sich auf die kantonale Organisationsautonomie. Die Änderung bewegt sich im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten der Kantone im Bereich der von ihnen zu regelnden politischen Rechte und ist mit den Grundrechten, insbesondere der Wahlfreiheit, vereinbar. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten. Die kantonalen Ausführungsbestimmungen müssen indessen mit dem höherrangigen Recht vereinbar sein.8

1.3

Verfassung des Kantons Aargau

1.3.1

Volksabstimmung vom 27. September 2020

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 27. September 2020 der Änderung von § 31 Buchstabe b der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 19809 (KV-AG) betreffend die Zuständigkeiten der Schulbehörden mit 123 393 Ja gegen 91 731 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 ersucht der Generalsekretär der Staatskanzlei im Auftrag des Regierungsrats um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2

Zuständigkeiten der Schulbehörden

Bisheriger Text

Neuer Text

§ 31 d. Schulbehörden Durch Gesetz werden festgelegt: b. die Zuständigkeiten der Bezirksschulräte und der Schulpflegen.

§ 31 Bst. b Durch Gesetz werden festgelegt: b. die Zuständigkeiten der Bezirksschulräte und der Gemeinderäte.

Nach Artikel 62 Absatz 1 BV sind für das Schulwesen die Kantone zuständig. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt deren Organisationsautonomie.

Nach Artikel 50 Absatz 1 BV ist die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. Die Änderung von § 31 KV-AG sieht vor, dass die Schulpflegen durch die Gemeinderäte ersetzt werden. Die Änderung betrifft das Schulwesen und stützt sich auf die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

8 9

Vgl. z. B. das Urteil 1C_388/2019 des Bundesgerichts vom 26. Okt. 2020 zum Transparenzgesetz des Kantons Schwyz (abstrakte Normenkontrolle).

SR 131.227

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1.3.3

Volksabstimmung vom 29. November 2020

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 29. November 2020 der Aufhebung von § 55bis KV-AG betreffend die Umsetzung des Bundesgesetzes vom 29. September 201710 über Geldspiele (BGS) mit 153 701 Ja gegen 16 270 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 ersucht der Generalsekretär der Staatskanzlei im Auftrag des Regierungsrats um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.4

Umsetzung des Bundesgesetzes über Geldspiele

Bisheriger Text 55bis

fbis.

Neuer Text

§ Lotterien Der Kanton regelt durch Gesetz die Ausgabe und die Durchführung von Lotterien zu gemeinnützigen und wohltätigen Zwecken. Er kann nichtstaatliche Lotterien zu gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken zulassen.

§ 55bis Aufgehoben

Das neue Geldspielgesetz des Kantons Aargau11 stützt sich auf das BGS. § 55bis KVAG ist deshalb hinfällig.12 Seine Aufhebung ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.4

Verfassung von Republik und Kanton Tessin

1.4.1

Volksabstimmung vom 9. Februar 2020

Die Stimmberechtigten des Kantons Tessins haben in der Volksabstimmung vom 9. Februar 2020 dem neuen Artikel 4 Absatz 4 der Verfassung von Republik und Kanton Tessin vom 14. Dezember 199713 (KV-TI) betreffend den Grundsatz der Subsidiarität mit 41 284 Ja gegen 36 546 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 ersuchen der Präsident und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

10 11 12 13

SR 935.51 Vgl. Geldspielgesetz des Kantons Aargau vom 30. Juni 2020, SAR 959.300.

Vgl. S. 6 der kantonalen Abstimmungsbroschüre zur Volksabstimmung vom 29. Nov. 2020.

SR 131.229

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1.4.2

Grundsatz der Subsidiarität

Bisheriger Text

Neuer Text Art. 4 Abs. 4 4 Der Staat verfolgt seine Ziele unter Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität.

In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Die Änderung der KV-TI sieht vor, dass der Staat seine Ziele in Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität wahrnimmt. Nach diesem Grundsatz ist die örtlich am nächsten gelegene Behörde zuständig, den Bürgern ihre Leistungen zu erbringen. Die Änderung stützt sich auf die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.5

Verfassung der Republik und des Kantons Genf

1.5.1

Volksabstimmung vom 27. September 2020

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 27. September 2020 der Änderung der Artikel 105 und 106 der Verfassung der Republik und des Kantons Genf vom 14. Oktober 201214 (KV-GE) betreffend das Präsidium des Staatsrats und das Präsidialdepartement mit 113 754 Ja gegen 15 700 Nein zugestimmt. Sie haben im Weiteren der Änderung von Artikel 155 KV-GE betreffend den Steuerwettbewerb und die Umsetzung von Steuerreformen des Bundes mit 66 392 Ja gegen 66 320 Nein und dem neuen Artikel 174A KV-GE betreffend die Institution zur häuslichen Pflege, Hilfe und Betreuung mit 100 036 Ja gegen 37 452 Nein zugestimmt. Mit drei Schreiben vom 11. November 2020 ersuchen die Staatsratspräsidentin und die Kanzlerin im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.5.2

Präsidium des Staatsrats und Präsidialdepartement

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 105 Kollegialität und Präsidium 2 Er [Der Staatsrat] ernennt eines seiner Mitglieder für die Legislaturperiode zur Präsidentin oder zum Präsidenten.

Art. 105 Abs. 2 und 3 2 Er ernennt jedes Jahr eines seiner Mitglieder zur Präsidentin oder zum Präsidenten und zur Vizepräsidentin oder zum Vizepräsidenten.

3 Die Wiederwahl für das Folgejahr ist ausgeschlossen. Die abtretende Präsidentin oder der abtretende Präsident kann nicht für das Folgejahr zur Vizepräsidentin oder zum Vizepräsidenten gewählt werden.

14

SR 131.234

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Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 106 Departemente 3 Die Präsidentin oder der Präsident des Staatsrats leitet das Präsidialdepartement. Dieses Departement ist namentlich zuständig für die auswärtigen Beziehungen, die Beziehungen zum «Genève internationale» und die Kohärenz der Regierungstätigkeit.

Art. 106 Abs. 3 Aufgehoben

In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Die Änderung der KV-GE sieht vor, dass das Präsidium des Staatsrats auf ein Jahr beschränkt wird; zudem sieht sie die Abschaffung des Präsidialdepartements vor. Die Änderung stützt sich auf die kantonale Organisationsautonomie. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.5.3

Steuerwettbewerb und Umsetzung von Steuerreformen des Bundes

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 155 Steuern 4 Der Staat bekämpft den Steuerbetrug und die Steuerhinterziehung.

Art. 155 Abs. 4­6 4 Der Staat handelt zugunsten einer Verringerung des interkantonalen Steuerwettbewerbs.

5 Der Staat bekämpft den Steuerbetrug und die Steuerhinterziehung.

6 Die kantonale Umsetzung der Steuerreformen des Bundes gehorcht folgenden Grundsätzen: a. Aufrechterhaltung der Finanzierung des Service public und der Leistungen an die Bevölkerung; b. Erhalt des kantonalen und kommunalen Steueraufkommens; c. Verstärkung der Steuerprogression.

Nach Artikel 155 Absatz 4 KV-GE handelt der Staat zugunsten einer Verringerung des interkantonalen Steuerwettbewerbs. Artikel 155 Absatz 5 KV-GE übernimmt ohne Änderung den bisherigen Absatz 4 dieser Bestimmung; nur die Neunummerierung ist damit Gegenstand der vorliegenden Gewährleistung. Schliesslich sieht Artikel 155 Absatz 6 KV-GE vor, dass die kantonale Umsetzung von Steuerreformen des Bundes den Grundsätzen der Aufrechterhaltung der Finanzierung des Service public und der Leistungen an die Bevölkerung, des Erhalts des kantonalen und kommunalen Steueraufkommens und der Verstärkung der Steuerprogression gehorcht.

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Die kantonalen Kompetenzen im Steuerbereich werden insbesondere durch die Artikel 127­134 BV, das Bundesgesetz vom 14. Dezember 199015 über die direkte Bundessteuer (DBG) und das Steuerharmonisierungsgesetz vom 14. Dezember 199016 (StHG) eingeschränkt oder teilweise ausgeschlossen. Die Aufgaben des Staates nach Artikel 155 Absatz 4 KV-GE sind deshalb auf die den Kantonen verbleibenden Kompetenzen beschränkt, in Beachtung des freundeidgenössischen Geists. Der Kanton Genf kann nur insoweit den Grundsätzen nach Artikel 155 Absatz 6 Buchstaben a­c KV-GE gehorchen, als ihm das Bundesrecht einen entsprechenden Spielraum belässt.

Ein solcher Spielraum ist nicht auszuschliessen.

Die Änderung der KV-GE ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten. Die kantonalen Ausführungsbestimmungen müssen indessen mit dem höherrangigen Recht, insbesondere mit der BV, dem DBG und dem StHG, vereinbar sein.

1.5.4 Bisheriger Text

Institution zur häuslichen Pflege, Hilfe und Betreuung Neuer Text Art. 174A Institution zur häuslichen Pflege, Hilfe und Betreuung 1 Die Institution des öffentlichen Rechts zur häuslichen Pflege, Hilfe und Betreuung stellt Leistungen im Bereich der Hauspflege und der Selbstständigkeit von Personen sicher.

2 Das Betriebsdefizit der Institution wird durch eine jährliche Subvention zulasten des Staatsbudgets getragen.

Artikel 174A KV-GE sieht vor, dass die Institution zur häuslichen Pflege, Hilfe und Betreuung, eine Institution des öffentlichen Rechts, Leistungen im Bereich der Hauspflege und der Selbstständigkeit von Personen sicherstellt. Deren Betriebsdefizit wird durch eine jährliche Subvention zulasten des Staatsbudgets getragen. Diese kantonalen Aufgaben im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Sicherheit fallen in die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV. Artikel 174A KV-GE ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.5.5

Volksabstimmung vom 29. November 2020

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 29. November 2020 der Änderung der Artikel 48 und 228 KV-GE betreffend die Umsetzung von Artikel 29 des Übereinkommens vom 13. Dezember 200617 über die

15 16 17

SR 642.11 SR 642.14 SR 0.109

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Rechte von Menschen mit Behinderungen mit 84 684 Ja gegen 28 576 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 13. Januar 2021 ersuchen die Staatsratspräsidentin und die Kanzlerin im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.5.6

Umsetzung von Artikel 29 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 48 Stimmberechtigung 4 Die politischen Rechte von dauernd urteilsunfähigen Personen können durch Verfügung einer richterlichen Behörde entzogen werden.

Art. 48 Abs. 4 Aufgehoben

Art. 228 Übergangsbestimmung zu Art. 48 Abs. 4 (Stimmberechtigung)

Art. 228 Abs. 3 3 Personen, denen die politischen Rechte bei Inkrafttreten des Verfassungsgesetzes vom 29. November 2020 entzogen waren, erhalten diese unverzüglich zurück.

Zur Umsetzung von Artikel 29 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird Artikel 48 Absatz 4 KV-GE aufgehoben. Diese Bestimmung sieht vor, dass die politischen Rechte von dauernd urteilsunfähigen Personen durch Verfügung einer richterlichen Behörde entzogen werden können. Nach dem neuen Artikel 228 Absatz 3 KV-GE erhalten Personen, denen die politischen Rechte gestützt auf Artikel 48 Absatz 4 KV-GE entzogen wurden, diese im Zeitpunkt der Aufhebung von Artikel 48 Absatz 4 KV-GE und des Inkrafttretens von Artikel 228 Absatz 3 KV-GE unverzüglich zurück.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Die vorliegende Änderung der KVGE fällt unter diese Kompetenz, soweit sie sich auf die politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten bezieht. Sie ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

2

Rechtliche Aspekte

2.1

Bundesrechtskonformität

Die Prüfung hat ergeben, dass die Änderungen der Verfassungen der Kantone Uri, Schaffhausen, Aargau, Tessin und Genf die Anforderungen von Artikel 51 BV erfüllen. Somit ist ihnen die Gewährleistung zu erteilen.

2.2

Zuständigkeit der Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 Absatz 2 und 172 Absatz 2 BV für die Gewährleistung zuständig.

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2.3

Erlassform

Die Gewährleistung erfolgt mit einfachem Bundesbeschluss, da weder die BV noch ein Gesetz das Referendum vorsehen (vgl. Art. 141 Abs. 1 Bst. c i. V. m. Art. 163 Abs. 2 BV).

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