BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.055 Botschaft zur Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» und zum direkten Gegenentwurf (Bundesbeschluss über die Klimapolitik) vom 11. August 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen einen direkten Gegenentwurf zur Initiative mit dem Antrag, diesem Gegenentwurf zuzustimmen und ihn Volk und Ständen gleichzeitig mit der Initiative zu unterbreiten mit der Empfehlung, dem Gegenentwurf zuzustimmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. August 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-2702

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Übersicht Die Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» will die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf Netto-Null senken und verlangt, dass ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht werden dürfen.

Der direkte Gegenentwurf zur Volksinitiative verfolgt im Grundsatz das gleiche Ziel wie die Initiative. Er trägt den Bedürfnissen der Sicherheit des Landes Rechnung und berücksichtigt die wirtschaftliche und soziale Tragbarkeit sowie die spezielle Situation in den Berg- und Randgebieten. Ein Verbot fossiler Energieträger ab 2050 schliesst er aus.

Inhalt der Initiative Die Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» wurde am 27. November 2019 vom Verein Klimaschutz Schweiz mit 113 125 gültigen Unterschriften eingereicht. Die Initiative sieht die Einfügung eines neuen Verfassungsartikels zur Klimapolitik vor (Art. 74a BV), der verlangt, dass die Schweiz ab 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen soll, als in sicheren Treibhausgassenken dauerhaft gespeichert werden können. Auch sollen ab diesem Zeitpunkt in der Schweiz grundsätzlich keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Ausnahmen sind nur möglich bei Anwendungen, für die es keine technischen Alternativen gibt.

Die Initiative ist im Kontext der Diskussionen um die Totalrevision des CO2-Gesetzes entstanden, die damals vom Parlament beraten wurde. Die letztendlich verabschiedete Vorlage sah eine beträchtliche Reduktion der Treibhausgasemissionen vor und hätte die Schweiz auf Kurs in Richtung Netto-Null gebracht. In der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 hat die Stimmbevölkerung die Totalrevision abgelehnt. Für den Bundesrat stellt diese Ablehnung das Netto-Null-Ziel bis 2050 nicht in Frage. Denn sie ist nicht als Absage an den Klimaschutz zu interpretieren, sondern als Nein zu den vorgeschlagenen Massnahmen. Der Bundesrat wird möglichst rasch unter Berücksichtigung des Abstimmungsergebnisses und dessen Ursachen über die nächsten Schritte entscheiden.

Vorzüge und Mängel der Initiative Die Initiative verfolgt mit dem aus dem Übereinkommen von Paris (Klimaübereinkommen) vom Dezember 2015 abgeleiteten Ziel, die Treibhausgasemissionen bis ins Jahr 2050 auf Netto-Null abzusenken, im Grundsatz dasselbe
Ziel wie der Bundesrat.

Die Aufnahme des Netto-Null-Ziels in die Verfassung schafft aus Sicht des Bundesrates frühzeitig Planungs- und Investitionssicherheit für Wirtschaft und Private und hilft so, Investitionen in klimaverträgliche Bahnen zu lenken.

Die Initiative geht dem Bundesrat allerdings punktuell zu weit. Insbesondere ist er gegen ein Verbot von fossilen Energien auf Verfassungsstufe ab 2050, da bezüglich der langfristigen technologischen Entwicklung Unsicherheiten bestehen. Die Initiative will Ausnahmen nur auf technische Aspekte abstützen. Diese rein technische

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Sichtweise hält der Bundesrat für zu eng. Eine Verminderung des fossilen Energieverbrauchs sollte nicht nur die technische Machbarkeit, sondern ebenso die wirtschaftliche und soziale Tragbarkeit und die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Landes berücksichtigen. Die Wahl des notwendigen Instruments zur Umsetzung des Netto-Null-Ziels sollte aus Sicht des Bundesrates offenbleiben.

Anträge des Bundesrates Der Bundesrat beantragt deshalb den eidgenössischen Räten, die Gletscher-Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

Er schlägt vor, der Initiative einen direkten Gegenentwurf gegenüberzustellen, der das grundsätzliche Verbot fossiler Energieträger ersetzt durch eine Pflicht zur Verminderung des Verbrauchs dieser Energieträger. Armee, Polizei oder Rettungsdienste sollen für Schutz- und Rettungseinsätze bei Bedarf auf fossile Treibstoffe zurückgreifen können. Der Gegenentwurf hält deshalb in einem neuen Verfassungsartikel fest, dass die Sicherheit des Landes nicht beeinträchtigt werden darf. Auch sollen Ausnahmen möglich sein, wenn alternative Technologien wirtschaftlich nicht tragbar oder nur in ungenügendem Ausmass vorhanden sind.

Der Gegenentwurf nimmt als Ergänzung zur Sozialverträglichkeit die besondere Situation von Berg- und Randgebieten in die Verfassung auf. Diese Gebiete sind insbesondere in der Regel durch den öffentlichen Verkehr weniger gut erschlossen.

In der Schweiz ist das Potenzial für die dauerhafte Speicherung von CO2 (z. B. Wälder, Böden, CO2-Speicherung in geologischen Lagerstätten) aufgrund von technischen, wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen begrenzt. Der Gegenentwurf lässt daher offen, ob die im Jahr 2050 verbleibenden Emissionen aus fossiler Energie mit Senken im In- oder Ausland ausgeglichen werden.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

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Ausgangslage 2.1 Politisches Umfeld 2.2 Wichtigste Rechtsgrundlagen und Sektorpolitiken mit Bezug zur Initiative 2.2.1 CO2-Gesetz 2.2.2 Energiepolitik 2.2.3 Verkehrspolitik 2.2.4 Landwirtschaftspolitik 2.2.5 Waldpolitik und Holzwirtschaft 2.3 Klimapolitik nach 2030 2.3.1 Langfristige Klimastrategie 2.3.2 Die Rolle von Negativemissionstechnologien

7 7 9 9 10 11 14 14 15 15 17

3

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

18 18 19 19

4

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.2 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.2.1 Netto-Null-Ziel bis 2050 und Absenkpfad 4.2.2 Zuständigkeiten von Bund und Kantonen in Bezug auf die Klimapolitik 4.2.3 Verbot fossiler Energien 4.2.4 Treibhausgasreduktion und Senken im In- und Ausland 4.2.5 Innovations- und Technologieförderung 4.2.6 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

22 22 22 22

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Schlussfolgerungen

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6

Direkter Gegenentwurf 6.1 Wortlaut des direkten Gegenentwurfs 6.2 Vernehmlassungsverfahren 6.2.1 Ergebnisse des Vernehmlassungverfahrens 6.2.2 Überarbeitung des Vorentwurfs 6.3 Grundzüge der Vorlage

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6.4 6.5

6.6

Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen Auswirkungen 6.5.1 Auswirkungen auf den Bund 6.5.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.5.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.5.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.5.5 Auswirkungen auf die Umwelt Rechtliche Aspekte 6.6.1 Verhältnis zu anderen Verfassungsbestimmungen 6.6.2 Vereinbarkeit des direkten Gegenentwurfs mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

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Glossar

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Literaturverzeichnis

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Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» (Entwurf) BBl 2021 1973 Bundesbeschluss über die Klimapolitik (direkter Gegenentwurf zur Volksinitiative «Für ein gesundes Klima [Gletscher-Initiative]») (Entwurf) BBl 2021 1974

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Botschaft 1 Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative Die Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 74a

Klimapolitik

Bund und Kantone setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im Inland und im internationalen Verhältnis für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung ein.

1

Soweit in der Schweiz weiterhin vom Menschen verursachte Treibhausgasemissionen anfallen, muss deren Wirkung auf das Klima spätestens ab 2050 durch sichere Treibhausgassenken dauerhaft ausgeglichen werden.

2

Ab 2050 werden in der Schweiz keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht. Ausnahmen sind zulässig für technisch nicht substituierbare Anwendungen, soweit sichere Treibhausgassenken im Inland die dadurch verursachte Wirkung auf das Klima dauerhaft ausgleichen.

3

Die Klimapolitik ist auf eine Stärkung der Volkswirtschaft und auf Sozialverträglichkeit ausgerichtet und nutzt namentlich auch Instrumente der Innovations- und Technologieförderung.

4

Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmungen zu Art. 74a (Klimapolitik) Der Bund erlässt die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 74a innert fünf Jahren nach dessen Annahme durch Volk und Stände.

1

Das Gesetz legt den Absenkpfad für die Treibhausgasemissionen bis 2050 fest. Es benennt Zwischenziele, die mindestens zu einer linearen Absenkung führen, und regelt die zur Einhaltung des Absenkpfades erforderlichen Instrumente.

2

1 2

SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmungen wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

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1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen Die «Gletscher-Initiative» wurde am 16. April 2019 von der Bundeskanzlei einer Vorprüfung unterzogen und am 27. November 2019 eingereicht. Mit Verfügung vom 17. Dezember 20193 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 113 125 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.

Die Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu dem Parlament einen direkten Gegenentwurf. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. September 20024 (ParlG) und Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung vom 20. März 20205 über den Fristenstillstand bei eidgenössischen Volksbegehren hat der Bundesrat dem Parlament spätestens bis zum 7. August 2021 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat bis zum 7. August 2022 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen (Art. 100 ParlG). Diese Frist kann die Bundesversammlung um ein Jahr verlängern, wenn mindestens ein Rat über einen Gegenentwurf oder einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf einen Beschluss gefasst hat (Art. 105 Abs. 1 ParlG).

1.3 Gültigkeit Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV): a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem zwingenden Völkerrecht.

2 Ausgangslage 2.1 Politisches Umfeld Die Volksinitiative wurde im November 2019 vom Verein Klimaschutz Schweiz eingereicht. Sie will das aus dem Übereinkommen von Paris (Klimaübereinkommen) vom 12. Dezember 20156 abgeleitete Ziel, die Treibhausgasemissionen bis ins Jahr 2050 auf Netto-Null abzusenken, in die Verfassung schreiben. Die Schweiz soll folglich ab 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als der Atmosphäre mittels sicherer 3 4 5 6

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Senken*7 entzogen und dauerhaft gespeichert werden können. Auch sollen ab diesem Zeitpunkt in der Schweiz grundsätzlich keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Ausnahmen sind gemäss Initiative möglich bei Anwendungen, für die es keine technischen Alternativen gibt.

Die Schweiz setzt sich auf internationaler Ebene engagiert für den Klimaschutz ein.

Nachdem die Bundesversammlung das Klimaübereinkommen am 16. Juni 2017 genehmigt hatte, hinterlegte die Schweiz am 6. Oktober 2017 die Ratifikation und verpflichtete sich damit auf die in Artikel 2 Absatz 1 des Klimaübereinkommens festgehaltenen drei Ziele: erstens, die Begrenzung der durchschnittlichen globalen Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf deutlich unter 2 Grad Celsius, wobei ein maximaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius angestrebt wird; zweitens, die Steigerung der Fähigkeit zur Anpassung an ein verändertes Klima; drittens, die klimaverträgliche Ausrichtung der Finanzflüsse. Die Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius bedingt gemäss Artikel 4 Absatz 1 des Klimaübereinkommens, dass die weltweiten Treibhausgasemissionen bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts durch entsprechende Senkenleistungen* ausgeglichen werden. Dabei sollen der Grundsatz der Gerechtigkeit und die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt werden.

An der Klimakonferenz in Paris Ende 2015 beauftragte die Staatengemeinschaft den Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), die Bedeutung einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu untersuchen. Der im Oktober 2018 veröffentlichte Sonderbericht verdeutlicht, dass die ausgeglichene Emissionsbilanz von Netto-Null bereits wesentlich früher erreicht werden muss; das heisst für die CO2-Emissionen weltweit bereits gegen 2050 bei gleichzeitiger rascher Absenkung der übrigen Treibhausgasemissionen wie z. B. Methan, Lachgas und verschiedene synthetische Gase.8 Danach muss der globale CO2-Emissionspfad in den meisten untersuchten Fällen bis zum Ende des Jahrhunderts netto-negativ verlaufen. Das heisst, unter dem Strich müssen die dauerhaften CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre (negative Emissionen*, vgl. Ziff. 2.3.2) dann grösser sein als die CO2-Emissionen. Gestützt
auf diese Erkenntnisse hat der Bundesrat mit seinem Beschluss vom 28. August 2019 entschieden, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Dieses Ziel hat die Schweiz zusammen mit den Zielen für 2030 auch im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen (UNFCCC) offiziell eingereicht.9 Ihre internationale Verpflichtung setzt die Schweiz in erster Linie mit dem CO2Gesetz vom 23. Dezember 201110 um. Dieses verweist in Artikel 4 Absatz 2 auf Massnahmen anderer Rechtsgrundlagen, die einen Beitrag an das Verminderungsziel 7 8

9

10

Die mit einem Sternchen versehenen Begriffe werden im Glossar erklärt.

Detaillierte Informationen und Statistiken zu den Treibhausgasemissionen der Schweiz sind verfügbar unter: www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Klima > Daten, Indikatoren und Karten > Daten > Treibhausgasinventar.

Switzerland's information necessary for clarity, transparency and understanding in accordance with decision 1/CP.21 of its updated and enhanced nationally determined contribution (NDC) under the Paris Agreement (2021­2030). Verfügbar unter: www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Klima > Fachinformationen > Internationales > Eingaben der Schweiz > 2020.

SR 641.71

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leisten. Namentlich sind dies die Bereiche Umwelt, Energie, Abfall, Land-, Wald-, Finanz- und Holzwirtschaft, Strassenverkehr und Mineralölbesteuerung.

2.2 Wichtigste Rechtsgrundlagen und Sektorpolitiken mit Bezug zur Initiative 2.2.1 CO2-Gesetz Das CO2-Gesetz stellt die Rechtsgrundlage dar, um die internationale Verpflichtung der Schweiz umzusetzen. Am 25. September 2020 nahm das Parlament eine Totalrevision des CO2-Gesetzes an11, um die Ziele und Massnahmen bis 2030 rechtlich zu verankern. Die Revision sah vor, den bestehenden Massnahmenmix so auszubauen und weiterzuentwickeln, dass die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 insgesamt um mindestens 50 Prozent reduziert werden können, mindestens drei Viertel davon mit Massnahmen in der Schweiz. Zudem bildete der Zweckartikel die Ziele des Klimaübereinkommens ab. So sollte das Gesetz auch einen Betrag leisten, «die Treibhausgasemissionen auf ein Ausmass zu reduzieren, das die Aufnahmefähigkeit von Kohlenstoffsenken nicht übersteigt.»12 Dieses Netto-Null-Ziel war jedoch an keine bestimmte Jahreszahl gebunden.

Das Klimaübereinkommen verlangt von den Vertragsparteien, dass sie alle fünf Jahre ein ambitionierteres Verminderungsziel beim UNO-Klimasekretariat einreichen, für die Zeit nach 2030 bis spätestens 2025.13 In Bezug auf die Emissionsreduktionsziele ist zu beachten, dass im Einklang mit internationalen Bestimmungen nur der nationale Luftverkehr Teil des Verminderungsziels des CO2-Gesetzes ist. Die Emissionen aus dem internationalen Luftverkehr wie auch aus der internationalen Schifffahrt sind im Treibhausgasinventar, mit dem die Schweiz über die Entwicklung der Emissionen gegenüber dem UNO-Klimasekretariat jährlich Rechenschaft ablegt, separat ausgewiesen.

Da gegen das neue CO2-Gesetz ein Referendum ergriffen wurde, wurde es am 13. Juni 2021 der Stimmbevölkerung zur Abstimmung unterbreitet. Die Vorlage wurde mit 51,6 Prozent der Stimmen abgelehnt. Das CO2-Gesetz selber ist zwar nicht befristet und auch das internationale Klimaziel, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 zu senken, bleibt durch die Ratifikation des Klimaübereinkommens politisch verbindlich. Allerdings fehlen ohne Revision des CO2-Gesetzes ein nationales, messbares Reduktionsziel für die Zeit nach 2021 und somit ein Ankerpunkt für Massnahmen wie die CO2-Kompensationspflicht. Ausserdem können sich Unternehmen nicht mehr von der CO2-Abgabe befreien lassen.

11 12 13

BBl 2020 7847 Art. 1 Bst. b CO2-Gesetz.

Art. 4 Abs. 9 des Klimaübereinkommens, SR 0.814.012.

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Dieselbe Ausgangslage bezüglich auslaufender Instrumente bestand schon für das Jahr 2021. Das CO2-Gesetz wurde daraufhin per 1. Januar 2021 aufgrund einer parlamentarischen Initiative von Ständerat Burkart14 revidiert, um befristete Instrumente im Sinne einer Übergangsregelung bis Ende 2021 zu verlängern.

Um die nun erneut drohende Regulierungslücke zu schliessen und Rechtssicherheit zu schaffen, hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) an ihrer Sitzung vom 21. Juni 2021 eine parlamentarische Initiative eingereicht.15 Sie will das Inlandziel des geltenden CO2-Gesetzes bis Ende 2024 fortschreiben und die Weiterführung der CO2-Kompensationspflicht, der CO2Abgabebefreiung, sowie der Erleichterungen von der Mineralölsteuer für biogene Treibstoffe bis zu diesem Zeitpunkt garantieren. Sollte die ständerätliche Kommission am 12./13. August 2021 der parlamentarischen Initiative Folge geben, kann über einen Vorentwurf für eine entsprechende Teilrevision des CO2-Gesetzes beraten werden.

Der Entscheid der Stimmbevölkerung gegen das neue CO2-Gesetz ist aus Sicht des Bundesrates keine Absage an eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik. Es war ein Nein zum vorgeschlagenen Weg. Die Ablehnung des CO2-Gesetzes bedeutet, dass die bestehenden Massnahmen bis auf weiteres nicht wie vorgesehen verstärkt oder erweitert werden. Weiter umgesetzt werden nur bestimmte Massnahmen, die zu einer Reduktion der Emissionen um schätzungsweise 23 Prozent bis 2030 führen können.

Um trotz der veränderten Gegebenheiten die notwendigen Weichen in Richtung des Netto-Null-Ziels stellen zu können, ist es in einem ersten Schritt entscheidend, dass die fortgeführten Instrumente des CO2-Gesetzes konsequent und möglichst klimawirksam umgesetzt werden. Weiter wird der Bundesrat nach einer Analyse des Abstimmungsergebnisses vom 13. Juni 2021 und dessen Ursachen möglichst rasch über eine neue Vorlage zur Weiterentwicklung der Klimapolitik entscheiden. Denn für den Bundesrat besteht auch nach der Ablehnung des Gesetzes Handlungsbedarf, damit die Schweiz ihre Klimaziele und insbesondere das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichen kann.

2.2.2 Energiepolitik Der Verbrauch fossiler Energieträger ist in der Schweiz für rund drei Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Energie- und Klimapolitik sind daher eng verzahnt. Einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der klimapolitischen Ziele leistet die Energiestrategie 2050. Diese hat eine umweltverträgliche Energieversorgung zum Ziel unter gleichzeitiger Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Im Strombereich strebt sie eine Senkung des Pro-Kopf-Verbrauchs sowie einen deutlichen Ausbau der Erzeugung aus erneuerbaren Energien (Wasserkraft, Fotovoltaik, Biomasse, Geothermie und Windenergie) an. Auch im Wärme- und Mobilitätsbereich soll die Effizienz

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Pa. Iv. 17.405 Burkart. Verlängerung der Befristung der Steuererleichterungen für Erdgas, Flüssiggas und biologische Treibstoffe.

Pa. Iv. 21.477 UREK-N. Verlängerung des Reduktionszieles im geltenden CO2-Gesetz.

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gesteigert und zu einem grossen Teil erneuerbare anstatt fossile Energie genutzt werden. Im Zusammenhang mit der Energiestrategie 2050 hat die Stimmbevölkerung am 21. Mai 2017 das neue Energiegesetz vom 30. September 201616 angenommen.

Das Ziel, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf Netto-Null zu senken, bedingt, dass die Energiestrategie 2050 weiterentwickelt wird. Insbesondere ist eine rasche Elektrifizierung im Verkehrs- und im Wärmebereich nötig. Daher sind ein verstärkter und rechtzeitiger Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und spezifische Massnahmen zur Stärkung der Stromversorgungssicherheit notwendig.

Dies bedingt entsprechende Änderungen im Energiegesetz und im Stromversorgungsgesetz vom 23. März 200717. Der Bundesrat schlägt vor, die beiden Gesetzesrevisionen im «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» zusammenzunehmen, und hat am 18. Juni 2021 die zugehörige Botschaft verabschiedet.18 Die vorgeschlagene Revision will die Förderung der erneuerbaren Energien zum einen bis 2035 verlängern und zum andern wettbewerblicher ausgestalten. Des Weiteren sollen die gesetzlichen Richtwerte für die Stromproduktion aus Wasserkraft und andere erneuerbare Energien für das Jahr 2035 erhöht und zu verbindlichen Zielwerten geändert und neu auch Zielwerte für das Jahr 2050 festgelegt werden. Beim Stromversorgungsgesetz beabsichtigt der Bundesrat, mit der Öffnung des Strommarkts für alle Kundinnen und Kunden die erneuerbaren Energien besser im Markt zu integrieren und die dezentrale Stromproduktion zu stärken. Die Marktöffnung ermöglicht den erneuerbaren Energien neue Geschäftsmodelle (beispielsweise Energiegemeinschaften), die im Monopol nicht erlaubt sind bzw. für die es bisher kaum Innovationsanreize gibt. Die Vorlage enthält zudem wichtige Elemente zur Stärkung der Stromversorgungssicherheit (Unterstützung des Zubaus von Stromproduktionskapazitäten im Winter, Energiereserve) sowie Verbesserungen im Netzbereich. Letztere sind insbesondere auch wichtig, um die zunehmende Menge erneuerbarer Erzeugungsanlagen sicher und effizient in das Gesamtsystem zu integrieren.

2.2.3 Verkehrspolitik Der Verkehr verursacht mehr als einen Drittel der Treibhausgasemissionen der Schweiz. Für die Emissionsentwicklung entscheidend sind die Wahl und die Auslastung des Verkehrsmittels, die Antriebstechnologie, die Energieeffizienz der Fahrzeuge, die zurückgelegten Kilometer und der eingesetzte Energieträger.

Im Strassenverkehr wird der überwiegende Teil der Fahrzeuge mit den fossilen Treibstoffen Benzin und Diesel betrieben. Damit der Strassenverkehr im Jahr 2050 mit wenigen Ausnahmen keine Treibhausgasemissionen mehr verursacht, müssen die Reduktionsanstrengungen überproportional ansteigen. Zentral ist die möglichst rasche Ablösung fossiler Treibstoffe durch emissionsfreie Alternativen.

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SR 730.0 SR 734.7 BBl 2021 1666

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Um die Elektrifizierung des Verkehrs zu unterstützen, hat der Bund zusammen mit Kantonen und Gemeinden sowie verschiedenen Branchenvertreterinnen und -vertretern am 18. Dezember 2018 eine gemeinsame Roadmap unterzeichnet, die einen höheren Anteil von Elektrofahrzeugen an den Neuzulassungen von Personenwagen anstrebt. Die Neuzulassungen von Elektroautos (batterieelektrische und Plug-inHybride) haben in den vergangenen Jahren zugenommen und erreichten 2020 in der Schweiz mit einem Anteil von 14,3 Prozent einen neuen Höchststand. Infrastrukturseitig unterstützt der Bund den Ausbau des Ladestationen-Netzes. Derzeit treiben Bund und Kantone den Aufbau eines Schnellladenetzes entlang der Nationalstrassen voran.

Die zunehmende Elektrifizierung des Strassenverkehrs macht einen neuen Ansatz bei der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur notwendig. Werden in der Schweiz weniger Benzin und Diesel abgesetzt, gehen auch die Einnahmen aus der Mineralölsteuer zurück. Der Bundesrat hat deshalb am 13. Dezember 2019 das UVEK und das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) beauftragt, ein Konzept zur Sicherung der langfristigen Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu erarbeiten. Bestehende Steuern und Abgaben sollen durch eine leistungsabhängige Abgabe abgelöst werden. Zudem sollen die rechtlichen Grundlagen für Pilotprojekte mit räumlich und zeitlich differenziertem Mobility Pricing zur preislichen Steuerung des Mobilitätsverhaltens geschaffen werden.

Neben den zukünftigen Antriebssystemen spielt auch die Verlagerung auf emissionsärmere Verkehrsmittel eine wichtige Rolle. Der öffentliche Verkehr ist energieeffizient und emissionsarm. Er wird von Bund, Kantonen und Gemeinden unterstützt, wobei der Bund, gestützt auf das Bundesgesetz vom 21. Juni 201319 über die Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur (FABI) den Substanzerhalt und den etappenweisen Ausbau der Bahninfrastruktur über den Bahninfrastrukturfonds (BIF) finanziert. Zudem zeigt der Bericht des Bundesrates vom 12. März 2021 in Erfüllung des Postulats 19.3000 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrats Möglichkeiten auf, wie der öffentlichen Verkehr auf der Strasse und insbesondere die Umstellung auf fossilfreie Antriebe beim konzessionierten Busverkehr unterstützt werden können.20 Im Bereich Langsamverkehr hat sich die
Schweizer Bevölkerung 2018 mit der Zustimmung zum Bundesbeschluss über die Velo-, Fuss- und Wanderwege für eine Aufwertung der Velowege ausgesprochen.21 Am 19. Mai 2021 hat der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zum Veloweggesetz vorgelegt, mit dem er für bessere und sicherere Velowege sorgen will.22 Zur Verkehrsverlagerung und Verkehrsvermeidung tragen auch neue Arbeitsformen wie Telearbeit und die Abstimmung von Siedlung und Verkehr bei. Durch eine mit der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs koordinierten Raumentwicklung ist es

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AS 2015 651 Po 19.3000 KVF-NR. Nichtfossilen Verkehrsträgern im öffentlichen Verkehr auf Strassen zum Durchbruch verhelfen; www.parlament.ch > 19.3000 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

AS 2019 525 BBl 2021 1260

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möglich, CO2-ärmere Mobilität weiter zu fördern. Der überarbeitete Sachplan Verkehr23 wird dabei den Rahmen für die langfristige Entwicklung des schweizerischen Gesamtverkehrssystems und damit für die verkehrspolitische Strategie des Bundesrats setzen. Als Planungsgrundlage dienen die Verkehrsperspektiven24, in denen der Bund die Entwicklungen im Verkehr bis 2040 respektive bis 2050 in Form von Szenarien errechnet.

Im Güterverkehr spielt neben den Emissionsvorschriften die Verlagerungspolitik der Schweiz eine bedeutende Rolle. So erreichte der alpenquerende Transport auf der Strasse 2019 zwar den tiefsten Stand seit zwei Jahrzehnten, das Verlagerungsziel von 650 000 Fahrten pro Jahr wurde jedoch bisher nicht erreicht. Der Bundesrat will die Verlagerungspolitik stärken und hat dem Parlament mit Botschaft vom 13. November 201925 eine Verlängerung und Erhöhung des Zahlungsrahmens für die Förderung des alpenquerenden unbegleiteten Verkehrs beantragt. Das Parlament hat eine Verlängerung der Betriebsbeiträge bis 2030 beschlossen.26 Auf 2021 sind zudem die Trassenpreise gesunken. Damit werden Bahntransporte nicht nur im Transit, sondern flächendeckend attraktiver. Mit dem Ziel, die Verlagerungswirkung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) aufrechtzuerhalten, wird der Bundesrat die Abgasklassen EURO IV und V, die laut LSVA-Veranlagungssystem der eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) Ende 2020 16,6 Prozent des Güterverkehrs auf Schweizer Strassen ausmachten, Mitte 2021 von der mittleren in die teuerste Kategorie abklassieren. Lastwagen mit elektrischem Antrieb (batterieelektrisch oder mit WasserstoffBrennstoffzellen) sind aktuell von der LSVA ausgenommen. Mit dem Verlagerungsbericht 2019 hat der Bundesrat zudem beschlossen, Optionen zur langfristigen Ausrichtung der LSVA zu prüfen.

Der Bundesrat will ausserdem mit dem Gesetz für unterirdische Gütertransportanlagen die Voraussetzungen schaffen, damit das privatwirtschaftlich initiierte Projekt Cargo sous terrain verwirklicht werden kann. Er hat an seiner Sitzung vom 28. Oktober 2020 die Botschaft an das Parlament verabschiedet.27 Das Projekt sieht einen unterirdischen dreispurigen Tunnel zwischen wichtigen Logistikzentren vor, in welchem Güter transportiert und an Zugangsstellen vollautomatisch ins System eingespeist oder entnommen werden. Durch
die Realisierung von Cargo sous terrain können die Verkehrsbelastung und die Schadstoff- und Treibhausgasemissionen gesenkt werden.

Der Luftverkehr ist ein Spezialfall, da nur der nationale Luftverkehr Teil des Verminderungsziels des CO2-Gesetzes ist (vgl. Ziff. 2.2.1). Dennoch ist mit dem Einbezug der innereuropäischen Luftfahrt in das Schweizer Emissionshandelssystem (EHS)

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26 27

www.are.admin.ch > Raumentwicklung & Raumplanung > Strategie und Planung > Konzepte und Sachpläne > Sachpläne des Bundes > Verkehr Teil Programm.

www.are.admin.ch > Mobilität > Grundlagen und Daten > Verkehrsperspektiven 2040.

19.064 Botschaft vom 13. Nov. 2019 zum Bundesbeschluss über eine Erhöhung und Laufzeitverlängerung des Zahlungsrahmens für die Förderung des alpenquerenden Schienengüterverkehrs, BBl 2019 8367.

BBl 2020 6477 20.081 Botschaft vom 28. Okt. 2020 zum Bundesgesetz über den unterirdischen Gütertransport, BBl 2020 8849.

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aufgrund der Verknüpfung mit dem EHS der EU28 seit 2020 eine Massnahme für die Reduktion der CO2-Emissionen aus inländischen Flügen und aus Flügen von der Schweiz in den europäischen Wirtschaftsraum in Kraft. Die Schweiz beteiligt sich auch am System der internationalen Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization, ICAO), die mit dem Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) ab 2021 ein CO2-neutrales Wachstum der zivilen Luftfahrt anstrebt. Die dadurch im internationalen Luftverkehr erzielten Verminderungen leisten einen Beitrag zum Zweck des CO2-Gesetzes, die globale Erwärmung einzudämmen.

2.2.4 Landwirtschaftspolitik Der Sektor Landwirtschaft verursachte im Jahr 2019 in der Schweiz 14 Prozent der Treibhausgasemissionen. Darüber hinaus beeinflusst die Landwirtschaft zusätzlich die Treibhausgasbilanz landwirtschaftlicher Böden. Auch diese Emissionen von derzeit mehreren Hunderttausend Tonnen müssen im Hinblick auf die Begrenzung der globalen Erwärmung nach Artikel 2 des Klimaübereinkommens langfristig ausgeglichen werden.

Der Bundesrat am 12. Februar 2020 seine Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 202229 verabschiedet und Schritte eingeleitet, um die Methan- und Lachgasemissionen zu senken. Die Arbeiten zur Agrarpolitik ab 2022 wurden jedoch am 16. März 2021 vom Parlament sistiert, und der Bundesrat wurde beauftragt, in einem Postulatsbericht30 bis 2022 zusätzliche Angaben zu präsentieren. Damit wurde die Weiterentwicklung der politischen Rahmenbedingungen, mit welcher der Bundesrat unter anderem eine ökologischere Ausrichtung der Landwirtschaft anstrebte, vorerst verzögert.

2.2.5 Waldpolitik und Holzwirtschaft Der Wald und die Waldbewirtschaftung sollen zur Verminderung der Treibhausgasemissionen beitragen, indem der nachwachsende Rohstoff Holz vermehrt genutzt und anstelle von CO2-intensiven Energieträgern oder Baustoffen verwendet wird.31 Ein langfristig optimaler Effekt zur Verbesserung der CO2-Bilanz ergibt sich, wenn der Wald so bewirtschaftet wird, dass jedes Jahr möglichst viel nutzbares Holz zuwächst und dieses Holz zunächst als Baustoff und anschliessend als Energieträger genutzt wird. Durch die Herstellung und Nutzung von Holzprodukten werden CO2Emissionen aus der Verarbeitung anderer Rohstoffe vermieden; anschliessend können

28

29 30 31

Abkommen vom 23. Nov. 2017 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union zur Verknüpfung ihrer jeweiligen Systeme für den Handel mit Treibhausgasemissionen, SR 0.814.011.268.

20.022 Botschaft des Bundesrates vom 12. Febr. 2020 zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+), BBl 2020 3955.

Po 20.3931 WAK-SR. Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik.

Vgl. Bundesamt für Umwelt (BAFU) (2013).

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durch eine Wiederverwendung von Abfall- und Altholz als Energiequelle zusätzliche Emissionen aus fossilen Energieträgern vermieden werden (Kaskadennutzung).

Daneben soll der Wald als anpassungsfähiges Ökosystem erhalten bleiben, damit er die vielfältigen Leistungen beim Schutz vor Naturgefahren, als Holzlieferant, Erholungsraum, Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als Trinkwasserlieferant auch unter sich ändernden klimatischen Bedingungen erbringen kann.

Wälder und Böden wirken als CO2-Senken, wenn sie mehr Kohlenstoff aufnehmen als abgeben. Wird der gespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt, zum Beispiel, wenn Bäume infolge Sturm oder Schädlingsbefall absterben, werden die CO2-Senken zu Quellen und belasten die Treibhausgasbilanz. Wird das Holz im Wald geerntet und zu Produkten weiterverarbeitet, bleibt der Kohlenstoff zumindest während der Lebensdauer des Produktes gespeichert. Gemäss internationalen Regeln ist nur die Differenz zwischen der CO2-Bilanz des Wald- und Holzsektors zu einem Referenzwert (forest reference level) an das Verminderungsziel anrechenbar. Der Referenzwert beschreibt die bisherige Bewirtschaftungspraxis.

2.3 Klimapolitik nach 2030 2.3.1 Langfristige Klimastrategie Gleichzeitig mit dem Beschluss zum Netto-Null-Ziel bis 2050 beauftragte der Bundesrat das UVEK mit der Erarbeitung einer aus diesem Ziel abgeleiteten langfristigen Klimastrategie.32 Sie wurde am 27. Januar 2021 vom Bundesrat verabschiedet und anschliessend von der Schweiz beim UNO-Klimasekretariat eingereicht, in Erfüllung ihrer Verpflichtung als Vertragspartei des Klimaübereinkommens (Art. 4 Abs. 19).

Die langfristige Klimastrategie zeigt auf, wie sich die Treibhausgasemissionen insgesamt in den verschiedenen Sektoren bis zum Jahr 2050 entwickeln müssen. Als ersten Schritt legt sie zehn übergeordnete strategische Grundsätze fest, die für die Erreichung des Netto-Null-Ziels entscheidend sind und das klimapolitische Handeln der Schweiz in den kommenden Jahren anleiten und prägen sollen:

32

1.

Die Schweiz nutzt die Chancen eines konsequenten Übergangs in Richtung Netto-Null.

2.

Die Schweiz nimmt ihre klimapolitische Verantwortung wahr.

3.

Die Emissionsminderung im Inland steht im Vordergrund.

4.

Die Emissionen werden über die gesamten Wertschöpfungsketten reduziert.

5.

Sämtliche Energieträger werden haushälterisch und zielgerichtet unter Berücksichtigung ihrer optimalen Anwendungsmöglichkeiten eingesetzt.

6.

Bund und Kantone richten ihre planerischen Aktivitäten in allen klimarelevanten Bereichen auf Netto-Null aus.

Bericht des Bundesrates vom 27. Jan. 2021 über die langfristige Klimastrategie der Schweiz. Verfügbar unter www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Klima > Fachinformationen > Emissionsverminderung > Verminderungsziele > Ziel 2050.

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7.

Der Übergang in Richtung Netto-Null erfolgt sozialverträglich.

8.

Der Übergang in Richtung Netto-Null erfolgt wirtschaftsverträglich.

9.

Der Übergang in Richtung Netto-Null verbessert gleichzeitig die Umweltqualität.

10. Die langfristige Klimastrategie stützt sich auf das Prinzip der Technologieoffenheit.

Die Klimastrategie definiert für die verschiedenen Sektoren strategische Zielsetzungen, zeigt mögliche Emissionsentwicklungen bis zum Jahr 2050 auf und leitet den Bedarf an negativen Emissionen her, der zum Ausgleich der verbleibenden Restemissionen voraussichtlich notwendig sein wird. Sie basiert auf den Energieperspektiven 2050+33, die eine Entwicklung des Energiesystems analysieren, die mit dem langfristigen Klimaziel, bis ins Jahr 2050 die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null abzusenken, kompatibel ist.

Emissionsminderungen bis 2050 Gestützt auf die Energieperspektiven 2050+ geht der Bundesrat in seiner langfristigen Klimastrategie davon aus, dass der Gebäudesektor und der Verkehr bis 2050 ihre fossilen Emissionen auf null reduzieren können. Auch in der Industrie lassen sich die energiebedingten Emissionen praktisch vollständig eliminieren. Das Reduktionspotenzial in der Land- und Ernährungswirtschaft ist ebenso zu nutzen. Schliesslich soll auch der internationale Luftverkehr einen Beitrag zur Zielerreichung leisten, insbesondere durch den Einsatz erneuerbarer nachhaltiger Treibstoffe und alternativer Antriebsformen. Insgesamt ist gemäss der langfristigen Klimastrategie so bis zum Jahr 2050 eine Verminderung der Treibhausgasemissionen durch die Substitution fossiler Brenn- und Treibstoffe und durch Effizienzsteigerungen auf rund 11,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente möglich.34 Dies entspricht einer Reduktion von 79 Prozent gegenüber den Treibhausgasemissionen 2018, der internationale Luftverkehr miteinberechnet.

Schwer vermeidbare Restemissionen verbleiben insbesondere aus der Kehrichtverbrennung, in der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion und aus einigen industriellen Prozessen. So werden beispielsweise bei der Zementproduktion geogene, d. h. chemische Prozessemissionen freigesetzt. Um diese Restemissionen ebenfalls zu eliminieren und längerfristig negative Emissionen zu erzeugen, sind der Einsatz von Technologien zur Abscheidung und Einlagerung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS*) direkt an Anlagen sowie Negativemissionstechnologien nötig.

Ab 2035 sind gemäss den Energieperspektiven 2050+ erste Reduktionsbeiträge via CCS in Kehrichtverbrennungsanlagen und ab 2040 auch in der
Zementproduktion möglich. Diese Beiträge nehmen nach 2040 rasch zu. 2050 könnten mit CCS rund 5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus fossilen und geogenen Quellen vermieden werden. Gemeinsam mit der Verminderung der Treibhausgasemissionen durch die Substitution fossiler Brennstoffe und Effizienzsteigerungen in den übrigen Sektoren ergibt sich eine totale Emissionsreduktion um knapp 90 Prozent gegenüber 1990.

33 34

Prognos/TEP Energy/Infras/Ecoplan (2020).

Prognos/TEP Energy/Infras/Ecoplan (2020), S. 80.

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Die verbleibenden Treibhausgasemissionen ­ insgesamt knapp 7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ­ müssen der Atmosphäre mit Negativemissionstechnologien dauerhaft entzogen werden.35 Sollten 2050 noch Restemissionen aus dem internationalen Luftverkehr verbleiben, so würde sich der Bedarf an negativen Emissionen entsprechend erhöhen.

2.3.2 Die Rolle von Negativemissionstechnologien Negativemissionstechnologien* sind durch den Menschen eingeleitete Verfahren, die der Atmosphäre CO2 entziehen und dieses dauerhaft über mehrere Jahrzehnte ­ besser über Jahrhunderte ­ speichern. Bei den Technologieoptionen für negative Emissionen lassen sich zwei Hauptformen unterscheiden. Erstens natürliche Ansätze, in denen CO2 gezielt mittels Biomasse eingefangen wird (z. B. durch eine erhöhte Aufnahme durch Bäume oder Böden) oder, zweitens, technische Ansätze, die beispielsweise CO2 mit maschinellen Filtern direkt aus der Umgebungsluft einfangen und an anderer Stelle (oft unterirdisch) speichern. Mit Negativemissionstechnologien sollen daher Senken erzeugt werden, die Kohlenstoff dauerhaft speichern. CCS und Technologien, mit denen CO2 an einer Anlage abgeschieden und anschliessend als Rohstoff verwendet wird (Carbon Capture, Utilisation and Storage, CCUS), können unter bestimmten Umständen negative Emissionen generieren; so etwa beim Einsatz von CCS bei Kehrichtverbrennungsanlagen, weil heute rund 50 Prozent des verbrannten Abfalls biogenen Ursprungs ist.

Der Bericht des Bundesrates vom 2. September 2020 in Erfüllung eines Postulats von Ständerätin Thorens-Goumaz36 zeigt auf, welche Bedeutung negative Emissionen haben und wie die möglichen Ansätze für negative Emissionen aus Klimasicht zu bewerten sind, und erläutert den Bedarf weiterer Arbeiten.

Das langfristige theoretische Potenzial für dauerhafte Senkenleistungen wird zurzeit auf total rund 6 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in der Schweiz geschätzt.37 Das tatsächlich nachhaltig realisierbare Potenzial dürfte jedoch deutlich tiefer liegen und lässt sich noch nicht präzise quantifizieren; es ist abhängig von der Entwicklung der Technologien, der wirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen, von ökologischen Aspekten und der gesellschaftlichen Akzeptanz. So wäre beispielsweise das Potenzial für die Speicherung von CO2 in geologischen Lagerstätten theoretisch vor allem im Mittelland gegeben; faktisch ist es aber unbekannt, weil Feldversuche fehlen. Kohlenstoffspeicher* in Wald, Holz und Boden erreichen bereits nach wenigen bis mehreren Jahrzehnten ein Niveau, das keine weitere zusätzliche Speicherung mehr zulässt. Unter Umständen können sie sogar wieder zu CO2-Emissionsquellen

35

36

37

Für die Zusammensetzung der möglichen Restemissionen siehe Bericht des Bundesrates vom 27. Jan. 2021 über die langfristige Klimastrategie der Schweiz, S. 54. Verfügbar unter www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Klima > Fachinformationen > Emissionsverminderung > Verminderungsziele > Ziel 2050.

Po 18.4211 Thorens-Goumaz, Von welcher Bedeutung könnten negative CO2Emissionen für die künftigen klimapolitischen Massnahmen der Schweiz sein?; www.parlament.ch > 18.4211 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

Stiftung Risiko-Dialog (2019).

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werden (vgl. Ziff. 2.2.5). Um negative Emissionen zu generieren, muss die Senkenleistung nach dem Zeitpunkt der «Sättigung» dauerhaft sichergestellt werden können.

Aufgrund der begrenzten inländischen Speicherpotenziale und weiterer Herausforderungen, wie des teilweise über weite Strecken nötigen Transports von abgeschiedenem CO2, und möglicher Risiken müssen Negativemissionstechnologien zwingend für schwer vermeidbare Emissionen reserviert bleiben. Damit sie diese Rolle mittelbis langfristig wahrnehmen können, sind frühzeitig entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Zudem sind Forschung, Entwicklung und Umsetzung aller möglichen Ansätze rasch voranzutreiben.

3 Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative Ziel der Initiative ist es, die politischen Rahmenbedingungen für eine ambitioniertere Klimapolitik zu schaffen. Die Initiative will das aus dem Klimaübereinkommen vom Dezember 2015 abgeleitete Ziel für das Jahr 2050, die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null abzusenken, in die Verfassung schreiben. Dies dränge sich gemäss Ausführungen des Initiativkomitees auf, weil die bisherige Schweizer Politik mit den Verpflichtungen aus dem Klimaübereinkommen und den Erfordernissen einer ernsthaften Klimapolitik nicht im Einklang stehe. Hierzu ist jedoch auf den Beschluss des Bundesrates vom 28. August 2019 hinzuweisen, bis im Jahr 2050 Treibhausgasemissionen von Netto-Null anzustreben (vgl. Ziff. 4.1), der grundsätzlich das Ziel der Initiantinnen und Initianten teilt, jedoch erst nach dem Beginn der Unterschriftensammlung (ab 30. April 2019) gefällt wurde.

Mit dem grundsätzlichen Verbot des Inverkehrbringens fossiler Brenn- und Treibstoffe ab 2050 will die Initiative dem Ausstieg aus den fossilen Energien ein Datum setzen, was Planungssicherheit für Investorinnen und Investoren schaffe.

Da längerfristig alle Emissionen im In- und Ausland eliminiert werden müssen, will die Initiative ausschliessen, dass CO2-Emissionen aus fossilen Energien im Ausland ausgeglichen werden dürfen, um den Fokus auf den Umbau des inländischen Energiesystems legen.

Diesen Umbau solle die Schweiz als Chance wahrnehmen, beispielsweise durch die Entwicklung klimafreundlicher Techniken, die über die Landesgrenzen hinaus zu Emissionsreduktionen beitragen. Nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten setzt die Gletscher-Initiative das Klimaübereinkommen in der Schweiz so schlank, liberal und wirksam wie möglich um. Die Initiative schreibe ein Ziel fest und lasse den Weg dorthin mit grösstmöglichem Spielraum offen.

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3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung Zentrales Element der Initiative ist eine rechtliche Verpflichtung zu den aus dem Klimaübereinkommen abgeleiteten Verminderungszielen für das Jahr 2050. Gemäss dem neu vorgeschlagenen Verfassungsartikel 74a zur Klimapolitik sollen Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im In- und Ausland im Sinne des Klimaschutzes handeln. Der Artikel legt als Ziel fest, dass die Schweiz ab 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen soll, als sie durch sichere Treibhausgassenken dauerhaft ausgleichen kann. Der in der Ausführungsgesetzgebung festzulegende Absenkpfad soll dabei mindestens linear verlaufen.

Auch sollen ab 2050 in der Schweiz grundsätzlich keine fossilen Brenn- und Treibstoffe in Verkehr gebracht werden dürfen. Die Formulierung «in Verkehr bringen» verweist gemäss den Initiantinnen und Initianten darauf, dass Massnahmen zur Senkung der Emissionen an der Quelle ansetzen müssen, also verhindern, dass fossiler Kohlenstoff in der Schweiz in den Verkehr gelangt.

Ausnahmen sind möglich bei Anwendungen, für die es keine technischen Alternativen gibt. Solche CO2-Emissionen sind allerdings durch sichere Treibhausgassenken im Inland auszugleichen. Gemäss der Initiative soll die Klimapolitik die Volkswirtschaft stärken, sozialverträglich sein sowie Innovationen und Technologieentwicklungen fördern. Die Initiative fordert zudem, auf Gesetzesstufe einen Absenkpfad inklusive Zwischenzielen festzulegen, die für eine mindestens lineare Absenkung der Treibhausgasemissionen bis 2050 sorgen.

3.3 Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes Gemäss Absatz 1 des vorgeschlagenen Artikels 74a, der Bund und Kantone verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im In- und Ausland im Sinne des Klimaschutzes zu handeln, müssten die Aussen- und Aussenhandelspolitik sowie die Schweizer Position in internationalen Organisationen damit in Einklang gebracht werden. Bund und Kantone sollen sich gemäss Initiativkomitee für klimaverträgliche Finanzflüsse einsetzen, soweit sie selber als Investoren auftreten oder in Entscheidungsgremien von internationalen Finanzorganisationen vertreten sind, was folgerichtig sei. Die Gemeinden sollen über kantonale Gesetze in die Verpflichtung einbezogen werden, was ebenfalls konsequent sei. Die Pflicht von Bund und Kantonen beinhaltet neben einer Politik, die auf eine möglichst geringe Erwärmung abzielen soll, auch Massnahmen zur Anpassung an ein verändertes Klima. Dazu ist festzuhalten, dass bei der Anpassung an den Klimawandel der Bund gemäss Artikel 8 des geltenden CO2-Gesetzes38 in erster Linie eine koordinative Rolle einnimmt und Grundlagen bereitstellt; die Umsetzung obliegt aber in der Regel den Kantonen (vgl. Ziff. 6.4).

Absatz 2 des Initiativtexts legt ein Netto-Null-Ziel für das Total aller auf menschliche Tätigkeiten zurückzuführenden (anthropogenen) Treibhausgasemissionen der Schweiz bis spätestens 2050 fest. Ab dann muss deren Wirkung vollständig durch sichere und dauerhafte Treibhausgassenken ausgeglichen werden (vgl. Ziff. 2.3.2).

38

SR 641.71

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Sicher meint in diesem Zusammenhang, dass die Senke keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt. Nach aktuellem Stand des Wissens werden insbesondere CO2Senken zur Anwendung kommen, entsprechend muss die Klimawirkung von NichtCO2-Emissionen (bspw. Methan aus der Landwirtschaft) in CO2-Äquivalente für deren Ausgleich in CO2-Senken umgerechnet werden. Neben CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern, industriellen Prozessen, der Landwirtschaft, der Waldwirtschaft und der Bodennutzung sowie aus der Abfallverbrennung (soweit die CO2-Emissionen aus fossilen Quellen stammen) sind gemäss den Initiantinnen und Initianten auch Lachgas (N2O), Methan (CH4), synthetische Gase sowie durch den Luftverkehr emittierte Stickoxide (NOx) und Wasserdampf abgedeckt. Dies ist ­ bis auf den Einbezug von NO2 und Wasserdampf aus dem Luftverkehr, deren Klimawirkung methodisch schwierig zu bestimmen ist ­ im Einklang mit bisherigen Regelungen: Alle erwähnten Gase und Sektoren werden im Treibhausgasinventar der Schweiz erfasst und bis auf die Emissionen des internationalen Luftverkehrs auch im Reduktionsziel nach CO2Gesetz berücksichtigt (vgl. Ziff. 2.2.3 und 4.2.1).

Die Senken können natürlicher Art (z. B. Wälder und Böden) oder technischer Art (z. B. Filtern von CO2 aus der Luft mit dauerhafter unterirdischer Speicherung) sein.

Das Risiko, dass in einer Senke gespeicherte Treibhausgase wieder freigesetzt werden (z. B. durch Waldbrand, Bodenerosion), muss bei der Senkenleistung berücksichtigt werden, um die Klimawirkung zu beaufsichtigen bzw. sicherzustellen (vgl.

Ziff. 2.3.2). Diese Senken müssten nicht zwingend in der Schweiz sein. Es ist denkbar, dass sich die Schweiz an ökologischen und sozial nachhaltigen Senkenprojekten im Ausland beteiligt und sich die entsprechende Senkenleistung gutschreiben lässt.

Das Zieljahr 2050 ergibt sich aus dem Klimaübereinkommen und dem Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) vom Oktober 201839 über die Erwärmungsgrenze von 1,5 Grad Celsius, was der Bundesrat mit seinem Netto-Null-Beschluss vom 28. August 2019 bestätigt hat. Sollten neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass die Emissionen schneller als heute angenommen sinken müssen, wäre gemäss dem Initiativkomitee das Zieljahr vorzuverlegen. Dies steht im Einklang mit der Vorgabe nach Absatz 1, wonach Bund und Kantone sich
für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung einsetzen; dazu müssen sie sich notwendigerweise und im Einklang mit der bisherigen Praxis auf die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse abstützen. Entscheidend ist für die Klimawirkung aber nicht das Ausstiegsjahr, sondern die kumulierte Menge an Treibhausgasen, die bis dahin noch emittiert wird (vgl. Abs. 2 der Übergangsbestimmungen).

Absatz 3 des Initiativtextes regelt die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger: Ab 2050 sollen in der Schweiz keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht werden. Gemeint sind fossile Energieträger wie Kohle, Heizöl, Erdgas, Koks, Benzin, Diesel, Kerosin oder Flugbenzin, die in der Gesamtenergiestatistik des Bundesamtes für Energie (BFE) erfasst werden. Andere Quellen wie zum Beispiel die sogenannten geogenen CO2-Emissionen, die bei der Zementproduktion freigesetzt werden, sowie CO2-Emissionen aus der Abfallverbrennung sind im Einklang mit der Gesamtenergiestatistik nicht von Absatz 3 erfasst (jedoch im Treibhausgasinventar). Für diese Emissionen gilt allein Absatz 2. Die Klimawirkung 39

IPCC (2018)

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nach Absatz 3 umfasst gemäss den Initiantinnen und Initianten beim Luftverkehr auch die Wirkungen von Wasserdampf und NOx, die bei der Verbrennung von Flugtreibstoffen in der Stratosphäre entstehen. Dies ist klimaphysikalisch konsequent und im Einklang mit Absatz 2, jedoch wurden bisher im Einklang mit der internationalen Praxis weder die Emissionen des internationalen Luftverkehrs noch die Klimawirkung von NOx oder Wasserdampf im nationalen Reduktionsziel berücksichtigt (vgl.

Ziff. 2.2.3 und 4.2.1). Allfällige Ausnahmen für «technisch nicht substituierbare Anwendungen» sollen auf Gesetzesstufe definiert werden. Die Regelungen für die fossilen CO2-Emissionen sind strenger als für die anderen Treibhausgasemissionen (wie etwa Lachgas oder Methan aus der Landwirtschaft), da gemäss den Initianten grundsätzlich alle fossilen Energieträger durch andere Quellen (z. B. durch biogene oder synthetische Energieträger) substituierbar sind, auch wenn die Produktionsverfahren und -kapazitäten unter Umständen noch zu entwickeln sind. Aus diesem Grund sollen diese CO2-Emissionen ausschliesslich durch inländische Senken neutralisiert werden.

Deren begrenztes Potenzial erhöht den Anreiz, fossile Energien möglichst vollständig zu substituieren.

In Absatz 4 des Initiativtextes werden weitere Anforderungen an die Klimapolitik formuliert. Die Klimapolitik soll die Volkswirtschaft stärken, wozu etwa die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen gehört, eine nicht zu grosse Auslandabhängigkeit (z. B. bei der Energieversorgung) oder der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit (z. B. im Vergleich zu internationalen Konkurrenten, sofern diese weniger strenge Klimaauflagen haben).

Die Klimapolitik soll zudem nicht dazu führen, dass sich sozial Benachteiligte nicht mehr angemessen am sozialen Leben beteiligen können. Dass bei der Klimapolitik auch ökologische Kriterien zu berücksichtigen sind (z. B. der Schutz der Biodiversität), ergibt sich implizit aus der Artikel 74 BV. Mit der Innovations- und Technologieförderung könne die Schweiz als kleines Land beim Klimaschutz ­ zusätzlich zum inländischen Beitrag ­ besonders viel bewirken, indem sie klimafreundliche Lösungen entwickelt und weltweit zum Einsatz bringt. Dazu sind förderliche politisch-institutionelle Rahmenbedingungen notwendig.

Die Übergangsbestimmungen in Artikel 197 Ziffer 12
schreiben vor, dass der Bund innerhalb von fünf Jahren nach Annahme der Initiative das ausführende Gesetz erlässt.

Darin sollen ein Absenkpfad mit Zwischenzielen und die dafür nötigen klimapolitischen Instrumente definiert werden. Der angestrebte Absenkpfad soll mindestens linear verlaufen, damit nicht nur im Zieljahr 2050 möglichst wenig Treibhausgase emittiert werden, sondern auch in den vorangehenden Jahren. Da der Initiativtext die Einhaltung des Absenkpfads vorschreibt, müssten, sobald der Absenkpfad nicht eingehalten wird, die Instrumente so bald wie möglich zielkonform angepasst werden.

Neben dem ausführenden Gesetz seien im Sinne eines systemischen Ansatzes auch Anpassungen in weiteren regulatorischen Bereichen nötig, etwa in der Energiepolitik, der Raumentwicklung, der Landwirtschaft, der Verkehrspolitik, dem Beschaffungswesen und der Aussenhandelspolitik. Dies ist im Einklang mit der aktuellen Klimapolitik, die einen systemischen Ansatz pflegt und weiterentwickeln will (vgl. Ziff. 2.2).

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4 Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative Mit seinem Beschluss vom 28. August 2019, bis 2050 über alle Treibhausgasemissionen eine ausgeglichene Klimabilanz anzustreben (Netto-Null), verfolgt der Bundesrat grundsätzlich das gleiche Ziel wie die Initiative. Er begrüsst deshalb die von ihr verfolgte Stossrichtung, das Netto-Null-Ziel in der Verfassung zu verankern.

Die Initiative geht dem Bundesrat allerdings punktuell zu weit. Insbesondere hält er das von der Initiative vorgeschlagene grundsätzliche Verbot fossiler Energieträger für eine zu einschneidende Massnahme. Für bestimmte Anwendungen sollen fossile Energien nach wie vor zulässig und nicht an die Auflage geknüpft sein, die Emissionen mit inländischen Senken auszugleichen. Da in der Schweiz das Potenzial für die dauerhafte Speicherung von CO2 begrenzt ist, will sich der Bundesrat die Anrechnung ausländischer Massnahmen, im Sinne des Einsatzes von Negativemissionstechnologien, offenhalten.

4.2 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.2.1 Netto-Null-Ziel bis 2050 und Absenkpfad Der Bundesrat begrüsst die von der Initiative vorgeschlagene Verankerung des aus dem Klimaübereinkommen abgeleiteten Netto-Null-Ziels in der Verfassung. Er hat seinen Entscheid, ein Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen bis 2050 festzulegen, auf die wissenschaftlichen Grundlagen abgestützt, wie sie im Oktober 2018 vom IPCC vorgelegt wurden. Diese zeigen auf, dass bereits bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau gravierende Folgen für Mensch und die Ökosysteme zu erwarten sind. In der Schweiz äussert sich der Klimawandel überdurchschnittlich stark, weshalb der Bundesrat die Einschätzung der Initiantinnen und Initianten teilt, dass die Schweiz ein ureigenes Interesse daran hat, den Klimawandel zu begrenzen.

Mit dem Ziel, ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren, leistet die Schweiz einen ihrer klimapolitischen Verantwortung angemessenen und ihren Möglichkeiten entsprechenden Beitrag zum Pariser Klimaübereinkommen. Sie kommt damit ihrer Verpflichtung gemäss dem Klimaübereinkommen nach, das festhält, dass die langfristigen Klimastrategien dem Grundsatz der «gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten» folgen und die «jeweiligen Fähigkeiten angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten» berücksichtigen sollen.40 Der Bundesrat teilt deshalb die Ansicht der Initianten, dass die Schweiz als wohlhabendes Land eine klimapolitische Verantwortung wahrzunehmen hat (vgl. strategischer Grundsatz 2, Ziff. 2.3.1).

Der Bundesrat teilt des Weiteren die Überzeugung der Initiantinnen und Initianten, dass die Schweiz als innovations- und finanzstarkes Land gleichzeitig über sehr gute Voraussetzungen verfügt, um ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-Null zu senken.

40

Art. 4 Abs. 19, SR 0.814.012

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Sie bewegt sich mit diesem Ziel zudem im Gleichschritt mit ihrem wichtigsten Handelspartner, der Europäischen Union, die ebenfalls angekündigt hat, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden (European Green Deal41, Europäisches Klimagesetz42), der USA und Kanada, die ebenfalls ein Netto-Null-Ziel bis 2050 angekündigt haben, sowie mit China, das dasselbe Ziel bis 2060 anstrebt. Diverse Staaten haben bereits rechtlich bindende Netto-Null-Ziele. Dazu gehören Frankreich, Schweden, Dänemark, Neuseeland und das Vereinigte Königreich.

Die langfristige Klimastrategie veranschaulicht, wie das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreicht werden kann (vgl. Ziff. 2.3.1). Sie legt somit den Grundstein für das von der Initiative in den Übergangsbestimmungen (Art. 197 Ziff. 12) geforderte Ausführungsgesetz, das spätestens fünf Jahre nach Annahme der Initiative zu erlassen ist.

Dieses legt Zwischenziele bis 2050 fest. Sie sollen sich angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse an einem mindestens linearen Absenkpfad ausrichten. Die Ausrichtung an einer mindestens linearen Absenkung ist zudem konsistent mit den Verpflichtungen der Schweiz unter dem Klimaübereinkommen. Dieses verpflichtet die teilnehmenden Staaten, alle fünf Jahre Emissionsreduktionsziele einzureichen, die jeweils ambitiöser sind als die vorangehenden, und entsprechende inländische Massnahmen zu ergreifen.43 Die Emissionen können von Jahr zu Jahr zum Beispiel infolge von Witterungseinflüssen oder der konjunkturellen Lage erheblich schwanken. Aus diesem Grund erachtet es der Bundesrat als sinnvoll, die klimapolitischen Instrumente auf die Zwischenziele auszurichten und nicht auf die Einhaltung des linearen Absenkpfades. Für die Ausrichtung der Instrumente auf die Zwischenziele, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne auch einen bestimmten Absenkpfad sicherstellen, könnte neben dem Jahresziel für 2050 auch ein durchschnittliches Ziel für die Zeitspanne bis dahin definiert werden ­ ähnlich wie der Bundesrat im Rahmen der Totalrevision des CO2-Gesetzes für 2030 und die Jahre 2021­2030 vorgeschlagen hatte.44 Ein neues Element der Initiative ist der Einbezug der gesamten Klimawirkung von Emissionen der Luftfahrt in das Schweizer Reduktionsziel, wie die Absätze 2 und 3 implizieren. So sollen alle Flugtreibstoffe, die in der Schweiz in Verkehr gebracht werden,
sowie die atmosphärischen Effekte einbezogen werden. Der grenzüberschreitende Luftverkehr ist zwar weder im Geltungsbereich des international verbindlichen Verminderungsziels noch des CO2-Gesetzes enthalten. Im Hinblick auf die Begrenzung der globalen Erwärmung nach Artikel 2 des Klimaübereinkommens muss aber auch die Klimabilanz des internationalen Luftverkehrs wie auch der Schifffahrt langfristig ausgeglichen sein. Allerdings schwankt die gesamte Klimawirkung der Luftfahrt (CO2 sowie Effekte durch NOx, Wasserdampf, Sulfat- und Russpartikel) je nach Betrachtungszeitraum, Witterung und Flughöhe zwischen dem Ein- bis Dreifachen der CO2-Emissionen, die durch die Verbrennung von fossilem Flugtreibstoff entstehen.45 Die Klimawirkung der Luftfahrt kann daher nicht pauschal mit einem einheit-

41 42 43 44 45

Europäische Kommission (2019) Europäische Kommission (2020) 16.083 Botschaft vom 21. Dez. zur Genehmigung des Klimaübereinkommens von Paris 2016, BBl 2017 317.

Art. 3 Abs. 1 neues CO2-Gesetz.

Neu (2020)

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lichen Faktor belegt, sondern nur approximativ bestimmt werden. Eindeutig zu bestimmen sind hingegen die CO2-Emissionen aus dem fossilen Flugtreibstoff, auf die auch der innereuropäische Emissionshandel und das globale CORSIA-System abstellen. Der Bundesrat ist deshalb einverstanden, die Emissionen des Luftverkehrs ­ in Übereinstimmung mit der Volksinitiative ­ ebenfalls in das Netto-Null-Ziel einzubeziehen, allerdings so weit, wie dies wissenschaftlich und technisch im Einklang mit den Angaben im Treibhausgasinventar möglich ist.

4.2.2 Zuständigkeiten von Bund und Kantonen in Bezug auf die Klimapolitik Neben dem Bund übernehmen auch die Kantone Aufgaben in der Energiepolitik und erlassen eigene kantonale Energiegesetze, die über die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK) koordiniert sind. Die Klimapolitik fällt hingegen grösstenteils in die Zuständigkeit des Bundes. Ausnahme ist die Anpassung an den Klimawandel, bei welcher der Bund gemäss Artikel 8 des geltenden CO2-Gesetzes in erster Linie eine koordinative Rolle einnimmt und Grundlagen bereitstellt. Im Übrigen setzen sich Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch im internationalen Verhältnis für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung ein. Auswärtige Angelegenheiten sind Sache des Bundes (Art. 54 Abs. 1 BV). Die Kantone können jedoch in ihren Zuständigkeitsbereichen ebenfalls mit dem Ausland Verträge abschliessen (Art. 56 Abs. 1 BV). Der in Artikel 74a Absatz 1 des Initiativtexts formulierte Auftrag, dass sich Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung einsetzen, ist daher folgerichtig.

4.2.3 Verbot fossiler Energien Der Verbrauch fossiler Energien ­ hauptsächlich Erdöl, Erdgas und Kohle ­ ist weltweit die grösste Quelle von Treibhausgasen und somit die Hauptursache für die beobachtete Erderwärmung seit Beginn der Industrialisierung. In der Schweiz macht er drei Viertel der Emissionen aus. Eine Abkehr von fossilen Energien ist daher vordringlich und für die Erreichung des Netto-Null-Ziels unabdingbar. Insbesondere wird damit auch die Auslandabhängigkeit von Importen unter anderem aus politisch instabilen Regionen verringert.

Die Initiative will gemäss Absatz 3, dass ab 2050 in der Schweiz im Grundsatz keine fossilen Energieträger mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn Alternativen technisch nicht möglich sind, und sie sind zudem an die Auflage geknüpft, dass sie durch inländische Senken neutralisiert werden. Dieses faktische Verbot von fossilen Energien erachtet der Bundesrat als zu einschneidend. Angesichts der Ungewissheit über die technologische Entwicklung wäre ein Verbot, das in 30 Jahren wirksam wird, auf Verfassungsstufe unvernünftig. Ausnahmen nur auf technische Aspekte abzustützen, ist zu eng gefasst. Die wirtschaftliche, ökologische und soziale Tragfähigkeit muss ebenso gegeben sein.

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Verbote können durchaus sinnvolle Instrumente der Umweltpolitik darstellen. Sie haben sich zum Beispiel bei den für den Abbau der Ozonschicht ursächlichen chlorhaltigen Gasen, die einfach zu substituieren sind, bewährt. Grundsätzlich können heute fossile Brenn- und Treibstoffe in praktisch allen Anwendungen durch alternative, erneuerbare Energieträger oder Technologien ersetzt werden. Dies reflektiert jedoch eine rein technische Sicht. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass synthetisch hergestellte Brenn- und Treibstoffe, als Substitute verwendet, heute in der Regel deutlich teurer als die fossilen Alternativen sind, weshalb die Produktionsverfahren und -kapazitäten im grossen Massstab aktuell fehlen. Zudem sollten ökologische und soziale Anforderungen an alternative Energieträger im Sinne der aktuellen Regelungen (vgl. Steuererleichterung für biogene Treibstoffe nach dem Mineralölsteuergesetz vom 21. Juni 199646) erfüllt sein. Ein Verbot kann folglich problematisch sein, wenn Substitute nicht umweltverträglich, nicht in genügend grossen Mengen oder nicht zu vertretbaren Kosten verfügbar sind oder wenn deren Herstellung anderswo Treibhausgase verursacht. Denkbar sind auch Probleme beim grenzüberschreitenden Verkehr, wenn fossile Antriebstechnologien im Ausland noch gängig sind. Zudem können auch marktwirtschaftliche Instrumente wie eine Lenkungsabgabe oder der Emissionshandel genutzt werden, um Reduktionsziele möglichst kostengünstig zu erreichen.

4.2.4 Treibhausgasreduktion und Senken im In- und Ausland Mit der Auflage, dass nicht vermeidbare Emissionen aus fossilen Energien innerhalb der Landesgrenzen neutralisiert werden müssen, setzen die Initiantinnen und Initianten die Hürde hoch. Das begrenzte Potenzial von inländischen Speichern erhöht den Anreiz, fossile Energien nur noch in Ausnahmefällen zu verwenden.

Der Bundesrat teilt die Haltung des Komitees, dass der Schlüssel für die Erreichung des Netto-Null-Ziels in der Emissionsreduktion im Inland liegt, was auch in den strategischen Grundsätzen der langfristigen Klimastrategie reflektiert ist (Grundsatz 3, vgl. Ziff. 2.3.1). Als Vertragspartei des Pariser Klimaübereinkommens hat sich die Schweiz dem Grundsatz der höchstmöglichen Ambition («highest possible ambition») verpflichtet, der bedeutet, dass die jeweiligen inländischen Treibhausgasemissionen so weit wie möglich reduziert werden sollen. Gemäss der langfristigen Klimastrategie des Bundesrates ist mit den bereits bekannten Technologien bis 2050 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um knapp 90 Prozent gegenüber 1990 möglich (inklusive Beiträge von CCS) (vgl. Ziff. 2.3.1).

Verbleibende Emissionen müssen durch Negativemissionstechnologien, also durch die Verstärkung natürlicher oder technischer Senken ausgeglichen werden. Wie in Ziffer 2.3.2 dargelegt, bestehen bezüglich der Potenziale, Kosten und Risiken dieser Technologien jedoch noch beträchtliche Unsicherheiten. Sie stellen deshalb keinen Ersatz für die prioritäre und umfassende Reduktion der Treibhausgasemissionen dar und müssen zwingend für den Ausgleich der schwer vermeidbaren Emissionen reserviert bleiben. Generell ist angesichts der beschränkten inländischen Kapazitäten für

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SR 641.61

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die geologische Speicherung im Untergrund höchst unsicher, ob der Bedarf an negativen Emissionen vollständig gedeckt werden kann.

Die von der Initiative geforderte Einschränkung, fossile CO2-Emissionen nur durch inländische Senken zu neutralisieren, könnte darüber hinaus zu Wettbewerbsnachteilen führen, wenn die damit verbundenen Kosten verursachergerecht getragen werden müssen. Das dürfte zum Beispiel beim Luftverkehr der Fall sein, da die verbleibenden Emissionen aus in der Schweiz getanktem, aber zu einem überwiegenden Anteil auf internationalen Flügen verbranntem Kerosin gemäss Erläuterungen des Initiativtextes vollständig durch sichere Senken im Inland ausgeglichen werden müssten. Das Treibhausgasinventar für das Jahr 2018 weist für den internationalen Luftverkehr Treibhausgasemissionen von 5,7 Millionen Tonnen aus (CO2, CH4 und N2O). Diese Zahl enthält nur die Emissionen, die mit der Verbrennung des Flugtreibstoffs zusammenhängen.

Der Bundesrat möchte sich deshalb ­ abweichend von der Initiative ­ nicht auf inländische Senken beschränken, sondern auch Projekte im Ausland zulassen, die an die Zielerreichung angerechnet werden können. Das Klimaübereinkommen verlangt in Artikel 4 Absatz 2 zwar, dass die Vertragsparteien vorab Massnahmen im eigenen Land ergreifen, eröffnet aber in Artikel 6 die Möglichkeit, sich im Ausland erbrachte Mitigationsmassnahmen anzurechnen, sofern Doppelzählungen verhindert und die nachhaltige Entwicklung gefördert werden. Mitigationsmassnahmen können Treibhausgasreduktionen oder dauerhafte CO2-Entnahmen mittels Senken umfassen.

Die Anrechnung von im Ausland erzielten Emissionsverminderungen ist in einer Übergangszeit von Vorteil, um Flexibilität und Zeit zu gewinnen, sodass im Inland reguläre Investitionszyklen für die Erneuerung der Infrastruktur genutzt werden können. Längerfristig besteht für Kompensationsprojekte im Ausland jedoch nur noch ein sehr geringes Potenzial, da auch diese Länder ihren Treibhausgasausstoss fortlaufend in Richtung Netto-Null reduzieren müssen. Ihre Bereitschaft, anderen Ländern anrechenbare Reduktionsmöglichkeiten günstig abzutreten, dürfte sinken, während die notwendigen Investitionen für eine Reduktion der verbleibenden Emissionen zunehmen werden. Deshalb ist die wichtigste Voraussetzung zur Erreichung des Netto-NullZiels die Reduktion
aller vermeidbaren Emissionen im Inland, wobei verbleibende Emissionen ab 2050 im Ausland einzig noch durch Negativemissionstechnologien ausgeglichen werden sollen.

4.2.5 Innovations- und Technologieförderung Der Bundesrat begrüsst die Forderung der Initiative nach einer Klimapolitik, die auf eine Stärkung der Volkswirtschaft und auf Sozialverträglichkeit ausgerichtet ist (siehe u. a. strategische Grundsätze 7 und 8 in Ziff. 2.3.1) und die Instrumente der Innovations- und Technologieförderung nutzt. Der Forschung, die am Anfang des Innovationsprozesses steht, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Die Entwicklung klimafreundlicher Technologien ist zentral für den Übergang in Richtung Netto-Null. Die Schweiz verfügt mit ihren weltweit angesehenen Bildungsund Forschungsinstitutionen, ihrem hohen Wohlstandsniveau und ihrer ausgeprägten

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Innovationskraft über die besten Voraussetzungen, um ihre klimapolitische Verantwortung auch langfristig verstärkt wahrzunehmen. Indem die Schweiz entschlossen den Weg in Richtung einer treibhausgasneutralen Zukunft einschlägt, eröffnet sich ihr ausserdem die Chance, ihre führende Rolle als Forschungs- und Innovationsstandort weiter auszubauen (siehe auch strategischer Grundsatz 1 in Ziff. 2.3.1).

Das CO2-Gesetz wie auch verschiedene Sektorpolitiken mit Bezug zur Klimapolitik setzen bereits heute teilweise auf Förderinstrumente, um die Entwicklung und Verbreitung klimafreundlicher Technologien und Innovationen zu unterstützen. Bei mehreren Massnahmen ist bereits eine längerfristige Perspektive angelegt.

4.2.6 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz Die Initiative ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar (vgl.

Ziff. 6.6.2).

5 Schlussfolgerungen Die von der Initiative bezweckten verstärkten Anstrengungen in der Schweizer Klimapolitik sind auch Ziel der langfristigen Klimastrategie des Bundes. Der Bundesrat steht deshalb der allgemeinen Stossrichtung der Initiative positiv gegenüber und teilt grundsätzlich ihre Anliegen, namentlich, dass die Schweiz ihre klimapolitische Verantwortung wahrnimmt und dazu weitestgehende Emissionsverminderungen im Inland anstrebt, dass sie die Chancen eines konsequenten Übergangs in Richtung Netto-Null nutzt und dass der Übergang in Richtung Netto-Null sozialverträglich erfolgt.

Der Bundesrat ist deshalb einverstanden, das Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen bis 2050, das er im August 2019 bereits als Richtziel beschlossen hat, verfassungsrechtlich zu verankern. Eine solche Bestätigung ist im Sinne der langfristigen Klimastrategie, welche die Schweiz am 28. Januar 2021 beim UNO-Klimasekretariat eingereicht hat, und schafft Planungs- und Investitionssicherheit für die Wirtschaft und die Haushalte.

Einzelne Forderungen der Initiative erachtet der Bundesrat jedoch als zu weitgehend Insbesondere ist er gegen ein grundsätzliches Verbot von fossilen Energien auf Verfassungsstufe, da das Verbot erst in knapp 30 Jahren wirksam wird und bezüglich der technologischen Entwicklung bis dahin Unsicherheiten bestehen. Die Initiative will Ausnahmen nur auf technische Aspekte abstützen. Diese rein technische Sichtweise hält der Bundesrat für zu eng. Eine Verminderung des fossilen Energieverbrauchs sollte nicht nur die technische Machbarkeit, sondern ebenso die wirtschaftliche und soziale Tragbarkeit und die Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit berücksichtigen. Die Wahl des notwendigen Instruments zur Umsetzung des Netto-Null-Ziels sollte aus Sicht des Bundesrates offenbleiben.

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Der Bundesrat schlägt daher einen direkten Gegenentwurf vor, der das grundsätzliche Verbot fossiler Energieträger ersetzt durch eine Pflicht zur Verminderung des Verbrauchs dieser Energieträger im Rahmen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Tragbaren, und soweit dies mit der Sicherheit des Landes und dem Schutz der Bevölkerung vereinbar ist (vgl. Ziff. 6.4). Weiter soll die Klimawirkung der Luftfahrt im Netto-Null-Ziel nur so weit berücksichtigt werden, wie dies wissenschaftlich und technisch im Einklang mit den Angaben im Treibhausgasinventar möglich ist.47 Aktuell betrifft dies die Treibhausgasemissionen CO2, Methan und Lachgas, die bei der Verbrennung fossiler Flugtreibstoffe entstehen.

Der Bundesrat hält zudem die von der Initiative geforderte Einschränkung, dass verbleibende CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern ausschliesslich durch Senken im Inland zu neutralisieren sind, für unzweckmässig. Angesichts der beschränkten Potenziale für die dauerhafte Speicherung von CO2 in der Schweiz sieht der Gegenentwurf deshalb eine Flexibilisierung vor, welche die Anwendung von Negativemissionstechnologien im Ausland ermöglicht.

6 Direkter Gegenentwurf 6.1 Wortlaut des direkten Gegenentwurfs Der «Bundesbeschluss über die Klimapolitik» als direkter Gegenentwurf zur Gletscher-Initiative ist untenstehend (rechte Spalte) in einem synoptischen Vergleich mit dem Initiativtext (linke Spalte) dargestellt. Unterstrichen sind im Text des Gegenentwurfs die wesentlichen Abweichungen vom Initiativtext, und mit Pfeilen ist angezeigt, dass die Reihenfolge der Bestimmungen im Gegenentwurf eine etwas andere ist als im Initiativtext. Beides wird weiter unten genauer erläutert.

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Die Schweizer Berichterstattung im Treibhausgasinventar richtet sich nach den Vorgaben der Klimarahmenkonvention UNFCCC und den methodischen Richtlinien des IPCC.

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Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 74a Klimapolitik ( Initiativtext)

Art. 74a Klimapolitik ( direkter Gegenentwurf)

1

Bund und Kantone setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im Inland und im internationalen Verhältnis für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung ein.

2 Soweit in der Schweiz weiterhin vom Menschen verursachte Treibhausgasemissionen anfallen, muss deren Wirkung auf das Klima spätestens ab 2050 durch sichere Treibhausgassenken dauerhaft ausgeglichen werden.

1

3 Ab

2050 werden in der Schweiz keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht. Ausnahmen sind zulässig für technisch nicht substituierbare Anwendungen, soweit sichere Treibhausgassenken im Inland die dadurch verursachte Wirkung auf das Klima dauerhaft ausgleichen.

4 Die Klimapolitik ist auf eine Stärkung der Volkswirtschaft und auf Sozialverträglichkeit ausgerichtet und nutzt namentlich auch Instrumente der Innovations- und Technologieförderung.

3

Art. 197 Ziff. 1248

Art. 197 Ziff. 1349

12. Übergangsbestimmungen zu Art. 74a (Klimapolitik)

13. Übergangsbestimmungen zu Art. 74a (Klimapolitik)

1

Der Bund erlässt die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 74a innert fünf Jahren nach dessen Annahme durch Volk und Stände.

1

2

2

48

Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmungen wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmungen wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

Das Gesetz legt den Absenkpfad für die Treibhausgasemissionen bis 2050 fest. Es benennt Zwischenziele, die mindestens zu einer linearen Absenkung führen, und regelt die zur Einhaltung des Absenkpfades erforderlichen Instrumente.

49

Bund und Kantone setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im Inland und im internationalen Verhältnis für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung ein.

2 Der Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe ist so weit zu vermindern, als dies technisch möglich, wirtschaftlich tragbar und mit der Sicherheit des Landes und dem Schutz der Bevölkerung vereinbar ist.

Die Wirkung der vom Menschen verursachten und in der Schweiz anfallenden Treibhausgasemissionen auf das Klima muss spätestens ab 2050 durch sichere Treibhausgassenken im In- und Ausland dauerhaft ausgeglichen werden.

4

Die Klimapolitik ist auf eine Stärkung der Volkswirtschaft und auf Sozialverträglichkeit ausgerichtet, berücksichtigt die Situation der Berg- und Randgebiete und nutzt namentlich auch Instrumente der Forschungs-, Innovations- und Technologieförderung.

Der Bund erlässt die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 74a innert fünf Jahren nach dessen Annahme durch Volk und Stände.

Das Gesetz legt den Absenkpfad für die Treibhausgasemissionen bis 2050 fest. Es benennt Zwischenziele, die mindestens zu einer linearen Absenkung führen, und regelt die zur Erreichung der Zwischenziele erforderlichen Instrumente.

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6.2 Vernehmlassungsverfahren 6.2.1 Ergebnisse des Vernehmlassungverfahrens Die Vernehmlassung zum Vorentwurf für einen direkten Gegenentwurf dauerte vom 2. September 2020 bis zum 2. Dezember 2020. Es gingen 143 Stellungnahmen ein.50 Im Vernehmlassungsverfahren hat eine Mehrheit der Teilnehmenden die Verankerung des Netto-Null-Ziels auf Verfassungsstufe begrüsst. Über die konkrete Ausgestaltung fallen die Meinungen dennoch unterschiedlich aus. Eine erste Gruppe unterstützt grundsätzlich den direkten Gegenentwurf. Darunter befindet sich eine Mehrheit der Kantone. Innerhalb dieser Gruppe gibt es zwei gegenläufige Tendenzen. Einige wollen den direkten Gegenentwurf in Teilen der Initiative annähern, beispielweise mit Vorgaben zum geografischen Ort der Treibhausgassenken, während andere gewisse Abschwächungen, zum Beispiel beim Absenkpfad für die Treibhausgasemissionen, fordern. Einer zweiten Gruppe der Teilnehmenden ist der direkte Gegenentwurf klar zu wenig ambitioniert. Diese Teilnehmenden befürworten deshalb die Initiative oder anderweitige klimapolitische Massnahmen, die deutlich über den direkten Gegenentwurf hinausgehen. Eine zentrale Forderung dieses Lagers stellt ein Verbot für fossile Brenn- und Treibstoffe dar. Schliesslich lehnt eine Minderheit sowohl den direkten Gegenentwurf wie auch die Initiative ab, wobei aus den Reihen dieser Teilnehmenden beispielsweise wirtschaftliche Argumente ins Feld geführt werden.

Weitgehend positiv aufgenommen wurde, dass die Schweiz ein Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen anstrebt. Die Frage, ob ein Verbot für fossile Brenn- und Treibstoffe ab 2050 eingeführt werden soll, wird kontrovers beantwortet. Während einige Teilnehmende dieses Verbot sogar noch früher in Kraft setzen möchten, wehren sich andere Teilnehmende vehement gegen ein solches Verbot. Gegen ein Verbot wird unter anderem mit Zweifeln bezüglich der Verfügbarkeit von alternativen Energieträgern, mit zu befürchtenden Kosten und mit der grundsätzlichen Ablehnung von Technologieverboten argumentiert. Als Gründe, die für ein solches Verbot sprechen, wird beispielsweise die Ansicht vorgebracht, dass ein Verbot für das Netto-Null-Ziel notwendig sei, oder es werden angenommene Vorteile für die Wirtschaft dank erhöhter Planungssicherheit ins Feld geführt. Uneinigkeit besteht auch in der Frage,
welche Ausnahmen für den Einsatz von fossilen Energieträgern gelten sollen. Ebenso divergierend äusserten sich die Teilnehmenden zur Thematik, ob die im Jahr 2050 verbleibenden Treibhausgasemissionen aus fossilen Energieträgern durch Senken im Inland ausgeglichen werden müssen. Ein zentrales Argument gegen die Festschreibung von Inlandsenken stellt deren beschränktes Potenzial dar. Hingegen wird von Befürwortern dieser Anforderung unter anderem vorgebracht, dass damit ein stärkerer Anreiz geschaffen werde, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Weiter fordern mehrere Teilnehmende, an der expliziten Verankerung des Einsatzes von Bund und Kantonen im internationalen Verhältnis gemäss der Initiative festzuhalten, was im Vorentwurf nicht vorgesehen war.

Viel diskutiert wurde auch der Vorentwurf der Übergangsbestimmungen, der vorsah, dass auf Gesetzesebene Zwischenziele zu formulieren seien. Diese sollen zu einer 50

Der Ergebnisbericht kann eingesehen werden unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > UVEK.

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mindestens linearen Absenkung der Treibhausgasemissionen bis 2050 führen. Einerseits sprechen sich einzelne Kantone dafür aus, dass sogar ein mehr als linearer Absenkpfad zu verankern sei, damit die Emissionen schneller zurückgehen. Andererseits kritisieren mehrere Teilnehmende die verbindliche Festlegung eines mindestens linearen Absenkpfades. Unter anderem wird argumentiert, dass ein solcher nicht den Entwicklungen der Technologie und den Investitionszyklen der Wirtschaft entspreche oder dass der Absenkpfad nicht auf Verfassungsstufe definiert werden solle. Einige Teilnehmende fordern darüber hinaus, dass die Zwischenziele im Sinne von Richtwerten festgelegt werden sollen.

6.2.2 Überarbeitung des Vorentwurfs Der Aufbau und der Grundgedanke des mit dem Gegenentwurf vorgeschlagenen Verfassungsartikels blieben im Rahmen der Überarbeitung bestehen. Aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen wurden die nachfolgenden Änderungen vorgenommen.

Verpflichtung von Bund und Kantonen zu Klimaschutzmassnahmen Hinsichtlich der Verpflichtung von Bund und Kantonen, sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung einzusetzen (Art. 74a Abs. 1), sprachen sich mehrere Teilnehmende für die Beibehaltung der Präzisierung «im Inland und im internationalen Verhältnis» aus. Sie machen unter anderem geltend, dass dies zum internationalen Engagement verpflichtet statt eine blosse Option zu sein. Der Bundesrat ist bereit, das internationale Engagement der Schweiz, das unter anderem auf dem multilateralen Prozess im Rahmen der Vereinten Nationen beruht, durch eine Ergänzung des neuen Verfassungsartikels zur Klimapolitik zu bekräftigen. Auch die Kantone haben die Möglichkeit, innerhalb ihrer Zuständigkeiten internationale Verpflichtungen einzugehen, wie die Ergänzung verdeutlicht. Dies ist beispielsweise in den Bereichen grenzüberschreitender Verkehr oder Energie der Fall.

Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe In der Vernehmlassung lehnten etliche Teilnehmende die Ergänzung der wirtschaftlichen Tragbarkeit in Artikel 74a Absatz 2 des Vorentwurfs ab, da sie eine problematische Abschwächung darstelle. Darüber hinaus kritisierten weitere Teilnehmende, dass diese Ausnahme zu viel Interpretationsspielraum offenlasse. Der Bundesrat will an der wirtschaftlichen Tragbarkeit zwar festhalten. Um diesen Bedenken aber Rechnung zu tragen, zeigt die Botschaft Eckwerte für eine entsprechende Präzisierung in der Ausführungsgesetzgebung auf, die für Ausnahmen langfristig möglichst hohe Hürden festlegen soll (vgl. Ziff. 6.4).

Ausgleich durch Treibhausgassenken Die Rückmeldungen der Teilnehmenden machten deutlich, dass die Erläuterungen, wie die verbleibenden Emissionen im Jahr 2050 durch Treibhausgassenken ausgeglichen werden sollen, einige Unklarheiten und potenziell missverständliche Angaben enthielten.

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Diverse Teilnehmende fordern, dass die im Gegenentwurf vorgesehene Offenheit bezüglich der geografischen Lage von Senken explizit im Verfassungsartikel aufgenommen wird. Ihrem Anliegen, den Verfassungstext zu präzisieren und damit Klarheit für die gesetzliche Umsetzung zu schaffen, wird mit der entsprechenden Ergänzung «im In- und Ausland» in Absatz 3 des neuen Verfassungsartikels Rechnung getragen.

Die von manchen Teilnehmenden geäusserte Forderung nach einer Definition von Senken, welche Emissionsverminderungen im Ausland ausschliesst, wird durch Präzisierungen in der Botschaft aufgenommen. Die verwendete Definition lehnt sich an das vom Weltklimarat zugrunde gelegte Verständnis von Senken an. Dabei legen die Ausführungen der vorliegenden Botschaft insbesondere fest, dass verbleibende, in der Schweiz verursachte Emissionen ab 2050 ausschliesslich mit Negativemissionstechnologien ausgeglichen werden sollen (vgl. Ziff. 4.2.4). Emissionsverminderungen im Ausland wären ab 2050 demnach höchstens möglich, um andere Staaten bei ihren Anstrengungen zu unterstützen, ohne die erzielten Verminderungen an das eigene Ziel anzurechnen.

Ausrichtung der Klimapolitik Der Wunsch mehrerer Teilnehmenden, in Artikel 74a Absatz 4 die Förderung der Forschung explizit aufzunehmen, wird mit einer entsprechenden Ergänzung berücksichtigt. Damit wird die Bedeutung der Forschung, die am Anfang des Innovationsprozesses steht, stärker reflektiert. Eine Intensivierung von Forschung und Entwicklung ist unabdingbar, um die für den Übergang Richtung Netto-Null erforderlichen Technologien und Entscheidungsgrundlagen rasch verfügbar zu machen, beispielsweise bei den Negativemissionstechnologien.

Übergangsbestimmungen Wie in Ziffer 4.2.1 dargelegt, befürwortet der Bundesrat einen mindestens linearen Absenkpfad, an dem sich die Zwischenziele ausrichten sollen. Da die Emissionen von Jahr zu Jahr erheblich schwanken, z. B. aufgrund von Witterungseinflüssen oder der konjunkturellen Lage, würde die Einhaltung eines fest vorgegebenen Absenkpfades jedoch ein häufiges Nachjustieren der Massnahmen erfordern, was in der Praxis kaum umsetzbar wäre. Abweichend vom Vorentwurf, der die Übergangsbestimmungen unverändert vom Initiativtext übernommen hatte, legt der Gegenentwurf deshalb fest, dass die Instrumente nicht auf die Einhaltung des
Absenkpfades, sondern auf die Erreichung der Zwischenziele ausgerichtet werden sollen.

Nicht berücksichtigte Anliegen Bezüglich der Ausrichtung der Klimapolitik wurden verschiedentlich weitere Ergänzungen zu Artikel 74a Absatz 4 vorgeschlagen respektive neue Absätze oder Verschärfungen zu weiteren Themen gefordert, wie etwa zu den grauen Emissionen*. Der Bundesrat verzichtet indes auf weitere Ergänzungen des vorgeschlagenen Artikels, da diese entweder durch andere Verfassungsartikel bereits abgedeckt sind oder eine unnötige Einschränkung des zukünftigen Handlungsspielraums implizieren.

Einige Teilnehmende betonten, dass der erläuternde Bericht die Folgen des vorgeschlagenen Verfassungsartikels unzureichend darstelle. Sie wünschen sich detailliertere Informationen, unter anderem über die geplanten klimapolitischen Massnahmen 32 / 48

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sowie über deren Auswirkungen und Kosten. Die vorliegende Botschaft nimmt diese Bedenken zumindest teilweise auf mit detaillierteren Erläuterungen zu den Auswirkungen des Übergangs zu einem mit Netto-Null konsistenten Energiesystem auf Wirtschaft, Bund und Kantone. Mit den konkreten Massnahmen wird sich die Umsetzung des Verfassungsartikels auf Gesetzesebene befassen.

Um zügiger verbindliche Massnahmen zu beschliessen und umzusetzen, forderten einige Teilnehmende die Stärkung des Klimaschutzes durch Gesetzesänderungen (indirekter Gegenvorschlag) anstelle eines direkten Gegenentwurfs auf Verfassungsstufe oder schlugen Anpassungen sowohl auf der Ebene der Verfassung als auch auf der Ebene des Gesetzes vor. Der Konkretisierung von klimapolitischen Zielen und Elementen ihrer Umsetzung wird am ehesten mit Änderungen des CO2-Gesetzes Rechnung getragen. Nach der Ablehnung der Totalrevision des CO2-Gesetzes wird der Bundesrat aufgrund einer Analyse des Abstimmungsergebnisses und dessen Ursachen möglichst rasch über eine neue Vorlage zur Weiterentwicklung der Klimapolitik entscheiden.

6.3 Grundzüge der Vorlage Die vorgeschlagene Verfassungsnorm präzisiert die in den Artikeln 74 und 89 BV angelegten Ziele in Bezug auf die Klimapolitik, indem sie verbindliche Leitplanken für eine nachhaltige Klimapolitik der Schweiz festlegt.

Das Netto-Null-Ziel kann nur durch rasches, entschlossenes und zielgerichtetes Handeln aller Akteure und Sektoren erreicht werden und betrifft die ganze Gesellschaft, über mehrere Generationen hinweg. Mit der verfassungsmässigen Verankerung wird dieses Klimaziel verbindlich festgelegt, erhält eine erhöhte demokratische Legitimation und kann das Verantwortungsbewusstsein in der Gesellschaft stärken. Zugleich ist die Verfassungsbestimmung offen formuliert und lässt dem Gesetzgeber ausreichend Spielraum für die konkrete Ausgestaltung der Ausführungsgesetzgebung.

Abweichend von der Initiative verzichtet die vorgeschlagene Verfassungsnorm darauf, fossile Energien zu verbieten. Sie ermöglicht den Einsatz fossiler Energien aus Gründen der Sicherheit des Landes, des Schutzes der Bevölkerung oder der wirtschaftlichen Tragbarkeit. Weitere Flexibilisierungen gegenüber der Initiative stellen die Offenheit bezüglich der geografischen Lage von Senken und die Ausrichtung der Instrumente auf die Einhaltung der Zwischenziele entlang eines mindestens linearen Absenkpfades anstelle der Ausrichtung auf die Einhaltung des Absenkpfads dar. Somit steckt die vorgeschlagene Verfassungsnorm den Rahmen, um ein breites Spektrum von wirkungsvollen klimapolitischen Instrumenten situationsgerecht anzuwenden. Die Verfassungsnorm gibt Bund und Kantonen deshalb einen grösseren Spielraum als die Initiative. Dies steht auch im Einklang mit dem Grundsatz der Versorgungssicherheit mit Energie, die gemäss Artikel 89 Absatz 1 BV auf wirtschaftliche und umweltverträgliche Weise zu gewährleisten ist. Zudem darf die nationale Sicherheit gemäss Artikel 57 BV nicht gefährdet werden.

Hinsichtlich der Ausführungsgesetzgebung erachtet der Bundesrat es als sinnvoll, getrennte Klimaziele festzulegen ­ also ein ambitioniertes Reduktionsziel und ein separates Ziel für negative Emissionen. Diese Trennung würde eine bessere Grundlage 33 / 48

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schaffen, um sowohl die Reduktion der Treibhausgasemissionen als auch den Aufbau von Negativemissionen zielgerichtet vorantreiben zu können. Die Verfassungsnorm ermöglicht es, verbleibende CO2-Emissionen durch Senken sowohl im Inland wie auch im Ausland zu neutralisieren (im Sinne von Ziff. 4.2.4). Für anrechenbare Senkenleistungen sollen jedoch im In- und Ausland dieselben Qualitätsstandards gelten müssen, namentlich in Bezug auf Umwelt- und Sozialstandards. Diese sind in der Ausführungsgesetzgebung weiter zu konkretisieren, wobei insbesondere die Förderung der nachhaltigen Entwicklung, die Sicherstellung von Umweltintegrität und Transparenz und die Einhaltung der Menschenrechte zu beachten sind. Ebenso muss die soziale Akzeptanz ortsunabhängig gegeben sein.

Als wichtige Leitplanken gibt die vorgeschlagene Verfassungsnorm wie die Initiative vor, dass die Klimapolitik auf die Stärkung der Volkswirtschaft und auf Sozialverträglichkeit ausgerichtet sein soll. Als Ergänzung nimmt die Verfassungsnorm zusätzlich die besondere Situation von Berg- und Randgebieten auf.

6.4 Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen Mit dem vorgeschlagenen Artikel 74a Klimapolitik sollen verbindliche Rahmenbedingungen für die Klimapolitik der Schweiz auf Verfassungsebene verankert werden.

Art. 74a

Klimapolitik

Die neue Bestimmung soll nach der Verfassungsgrundlage über den Umweltschutz (Art. 74 BV) eingegliedert werden. Sie steht gleichwertig neben anderen Aufgabenbereichen und stellt diese nicht zurück. Gleichwohl ist zu betonen, dass es sich ­ wie beim Umweltschutz ­ auch beim Klimaschutz um eine Querschnittsthematik handelt, die auch andere Politikbereiche betrifft.

Die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen in Bezug auf die Klimapolitik werden von der vorgeschlagenen Verfassungsnorm nicht tangiert. Dem Bund werden durch die Bestimmung keine zusätzlichen Kompetenzen zulasten der Kantone übertragen.

Die Klimapolitik fällt grösstenteils in die Zuständigkeit des Bundes (vgl. Art. 74 BV, Umweltschutz). Für Massnahmen, die den Verbrauch von Energie in Gebäuden betreffen, sind vor allem die Kantone zuständig (Art. 89 Abs. 4 BV). Entsprechend erlassen die Kantone eigene kantonale Energiegesetze, die über die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK) koordiniert sind. Auch im Bereich der Anpassung an den Klimawandel obliegt die Umsetzung in der Regel den Kantonen. Der Bund nimmt gemäss Artikel 8 des geltenden CO2-Gesetzes diesbezüglich in erster Linie eine koordinative Rolle ein und stellt Grundlagen bereit.

Absatz 1 des Gegenentwurfs entspricht dem Initiativtext.

Die Absätze 2 und 3 gemäss Initiativtext werden getauscht. So wird in Absatz 2 des Gegenentwurfs ein Grundsatz zur Verminderung des Verbrauchs fossiler Brenn- und Treibstoffe statuiert, der ­ im Gegensatz zum Initiativtext ­ unmittelbar und unbefris-

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tet gilt. Darauf aufbauend regelt Absatz 3 der vorgeschlagenen Bestimmung eine zeitliche Komponente betreffend die Erreichung des Netto-Null-Ziels. Ausserdem wird nun in Absatz 3 die Konsequenz einer Verfehlung der Netto-Null-Bemühungen nach Absatz 2 festgelegt.

Absatz 2 der vorgeschlagenen Bestimmung ist gegenüber dem Initiativtext so umformuliert, dass das Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Energien erhalten bleibt, ohne Instrumente vorwegzunehmen. Das Ziel könnte beispielsweise im Sinne der Kosteneffizienz auch mit marktwirtschaftlichen Anreizen wie einer Lenkungsabgabe oder dem Emissionshandel erreicht werden. Der vorgeschlagene Gegenentwurf erlaubt zudem, dass Ausnahmen nicht nur aus technischen, sondern auch aus Gründen der wirtschaftlichen Tragbarkeit gewährt werden könnten.

Der Begriff der wirtschaftlichen Tragbarkeit ist auf Gesetzesstufe zu präzisieren. Im Allgemeinen soll der Abwägung eine gesamtwirtschaftliche Optik zugrunde gelegt werden, inwieweit auch Anwendungen weiterhin zulässig sind, für die bereits Ersatztechnologien vorhanden und erprobt sind. Das heisst, die Verhältnismässigkeit der Umstellung auf emissionsarme Technologien oder Energieträger wird unter Berücksichtigung allfälliger Umstellungskosten sowie des indirekten Nutzens dieser Technologien und Energieträger, wie der Verminderung externer Kosten eines Prozesses, beurteilt. Damit könnte eine Umstellung nicht wirtschaftlich tragbar sein, wenn alternative Energieträger nicht in genügend grossen Mengen zu wirtschaftlich vertretbaren Preisen verfügbar sind, was momentan beispielsweise bei alternativen Treibstoffen im Flugverkehr noch der Fall ist. Dabei kann die wirtschaftliche Tragbarkeit nicht mit betriebswirtschaftlicher Vertretbarkeit (oder «Wirtschaftlichkeit») gleichgesetzt werden, sondern ist vielmehr im Sinne einer ökonomischen Zumutbarkeit, etwa hinsichtlich der Liquidität eines wirtschaftlich gesunden Modellbetriebs der betreffenden Branche, zu verstehen. Inwiefern im Sinne einer Ausnahme auch einzelwirtschaftliche Betrachtungen berücksichtigt werden, ist in der Ausführungsgesetzgebung zu präzisieren.

Anwendungen für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung umfassen insbesondere Armee- und Polizeieinsätze, aber auch Rettungsdienste, Krankenversorgung und Katastrophenhilfe.

Absatz 3 entspricht
inhaltlich weitgehend dem Absatz 2 des Initiativtextes. Die Auflage einer Neutralisierung durch sichere Treibhausgassenken wird im Gegenentwurf präzisiert durch die Formulierung «... durch sichere Treibhausgassenken im In- und Ausland ...». Damit gilt für Emissionen aus dem Verbrauch fossiler Energien, wie auch für weitere Treibhausgasemissionen, keine geografische Einschränkung hinsichtlich der Lage der Senke; sie können sowohl im In- als auch im Ausland durch Negativemissionstechnologien ausgeglichen werden. Dazu müssen Senken genutzt werden, die keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen und somit als sicher angesehen werden können. Zudem müssen Senken das CO2 dauerhaft über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten ­ oder idealerweise über Jahrhunderte ­ speichern (vgl. Ziff. 2.3.2). Diese Vorgaben sind im Einklang mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen auf Gesetzesstufe zu präzisieren.

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In Absatz 4 des direkten Gegenentwurfs schlägt der Bundesrat vor, die besondere Situation von Berg- und Randgebieten explizit in den Rechtstext aufzunehmen. Die Berg- und Randgebiete sind insbesondere in der Regel durch den öffentlichen Verkehr weniger gut erschlossen.

Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Vernehmlassung sieht der Bundesrat zudem vor, in Absatz 4 die Forschung namentlich aufzuführen (vgl. Ziff. 6.2.2.). Mit der expliziten Nennung als zu nutzendes Instrument der Klimapolitik wird der herausragenden Bedeutung von Forschung, die am Anfang jedes Innovations- und Entwicklungsprozesses steht, Rechnung getragen.

Art. 197 Ziff. 13

Übergangsbestimmungen zu Art. 74a (Klimapolitik)

Die vorgeschlagenen Übergangsbestimmungen geben wie die Initiative vor, dass die durch das Gesetz zu benennenden Zwischenziele für die Treibhausgasemissionen bis 2050 mindestens zu einer linearen Absenkung führen müssen. Abweichend vom Initiativtext sollen die Instrumente an der Einhaltung der Zwischenziele und nicht des Absenkpfads ausgerichtet werden (vgl. Ziff. 4.2.1 und 6.2.2). Die vorgeschlagene Verfassungsnorm erlaubt so eine etwas höhere Flexibilität des Gesetzgebers. Die Auflage, die in der Ausführungsgesetzgebung festgelegten Zwischenziele einzuhalten, bedingt, dass die Massnahmen zielkonform angepasst werden müssen, wenn sich eine Zielverfehlung abzeichnet.

Dass die Übergangsbestimmungen gemäss Gegenentwurf unter einer Ziffer 13 und nicht wie in der Initiative unter einer Ziffer 12 figurieren, ist ohne inhaltliche Bedeutung. Der Grund ist, dass seit Lancierung der Volksinitiative die Ziffer 12 von Artikel 197 BV durch andere Übergangsbestimmungen gefüllt wurde. Die Fussnote stellt klar, dass die Bundeskanzlei die definitive Ziffer nach einer allfälligen Annahme von Artikel 74a durch Volk und Stände festlegt.

6.5 Auswirkungen Die Auswirkungen der neuen Verfassungsbestimmungen hängen davon ab, wie der Gesetzgeber diese neuen Kompetenzen umsetzt.

Mit dem totalrevidierten CO2-Gesetz wären bei einer Annahme zusammen mit den übrigen, unter Ziffer 2.2 aufgeführten Massnahmen erste Weichenstellungen Richtung Netto-Null erfolgt. Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, müssen die Anstrengungen nun noch weiter verstärkt werden ­ insbesondere auch im Rahmen der kommenden klimapolitischen Perioden (vgl. Ziff. 4.2.1), aber auch innerhalb der Weiterentwicklung der bestehenden Energiepolitik. Dies zeigen Untersuchungen, die der langfristigen Klimastrategie zugrunde liegen (vgl. Ziff. 2.3). Für die Weiterentwicklung und Anpassung des bestehenden Massnahmenmixes stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Eine detailliertere Folgenabschätzung wird deshalb bei der Erarbeitung der Ausführungsgesetze vorzunehmen sein und kann Anhaltspunkte für die optimale Gestaltung der politischen Massnahmen liefern.

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6.5.1 Auswirkungen auf den Bund Mit der Genehmigung des Pariser Klimaübereinkommens hat das Parlament am 16. Juni 2017 dem Grundsatz des Netto-Null-Ziels zugestimmt. Die Unterschreitung der Erwärmungsgrenze bedingt nämlich gemäss Artikel 4 Absatz 1 des Klimaübereinkommens, dass die weltweiten Treibhausgasemissionen bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts durch entsprechende Senkenleistungen neutralisiert werden. Diese etwas vage Zeitangabe hat der Bundesrat mit seinem Beschluss vom 28. August 2019 konkretisiert. Darin entschied er, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Insofern sind aus dem vorliegenden Gegenentwurf zur Gletscher-Initiative keine zusätzlichen Auswirkungen auf Bund und Kantone im Vergleich zur erklärten Absicht der Schweiz auszumachen oder zu erwarten.

Die Entwicklung der für den Übergang Richtung Netto-Null benötigten Technologien und Entscheidungsgrundlagen bedingt Grundlagenarbeiten seitens der Verwaltung.

Insbesondere soll gemäss dem Bericht des Bundesrates über die Bedeutung von negativen Emissionen für die Schweiz51 unter Federführung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) im Rahmen der Weiterentwicklung der schweizerischen Klimapolitik eine Roadmap erarbeitet werden, die konkreter aufzeigt, wie die nötigen negativen Emissionen bis 2050 aufgebaut werden können. Dies unter der Berücksichtigung des dazu nötigen langfristigen Umbaus der Energieversorgung, die bis 2050 vollständig durch erneuerbare Energien und mit der entsprechenden Infrastruktur sichergestellt werden muss. Dies betrifft sowohl die Produktion erneuerbarer Energien, den Transport sowie die Verteilung von Energie über entsprechende Netzinfrastrukturen beziehungsweise Transportwege. Zur Erarbeitung und Umsetzung dieser Roadmap bedarf es unter anderem eines Aufbaus von Wissen über systemische Zusammenhänge, gezielter Forschungsförderung, Abklärungen von rechtlichen Aspekten und von Gouvernanzfragen sowie des Aufbaus nationaler und internationaler Kooperationen. Die zur Bewältigung dieser umfangreichen Arbeiten im BAFU und im BFE benötigten Ressourcen werden auf zwei Vollzeitstellen geschätzt.

Im Rahmen der Arbeiten zur Entwicklung der Roadmap wird der mittelfristige zusätzliche Ressourcenbedarf der Bundesverwaltung für den Aufbau von negativen Emissionen konkret festgelegt werden. Eine
weitere Konkretisierung der allfälligen personellen Auswirkungen der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung erfolgt im Rahmen der Ausführungsgesetzgebung.

Auf der Einnahmenseite ist zu erwähnen, dass sich aufgrund der zur Erreichung der Klimaziele nötigen Dekarbonisierung der Wärmeversorgung und des Verkehrs die in Ziffer 2.2.3 erläuterte bestehende Tendenz sinkender Einnahmen aus der Mineralölsteuer (inklusive Mineralölsteuerzuschlag) verstärken wird. Die Mineralölsteuer ist eine wichtige Einnahmequelle des Bundes: Mit total 4,5 Milliarden Franken im Jahr 2019 trägt sie 6,1 Prozent zu den ordentlichen Einnahmen bei. Sie wird heute mehrheitlich zur Finanzierung von Aufgaben im Strassen- und Luftverkehr eingesetzt. Von besonderer Tragweite sind die Einnahmenausfälle, die aus dem angestrebten Ausstieg 51

Bericht in Erfüllung des Postulats 18.4211 Thorens Goumaz «Von welcher Bedeutung könnten negative CO2-Emissionen für die künftigen klimapolitischen Massnahmen der Schweiz sein?»; www.parlament.ch > 18.4211 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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aus fossilen Treibstoffen resultieren, denn diese unterliegen einem weit höheren Mineralölsteuersatz als Brennstoffe.52 Biogene Treibstoffe wie beispielsweise Biogas, Bioethanol oder Biodiesel profitieren bis Ende 2023 ­ sofern die ökologischen und sozialen Anforderungen erfüllt sind ­ von Steuererleichterungen.53 Die laufenden Arbeiten des Bundes zur Konzeption einer fahrleistungsabhängigen Abgabe als Ersatz der Mineralölsteuern (vgl. Ziff. 2.2.3) zeigen Möglichkeiten auf, die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur langfristig zu sichern.

Weitere Einnahmenveränderungen können sich durch die allfällige zukünftige Anpassung der Instrumente ergeben, etwa bei CO2-Abgaben im Wärme- oder Verkehrsbereich oder der Ersatzleistungen von Fahrzeugimporteuren, die ihre Zielvorgaben nicht einhalten.

Es wird zu prüfen sein, inwiefern der Bund mit diesen Einnahmen die Entwicklung neuer Technologien fördert, die in Zukunft wichtige Instrumente der Klimapolitik bilden sollen, etwa negative Emissionen oder CCS.

Generell würde die Auswirkung von stringenteren Massnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen auf die Wirtschaftstätigkeit auch die Steuerbasis der direkten Bundessteuer und der MWST beeinflussen. Wegen der geringfügigen volkswirtschaftlichen Folgen (vgl. Ziff. 0) wäre dieser Effekt jedoch wahrscheinlich minimal.

Schliesslich leistet eine konsequente Klimapolitik zur Erreichung des Netto-NullZiels langfristig einen Beitrag an die internationalen Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels. Auf diese Weise könnte der Bund künftige Ausgaben wie etwa für die Instandhaltung der Infrastruktur vermeiden. Wie in Ziffer 6.5.5 näher erläutert, geht mit der Senkung von CO2-Emissionen auch eine Reduktion von Schadstoffen einher, was wiederum die Gesundheitsausgaben entlastet.

6.5.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete Die Kantone sind durch ihre Aufgaben in der Energiepolitik und insbesondere durch die Zuständigkeit für Massnahmen im Gebäudebereich von stringenteren klimapolitischen Regelungen potenziell betroffen. Inwiefern die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung sich auf diese Zuständigkeiten auswirkt, hängt von der Ausführungsgesetzgebung ab. Es werden jedoch keine direkten Auswirkungen auf die kantonalen Finanzhaushalte erwartet.

Die Kantonshaushalte wären von indirekten Auswirkungen betroffen. Auswirkungen der Vorlage auf die kantonalen Volkswirtschaften würden sich in ihren Finanzen insbesondere auf der Einnahmenseite niederschlagen; sie dürften jedoch relativ gering 52

53

Die Mineralölsteuer beträgt ab Jan. 2021 76,8 Rappen pro Liter bleifreies Benzin, 79,5 Rappen pro Liter Dieselöl, 0,3 Rappen pro Liter Heizöl extraleicht. Vgl.

www.ezv.admin.ch > Eidgenössische Zollverwaltung > Information > Firmen > Steuern und Abgaben > Einfuhr in die Schweiz > Mineralölsteuer.

Bundesgesetz vom 20. Dez. 2019 über die Verlängerung der Befristung der Steuererleichterungen für Erdgas, Flüssiggas und biogene Treibstoffe und über die Änderung des Bundesgesetzes über die Reduktion der CO2-Emissionen, AS 2020 1269.

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bleiben. Inwiefern die Kantone und ihre Volkswirtschaft unterschiedlich stark beeinflusst werden, hängt von der zukünftigen Ausgestaltung des klimapolitischen Instrumentariums ab. Grundsätzlich können Kantone mit hohem Verbrauch von fossilen Energieträgern tendenziell stärker belastet werden, wobei der Verbrauch durch verschiedene Faktoren geprägt ist, wie die Wirtschaftsstruktur, das Einkommen, das Klima, das Angebot des öffentlichen Verkehrs oder die Verfügbarkeit beziehungsweise die Umstellung auf erneuerbare Energien.

Wie in Ziffer 6.4 erläutert, sind Berg- und Randregionen im Hinblick auf verschiedene Faktoren wie die Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr und das Klima benachteiligt. Der vorliegende Entwurf für einen Verfassungsartikel trägt der Situation der Berg- und Randregionen Rechnung. Bei der Umsetzung in der Gesetzgebung wird die wirtschaftliche Situation der Berggebiete folglich berücksichtigt werden, etwa im Hinblick auf Massnahmen im Bereich Mobilität.

Die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung hätte auch indirekte Auswirkungen auf die kantonalen Finanzhaushalte, namentlich durch die sinkenden Einnahmen aus der Mineralölsteuer (vgl. Ziff. 6.5.1): Die heutigen Bundesbeiträge an den Agglomerationsverkehr (über den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF) und die Beiträge an Kantonshauptstrassen, Hauptstrassen in Berggebieten und Randregionen und an weitere strassenverkehrsbezogene Aufgaben (über die Spezialfinanzierung Strassenverkehr) sind heute zum grössten Teil durch Mineralölsteuereinnahmen gedeckt. Die derzeit geprüfte Ablösung der Mineralölsteuern durch eine fahrleistungsabhängige Abgabe ist deshalb auch für die langfristige Finanzierung des kantonalen Strassenverkehrs relevant.

6.5.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft Die Absenkung der Emissionen bis 2050 auf Netto-Null bedingt, dass bereits heute die Investitionen auf dieses Ziel ausgerichtet sind. Werden die Erneuerungszyklen konsequent genutzt, um Anlagen, Fahrzeuge und Heizsysteme durch CO2-ärmere Technologien zu ersetzen, können vielfach Betriebskosten eingespart und teure Fehlinvestitionen vermieden werden. Bereits heute sind verschiedene erneuerbare Alternativen, etwa im Bereich Elektromobilität oder Wärmeerzeugung, konkurrenzfähig.

Die Anstrengungen müssen in allen Bereichen weiter verstärkt werden, damit die Emissionen in jedem Sektor so umfassend wie möglich gesenkt werden können. Investitionen in die Effizienzsteigerung zahlen sich aufgrund der Einsparungen oft innert weniger Jahren aus. Die Verfolgung des Netto-Null-Ziels umfasst aber auch den Aus- und Umbau der heutigen, noch stark durch fossile Energieträger bestimmten Energieversorgung, inklusive Netzinfrastruktur, sowie Investitionen in Negativemissionstechnologien (vgl. Ziff. 2.3.2).

Modellergebnisse aus den Energieperspektiven 2050+ zeigen, dass bis 2050 auf jeden Fall zusätzliche Investitionen in das Energiesystem in Höhe von 1400 Milliarden Franken notwendig sind, auch ohne das Ziel Netto-Null. Mit dem Ziel Netto-Null bis 2050 nimmt der Investitionsbedarf um insgesamt 109 Milliarden Franken und damit

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um 8 Prozent zu.54 Die Kosten für den Betrieb der Anlagen zur Energieversorgung erhöhen sich um rund 14 Milliarden Franken. Gleichzeitig ermöglicht Netto-Null durch den Wegfall der Importe fossiler Energieträger Einsparungen bei den Energiekosten von 50 Milliarden Franken. Aus der Differenz zwischen den notwendigen Mehrinvestitionen und den eingesparten Energiekosten fallen damit jährliche direkte volkswirtschaftliche Kosten in der Grössenordnung von 2,4 Milliarden Franken im Zeitraum 2020­2050 an.55 Durch den Umbau des Energieversorgungssystems und weitere Anpassungen in den Produktionssystemen, die zur umfassenden Emissionsreduktion notwendig sind, verändert sich auch die sektorale Struktur der Produktion und Wertschöpfung und damit der Beschäftigung. Massnahmen der Klimapolitik führen zu einer Verschiebung weg von CO2-intensiven Produkten und Prozessen. Sie führen in verstärktem Ausmass zu einer verursachergerechten Anlastung der externen Kosten des Verbrauchs fossiler Energien.

Unternehmen werden ihre Geschäftsmodelle anpassen, um sie auf Netto-Null auszurichten. Haushalte und Unternehmen mit einem niedrigen Energieverbrauch werden belohnt, wenn Erträge aus Energieabgaben wie heute bei der CO2-Abgabe zurückverteilt werden. Energie- und treibhausgasintensive Branchen, wie etwa die grundstofforientierten Bereiche (z. B. Stahl-, Zement- oder Papierindustrie) oder die Flugbranche sind hingegen besonders betroffen von höheren Vorleistungskosten durch eine Verteuerung fossiler Energien. Heute stellen Erleichterungen und Ausnahmen für Unternehmen in diesen Branchen sicher, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz nicht beeinträchtigt wird. Auch die neue Verfassungsnorm gibt übereinstimmend mit den Grundsätzen der langfristigen Klimastrategie vor, dass der Übergang zu Treibhausgasemissionen von Netto-Null wirtschaftsverträglich ausgestaltet sein muss.

Falls Substitute auch 2050 nicht in genügend grossen Mengen oder nicht zu vertretbaren Kosten verfügbar sind oder deren Herstellung anderswo Treibhausgase verursacht, kann es sein, dass im Jahr 2050 noch immer eine geringe Menge fossile Energieträger eingesetzt werden. Denkbar sind auch Fälle im grenzüberschreitenden Verkehr, wenn fossile Antriebstechnologien im Ausland noch gängig sind. Auch die quantifizierbaren Treibhausgasemissionen
der Luftfahrt ab 2050 müssten mit negativen Emissionen ausgeglichen werden, sofern diese Emissionen nicht durch klimaneutrale Treibstoffe oder alternative Antriebe reduziert werden können. Der Gegenentwurf des Bundesrates beseitigt für solche Fälle die zu strikte Auflage, dass Emissionen aus fossilen Energien zwingend durch inländische Senken zu neutralisieren sind. Folglich entschärfen sich auch die potenziellen Wettbewerbsnachteile für bestimmte Branchen wie zum Beispiel die Luftfahrt.

Im Hinblick auf den Aussenhandel spielt das internationale Umfeld eine wichtige Rolle: Die Schweiz fügt sich mit ihrer Ambition, bis 2050 Treibhausgasemissionen von Netto-Null zu erreichen, in jene ihrer wichtigsten Handelspartner ein (vgl. Ziff. 4.2.1). Eine Abnahme der Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Industrie und dadurch ausgelöste sektorale Aussenhandelseffekte sind deshalb nicht zu 54 55

Prognos/TEP Energy/Infras/Ecoplan (2020), S. 89 Prognos/TEP Energy/Infras/Ecoplan (2020), S. 88

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erwarten. Ambitionierte Klimaziele fördern die technische Innovation, und wovon Länder profitieren können, die sich frühzeitig um die Entwicklung von Zukunftstechnologien kümmern. Damit stellen sie sicher, dass ihre Gesamtwirtschaft in den expandierenden Zukunftsmärkten weiterhin wettbewerbsfähig ist.

In der Schweiz bietet das Netto-Null-Ziel für verschiedene Branchen Wachstumschancen. Eine Vielzahl innovativer Unternehmen ist hier tätig, und die CleantechBranche ist stark vertreten. Der Cleantech-Sektor ist in den letzten Jahren deutlich stärker als die Gesamtwirtschaft gewachsen und hat seine Wertschöpfung seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt. Er umfasst gemäss Definition des Bundesamts für Statistik (BFS) Aktivitäten zur Herstellung von Gütern bzw. zur Erbringung von Dienstleistungen, die zum einen die Umwelt vor Verschmutzung und sonstigen Beeinträchtigungen schützen und zum anderen eine schonende Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen begünstigen.56 Besonders stark gewachsen sind die Bereitstellung erneuerbarer Energien sowie Energieeinsparungen und Energiemanagement. Die Beschäftigung im Cleantech-Sektor ist seit 2000 um 87 Prozent auf rund 150 000 Vollzeitäquivalente gestiegen. Insgesamt beschäftigen der Cleantech-Sektor sowie weitere cleantechrelevante Branchen (z. B. der öffentliche Verkehr) heute 5,1 Prozent der Arbeitskräfte und tragen 4,2 Prozent zum BIP bei.

Es kann davon ausgegangen werden, dass sich diese positiven Entwicklungen mit dem Netto-Null-Ziel weiter verstärken. Die Absenkung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bietet auch über die Cleantech-Branche hinaus Wachstumschancen. Dies betrifft beispielsweise die IT-Branche, die mit digitalen Lösungen in diversen Bereichen zur Verminderung von Emissionen beitragen kann, die Versicherungs- und Finanzwirtschaft, die mit klimafreundlichen und nachhaltigen Finanzdienstleistungen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken kann,57 oder die Forstwirtschaft, deren Produktion aufgrund der erhöhten Biomassenachfrage eher zunehmen dürfte. Auch der starke Forschungsstandort Schweiz dürfte von einer konsequenten Ausrichtung auf das Netto-Null-Ziel profitieren.

Insgesamt geht der konsequente Übergang in Richtung Netto-Null folglich mit einem beschleunigten sektoralen Strukturwandel einher. Eine Untersuchung zu den gesamtwirtschaftlichen
Auswirkungen des Übergangs zu Netto-Null, einschliesslich einer Analyse regionaler und kantonaler Effekte und möglicher Verteilungswirkungen, wird im Januar 2022 verfügbar sein.

Wie die Reduktion der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null gesamtwirtschaftliche Grössen wie das BIP, die Wohlfahrt und die Beschäftigung beeinflusst, hängt jedoch wesentlich vom gewählten Massnahmenmix ab. Auch die Verteilungswirkungen werden in erster Linie von den konkreten klimapolitischen Massnahmen bestimmt. Eine genauere Beurteilung der Auswirkungen wird deshalb bei der Erarbeitung der Ausführungsgesetze vorzunehmen sein. Eine umfassende volkswirtschaftliche Beurteilung des Bundesrates vom 1. Dezember 2017 über die Klimapolitik nach 2020 hat 56 57

Vgl. ww.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Raum, Umwelt > Umweltgesamtrechnung > Umweltgüter- und -dienstleistungen.

vgl. Bundesrat (2020): Bericht «Nachhaltigkeit im Finanzsektor Schweiz» mit welchem das Ziel kommuniziert wurde, dass die Schweiz ein führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen werden will.

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aufgezeigt, dass die bewährten Instrumente der Klimapolitik insbesondere in den Sektoren Gebäude und Industrie zu deutlichen Emissionsreduktionen führen, wobei sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schützen und durch geeignete Mechanismen der Rückverteilung von Abgaben sozialverträglich sind.58 Den Kosten für die Absenkung der Emissionen auf Netto-Null steht auch ein Nutzen gegenüber, wenn durch internationale Kooperation die Kosten eines ungebremsten Klimawandels vermieden werden können.

Der Klimawandel verursacht unter anderem vermehrte Schäden an Infrastrukturen, höhere Gesundheitskosten, eine tiefere landwirtschaftliche Produktivität oder tiefere Erträge für besonders vom Klimawandel betroffene Wirtschaftssektoren, z. B. den Wintertourismus. Wenn nur unzureichende oder im Extremfall gar keine Massnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden, nehmen die Auswirkungen und die damit verbundenen Kosten im Zeitverlauf immer stärker zu. Bei einer zu starken Erwärmung besteht die Gefahr, dass sogenannte Kipppunkte («tipping points») überschritten werden, die das Klimasystem dauerhaft und unumkehrbar verändern. Die Folgekosten der Überschreitung solcher Kipppunkte sind sehr hoch.

Die ETH Lausanne59 schätzt den Wohlfahrtsverlust bei einem ungebremsten Klimawandel im Jahr 2060 auf bis zu 1,4 Prozent. Diese Studie berücksichtigt aber ungewöhnliche Ereignisse wie beispielsweise aussergewöhnliche Hitzewellen oder Trockenperioden nicht. Frühere Studien60 gehen davon aus, dass die Kosten bei einer Erwärmung über 2 Grad vor allem nach 2050 stark ansteigen und gegen Ende des Jahrhunderts mehrere Prozente des BIP der Schweiz betragen können. Weitere Kosten im Umfang von 1,1 Prozent des BIP könnten aufgrund von Exportverlusten und Unterbrechungen in den Lieferketten eintreten.61 Bei Infrastrukturen könnte ein ungebremster Klimawandel bis Mitte des Jahrhunderts jährliche Schäden von rund 1 Milliarde Franken verursachen.62 Im Bereich Gesundheit könnten die jährlichen Kosten ab 2060 gar bei rund 11 Milliarden Franken liegen.63 Arbeiten, die die Kosten des Klimawandels auf gesamtwirtschaftlicher Ebene untersuchen, zeigen, dass die Kosten des Nichthandelns, d. h. die Kosten einer ungebremsten globalen Erwärmung, für die Schweiz bereits bis 2050 einen jährlichen Betrag erreicht, der bis zu 4 BIP-Prozente
ausmachen dürften. 64 Internationale Studien wie der Stern-Report65 oder Abschätzungen der OECD66, die die globalen BIP-Verluste gegen Ende des Jahrhunderts auf bis zu 10 Prozent beziffern, weisen in der Regel etwas höhere Werte aus., Bei der Diskussion der Auswirkungen ist grundsätzlich zu beachten, dass sich Kosten und Nutzen einer Absenkung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null im Zeitverlauf unterschiedlich entwickeln. Die Treibhausgasemissionen, insbesondere die CO258 59 60 61 62 63 64 65 66

Bundesamt für Umwelt (BAFU) (2017) Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) (2017) Ecoplan / Sigmaplan (2007).

Infras / Ecologic / Rütter + Partner (2007). Mit Infras (2018) liegt eine aktualisierte Version der Studie vor, auf quantitative Kostenschätzungen wurde jedoch verzichtet.

Swiss Economics (2019) Vöhringer et al. (2019) Kahn et al. (2019) Stern (2006) OECD (2015)

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Emissionen, müssen aufgrund ihrer langen Verweildauer in der Atmosphäre im Einklang mit den Zielen des Klimaübereinkommens möglichst schnell und umfassend gesenkt werden. Der Umbau der Energieversorgung muss deshalb in den nächsten Jahren vorangetrieben werden und bis Mitte des Jahrhunderts abgeschlossen sein. Die notwendigen Investitionen und damit die Kosten fallen daher grösstenteils in diesem Zeitraum an. Der Nutzen der im internationalen Verbund unter dem Klimaübereinkommen erzielten Massnahmen zeigt sich aber erst längerfristig in vollem Umfang, weil die Kosten einer ungebremsten Klimaerwärmung kurz- bis mittelfristig eher langsam, über 2050 hinaus aber stark zunehmen.

Insgesamt übersteigt der längerfristige Nutzen von konsequenten Klimaschutzmassnahmen die notwendigen Investitionen sowie die volkswirtschaftlichen Auswirkungen ­ sehr wahrscheinlich bereits Mitte des Jahrhunderts, sicher aber in der langen Frist.

6.5.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft Stringente klimapolitische Massnahmen zur Erreichung des Netto-Null-Ziels führen dazu, dass Alternativen zu den fossilen Energien attraktiver werden. Ziel ist es, dass energieintensive Güter und fossile Brennstoffe weniger stark nachgefragt werden.

Ein verstärkter Klimaschutz zur Erreichung des Netto-Null-Ziels soll überdies die Interessen künftiger Generationen bewahren. Die Vorlage fördert deshalb die Solidarität unter den Generationen, indem sie dazu beiträgt, den globalen Klimawandel abzubremsen, und dazu, dass rationell, sparsam und effizient mit erneuerbaren und nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen umgegangen wird und Umweltrisiken reduziert werden.

6.5.5 Auswirkungen auf die Umwelt Das hauptsächliche Umweltziel des vorliegenden Verfassungsartikels besteht darin, dass die Schweiz bis 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstösst, als sie durch sichere Treibhausgassenken dauerhaft ausgleichen kann. Verschiedene klimapolitische Massnahmen, die zur Erreichung des Netto-Null-Ziels eingesetzt werden könnten, bewirken jedoch weitere (sekundäre) Umwelteffekte. So führen die energetische Sanierung von Gebäuden und der Ersatz von fossilen Brenn- und Treibstoffen durch schadstofffreie Energien gleichzeitig zur Reduktion von Luftschadstoffen wie Stickoxid, Kohlenmonoxid, Feinstaub und Ozon. Dadurch reduzieren sich luftverschmutzungsbedingte Erkrankungen, Todesfälle und Gesundheitskosten, aber auch Schäden an Gebäuden. Bei der Verbrennung von Biomasse lässt sich nur dann eine positive Bilanz bei der Luftqualität aufweisen, wenn sie in Anlagen mit geringem Feinstaubausstoss erfolgt. Weitere umweltrelevante Sekundäreffekte von Klimaschutzmassnahmen sind Auswirkungen auf die Lärmemissionen, die Bodenqualität oder die Biodiversität. Im Verkehr beziffern sich die heutigen externen Effekte durch Luftverschmutzung auf

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4 Milliarden Franken, durch Lärmemissionen auf 2,7 Milliarden Franken und durch Schäden an Natur und Landschaft auf 1,2 Milliarden Franken.67

6.6 Rechtliche Aspekte 6.6.1 Verhältnis zu anderen Verfassungsbestimmungen Nach Artikel 139 Absatz 5 BV kann die Bundesversammlung einer Volksinitiative einen Gegenentwurf gegenüberstellen.

Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung einen direkten Gegenentwurf zur Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» mit dem Antrag, diesem Gegenentwurf zuzustimmen und ihn Volk und Ständen gleichzeitig mit der Initiative zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen und dem Gegenentwurf zuzustimmen. Sofern die Volksinitiative nicht zurückgezogen wird, wird der Gegenentwurf zusammen mit der Volksinitiative nach dem Verfahren gemäss Artikel 139b BV Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

Mit Artikel 74 Absatz 1 BV (Umweltschutz) verfügt der Bund über die Kompetenz, Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen zu erlassen. Die Tragweite von Artikel 74 BV bleibt durch die vorgeschlagene Regelung unberührt. Artikel 74a BV dient der Präzisierung der bestehenden Bestimmung zum Umweltschutz in Bezug auf den Klimaschutz. Die vorgeschlagene Regelung legt die Leitplanken für eine nachhaltige Klimapolitik der Schweiz fest, entlang derer Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Massnahmen für die Begrenzung der Klimaveränderung ergreifen. Die Gesetzgebung betreffend die Klimapolitik wird sich in die bestehenden bzw. entstehenden Strukturen zur Erreichung des Netto-Null-Ziels eingliedern.

Gemäss Artikel 89 Absatz 1 BV (Energiepolitik) gewährleisten Bund und Kantone eine umweltverträgliche und wirtschaftliche Energieversorgung sowie einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch. Absatz 2 überträgt dem Bund die Regelungskompetenz, Grundsätze über die Nutzung einheimischer und erneuerbarer Energien sowie über den sparsamen und rationellen Energieverbrauch zu erlassen. Die vorgeschlagene Verfassungsnorm hält an dem Grundsatz der Versorgungssicherheit fest, indem die technischen Möglichkeiten, die wirtschaftliche Tragbarkeit und die Sicherheit des Landes und der Schutz der Bevölkerung bei der Verminderung des Verbrauchs fossiler Brenn- und Treibstoffe berücksichtigt werden. Darüber hinaus konkretisiert die vorgeschlagene Regelung die bestehende Bestimmung dahingehend, dass Massnahmen zur Begrenzung
der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung erarbeitet und umgesetzt werden können, die über energiepolitische Aspekte hinausgehen. Die Zuständigkeit der Kantone für Massnahmen, die den Verbrauch von Energie in Gebäuden betreffen (Art. 89 Abs. 4 BV), wird durch die vorgeschlagene Bestimmung nicht berührt.

67

Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (2020)

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6.6.2 Vereinbarkeit des direkten Gegenentwurfs mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz Der direkte Gegenentwurf des Bundesrates zur Gletscher-Initiative ist mit sämtlichen internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Mit dem Netto-Null-Ziel bis 2050 leistet die Schweiz ihren Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung unter der kritischen Schwelle von 1,5 Grad und erfüllt den klimapolitischen Auftrag des Pariser Klimaübereinkommens.

Gemäss dem Abkommen vom 23. November 201768 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union zur Verknüpfung ihrer jeweiligen Systeme für den Handel mit Treibhausgasemissionen (EHS-Abkommen), mit dem erstmals die CO2-Emissionen der Luftfahrt in das Schweizer EHS einbezogen werden, müssen Netto-Transaktionsflüsse von Emissionsrechten zwischen den EHS im Einklang mit beschlossenen Prinzipien unter der UNO-Klimarahmenkonvention angerechnet werden. Aufgrund ausstehender Beschlüsse zur Umsetzung von Artikel 6 des Klimaübereinkommens69 wurden zwischen der Schweiz und der EU jedoch noch keine Anrechnungsregeln definiert.

Das System CORSIA der ICAO, mit dem ab 2021 ein CO2-neutrales Wachstum der internationalen Zivilluftfahrt angestrebt wird und an dem die Schweiz sich zusammen mit 82 anderen Staaten von Beginn weg beteiligt, soll vorerst bis 2035 gelten und danach je nach Wirkung weitergeführt oder durch ein neues System abgelöst werden.

CO2-Zertifikate, die mittels Kompensationsprojekten in einem Land («Gastland») erzeugt und von einem Luftfahrzeugbetreiber unter CORSIA angerechnet werden, dürfen nicht gleichzeitig vom Gastland an sein nationales Klimaziel angerechnet werden.70

68 69 70

SR 0.814.011.268 SR 0.814.012 Vgl. ICAO (2019), Eligibility Criterion 7, S. 3.

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Glossar Carbon Capture and Storage (CCS): CO2-Abscheidungs- und Speicherungstechnologien, mit denen CO2 an einer Anlage (z. B. bei der Zementproduktion oder in Kehrichtverbrennungsanlagen) abgeschieden und anschliessend langfristig gespeichert wird. Wenn das CO2 fossilen oder geogenen Ursprungs ist, handelt es sich um eine Verminderungsmassnahme; wenn das CO2biogenen Ursprungs ist, handelt es sich um eine Massnahme zur Erzeugung negativer Emissionen (Bioenergie-CCS bzw.

BECCS, vgl. «Negative Emissionen»).

Graue Emissionen: Nebst den Treibhausgasemissionen, die in der Schweiz ausgestossen werden, ist die Schweiz verantwortlich für zusätzliche Emissionen, die im Ausland aus der Produktion und Lieferung von Gütern oder Leistungen oder durch den Aufbau einer Infrastruktur entstehen. Diese grauen Emissionen sind im nationalen Treibhausgasinventar jedoch nicht berücksichtigt.

Kohlenstoffspeicher: Komponente des Klimasystems (nicht die Atmosphäre) mit der Fähigkeit zur Speicherung, Ansammlung oder Freigabe von Kohlenstoff. Die Herkunft des Kohlenstoffs ist dabei unbestimmt; der Kohlenstoff könnte der Atmosphäre entnommen sein (vgl. «Negative Emissionen») oder direkt einer Anlage (vgl. «CCS»).

Entsprechend kann die Speicherung von Kohlenstoff zu einer Verminderung von CO2-Emissionen führen oder zu negativen Emissionen.

Negative Emissionen, Negativemissionstechnologien (NET): Anthropogen, d. h.

durch den Menschen verursachte Aktivitäten, die mit natürlichen und technischen Verfahren Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernen und dauerhaft speichern.

Technologieoptionen für Negativemissionen sind meist auf CO2 fokussiert, weshalb «Negativemissionstechnologien (NET)» oft synonym mit der Entnahme von Kohlendioxid (Carbon Dioxide Removal, CDR) verwendet wird.

Senke: Ein Prozess, eine Aktivität oder ein Mechanismus, der Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernt (weil mehr CO2 aufgenommen wird als abgegeben) und speichert. Kann auch ohne menschliches Zutun erfolgen und ist nicht zwingend dauerhaft (vgl. «Negative Emissionen»). Da CO2 das bedeutendste und langlebigste Treibhausgas ist und Prozesse zur Entnahme von anderen Treibhausgasen aus der Atmosphäre bisher kaum bekannt sind, konzentriert sich die Diskussion um Treibhausgassenken auf CO2; man spricht auch von Kohlenstoffsenken (vgl. «Kohlenstoffspeicher»).

Senkenleistung: International anrechenbare Bilanz über die Treibhausgasemissionen und die CO2-Aufnahme in Kohlenstoffspeichern.

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Literaturverzeichnis 2°Investing Initiative / Wüest Partner (2020): Bridging the Gap: Measuring progress on the climate goal alignment and climate actions of Swiss Financial Institutions. Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt. Bern.

Bundesamt für Umwelt (BAFU) (2013): Waldpolitik 2020. Visionen, Ziele und Massnahmen für die nachhaltige Bewirtschaftung des Schweizer Waldes. Verfügbar unter: www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Wald und Holz > Fachinformationen > Strategien und Massnahmen Bund > Waldpolitik 2020.

Bundesamt für Umwelt (BAFU) (2017): Synthesebericht: Volkswirtschaftliche Beurteilung der klimapolitischen Massnahmen nach 2020. Verfügbar unter: www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Klima > Dossiers > CO2-Gesetz und Klimaschutz > Grundlagen und Studien.

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